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Es war früh am Morgen, als Elena das Haus verließ. Sie war aufgeregt. Heute also war der große Tag, dem sie schon so entgegengefiebert hatte. Heute war ihr Vorstellungsgespräch für den neuen Job, den sie schon so lange gesucht hatte. Elena hatte sich heute sogar ein Taxi gegönnt, um in die City zu dem modernen Hochhaus zu gelangen. Sie hatte einfach keine Nerven, um sich selbst mit dem Wagen in das Getümmel der Großstadt zu stürzen. Der Verkehr war auch um diese Tageszeit schon sehr dicht und so war sie froh, sich eine Stunde früher auf den Weg gemacht zu haben. Jetzt stand sie vor dem Hochhaus. Elena sah auf ihre Armbanduhr. Sie hatte noch zweiundvierzig Minuten Zeit bis zu dem Treffen. Erwartungsvoll sah sie an dem Haus hinauf in den Himmel. Da hinauf musste sie. Bis im zweiundvierzigsten Stock befanden sich die Büros des großen Handelsunternehmens, für das sie sich als Fremdsprachenkorrespondentin beworben hatte.
Wieder sah Elena auf die Uhr. Erst zwei Minuten waren vergangen. Suchend sah sich die junge Frau nach einem Kaffee um, aber sie konnte keines entdecken. Sie beschloß schon jetzt hinauf zu fahren. Vielleicht hatte ihre Freundin Susan etwas Zeit um ihr noch ein paar Ratschläge zu geben. Schließlich war sie es ja gewesen, die ihr dieses Vorstellungsgespräch vermittelt hatte.
Elena ging hinüber zu dem großen Eingang. Ein junger Mann lächelte sie freundlich an und hielt ihr die schwere Tür auf. Staunend betrat Elena das Gebäude. Susan hatte ihr ja schon einiges von der extravaganten Ausstattung des Hauses erzählt, aber jetzt, wo sie es mit eigenen Augen sah – es war einfach unbeschreiblich.
Zielsicher steuert Elena den Fahrstuhl an. Schon nach kurzer Zeit schoben sich die reich verzierten Türen des Liftes auseinander und gaben ihr Inneres frei. Elena trat ein. Etwas zögernd drückte sie den Knopf mit der zweiundvierzig. Sie hatte ein etwas mulmiges Gefühl in der Magengegend. Noch nie war sie so hoch über dem Boden in einen Gebäude gewesen. Freilich war sie schon geflogen, aber das war etwas anderes. Elena hatte schon immer ein mulmiges Gefühl in Fahrstühlen gehabt. Und nun sollte sie vielleicht jeden Tag mit einem Lift fahren.
Die Türen des Aufzuges schlossen sich. Die Ziffernanzeige über der Tür zeigt, dass sich der Fahrstuhl mit einer unwahrscheinlichen Geschwindigkeit nach oben bewegte. Rasch wechselten sich die zehner mit den zwanziger Zahlen ab. Ihr schien es fast so, als wenn der Fahrstuhl immer schneller nach oben schnellte. Ihr wurde übel. Die schnelle Fahrt presste sie an den Boden. Elena hatte große Mühe auf den Beinen zu bleiben. Krampfhaft versuchte sie an den glatten Wänden des Lifts einen Halt zu finden. Aber es gelang ihr nicht. Sie stürzte. Der Fahrstuhl wurde immer schneller und schneller. Schon lange musste er den zweiundvierzigsten Stock erreicht haben. Aber er hielt nicht an. Mit immer rascher werdender Geschwindigkeit schoss er in die Höhe. Wie hoch war das Haus verdammt noch mal? Das konnte doch nicht sein. Elena wurde mit ungeheurer Kraft an den Boden gedrückt. Sie konnte sich nicht rühren. Sie zitterte. Panik machte sich in ihr breit.
Plötzlich blieb der Fahrstuhl stehen. Von einer Sekunde zur anderen hielt er in der Bewegung inne. Langsam begann sich Elena zu bewegen. Umständlich stand sie von Boden auf. Sie zitterte noch immer. Ängstlich sah sie sich um. An der Wand die Anzeige stand auf zweiundvierzig. Alles war, als wenn nichts geschehen wäre. Warum öffnete sich nur diese verdammte Tür nicht? Elena drückte immer wieder den Knopf, der die Tür öffnen sollte. Aber nichts regte sich – für einen Moment. Als sie erneut den Knopf drücken wollte, schoben sich die Flügel der Tür auseinander und gab den Blick in eine modern eingerichtete Empfangshalle frei.
Langsam verließ Elena den Fahrstuhl. Der Schreck von ihrem Erlebnis im Lift steckte ihr noch in den Gliedern. Zitternd stützte sie sich an der Wand neben dem Fahrstuhl ab. Immer wieder senkte sich ihr Blick gen Boden und lies ihn dann stete in der Empfangshalle umherwandern. Hoffentlich sah sie niemand in ihrem Zustand – das war ihre einzigste Sorge.
Elena stand noch eine Weile so da. Dann hatte sie sich etwas gefasst. Ihre Knie zitterten immer noch, aber das war ihr egal. Sie wollte nur schnell weg von diesem Fahrstuhl. Ihr graute schon, wenn sie daran dachte, dass sie ja wieder mit dem Lift hinunter fahren musste. Vielleicht gab es ja auch eine Treppe die sie nach unten benutzen konnte.
Elena atmete noch einmal tief ein und aus. Dann stieß sie sich mit einer entschlossenen Bewegung von der Wand ab und steuerte auf den Empfangstresen zu. Die Frau die dahinter ihren Platz hatte, hatte sie bisher noch nicht beachtet. Sie sah auch erst von ihrem Computermonitor weg, als sich Elena räusperte.
„Guten Tag, was kann ich für sie tun?“ fragte die Frau freundlich.
Elena sah kurz auf ihre Armbanduhr und stellte fest, dass sie immer noch gut eine halbe Stunde Zeit hatte bis zu ihrem Vorstellungsgespräch.
„Ich möchte gerne zu Frau Susan Miller. Wo finde ich sie?“
„Gehen sie den Gang dort drüben hinter und dann die dritte Tür rechts. Soll ich sie anmelden?“
„Das ist nicht nötig. Ich möchte sie überraschen.“ Elena lächelte. Es kostete sie einige Überwindung sich zu diesem Lächeln zu zwingen. Noch immer saß ihr der Schreck den ihr ihre unheimliche Fahrstuhlfahrt beschert hatte, tief in den Gliedern. Mit raschen Schritten ging sie in die Richtung, die ihr die junge Frau hinter dem Tresen gewiesen hatte und bald war sie bei der Tür angekommen. Vorsichtig klopfte sie an und trat herein, als sie dazu aufgefordert wurde.
Suchend sah sich Elena in dem Büro um, dass sich hinter der Tür befand. Es standen drei Schreibtische in dem Raum. An einem saß ein junger Mann und tippte in Gedanken versunken in seine Computertastatur. Der zweite Schreibtisch war nicht besetzt. Schließlich am dritten Tisch saß Susan und blickte ihr erfreut entgegen.
„Oh Elena, dass ist aber eine Überraschung. Ist dein Vorstellungsgespräch schon gelaufen?“ Susan stand von ihrem Stuhl auf und trat Elena entgegen.
„Nein, ich habe noch etwas Zeit und dachte mir, ich sehe erst einmal nach dir. Vielleicht hast du ja noch ein paar Tipps für mich auf Lager.“ Wieder zwang sich Elena zu einem Lächeln. Doch lange konnte sie es nicht aufrecht erhalten. Schlagartig verdunkelte sich ihr Blick. „Stell dir vor, was mir gerade passiert ist…“ Schnell erzählte sie der Freundin von ihrem Erlebnis im Fahrstuhl.
„Na da hast du ja heute Morgen schon einen richtigen Schrecken bekommen. Aber das war bestimmt nur deine Aufregung. Ich benutze schon so lange den Lift und mir ist noch nie etwas geschehen.“ Susan lächelte Elena an.
„Aber, aber“ Elena machte eine Pause. „Sicher hast du recht damit.“ Verlegen lächelte sie Susan an. Sie wollte es auf sich beruhen lassen. Sicher hatte ihre Freundin recht und es war alles gar nicht so schlimm, wie sie dachte.
Die beiden Frauen unterhielten sich noch eine Weile, dann ging Elena zu ihrem Vorstellungsgespräch und schon nach einen dreiviertel Stunde stand sie wieder in der großen Empfangshalle.
Elena stand einen Moment da und überlegte. Sie sah nachdenklich die Tür des Fahrstuhls an. Dann schüttelte sie den Kopf und trat mit entschlossenem Schritt zu der Frau am Empfangstresen.
„Entschuldigen sie. Gibt es auch eine Treppe hier im Haus?“
Verwirrt sah sie die Frau hinter dem Tresen an.
„Aber wir sind hier im zweiundvierzigsten Stock.“
„Ja ich weiß. Aber ich möchte lieber die Treppe hinunter nehmen.“
„Wie sie wollen.“ Verständnislos schüttelte die Frau mit dem Kopf, wies ihr aber dann den Weg zum Treppenhaus.
Ohne lange zu überlegen ging Elena zu der Tür, die ihr die Frau gewiesen hatte. Sollte die Frau doch denken was sie wollte. Elena konnte einfach nicht noch einmal mit diesem verdammten Aufzug fahren. Entschlossen trat sie durch die Tür.
Das Bild, was sich ihr bot, unterschied sich so ganz und gar von dem übrigen Eindruck, den sie von dem modern eingerichteten Hochhaus hatte. Vor ihr tat sich ein kahles Treppenhaus auf. Die nackten Betonstufen führten in die Tiefe. Begrenzt wurden sie von einem schlichten Geländer aus Stahl. An der Decke flackerten kalte Neonröhren.
Elens sah dem Treppenschacht hinunter. Das Ende der Treppen war nicht zu sehen. Was hatte sie sich nur dabei gedacht. Sie würde eine ganze Zeit brauchen, bis sie das Erdgeschoss erreichen würde. Aber das war ihr egal. Um nichts in der Welt wollte sie wieder den Fahrstuhl betreten. Innerlich betete sie dafür, dass es mit dem Job nichts würde. Ihr schauderte bei dem Gedanken jeden Tag mit diesem unheimlichen Fahrstuhl fahren zu müssen.
Entschlossen näherte sich Elena den ersten Stufen. Rasch ging sie der Treppe hinunter. Ihre Hand suchte halt an dem kalten Geländer. Ihre Schritte klangen hohl von den kahlen Betonstufen wieder. Schnell hatte sie die ersten Stufen hinter sich gebracht und setzte ihren Fuß auf den ersten Treppenabsatz. Kurz drehte sie sich im Laufen um und sah die Stufen hinauf, die sie gerade hinunter gestiegen war. Ihr war, als wenn da eine Bewegung war. Ihre Einbildung spielte ihr wahrscheinlich schon wieder einen Streich. Sie war alleine in dem Treppenhaus. Um sie herum war nur Stille.
Elena ging die nächsten Stufen hinunter und schnell hatte sie das erste Stockwerk hinter sich gebracht. Dann blieb sie erschrocken stehen. Da war eindeutig ein Rascheln zu hören. Suchend ließ sie ihre Blicke erst nach oben, dann nach unten gleiten. Aber nichts war zu sehen. Auch das Rascheln wiederholte sich nicht. Elena nahm die nächste Treppe in Angriff.
Als sie die Mitte der Stufen erreicht hatte, begann die Neonröhre über ihr zu flackern. Eine gespenstische Stimmung machte sich breit. Elena ließ ihre Blicke nach oben gleiten. Was war nur heute mit ihr los? Erst der Fahrstuhl und jetzt begann sie sich auch noch in diesem Treppenhaus zu fürchten. Heute war eindeutig nicht ihr Tag. Elena ging weiter die Stufen hinunter als plötzlich die Neonröhre ihren Geist ganz aufgab und die Treppe vor ihr in Dunkelheit lag. Elena sah am Geländer hinunter und stellte fest, dass im gesamten Treppenhaus die Beleuchtung ausgefallen war. Was sollte sie jetzt tun. Ihr blieb wohl nichts anderes über als auf der nächsten Etage das Treppenhaus zu verlassen und doch mit dem Fahrstuhl hinunter zu fahren.
Vorsichtig setzte sie sich wieder in Bewegung. Suchend tastete sie mit ihren Füßen nach jeder nächsten Stufe. Immer wieder suchte ihre Hand an dem Geländer halt. Um sie herum war nur Dunkelheit und nach ein paar Augenblicken war ihr wieder, als hörte sie ein Rascheln. Diesmal sah sie sich nicht danach um. In der Finsternis, die sie umgab, war es eh aussichtslos etwas zu erkennen. Schnell stieg Elena weiter den Stufen hinunter. Wieso hatte sie noch nicht das nächste Stockwerk erreicht? Die Treppe konnte doch unmöglich so lang sein. In ihr stieg ein unheimliches Gefühl auf. Angst machte sich in ihr breit. Sie setzte immer schneller einen Fuß vor den anderen. Irgendwann musste doch diese dämliche Treppe ein Ende haben.
Elena bemerkte nicht die Veränderung, die um sie herum stattfand. Aus den Betonstufen war eine alte Holzstiege geworden. Das Geländer war nicht mehr länger aus dem kalten Stahl. Es wurde zu einem rauen Geländer aus Holz. Die Wände waren nicht mehr kahle Betonwände sondern bestanden nun aus altem feuchtem Mauerwerk. Auch die modernen Neonröhren waren verschwunden. An den Wänden befanden sich Fackeln, die ein spärliches Licht gaben. Erst war es Elena gar nicht aufgefallen, dass es wieder Licht gab. Doch mit einemmal blieb sie mitten in der Bewegung stehen. Ihr war ihr aufgefallen, wie sich die Umgebung um sie herum verändert hatte. Verwirrt sah sie sich um. Wo war sie? Das war doch nicht mehr das moderne Hochhaus in dem sie sich befand. Was war hier los? Ein modriger Geruch lag in der Luft. Das Holz der Treppe war feucht und rutschig und sie hatte das Gefühl, dass sie unter ihrem Gewicht nachgaben. Von der Decke tropfte es kalt auf sie herab.
Elena sah die Stufen hinunter. Jetzt waren sie nicht mehr gewunden, sondern führten auf geradem Weg in die Tiefe. Auch nach oben war keine Biegung mehr zu erkennen. Sie sah den Anfang und das Ende der Treppe nicht.
Wieder hörte sie ein raschelndes Geräusch. Es kam jetzt eindeutig von unten. Furcht machte sie in Elena breit. Was sollte sie jetzt tun? Langsam begann sie wieder der Treppe nach unten zu gehen. Doch mit jedem Schritt den sie tat, stieg die Furcht in ihr weiter an. Sie hatte das Gefühl, als wenn ihre Knie zitterten. Zu dem Rascheln gesellte sich ein Raunen und Stöhnen. Mit jedem Schritt drangen die Geräusche lauter an ihr Ohr.
Elena stieg weiter der Treppe hinunter. Die Stufen wurden immer schmaler. Das alte Holz knarrte unter ihrem Gewicht. Es hatte aufgehört von der Decke zu tropfen. Ab und an lagen Ziegelsteine, die aus der Decke gebrochen waren auf ihrem Weg. Spinnweben hingen in immer dichter werdenden Vorhängen von der Decke. Angeekelt machte Elena sie mit der freien Hand zur Seite. Immer wieder musste sie mit dem Fuß Steine beiseite schieben. Das Gewölbe in dem sie sich befand wurde immer niedriger und enger. Immer wieder musste sie den Kopf einziehen um sich nicht an der Decke zu stoßen. Dann, schlagartig hörte die Treppe auf. Plötzlich stand sie in einem kleinen Raum von dem zwei Türen abgingen. Die unheimlichen Geräusche, die sie schon die ganze Zeit begleitet hatten, waren hier lauter geworden.
Unschlüssig stand Elena da und sah die Türen an. Die eine bestand aus marode aussehendem Holz. Die andere schien aus einem alten Metall zu bestehen. Welche der Türen sollte sie nun nehmen? Abwechseln sah sie die beiden Türen an, dann ging sie langsam zu der Eisentür.
Ein alter Riegel verschloss den Durchgang. Er war von vielem Rost zerfressen und machte den Eindruck, dass er bei der kleinsten Berührung zu Staub zerfallen würde. Vorsichtig griff Elena nach dem Riegel. Er rührte sich nicht. Sie versuchte fester daran zu rütteln, aber er bleib wo er gewesen. Der Riegel saß fest.
Elena zuckte mit den Schultern. Langsam ging sie zu der Holztür. Auch diese war mit einem Riegel verschlossen. Aber im Gegensatz zu der Eisentür war er nicht so sehr vom Rost zerfressen. Wieder versuchte sie ihn vorsichtig zu bewegen. Es dauerte eine Weile, dann begann der Riegel sich von der Stelle zu bewegen. Ein quietschendes Geräusch war zu hören und als sie den Riegel ganz zur Seite geschoben hatte, schwang die alte Tür mit einem lauten Quietschen auf. Vor Elena tat sich ein Gang auf von dem im regelmäßigen Abstand niedrige Türen abzweigten. Entschlossen betrat Elena den Gang. Die ersten Türen, an denen sie vorüber kam, waren fest verschlossen. Dies stellte sie mit einer kurzen Berührung fest. Sie ging weiter.
Immer wieder stellte sich ihr die Frage, wo sie war. Das konnte unmöglich das moderne Hochhaus sein, in das sie gegangen war. Aber wo um Himmels willen war sie hier hingeraten? Tränen traten ihr in die Augen. Die Angst, die sie schon die ganze Zeit begleitet hatte, nahm nun endgültig von ihr Besitz. Das unheimliche Stöhnen und Rascheln wurde mit jedem Schritt lauter. Wie lange war sie eigentlich schon in dieser unheimlichen Welt unterwegs? Elena hatte jedes Zeitgefühl verloren.
Elena ging weiter. Sie kam jetzt immer wieder an Türen vorbei, welche offenstanden. Neugierig blieb sie stehen und warf einen Blick in den dahinter liegenden Raum hinein. Er war dunkel. An der Wand welche der Tür gegenüber lag sah sie ein kleines vergittertes Fenster. Auf dem Boden lag altes übelriechendes Stroh. An der rechten Wand hingen Ketten. Ihnen gegenüber an der Wand stand eine einfache Holzpritsche. Der Raum war eindeutig ein Kerker. Wer mochte ihn wohl erschaffen haben und für wen waren die Zellen bestimmt. Elena schauderte bei dem Gedanken daran in einem dieser Kerker gefangen zu werden. Wieder sieg ihre Furcht an. Schnell wandte sie sich von der Zelle ab und lief weiter. Immer wieder warf sie im Laufen einen Blick durch die Türen, welche offen waren. Es bot sich ihr immer der gleiche Anblick.
Es dauerte eine ganze Weile bis sie den Gang durchquert hatte. Wieder wurde ihr Weg von einer hölzernen Tür versperrt. Aber an dieser befand sich kein Riegel. Elena brauchte nur leicht gegen die Tür zu drücken und sie schwang quietschend auf. Vor ihr lag ein hoher Saal von dem viele Türen abgingen. Und der Saal war nicht leer. Am anderen Ende konnte sie einige Gestallten erkennen. Sie sahen merkwürdig aus. Die Wesen schienen nur halb so groß zu sein wie sie. Sie waren in lange Mäntel mit spitzen Kapuzen, die sie tief ins Gesicht gezogen hatten, gekleidet. Auch war das Söhnen und Murmeln, das sie schon die ganze Zeit begleitet hatte, hier lauter geworden.
Vorsichtig setzte Elena einen Fuß in den Saal hinein. Sie drückte sich ängstlich an die Wand und beobachtete die Gestallten. Was wenn sie sie sehen würden? Schon die Vorstellung daran, was diese Wesen mit ihr tun könnten, lies ihren Blutdruck steigen. Eisige Schauer liefen ihr über den Rücken.
Plötzlich hörte sie Schritte hinter sich. Sie wandte sich um und sah in den Gang, aus dem sie gerade gekommen war. Was sie sah, lies ihr schier das Blut in den Adern gefrieren. Eine Gruppe Menschen angeführt von einigen der Zwerge kam aus dem Gang in den Saal gelaufen. Immer wieder hörte sie das knallen von Peitschen. Scheinbar waren diese armen Menschen Gefangene der Zwerge.
Ängstlich drückte sich Elena weiter an die Wand. Alles was ihr durch den Kopf ging war, nur nicht gesehen werden von den Wesen. Aber das war zu spät. Ein spitzer Schrei durchdrang das Stöhnen, das immer noch alles um sie herum beherrschte. Erschrocken drehte sich Elena um. Vor ihr stand einer dieser kleinen Wesen und erhob drohend seine Hände. Blanke Panik brach in Elena aus. Alles was sie spürte war Angst. Sie wollte weglaufen – aber wohin? Von überall her kamen die Zwerge gelaufen. Einige trugen lange Stangen, andere waren mit Peitschen bewaffnet. Es gab kein Entrinnen für Elena. Von überall her kamen diese Wesen zu ihr. Tränen stiegen Ihr in die Augen. Sie konnte ein leises Schluchzen nicht verhindern. Und dieses entsetzliche Kreischen. Es tat Elena in den Ohren weh. Sie presste ihre Hände gegen die Ohren. Aber es half nichts. Das Kreischen der Wesen ging ihr durch Mark und Bein.
Elena lies sich an der Wand in die Hocke sinken. Pure Verzweiflung hatte von ihr Besitz ergriffen. Sie zitterte am ganzen Körper. Ängstlich wanderten ihre Augen im Kreis hin und her. Immer mehr der Zwerge tauchten auf. Es war ein unheimliches Gewimmel um sie herum. Die Wesen stießen mit ihren Stangen nach ihr. Peitschen knallten in der Luft. Elena stöhnte vor Schmerzen. Langsam kämpfte sie sich wieder auf die Beine. Immer mehr wurde sie von den Zwergen malträtiert.
Langsam begannen die Wesen Elena von der Wand wegzudrängen und in Richtung einer der Türen zu schupsen. Sie konnte sich nicht wehren. Ihr blieb nichts weiter übrig, als den Gestallten zu folgen. Sie wurde zu einem Tor gedrängt. Hilflos taumelte sie hindurch in einen Gang. Dann war da vor ihr nichts mehr. Da war nur noch ein bodenloser Abgrund. Sie versuchte stehen zu bleiben. Aber die Wesen duldeten dies nicht. Unaufhörlich trieben sie sei auf den Abgrund zu. Elenas Hände suchten an dem rauen Mauerwerk nach Halt. Aber sie fanden keinen. Nur noch wenige Zentimeter trennten sie von dem Abgrund. Sie hatte panische Angst. Elena begann zu schreien, aber ihre Stimme ging im Kreischen der Gestallten unter. Sie versuchte dem Vorwärtsdrängen zu wiederstehen, aber auch das gelang ihr nicht. Unaufhaltsam näherte sie sich dem Abgrund. Dann war es soweit. Ihre Füße traten ins Leere. Da war kein Boden mehr unter ihr. Elena fiel. Sie schrie aus Leibeskräften. Um sie herum war nur Dunkelheit. Und sie fiel und fiel und fiel – unaufhaltsam. Sie fühlte, ihre letzte Stunde hatte geschlagen. Wild schlug sie mit ihren Armen um sich in der Hoffnung, doch noch irgendwo einen Halt zu finden. Und sie fiel und schrie und schrie und fiel…

Ein helles Bling ertönte. Die Türen des Fahrstuhls glitten auseinander. Elena fiel mehr als dass sie ging aus dem Lift. Ihr Hals tat vom schreien weh. Sie fühlte wie alle Blicke der Leute auf ihr hafteten. Sie zitterte am ganzen Körper. Was war mit ihr geschehen? Wie war sie wieder in den Fahrstuhl gekommen? War das alles nur eine Ausgeburt ihrer Fantasie? Mit zitternden Knien verlies sie schnell das Gebäude. Erst auf der Straße blieb sie stehen und atmete einige Male tief und lange ein und aus.

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Tag der Veröffentlichung: 09.03.2009

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