Liebe und Hass liegen oft dicht beieinander. In einem mehrseitigen Artikel in einer dieser Frauenzeitschriften habe ich darüber gelesen. Kopfschüttelnd. Ich glaube das nicht. Oft! Was heißt denn oft? Das hört sich für mich an, als ob jede zweite Liebe ins Gegenteil kippt. Was ich aus tiefsten Herzen liebe würde ich niemals aus tiefsten Herzen hassen können. Sowas erzählt mir niemand. Ich habe auch eine Liebe. Meine rosarundliche Gundula. Gundula kann Wünsche erfüllen. Natürlich nur Materielle. Sie ist schließlich keine Fee oder sonst so ein Märchenwesen. Leider. Sie ist einfach Gundula, das Porzellan-Schwein.
Ich habe sie von Elvira bekommen. Meiner Ex-Frau. Elvira ist die Liebe meines Lebens. Dachte ich. Aber die Jahre und Elvira selbst belehren mich eines Besseren. Wir passen nicht.
„Wir sind zu verschieden!“, erklärt mir Elvira eines Tages nach acht Ehejahren, in denen ich tatsächlich glücklich war und im Grunde überhaupt nicht verstehe, was sie da sagt.
Mein Herz zieht sich bei ihren Worten schmerzhaft zusammen, wird augenblicklich zu einem harten Klumpen, trotzdem versucht es tapfer weiterzuschlagen.
"Warum sagst du denn sowas?". frage ich irritiert und merke wie der Boden unter mir schwindet.
"Weil es so ist."
"Aber wir sind doch glücklich.", wage ich zu widersprechen.
"Du vielleicht.", antwortet sie patzig. Kein wirklicher Dialog. Keine richtige Erklärung.
Sie begreift nicht, dass sie die Frau meines Lebens ist. Es würde sicher sehr schwierig sein, jemals „Ersatz“ für sie zu finden. Abgesehen davon, dass ich niemand anderes will als sie.
Elvira packt also ihre Sachen und lässt mich allein zurück. Mit anderen Worten – sie verlässt mich. Ich bin bestimmt nicht der Einzige, auch nicht der Erste und sicher nicht der Letzte, dem so etwas passiert. Völlig unvorbereitet. Von heute auf morgen. Aber ich kann überhaupt nicht damit umgehen. Die Sehnsucht nach ihr bringt mich fast um den Verstand. Wieder und wieder versuche ich, sie umzustimmen. Egal was ich mir einfallen lasse. Umsonst. Sie hat um sich herum eine Wand errichtet, an der ich abpralle – mir dadurch neue Wunden zufüge. Zu tiefe Wunden, als dass sie jemals heilen könnten.
„Du hast dein Leben wieder ganz für dich.“, sagt sie kühl. Keiner fragt danach, ob ich das will. Oder besser gesagt, sie fragt nicht danach. Natürlich will ich das nicht.
„Ich möchte es aber mit dir.“, flüstere ich. Meiner Stimme fehlt die nötige Überzeugungskraft, das höre ich selbst.
Meine Energie brauche ich zum Atmen – einfach um irgendwie weiterleben zu können – ohne sie. Elvira schüttelt bei meinen Worten so heftig den Kopf, als säße etwas Ekliges in ihren Haaren. Ich habe verloren. Und ich weiß nicht einmal warum. Klar sind wir verschieden. Es wäre seltsam, wir tickten zusammen wie ein eintöniges Uhrwerk. Tick-tick-tick… ohne dieses Tack. Seltsam und langweilig. Langeweile ist der Tod jeder Beziehung. Davon bin ich überzeugt. Warum das mit uns schiefgelaufen ist? Mit Elvira und mir? Keine Ahnung. Wenn es nach mir ginge, wäre alles noch wie am ersten Tag.
Und schwupps sitze ich in der Vergangenheit. In meiner kleinen heilen Welt. Zusammen mit Elvira. Ich durchlebe dann immer wieder unser Kennenlernen. Den ersten Kuss. Unsere erste gemeinsame Nacht. Der harte Klumpen in mir, das was einstmals mein Herz gewesen war, möchte sich aus der Enge der Brust befreien, was unglaublichen Schmerz bereitet. Ich schreie und schreie. Aber es wird nicht besser. Es hilft nicht.
Was ist an uns zu verschieden? Was passt denn nicht? Was macht es unmöglich, dass wir weiter unser Leben teilen können.
Herausragend ist wohl ihre Sparsamkeit. Sie hockt auf jedem einzelnen Cent, während ich gerne die Wirtschaft ankurble, aber im Grunde fanden wir immer einen guten Mittelweg. Das war mein Empfinden gewesen. So kann man sich täuschen. Sicherlich ist das der Grund für das merkwürdige Geschenk, das sie mir macht, denn als sie mich verlässt bekomme ich zum Abschied ein Sparschwein. Ich soll mein Geld künftig lieber an dieses Porzellanteil verfüttern, als für unnötigen Kram zu verplempern. Ich muss zugeben, dass sich in diesem Moment ein gewisser Unmut in mir regt. Aber ich schwöre. Kein Hass. Niemals. Ich fühle noch immer die allumfassende reine Liebe für Elvira. Und ich würde sie lieber heute als morgen wieder zurücknehmen, wenn sie es nur wollte.
Da stehe ich nun mit diesem blöden Schwein in der Hand. Der Ersatz für Elvira. Es ist ein sehr hübsches Schwein. Es trägt sogar ein silbernes Krönchen auf dem Kopf, was es irgendwie zu einer Prinzessin macht und so nenne ich es Gundula. Gundula, meine Schweine-Prinzessin.
Sie bekommt einen Ehrenplatz. Direkt neben dem Fernseher. Da habe ich sie im Blick. Immer.
Ich füttere sie. Jeden Tag. So wie es sich Elvira vorstellt. Überwiegend bekommt sie Cent-Stücke. Dieses lästige Klimpergeld, das nur die Geldbörse schwer macht und mir, wenn ich sie in die Gesäßtasche stecke, die Jeans in die Kniekehlen zieht. Auf Scheine hat sie keinen Appetit. Da kann ich nichts machen. Ehrlich. Wenn sie voll ist wird sie mir einen Wunsch erfüllen. Etwas Materielles natürlich. Was anderes kann sie nicht, wie zum Beispiel mir Elvira wieder zurückbringen. Trotzdem liebe ich sie. Denke ich. Hoffe ich, weil ich mir das fest vorgenommen habe. Sie ist schließlich ein Geschenk von Elvira. Ich muss sie einfach lieben.
Und dann kommt dieser düstere Tag. Ein Tag, den ich lieber aus meinem Leben gestrichen hätte. Es ist wohl purer Zufall. Oder Fügung des Schicksals. Oder einfach nur miese Realität, die mich mit einem Schlag aus meiner Traumwelt befördert. Aus dieser kleinen heilen Welt, in der ich es schaffe, Elvira wieder für mich zu gewinnen. Dort, wo sie ihr Versprechen – auf immer und ewig – einlöst und mich unsäglich glücklich macht.
Ich sehe sie. In einem Straßencafé in der Fußgängerzone. Normalerweise gehe ich gar nicht dorthin. Zu Fuß. Ich erledige alles mit dem Auto. Kurze Wege eben. Vom Auto direkt in die Geschäfte. Das spart Zeit. Unerklärlich was mich dazu bewogen hat, durch besagte Straße zu bummeln. Ja, und da sehe ich sie. Und … sie ist nicht allein. Ein Typ sitzt ihr gegenüber. Sie sind sehr vertraut miteinander. Ich höre ihr helles Lachen. Ich sehe seine Hand, die die ihre zärtlich umschließt. Sie beugt sich vor und küsst ihn. Mitten auf den Mund – direkt vor meinen Augen. Ich bin fassungslos. Elvira! Meine Elvira. Mein Herz rast, mir wird übel, ich glaube, mich übergeben zu müssen. Dann blitzt es hinter meiner Stirn. Kleine Stromschläge, die meine Arme und Beine unkontrolliert zucken lassen. Ich habe Angst, dass meine Gehirnwindungen durchschnmoren. Ich will schreien, aber es kommt kein Ton. Es gibt kleinen klaren Gedanken mehr und ich schleppe mich um die nächste Ecke. Sie sollen mich nicht in diesem Zustand sehen. Verzweifelt und hilflos.
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Irgendwo habe ich eine Werkzeugkiste. Ich bin kein Heimwerker und möchte auch keiner werden, deshalb brauche ich normalerweise weder Säge noch Schraubenzieher. Damit ich nicht ständig über den Metallkasten stolpere, habe ich ihn erst einmal weggeräumt. Aber wohin? Wie ein Verrückter suche ich und finde ihn schließlich im Keller. Wo ist jetzt der Hammer? Ich brauche einen Hammer.
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Ich sitze auf meinem Sofa. Den Blick starr gerade ausgerichtet. Der Fernseher läuft nicht. Ganz gegen meine sonstige Gewohnheit. Er würde mich stören. Beim Denken. Meine Gedanken wandern zurück in die Fußgängerzone. Zum Straßencafé. Der harte Klumpen in meiner Brust pumpt wie irre das Blut durch meine Adern, das dann heiß und wild in meinen Schläfen pocht. Was für ein blöder Typ das ist. Weder gutaussehend noch sonst irgendwas. Was findet sie an ihm? Ich wäre die bessere Wahl. Das war ich schon immer – sowohl damals als auch heute. Warum sieht sie das nicht, so wie ich. Aber ich sehe noch etwas anderes - neben dem Fernseher. Gundula! Gundula, meine geliebte Schweineprinzessin, wie sie da steht und mich anglotzt mit ihrer blöden Krone auf dem Kopf. Und ich weiß genau, dass ich sie nicht liebe, dass ich sie noch nie geliebt habe. Und wie ich sie angewidert anstarre, ja geradezu hasserfüllt, bekommt ihre rosarundliche Figur Arme und Beine wie ein Mensch. Sie nimmt Elviras Züge an. Ihre Augen. Ihren Mund. Ihre Nase. Selbst der kleine Leberfleck auf ihrer linken Wange ist da. Locker liegt der Hammer in meiner Hand, als gehörte er schon immer dort hin. Als wäre er die natürliche Verlängerung meines Armes. Was dann passiert kann ich nicht erklären. So völlig unkontrolliert. Das ist nicht meine Art. Mit einem markerschütternden Schrei springe ich hoch. Der Hammer saust auf Gundula nieder. Das Porzellan splittert. Das Kupfergeld fliegt durchs Zimmer. Wieder und wieder schlage ich voller Hass auf Gundula ein bis wirklich nichts mehr an ein rosarotes Schweinchen erinnert. Vor mir liegt nur noch ein Scherbenhaufen. Nein, es erinnert nichts mehr an meine geliebte Schweineprinzessin Gundula oder ist es Elvira oder doch Gundula …?
Erschöpft sinke ich zu Boden und entsinne mich an den Artikel in der Frauenzeitschrift, die Elvira auf dem Wohnzimmertisch vergessen hat, als sie für immer wegging. Liebe und Hass liegen oft dicht beieinander. Oder wenn aus Liebe Hass wird. Ich war bis gerade noch davon überzeugt, dass es das nicht gibt. Nicht für mich. Und jetzt? Ich lausche still in mich hinein. Ich suche tief in mir drinnen nach dieser allumfassenden reinen Liebe zu Elvira … aber ich spüre etwas völlig anderes …
Texte: Karin Hufnagel
Bildmaterialien: Karin Hufnagel
Cover: Karin Hufnagel
Tag der Veröffentlichung: 30.06.2020
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