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Sanft strich der laue Sommerwind über die Hügel vor der Stadt. Die Sonne sendete ihre warmen Strahlen zur Erde. Die Luft war angefühlt mit dem Duft der Sommerblumen, die überall auf den Wiesen blühten. Am Himmel zogen die Wolken wie eine Herde Schafe ihre Bahn.
Michael lag zwischen dem gelben Löwenzahn. Verträumt kaute er auf einem Grashalm umher. Mit halb zugekniffenen Augen betrachtete er den tiefblauen Himmel. Vögel flogen über ihn hinweg und neben dem Jungen im Gras zirpte eine Grille ihr Lied. Summend näherte sich ihm eine vorwitzige kleine Biene. Michael hob seine Hand um sie zu vertreiben. Doch was war das? Plötzlich vernahm er eine leise wispernde Stimme nahe bei seinem Ohr.
"Hey, was soll denn das? Ich will doch nur meine Arbeit machen. Was kann ich denn dafür, dass du dich ausgerechnet zu den schönsten Blumen legen musstest. Ich hätte doch wohl mehr Recht dich von hier zu vertreiben!"
Verwundert sah sich Michael um. Woher kam die Stimme? Er konnte niemanden entdecken. Nur die kleine Biene, die er gerade verscheuchen wollte. Und wieder hörte der Junge diese leise Stimme, die aus dem nichts zu kommen schien.
"Was guckst du so? Ich bin es, die kleine Biene."
Michael traute seinen Augen und Ohren nicht. Das gab es doch nicht. Bienen können nicht reden.
"Du redest mit mir?" fragte der Junge zögernd.
"Ja natürlich" summte das Bienchen. "Oder glaubst du ihr Menschen könntet euch alleine nur unterhalten? Wir Bienen haben doch auch etwas zu sagen. Du bist zwar der erste Mensch mit dem ich rede, aber meine Verwandten haben mir schon oft erzählt, dass sie Geschäfte mit euch machen. Dazu muss man sich doch verständigen können oder täusche ich mich da?"
"Weißt du kleine Biene, ich bin nur so überrascht, dass ich dich verstehen kann. Bisher hörte ich eure Sprache nur als ein leises Summen. Hast du Kleine auch einen Namen?" fragte Michael.
"Natürlich habe ich den. Ich heiße Goldflügelchen. Aber du darfst Goldie zu mir sagen, weil du doch mein Freund bist. Oder?"
"Ich bin der Michael und freue mich, dich Goldie zur Freundin zu haben. Du bist doch ein Mädchen?"
"Ja natürlich, was denkst du denn."
Michael lächelte, dann sagte er:
"Ich kann es noch gar nicht richtig glauben, dass ich mich wirklich mit dir hier unterhalte. Wenn ich das meinen Freunden erzähle, die werden mir gar nicht glauben wollen."
"Das darfst du deinen Freunden auch nicht verraten. Es können nämlich nur ganz wenige von euch mit uns reden."
Eine andere Biene kam zu den Beiden geflogen.
"Freue dich an deiner Gabe und hüte dieses Geheimnis gut. Wenn du davon jemanden erzählst, wirst du uns niemals mehr verstehen können. Übrigens ich bin Honiglöckchen."
Michael betrachtete seine neuen Freunde genau. Sie sahen eigentlich wie ganz normale Bienen aus. Er konnte nichts besonderes an ihnen finden.
"Ich glaube ich träume." sagte er. "Das kann es doch gar nicht geben."
"Hörst du das Honiglöckchen? Er glaubt uns immer noch nicht. Ich denke wir müssen ihn erst einmal mit unseren Stacheln aufwecken." sagte Goldie leise, damit Michael es nicht hören sollte. Doch der Junge hatte gute Ohren und so entgingen ihm die Worte nicht.
"Nein, nein, ihr braucht mich nicht zu stechen. Ich werde doch meinen Augen und Ohren glauben. Aber sagt mal, könnt ihr mir nicht etwas von euch erzählen? Wo seid ihr zu Hause? Ach bitte, ich möchte doch noch mehr über euch erfahren." Er schaute die Beiden mit seinen großen blauen Augen an.
"Aber natürlich," sagte Honiglöckchen.
"Ich werde dir etwas von uns erzählen, aber nur, wenn du uns versprichst uns dann nicht mehr zu jagen oder gar zu töten. Es gibt viele von euch, die, nur weil sie Angst haben, dass wir sie stechen, lieber mit einer Fliegenklatsche oder anderen Instrumenten auf uns einschlagen. Andere sind noch gemeiner. Sie stellen uns eine Flasche mit Zuckerwasser hin. Wir freuen uns dann und denken sie meinten es gut mit uns, dabei haben diese Flaschen nur den einen Zweck, dass wir darin ertrinken sollen. Ist das nicht gemein von ihnen?"
Michael sah sie traurig an.
"Ja, davon habe ich auch schon gehört. Ich verspreche euch aber, dass ich solche Sachen nicht mit euch machen werde."
"Ach sei nicht traurig." sagte Goldie. "Wir rechen uns für solche Taten. Bei diesen Leuten macht das Stechen gleich noch mal soviel Freude."
Michael glaubte Goldie lächeln zu sehen.
"Aber jetzt möchte ich dir etwas von uns erzählen. Wir wohnen dort drüben im Wald. Da haben wir unseren Bienenstock aufgebaut. Viele Bienen wohnen dort. Goldflügelchen und ich sind Arbeitsbienen. Wir sammeln den Nektar von den Blumen und bringen ihn nach Hause, damit unsere Königin und alle anderen dort immer etwas zu essen haben. Außerdem stellen wir daraus den Honig her, den ihr Menschen uns ja immer holt. Ihr seid eben auch alle Leckermäulchen. Zum Nektarsammeln fliegen wir den ganzen Tag umher auf der Suche nach den schönsten Blumen mit den süßesten Säften..."
Honiglöckchen wurde jäh unterbrochen. Ein ganzer Schwarm Bienen kam aufgeregt herbeigeflogen. Eine der Vordersten rief ihnen zu:
"Goldie und Honiglöckchen, da seid ihr ja. Wir haben euch schon gesucht. Ihr müsst schnell mit uns fliegen. Die bösen Wespen haben unsere Königin entführt. Sie fordern unseren ganzen Vorrat an Honig als Lösegeld. Kommt, wir müssen sie befreien."
Entsetzt sahen sich die Beiden an. Michael merkte, dass die Sachen wohl ernst war und so fragte er die Bienen, ob er ihnen nicht helfen konnte. Honiglöckchen sah ihn erstaunt an, dann fragte sie ihn:
"Wie willst du uns denn helfen. Du kannst doch noch nicht einmal fliegen."
Ja wie sollte er ihnen helfen. Michael war traurig seinen Freunden nicht beistehen zu können.
"Warte einmal Michael. Mir kommt da eine Idee." Goldie lächelte, dann sah sie verstohlen nach Honiglöckchen. Diese schien Goldies Idee erraten zu haben, denn sie sagte plötzlich:
"Wenn du uns wirklich helfen möchtest, da gibt es eine Möglichkeit. In unserem Bienenstock lebt eine sehr alte Biene, die verschiedene Zauber kennt. Sie kann dir einen Trank geben, mit dem du so klein wirst wie wir und auch Flügel zum Fliegen kann sie dir zaubern. Möchtest du das?"
"Ja natürlich. Ich möchte doch meinen Freunden helfen" sagte Michael aufgeregt.
"Gut, dann warte hier. Ich werde nach Hause fliegen um dir den Trank zu hohlen."
Damit verschwand Honiglöckchen.
Es dauerte nicht lange und die Biene kam wieder zu Michael und Goldie zurück. Sie hatte einen roten kleinen Blütenkelch bei sich. Honiglöckchen war ganz außer Atem, als sie auf der Löwenzahnblüte neben ihrer Schwester landete. Es dauerte einige Augenblicke, bis sie endlich wieder sprechen konnte.
"Puh, das war aber anstrengend. Hier drinnen, in dieser Blühte, ist der Zaubertrank. Du musst ihn gleich trinken. Aber ich soll dich noch warnen. Der Zaubertrank macht dich für ein paar Stunden klein wie eine Biene. Doch merke dir gut, in dieser Zeit darfst du nicht lachen, denn sobald das erste Lachen über dein Gesicht huscht, musst du für immer so bleiben. Überlege dir also gut, ob du dieses Risiko für uns eingehen möchtest." Honiglöckchen sah den Jungen ernst an.
"Da brauch ich doch nicht lange zu überlegen. Ich habe doch schon gesagt, dass ich euch helfen möchte. Freunde lässt man nicht im Stich, wenn sie Hilfe brauchen und warum sollte ich lachen. Es wird schon nichts passieren, was mich zum Lachen bringen könnte." Mit diesen Worten nahm Michael den Kelch und trank ihn schnell aus. Kaum war der Saft durch seine Kehle geronnen, als sich alles um ihn herum zu drehen begann. Es wurde immer schneller und schneller, und Michael wurde schwarz vor den Augen, er fiel zu Boden. Dann war alles ruhig und so entschloss er sich seine Augen wieder zu öffnen. Doch was war das? Das Gras, welches dem Jungen vor wenigen Augenblicken noch zu den Knöcheln reichte schloss sich nun über ihm zusammen und schien ein dichter Wald zu sein.
"Michael wo bist du denn?" riefen ihn die beiden Bienen.
"Hier, aber wo seid ihr. Ich kann mich nicht zurechtfinden. Alles ist so groß. Helft mir doch." Ängstlich schaute sich Michael um. Es war alles so fremd und unwirklich.
Plötzlich hörte er ein rascheln neben sich und durch die dichten Grashalme drängten sich Goldie und Honiglöckchen. Michael war froh die beiden Bienen zu sehen. Erleichtert atmete er auf und fiel ihnen um den Hals. Das war ja nun kein Problem, denn der Junge war ja jetzt kaum mehr größer als sie.
"Ach Michael, du brauchst keine Angst zu haben. Du gewöhnst dich schon daran. Es ist gar nicht so schlimm. Aber jetzt musst du versuchen, ob du mit deinen Flügeln zurecht kommst. Es ist ja für dich etwas ganz neues zu fliegen. Habe Mut und mach es uns nach."
Goldie begann mit ihren Flügeln zu flattern und hob vom Boden ab. Auch Honiglöckchen erhob sich in die Luft. Michael versuchte ängstlich seinen Rücken zu beäugen. Wieder wurde er von Goldie gerufen:
"Na los, komm doch endlich. Du brauchst wirklich keine Angst zu haben. Deine Flügel werden dich tragen, so wie uns unsere durch die Luft fliegen lassen."
Vorsichtig begann er mit den Flügeln zu flattern. Sanft erhob er sich in die Luft. Michael flog. Es war ein wunderbares Gefühl. Immer höher und höher stieg er zum Himmel hinauf. Der Junge wurde sehr waghalsig und so mussten ihn die Bienen zur Vorsicht rufen.
Michael verlangsamte seinen Flug. Ihm war wieder eingefallen, dass er ja seinen Freunden helfen wollte und aus diesem Grund fliegen konnte und der Zaubertrank nicht ewig wirken würden. Er schaute sich nach den Bienen um. Goldie und Honiglöckchen saßen wieder auf einer Löwenzahnblüte. Michael flog zu den Beiden und versuchte neben ihnen zu landen. Doch statt wie geplant auf seinen Füßen zum stehen zu kommen, landete er der Länge nach auf dem Bauch. Die Bienen lachten und Goldie sagte:
"Na, das Landen musst du wohl noch Üben. Aber jetzt wollen wir über legen, wie wir unsere Königin befreien können."
Michael unterdrückte mühsam ein Lächeln. Es war doch schwerer als gedacht, nicht zu Lachen und so sah er schnell die beiden Bienen an, welche ein sehr ernstes Gesicht machten.
"Ja, was machen wir nun?" fragte Michael Honiglöckchen und Goldie.
"Das Beste wird es sein, wir fliegen erst einmal zu unserem zu Hause und beraten uns mit den anderen Bienen. Ich nehme an, dass sie jetzt wieder dort sind. Die Wespen können sehr schnell fliegen und wenn sie etwas Schlechtes getan haben, sind sie noch einmal so schnell." Mit diesen Worten erhob sich Honiglöckchen von der Blüte. Michael und Goldie folgten ihr.
Lange brauchte die Drei nicht zu fliegen. Den Weg entlang bis zu dem kleinen Birkenhain in den Michael schon so oft gespielt hatte. In den obersten Zweigen eines Baumes befand sich das Haus der Bienen. Aufgeregt schwirrten dort viele Bienen umher. Es war ein riesen durcheinander. Aber als Michael mit seinen Freunden ankam, hielten alle inne und sahen den Fremden neugierig an.
"Was will der hier? Das ist doch einer von den Menschen. Wie konntet ihr ihn den nur zu uns bringen. Haben wir denn nicht genug Probleme?" Vorwurfsvoll flog ihnen eine große alte Biene entgegen.
"Keine Angst. Das ist Michael unser Freund. Er möchte uns bei der Befreiung unserer Königin helfen." sagte Honiglöckchen.
"Nun gut, aber jetzt müssen wir uns endlich einen Plan machen, wie wir die Königin retten können." Mit diesen Worten flog die alte Biene in den Stock. Alle anderen Bienen folgten ihr.
Sie flogen durch viele enge Gänge, bis sie einen großen Saal erreichten, wo sich alle Bienen zu einem Halbkreis niederließen. Die große Biene, welche sie hierher geführt hatte stand in der Mitte und ergriff das Wort.
"Wie ihr alle wisst, wurde heute unsere geliebte Königin und Mutter von den wilden Wespen entführt. Sie fordern von uns den ganzen Vorrat an Honig. Das können wir nicht zulassen, denn dann würden alle unsere Kinder verhungern und unser Stock würde den nächsten Winter nicht überstehen. Also müssen wir die Königin befreien. Hat jemand eine Idee, wie wir dies anstellen könnten?"
Fragend schaute sich die Biene um, doch keine wollte etwas sagen. Da ergriff Michael das Wort. Er sagte:
"Zuerst müssten wir herausbekommen, wo die Wespen sie hingebracht haben. Denn ich nehme an, das sie sie nicht in ihrem Heim versteckt halten. Also müssen wir die Wespen erst einmal beobachten."
Ein wildes summen erfüllte den Raum. Alle redeten durcheinander. Einige verlangten Michael aus dem Kreis auszuschließen, da er ja ein Mensch sei und nichts mit ihnen zu tun hatte. Andere fanden seinen Vorschlag recht gut. Nach einiger Zeit unterbrach die alte Biene den Lärm.
"Seid still. Ich finde den Vorschlag von dem Menschen gut und vernünftig. Er will uns helfen und hat dafür sogar sein Leben aufs Spiel gesetzt. Ihr wisst doch, dass es für einen Menschen gefährlich ist, sich dem Zauber zu unterwerfen. Ich schlage vor, dass er, Goldie und Honiglöckchen seinen Plan ausführen und uns dann berichten." Keiner der anderen Bienen wagten ihr zu wiedersprechen.
"Ihr anderen macht euch wieder an die Arbeit. Unsere Kinder haben Hunger."
Folgsam flogen die Bienen nach draußen. Als der Saal leer war rief die Biene die drei Freunde zu sich.
"Ihr müsst sehr vorsichtig sein, damit die Wespen euch nicht bemerken. Ich habe Angst, dass diese Räuber sonst unserer Königin etwas Schlimmes antun werden. Bitte nehmt euch in acht und nun macht euch auf den Weg. Jede Minute ist kostbar. Denkt daran, das sie uns ein Ultimatum bis zum Sonnenuntergang gestellt haben. Bis dahin müssen wir ihnen unseren ganzen Vorrat an Honig ausliefern." Mit diesen Worten entließ sie die Drei und zog sich in einem anderen Gang zurück.
Michael sah seine Freunde an, dann sagte er:
"Das Beste ist, wir fliegen erst einmal zu dem Unterschlupf der Wespen um heraus zu bekommen, wo sich eure Königin befindet. Kommt lasst uns fliegen."
Goldie, Honiglöckchen und Michael machten sich auf den Weg. Honiglöckchen kannte den Ort genau, an dem die Wespen ihren Bau versteckt hatten. Die drei Freunde brauchten gar nicht lange zu suchen. Vorsichtig schlichen sie sich an das Wespennest heran. Ihre Feinde sollten sie nicht vorzeitig bemerken. Es war still um das Nest herum. Die Wespen schienen nicht da zu sein, also packte Michael allen seinen Mut zusammen und wollte hinein fliegen, aber Goldie hielt ihn zurück.
"Was hast du vor?" fragte sie den Jungen leise.
"Ich gehe hinein und sehe mich um. Es scheint ja niemand da zu sein. Ich versuche den Aufenthaltsort der Königin herauszubekommen. Ich werde schon vorsichtig sein." Mit diesen Worten flog Michael los.
Es war düster in dem Nest und eine Totenstille umgab den Jungen. Er hatte Angst, konnten doch jeden Augenblick die Wespen zurück kommen und was sie dann mit ihm machen würden, daran dachte der Junge lieber nicht. Michael versuchte seine Furcht zu verdrängen. Er hatte seinen Freunden versprochen zu helfen und dies wollte er auch unter allen Umständen tun. Also ging er tapfer weiter in den Bau hinein.
Alles war hier viel dunkler und muffiger als in dem Bau der Bienen. Überall in den Gängen lag Unrat herum. Diese Wespen hielten wohl nicht viel von Sauberkeit. Michael gefiel es hier überhaupt nicht, aber er ging immer weiter in das Nest hinein. Es dauerte nicht lange und er stand in einem großen Saal. Hier war es etwas heller doch viel erkennen konnte Michael auch nicht. Angestrengt schaute er sich in dem düsteren Raum um und ging langsam weiter. Er musste sehr vorsichtig sein. Wusste er doch nicht, ob alle Wespen das Nest verlassen hatten. Leise schlich sich der Junge an der kühlen Wand entlang, bis er zu einem weiteren Gang kam. Michael überlegte, wo er nun entlang gehen sollte, als er plötzlich Stimmen vernahm. Der Junge lauschte. Wo konnten die Geräusche nur herkommen? Angespannt lauschte er in die Dunkelheit hinein, dann ging er den Gang entlang und er schien der Quelle der Stimmen immer näher zu kommen. Nach einiger Zeit konnte der Junge einen schwachen Lichtschein am Ende des Weges erkennen. Michael fühlte sein Herz aufgeregt in seiner Brust schlagen. Jetzt musste er sich zusammenreißen und seine Angst vergessen. Mutig ging er auf das Licht zu und es dauerte nicht lange und er hatte sein Ziel erreicht. Vor ihm öffnete sich ein kleiner Raum, in dem zwei dicke Wespen saßen die aufgeregt miteinander redeten. Schnell huschte Michael in eine dunkle Ecke um nicht von den Beiden entdeckt zu werden. Die Wespen schienen sehr wütend zu sein, denn sie redeten sehr laut aufeinander ein. Michael konnte von seiner Ecke aus jedes Wort verstehen. Die Kleinere der beiden Wespen sprach:
"Hättest du dich nicht wieder freiwillig zum Bewachen dieser Biene gemeldet, könnten wir jetzt auch draußen über die Wiesen fliegen. Nur weil du immer so faul bist, muss ich auf allen Spaß verzichten."
Die andere Wespe, sie war viel dicker als die andere sagte ganz ruhig:
"Was kann ich denn dafür, dass du immer wie eine Klette an mir hängen musst. Ich habe dir nicht gesagt, das du bei mir bleiben sollst." Dann nahm sie ein kleines Glühwürmchen, welches auf dem Tisch stand und wandte sich dem Ausgang zu.
"Ich sehe jetzt nach unserer Gefangenen."
Das war ja einfach, die Königin zu finden, dachte Michael. Er brauchte nicht lange zu überlegen, was er nun tun sollte. Vorsichtig schlich er der Wespe hinterher. Ihr Weg führte durch einige dunkle Gänge. Die Luft wurde immer muffiger. Sie mussten sich tief im Bau befinden. Michael versucht sich den Weg genau zu merken. Doch was war das? Plötzlich stolperte der Junge über ein Hindernis, welches er in der Dunkelheit übersehen hatte. Er konnte sich ein leises "Aua" nicht verkneifen. Die Wespe, welche in einiger Entfernung vor ihm lief, dreht sich schnell um. Jetzt war alles aus, dachte Michael. Er hielt seinen Atem an und drückte sich fest gegen den Boden. Sein Herz pochte wie wild und die Angst schien ihn schier erdrücken zu wollen. Doch er hatte Glück. Die Wespe tat nur einen kurzen Blick nach hinten und ging dann ihren Weg weiter. Vorsichtig erhob sich der Junge vom Boden und nachdem er ein paarmal tief Luft geholt hatte, schliche er ihr wieder hinterher.
Bald konnte Michael ein leises Wimmern hören und je weiter sie gingen, um so lauter wurde das Weinen, bis sie endlich die Quelle der Geräusche erreichten. Sie kamen aus einem kleinen Raum, der viele wabenähnliche Löcher hatte. In einer dieser Zellen sah der Junge eine große Biene sitzen. Die Wespe ging auf das Gefängnis der Biene zu und sprach:
"Mach nicht so einen Lärm. Hier kann dich doch keiner deiner Freunde hören oder dich gar finden. Wenn deine Bienen unsere Forderungen erfüllt haben lassen wir dich ja wieder frei."
Michael huschte schnell in eine dunkle Ecke, als er merkte, dass sich die Wespe umdrehte. Doch diese verließ den Raum ohne sich noch einmal umzuschauen. So sicher war sie sich, dass niemand nach dem Versteck suchen würde, soviel Mut traute die Wespe den vorsichtigen Bienen wohl nicht zu.
Als der Schein des Glühwürmchens im Gang verschwunden war, kam Michael langsam aus seinem Versteck heraus und näherte sich der Zelle in der die Biene saß und weinte.
"Bist du die Königin der Bienen?" fragte Michael leise.
"Ja, das bin ich. Die Wespen haben mich hier eingesperrt und versuchen meine armen Bienenkinder nun zu erpressen. Ach, bitte hilf mir doch zu entkommen. Du bist doch keiner von den bösen Wespen."
"Mensch, da habe ich ja Glück. Ich bin nämlich ein Freund von Goldie und Honiglöckchen und bin gekommen um dich zu befreien. Jetzt las uns überlegen, wie wir dich hier heraus bekommen."
Michael sah sich das Gefängnis genauer an. An der rechten Seite gewahrte er einen kleinen Spalt. Mit seinen Händen versuchte er dort ein Stück wegzubrechen damit die Königin hinaus schlüpfen konnte. Aber so einfach wie er gedacht hatte, war es nicht.
"Du musst von innen mit dagegen drücken, alleine schaffe ich es nicht." sagte er zur Biene. Mit vereinten Kräften drückten und zogen sie an der Spalte, bis mit einen mächtigen Lärm ein großes Stück aus dem Gefängnis heraus brach. Schnell schlüpfte die Biene hinaus.
"Ich danke dir. Du bist mein Retter. Aber jetzt lass uns schnell von hier verschwinden. Die Wespen werden nicht ewig weg bleiben."
Michael wollte die Königin gerade aus dem Nest ihrer Feinde führen, als ihm bewusst wurde, das dieser kleine Raum ja hell erleuchtet war. Der Junge sah sich noch einmal um, und gewahrte in einer anderen Zelle einige Glühwürmchen.
"Ach ihr Armen," sagte Michael, "euch haben die Wespen wohl auch gefangen. Wartet, ich werde euch helfen."
"Oh Junge, wir werden dir ewig dankbar sein." Michael und die Bienenkönigin versuchten auch diese Zelle aufzubrechen. Sie hatten ganz schön zu tun, ehe sie auch nur ein kleines Stück des Gefängnisses wegbrechen konnten. Aber mit vereinter Kraft, hatten sie es bald geschafft. Mit einem lauten Krachen brach aus dem Gefängnis ein kleines Stück heraus. Es reichte gerade, dass die kleinen Glühwürmchen hinausschlüpfen konnten.
"Wir danken dir Menschenjunge. Kommt, wir kennen den Weg nach draußen, wir führen euch."
In der Nähe des Einganges warteten Goldie und Honiglöckchen und als sie ihre Königin sahen, fielen sie ihr um den Hals. Michael sah sich nach den Glühwürmchen um, aber von ihnen war nichts mehr zu sehen.
"Wir sind ja so froh, dass du wieder bei uns bist. Kommt lasst uns schnell nach Hause fliegen." Goldie strahlte.
Doch was war das. Mit einmal war die Luft erfüllt von einem mächtigen Brummen und Summen. Die Wespen kamen nach Hause.
"Versteckt euch dort in dem Gebüsch mit eurer Königin. Ich werde die Wespen aufhalten. Geht schnell." rief Michael den Bienen zu.
"Aber sei vorsichtig" warnte ihn Honiglöckchen, "wenn sie dich fangen werden sie wer weiß was mit dir anstellen. Gib auf dich acht. Wir treffen uns dann bei unserem Bau." Die Bienen flogen fort. Michael blieb alleine bei dem Nest und die Wespen kamen immer näher heran. Der Junge wartete, bis sie ihn fast erreicht hatten, dann flog er los, weg von dem Versteck seiner Freunde. Ein riesiger Schwarm Wespen flog hinter ihm her. Michael hatte große Mühe, damit sie ihn nicht einholten. Er hoffte, dass die Wespen bald aufgeben würden ihm zu folgen. Aber da hatte er sich getäuscht. Sie kamen ihm immer näher bis nur noch ein kleiner Abstand zwischen ihm und seinen Verfolgern lag. Gleich würden sie ihn erreichen. Verzweifelt und mit letzter Kraft versuchte Michael noch etwas schneller zu fliegen, aber er hatte keine Kraft mehr. Er wurde langsamer, und es war nur noch eine Sache von Sekunden, bis die Wespen ihn erreichten. Doch was war das? Plötzlich tauchten unendlich viele Bienen auf und umringten ihn. Als die feigen Wespen dies sahen flogen sie schnell davon. Mit so vielen Bienen wollten sie sich nicht einlassen.
Freudig schaute Michael sich um. Da entdeckte er in dem riesigen Schwarm seine Freunde Goldie und Honiglöckchen. Glücklich rief er ihnen zu:
"Ich bin so froh euch zu sehen. Ich dachte schon, jetzt ist es aus mit mir und die Wespen fangen mich. Habt ihr eure Königin in Sicherheit gebracht?"
"Ja Michael. Und als wir zu Hause waren rief sie alle Bienenvölker der Umgebung zusammen damit sie dir helfen sollten. Komm jetzt, wir fliegen nach Hause." rief ihm Goldie zu, die dabei so aufgeregt mit den Flügeln wackelte, das sie ihr Gleichgewicht verlor und so ungeschickt gegen Honiglöckchen stieß, das diese fast abgestürzt wäre. Als Michael das sah, musste er so lachen, dass auch er zu trudeln begann und ein paar Bienen ihn auffangen mussten. Entsetzt schrie Honiglöckchen auf:
"Michael, was hast du getan. Du hast gelacht. Jetzt musst du für immer in dieser Gestalt leben. Es tut mir ja so leid." Tränen rannen ihr über das kleine Gesicht. Auch Goldie sah ihn traurig an. Michael war fassungslos. Was hatte er getan? In dieser Gestalt konnte er doch nie wieder zu seinen Eltern und seiner Schwester nach Hause zurück. Er weinte.
"Sei nicht traurig. Du bist nicht alleine. Wir werden schon einen Weg finden um dir wieder deine wahre Größe zurückzugeben. Komm erst einmal mit zu uns. Da kannst du bleiben." Goldie strich ihm zärtlich über das Haar, dann nahmen sie und Honiglöckchen den weinenden Jungen in ihre Mitte und flogen mit ihm nach Hause.


*




Die Tage vergingen. Die Bienen hatten den Jungen in ihrem Heim aufgenommen und waren lieb und freundlich zu ihm. Jeden Tag bekam er süßen Honig und den besten Nektar von ihnen. Doch Michael war traurig. So sehr ihn die Bienen auch verwöhnten, hatte er doch Sehnsucht nach seinen Eltern und seiner kleinen Schwester. Wie gerne würde er sie wieder sehen, doch er hatte Angst. In seiner jetzigen Gestalt würden sie ihn bestimmt nicht erkennen. So konnte ihn seine Mutter nicht tröstend in den Arm nehmen. Auch konnte er mit seiner Schwester in dieser Gestalt nicht spielen. Was hatte er für einen hohen Preis bezahlen müssen, nur um seinen Freunden helfen zu können.
Traurig flog Michael umher, bis er müde wurde. Dann setzte er sich hin. Es war düster an diesem Ort. Fröstelnd schaute sich der Junge um. Er saß auf einem Geländer in dem Wäldchen, wo er schon oft mit seinen Freunden gespielt hatte. Wieder kamen die Erinnerungen und bei den Gedanken an sein früheres Leben begann er bitterlich zu weinen.
"Hey, du da oben, warum weinst du so sehr?" fragte ihn ein kleines zierliches Mädchen, das unter seinem Sitzplatz stand. Michael flog zu ihr hinunter.
"Wer bist du?" fragte er das Mädchen.
"Ich bin Liliana, ich bin die Prinzessin der Elfen. Ich wohne hier. Aber sage mir doch, was für ein Schmerz dich plagt, dass du so sehr weinen musst. Vielleicht kann ich dir ja helfen." Lieb sah ihn Liliana an und lächelte.
Michael schluchzte noch einmal herzzerreisend auf, putzte sich die Nase und erzählte dann seine ganze Geschichte, wie er die Bienenkönigin gerettet hatte und was dann mit ihm geschehen war. Liliana hörte ihm aufmerksam zu und als er mit seiner Erzählung zu ende war und wieder anfing zu weinen, nahm sie ihn tröstend in den Arm.
"Ach bitte höre doch auf zu weinen. Du warst doch so tapfer und hast ganz uneigennützig deinen Mut und deine Hilfsbereitschaft unter Beweis gestellt. Ich bin ganz sicher, dass solch ein Verhalten nicht ohne gerechten Lohn bleiben wird. Bitte, glaube mir. Ich bin fest davon überzeugt und werde versuchen dir zu helfen. Komm morgen Abend wieder zu diesem Ort um mich zu treffen." Liliana sah Michael mit ihren großen Augen an und lächelte.
"Ach, wenn du mir doch nur helfen könntest. Die Bienen haben es auch schon versucht, aber sie kennen kein Mittel, dass mir meine normale Größe wiedergeben könnte. Ich währe dir für deine Hilfe unendlich dankbar." Hoffnungsvoll blickte der Junge Liliana an.
"Du Michael, ich verspreche dir alles in meiner Macht stehende zu tun, um dir zu helfen. Jetzt aber geh zurück zu den Bienen. Sie werden schon auf dich warten. Aber morgen Abend sei bitte wieder hier an diesem Ort. Vielleicht kenne ich dann schon die Lösung von deinem Problem und weine nicht mehr. Also, dann bis morgen."
"Ja, ich werde bestimmt wieder hierher kommen. Auf Wiedersehen Liliana und jetzt schon danke für deine Hilfe."
Voller Hoffnung machte sich Michael auf den Weg nach Hause. Aufgeregt erzählte er den Bienen von seiner Begegnung im Wald. Honiglöckchen sagte:
"Oh Michael, ich hoffe, dass dir Liliana wirklich helfen kann. Wir freuen uns zwar sehr, dass du bei uns geblieben bist, aber du musst wieder zurück nach Hause zu deiner Familie. Das ist kein Leben für dich. Du hast noch so viel zu erleben in deiner Welt. Die Elfen kennen viele geheime Zauber, ich bin sicher das dir Liliana helfen kann. Jetzt wollen wir aber schlafen gehen."
Im Bienenstock kehrte allmählich Ruhe ein und bald schliefen alle. Nur Michael fand vor Aufregung keinen Schlaf. Immer wieder dachte er an die Begegnung mit Liliana. Er fieberte dem neuen Tag entgegen. Die Hoffnung, bald wieder ein richtiger Junge zu sein, lies ihn nicht zur Ruhe kommen.
Am folgenden Tag war er voller Unruhe und wartete gespannt auf den Abend. Immer wieder flog er hin und her und brachte den ganzen Bienenstock in Aufruhr. Schon lange vor der verabredeten Zeit flog er in den Wald um auf Liliana zu warten. Es kam Michael wie eine Ewigkeit vor, bis die Elfe endlich kam.
"Hallo Michael, wartest du schon lange auf mich? Entschuldige meine Verspätung, aber die alte Frau, die ich um Hilfe gebeten hatte, hielt mich so lange auf. Wir mussten Berge von alten Büchern durchsuchen aber wir fanden keinen Zauber, der dir deine normale Gestalt wiedergeben kann."
"Dann kannst du mir nicht helfen? Ich muss also für immer so bleiben?" Michael schluchzte herzzerreisend, und ihm rannen dicke Tränen über das Gesicht.
"Michael du brauchst nicht zu weinen. Es gibt bestimmt ein Mittel, dass du wieder ein richtiger Mensch wirst. Pass auf! In einem Wald, weit weg von hier, lebt ein alter Zauberer. Er ist gutmütig und wird dir bestimmt helfen können. Der Zauberer hat schon vielen geholfen. In einem großen, dicken Zauberbuch hat er für jedes Problem den passenden Spruch. Ich bin sicher, dass er auch dir helfen kann. Nimm diese Nadel. Sie ist etwas ganz besonderes. Nur sie kennt den Weg zu dem Schloss des Zauberers. Sie wird dich sicher zu deinem Ziel führen. Halte die Nadel morgen in die ersten Strahlen der Sonne und folge dann ihrem Weg. So, nun muss ich gehen. Ich hoffe du hast Erfolg und vielleicht sehen wir uns eines Tages wieder. Vergiss mich nicht. "Liliana drückte Michael noch einmal fest an sich. "Mach deine Sache gut. Ich bin sicher, wenn wir uns wiedersehen, wirst du wieder ein ganz normaler Mensch sein. Nun geh." Dann drehte sie sich schnell um und verließ den Jungen.
Michael blieb alleine im Wäldchen zurück. Neugierig besah er sich die Wundernadel. Sie sah eigentlich wie eine ganz normale Nadel eines Tannenbaumes aus. Er nahm sie fest in seine Hand und flog dann zum Bienenstock zurück.
Unterwegs lies er sich noch einmal alles, was ihm die kleine Elfe erzählt hatte durch den Kopf gehen. Er hatte wieder neuen Mut geschöpft. Schon morgen könnte er wieder ein ganz normaler Junge sein.
Endlich kam er beim Bienenstock an. Goldie und Honiglöckchen warteten schon auf ihn.
"Konnte dir Liliana helfen?" fragte Goldie aufgeregt.
"Liliana hat mir von einem alten Zauberer erzählt, der mir helfen kann." Schnell berichtete Michael den Bienen von seiner Unterhaltung mit Liliana. Noch lange redeten die Drei über Michaels bevorstehende Reise. Honiglöckchen und Goldie beschlossen den Jungen auf seinem Weg zu begleiten. Es dauerte noch lange, bis in den Bienenstock ruhe einkehrte.
Früh am anderen Morgen, noch ehe die Sonne ihre ersten Strahlen in den neuen Tag schickte wachte Michael auf, weckte seine beiden Freunde, dann warteten sie gemeinsam vor dem Eingang ihrer Wohnung. Es dauerte nicht sehr lange und der Himmel wurde am Horizont blutrot, und langsam kletterte der helle, gelbe Ball der Sonne über die Berggipfel. Die ersten Strahlen fielen auf die drei Freunde. Michael öffnete seine Hand, in der er Lilianas Nadel fest hielt. Kaum berührten die Strahlen sie, als Michael ein leichtes Vibrieren in seiner Hand spürte. Langsam begann sich die Nadel zu erheben, um dann der aufgehenden Sonne entgegen zu fliegen. Michael beeilte sich sie nicht aus den Augen zu verlieren. Die beiden Bienen folgten ihm.
Lange dauerte ihr Flug. Anfangs kannte Michael noch die Gegend, die sie überflogen. Doch je länger sie unterwegs waren, um so fremder wurde ihm alles. Die Drei hatten große Mühe die Nadel nicht aus den Augen zu verlieren. Schnell bewegte sie sich vorwärts. Manchmal schien es schier unmöglich zu sein mit ihr Schritt zu halten. Dann fasten Michael, Goldie und Honiglöckchen sich bei den Händen. Gemeinsam ging es besser, es machte ihnen wieder neuen Mut zu spüren, nicht alleine zu sein.
Der Abend dämmerte schon, als sie zu einem großen Wald kamen. Dicht standen die Bäume und es war duster. Die Nadel flog unaufhörlich gerade aus und lies sich durch nichts auf ihrem Weg stören. Die drei Freunde aber hatten Mühe sie in dem Dickicht nicht zu verlieren. Wann würden sie wohl ihr Ziel erreichen. Langsam wurden sie müde und ihre Flügel taten ihnen weh. Anstrengend war der Flug und lange würden sie die Geschwindigkeit der Nadel nicht mehr aushalten können. Unendlich schien der Wald zu sein und es wurde immer dunkler.
Plötzlich tat sich eine weite Lichtung vor ihnen auf, und mitten auf ihr stand ein wunderschönes Schloss. Die Nadel verschwand, als wäre sie nie da gewesen.
Michael, Honiglöckchen und Goldie sanken erschöpft zu Boden. Von ihrer langen Reise waren sie müde. Am liebsten hätten sie sich jetzt auf eines der Blätter gelegt, um zu schlafen. Aber sie durften sich noch nicht ausruhen. Zuerst mussten sie den Zauberer finden von dem Liliana erzählt hatte.
"Kommt Honiglöckchen und Goldie wir müssen weiter. Bitte, wir sind unserem Ziel doch schon so nahe. Wir müssen nur noch in dieses Schloss und dann können wir uns alle ausruhen."
"Michael, wir sind so müde. Lass uns noch einen Augenblick zur Ruhe kommen, dann gehen wir weiter. Einen Augenblick haben wir bestimmt noch Zeit." Müde sahen die beiden Bienen den Jungen an.
"Ist schon gut. Ich glaube es ist besser, ich ruhe mich auch einen Moment aus. Ich bin so aufgeregt." Doch lange hielt es Michael nicht aus und schon nach einigen Augenblicken flog er wieder aufgeregt umher. Nichts konnte ihn mehr aufhalten. Auch die beiden Bienen erhoben sich von ihren Blättern und flogen zu Michael.
"Kommt, lasst uns nun den Zauberer suchen. Ich kann es gar nicht mehr erwarten nach Hause zu meiner Familie zu kommen."
Die drei Freunde flogen langsam auf das Schloss zu. Das große Tor stand weit geöffnet und sie konnten ungehindert hinein. Vor ihnen tat sich ein weiter Saal auf, der von vielen buntschillernden Lichtern erhellt war. In der Mitte stand ein großer Tisch an welchem ein Stuhl stand. Auf diesem saß ein alter Mann und schlief. Michael, Honiglöckchen und Goldie flogen auf den Mann zu. Er schien wirklich schon sehr alt zu sein. Langes wallendes weises Haar umrahmte ein müdes, von Falten gezeichnetes Gesicht. Mit einer Hand hielt er sich seinem langen Bart, welcher genauso weiß wie sein Haar war. Die andere ruhte auf der hölzernen Armlehne seines Stuhles. Vorsichtig setzte sich Michael auf die Hand des Mannes. Honiglöckchen und Goldie versuchten den Alten durch ein lautes Summen zu wecken. Endlich öffnete er seine Augen und sah sich verstört um.
"Wer wagt es mich in meinem Schlaf zu stören?"
Die drei Freunde stellten sich auf den Tisch. Michael rief so laut er konnte:
"Entschuldigen sie bitte, Herr Zauberer. Mein Name ist Michael, und ich brauche ihre Hilfe."
"Wer ist Michael. Ich kann ja gar niemanden sehen. Wo bist du?"
"Ich bin hier genau vor ihnen auf dem Tisch. Ich bin ein kleiner Junge und ich bin verzaubert. Liliana erzählte mir, dass nur sie mir helfen können."
Langsam beugte sich der Zauberer zum Tisch und als er Michael, Honiglöckchen und Goldie sah sagte er:
"Das ist ja interessant mein Sohn. Aber um dir helfen zu können muss ich erst erfahren, wie du in diese missliche Lage gekommen bist, denn jeden Zauber kann auch ich nicht brechen. Wenn du von einem anderen Zauberer mit einem Fluch belegt wurdest, dann kann ich dir nicht helfen."
Aufgeregt erzählte Michael dem Zauberer seine Geschichte. Wie er den Zaubertrank getrunken hatte, die Bienenkönigin gerettet hatte und dann durch sein Lachen für immer in dieser Gestalt bleiben musste. Er erzählte ihm auch von dem beschwerlichen Weg, den sie die Nadel, die er von Liliana bekommen hatte führte. Als er mit seinem Bericht fertig war, lächelte der Mann den Jungen an.
"Ich hätte wissen müssen, das ich dir helfen kann, denn sonst hätte Liliana dir bestimmt nicht geholfen den Weg zu mir zu finden. Sie weiß nämlich, dass nicht jeder zu mir kommen darf. Du musst wissen, ich bin sehr eigen darin wem ich helfe und wem nicht. Schon zu viele Menschen haben meine Gutmütigkeit ausgenutzt. Aber jetzt zu deinem Problem. Ich kann dir helfen, aber du musst dich erst einmal von deinen Freunden verabschieden. Sie müssen wieder nach Hause, bevor es richtig dunkel wird." Der alte Mann lächelte Michael freundlich an, dann wandte er sich an die Bienen.
"Goldie und Honiglöckchen ihr müsst nun nach Hause, die anderen Bienen warten schon auf euch."
"Aber der Weg ist so weit, und wir sind so müde." sagte Honiglöckchen.
"Macht euch darüber keine Gedanken. Natürlich werde ich euch nach Hause bringen. Und nun verabschiedet euch von Michael. Es ist besser ihr tut es jetzt. Später könnte es nicht mehr gehen." Sanft sah er die drei Freunde an.
"Michael mach deine Sache gut. Wir wünschen dir alles Gute." Goldie rannen einige Tränen über die Wangen. Schnell nahm sie den Jungen in die Arme und drückte ihn fest an sich. Auch Honiglöckchen trat zu Michael und legte ihre Arme um seine Schultern.
"Vergiss uns nicht. Wir werden immer an dich denken und an das was du für uns getan hast. Du warst so mutig." Honiglöckchen lächelt Michael an. Dann senkte sie ihren Kopf und legte ihn an seine Brust.
"Auf Wiedersehen. Goldie und Honiglöckchen ich werde euch nicht vergessen. Das verspreche ich euch. Und vielleicht sehen wir uns einmal wieder. Ich komme bestimmt wieder einmal auf unsere Wiese." Michael wischte sich mit seinem Taschentuch die Nase ab und nahm Goldie und Honiglöckchen noch einmal in die Arme. Auch ihm liefen Tränen über das Gesicht. Es fiel ihm schwer, sich von seinen Freunden zu trennen.
"Es wird nun Zeit euch nach Hause zu bringen." Der Zauberer der für einen Moment den Saal verlassen hatte trat wieder zu den Dreien. "Stellt euch etwas von Michael weg, sonst schicke ich ihn versehentlich auch mit auf die Heimreise."
Die Bienen taten was ihnen der Zauberer sagte. Der alte Mann zog aus einer der vielen Falten seines Kleides einen schillernd bunten Stab heraus und schwenkte ihn über die Bienen. Die Beiden tauchten in ein gleißendes Licht und ehe sie verschwanden, winkten sie Michael noch einmal zum Abschied zu und riefen: "Vergiss uns nicht!" Dann waren Goldie und Honiglöckchen verschwunden. Michael blieb alleine auf dem Tisch zurück. Der Zauberer sah ihn an.
"Mach dir um die Beiden keine Sorgen. Sie sind sicher zu Hause angekommen. Nun kommen wir aber wieder zu deinem Problem." Der Mann lächelt Michael sanft an. "Hab keine Angst. Alles was du tun musst, um wieder deine normale Gestalt zu erhalten werde ich dir nun erklären. "Der Zauberer setzte sich zurück auf seinen Stuhl und legte die eine Hand auf die Lehne, mit der anderen strich er über seinen langen weißen Bart. Dann winkte er mit der anderen Hand und wie aus dem Nichts, lag plötzlich ein dickes altes Buch auf seinem Schoß. Vorsichtig schlug er den schweren Einband auf und wendete ganz sacht ein Blatt nach dem anderen um und lass dann leise für sich eine Seite.
"Ah, da habe ich ja schon die Lösung gefunden. Du wirst staunen, wie leicht deine Verwandlung rückgängig zu machen geht. Zum Glück haben die Bienen nur einen einfachen Zaubertrank verwendet. Hier in meinem Buch steht alles ganz genau beschrieben. Höre mir aufmerksam zu. Es hängt alles nur von dir ab, ob der Zauber wirksam sein wird." Der Zauberer räusperte sich und begann dann zu lesen.

"Was groß wurde klein,
was klein werde groß
nur durch des Morgens Spross
Des Morgens Trank sei dein Erlös.
Doch habe acht,
nur wenn der Tag erwacht,
hat Zauber seine Macht!"



Der Zauberer sah Michael ernst an. Dann fragte er ihn:
"Hast du das alles verstanden?"
Michael überlegte einen Augenblick, dann sah er den Zauberer an und sagte:
"Ich glaube schon. 'Was groß, wurde klein.' Ich war erst groß und durch den Zaubertrank der Bienen wurde ich klein, 'Was klein, werde groß.' Ich möchte wieder meine normale Größe zurückhaben. Aber was bedeutet 'Nur durch des Morgens Spross'?" Michael sah den Zauberer fragend an.
"Oh, das ist doch ganz einfach. Hier auf meiner Wiese wachsen sehr viele seltsame Blumen. Viele davon gibt es nur hier und kein Mensch hat sie je gesehen. Der Zauberspruch erzählt von einer davon. Sieh her, hier ist eine Zeichnung von der Pflanze." Der Zauberer drehte sein Buch so, das auch Michael auf die Seiten sehen konnte. Der Junge blickte auf eine seltsam anmutende Zeichnung einer Blume. Ihre Blüte hatte die Form eines kleinen Kelches, welcher unten tiefblau wie der Himmel war und nach oben hin immer heller und gelber wurde. Die seltsam geformten Blätter und der lange zerbrechlich scheinende Stiel waren nicht wie bei den anderen Blumen grün, nein er schimmerte in den schönsten Farben des Regenbogens, die sich Michael nur vorstellen konnte. Der Junge konnte vor Staunen die Augen nicht von dem Bild wenden.
"Sieh sie dir genau an." sagte der Zauberer, "Nach dieser Blume musst du diese Nacht suchen. Ihr Kelch öffnet sich nur einmal für kurze Zeit, wenn die Sonne aufgeht. Dann sammelt sich in ihm ein ganz besonderer Tau. Von diesem musst du trinken. Danach solltest du dich wieder in deine ursprüngliche Gestalt zurückverwandeln." Der Zauberer schaute Michael ernst an.
"Ah, das bedeutet also 'Des Morgens Trank sei dein Erlös'. Ich glaube, dass habe ich verstanden." Michael lachte. Er freute sich so sehr, dass er den alten Mann am liebsten um den Hals gefallen wäre, wenn es ihm seine Größe doch nur erlaubt hätte. Der Junge war über-glücklich in diesem Moment, sollte sich doch bald sein größter Wunsch erfüllen. Aufgeregt flatterte er hin und her.
"Junge, Junge beruhige dich doch endlich wieder. Du musst doch erst einmal die Blume finden. Dabei kann ich dir leider nicht helfen. Niemand kann das, denn nur du bist in der Lage diese Wunderpflanze zu finden, nur du bist dazu auserwählt. Ich weiß aber, dass sie irgendwo in diesem Wald auf einer Lichtung blüht. Also, mache dich lieber auf den Weg. Ich kann dir nur soweit helfen, dass ich dir die dunkle Nacht erhelle. Ich hoffe inständig, das du dein Ziel erreichst. Viel Glück mein Sohn. Und nun geh."
Michael wollte den Zauberer noch etwas fragen, doch wie von Zauberhand befand er sich plötzlich mitten im Wald. Von dem Schloss in dem er sich gerade noch befunden hatte war keine Spur mehr da. Nur die letzten Worte des Zauberers schwebten noch in der Luft "Viel Glück!" klang es durch das Dickicht der Bäume. Michael war alleine. Keiner war da, der ihm bei seiner Aufgabe helfen konnte. Goldie und Honiglöckchen waren Zuhause bei ihrem Volk. Wie vermisste Michael jetzt die Beiden, aber sie hätten ihm ja doch nicht helfen können.
Der Junge schaute sich um. Der Wald war in ein unheimliches oranges Licht getaucht. Gerade hell genug um die Umgebung zu erkennen. Michael dankte stumm dem Zauberer. Da stand er nun und überlegte, wo er mit seiner Suche am besten beginnen konnte. Plötzlich hörte er eine Stimme, welche ihm irgendwie bekannt vorkam rufen:
"Menschenjunge, hey Menschenjunge komm zu uns. Wir sind hier drüben."
Der Junge schaute sich um und gewahrte zwischen den Zweigen eines Heidelbeerstrauches kleine helle Lichterchen. Schnell flog er auf sie zu. Als er sie erreichte erkannte er viele kleine Glühwürmchen. Unter ihnen gewahrte Michael auch die, welche er damals im Wespennest befreit hatte.
"Wie kommt ihr denn hier her?" fragte er die leuchtende kleine Schar.
"Wir haben dir doch unser Wort gegeben, das wir dir ewig Dankbar sein werden. Heute ist der Tag gekommen um dir diesen Dank zu beweisen. Wir waren immer in deiner Nähe und so haben wir auch gehört, was der Zauberer dir erzählte. Der alte Mann irrt sich, wenn er sagt, das niemand dir bei der Suche nach der Wunderblume helfen kann. Wir wissen genau wo sie zu finden ist. Du brauchst uns nur zu folgen. Wir zeigen dir den Weg." Der leuchtende Schwarm setzte sich in Bewegung.
"Halt wartet doch. Ich dachte nicht, euch noch einmal wieder zu sehen. Wo seid ihr denn so schnell hin, als wir das Nest der Wespen verlassen hatten?" Michael sah die Glühwürmchen fragend an.
"Oh entschuldige Junge, aber wir waren schon so lange in dem Nest gefangen gewesen, wir wollten nur noch nach Hause. Außerdem hatten wir solche Angst, dass uns die Wespen wieder aufgreifen würden. Verzeih uns."
"Ach ist schon gut. Es war ja auch ziemlich hektisch damals. Jetzt lasst uns aber fliegen. Übrigens, ich freue mich euch wieder zu sehen." Michael lächelte.
Die Glühwürmchen führten den Jungen auf eine kleine Lichtung nicht weit von der Stelle an die ihn der Zauberer abgesetzt hatte. Es war eine kleine Wiese auf welcher die seltsamsten Pflanzen und Blumen wuchsen. Michael war überrascht von der Vielfalt. In seine Nase stieg ein wunderbarer lieblicher Duft. Noch nie in seinem Leben hatte er so viele herrliche Blumen auf einer Stelle stehen sehen. Staunend blickte er sich um, aber die Blume aus dem Buch des Zauberers konnte er nirgends erblicken.
"Wo ist diese Blume, die ich suche?" fragte er die Glühwürmchen.
"Du musst warten. Diese Wunderblume erscheint erst, wenn die Nacht zu Ende geht, nur dann kann man sie finden. Setz dich auf diese Wiese und glaube uns, das du sie nicht übersehen wirst, wenn es Zeit ist. Wir müssen nun gehen, denn wenn der Zauber richtig wirken soll, musst du ganz alleine sein." Mit diesen Worten verschwanden die Glühwürmchen. Michael blieb allein auf der Lichtung zurück. Tief nahm er den Duft der vielen Blumen in sich auf, schaute sich jede von ihnen genau an. Keine einzige dieser Pflanzen hatte er je gesehen, von keiner auch nur gehört. In den wunderbarsten Farben schimmerte alles. Michael versuchte sich vorzustellen, wie es hier wohl bei hellem Sonnenschein aussehen würde. Dann dachte er aber wieder an seine Familie. Lange würde es nicht mehr dauern und er konnte wieder bei ihnen sein. Was seine Mutter wohl gerade tat? Ob sie ihn auch so vermisste wie er sie? Bald konnte er wieder mit seiner Schwester spielen und mit seinem Vater wandern gehen. Wie sehr vermisste er das alles doch. Noch viele Gedanken gingen dem Jungen durch den Kopf. Komisch, er schien überhaupt nicht müde zu sein, war er doch den ganzen Tag schon auf den Beinen.
Unmerklich wurde es Morgen. Michael hörte plötzlich ein feines leises läuten. Er schaute sich um. Ganz in seiner Nähe sah er, wie eine Blume ihre Blüte öffnete. Sofort erkannte der Junge die Pflanze. Es war die Blume, deren Bild ihm der Zauberer in seinem Buch gezeigt hatte. Schnell flog Michael auf sie zu. Er setzte sich auf den Rand ihres Blütenkelches und schaute hinein. Drinnen sah er einen Tropfen glasklaren, violett schimmernden Tau. Das musste wohl der Zaubertrank sein, von dem in dem Buch geschrieben stand. Michael flog in den Kelch hinein und nahm einen großen Schluck. Kaum hatte der Trank seine Kehle berührt, als der Junge in einen tiefen Schlaf versank.
"Michael, Michael, wo steckst du nur?" Jäh wurde der Junge geweckt.
Die Stimme - das war doch seine Mutter die da nach ihm rief. Verstört sah er sich um. Er lag auf der Wiese mitten im herrlichsten Löwenzahn. Neben ihm zirpte eine Grille ihr Lied und munter summten einige Bienchen auf den Blüten. Hatte er das alles nur geträumt, fragte er sich. Als er sich aufsetzte erkannte er seine Mutter, die auf dem nahen Weg stand und nach ihm Ausschau hielt. Schnell sprang er auf, rannte zu ihr hin und umarmte sie fest. Mit sanfter Stimme sagte sie:
"Ach meine kleine Schlafmütze. Den ganzen Nachmittag hast du hier auf der Wiese gelegen und geschlafen." Zärtlich drückte sie Michael einen dicken Kuss auf die Stirn und strich ihm durch sein blondes Haar. Die Beiden nahmen sich bei den Händen und gingen nach Hause.
"Hallo Michael. Schön das alles gut ausgegangen ist." hörte der Junge eine feine Stimme nah bei seinem Ohr. Verdutzt schaute er sich um und gewahrte auf seiner Schulter eine kleine Biene.


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Tag der Veröffentlichung: 13.03.2009

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