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Schule, ein weiterer Tag in der Anstandsklapse wo die Anstandsdamen als Lehrer verkleidet einen durch die Flure scheuchten, den Kreideverbrauch der Welt rapide steigerten und die Zeit still zu stehen scheint, steht mir bevor.

Ich weiß, ich könnte mehr Begeisterung zeigen, ich könnte

aber auch mit einem guten Buch und einer Tasse meines Lieblingstees zuhause sitzen, was allemal logischer wäre als bei dieser Kälte und deprimierenden Umgebung zu lernen.

Apropos lernen. Ich hasste es. Und das war wirklich einmal anders!

Früher bin ich sogar mit Begeisterung in die Schule gegangen. Ich habe brav meine Hausaufgaben bei meinen Eltern abgeliefert und gute Noten mitgebracht. Ja, kaum vorstellbar, aber Schule hatte mir Spaß gemacht.

Heute denke ich mir in den trüben Stunden dann immer wie furchtbar langweilig ich es doch finde.

Dabei habe ich mich freiwillig - ja, ich muss in einem Zustand geistiger Umnachtung gewesen sein - für das Abi Jahr entschieden.
Freiwillig! Gott, wie muss man sich doch quälen wollen um sich diesem Dilemma hinzugeben.

Wie auch immer, ich war ja eigentlich dabei für den Schultag fertig zu werden. Also los geht’s, duschen, Zähne putzen, anziehen, Haare bürsten, Schulsachen in die Tasche werfen und ab in die Küche.

Noch während ich die Treppe hinunter stolper - man möchte meinen man gewöhne sich nach einiger Zeit an eine unebene Treppenstufe - höre ich die allmorgendliche Belehrungstirade meiner Mutter.

Dass sie es noch nicht aufgegeben hat, meinem Bruder seine Grenzen zu erklären, ist der pure Wahnsinn. Denn er ignoriert sie schon seit geschlagenen fünf Jahren hartnäckig. Um genau zu sein, seit er in die Schule gekommen ist. Da sind wir wieder, Schule… Nur dass mein Bruder im Gegensatz zu mir sie nie gemocht hat.

An seinem ersten Schultag hat er seiner Klassenlehrerin - die wirklich nett ist, ich weiß gar nicht was er hat, er hätte mal meine Lehrer haben sollen, da hätte er Grund zur Beschwerde - eines der Kaubonbons aus seiner Schultüte angekaut auf den Stuhl gelegt. Und auch sogleich seinen ersten blauen Brief kassiert.
Man kann sich die Begeisterung meiner Mutter vorstellen. Ich hatte meinen Bruder grinsend durch die Haare gewuschelt und ihm zugezwinkert. Vielleicht trage ich damit ja auch Teilschuld an seiner unbändigen Nicht-Liebe zum Unterricht.

Vielleicht ist es schon aufgefallen, dass ich nur von meiner Mutter rede. Ja, es ist nun einmal so, dass mein Vater sich irgendwie nicht mehr dafür einsetzten kann.

Der hat sich seit letzten Herbst dann lieber mit einer blauäugigen Blonden vergnügt und - mir sind fast meine Spaghetti wieder hoch gekommen, die ich kurz zu vor gegessen hatte - sie ist Lehrerin.
Ja, da denkt man, er will von uns weg und er angelt sich gleich eine Frau, die von Natur aus gerne an Sachen anderer Leute herum nörgelt. Naja er muss es ja wissen.

Ich stiefle also in die Küche und zum Kühlschrank um mir irgendetwas Essbares zu schnappen und so schnell wie nur möglich hier raus zu kommen, doch meine Mutter macht mir einen Strich durch die Rechnung.

‚Charlotta, erklär doch du mal deinen Bruder wozu ich die Schulbescheinigung brauche, der edle Herr will mir nicht glauben.‘

Bin ich hier im Kindergarten gelandet oder was? Charlotta dies, Charlotta das. Und dabei hasse ich meinen Namen! Wie kommt eine Mutter nur darauf ihr Kind Charlotta zu nennen? Weiß sie denn nicht, dass sie damit ihre Tochter zu ewigen Namen-Witzen verurteilt? Ich weiß noch heute als wäre es gestern wie sie in meiner Klasse die erste Vorstellungsrunde gemacht haben.

‚Ich bin Charlotta‘ habe ich mit Zahnlückenlächeln gesagt und gleich neben mir fingen die ersten Namensneubildungen an. Lotte, Lotti, Charlie und Charlotti waren noch die guten.

Die Einzige, die sich nicht über meinen Namen lustig machte, war meine heutige beste Freundin Marla, die ja selbst mit einem schrecklichen Namen gesegnet worden war. Aber wenn ich ehrlich war hätte ich liebend gerne mit Marla meinen Namen getauscht.

‚Charlotta hörst du mir überhaupt zu?‘

Ich verdrehte die Augen und schlurfte zum Küchentisch hinüber wo mein Bruder missmutig in seine Cornflakes starrte und mit dem Löffel versucht sie noch matschiger zu rühren. Ich liebte meinen Bruder, schon alleine wegen seiner Einstellung zu meiner Mutter und der Schule und beugte mich vor.

‚Machs doch einfach, dann hast du deine Ruhe. Außerdem brauchst du die Bescheinigung für die Busfahrkarte, oder willst du zur Schule laufen?‘

Ich zwinkerte ihm noch zu und wanderte dann zurück zum Kühlschrank.
Mein Bruder murmelte zustimmend irgendwas und bevor ich mit einer Apfelsine und einem Joghurt bewaffnet die Küche wieder verlassen konnte, hielt er mich noch einmal auf und streckte mir seine Hand mit einem Schokoriegel hin. Hab ich schon gesagt, dass ich meinen kleinen Bruder liebe? Ich wuschelte ihm nochmal durch die Haare und nahm im Runtergehen den Schokoriegel aus seiner Hand.

Unten im Flur stopfte ich alles in die Tasche und schnappte mir noch eine Wasserflasche aus dem Keller. Was würde man ohne Sprudelwasser machen?

Draußen stand mein Fahrrad in der Einfahrt und ich packte meine Tasche auf den Gepäckträger. Irgendwann würde das altersschwache Teil einfach mal abbrechen und meine Bücher würden alle nacheinander in den Fluss plumpsen, an dem ich jeden Morgen vorbei fahren musste. Und ich würde mich dann nicht entscheiden können ob ich dann vor Glück einen Freudentanz aufführen sollte oder in Tränen ausbrechen, weil ich dann alles neu kaufen und abschreiben dürfte.

Auf den Hinweg kann ich trödeln, zur Not kann ich innerhalb von fünf Minuten an der Schule sein. Wenn ich will. Aber meistens wollte ich nicht, so auch heute. Ich mag ja recht kindisch erscheinen, in der Abschlussklasse und nörgle herum wie ein Kleinkind, aber das ist mir egal.

Ich trudle auf dem Schulhof ein und beginne meine Fahrradschlösser zu öffnen um mein Gefährt an die Wand zu ketten. Von hinten tippt mir Marla auf die Schulter während ich noch am letzten Schloss herum fummle.

‚Ich glaube irgendwann wird jemand dein Fahrrad mal stehlen, aber nicht weil du es nicht genug absicherst, sondern weil er dir beweisen will das er mit einer Zange einfach alle Kabel durch knipsen kann.‘

‚Soll er doch, dann bekomme ich vielleicht ja sogar mal ein Rad bei dem nicht fast alles abfällt. Gibt es eigentlich einen Fahrrad TÜV?‘

Marla verdrehte die Augen und ging auf die Tür zu.

‚Na klar gibt es den und dein Rad würde es nicht mal mehr durch schaffen.‘

‚Ich weiß‘, seufzte ich und schleppte mich hinter Marla in meine Klasse. Wenn man uns noch Klasse nennen durfte heißt das. Wir waren auf die deprimierende Größe von zehn Mann zusammengeschrumpft. Eine gewaltige Umstellung von siebenunddreißig zu zehn. Den Lehrern gefiel es. Mir nicht.

Mit einem Stöhnen ließ ich mich auf meinen Platz fallen und legte den Kopf auf den Tisch.
Wenn ich nur an die acht Stunden dachte, die ich heute in der Klapsmühle verbringen musste, kam mir das Gähnen. Ich weiß, niemand zwingt mich hier zu sein - wie unser Mathe Lehrer immer so gerne sagt - aber nun hab ich immerhin schon das halbe Jahr rum und kann auch noch weiter versuchen mir mein Abi zu ergattern.

Ich überstehe die Mathedoppelstunde mit viel Gestöhne und auch noch die zwei Geschichtsstunden, dann ist mein Gehirn gegart und Bio rauscht irgendwie durch meine Ohren durch. Danach ist Pause.

‚Ich weiß echt nicht wieso du hier hockst, wenn du doch eigentlich kein Interesse mehr hast.‘

Marla hielt mir in der Mittagspause mal wieder eine ihrer Predigten. Ich hab sie ja lieb, aber manchmal kann sie nerven. Vor allem wenn sie auch noch recht hat.

‚Mhmmmhm..‘, gebe ich von mir und kaue auf dem Schokoriegel von meinem Bruder.
Lieber schnell klein bei geben, Marla konnte einem mit diesem Thema ewig in den Ohren liegen. Und das Wort – ewig

– bekam durch Marla noch eine ganz neue Bedeutung.

Die letzten zwei Stunden sind Englisch, das einzig wirklich interessante Fach, auch wenn wir immer unheimlich viele Hausaufgaben bekommen.

Ich glaub den Lehrern ist es gar nicht bewusst, dass sie uns mit Hausaufgaben zumüllen. Wer soll denn bitteschön vier verschiedene Fächer nacheinander in logisch, sinnvoll miteinander verknüpften Sätzen wiedergeben? In Gedanken noch bei Bio soll ich dann die geschichtlichen Zusammenhänge von athenischer Politik erklären. Ist klar.

Ich verabschiedete mich von Marla und begann an meinen Fahrradschlössern herumzunesteln. Als ich sie geöffnet hatte, zerrte ich die Tasche auf den Gepäckträger und stieg auf. Ich packte den i-Pod aus und stöpselte mir die Hörer in die Ohren. Schlechtes Beispiel, ich weiß, man soll das nicht tun, aber das ist mir jetzt auch egal. Mit Linkin Park in den Ohren geht doch alles gleich viel besser. Und morgen geht das ganze ja schon wieder von vorne los.

Das Abenteuer Schule.

Würg.

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Tag der Veröffentlichung: 10.11.2009

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