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Edgar, der Langweiler

 

Ich träume nie! Wenn ich müde bin, dann schlafe ich. Tief und fest. Wobei mir immer erklärt wurde, dass ich mich eben nur nicht mehr daran erinnerte. Ich war da anderer Meinung. Aber was wussten fremde Menschen schon von meinen Schlafgewohnheiten und wie meine Seele diesen ganzen Alltragskram verarbeitete. Ich war mir sicher, dass mein Unterbewusstsein Deratiges nicht benötigte, um auf dem Posten zu sein. In dieser Hinsicht stellte ich eben etwas Besonderes dar.

 

Und dann passierte es doch. Ich träumte. Unerklärlich. Ich war zutiefst verwirrt und suchte nach Anhaltspunkten. Dem Auslöser sozusagen. Aber der Tag verlief wie immer - aufstehen, arbeiten, heimkommen … Genauso wie der Abend. Ich kochte mir bei Anbruch der Dämmerung einen leckeren IngwerTee. Füllte die Tasse bis zum Rand mit Weinbrand auf. Auch wie immer. Dann zappte ich mich durchs Abendprogramm. Nichts was mich fesselte.

 

Also machte ich mich „bettfein“. Ermattet fiel ich in die weichen Kissen, legte mir meine Schlafmaske über die Augen und zog die Decke bis unters Kinn. Der Schlaf streckte sanft seine Finger nach mir aus. Herrlich. Erst einmal. Aber dann erwachte ich plötzlich … ja geradezu abrupt. Rasender Puls. Das Herz schlug mir bis zum Hals. Meine Schläfen pochten schmerzhaft. Der Mund war staubtrocken. Was war denn jetzt los?

 

… aber ich musste mich nicht besonders anstrengen, um mich zu erinnern.

Ich wusste ihn einfach. Diesen Traum, der mich mitten in der Nacht geweckt hatte. Einfach so. Senkrecht hockte ich im Bett und versuchte meine Atmung mittels Auflegen beider Hände auf meine sich heftig hebend und senkende Brust, zu kontrollieren.

Doch meine Konzentration ließ mich total im Stich. Die Gedanken schweiften ab. Verloren sich wieder in dieser nächtlichen Fantasie. Mein Herz geriet erneut außer Takt und jagte das Blut im Höchstgeschwindigkeitsmodus durch die Adern. Ich gab mich geschlagen und überließ der Erinnerung den gesamten Raum in meinem Hirn ... und so durchlebte ich nochmals diesen Traum.

 

… Ich hatte gewonnen. Sage und schreibe fünfzig Millionen Euro wurden gerade auf mein Konto überwiesen. Von irgend einer Lotto Gesellschaft. Dabei spielte ich gar nicht. Ich hatte dieses Tun durchschaut. Alles Augenwischerei. Am Ende war man sowieso der Verlierer. Wenn man alles zusammenzählte was über die Jahre investiert wurde, blieb man immer der Dumme. Aber bei mir schien es anders. Da winkten nicht nur eine handvoll Scheine … da wedelten Millionen!!!

Und bis eben war ich gedanklich beschäftigt gewesen, sie sinnvoll anzulegen. Sinnvoll!!!

Bei diesem Kriterium schieden sich natürlich die Gemüter. Der wahnsinnige Druck, der dieses Wort beinhaltete, ließ mich schon jetzt völllig zermürbt nach Luft schnappen. Sinnvoll! Aus diesem Grunde war ich wohl auch atemlos erwacht.

 

Spontan hatte ich eine Liste angelegt. Prioritätenmäßig.

Ich sollte vorsorgen. Für später. Eine Wohnung wollte ich kaufen oder doch lieber ein Haus? In dieser Gewinnhöhe wohl eher Häuser … wenn nicht gar ganze Straßenzüge. Wie anstrengend. War ich doch schon überfordert gewesen bei der Auswahl eines Bettes. Echtholz oder lieber Stahlgestänge? Nun könnte ich einen ganzen Wald erwerben und mir daraus ein Bett basteln lassen.

 

Oder lieber eine Reise. Wohin? Nach überall natürlich. Eine Weltreise. Aber ich blieb einfach ein Stubenhocker, den selbst Millionen nicht in die Ferne locken konnten. In trauter Umgebung, da fühte ich mich wohl. Also keine Reise und schon gar nicht um die ganze Welt. Erleichtert strich ich diesen Punkt wieder von der Liste. Das beruhigte mich etwas. Ich durfte nicht zuviel von mir verlangen und mein Leben völlig umkrempeln. Das nutzte niemanden und mir schon gar nicht. Ich wollte gerne bleiben, der ich immer gewesen war. Edgar, der Langweiler.

 

Neu einkleiden könnte ich mich. So richtig teuer. Ein Designer Anzug, maßgeschneiderte Hemden und handgefertigte Schuhe. Da drückte nichts mehr. Da spazierte ich wie auf Wolken. Dieser Gedanke zauberte mir ein Lächeln ins Gesicht. Endlich war ich auf dem richtigen Weg.

Und dann?

Eine Yacht vielleicht. Doch wozu? Tiefes Wasser ängstigte mich. Schon immer. Mir wurde bereits beim Tretbootfahren speiübel … und Nichtschwimmer war ich zudem auch noch. Das war einfach nicht mein Element. Genau so wenig wie die Luft.

Ich würde keine eigene Fluggesellschaft gründen und mir weder einen Hubschrauber samt Landeplatz noch ein Segelflugzeug kaufen. Soviel stand fest. Sinnloses Gedankengut, das mich nur durcheinander brachte.

 

In meinem Kopf arbeitete es fieberhaft. Was könnte ich mir noch gönnen? Einen tollen Schlitten, der dann chromglänzend vor meinem neuen Haus stünde. Er stünde da halt. Weil ich keinen Führschein besaß, um ihn mit mir zusammen von A nach B zu bewegen. Aber mit einem Fahrer wäre es möglich. Ab und zu. Wenn ich Lust hatte, eine kleine Ausfahrt zu machen.

Das wäre dann ein wenig wie Taxifahren. Nur persönlicher. Weil alles mir gehörte. Mir allein.

 

Dann herrschte Stille in meinem Hirn. Es gab keine weitere Ideen mehr her. Vielleicht war es heiß gelaufen. Vielleicht perlte deshalb der Schweiß auf meiner Stirn.

 

Besonders kreativ schien ich nicht zu sein. Beim Geldausgeben. Ein Haus, ein Anzug und keine Reise. Das war die ganze Ausbeute meiner fünftzig Millionen. Ich eignete mich nicht als Gewinner

 

Und dafür hatte mich dieser blöde Traum geweckt, mich in solch ungekannte Aufregung versetzt.

Der Schweiß lief mir jetzt rechts und links von den Schläfen und tropfte in die Schlafmaske, die mir vom Gesicht gerutscht war und jetzt an dem ausgeleierten schwarzen Gummi um meinen Hals baumelte.

 

Und trotzdem. Der ehrlichkeithalber muss ich zugeben, dass dieser Traum des Träumens wert gewesen war. Ich würde lügen, wenn mich diese ganzen Probleme nicht glücklich gemacht hatten. Wenigstens eine Zeitlang.

Was zuerst in ganz schlechtem Licht erschien, strahlte mir jetzt gleißend hell entgegen und erweckte in mir ein nie gekanntes Verlangen.

 

Fünfzig Millionen!!!

 

Erschöpft ließ ich mich in die Kissen zurücksinken. Wenn ich mich bemühte und ganz fest konzentrierte, gelangte ich vielleicht zur Wurzel dieses irren Traums.

Ich war mir sicher, dass es ein Zeichen war, das die Wende in mein Leben bringen würde. Ich musste mich nur erinnern. An den Anfang oder besser gesagt an die Zahlen, die mir dieses Glück bescheren würden.

Jetzt kannte ich mich ja aus. Mit dem Geldausgeben. Nichts konnte mich mehr überraschen oder gar erschrecken. Und seit heute nacht wusste ich genau was ich wollte …

 

… träumen

und zwar diesen einen Traum.

 

Eilig zog ich die Schlafmaske über die Augen und wartete …

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

Texte: Karin Hufnagel
Bildmaterialien: Karin Hufnagel
Cover: Karin Hufnagel
Tag der Veröffentlichung: 09.02.2018

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