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Gegen den Strom

 

 Zu gerne wäre ich dieses Wunschkind gewesen. Dieses kleine Mädchen in dem rosa Kleidchen und den ordentlich gekämmten Haaren, dem die Leute zulächelten, weil es so süß war und auf das seine Eltern unendlich stolz waren. Deshalb hatte ich mich angestrengt, diese Erwartungen zu erfüllen. Ich hatte mich bemüht, wie man sich nur bemühen konnte. Ich wollte geliebt werden. Aus tiefstem Herzen. Aber es funktionierte nicht.

 

„Meine Güte, Margot, kannst du dich nicht wie ein richtiges Mädchen benehmen?“ Die verzweifelten Worte meiner Mutter bohrten sich tief in meine Seele.

Nein, irgendwie konnte ich es nicht.

 

„Ich möchte aber nicht ins Ballett.“ Trotzig schob ich die Unterlippe vor und schüttelte heftig den Kopf.

 

Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, auf Zehenspitzen mit einem Tülldingens durch eine Turnhalle zu tänzeln. Fußball wäre interessant gewesen oder Boxen oder Karate. Natürlich schwieg ich nicht. Ich kämpfte mit loderndem Herzen dafür. Heiß und brennend – umsonst.

Trotzdem tat es mir leid. Wirklich. Mama hätte es verdient solch ein süßes Goldlöckchen zu haben, das zufrieden an ihrer Hand einher tippelte. Gierig ihre Lebensanschauung aufsaugte und ungefiltert wieder in die Welt hinaus plapperte. Ein Engelchen eben. Aber ich war der Teufel, um es mit ihren Worten zu sagen. Aus mir unerfindlichen Gründen waren meine Haare immer zerzaust, die Strumpfhosen ständig zerrissen und das gerade angezogene rosa Rüschenkleid sah schon nach wenigen Minuten schmuddelig aus. Warum nur hatte ich immer diese Widerworte und hinterfragte jede klare Anweisung nach seiner Sinnhaftigkeit? Meine Kindheit war ein immerwährender Kampf.

 

„Du bist so anstrengend, Margot. Mach doch einfach mal das, was ich dir sage.“ Die Stimme meiner Mutter klang erschöpft. Ihre Gegenwehr schien zu bröckeln.

 

Ich war wie eine Mauer, an der sich ihr Wille wund schlug. Aber im richtigen Moment den Mund zu halten, etwas hinzunehmen, das mir völlig unsinnig erschien, war praktisch unmöglich, obwohl ich es mir so sehr wünschte. Warum konnte ich mich nicht zügeln, mich selbst ein wenig zähmen. Nur ein bisschen. Das konnte doch nicht so schwer sein. Vielleicht saß wirklich ein Teufel in mir, der meinen Willen unbeugsam machte. Der mir aus purer Bosheit damit Ärger an den Hals hexte. Warum nur ließ ich mich nicht in diese Form pressen, um ihr dann später als genormter Mensch wieder zu entsteigen. Das Leben war schwer zu verstehen, so unbegreiflich in seinen Vorschriften und Regeln, die oft nur hinderlich waren und trotzdem akzeptiert wurden - von allen. Nur ich konnte es nicht. Irgendetwas war falsch mit mir. Ich war ein Versager – in jeder Hinsicht meines jungen Lebens. Eine Enttäuschung für die gesamte Familie, für meine Lehrer - praktisch für die ganze Welt. Am meisten jedoch für mich. Und so kam es wie es kommen musste, ich mutierte langsam aber sicher zum „schwarzen Schaf“.

 

Jede Familie besitzt ein schwarzes Schaf, tröstete ich mich. Auch wenn es lästig war, es gab sie, die unangepassten, unbequemen Menschen. Menschen, die nicht so waren, wie man es sich wünschte. Menschen, mit denen ich nun dieses Los teilten sollte.  Aber warum musste das gerade ich sein. Warum konnte ich nicht in der homogenen Masse untertauchen. Einfach so sein wie die meisten und zusammen mit ihnen mit dem Strom schwimmen, um ein Ziel zu erreichen. Welches Ziel überhaupt? Und schon wieder spürte ich den Widerstand in mir und ich stellte in Frage, ob es wirklich das Richtige für mich war. Mit dem Strom zu schwimmen. Der Einfachheit halber. Im Windschatten anderer vorwärts zu streben - bei minimalem Kraftaufwand. War das mein Ziel? Und waren denn unsere Ziele identisch, wir schwammen ja schließlich alle in die selbe Richtung? Fragen über Fragen, die mich mehr und mehr verwirrten. Ich versuchte, diese Unsicherheit in eine Ecke meiner Seele zu verbannen, die Luft anzuhalten und mich vom Strom mitreißen zu lassen. Erfolglos.

 

Dieser ewige Kampf, mich passend zu machen, war ermüdend. Unglaublich zermürbend. Und es gab keine Lichtblicke – keinerlei Fortschritte. Deprimiert von den ewigen Rückschlägen, diesen Fehlversuchen einer fremden Persönlichkeitsfindung, war mein Widerstand irgendwann gebrochen.

 

Jetzt war klar, ich musste sein, was ich in der ganzen Zeit und über all die Jahre nicht ändern konnte, aber nie sein wollte – das „Augenrollen“ und schließlich das „Schulternzucken“ meiner Eltern. Das schwarze Schaf der Familie.

 

In diesem Augenblick der Erkenntnis fiel etwas sehr Schweres von meinen Schultern. Und für einen Moment schwebte ich über mir. Sah mir für Sekunden selbst in die Augen und landete schließlich auf dem Grund meiner Seele - meinem Ich. Ein sehr intimer Moment, der mir die Richtigkeit meiner Entscheidung bestätigte. Trotzdem war ich nicht stolz darauf, aufgegeben zu haben. Ich hätte es gerne anders gehabt.

 

Aber nun war es eben so und ich freundete mich schnell mit dem Gedanken an, nur noch Margot zu sein. Endlich Margot sein zu dürfen. Was soll ich sagen. Das Leben zeigte sich plötzlich einfacher, freundlicher – bunter. Diesem Druck entronnen, frei von meiner eigenen Erwartungshaltung strebte ich mir entgegen, nahm mich fest in die Arme und verzieh mir, wie oder was ich war und was ich gern gewesen sein wollte. Die starren Mauern um mich herum schienen plötzlich nicht mehr unüberwindlich. Das Atmen fiel mir auf einmal viel leichter. Ich passte zwar noch immer in keine  Form, aber ich passte zu mir. Und es fühlte sich richtig an.

 

Irgendwann war ich dem rosafarbenen Rüschenkleid entwachsen. Mutter hatte längst Frieden mit mir geschlossen. Schließlich war ich ihr Kind, das trotz aller Rebellion geliebt wurde. Ohne wenn und aber.

 

„Es ist nicht immer leicht, gegen den Strom zu schwimmen“, sagte sie kürzlich nicht ohne Stolz und strich mir liebevoll über die zerzausten Locken.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

Texte: Karin Hufnagel
Bildmaterialien: Ursula Hägele
Tag der Veröffentlichung: 26.01.2016

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