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Ein gutes Buch muss den Leser fesseln und zum Nachdenken inspirieren. Das Buch sollte eine perfekte Illusion erschaffen, die egal wie unwirklich und fantasievoll sie ist, dennoch die Realität zeigt und die Träume, Hoffnungen, Ängste und Sorgen des Lesers wahr werden lässt.
Mehr als alle anderen Genre muss der Krimi diese Anforderung der Illusion erfüllen, denn der eigentliche Sinn des Krimis ist der den Leser in die irre zu führen und zu überlisten. Um eine solche Illusion zu bewerkstelligen braucht der Krimi Wendepunkte, die das gesamte Geschehen zu diesen Zeitpunkt in ein anderes Licht rücken lässt.
Ein weit verbreitetes Problem des modernen Krimis ist der niedrige Anspruch an den Geist.
Es gibt zwei typische Erzählmethoden hierbei. In der ersten verfolgt der Ermittler von Anfang an eine falsche Spur um auf den letzten Zehn Seiten einen Gedankenblitz zu bekommen und dann in Rekordzeit den Verbrecher zu verhaften.
In der zweiten Methode gibt es ein Dutzend Nebenstränge, die rein gar nichts mit der Ermittlung zu tun haben und nur Zeit (Seiten) schinden, um diese voll zu bekommen, während die eigentliche Kriminalgeschichte, meist sehr simple gestrickt, auch auf die Hälfte der beschriebenen Seiten gepasst hätte.
Selbst wenn sich ein Autor mit einer Geschichte anstrengt, gelingt es einem halbwegs gebildeten Menschen oder einem halbwegs erfahrenen Krimileser, die aufgebaute Illusion des Autors zu durchschauen, wenn er seinen Geist etwas anstrengt, was allerdings nur selten vorkommt, da er an das typische Muster eines Krimis bereits gewöhnt ist.
Hier liegt das größte Problem des Krimis!
Wenn der Leser die Illusion bereits frühzeitig durchschaut und sich ausmalen kann wie die Geschichte zu Ende geht, ist der Sinn und das Geschehen im Buch nicht mehr das was sie eigentlich sein sollten und zwar sollten sie den Leser fesseln, indem er nicht weiß, was passiert und nicht weiß, wie die Geschichte ihr Ende findet.
Aber wie schafft man es dann diese Voraussetzungen zu erfüllen?
Der Thriller Autor Jeffery Deaver baut in die meisten seiner Geschichten eine Vielzahl an Wendepunkten ein, bei der die gesamte Geschichte umschlägt und der Leser sie aus einem vollkommen neuen Blickwinkel sieht. Das Problem bei Deaver ist, dass er diese Wendepunkte sehr zum Ende seiner Geschichte beim Finale alle schnell hintereinander ablaufen lässt. Entweder kann man sich nicht auf die neue Situation einstellen, weil sie so schnell von einer anderen abgelöst wird, oder sie wirkt so künstlich, dass man den nächsten Wendepunkt bereits erwartet.
Ein anderes Beispiel ist die japanische Manga Serie „Death Note“.
Dem Künstler gelingt es hier tatsächlich sehr regelmäßig, einen neuen Wendepunkt herbeizuführen bei der sich der Leser fragt, wie sich der Protagonist aus dieser Situation wieder befreien kann.
Das Problem bei „Death Note“ liegt dabei, dass der Protagonist gleichzeitig der gejagte Verbrecher ist und egal wie oft die Story umschlägt, man das Ende bereits im Voraus kennt.
Um das Genre des Krimis dennoch weiterführen zu können, ohne dass man gleichzeitig für das besagte Genre ein Grab schaufelt, wäre also ein vollkommen neuer Mix.
Der Krimi darf nicht mehr geradlinig verlaufen wie bei den Klassikern z.B. bei Agatha Christie.
Der Aufbau eines solchen Krimis sieht folgendermaßen aus:
1.

Ein Verbrechen geschieht.
2.

Der Ermittler tritt in Aktion.
3.

Ermittlungen werden geführt.
4.

Wendepunkt tritt ein.
5.

Evt. Nebenaspekte wrden aufgeklärt.
6.

Auflösung und ggf. Überführung des Verbrechers.
7.

Abgang oder Abschlusswort/Scene

Wie bei „Death Note“ muss ein neuer Handlungsstrang entstehen, den man nicht in das vorliegende Muster einfügen kann.
Die Geschichte darf höchstens evt. Überschneidungen mit dem Muster haben. Gleichzeitig müssen Wendepunkte eingeführt werden, die jeder für sich bereits eine eigene kleine Story sein könnte, würde man sie zu Ende führen, was man natürlich nicht macht, da ja bereits ein neuer Wendepunkt auf den Leser lauert.
Der Leser darf jedoch nicht irgendwann anfangen den Wendepunkt herbei zu sehnen und ihn im Voraus zu erwarten. Für das Hinzugeben eines Wendepunktes gibt es ein paar Regeln.
1.

Der Wendepunkt muss, wie der Zufall, wenn dieser in einem Krimi in Erscheinung tritt, zwangsläufig auftreten. Es darf keine andere Möglichkeit für das Weiterführen der Geschichte geben.
2.

Der Wendepunkt muss überraschend zuschlagen. Der Leser darf ihn weder vorhersehen noch erwarten.
3.

Es darf keine Routine in dem Auftreten der Wendepunkte eintreten.
4.

Die Wendepunkte dürfen nicht dicht an dicht erfolgen und müssen über die gesamte Geschichte verteilt sein. Dem Leser muss immer die Möglichkeit gegeben werden sich auf die neue Situation einzulassen.
5.

Jeder Wendepunkt für sich muss von der Story ausgeklügelt und komplex genug sein, dass er bereits als finaler Wendepunkt benutzt werden könnte und überzeugt.
6.

Der Wendepunkt muss realistisch genug wirken, dass der Leser diesen nicht anzweifelt und dadurch den nächsten erwartet.
7.

Der finale Wendepunkt muss so Spektakulär und nicht unrealistisch wirken, dass er sämtliche vorherigen Wendepunkte in den Schatten stellt.

Der Trick bei den Benutzen der Wendepunkte ist dafür zu sorgen, dass der Leser diesen nicht bereits im Voraus erwartet. Ein mögliches Verfahren wäre hierbei dafür zu sorgen, dass der Leser gar nicht dazu kommt über die möglichen noch bevorstehenden Ereignisse nachzudenken, entweder durch eine hochgradig spannende Geschichte, die den Leser an das aktuelle Geschehen der Geschichte fesselt, oder halt dadurch, dass der Leser von Anfang an bereits sämtliche Informationen zu haben scheint und damit der Autor verhindert, dass er über eine andere Möglichkeit nachdenkt die Geschichte doch anders als bisher angenommen stattfinden könnte. Hierbei muss man darauf achten, dass man den Leser genug eigenen Denkstoff gibt, damit er nicht misstrauisch wird, weil die Geschichte zu simple erscheint. Wie schon Sherlock Holmes sagte, „Nichts ist trügerischer als eine offenkundige Tatsache.“ (The Boscombe Valley Mystery)
Durch das Einsetzen dieser Wendepunkte, unter Rücksichtnahme der aufgestellten Regeln, kann der Krimi wieder eine Illusion erschaffen, die den Leser täuscht und es ihm so gut wie unmöglich macht das Ende vorherzusehen, da es immer neue mögliche Aspekte gibt, die in die Geschichte eingeführt werden können.

Eine andere Möglichkeit diesen Zweck zu erfüllen, liegt in der Verflechtung von Ereignissen durch zwei oder drei Handlungsstränge, die nebeneinander verlaufen und bei denen der Wendepunkt dadurch eintritt, dass sich die Stränge ineinander verflechten, z.B. durch gemeinsame Ereignisse oder eine Person, die in allen Strängen auftaucht. Die Funktion ist die selbe wie beim Wendepunkt. Den Leser in die Irre zu führen und ihn nicht wissen lassen, was als Nächstes passiert.
Wer Jean Christoph Granges die „Purpurnen Flüsse“ gelesen hat, meint jetzt zu wissen, was ich versuche zu erläutern. In Granges Werk gibt es zwei nebeneinanderlaufende Handlungsstränge, die sich später ineinander verflechten und ein gemeinsames Ziel haben. Aber eben das meine ich nicht!
Tatsächlich sollten die Handlungsstränge ihre Individualität beibehalten und jeder für sich ein eigenes Ende finden. Durch die Verflechtung dieser Handlungsstränge, wird der Eindruck eines gemeinsames Ende erweckt. Der finale Wendepunkt liegt hierbei jedoch darin, dass die Geschehnisse keinen gemeinsamen Ausgang finden, obwohl sie genau diesen Eindruck erwecken. Die Enden können zwar indirekt miteinander zu tun haben, allerdings nicht direkt zu einem Ziel führen.
Voraussetzungen für diese Verflechtungen sind:
1.

Der gemeinsame Nenner muss etwas Unerwartetes sein. (z.B. Ereignisse, Orte, Zeiten, Personen)
2.

Der Eindruck muss erweckt werden, dass beide Handlungsstränge zu einem Ziel führen. z.B. dadurch, dass der Täter scheinbar der selbe ist oder dass die Ereignisse offensichtlich zusammenhängen.
3.

Die Verflechtung darf kein Zufall sein! Sie muss einem festen Prinzip zugrundeliegen und am besten mischt sich ein Handlungsstrang vollkommen absichtlich in die anderen Handlungsstränge ein.
4.

Die Enden müssen in Verbindung zueinander stehen, aber nicht die selbe sein.
5.

Alle Handlungsstränge sind gleichermaßen fesselnd und wichtig. Es gibt keinen der die Hauptgeschichte trägt. Alle sind eine eigene fortlaufende Geschichte, die der Leser verfolgt und die gleich wichtig sind.
6.

Die Verflechtung muss realistisch sein. Sie darf nicht künstlich wirken und allein den Zweck der Verwirrung haben.

Wer nun die eine oder andere Möglichkeit, also die Wendepunkte oder die Verflechtung für einen Krimi benutzt, der würde damit zwangsläufig eine neue Art der Kriminalgeschichte schreiben.
Die Handlung würde nicht mehr linear stattfinden und der Leser, der ans geradlinige Denken gewöhnt ist, würde verwirrt werden. Wenn die dazu gehörige Illusion dazu noch glaubwürdig beschrieben ist, wäre es nur noch einem sehr ausgekochten, intelligenten und abgebrühten Leser möglich das Ende zu erahnen.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 01.06.2010

Alle Rechte vorbehalten

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