„Also ich stelle mich einfach mal vor.“ Aufgeregt strecke ich meine Hand über den Tisch.
„Ich bin der Jasper. 41 Jahre alt und ich möchte mich gern verlieben.“
Ich strahle mein Gegenüber an. Ja genau, ich würde mich gern verlieben wollen. Vielleicht sogar in sie.
Sie, das ist die Dame, die gerade etwas verhalten zurücklächelt und gleichzeitig nach meiner Hand greift.
Ihr Händedruck ist lasch. Ohne jegliche Energie. Saft- und kraftlos würde ich mal etwas salopp sagen. Aber meinem Enthusiasmus tut das im Moment keinen Abbruch. Sie sieht ganz passabel aus.
Nicht ganz mein Beuteschema aber in meinem Alter muss man Abstriche machen. Und das Aussehen hat ja nun mal gar nichts mit den inneren Werten zu tun.
Wenn ihr Charakter ordentlich und aufgeräumt ist, wäre das wunderbar. Das Wort „aufgeräumt“ ist vielleicht im Zusammenhang mit dem Charakter nicht so ganz glücklich gewählt. Und doch passt es für mich, weil es wichtig ist. Alles sollte ordentlich und aufgeräumt sein. Auch das Innere eines Menschen. Besonders dort.
Nach unzähligen Jahren ist das mein erstes Date. Das vermittelt jetzt sicherlich den Eindruck, ich hätte irgendwann einmal Dates gehabt – davor, vor diesem - oder gar Beziehungen. Das muss ich verneinen. Ich bedaure das nicht. Warum auch? Es war nicht der richtige Moment gewesen. Damals. Aber jetzt. Mein erstes Date überhaupt. Deshalb auch meine Aufregung. Jetzt beginnt etwas völlig Neues in meinem Leben.
Wenige Menschen werden das verstehen, aber ich arbeite mein Leben ab. Alles passiert der Reihe nach. Ich liebe keine Überraschungen. Und ein Leben mit einem Partner birgt ständige Aufregungen. Unkontrollierbar. Außer … ich finde eine Dame, die meine Lebensauffassung teilt und sich fügt. Ja, sie müsste sich fügen. Sonst würde alles unerträglich. Unüberschaubar. Für mich.
Bedeutet ein lascher Händedruck, dass sie leicht zu beeinflussen ist?
Ich strahle weiterhin in ihre Richtung und beobachte sie genau. Ihre Bluse steckt ordentlich in der Hose und der Schal hängt symmetrisch um ihren Hals. Ihre Nägel sind genauestens gefeilt. Wie mit einer Schablone bearbeitet. Das gefällt mir.
„Hildegard“, haucht sie über den Tisch. Ihre Stimme klingt heiser. Irgendwie rau. Das und die zarte Berührung ihrer Hand schicken mir heiße Schauer über den Rücken. Unerklärlich, wie sich etwas Heißes so kalt und prickelnd anfühlen kann. So etwas kenne ich nicht. Aber es tut gut - so in mir drin. Sogar sehr gut.
Immer mehr bestätigt sich die Richtigkeit meines Handelns.
Ein blind Date. Modern. Innovativ. Und es heißt Hildegard. Ich finde den Namen nicht so toll. Aber später können wir uns vielleicht einigen, sie anders zu nennen. Meine Schwester hatte mal einen Hund aus dem Tierheim. Der hieß Holger. Holger als Hund geht gar nicht. Und sie hat ihn ruckzuck in Rudi umbenannt.
Mir würde Bettina gefallen.
Ja, ein blind Date. Organisiert von meiner Schwester.
Ich hatte ihr mein Anliegen unterbreitet.
„Es ist Zeit für einen Partner.“, erklärte ich Susanne.
„Und was habe ich damit zutun?“, fragte sie etwas irritiert.
„Du kennst doch Frauen.“ Meine Güte, sie war schon immer etwas schwer von Begriff.
„Ja und?“
„Wie - ja und? Das liegt doch klar auf der Hand. Sie soll blond sein und ein wenig griffig. Nicht so spindeldürr. Was zum Anfassen. Das stelle ich mir angenehm vor. Und vor allem soll sie ordentlich sein. Innen und Außen.“
„Du spinnst.“ Susanne schüttelte wild ihre braunen Locken. Ich hasse das.
„Aber du kennst doch Frauen!“, unverdrossen wagte ich einen erneuten Vorstoß.
„Keine, die dich kennenlernen möchte.“ Sie fuhr sich mit der Hand durch ihre zerzauselten Haare. Aber es wurde dadurch nicht besser. Es blieb einfach unordentlich. Ich hasse das wirklich.
„Überleg noch mal.“
„Da gibt’s nichts zu überlegen. Du bist der komplizierteste Mensch, den ich kenne. Das kann ich keiner meiner Bekannten zumuten.“
„Du bist meine Schwester. Unterstütze mich.“, verlangte ich.
„Ach Jasper.“, genervt rollte sie mit den Augen.
Stille.
Ich sagte nichts mehr und wartete. Am Ende tut sie immer was ich will.
„Also gut. Ich organisiere was für dich.“ Sie tätschelte meine Hand. Wusste ich es doch.
***
Und jetzt sitze ich hier mit Hildegard. Sie ist leider nicht blond. Susanne hat mir sicher nicht richtig zugehört. Aber sie ist handfest. Griffig. Und das Beste, ihre Bluse steckt ordentlich in der Hose. Das Haar trägt sie streng nach hinten gebunden. Darauf kann man aufbauen.
„Wie wirke ich auf sie, Hildegard?“
„Ähm... ja …. ganz ok.“, stottert sie etwas verstört.
Naja, ein wenig Dümmlichkeit schadet nichts. Das vereinfacht die Sache, sie ordentlich in mein Leben zu pressen.
„Also, wie gesagt, ich bin bereit mich zu verlieben.“ Dabei zwinkere ich ihr zu. Das habe ich mal gelesen. Das gehört zum Flirten. Währenddessen entledige ich mich unter dem Tisch meiner Schuhe. Auch so eine Flirtsache. Ich reibe meine bestrumpften Füße an ihrer Wade und wandere in kreisenden Bewegungen bis zu ihren Knien. Das habe ich mal in einem Film gesehen. Sehr aufregend. So aufregend, dass meine Schuhe jetzt total unordentlich unter dem Tisch stehen. Das ist mir im Moment egal, denn gerade schießt es mir heiß in die Lenden. Wow!
„Aber Jasper“ quiekt Hildegard leise und ruckelt mit ihrem Stuhl ein Stückchen nach hinten.
Warum sie das tut, weiß ich nicht. Aber ich denke mal, es funktioniert. Hätte ich nicht gedacht. Ob Hildegard mein Gegenstück ist? Mein anderer Teil?
Bis vor kurzem wusste ich nicht einmal, dass ich unvollkommen bin.
Da haben wirs. Ich bin ganz normal. Ganz normale Gefühle, die sich gerade etwas unterhalb meines Bauchnabels sammeln.
Susanne hatte unrecht, wenn sie meinte ich könnte sowas nicht. Mit Frauen.
Da sage ich nur, alles zu seiner Zeit. Und meine Zeit ist jetzt gekommen. Ich spüre es genau. In meiner unteren Köperhälfte.
„Nimmst du bitte deinen Fuß da weg.“, fordert Hildegard leise und blickt dabei hektisch im Raum umher.
Das verstehe ich nicht. Kann doch jeder sehen. Aber sie hat Jasper gesagt.
Wir sind jetzt also schon beim vertrauten „du“. Das ist schön.
„Ist es dir unangenehm?“ frage ich.
„Es ist peinlich. Die Leute am Nachbartisch schauen schon.“ Dabei neigt sie ihr Köpfchen ein wenig nach links.
Also der Nachbar zu ihrer Linken.
Ich starre hinüber, worauf er schnell in die andere Richtung schaut. Ein alter Spießer, der nicht aus seiner Haut kann. Sicher würde er gern mit mir tauschen.
„Er wird neidisch sein, Hildegard. Sonst nichts.“, erkläre ich ihr.
Enttäuscht ziehe ich meine Füße zurück und bücke mich unter den Tisch, um meine Schuhe ordentlich hinzustellen. So wie ich es gewohnt bin. Das aufregende Ziepen in meinem Unterleib sollte mich nicht zur Unordnung animieren. Und Hildegard schon gar nicht. Das wäre der Anfang vom Ende.
Wir beide erstickten dann irgendwann im Chaos.
Vielleicht ist Hildegard doch nicht mein Gegenstück, wenn sie so etwas in mir auslöst und ich selbst der Unkontrollierbare wäre.
Darüber habe ich noch nie nachgedacht. Aber wie sollte ich auch wissen, dass so etwas passiert. Mit mir. Wie schnell ich bereit war, meine Prinzipien über Bord zu werfen. Ich habe nicht gewusst, wie bedrohlich so eine Beziehung für mein Leben sein kann.
Obwohl … geahnt habe ich es irgendwie.
Meine Ordnung scheint in Gefahr. Jetzt, in diesem Augenblick. Der Anfang sind die Schuhe und was kommt dann? Ist es mir das Wert? Ist sie es Wert. Diese Hildegard? Ich kenne sie ja kaum. Was heißt kaum. Ich kenne sie gar nicht. Und überhaupt. Ich wollte lieber eine Blondine, mit dem Namen Bettina.
„Hildegard, ich weiß nicht, ob du mir das Wert bist.“
„Was???“
„Du bringst meine Welt in Unordnung.“, stöhne ich und versenke mein Gesicht in den Händen.
Mir ist das alles zu viel.
„Was???“
Hildegard scheint wirklich etwas einfältig zu sein.
„Es tut mir leid. Es ist ein Irrtum. Du bist ein Irrtum. Außerdem bist du nicht blond.“
Sie starrt mich an. Ihr Blick wirkt so leer, als hätte sie keine Gedanken mehr. Das habe ich von Anfang an vermutet. Irgendwie tut sie mir leid. Das Ganze tut mir leid. Das Ziehen in meinem Bauch ist verstummt. Schade. Es war ein angenehmes Gefühl. Vielleicht wäre es ganz amüsant geworden. Mein neues Leben zu zweit. Aber ich habe mich entschieden. Meine Ordnung ist mir wichtiger. Im Moment. Sollte ich jemals wieder darüber nachdenken, habe ich jetzt Erfahrung. Mit Dates und mit Frauen.
Susanne sollte mir dann jemand besorgen, der blond ist. Und wenn dieser Jemand noch den Namen Bettina trüge, würde ich nochmal über Ordnung und Unordnung nachdenken.
Schnell stehe ich auf und eile Richtung Ausgang. Nicht, dass sie mir noch eine Szene macht. Das wäre peinlich. Peinlicher als mein Fuß an ihrem Knie.
Texte: Karin Hufnagel
Bildmaterialien: Karin Hufnagel
Cover: Karin Hufnagel
Tag der Veröffentlichung: 03.12.2018
Alle Rechte vorbehalten