Endlich ist es so weit. Die wohl letzte Berufsausbildung meines Lebens ist nun zu Ende und findet ihren Höhepunkt in dieser öffentlichen Show. Geschminkt und abgepudert lache ich mir verkrampft im Spiegel entgegen. Lampenfieber ist wichtig, rede ich mir ein, dann spiele ich bestimmt besonders gut. Und das will ich unbedingt, schon um meine Lehrer zu beeindrucken, aber auch meine Familie, die ich eingeladen habe. Meine Mutter sagte zu, obwohl sie meine Zurschaustellungen auf der Bühne nicht schätzt. Außerdem ist die weite Anreise für sie sehr beschwerlich und mit Clowns weiß sie nicht so wirklich etwas anzufangen. Meine Söhne kommen ihrer Mutter zu Liebe, mit mäßigem Interesse an den Alten, die hier nun endlich die Bretter der Welt erobern wollen. Die fremde Frau, die die Lebensgefährtin meines Ältesten ist, trägt auch nicht gerade zu dem von mir so dringend ersehnten Wohlwollen eines Familienschoßes bei.
Und das Menschlein, das ich liebe, kommt ganz gewiss nicht.
Gleich nach der Pause spiele ich. Das Duo mit meiner liebsten Freundin ist genial. Wir spielen wunderbar zusammen. Aber das ist noch unser Geheimnis. Wir haben geprobt und geprobt. Es ist uns sehr ernst. Für den Rest unseres Lebens wollen wir Clowninnen sein. Wir stehen erst am Anfang und wissen noch nicht so ganz genau, wie das geht, aber wir sind sicher, daß wir mit allen Fasern unseres Seins als alte Närrinnen leben und sterben wollen.
Nervös sitze ich vor meinem Schminkspiegel.
Die erste Hälfte der Show ist ohne nennenswerte Patzer über die Bühne gegangen. Ein freundliches, manchmal nachsichtiges Publikum hat die Spieler und Spielerinnen herzlich aufgenommen. Es ist schon etwas besonderes, wenn alte Menschen aufbrechen, um ihre Lust und ihr Lachen zu finden.
Der Applaus verebbt ganz langsam, Stühle scharren und murmelnd schieben sich die Theaterbesucher zur Pause in den Innenhof. Sie plaudern gemütlich, trinken Wein und diskutieren über die Vorstellung.
Nun treibt mich die Unruhe doch in die Höhe. Ich prüfe den Sitz meines Anzugs, kontrolliere zum zigsten Mal, ob auch alle Requisiten an ihrem Platz sind und beginne ziellos auf und ab zu gehen.
Große Glasscheiben trennen mich von den lebhaften Menschen in bunten Sommerkleidern, vom leisen Gläserklirren und von der Abendsonne. Ein lebendiges Bild auf der anderen Seite.
Ich trete ein wenig zurück, um nicht gesehen zu werden.
Da entdecke ich meine Leute. Sie unterscheiden sich nicht von den anderen Besuchern. Sie reden und trinken. Sie sind beieinander und ich höre sie nicht. Alles ist plötzlich ganz still. Ich sehe nur noch diese Reste einer Familie, die mal meine war.
Ich bin sehr allein. Niemand von ihnen sieht sich nach mir um, aber was will ich? Sie können nicht wissen, daß ich dort stehe.
Und doch, plötzlich dreht sich mein ältester Sohn um, sieht mich, winkt und wendet sich wieder der Frau an seiner Seite zu.
Niemand weiß in dem Moment, daß es das letzte Mal ist, daß er mich anlacht; bis heute.
Sind sie hinter Glas oder ich?
Eine wichtige Frage.
Ein paar Tränen schwimmen in meine Schminke. Ich hadere, sie verstehen mich nicht, sie wollen mich nicht wie ich bin, und so weiter und so weiter …….
Stopp. Nicht sie sind es. Ich bin gegangen, innerlich schon vor langer Zeit. War ich überhaupt jemals da?
Das ist jedoch eine andere Geschichte.
Vorsichtig betupfe ich meine kohlschwarzen Augenränder.
Nun habe ich mich verstanden
Willkommen in meinem eigenen Leben.
Ich springe in meine leuchtend rote Clownsnase. Die Pause ist zu Ende. Alle strömen in den Saal zurück. Hinter dem roten Vorhang atme ich mich.
Und dann ist es so weit.
Nichts und niemand hält mich auf.
Voller Freude jubele ich: „Ich hab neue Schuhe.“
Und meine Liebste antwortet mir und hundert Augenpaare schauen uns an.
Texte: Hanna Scotti
Bildmaterialien: Hanna Scotti
Tag der Veröffentlichung: 07.06.2012
Alle Rechte vorbehalten