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1.Vorfreude

Weißer Schnee flog in die Luft und hüllte die beiden lachenden Mädchen ein. An den Zaun gelehnt streichelten sie die Nüstern der beiden Pferde, die mit hocherhobenen Köpfen knapp vor ihnen zum Stehen gekommen waren und dabei mit ihren Hufen für den Schneewirbel gesorgt hatten. „Cloud, Rose! Benehmt euch doch“, meckerte das blonde Mädchen spielerisch. „Wenn ihr so weitermacht rutscht ihr irgendwann noch mal in den Zaun herein.“
Lachend und sich den Schnee von Jacke und Hose abklopfend, kletterte das andere Mädchen geschickt zwischen den Holzlatten hindurch und umarmte den Hals der Fuchsstute. „Pfff“, prustete sie, „Mia, du kennst doch unsere beiden. So etwas würde ihnen nie passieren.“. Grinsend folgte Mia ihrer Freundin durch den Zaun und legte dem Grauen freundschaftlich die Hand auf die Schulter.
„Stimmt. Also war es heute das Ziel uns von oben bis unten mit Schnee zu bespritzen. Obwohl unseren Schlingeln so was ja niemals einfallen würde.“
Die zwei Pferde blickten unschuldig auf die Mädchen herab. Erneut lachten die Freundinnen, zogen ihren Pferden die Halfter über und führten sie vom zugeschneiten Paddock zum Tor und von dort aus in den Stall. „Elena kannst du Cloud schnell festbinden, ich muss mir noch Stiefel anziehen.“ Fragte Mia und drückte, ohne auf eine Antwort zu warten, den Strick in Elenas Hand. Dann flitzte sie um die Ecke und zum Reiterstübchen. Mit beiden Pferden ging Elena zum Anbinder. Vielen würde das Benehmen Mias Probleme bereiten, doch die zwei Mädchen kannten sich seit dem Kindergarten und so wunderte sich Elena schon lange nicht mehr. Mit den Putzkästen in der Hand kehrte Mia schon kurz darauf zurück. Trotz der dicken Handschuhe froren Elenas Finger schon jetzt.
>​Ich sollte unbedingt diese Thermodinger mit auf meine Wunschliste setzten<, dachte sie während sie das samtige Fell von Rose putzte. „Hey! Mach nicht so ein Gesicht! Immerhin sind deine Füße warm.“, stichelte Mia und griff nach der Satteldecke. „Anstatt von anderen Handschuhen zu träumen solltest du dich lieber beeilen. Cloud und ich sind schon fast fertig!“
Ertappt in ihren Gedanken legte Elena die Bürste weg und begann zu Satteln. „Tja, es sind nur noch drei Tage bis Weihnachten. Und wenn alles klappt habe ich mich bis dahin entschieden was ich mir eigentlich wünsche. Mom ist schon am verzweifeln, weil ich alle fünf Minuten meine Wünsche ändere. Obwohl sie sich da inzwischen dran gewöhnt haben sollte, ist ja jedes Jahr das gleich mit mir.“
Eine Minute später saßen die beiden Mädchen auf und lenkten ihre Pferde auf den Feldweg der vom Hof runter und ins Gelände führte.
„Wir haben noch eine halbe Stunde“, überlegte Mia laut. „Dann ist Anprobe bei Tine. Ich glaube es ist besser, wenn wir den Weg am Fluss entlang nehmen. Das ist wesentlich schneller als durch den Wald und wir wollen doch nicht zu spät kommen“. Elena stimmte ihr zu, dann trieben sie ihre Pferde in einen lockeren Trab, blieben aber nebeneinander um sich weiterhin unterhalten zu können. Der Schnee dämpfte die Geräusche die die Hufe machten, ebenso wie das Geräusch des Leders der Sättel und das Lachen der beiden Reiterinnen. Der Weg den sie gewählt hatten wurde zuerst von Hecken gesäumt, bis diese sich nach einer Biegung lichteten und ein kleiner Fluss, der fast vollständig zugefroren war, leise daneben herfloss.
„So, nun sag schon. Hat Matt dich endlich gefragt?“. Mias Frage durchbrach die Stille dies sich seit einigen Minuten ausgebreitet hatte. Elena wurde rot. Matt war so etwas wie ihr Freund. Nur halt nicht ganz. Sie waren schon seit mehreren Jahren befreundet, seit dem ersten Tag an der High School. Doch vor etwa zwei Monaten hatte ihre Freundschaft angefangen sich zu ändern. Sie hatten sich ins Kino oder zum Essen zu verabredet, was normalerweise Mia mit einschloss, nun jedoch nicht mehr so häufig vorkam. Auch trafen sie sich öfters alleine um spazieren zu gehen oder anderswo Zeit miteinander zu verbringen. „Ja“, gab Elena nun zu und ihre von der Kälte schon rosigen Wangen wurden noch etwas roter. „Gestern Abend. Er ist nach dem Footballtraining noch bei mir vorbeigekommen und hat mich gefragt. Dabei hat er so verunsichert gewirkt. Als ob ich jemals nein hätte sagen können!“.
Mia quietschte vergnügt und beugte sich hinüber zu ihrer Freundin um sie zu umarmen. Cloud drehte seinen Kopf und verlangsamte kurz das Tempo, marschierte dann aber weiter, als Mia nicht drohte aus dem Sattel zu rutschen. Dann richtete sich Mia wieder auf. „Und? Hat er dich geküsst“, bohrte sie weiter, mit leuchtenden Augen die Elena nach mehr Informationen heischend anguckten.
„Nein“, druckste diese rum „aber ich glaube er wird es auf dem Winterball machen“. Mia quietschte erneut und warf die Arme noch einmal um Elena. Cloud und Rose blieben diesmal stehen. Elena spürte, wie ihre Wangen bei diesem Geständnis brannten. Na toll, dachte sie, langsam sehe ich aus wie Moms rote Weihnachtskugeln!
„Treffen wir uns dann Freitag und du hilfst mir mit meinen Haaren“, fragte sie, um von dem Thema Matt, sie und dem bisher nicht stattgefundenen Kuss abzulenken. Dabei griff sie demonstrativ in ihr hüftlanges, dunkelrotes Haar, welches ohne Sonne fast schwarz wirkte. Mia sprang sofort darauf an und begann genau zu erklären was sie damit vorhatte. Sie trieben ihre Pferde wieder an und kurz darauf erreichten sie Lonesdale, das kleine Nachbarsdorf, wo Tine eine Schneiderei besaß. Sie ritten in den kleinen Hof der zu dem Gebäude gehörte und brachten Cloud und Rose in zwei Boxen. Dann gingen sie in das niedliche Fachwerkhaus. Im unteren Teil befand sich die Schneiderei, sowie eine kleine Küche. Oben war die Wohnung von Tine.
Mia öffnete die Hintertür und die zwei Mädchen betraten die warme Küche. Rechts von ihnen befand sich eine Theke mit Waschbecken und Herd. An der angrenzenden Wand standen ein Backofen und der Kühlschrank. Auf der linken Seite lagen Kekse auf dem Küchentisch, die einen weihnachtlichen Geruch verströmten. Um den Tisch standen bequeme Stühle. Die gesamte Küche war in hellen freundlichen Holztönen gehalten.
„Elena, Mia! Seid ihr das?“, rief eine Stimme aus dem vorderen Bereich des Hauses. Ohne auf eine Antwort zu warten fügte sie hinzu: „Wascht euch die Hände und dann kommt her. Ich habe hier schon heiße Schokolade für euch!“. Die beiden Freundinnen grinsten sich an und liefen durch eine der beiden Türen die aus der Küche hinaus führten, kletterten die Treppe hoch, welche sich dahinter befand und verschwanden kurz im Bad. Auf dem Rückweg legten sie ihre Jacken, Schals, Handschuhe und Mützen auf einen Stuhl und zogen sich die Schuhe aus. Durch die zweite Tür traten sie in den Laden. Die Teile der Wände, die man noch sehen konnte, waren durch eine Wischtechnik in verschieden Orangetönen gehalten, die man auch in dem flauschigen Teppich wiederfinden konnte. Der gesamte Raum war mit Kleidern vollgestellt. In dem großen Schaufenster trugen drei Schaufensterpuppen bodenlange Träume in weiß. Entlang der Wände säumten sich farbenfrohe Kleider, an Haken befestigt oder hie und da von Puppen getragen. Gegenüber des Schaufensters führte eine Tür in Tines Arbeitsraum. Daneben waren gelbe Vorhänge angebracht, die sich als Umkleidekabine schließen ließen.
In der Mitte des Raums stand ein Tisch mit verschiedenen Accessoires. Taschen, Schleifen, Hüte, Ketten und anderer Schmuck. Schuhe standen in einem langen Regal hinter der Kasse im linken Teil des raums aufgereiht. Der geschlossene Kamin rechts davon verströmte eine wohlige Wärme. Ein Sofa und zwei Sessel in tiefem rot standen um einen eleganten Couchtisch herum davor. Darauf stand eine Schale Kekse und drei dampfende Tassen Kakao.
Auf dem Sofa saß eine mollige, brünette Frau und lächelte die zwei Mädchen an. „Na ihr! Ihr seht ja ganz durchgefroren aus. Setzt euch.“, begrüßte sie die zwei.
„Hallo“, sagten Mia und Elena und setzten sich auf die Sessel. Elena griff nach einer Tasse Kakao und wärmte ihre kalten Finger an dem heißen Porzellan. „Sind die Kleider fertig geworden“, wollte Mia sogleich wissen. Tine sah Mia verschwörerisch an, dann sprang sie auf und verschwand in ihrem Arbeitszimmer. Die beiden Mädchen grinsten sich kurz an, sprangen dann auf und folgten Tine. Auf einem Tisch türmten sich Stoffreste, mehrere Ballen Stoff waren unter dem Tisch und an der Wand gestapelt. Tine stand neben dem Fenster und griff hinter einen Plastikvorhang. Sie zog eine dunkle Kleiderhülle hervor und reichte sie Mia. „Das hier ist deins. Geh nach vorne und probier es an. Wenn noch was geändert werden muss mach ich das gleich, dann müsst ihr morgen noch mal kommen und sie euch abholen.“
Mia drückte das Kleid an sich und lief zu den Kabinen. Tines Hand verschwand erneut hinter dem Vorhang und zog eine weitere Kleiderhülle hervor. „Das ist deins. Zieh es an!“
„Wegen der Änderungen...die Kleider sind von dir! Da ist alles perfekt.“, murmelte Elena, bezaubert von der Stofhülle, die Tine ihr in die Hände drückte.
Tine legte lachend einen Arm um Elenas Schultern und die beiden folgten Mia, zurück in das Geschäft. In der Kabine öffnete Elena die Hülle, die das Kleid schützte. Grüne, glänzende Seide glitt hervor. Vorsichtig zog sie den Reißverschluss ganz auf und nahm das Kleid heraus. Staunend betrachtete sie den weichen Stoff und die eingearbeiteten goldenen Fäden. „Wow, Tine du hast dich selbst übertroffen!“, rief sie nach vorne und steckte den Kopf durch den Vorhang. Tine gluckste und winkte ab. „Hey, es ist doch meine Arbeit. Das kann doch nur perfekt sein!“. Trotz des amüsierten Tones wusste Elena das Tine stolz war.
Aus der Kabine neben ihr trat Mia. Sie trug ein schwarzes Kleid das ihr bis zu den Knöcheln reichte. An Brust, Hüfte und Taille war der Stoff eng geschnitten, an dem tiefen Ausschnitt waren weiße Perlen angesetzt. „Es ist toll.“, schwärmte Mia. „Die Farbe passt so gut zu meinen Haaren.“ Sie hob ihr schulterlanges Haar an und drehte sich vor dem Spiegel, den Tine geholt hatte. „Die ganze Welt wird dir zu Füßen liegen.“, grinste Elena.„Hey! Du hast dich ja noch gar nicht umgezogen! Marsch Marsch!“,bemerkte Mia da. „Ja, Herr General!“.Elena salutierte und zog lachend den Kopf zurück in die Kabine.
Kurz darauf trat sie aus ihr heraus und stellte sich vor den Spiegel. „Oh mein Gott! Elena! Du siehst toll aus“, hauchte Mia, die noch immer ihr Kleid trug. Elena sah in den Spiegel. Das grüne Kleid fiel bis auf den Boden, um die eng geschnittene Taille wand sich eine silberne Band. Vorne, von Taille bis zum Ausschnitt kreuzten sich zwei weitere Bänder und waren oben mit einer Schleife verbunden. Die Ärmel, die die Schultern frei ließen, waren am Oberarm eng anliegend und weiteten sich dann, bis sie in weich fallenden Wogen ihre Hände umspielten. Auch sie waren mit silbernem Band geschmückt. Das glatte Haar reichte Elena bis zu Hüfte und verdeckte ihren freien Rücken. Elena hob den Rock ein wenig und drehte sich vor dem Spiegel.
„Du siehst aus wie eine Fee. Deine Augen haben wirklich die gleich Farbe wie das Kleid“, sagte Tine und lächelte ihr zu. „Oh, stellt euch zusammen! Ich will ein Foto machen!“.
Elena hob die Hand und umfasste den roten Stein ihrer Kette der zwischen ihren Brüsten ruhte und sah an sich herunter. „Mhh, ich muss wohl hohe Schuhe tragen. Ansonsten werde ich beim Tanzen auf das Kleid treten“, überlegte sie laut.
Tine kam zurück, in ihrer Hand eine kleine Kamera. „Ok Mädels. Rückt zusammen und lächelt. Das wird ein tolles Werbefoto.“. Mia und Elena sahen sich an und setzten ihr schönstes Fotolächeln auf.
Wenig später saßen die drei wieder an um den Couchtisch herum, alle einen Becher Kakao in der Hand und knabberten Kekse. „Ihr seid mit den Pferden hier, richtig?“, fragte Tine. Elena nickte. „Ja, die beiden stehen im Stall. Wir wollten dieses Wetter unbedingt nutzen und noch ein wenig ausreiten. Deshalb haben wir das Reiten und dich einfach miteinander verbunden“. „Genau.“, stimmte Mia ihr zu. „Außerdem sind unsere Eltern unterwegs und hätten uns nicht herbringen können. Und Ty ist auch nicht da“, sagte sie und schloss somit ihren Freund und Elenas älteren Bruder mit ihn ihre Aufzählung ein. „Tja und für Fahrräder ist es doch ein wenig zu kalt.“.
Tine nickte und wechselte das Thema. „Am Freitag ist der Ball. Habt ihr jetzt eure Outfits fertig?“. Wie jedes Jahr veranstaltete die New Hills High School am Abend vor Heilig Abend den Winterball. >Dieses Jahr bin ich das erste Mal dabei<, dachte Elena. Der Ball war für die älteren Schüler gedacht und im letzten Jahr war sie mit ihren Eltern und ihrem Bruder in der Rocky Mountains gewesen. In zwei Tagen würde sie in ihrem wundervollen Kleid zusammen mit Mia, Ty und Matt zu der geschmückten Sporthalle fahren und sich einen Abend lang einfach nur amüsieren. Keine Gedanken mehr an den bevorstehenden Schulabschluss, die Bewerbungen fürs College und andere Zukunftsplanungen. „Ich glaube ich habe alles“, überlegte Mia. „Ich hab meine schwarzen High Heels und die Perlenkette mit Ohrringen und dieses süße kleine Jäckchen, das wir im Sommer gekauft haben. Na ja, ich weiß nur nicht ob ich die Tiara mit ins Haar machen soll, oder ob das zu übertrieben wäre...“.
Nachdem Tine und Elena ihr zugesichert hatten, das die Tiara perfekt passen würde und Elena ebenfalls bestätigt hatte, ihre Abendgarderobe sei vollständig, standen alle drei auf und gingen hinüber in die Küche. „Ich bin dir so dankbar. Die Kleider sind toll und wir werden die Schönsten auf dem Ball sein“, sagte Mia und umarmte Tine. Auch Elena drückte die ältere Frau und die beiden Mädchen begannen sich wieder ihre Winterklamotten anzuziehen. Tine ging noch einmal nach vorne und kam mit zwei weißen Beuteln in der Hand zurück. Sie legte sie vorsichtig auf den Tisch. „Hier sind eure Kleider. Seid schön vorsichtig, damit sie beim Reiten nicht zu sehr zerknittern und hängt sie bei euch zu Hause gleich in die Dusche, damit sie glatt werden“.
Die Mädchen nahmen die Beutel und bedankten sich erneut. „Ach Elena,“, begann Tine, als die beiden schon durch die Tür wollten. Sie öffnete eine der Schubladen an der Theke und durchwühlte sie. Dann drückte sie Elena ein paar gefütterte Lederhandschuhe in die Hand. „Ich hab bemerkt wie kalt deine Finger waren als du hier angekommen bist. Bring sie mir nach Weihnachten zurück.“. Elena lächelte. „Danke, ich hab schon halb mit erfrorenen Fingern gerechnet“, meinte sie scherzhaft.
Dann waren sie draußen und im Stall. Nun ohne kalte Finger und aufgewärmt durch Kakao und Kaminfeuer sattelten sie ihre Pferde. Beide hatten an ihre Westernsättel Packtaschen angeschnallt, in die sie nun die KLeidereutel hineinlegten. Elena zog den Gurt an und folgte Mia hinaus auf den Hof. Es hatte wieder zu schneien begonnen und Elena lachte erheitert auf als Mia ausrutschte und sich nur vor einem Sturz retten konnte indem sie sich am Sattelhorn festhielt. Im nächsten Moment rutschten ihre eigenen Beine weg und sie landete unsanft auf ihrem Hintern. Nun war es an Mia zu lachen und sie ging ebenfalls zu Boden. Etwas später, als sich die beide wieder beruhigt und aufgerappelt hatten, führten sie ihre Pferde vom Hof und stiegen am Straßenrand auf.
„Lass uns zurück durch den Wald reiten. Da ist der Wind nicht so heftig“, schlug Mia vor, kichernd nickte Elena und sie trieben Rose und Cloud im Schritt die Straße hinunter.
Zuerst waren die Wege im Wald in Ordnung. Eine leichte Schneeschicht überdeckte den geschotterten Boden und die Mädchen ließen Cloud und Rose am Rand gehen, wo der Boden zwar gefroren, aber dennoch weicher war. Doch als die Beiden von der Schotterstraße Richtung Reitstall auf einen unbefestigten Weg abbogen, wurde es schwieriger. Reifen hatten tiefe Spuren im Boden hinterlassen und diese waren festgefroren und zum Teil mit Schnee und Eis gefüllt. Elena ließ Rose hinter Cloud fallen und das Gespräch der beiden verstarb nach und nach. Sie lockerte die Zügel, damit Rose ihren Kopf weiter senken und sich selbst den besten Weg suchen konnte. Eine Weile ritten sie schweigend hintereinander. >Mist<, dachte Elena, >daran haben wir nicht gedacht. Die Wege sind total zugefroren.<
Im Wald war es relativ still. Nur selten hörte man einen Specht klopfen oder einen anderen Vogel zwitschern. Mia nieste, ein Hase, der sich hinter einem Busch versteckt hatte, sprang erschrocken auf und hoppelte davon. Cloud scheute leicht und Rose blieb stehen. Mia drehte sich um. „Wollen wir hier einfach abkürzen? Der Weg wird nicht besser und wenn wir hier links reiten kommen wir schneller zum Stall. Meine Füße sind kalt.“. „Machen wir das“, antwortete Elena und lenkte Rose hinter Cloud vom Weg. Hier war es wesentlich besser. Keine Furchen zogen sich durch den Boden. Die Pferde mussten nur über einige Äste klettern und durch kleine Kuhlen laufen.
Rose hob den Kopf und spielte nervös mit den Ohren. Sie drehte ihren Kopf in beide Richtungen um nach hinten zu sehen und Elena merkte wie sie sich verspannte, den Schweif einklemmte und den Rücken durchdrückte. „Hey Mäuschen was ist den los“, Elena beugte sich vor und strich sanft über den kupferfarbenen Hals. Sie richtete sich wieder auf als ihre Stute sich ein wenig beruhigte und sah nach Mia und Cloud. Der Wallach war vollkommen ruhig geblieben und stapfte weiter durch den Schnee. Im Wald war es noch immer still und Elena zuckte mit den Schultern. Vielleicht hatte Rose eine Maus hinter sich gehört, oder auf einem der Wege waren Spaziergänger unterwegs.
Im ersten Moment dachte Elena Rose wäre gestolpert. Dann jedoch spürte sie wie der Boden laut krachend unter ihr nach gab. Rose rutschte zurück und stieg. Elenas Augen weiteten sich vor Schreck, dann kippte das Pferd. Elena sah noch, wie Mia herumfuhr und ihren Namen schrie, spürte wie ihr Mund sich zum Schrei öffnete und die Erdmassen um sie stürzten. Dann wurde alles schwarz um sie.


2. Verloren

Ein Schnauben an ihrem Ohr. Elena stöhnte. Ihr Kopf tat so weh und sie wollte wieder schlafen. „Mom, bitte. Noch fünf Minuten!“, sagte sie und war trotz ihres Dämmerzustandes überrascht, wie rau und schwach ihre Stimme klang. Sie drehte sich auf die andere Seite und hob die Hand an die Schläfe, als der Schmerz in ihrem Kopf sich verstärkte. Jemand stupste sie an die Schulter und etwas kaltes fiel auf ihre Wange. Mit einem Ruck richtete Elena sich auf und öffnete die Augen. Die Welt drehte sich und ihre Kopfschmerzen ließen sie zurücksinken. Langsam klärte sich ihr Blick. Kupferfarbene Nüstern strichen über ihr Gesicht. „Rose“, sagte sie. Sie stütze ihre Hände auf den Boden- Schnee, verdecktes Laub und ein wenig Eis- und richtete sich vorsichtig auf. Die Quarter Horse Stute stand neben ihr. Die Zügel hingen von ihrem Hals und Elena sah eine kleine Schramme direkt über der linken Nüster. Sie war alt. Vor einer Woche hatte sie sie entdeckt, jetzt wuchs schon wieder ein wenig Fell über der neuen Haut. Da es ihrem Kopf scheinbar besser ging stand Elena auf. >Nicht zu schnell<, warnte sie sich.
Dann sah sie sich um. Der Boden war komplett mit Schnee bedeckt, die eingestürzte Erde und Mia waren nirgends zu sehen. >Aber ich bin noch im Wald<, dachte Elena. >Die Bäume hier sind zwar etwas größer als dort wo wir eben waren, doch weit können wir nicht sein. Rose muss durchgegangen und ich irgendwann runtergefallen sein. Da hab ich mir bestimmt den Kopf angeschlagen, deshalb auch die Kopfschmerzen.<
„Mia“, rief sie. „Mia, bist du hier irgendwo? Mia!“. Keine Antwort. Die hohen Tannen um das Mädchen schluckten die Geräusche. Sie befand sich auf einer Lichtung in deren Mitte ein einzelner umgefallener Baum lag. „Verdammt. Rose, wo sind wir“, wandte sie sich hilflos an ihre Stute. Diese sah sie mit großen Augen an und stupste dann, wie sie es auch schon getan hatte, als Elena auf dem Boden gelegen hatte, gegen ihren Arm. „Na gut, du weist es also auch nicht.“ Sie seufzte und ging zu den Satteltaschen, die noch an dem Sattel waren. Als sie die Schnallen öffnete bemerkte sie den Dreck der an Tines Handschuhen klebte. Als sie an sich hinuntersah, bemerkte sie, das ihre gesamte Kleidung ähnlich aussah. Auch das noch... , dachte sie. Auch Rose Beinen, Brust und Flanken waren mit Erde verschmiert. „Na, da werde ich dich nachher aber noch einmal ordentlich putzen müssen“, seufzte sie. Sie zog die Handschuhe aus und öffnete die Packtaschen.
Sie kramte ein wenig darin herum, dann nahm sie ihr kleines grünes Handy heraus. Sie klappte es auf und sah auf den Bildschirm. „Das glaub ich einfach nicht“, rief sie mit Tränen in den Augen. Der Balken mit dem Akku war zwar noch halb voll, doch gab es keinen Funken Empfang. Nichts, Nada, Niente. >Na gut, dann reite ich eben weiter. Irgendwann werden wir auf einen Weg kommen und dann kann ich mich orientieren.<
Bevor sie aufstieg strich sie über Roses Beine, um nach Schwellungen und warmen Stellen zu suchen. >Glück gehabt<, dachte sie, als sie kein fand. Dann machte sie den Sattelgurt fester und schwang sich auf die Stute auf. Am losen Zügel lies sie das Pferd vorwärts gehen.
Wenn jemand weiß, wo lang es nach Hause geht, dann sie.
Die Lichtung war schnell überquert und Rose marschierte zwischen zwei Tannen hindurch, die weit auseinander standen. Dahinter befanden sich weitere Nadelbäume, allesamt groß, die Wurzeln brachen aus dem Boden hervor und reichten mehr als einen Meter in die Höhe. Elena sah Wurzeln, so dick wie ihre Taille. „Rose, wo hast du uns nur hingebracht“, fragte sie in die Stille hinein. >Wie lange bin ich eigentlich bewusstlos gewesenEs hatte einen Ruck gespürt. Die Atmosphäre hatte sich für einen winzigen Augenblick verändert, zu kurz um von den Alten bemerkt zu werden- sie konzentrierten sich im Moment eh auf andere Dinge. Doch das Wesen hatte es bemerkt. Es war darauf trainiert worden, jede noch so kleine Veränderung zu bemerken und sich sofort auf den Weg zu machen und zu erkunden. Dunkle Schwingen trugen es nun durch die Luft. Mit seinen geistigen Fühlern tastete er nach weiteren Stößen, doch es konnte nichts fühlen. Aber der eine Ruck hatte gereicht. Dunkelheit hüllte es ein, als es sich mit rasender Geschwindigkeit dem Ursprung näherte. Sie waren so töricht zu glauben sie könnten ihm entkommen. Er, der ihn geschaffen hatte war zu machtvoll, um von ihnen bezwungen zu werden.
Unter ihm verschwamm die Landschaft. Alles wurde eins, keine Pflanzen wuchsen hier, nur weiß. Die Sonne ging unter, tauchte die Fläche zuerst in einen gelben, dann goldenen und roten Schimmer, bis sich Schwärze über alles legte. Am Himmel leuchteten die Sterne, doch noch war kein Mond zu sehen.
Das Wesen achtete nicht auf seine Umgebung. Sein einziges Ziel war ihm gegeben worden. Und es würde alles tun, um es zu erreichen. Der Drang der es zog, ließ es noch schneller fliegen. Es durfte keine Zeit verlieren, zu viel stand auf dem Spiel. In ihm zerrten Flammen, die alle anderen Triebe verbrannten und nur den Wunsch ließen, seine Aufgabe zu erfüllen. Da veränderte sich die Atmosphäre erneut. Das Wesen kniff die Augen zusammen. Zweimal, was bedeutete das? Kamen sie alle zur selben Stelle? Das wäre zu einfach und etwas in seinem Inneren flüsterte ihm die Antwort. Ja, es wäre zu einfach. So viel Macht besaßen sie nicht. Vielleicht vor langer Zeit. Doch sie hatten ihre Kräfte verkümmern lassen und nun bemerkten sie sie nicht einmal... Das selbe Etwas in seinem Inneren lenkte die Gedanken des Wesens zurück auf die Aufgabe. Beeile dich! Sonst finden sie sie zu erst!
Es konzentrierte sich wieder.
Finde die Spur! Erfülle, wozu du geschaffen wurdest.
Es korrigierte seine Flugrichtung leicht und schon bald erreichte es die ersten Bäume. Es überflog sie und strich durch die Luftlinien weiter zu dem Ort, an dem es die Veränderung gespürt hatte. Dann roch es etwas anderes. Salzig und metallisch, mit einem Hauch von Wildheit. Blut, flüsterten seine Gedanken. Es zog Kreise über der Stelle, wo der verlockende Geruch am stärksten war. Verzweifelt regte sich das Etwas in seinem Inneren. Mit lockenden Worten versuchte es das Wesen zu beruhigen, auf seine Aufgabe zurückzulenken, doch vergeblich. Die Kreise des Wesens wurden immer enger und es wollte schon hinabstürzen und seine Beute packen. Da drang ein anderes Geräusch in sein Bewusstsein. Ein klirrendes Rauschen. Es hörte sich an, wie das Splittern kleiner Eisschollen und einen leichten Windhauch. Das Wesen brach in Panik aus. Es flatterte wild mit seinen Flügeln und schrie verzweifelt als das Etwas aus seinem Inneren gewaltsam die Kontrolle über den Körper des Wesens übernahm. Unentwegt flüsterte es: Flieh!
Das Wesen schoss wieder in die Höhe, dann bewegte es seine Flügel so schnell wie möglich um von diesem Ort und seinem Feind zu entkommen.




Es war dunkel geworden und zu dem Schneefall war noch ein heftiger Wind gekommen.
Elena saß auf Rose und ritt im Schritt entlang einem kleinen Wasserlauf. Er war nicht groß genug, um der Fluss zu sein, an dem sie erst heute Nachmittag mit Mia entlang gekommen war. Sie zitterte immer noch, wenn sie an den gellenden Schrei dachte, den sie bei ihrer Flucht von den Spuren im Schnee gehört hatten und der sich ganz und gar nicht menschlich angehört hatte. Rose hatte bei dem Geräusch noch an Tempo zugelegt und es hatte einige Zeit gedauert, bis sie die Stute wieder hatte beruhigen können.
Sie hatte die Hände in die Jackentaschen gesteckt und die Schultern hochgezogen. Ihre Füße froren und ihre Wangen und ihre Nase brannten vor Kälte.
Mia ist nirgendwo hier. Und ich weiß immer noch nicht, wo ich bin. Elena hatte immer wieder ihr Handy kontrolliert, doch hatte sich nichts verändert- kein Empfang. Sie spürte wie ihre Augen immer wieder zufielen und ihr Magen rumorte. Sie war hundemüde und hungrig. Außer einem Toast am Morgen und ein paar Keksen bei Tine am Nachmittag hatte sie heute noch nichts gegessen. Zusammen mit Mia war sie gleich nach der Schule zu den Pferden aufgebrochen. Oh Mia! Bestimmt bist du schon zuhause und holst Hilfe. Rose wurde langsamer, trotz ihrer weitaus besseren Sicht konnte die Stute ihren Weg nun auch nicht mehr so leicht finden. Elena stieg ab und streichelte den Hals des Tieres. Sie gähnte und sah sich um. Noch immer umgaben sie Tannen, doch der Schnee reichte Elena nun schon bis zur Mitte der Wade. Der kleine Bach machte vor ihr eine Biegung. Sie nahm die Zügel und stapfte los. Mehrmals rutschte sie aus und fiel, doch sie kämpfte sich weiter bis zu der Biegung. Wenigstens ist mir jetzt wieder wärmer, dachte sie. Der tiefe Schnee und die Verzweiflung ließen sie nach Luft schnappen. Dabei bemerkte sie etwas. Ein Schatten, auf der anderen Seite des Bachs, halb hinter einer Tanne verborgen. Das ist doch nicht etwa... , schöpfte sie Hoffnung. Eine Hütte! Ich glaub es nicht. Eine kleine Waldhütte! Ohne weiter zu überlegen trat Elena näher an das Wasser und schnalzte, damit Rose aufmerksam wurde. Dann sprang sie. Sie hatte die Entfernung jedoch falsch eingeschätzt und landete mit einem Fuß im eiskalten Nass. Sofort schoss das Eiswasser in ihren Stiefel und Elena drohte erneut das Gleichgewicht zu verlieren. Im letzten Moment bekam sie den Steigbügel zu fassen und hielt sich fest.
Bibbernd zog sie den Fuß aus dem Bach raus und marschierte sogleich weiter durch den Schnee und auf die Hütte zu.
Sie war nicht sonderlich groß und größtenteils von Schnee bedeckt. Neben der Tür war ein kleiner Kasten angebracht, der an einen Briefkasten erinnerte. Elena legte die Zügel auf den Boden und strich Rose über die Stirn. Die Stute wirkte nicht so, als würde sie weglaufen wollen. Dann öffnete sie die Tür. Sie knarrte und klemmte, Elena musste sich anstrengen um sie einen weit genug aufzuziehen, sodass sie sich hindurch quetschen konnte.
In der Hütte war es nicht sonderlich wärmer, doch war es windgeschützt und die Schneeflocken wurden abgehalten. Der Raum war noch kleiner als er von außen den Anschein hatte, es passten gerade ein Bett und ein Schrank hinein. An drei der Wände erkannte Elena Regale, in denen Kupferschüsseln standen. In eine der Wände war ein steinerner Kamin eingesetzt, daneben war Holz aufgestapelt und ein Schürhaken hing darüber. Neben dem Bett war eine schmale Tür. Elena zog diese auf. Sie lies sich viel einfacher öffnen, als die Erste. Während der Raum aus dem Elena kam, noch ein kleines Fenster hatte, welches etwas Licht hinein ließ, war dieser stockduster. Elena nahm ihr Handy aus der Tasche und nutzte die Bildschirmbeleuchtung als Lichtquelle. Dieser Raum war fast noch kleiner als der Wohnraum. Er war aber auch beinahe leer. An einer Seite Standen zwei Kisten, sowie die gleiche Anzahl Säcke. Sah sie da Heu und Stroh?
Etwas verschwommen erkannte sie in dem matten Licht eine Harke und eine Schaufel, sowie drei gestapelte Eimer, aus dem obersten ragte ein Seil hervor. Gegenüber der Tür war ein etwas größeres Scheunentor. Sie probierte es aus. Wie bei der ersten Tür dauerte es ein wenig bis sie es öffnen konnte.
Sie kickte den Schnee weg und lief außen um die Hütte, zurück zu Rose. Das Pferd döste mit hängender Unterlippe und hatte sich keinen Schritt gerührt. Als Elena um die Ecke kam, zuckte die Stute mit einem Ohr. Elena nahm die Zügel und führte Rose in den hinteren Teil der Hütte. Dort nahm sie Sattel und Trense ab und legte beides in ein Ecke. Sie schloss das Schiebetor halb, mit dem Seil versperrte sie die andere Hälfte.
In einer der Kisten fand sie eine alte Decke, die sie über Rose Rücken warf. In der anderen war Hafer. Sie füllte etwas davon in einen Eimer und stellte diesen Rose hin. In den beiden Säcken waren wirklich Heu und Stroh. Sie legte ein paar Handvoll Stroh auf den Boden und häufte staubiges Heu daneben. Sie war erschöpft, trotzdem nahm sie einen weiteren Eimer und stapfte, ihr Handy weiterhin als Licht benutzend zum Bach, füllte Wasser in den Eimer. Sie kniete sich neben den Bach und schöpfte mit der Hand ein wenig Wasser zum Trinken, dann stand sie auf und brachte den Eimer zurück in den kleinen Stall. Rose hatte sich bereits über das Futter hergemacht und trank nun gierig einige Schlucke Wasser. Gähnend klopfte Elena ihr auf den Rücken, und trat durch die schmale Tür zurück in den anderen Raum. Ihr Magen knurrte nun und Elena durchstöberte die Regale. Die meisten der Schüsseln waren leer, doch in einigen fand sie dünne ledrige Scheiben. Pökelfleisch. Sie zuckte mit den Achseln. Als sie in das zähe Fleisch hineinbiss erinnerte sie sich an einen Spruch, den Mia immer zu dem Essen in der Schulcafeteria sagte. In der Not frisst der Teufel eben Fliegen.
Nachdem sie ein wenig gegessen hatte, überlegte sie kurz, ob sie ein Feuer in dem Kamin anmachen sollte, doch im Moment war sie viel zu müde, um sich auf die Suche nach Streichhölzern zu machen. Auf gut Glück klappte sie den Kleiderschrank auf und fand sogleich mehrere gefaltete Decken. Sie rochen muffig, würden sie jedoch warm halten. Völlig ermattet ließ sie sich auf die harte Matratze des Bettes fallen, legte die Decken über sich und schlief sofort ein.
Am nächsten morgen war der Akku des Handys fast leer. Elena stellte es aus, sie hatte hier eh keinen Empfang und so konnte sie noch ein wenig Energie sparen. Das Licht, das in den Raum fiel war noch matt, die Sonne war erst vor kurzem aufgegangen. Sie gab Rose noch etwas Heu und Hafer, dann begann sie die Hütte genauer zu erkunden. Der Besitzer schien ein ziemlicher Einsiedler zu sein. Oder er liebte es einfach rustikal. Es gab keine Küche. Die einzige Möglichkeit zu kochen bestand aus einem Metallrost, das in den Kamin gehängt werden konnte. Elena durchstöberte die Regale auf der Suche nach Streichhölzern um den Kamin anzuzünden. Unter den Decken war ihr zwar wieder warm geworden, doch der Raum selbst war kalt. In den Schüsseln, die in den Regalen standen, fand sie eine Menge Pökelfleisch, ein altes Stück Käse, sowie einen braunen weichen Kuchen, der in ein Tuch geschlungen war. Sie wunderte sich ein wenig, das er nicht schlecht oder hart geworden war, denn nichts in der Hütte deutete darauf hin, dass hier in letzter Zeit jemand gewesen wäre.
In einem der Regale stieß sie auf einen seltsamen Ledernen Schlauch, der sich mit einem Stöpsel- Elfenbein?- schließen ließ. Elena vermutete, dass es sich hierbei um einen altertümlichen Wasserschlauch handelte. Sie sah im Schrank nach, konnte aber auch hier keine Streichhölzer entdecken. Stattdessen fand sie eine große Holzschüssel und einige Stofffetzen. In dem Schrank waren noch einige Hemden, alle aus grobem Stoff mit Schnüren an Halsausschnitt und Handgelenken, ein paar große Handschuhe, eine weite Stoffhose in schwarz und ein dunkler Umhang mit Kapuze.
In einer Ecke fand sie eine zugespitzte Feder, ein paar Schnipsel vergilbtes Papier und ein kleines Tintenfass. Es gab keine Waschmöglichkeiten, keine Haarbürste oder ähnliche Waschsachen. Alles in dieser Hütte wirkte, als würde es mindestens aus einem vorangegangenen Jahrhundert stammen.
Sie nahm einige Stofffetzen und verließ die Hütte. Draußen hatte es aufgehört zu schneien. Der Wind hatte sich gelegt und es kam Elena schon wärmer vor. Da alle Spuren über Nacht verschwunden waren, lief sie durch den tiefen Schnee zum Bach. Dort klatschte sie sich ein wenig von dem eisigen Wasser ins Gesicht und trocknete sich schnell mit dem mitgebrachten Stoff ab. Dann packte sie die Sachen zusammen und ging zurück in die Hütte, um ein improvisiertes Frühstück zu sich zu nehmen. Da sie dem Pökelfleisch früh am Morgen nicht sonderlich viel abgewinnen konnte knabberte sie ein wenig an dem erstaunlich süßem Kuchen und setzte sich auf das Bett.
Sie musste nachdenken. Irgendwie war sie Mitten im Wald gelandet. Sie hatte keine Ahnung wo sie war und die Chance, dass Mia und die anderen sie bald finden würden, schätzte sie nicht sonderlich hoch. Schließlich haben sie es gestern ja auch nicht geschafft und alle Spuren, die vielleicht noch zu finden waren, waren jetzt zugeschneit.
Sie könnte hier in der Hütte bleiben, doch für wie lange würde das gehen? Entweder würde sie irgendwann erfrieren, oder das Essen würde leer werden. Die andere Möglichkeit wäre, weiterzureiten und nach einer der Straßen zu suchen. Trotz der Größe waren die Wälder rund um ihr Zuhause recht übersichtlich und von Wegen durchzogen. Wenn sie immer in eine Richtung reiten würde, würde sie irgendwann auf einen dieser Wege stoßen. Aber dabei musste sie auch an die riesigen Spuren denken und das Blut das sie entdeckt hatte, und dann noch dieser Schrei...
Auch wenn das beunruhigend war entschied Elena sich dafür weiterzureiten. Sie aß das Stück Kuchen auf, dann schwang sie die Beine vom Bett und ging zu Rose. Ihre Haare waren total verwirrt, das war der Nachteil an der Länge. Doch in der Kiste, in der sie auch die Decke für Rose gefunden hatte, fand sie eine harte Bürste und einen Kamm. Damit befreite sie ihr Haar von Knoten und putzte den Dreck aus dem Fell der Stute. Als das Pferd sauber war, ging sie wieder in den anderen Raum und packte ein paar Sachen zusammen. Sie nahm das trockene Brot, den Kuchen, das Pökelfleisch und den Wasserschlauch. Der Käse war ihr zu schimmlig. Aus dem Schrank nahm sie ein Hemd und zog es über ihren Pullover. Die Ärmel fielen über ihre Hände, und der Saum reichte ihr fast bis zu Knie. Doch es fühlte sich warm und sauberer an als ihre Klamotten. Die Hose war ihr viel zu weit und würde nur rutschen, deshalb ließ sie sie liegen. Sie zog ihre Jacke wieder an, und steckte die Handschuhe aus dem Schrank und den Umhang, sowie eine der Decken in eine Packtasche am Sattel. Darüber legte sie ihren Proviant. In den größten Stofffetzen, die sie zum Abtrocknen benutzt hatte, legte sie etwas Hafer und knotete die Ecken dann zusammen. Diesen provisorischen Beutel legte sie ebenfalls in die Packtasche. Bevor sie den Stall verlies, lief sie noch einmal in den vorderen Raum und schrieb eine kurze Nachricht mit der Feder und der Tinte, die sie auf das Bett legte. Anschließend sattelte sie Rose und führte sie zum Bach. Die Stute trank einige Schlucke, während Elena den Wasserschlauch auffüllte und vorsichtig in die Packtasche mit ihrem Kleid legte. Sie seufzte, als sie an die Falten dachte, die jetzt schon in dem kostbaren Stoff sein mussten.
Tine würde ziemlich sauer sein, wenn sie sehen würde was mit ihrem Kleid passiert. Na ja, vorrausgesetzt ich komme aus diesem Wald raus. Morgen abend war der Ball. Wenn sie irgendwann im Laufe des Tages zuhause ankäme und es gleich aufhängte, würden die Falten bestimmt noch rechtzeitig rausgehen.
Sie schloss die Packtaschen, zog den Gurt nach und setzte sich auf Rose. Vor Schmerz biss sie die Zähne zusammen, sie war es zwar gewöhnt viel zu reiten, aber so lang wie gestern hatte sie schon lange nicht mehr auf dem Pferd gesessen. Ihr Hintern tat an Stellen weh, von denen sie noch nichts geahnt hatte. Auch Rose schien Muskelkater zu haben. Sie lief steif und wesentlich langsamer als gestern, als Elena und Mia losgeritten waren.
Der Wald war auch heute still. Kein Vogel sang und ohne den Wind rauschten auch die Zweige nicht mehr. Elena war erst wenige Minuten am Bach entlang geritten, als ihre Umgebung sich erneut veränderte. Die Tannen, die weit auseinander gestanden hatten, rückten näher zusammen und bildeten bald eine einzige grüne Wand. Der Bach war hier zugefroren und wurde immer kleiner, bis er nur noch ein winziges Rinnsal war.
Und wo lang jetzt?, fragte sich Elena. Durch die verharkten Äste war kein durchkommen. Sogar der Schnee schien hier tiefer und fester zu sein. Rose blieb stehen und drehte fragend den Kopf. Elena richtete sich in den Steigbügeln auf und schaute sich um, in der Hoffnung irgendwo ein Zeichen zu finden, wo es weitergehen sollte. Vergeblich. Die Tanne standen in beide Richtungen eng, sie könnte an ihnen entlang reiten, oder zurück. Kommt gar nicht in Frage. Zurückreiten bringt mir nichts. Außerdem würde ich mich da nur weiter verirren. Sie lenkte Rose nach rechts, sie würde einfach eine Weile in diese Richtung reiten, wenn sie keinen Durchgang finden würde, würde sie umdrehen und in die andere Richtung reiten.
Rose trottete vor sich hin, immer an der Baumlinie entlang. Einpaarmal mussten sie einem Gebüsch oder einer Kuhle ausweichen, doch sie fanden keinen noch so kleinen Pfad. Elena spürte die Sonne im Gesicht, die durch die Bäume schien. Natürlich verhinderten die dichten Tannen fast jedes durchkommen von Sonnenstrahlen und als Elena einige Zweige der Tannenwand zurückgebogen hatte, um zu sehen was sich hinter ihnen verbarg, hatte sie nur schemenhaft weitere, engstehende Tannen gesehen.
Doch von der anderen Seite, an der die Tannen freier standen, kam Licht. Endlich konnte Elena sich ein wenig orientieren. Es war Vormittag, also stand die Sonne im Süd-Osten. Demnach ritt sie jetzt Richtung Osten, die Tannenlinie war Norden. Nur, viel brachte ihr das nicht. Solange sie nicht wüsste, wo sie sich ungefähr befand, konnte es egal sein, ob sie nach Norden, Süden, Osten oder Westen ritt. Deshalb blieb sie bei ihrem alten Plan, weiter nach Osten.
Als es Mittag wurde machte Elena eine Pause. Sie nahm Rose den Sattel ab, frei wollte sie sie aber nicht laufen lassen. Gestern war die Stute zu müde gewesen, um wegzulaufen, doch heute sah das schon anders aus. Und allein wollte Elena nicht sein. Zudem standen ihre Chancen, den Wald zu verlassen zusammen mit der Stute wesentlich höher als ohne sie.
Sie behielt die Zügel in der Hand und öffnete die Packtaschen. Nachdem sie ein paar Schlucke getrunken hatte, probierte sie den Kuchen. Er schmeckte genau wie am morgen ziemlich süß. Ein wenig nach Honig und Apfel. Rose stupste sie an. Sie hatte Schnee gefressen um hre Durst zu stillen und wollte nun auch etwas festes. Elena legte den Kuchen zur Seite und kramte den Beutel mit dem Hafer hervor. Sie öffnete ihn und gab Rose eine Handvoll. Die Stute mampfte ihr Futter und Elena biss noch ein paar Stücke Kuchen ab. Nachdem sie sich etwas erholt hatte, legte sie den Sattel wieder auf Roses Rücken und ritt weiter.
Fast ein Tag. Bin ich wirklich schon solange weg? Mom, Ty und Mia machen sich bestimmt Sorgen. Sie nahm ihr Handy raus, schaltete es an und wartete bis es ihr sagte, dass es noch immer keinen Empfang hatte. Elena schaltete es wieder aus und packte es zurück in die Tasche. Dank des Hemdes aus der Hütte war ihr heute nicht ganz so kalt und sie hatte nach dem Mittagessen die anderen Handschuhe angezogen.
Wenn ich hier raus bin, muss ich dem Besitzer von der Hütte danken. Ohne die wäre ich schon längst erfroren.
Sie war noch nicht weit gekommen, da sah sie eine Linie im Schnee. Hufspuren von Rehen oder Hirschen schlängelten sich an den Bäumen entlang und verschwanden, nur wenige Mete vor Elena in der Tannenwand. Aufgeregt trieb sie Rose vorwärts. Sie konnte unter den Spuren nun sogar Hasenpfoten erkennen. Dann fand sie endlich einen kleinen Wildwechsel, der durch die Tannen führte. Er war schmal und Rose würde gerade so zwischen den Zweigen durchpassen, doch immerhin hatte sie endlich einen Weg gefunden.
Vorsichtig lenkte sie Rose zwischen die Zweige und in das Halbdunkel. Elena blickte den Pfad hinab. Er lief nicht geradeaus, sondern wandte sich, bis er schon nach einigen Metern eine scharfe Kurve machte. Sie folgten dem Pfad, hin und wieder mussten sie eine Böschung hinauf, oder in eine Kuhle hinabreiten, was Elena ungenehm an ihren gestrigen Unfall erinnerte.
Warum hat die Erde so einfach unter mir nachgegeben? Mia ist vor mir über die gleiche Stelle geritten und nichts ist passiert. Vielleicht hatte sie ja auch versucht mir zu helfen und war selbst eingebrochen! Und sie lag verletzt am Boden. Sie musste unbedingt nach Hause kommen und sich vergewissern das es Mia gut geht, überlegte Elena.
Der Pfad schlängelte sich weiter und die Tannen standen noch immer dicht an dicht. Elena stellte sich vor, was passieren würde, wenn sie nach Hause kam. Mia und Mom würden vor Erleichterung wahrscheinlich in Tränen ausbrechen, darin ähnelten sich die beiden sehr. Nach dem ersten Schock werden sie wohl mit mir schimpfen und Ty wird mich einfach umarmen und mir die Wange tätscheln, wie er es immer macht, wenn er sich Sorgen um mich machen musste. Dann würde Mom ein Bad einlassen und mich verwöhnen. Und morgen wird Mia dann vorbeikommen, wenn sie nicht sogar bei mir übernachtet und meine Haare machen. Abends gehen wir dann zum Ball und am Samstag ist dann schon Weihnachten.
In Gedanken malte Elena sich aus, wie ihre Mutter die traditionellen Weihnachtsgans anschnitt und sie zusammen mit Ty eine Schneeballschlacht machte.
Sie kamen um eine weitere Biegung und Elenas Gedanken überschlugen sich, als sie einen Lichtschimmer sah. Der Pfad führte eine lange Strecke bergauf und oben meinte Elena ein kleines helles Loch zu erkennen. Sie trieb Rose im Galopp den Hügel hinauf und musste befreit lachen. Endlich! Das Lachen brach abrupt ab und Rose rammte erschrocken die Beine in den Schnee. Sie kamen schlitternd zum stehen und Elena blickte halb fassungslos, halb entsetzt auf die riesige weiße Fläche vor sich. Kein Baum oder Strauch. Keine Hügel oder Gefälle, Straßen oder sonstiges. Bis zu Horizont erstreckte sich eine einzige weiße Ebene aus Schnee und Eis vor Elena. Wo um alles in der Welt bin ich?!


3. Der Fremde

Sein Feind hatte es lange verfolgt. Bis in die Berge hatte es ihn gehetzt, wo es sich verstecken konnte. Denn sein Feind durfte ihn noch nicht finden. Nicht jetzt, wo so viel noch unbestimmt war. Das Wesen hätte ihn nicht besiegen können, diesen grfürchteten Gegner. Es hatte sich in einer Höhle verkrochen und gewartet bis sein Feind wieder umgekehrt war. Es war schon Morgen, bis es sich aus dem Dunklen herausgewagt und den Rückflug angetreten war. Zuerst hatte es sich wieder in Richtung seines Zieles aufgemacht, doch das Etwas in seinem Inneren hatte ihm erlaubt zu jagen. Sogleich hatte es sich auf die Suche nach einer geeigneten Beute gemacht.
Ein paar kleine Kaninchen drückten sich in den Schnee, als sie seine Nähe spürten. Die waren langweilig, es wollte zumindest den Hauch einer Herausforderung. Es konnte einen Fuchs in der Nähe spüren, ein paar Rehe liefen über eine Lichtung. Nicht sehr interessant. Dann roch es etwas anderes. Größer und etwas gefährlicher. Oh ja. Das könnte eine gute Jagd werden.
Es näherte sich dem Tier zuerst leise. Als es sich näherte zog die große Raubkatze unter ihm den Kopf ein. Sie fauchte und schlug mit dem Schwanz, wissend, dass es kam, jedoch konnte sie nicht spüren, von wo es kommen würde. Das Wesen wartete bis es hoch über der Katze schwebte und stieß dann einen kurzen Schrei aus. Das Tier unter ihm fauchte verängstigt und sprang los. Das Wesen jubelte und folgte seiner Beute. Es ließ sich tiefer sinken, bis es zwischen den Bäumen dahinschoss. Mit einem seiner Flügel riss es einen Baum in der Mitte durch. Seine Beute rannte vor ihm auf eine Felsengruppe zu, die aus dem Schnee hervorragte. Sie sprang und das Wesen stieß zu.
Als es satt war schwang es sich wieder in die Luft und flog zurück. Es sollte noch etwas tun, bevor es seine eigentliche Aufgabe erfüllte.




Elena starrte noch immer auf die Schneefläche vor ihr. Sie war abgestiegen und stand nun neben Rose, die, nach dem ersten Schreck, vollkommen ruhig dastand. Okay. Ich bin also nicht mehr Zuhause. Das hier ist eindeutig nicht die Umgebung von Lonesdale oder Hardshire. Aber man kann dass sicherlich ganz einfach erklären. Ich war wohl etwas länger bewusstlos und Rose ist halt ziemlich weit gelaufen... „Ja, solange ohnmächtig, dass Rose mit mir zum Mond gelaufen ist“, grummelte sie sarkastisch zu sich selbst und erschreckte sich dabei über den eigenen Ton ihrer Stimme, die die absolute Stille durchbrach. Sie schluckte. Und was nun? Sie war aus dem Wald raus, doch weiter half ihr das nicht. Elena seufzte. „Tja, dann haben wir wohl wieder die Wahl, nicht Süße? Norden, in die Eiswüste, Osten oder Westen am Wald entlang, oder alles wieder zurück.“ Sie tätschelte den Hals der Stute, dann begann sie am Wald entland nach Westen zu gehen. Immer der Sonne nach...
Sie folgten der Baumlinie erneut- nur dieses Mal von außen. Da sie die schützenden Bäume verlassen hatten, spürte Elena nun den scharfen Wind, der von der Ebene her gegen den Wald schlug. Sie zog die Schultern hoch, um sich gegen die neue Kälte zu schützen. Im Gegensatz zu ihr schien Rose das Wetter zu genießen. Sie spitzte die Ohren und hob den Kopf. Voller Übermut stupste sie Elena an und begann einige Schritte neben ihr herzutrippeln. Missmutig sah Elena das Pferd an. „Na gut, wenn du unbedingt laufen willst, dann musst du mich aber auch tragen.“. Sie stieg in den Sattel und ohne auf ein Kommando zu warten trabte Rose los. Sie lief mit ein wenig Abstand zum Wald, wo der Schnee nicht so tief war und machte vor Freude ein paar Bocksprünge. “Der Wald scheint dir ja überhaupt nicht gefallen zu haben“. Elena musste trotz ihrer schlechten Lage lachen. Es wurde von dem nunmehr rauschenden Wind geschluckt.
Die Sonne näherte sich schon dem Horizont, als Elena Rose anhielt. In den letzten Minuten war es kälter geworden und sie kontrollierte erneut, wie schon den gesamten Nachmittag über ihr Handy- kein Empfang- und stellt es wieder aus. Es war nur noch ein kleiner Balken Akku vorhanden. Dann kramte sie aus ihrer Packtasche den Umhang hervor und legte ihn ich über die Schultern. Vorne schloss sie in mit einer unauffälligen, grünlich angelaufenen Kupferschnalle. Sie zog die Kapuze über ihren Kopf. Sie fiel ihr tief ins Gesicht und Elena musste kichern. Jetzt sehe ich bestimmt wie einer der schwarzen Reiter aus Herr der Ring aus. Doch die Kapuze hielt ihr Gesicht geschützt und warm. Damit sie wieder ein Gefühl in den Füßen bekam, stieg Elena ab und ging zu Fuß weiter. Etwas besorgt musterte sie die untergehende Sonne. Das Licht veränderte sich, sodass der Schnee gelblich glänzte und immer längere Schatten warf. Wenn die Sonne verschwand, würde die Temperatur noch einmal stark fallen. Elena grauste es vor einer Nacht im Freien. Zwar hatte sie noch eine Decke und der Umhang schützte sie zusätzlich, doch eine ganze Nacht würde sie es hier nicht aushalten.
Ist auch egal, wo ich bin. Irgendein Dorf reicht mir schon. Da kann ich zur Polizei gehen und Mom Bescheid sagen, dann holt sie mich. Ernsthaft konnte Elena nicht daran glauben, noch vor der Dunkelheit ein Dorf zu entdecken. Seit sie die Hütte verlassen hatte, war sie auf keine noch so kleine Spur von Menschen gestoßen. Ganz im Gegenteil, alles wirkte unberührt, als wäre Elena die einzige, die jemals an diesem Wald entlang gekommen war. Auch konnte sie in drei Richtungen bis zum Horizont blicken und nichts sehen, außer Schnee. Und die letzte Seite- welch Wunder- war voller Bäume. Inzwischen verfluchte sie sich, nicht in der Hütte geblieben zu sein. Dort wäre sie jetzt vor dem Wind geschützt, vielleicht hätte man sie inzwischen auch schon gefunden.
„Tolle Entscheidungen die du triffst! Rennst draußen in der Kälte rum, anstatt wie ein logischer Mensch zu denken und bei diesem Wetter drinnen zu bleiben. Wahrscheinlich hättest du auch noch Streichhölzer gefunden. Dann wäre die Hütte jetzt nicht nur ein Windschutz, sondern auch noch schön warm“, spottete sie über sich selbst. Sie blieb stehen, schloss die Augen und legte den Kopf in den Nacken. Sie atmete tief durch und versuchte die Spannung ihren Schultern zu lösen. Positiv denken, Elena. Gib nicht einfach auf, nur weil du draußen schlafen musst. Etwas kühles fiel auf ihre Wange. Elena schlug die Augen auf. Es begann zu schneien.
Nicht weinen! Du hasst das und du bist stark, bloß nicht anfangen zu weinen!
Sie riss sich aus ihrer Starre, steckte den Fuß in den Steigbügel und zog sich zurück in den Sattel. Im Trab ritt sie weiter und nutzte die letzten Sonnenstrahlen für ein schnelleres Tempo. Gerade als das letzte Licht verschwand, meinte sie Schemen am Horizont zu entdecken. Wie das Gerippe eines Schiffs ragte eine Baumgruppe aus der geraden Waldlinie hervor. „Dahin schaffen wir es noch Rose“, flüsterte Elena dem Pferd zu. Die Bäume waren weiter entfernt, als Elena angenommen hatte, und sie hatte erst die Hälfte des Weges zurückgelegt, da kam zu dem Schneefall noch Hagel dazu. Das Mädchen versuchte sich auf dem Pferd so klein wie möglich zu machen und auch die Stute senkte den Kopf und lehnte die Ohren zurück. Der Schnee und der Hagel schmolzen auf ihrem Fell und in der Mähne. Durch die Kälte froren die Spitzen ein.

Mit kalten Fingern öffnete sie den Sattelgurt und nahm den Sattel von Roses Rücken. Sie hatte Schutz zwischen den Tannen gefunden, die dem Wind trotzten und hockte nun hinter einer von ihnen. Die spitzen Nadeln pieksten durch den feuchten Umhang und die Ärmel des Hemdes, doch war dies immer noch besser als den Hagelkörnern ausgesetzt zu sein. Sie nahm Rose auch die Trense ab, sie konnte das Tier hier nirgends festbinden und die Stute wich ihr im Moment eh nicht von der Seite.
Elena legte sie Satteldecke unter und den Sattel aufgestellt hinter sich. Aus den Packtaschen holte sie den restlichen Hafer, den Wasserschlauch, das Fleisch und die Decke. Sie legte Rose den Hafer hin und diese stürzte sich mit Begeisterung darauf. „Tut mir leid, Süße. Du hast bestimmt einen Riesenhunger, aber ich habe leider kein Heu“, murmelte sie. Das Wasser im Schlauch war gefroren und kein Tropfen kam heraus, als Elena trinken wollte. Sie biss von dem zähen Fleisch ab und kaute lustlos, nachdem sie sich in die zusätzliche Decke gewickelt hatte.. Einschlafen konnte und wollte sie nicht. Schliefe sie hier ein, würde sie erfrieren. Sie holte ihr Handy aus ihrer Tasche heraus, schaltete es ein und, wie erwartet, hatte es keinen Empfang. Doch dieses Mal verabschiedete sich das Handy von allein. Akku leer. Elena seufzte verärgert und lies das nutzlose Teil neben sich auf den Bodden fallen. Nach einer Stunde lies der Wind nach und es fielen nur noch sanfte Flocken langsam zu Boden. Schließlich rissen die Wolken auf, die seit dem Sonnenuntergang tief unter dem Himmel gehangen hatten. Es war Vollmond. Elena gähnte und wunderte sich ein wenig. Gestern Nacht hatte sie keinen Mond gesehen, aber sie war ja auch im Wald gewesen. Und die Nächte davor war sie immer im Haus gewesen und hatte nicht weiter auf den Mond geachtet. Sie saß da und blickte in den Himmel. Wenn mich jetzt jemand sehen würde, was würde der wohl denken? Ein kleines, blasses Mädchen sitzt in einem riesigen, weißen Hemd, Jeans, einem Umhang und einer Decke auf einem Sattelpad, den dazugehörigen Sattel im Rücken und betrachtet die Monde. Ein Pferd steht völlig frei daneben, knabbert an den Tannenzweigen und frisst Schnee, der im Licht glitzert. Monde? Sind das nicht zwei...Elena blinzelte und versuchte das Bild der zwei Monde die nah beieinander am Nhimmel standen zu verdrängen.
Es ist so kalt und ich bin müde. Ich sehe wohl einwach nur doppelt. Zusammengerollt und eng in die Decke gekuschelt schlief Elena ein.

Er hatte beinahe die Ankunftsstelle erreicht gehabt, als er das Schattenwesen bemerkte. Mit einem letzten Blick auf sein Ziel war er umgedreht, um dem Geschöpf zu folgen. Es hatte das selbe Ziel gehabt wie er, doch war es abgedreht, als es ihn bemerkt hatte. Als er das Gebirge an der Grenze Aldénias erreicht hatte, verlor er die Spur und flog zurück. Es war noch Nacht. Doch die Fährte war bereits verflogen. Er strich durch die Tannen auf der Suche nach einem Geruch, dem er folgen konnte, doch das Wetter war eindeutig gegen ihn. Wind und Schnee hatten alle Zeichen verdeckt oder zu stark verwischt. Er konnte nicht einmal einen Funken der Aura fühlen. Genervt runzelte er die Stirn. Leicht würde es nicht werden, seinen Auftrag zu erfüllen, aber das hatte er schon geahnt, als er losgeschickt worden war.
Leise stieß er einen Pfiff aus und nur wenige Minuten später kam ein großer Wolf aus der Dunkelheit auf ihn zu. Er steckte die Hand unter seinen grauen Umhang und zog eine kleine Kugel hervor, das er dem Tier hinhielt. Vorsichtig nahm dieses die Kugel ins Maul und kaute. Leise lachte die Gestalt in dem Umhang. „So, du hast also ein Mädchen und ein Pferd hier herumstreifen sehen? Ich hoffe du hast die beiden nicht erschreckt.“. Wie als Antwort lies der Wolf seinen Kopf ein wenig fallen, lehnte die Ohren zur Seite und winselte. Erneut lachend strich der Fremde mit einer Hand über die Schulter des weißen Jägers und schwang sich auf deren Rücken. Ein Mädchen soweit abseits aller Straßen war ungewöhnlich. Vielleicht gehörte sie zu den Flüchtlingen, doch erklärte das nicht, was sie hier alleine machte. Ich suche aber einen Mann, oder einen Jungen. Einen Toten. Er vertrieb die Gedanken an das Mädchen und ihr Pferd und konzentrierte sich wieder auf seine Aufgabe. Ohne ein sichtbares Kommando lief der Wolf nun los. Geschickt fand er seinen Weg durch den tiefen Schnee und umging Steine und Eis.
Es gab keine Möglichkeit die Fährte zu finden, deshalb machte sich der Reiter zu einem Platz auf, an der er sein Ziel vermutete. Die Nacht war bereits weit fortgeschritten, als er die kleine Waldhütte erreichte. Auch hier gab es keine Spuren im Schnee und die Tür wirkte, als wäre sie seit Jahren nicht bewegt worden. Er sprang vom Rücken des Wolfs, streckte vorsichtig seine geistigen Fühler aus und versuchte eine Aura zu erfassen. Doch er konnte nichts spüren. Wirklich wunderte er sich nicht. Schließlich suchte ich einen Toten. Und wie sollte dieser eine Aura besitzen, oder sichtbare Spuren hinterlassen. Leise umrundete er die Hütte einmal. Keine Zeichen im Schnee oder ähnliches. Er seufzte, dann stieg er von seinem Gefährten und öffnete die Tür. Sie quietschte laut und er verharrte, auf ein Geräusch aus dem inneren wartend. Nichts geschah und er drückte die Tür weiter auf. Der Wind wehte etwas Schnee durch den Eingang und in den fast leeren Innenraum. An einer Seite lag eine Decke zerknautscht auf dem Boden, das war alles. Die Gestalt in dem Umhang seufzte erneut. Also war er hier falsch. Wenn er Glück hatte, würde er den Toten in eine der anderen Hütten finden, die weit verstreut in diesem Gebiet des Waldes lagen. Hatte er Pech, irrte der Tote irgendwo herum. Immerhin brauche ich mir keine Sorgen zu machen, dass er sterben könnte. Da er ja schon tot ist...
Er ging zu dem Wolf zurück. Gehe ich von einer der Hütten aus, gibt es noch eine im Näheren Umkreis von dem Ankunftsort. Er schwang sich wieder auf den Wolf und schon bald war die Hütte außer Sicht. Kurz bevor sie Sonne aufging ließen Schnee und Wind nach. Der Tag, der nun anbrach, war wesentlich wärmer, als der vorangegangene, aber der Reiter ahnte, dass die folgende Nacht kälter sein würde. Gegen Mittag erreichte er die zweite Holzhütte. Genau wie bei der ersten fand er weder Spuren im Schnee, noch konnte er von außen eine Aura spüren. Er öffnete die Tür und diese klemmte zwar ein wenig, lies sich aber einfacher bewegen, als die der anderen Hütte.
Kaum war er in den Raum getreten, roch er etwas blumiges. Es war nur sehr schwach, doch konnte er eindeutig Rosen und andere Wildblumen erkennen. Er betrachtete den Raum und runzelte die Stirn. Ein kleines Bett, ein Schrank und ein paar Regale waren alles was es in diesem Raum gab. Im Vergleich zu der leeren Hütte, die er zuerst aufgesucht hatte, war dies jedoch schon viel. Was in irritierte war, dass offenbar jemand hier übernachtet hatte und eine Nachricht zurückgelassen hatte. Wer sollte die schon finden? Seit Jahren war der Wald verlassen und er war einer der wenigen, der sich noch hier her traute. Wobei das weniger an dem Wald selbst, als an der Kälte und der schlechten Erreichbarkeit lag.
Vorsichtig ging er zum Bett, dabei behielt er den Raum im Auge. Wenn wirklich jemand hier gewesen war, konnte er nicht wissen, ob Fallen versteckt waren. Denn, ein Toter aß kein Flréja, Kuchenbrot aus dem Süden, was der Unbekannte anscheinend getan hatte, den Krümeln auf dem Bett nach.
Er nahm ein Papier in die Hand, welches auf dem Bett gelegen hatte und klappte es auf. Die Schrift war ungelenk und die Wörter groß geschrieben, so als hätte der Schreiber nicht viel Erfahrung mit einer Feder.

Ich habe mir ein paar Sachen geliehen. Ich bringe sie zurück, sobald ich kann! Elena McGriffin



Schmunzelnd steckte er die Nachricht in einen Beutel, den er um seine Hüften geschnallt hatte. Es interessierte niemanden, ob ein paar Sachen aus den Waldhütten verschwanden. Das sah man ja an der leeren Hütte von letzter Nacht. Elena also. Das muss das Mädchen sein, das Yuor ein wenig erschreckt hat. Er richtete nun auch in dieser Hütte seine geistigen Sucher auf. Neben der blumigen Aura von Elena fühlte er noch eine leicht wilde Präsenz. Das musste das Pferd sein. Um zu kontrollieren, dass er nichts übersehen hatte, was für seine Suche wichtig sein könnte, schlüpfte er in den hinteren Teil der Hütte. Seine Vermutung, die zweite Aura sei die des Pferdes, stärkte sich, als er den genutzten Stall sah.
Er verlies die Hütte und schloss die Tür hinter sich. Sein Freund war nirgends zu sehen, deshalb machte er sich zu Fuß auf den Weg. Er folgte einem unsichtbaren Pfad, den nur sehr wenige kannten. Überhaupt war in den fünf letzten Jahrhunderten, seit der Krieg ausgebrochen war, viel von dem alten Wissen verloren gegangen. Deshalb war auch sein Auftrag so wichtig. Nur wenn er den Toten fand, waren die Erfüllung der Prophezeiung möglich. Dann gäbe es zum ersten mal seit fünfhundert Jahren die Möglichkeit Frieden zwischen den Ländern zu schaffen.
Es wurde später Nachmittag, bis der Wolf zurückkehrte.
Ich war jagen. Verzeih mir

, begrüßte er die Gestalt im Umhang. Dieser kraulte das dicke Fell hinter den Ohren des Wolfes. Es war, wie der Rest des Fells, weiß, doch im Sonnenlicht erkannte man feine, silberne Strähnen, die sich hindurchzogen. Dein Mensch ist in der Hütte gewesen

, sagte der Reiter in der Gedankensprache zu seinem Freund. Danach schwiegen sie. Mit dem selben eleganten, schnellen Lauf wie zuvor, rannte der Wolf weiter durch den Wald. Der Fremde saß vollkommen ruhig auf dem Tier und störte es nicht in seinem Lauf, bis sie eine Baumlinie erreichten, die zu eng war, um sie zu passieren. Der Wolf verlangsamte die Geschwindigkeit und blieb dicht neben einer der Tannen stehen. Der Reiter legte eine Hand auf den Stamm des Baumes und murmelte einige Worte in der alten Sprache. Durch die Bäume verlief ein Rascheln, dann bogen sich die Äste zurück und bildeten einen Durchlass für die beiden Gefährten. Sie zogen weiter, zwischen den Tannen durch, bis sie die weiße Fläche des Ödlandes erreichten. Dort wandten sie sich nach Westen, in Richtung der nächsten Hütte. Es war unwahrscheinlich, das ein Toter soweit lief, nur um in einer kalten Hütte Unterschlupf zu finden, doch niemand wusste genau, was genau der Gesuchte vorhatte. Außerhalb des Waldes kam der Wolf schneller voran, hier musste er nicht ständig Bäume, Schluchten und andere Hindernisse umgehen. Kurz bevor sie den Wald verließen, war es dunkel geworden, ein neuer Schneefall hatte eingesetzt, kurz darauf durch einen Hagelschauer unterstützt. Unermüdlich lief der Wolf weiter. Der Reiter und sein Wolf konnten beide die Anwesenheit der Zwillingsmonde spüren, doch dauerte es noch mehr als zwei Stunden, bis sich die Wolken verzogen und Nerafem und Sâricla zum Vorschein kamen. Sie begannen die Schneelandschaft in ihr helles Licht zu tauchen. Als es den Wolf umschloss sprang dieser in seinem Lauf in die Luft und stieß ein glückliches Heulen aus. Ausgelassen begann er dann im glitzernden Schnee herumzuhüpfen und hätte vor Freude beinahe seinen Reiter abgeworfen. Soll ich alleine weitergehen? Dann kannst du dich noch ein wenig an deinen Eltern erfreuen

, bot dieser dem Wolf an. Mit einem wehmütigen Blick schüttelte dieser den Kopf. Nein. Sie werden noch die ganze Nacht am Himmel stehen. Später werde ich noch genügend Zeit finden.


Danach setzten sie ihren Weg fort. Doch schon bald knurrte der Wolf und der Reiter spürte wie er sich verspannte. Nach der Ursache für das Verhalten des Wolfes suchend, öffnete er sich und suchte die Umgebung nach etwas auffälligem in der Atmosphäre ab. Etwas weiter vor ihm, vielleicht noch eine Meile entfernt, fand er einen schwachen Glanz, ein Hauch von Rosen und Wildblumen. Elena. Darüber spürte er die Aura des Pferdes. Diese war kraftvoll wie sie für ein Pferd sein sollte. Doch Elenas war nur noch ein Bruchteil der Aura eines Menschen. Mit den Gedanken bat er den Wolf ihn einige Meter vor der Baumgruppe abzusetzen, nah genug um schnell da zu sein, jedoch weit genug weg, damit er das Pferd nicht verschreckte. Du musst das nicht tun. Das weist du doch. Jede Verzögerung könnte verhindern, dass du deine Aufgabe erfüllen kannst. Dem Schattenwesen zu folgen, war schon genügend Ablenkung

, warnte der Wolf ihn. Ich weiß

, antwortete er, aber sie ist ein Mensch

. Ich muss ihr helfen

. Versteh es bitte Yuor

. Der Wolf nickte und sprang davon. Ich komme zurück, sobald du mich brauchst

, hallten die Worte im Kopf des Reiters nach. Danke

, schickte er seinem Freund hinterher und wusste, dass dieser ihn gehört hatte, als er eine warme Berührung in seinem Geist spürte. Leise lief er auf die Gestalt zu, die in eine Decke gehüllt auf dem Boden lag. Das Pferd riss den Kopf hoch und starrte ihn aus weit aufgerissenen Augen an. „Ruhig“, flüsterte er ihm zu. „Ich will ihr nichts tun. Lass mich durch.“.
Einen Moment lang blieb das Pferd halb vor dem Mädchen stehen, dann trat es zögernd einen Schritt zur Seite. Er hastete zu Elena und zog die Decke von ihrem Gesicht weg. Die Augen waren geschlossen und zuckten, weil sich ihre Augen im Traum wild bewegten. Lange Wimpern ragten über ihre vor Kälte geröteten Wangen mit den Hohen Wangenknochen. Auch ihre schmale Nase war rot, doch ihre vollen Lippen und die Stirn waren so weis wie der Schnee, der sie umgab. Langes dunkles Haar fiel in ihr Gesicht, einzelne Strähnen waren zugefroren. Sie wird erfrieren, wenn sie nicht bald ins Warme kommt. Er dachte nicht lange nach. Er hob das Mädchen hoch, sie war so klein und leicht, und setzte sie auf den Rücken ihres Pferdes. Das einzige von ihren Sachen, das er mitnahm waren die Packtaschen, die er von ihrem seltsamen Sattel losmachte. Dann schwang er sich selbst auf den blanken Rücken des Tieres und drängte es vorwärts. Nur ein paar Meilen von hier gab es eine weitere Hütte. Dort könnte er Elena hinbringen, ansonsten würde sie sterben. Nicht zum ersten Mal fragte er sich was das Mädchen überhaupt alleine hier machte. Er hatte die Arme von hinten um ihre Taille geschlungen, damit sie im Galopp nicht vom Pferd fiel. Er konnte ihren Puls nur sehr schwach spüren und trieb die Stute immer schneller am Wald entlang. Als er die Stelle erreichte, an der er in den Wald wollte, bedeutete er dem Pferd mit Gewicht und Stimme ruhiger zu laufen und schließlich anzuhalten. Er sprang von dem Rücken, legte eine Hand an den Stamm einer Tanne und sprach schnell die alten Worte. Kurz darauf wichen die Zweige und bildeten einen Pfad. Er ging zu dem Pferd zurück, packte es an der Mähne, legte einen Arm um Elena, um sie zu stützen und führte es in den Wald. Dort begann er zu rennen, bis das Tier neben ihm hergaloppierte. Wieso ihm dieses Mädchen so wichtig erschien, das er seine Mission gefährdete wusste er nicht. Yuor hatte recht gehabt, es könnte sein, dass er wegen Elena den Toten nicht rechtzeitig finden würde. Aber etwas an ihrer Aura, an ihrem Geruch, dieses freie, blumige... ich konnte nicht anders. Ich könnte sie nicht sterben lassen!
Sie verließen den geschaffenen Pfad zwischen den Bäumen, als die Abstände zwischen den Bäumen sich vergrößerten und liefen weiter zu der Hütte. Sie stand etwas weiter süd-westlich von hier, es war nicht mehr sonderlich weit. Doch das Pferd atmete heftig, an Hals und Flanken lief der Schweiß, sogar um Augen und Ohren hatte sich Tropfen gebildet. Es strömte eine enorme Wärme aus, diese würde das kalte Mädchen zum Glück etwas warm halten. Endlich erreichten sie die Hütte. Anders als die meisten Waldhütten war sie aus Stein gebaut und größer, es gab jedoch keinen Platz für das Pferd. Die Gestalt in dem Umhang hob Elena vom Pferd und stieß die knarrende Tür mit dem Fuß auf. Das Pferd, das seine Besitzerin so treu beschützt hatte, musste im Moment alleine zurechtkommen. Ohne sich die Ausstattung des Raumes anzusehen, hastete er zu dem Kamin und legte Elena davor auf den Boden. Aus seinem Beutel holte er einen kleinen, magischen Kasten, packte ein paar der bereitliegenden Hölzer in den Kamin und einige dünne Zweige obendrauf. Mithilfe des Kastens zündete er die Zweige an und das Feuer breitete sich schnell auf das andere Holz aus.
Als es nicht drohte wieder auszugehen, suchte er ein paar Decken zusammen. Elena lag noch immer auf dem nackten Boden und hatte sich nicht gerührt. Er nahm die kalte Decke von ihr und wickelte sie aus dem Umhang. Da drunter trug sie eine Jacke, ein weites Hemd, ein dickes Tuch um den Hals, Handschuhe und eine merkwürdige Hose, dazu Lederstiefel. Er zog ihr Jacke, Hemd, das lange Tuch, die Handschuhe und die Stiefel aus , sie lag nun in der Hose, einem Oberteil, das ein wenig wie das, eines engen Unterkleides aussah und Beinstümpfe vor ihm. Eine goldene Kette hing um ihren Hals und verschwand unter der Kleidung. Das lange Haar, das, wie er nun erkannte, dunkelrot war, lag gefächert um ihren Kopf. Er griff nach ihrem Arm und fühlte nach dem Puls. Nur ganz schwach, aber noch da. Zwei der gefundenen Decken breitete er noch näher am Kamin auf dem Boden aus und legte Elena vorsichtig darauf. Dann nahm er die drei verbliebenen Decken und legte sie über das blasse Mädchen, die Ränder unter sie gestopft. Weiteratmen, versuchte er ihr zu befehlen. Schließlich stand er auf und durchsuchte die Hütte erneut. In einem der Schränke, die an eine Wand gelehnt standen, fand er Tücher, in dem Schrank daneben einen Topf. Mit einem letzten Blick auf das Mädchen ging er nach draußen und schaufelte Schnee in den Topf. Das Pferd stand eng an die Wand der Hütte gedrängt da und zitterte. Von Yuor keine Spur. Er ging wieder hinein und hängte den Topf mit dem Schnee über das Feuer. Wieder fühlte er den Puls von Elena, noch immer schwach. Aber ihre Hände fühlten sich nicht mehr ganz so kalt an und die Augen zuckten nicht mehr wie irr. Aus seinem Beutel holte er einige Kräuter die in ein Tuch eingeschlagen waren, da es in der Hütte keinen Stößel gab, zerrieb er sie ein wenig zwischen den Händen und wartete bis der Schnee im Topf geschmolzen und heiß geworden war. In einem Regal standen Becher, in einen von ihnen schüttete er ein bisschen von den vorbereiteten Kräutern und goss heißes Wasser auf. Während die Kräuter ihre Wirkung an das Wasser gaben, nahm er die Decke des Mädchens, ging nach draußen und führte das Pferd um die Hütte herum. An der Hinterseite befand sich eine weitere Tür, durch die er das Tier nun in einen winzigen Verschlag brachte. Er legte die Decke auf das Tier, legte Stroh aus einem Sack auf den Boden und Heu daneben. Aus einer Kiste schaufelte er Hafer in einen dafür bereitstehenden Eimer. Er stellte ihn neben das Heu. Das Pferd musterte ihn misstrauisch und machte dann vorsichtig einen Schritt auf das Futter zu. Vorsichtig begann es an dem Heu zu knabbern, behielt ihn dabei immer noch in den Augen. „Ist schon gut. Ich tue weder dir noch deiner Herrin etwas. Ruh dich aus, wir werden wohl länger hier bleiben“, versuchte er das Pferd zu beruhigen und griff nach einem weiteren Eimer. Damit verließ er den Verschlag und ging außen um die Hütte zurück. Bevor er die Tür öffnete füllte er den Eimer mit Schnee, das Pferd würde auf sein Wasser noch ein wenig warten müssen.
Elena hatte sich noch immer nicht gerührt, doch die Kräuter hatten ihr harziges Aroma im gesamten Raum verbreitet. Ihre Haut fühlt sich nicht mehr ganz so kalt an, dachte er, als er eine Hand auf Elenas Stirn legte. Mit einer Hand stütze er ihren Kopf, mit der anderen hob er den Becher an ihre Lippen und kippte ihn leicht an. Endlose Sekunden verstrichen, in denen die Flüssigkeit zwischen ihren Lippen hing. Dann bewegte sich ihr Mund ein wenig und sie verschwand. Elena schluckte. Sehr langsam, damit sie sich nicht verschluckte flößte er ihr den gesamten Becher ein, danach legte er sie wieder hin. Als zusätzliche Decke, zog er seinen Mantel aus und legte auch diesen über sie. Nun konnte er nur noch warten.

Sie rannte so schnell sie konnte. Ihr neues, grünes Kleid war zerrissen, nass und dreckig. Als sie stolperte riss sie sich an einem Stein die Hände auf. Sie rappelte such wieder auf und rannte weiter durch den Schnee. Um sie herum trotzten die großen Tannen dem Schneesturm. Sie musste weiterlaufen, oder er würde sie einholen, dann wäre alles verloren. Immer weiter, weiter, weiter... Die Bäume flogen an ihr vorbei, sie hörte ihn näher kommen. Sie stolperte erneut und drohte zu fallen, doch sie konnte sich fangen und strengte ihre müden Muskeln zu noch mehr an. Schneller, er kriegt dich sonst!
Wenn sie doch nur rechtzeitig ankommen würde, rechtzeitig zur vereinbarten Stelle, dann würde sie endlich nach Hause zurück können, zurück zu Mom, Ty und Mia. Doch sie musste ihm entkommen. Sie hatte es fast geschafft, nur noch ein wenig mehr. Ihr Atem kam nur noch stoßweise, Schweiß klebte ihr am ganzen Körper und ihr Haar fiel ihr wild über Schultern und Gesicht. Da vorne war der Fluss! Hinter ihr brachen Bäume und der Schnee wurde aufgewirbelt. Sie kletterte über einen Steinhaufen, der vor ihr aufragte, ihr Fuß rutschte ab. Ein stechender Schmerz raste ihr Bein hinauf. Sie schrie auf und versuchte wieder aufzustehen. Doch ihr Bein gab unter ihr nach. Sie drehte sich um und sah in die alles verschlingende Dunkelheit, ihrem Tod entgegen. Dann kam er.



Elena wachte auf. Sie spürte harten Boden unter sich, raue Wolle rieb an ihrer nackten Haut an Hals, Armen und dem Ausschnitt ihres T-Shirts. Zu unbequem um Tod zu sein. Was ist passiert? Sie wagte es nicht die Augen zu öffnen, vielleicht lag sie im Krankenhaus, man sagte ja immer, dass die Betten dort so unbequem sein sollten. Als sie versuchte sich in eine bequemere Position zu legen, spürte sie wie schwach ihr Körper war. Sie konnte kaum ihre Hände bewegen, mit denen sie nun versuchte, die dicke Lage Decken von sich zu schieben. Warme Hände drückten ihre Schultern zurück auf den Boden. Erschöpft lies sie es geschehen. „Zu warm“, brachte sie hervor. Ihre Stimme war leise und ihr Hals kratzte und tat beim Schlucken weh. Ein leises Lachen, es hörte sich erleichtert an, dann fühlte sie ein kühles Tuch auf ihrer Stirn. „Lieber zu warm als zu kalt, Schneeblume“, hörte sie eine Stimme nah an ihrem Ohr. Sie war schön, so ruhig und auch ein wenig rau, als wäre sie in letzter Zeit nicht viel benutzt worden. Ein Akzent schwang in ihr mit, aber was für einer? Was war nur passiert? Sie hatte in der Baumgruppe Schutz gesucht, es war so kalt gewesen. Gedanken an glitzernden Schnee, zwei Monde und dann... nichts mehr. Ich bin eingeschlafen! Aber was ist dann passiert? Sie riss die Augen auf, um zu erfahren, wer sich da um sie kümmerte, und starrte in ein graues Paar Augen, dass sie prüfend betrachtete.


4. Geschichten
Dunkelbraune Haarsträhnen verdeckten sein Gesicht halb. Die gerade Nase und die hohen Wangenknochen, betonten die grauen Augen noch mehr, seine Lippen waren zu einem Lächeln geformt, wobei die Unterlippe etwas voller war, als die Oberlippe. Sein Gesicht wirkt jung, der Mann war vielleicht zwanzig oder einundzwanzig.
„Hallo, bist du wieder unter den Lebenden?“. Seine Stimme drang kaum durch Elenas verwirrende Gedanken. Sie war definitiv nicht im Krankenhaus oder bei sich zuhause, sie lag nicht auf einem Bett, sondern auf ein paar Wolldecken, dieselben lagen auf ihr, wobei die oberste Schicht ein hellgrauer Umhang bildete. Eindeutig nicht der schwarze, den sie sich in der Hütte geborgt hatte.
Neben ihr knisterte ein Feuer im Kamin. Sie konnte nicht sonderlich viel sehen, doch die Decke des Raumes war aus Holz, die Wände aus Stein, der Fußboden Lehm oder festgetretene Erde. Wieder eine Hütte? Wie war sie hier her gekommen? Sie war doch in der Baumgruppe eingeschlafen. Hatte der Mann sie zur Hütte gebracht? Wo war Rose? Und wer war er? Sie konnte ihren Kopf ein wenig drehen und betrachtete den Mann. Er hatte ziemlich breite Schultern soweit sie erkennen konnte, sein Körper war schlank und durchtrainiert. Am Oberkörper trug er ein hellgraues Hemd, das mit Lederbändern an Handgelenken und Hals zugeschnürt war. Dazu hatte er eine schwarze Hose und Lederstiefel die, vorne geschnürt, bis unter die Knie reichten, an.
Neben ihm stand ein kleiner Holzbecher, mit einem dampfenden Getränk drin, das ein wenig nach Harz und Zimt roch. Elena lies den Blick erneut durch das Zimmer schweifen, kein Krankenhaus. Im Gesamten ähnelte es der Hütte, in der sie die erste Nacht im Wald verbracht hatte.
Ein Bett stand an einer Seite, ein Schrank daneben. Sie konnte keine Küche oder ein Bad von ihrer Position aus sehen. Der Raum war ziemlich groß, an der gegenüberliegenden Seite vom Bett standen drei weitere Schränke. In der Mitte der Hütte stand ein schmaler Tisch mit drei Hockern, auf einem von ihnen sah Elena ihre Satteltaschen liegen. Sie sah zurück zu dem Fremden, der noch immer lächelnd vor ihr hockte.
„Wer sind Sie“, fragte sie. Ihre Stimme klang rau und ihr Hals schmerzte beim Sprechen. Er lächelte weiter, doch sie konnte sehen, wie sich seine Gesichtsmuskeln verhärteten und die Freude aus seinen Augen wich. Statt ihre Frage zu beantworten, sagte er: „Du hast ein sehr kluges Pferd.“.
„Rose! Wo ist sie? Haben Sie sie gesehen?“. Erneut versucht Elena sich aufzurichten, dieses mal wurde sie nicht zurückgehalten. Die Decken fielen von ihren Schultern und die Luft kühlte ihre heiße Haut, doch durch die schnelle Bewegung wurde ihr schwindelig und sie lies sich langsam auf ihr Lager zurücksinken. „Sei vorsichtig. Du hast Fieber und ziemlich lange geschlafen, überstürze nichts“, warnte der Mann sie. Er sah Elena besorgt an. „Hier trink das“, sagte er und reicht ihr den Becher. Elena nahm ihn in die Hand und schnupperte misstrauisch. Wieder dieses leise Lachen. „Ist schon gut. Das ist nur Tee, er hilft bei deinem wunden Hals.“. Sie pustete und trank langsam einen kleinen Schluck. Der Tee schmeckte bitter und klebrig, doch sie hatte Durst und es schien wirklich zu helfen. Ihr Hals kratzte schon nicht mehr ganz so stark.
„Danke“, brachte sie hervor.
Er nahm ihr den leeren Becher aus der Hand als sie fertig war und stand auf. Den Rücken zu ihr gedreht begann er endlich zu sprechen. „Rose heißt dein Pferd also? Sie steht hinter der Hütte im Stall und schläft. Ich musste sie leider ein wenig überanstrengen, um dich rechtzeitig aus der Kälte herauszukriegen. Und auch so wärst du beinahe gestorben. Deine Stute hat sich vor dich gestellt und wollte dich beschützen, dann hat sie sich beinahe ihre Seele aus dem Leib gerannt, damit wir rechtzeitig hier ankommen. Aber jetzt geht es ihr wieder gut. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen.“.
„Oh“, machte Elena. Sterben in dieser Gegend wollte sie nicht, gute, liebe Rose... Sie musterte ihren Retter. Er könnte ihr sicher sagen, wo sie hier überhaupt war. Schließlich hatte er sie auch zu der Hütte gebracht. „Sagen Sie, wo sind wir hier überhaupt? Ich bin die letzten zwei Tage durch den Wald geritten, aber nichts sieht hier aus wie die Gegend um Hardshire.“.
Der Junge stellte den Becher auf dem Tisch ab und drehte sich wieder zu ihr um. Jede seiner Bewegungen wirkte kontrolliert und irgendwie katzenhaft. „Hardshire? Davon habe ich noch nie gehört. Wir sind hier in einer der Waldhütten, aber was mich viel mehr interessiert ist, was du hier im Godhúrn Dreshîn suchst. Der Wald ist doch seit Jahren verlassen und alleine ist es viel zu gefährlich, vor allem so nah an der Ödnis von l’Evirienne?“. Er schien deutlich verwirrt, doch das reichte nicht an Elena heran. Godhúrn Dreshîn? Ödnis von l’Evirienne? Was sollte das? War der Typ irgend so ein verrückter LARP Anhänger? Ty spielt dabei ja auch mit. LARPs waren Veranstaltungen, bei denen ein Haufen Menschen sich mitten in der Pampa traf und, in Kostüme verkleidet die an Herr der Ringe oder Narnia erinnerten, mit altertümlichen Waffen aufeinander einschlugen. Mhh, das Schwert, das halb verborgen hinter meinen Satteltaschen liegt, könnte wohl dazugehören. Oh verdammt. Findet hier vielleicht wirklich gerade so was statt? Was für ein Scherzkeks dieser Kerl doch ist. „Hardshire? Noch nie gehört. Wir sind hier ganz nah bei Mordor und müssen uns vor Sauron und den anderen Bösewichten verstecken. Haha. Wirklich zum schreien.
„Ok, hör mal zu“, begann Elena und ärgerte sich das ihre Stimme noch immer so leise war. Am liebsten hätte sie ihre Wut rausgeschrieen und diesen Idioten fertiggemacht, obwohl sie im streng genommen ihr Leben verdankte. „Also, es interessiert mich nicht, ob es zu eurer merkwürdigen Spielerehre gehört, sich auch noch doof zu stellen und nur noch in Zwergisch oder was auch immer das war zu reden, aber ich möchte endlich wissen, wo ich bin. Ich habe keine große Lust, weiterhin durch diesen Wald zu irren, da heute Abend ein Ball stattfindet auf den ich gerne gehen möchte. Und wenn du dich gerne nur zum Spaß mit deine kleinen Freunden prügeln willst, dann bitte. Aber rede mit mir wie mit einem normalen Menschen und sag mir einfach wie ich zum nächsten Dorf komme!“. Während ihres Wortschwalls hatte Elena sich aufgesetzt und saß nun, die Arme auf den Boden gestützt, schwer atmend da und funkelte den Jungen wütend an. Er starrte sie mit halb offenem Mund an und wirkte, als wüsste er nicht mehr wo oben und unten war.
Gut so, geschieht ihm recht. Er schluckte und schien sich zu sammeln. Dann öffnete er den Mund um etwas zu sagen und schloss ihn wieder. Mit sich zufrieden warf Elena die Decken zurück und stand langsam auf. Ein wenig schwindelig aber es geht, fand sie, als sie auf etwas wackligen Beinen stand. Sie ging an ihm vorbei zudem Tisch und griff nach ihren Packtaschen, da gaben ihre Beine unter ihr nach und sie fiel. Im letzten Moment packten kräftige Hände sie an den Hüften und stellten sie wieder hin. Sie warf einen wütenden Blick über die Schulter und stütze sich am Tisch ab. Der Mann hatte sich endlich aus seiner Starre befreit, stand hinter ihr und lies nun die Arme sinken. Er räusperte sich. „Ich habe kein Zwergisch gesprochen“, sagte er.
Elena starrte ihn einen Moment lang ungläubig an. Das war alles was er zu sagen hatte? Sie verdrehte die Augen und griff erneut nach ihren Packtaschen, dann sah sie sich im Raum nach ihren Klamotten um. Das Hemd, die Jacke, Schal, Handschuhe, Umhang und Stiefel lagen auf dem Bett. Sie stapfte wütend zu ihnen und begann sich anzuziehen. „Du solltest nicht alleine weiterreiten. Eigentlich solltest du jetzt gar nicht reiten. Es wird in ein paar Stunden dunkel und außerdem haben wir gerade einen Schneesturm. Du würdest mit deinem Fieber nicht weit kommen und noch einmal werde ich dich nicht durch den Schnee zurückschleppen“, sagte er nun, er hörte sich an als würde er mit einem kleinen Kind sprechen, das ihm auf die Nerven ging.
„Tja, brauchst DU ja auch nicht. Du musst mir nur sagen, wie ich von hier wegkomme, dann bist du mich los“, antwortete sie ihm schnippisch. Sie schloss den Umhang mit der Brosche und, schulterte die Packtaschen und marschierte zur Tür. Sie riss sie auf und schauderte bei der Kälte, die durch sie drang. Missmutig zog sie die Kapuze über und stapfte durch den Schneewirbel um die Hütte herum. Mit dem selben Schwung wie zuvor, öffnete sie auch die Tür an der Rückseite und ging in den Stall, in dem Rose stand. Die Stute stand vor einem Haufen Heu und hob den Kopf, um zu sehen wer sie beim Fressen störte. Sie wieherte leise, als sie Elena erkannte.
„Rose“, rief Elena, lies die Taschen fallen und schlang die Arme um den Hals ihres Pferdes. Sie brauchte einen Moment um wieder zu Atem zu kommen. Das Fieber schien se wirklich zu schwächen.
Sehr viel langsamer als zuvor drehte sie sich um, um nach dem Sattel und der Trense zu suchen, da wurde alles schwarz vor ihren Augen und sie spürte wie sie fiel.
Diesmal war sie nicht lange ohnmächtig. Alles wackelte, als sie wieder zu sich kam. Der Mann hatte sie auf den Arm gehoben und trug sie gerade durch den Schnee zurück zur anderen Seite der Hütte. Er murmelte irgendwelche Worte vor sich hin, die Elena nicht verstand.
„Hey, du kannst mich runterlassen. Ich kann alleine laufen“, fuhr sie ihn erbost an, während er die Tür mit einer Hand aufzog und sie mühelos mit einem Arm an seinen Körper gedrückt hielt. Er ignorierte sie und redete weiter leise vor sich hin. Dann lies er sie nicht gerade sanft auf das Bett fallen und warf ihr eine Decke zu. „Ich habe dir gesagt das du nicht gehen kannst. Du bist noch zu schwach, kein Wunder, du hast schließlich fast zwei Tage lang geschlafen“, sagte er schließlich.
Elena hätte sich erschrocken aufgerichtet, doch der Mann hatte recht. Nachdem sie bis eben ihren Körper von Null auf Hundertachtzig gezwungen hatte, fühlte sie sich nun, als würden ihr Knochen aus Gummi bestehen.
„Zwei Tage“, sagte sie deshalb nur, ihren Protest gegen sein benehmen zeigte sie nur dadurch, dass sie die Decke völlig unberührt auf ihrer Brust liegen lies. In ihrem Kopf kreisten drei Gedanken unaufhörlich.
Heute ist Weihnachten. Ich habe den Ball verpasst. Ich bin jetzt seit vier Tagen hier und sie haben mich noch immer nicht gefunden! „Ähm, Elena. Geht es dir gut. Du bist gerade ziemlich weiß geworden, na ja du warst es streng genommen ja vorher schon aber jetzt...“, fragte der Unbekannte besorgt, doch die Worte drangen kaum zu ihr durch. In ihrem Kopf kreiste noch immer die Frage, ob sie jemals wieder nach Hause finden würde. „Sag mir bitte wie ich hier weg komme. Meine Familie sucht bestimmt nach mir und ich will doch nur in das nächste Dorf oder in eine Stadt, von wo aus ich sie anrufen kann, um ihnen zu sagen, wo ich bin und dass es mir gut geht!“.
Der Junge sah sie mit einem ihr langsam bekannt werdenden Gesichtsausdruck an, Verwirrung lag in seiner ganzen Haltung. „Wenn es dir besser geht, kann ich dich bis zum nächsten Dorf bringen, von dort aus müsste dir die Orientierung leichter fallen. Oder du schickst einen Boten zu deinen Eltern.“.
Elena war müde. Ihr Wutausbruch vorhin hatte sie viel Kraft gekostet und auch wenn der Fremde merkwürdiges redete- hatte er noch nie was von telefonieren gehört? Einen Boten schicken... klar- so hatte er doch zumindest recht, was ihre Gesundheit anging. In einem Moment war ihr so heiß, dass sie sich am liebsten nackt in den Schnee geschmissen hätte. Im nächsten fror sie so jämmerlich, sodass ihre Zähne aufeinander schlugen. Während sie sich zu einer Kugel zusammenrollte und die Arme um ihre Schultern schlang, um sich zu wärmen, spürte sie seine warmen Hände die Decke sanft über sie ausbreiten. „Sag mal, kommst du vielleicht von den Inseln“, fragte er sie plötzlich. „Nein“, antwortete sie und kuschelte sich tiefer in die Decke. Sie unterdrückte ein Gähnen. „Ich komme aus Washington, USA“, murmelte sie noch, dann schlief sie ein.

Merkwürdiges Mädchen, dachte der Mann. Sie redete über Sachen, von denen er noch nie gehört hatte. Und bei all dem schien sie ihn für verrückt zu halten. Was war dieses Washington, USA? Soweit er wusste, gab es weder in den fünf Reichen, noch auf den Inseln eine Stadt oder ein Dorf das so hieß. Vielleicht kam sie aber auch von einem der fernen Länder, das würde zumindest erklären, warum sie so redete und weshalb sie keine Ahnung zu haben schien, wo sie war. Er würde warten bis sie aufwachte und sie dann noch einmal fragen, von wo sie kam.
Er seufzte. Yuor hatte recht behalten. Nachdem er das Mädchen in die Hütte gebracht hatte und sie versorgt war, hatte er sich auf die Suche nach neuen Spuren gemacht, jedoch nichts mehr gefunden. Als er von seiner Suche zurückgekehrt war, war das Mädchen heiß gewesen. Statt zu erfrieren, schien sie jetzt von innen aus zu verbrennen. Es würde noch ein oder zwei Tage dauern, bis sie sich soweit erholt hatte, dass sie wieder reiten konnte. Er würde sie bis zum nächsten Dorf bringen, aber allein das war schon mehrere Tagesritte entfernt. Dort könnte sich ein anderer um sie kümmern und er selbst wieder seine Aufgabe übernehmen und endlich anangen, vernünftig nach dem Toten zu suchen.
Verdammt, er hätte von Anfang an auf Yuor hören sollen. Doch er hatte Elena nicht so daliegen lassen können. Sie hatte irgendetwas an sich was in vollkommen fesselte. Aber er wusste, wie wichtig seine Aufgabe war, deshalb musste er weitermachen und das ging nicht, wenn er auf sie aufpassen musste. Er seufzte erneut und verließ die Hütte.
Draußen tobte noch immer der Schneesturm und es wurde dunkel. Yuor hatte sich nicht mehr blicken lassen, nachdem sie sich an der Baumgruppe getrennt hatten. Er vermisste seinen Freund, der ihn schon so lange begleitete. Er würde zurückkommen, wenn er es für richtig hielt.
Der Mann ging um die Hütte herum zu dem Pferd- Rose erinnerte er sich –und füllte Heu und Hafer nach. Der Wassereimer war noch halbvoll, deshalb lies er ihn stehen. Elena würde diesmal nicht so lange schlafen. Sie war zwar müde gewesen und wieder eingeschlafen, doch nicht so fest, wie zuvor. Er trat aus der Hütte heraus und schloss für einen Moment die Augen. Mit seinen Gedanken tastete er nach Yuor und konnte ihn inmitten der Ödnis finden. Der Wolf rannte zum Spaß und das Licht von Nerafem und Sâricla schien in seinem Fell. Der Junge spürte, wie sich starke Muskeln unter der Haut bewegten, sich streckten und dehnten. Er konnte die Freude fühlen, die den großen Wolf toben lies, begleitet von dem Glanz seiner Eltern.
Lächelnd konzentrierte er sich wieder auf seine Umgebung. Wenn er das Mädchen mitnahm musste er weitaus mehr Proviant einplanen als wenn er allein unterwegs wäre. Sie würden gut drei Tage benötigen, um eines der Randdörfer, die an Godhúrn Dreshîn grenzten, zu erreichen. Lange wollte er Elena nicht allein lassen. Sie wirkte so verloren und jung. Wie alt war sie überhaupt? Sicherlich hatte sie noch nicht mehr als achtzehn Winter gesehen.
Doch wollte er den nötigen Proviant besorgen, so musste er sie für mindestens eine halben Nacht allein in der Hütte lassen. Er konnte nur hoffen, dass sie nicht wieder versuchte auf eigene Faust loszuziehen.

Elena war allein, als sie mitten in der Naht aufwachte. Der Fremde der sie in diese Hütte gebracht hatte, war nicht da, hatte aber seine Sachen auf dem Tisch liegen gelassen. Also hatte er vor zurückzukommen. Gesunken zu sein, denn Elena fühlte sich ausgeruht und nicht mehr geschwächt. Ihr Hals tat nicht mehr weh und sie spürte kein Schwindelgefühl, als sie sich im Bett aufsetzte.
Die Hütte war wunderbar warm, durch das Feuer, das der Mann im Kamin entfacht hatte. Als Elena aufstand und sich vorsichtig streckte, bemerkte sie, dass sie nur noch ihr enges Shirt, schwarze Leggins und Strümpfe trug, eben die Sachen, die sie unter Hose und Pulli an gehabt hatte. Elena spürte, wie ihre Wangen rot anliefen, bei dem Gedanke, dass der Mann, ein Fremder, sie ausgezogen hatte. Plötzlich beunruhigt, ihr könnte auch die Kette mit dem roten Stein abgenommen worden sein, tastete ihren Nacken ab. Erleichtert seufzte sie auf, als sie das warme Metall auf ihrer Haut spürte.
Die Kette hatte sie bereits getragen, als sie vor beinahe achtzehn Jahren, nur in eine Decke aus weißem Leinen gewickelt, vor der Tür von Anna und Sam McCurren abgelegt worden war. Die Beiden entdeckten den Säugling, der in den frühen Morgenstunden bei ihnen zurückgelassen wurde und schlossen ihn sofort ins Herz. Obwohl sie selbst einen Sohn, Ty, hatten, der noch nicht ganze ein Jahr alt war nahmen sie das Kind bei sich in der Familie auf und adoptierten sie schließlich. Elenas wahre Eltern waren gefunden worden, noch wusste irgendwer, warum das kleine Mädchen zurückgelassen wurde.
Elena holte den Stein unter dem T-Shirt hervor und umschloss ihn mit ihrer Hand.
Ihre Mom hatte Elena mit zwölf Jahre erzählt, wie sie zu der Familie McCurren kam. Und Elena hatte sich nie als etwas anderes als einen festen Teil der Familie betrachtet. Anna und Sam waren Mom und Dad, Ty ihr Bruder. Doch war die Kette alles, was ihr von ihren leiblichen Eltern geblieben war, auch wenn sie nicht verstand, warum sie sie wie einen nicht gewollten Hund ausgesetzt hatten.
Elena ließ den Stein und verstaute ihn wieder sicher hinter dem Stoff auf ihrer Brust.
Sie sollte sich wieder ihrem eigentlichen Problem zuwenden und nicht in der Vergangenheit herumstöbern. Das brachte ihr sowieso keine Antworten.
Stattdessen begann sie kleine Kreise in der Hütte zu laufen.
Also, der Boden ist unter Rose und mir weggebrochen und ich bin ohnmächtig geworden. Und als ich wieder zu mir kam, war die Umgebung komplett anders, als die um Hardshire herum, überlegt sie. Wie kann das also sein? Ich meine, ich war nicht solange Bewusstlos, dass Rose weit hätte laufen können. Und wenn sie wirklich durchgegangen wäre, hätten Mia und Cloud ich schon längst gefunden. Wo genau bin ich jetzt eigentlich?
Mit einem wütenden Seufzten raufte Elena ihr verknotetes Haar. „Grübeln bringt doch nichts. Im Endeffekt wüsste ich doch eh nur, dass ich irgendwo anders als zuhause bin, aber nicht wo genau! Alleine komme ich so nicht weiter“.
Um nicht weiter eine Spur in den Boden zu Laufen ließ sich Elena auf einen der Hocker am Tisch fallen.
„Wenn ich wirklich mehr wissen will, kann ich nur hoffen, dass dieser Mann bald wieder kommt und mir endlich erklärt was hier passiert ist“.
Von diesem Beschluss etwas beruhigt, ließ sie ihre Augen über das Holz des Tischs streifen und blieb bei dem Beutel des Fremden hängen. Sie streckte ihre Hand danach aus, doch als sie das kühle Leder berührte, zog sie sie unsicher wieder zurück.
Sie konnte doch nicht einfach in den Sachen von anderen rumstöbern. Aber vielleicht hatte der Mann ja ein Handy oder zumindest irgendetwas, was ihr half sich zu orientieren, in der Tasche. Erneut schob sie ihre Hand zu der Tasche und knöpfte vorsichtig den Verschluss aus einem Band Leder auf.
Da weder Blitz noch Donner ihre Tat begleiteten, zog sie die Tasche auf und spähte hinein. Sie erkannte verschwommene Umrisse eines kleinen Kastens, der etwa so groß wie ihre Hand war, ein paar Tücher Kugeln gewickelt waren, einen Lederbeutel und noch ein paar trockene Blätter. Im Großen und Ganzen nichts sonderlich interessantes. Wenn nicht alles so wirkte, als sei sie im Mittelalter gestrandet.
Etwas erschrocken über diesen Gedanken zog sie ihre Hand aus der Tasche zurück und Band den Konten neu. „Zss“,machte sie. „Im Mittelalter gestrandet. Ich scheine noch immer nicht ganz auf dem Damm zu sein, nach diesem Fieber“.
Sie erhob sich und hielt in dem kleinen Raum Ausschau nach ihren Klamotten. Irgendwo mussten doch ihre Sachen und der Umhang sein... Dabei fiel ihr Blick auf das Schwert, das sie schon einmal gesehen hatte, als sie das erste mal aufgewacht war. Jetzt lehnte es direkt neben dem Tisch an der Wand.
Neugierig ging sie darauf zu und hockte sich direkt vor der silber-blau glänzenden Waffe hin.
Für ein LARP Schwert sieht das ganz schön echt aus, fand sie. Kein bisschen wie Styropor oder so.
Die Klinge des Schwertes steckte in einer Scheide, auf der ein Muster zu erkenne war. Ein Wolf? Das war gut möglich.
Der Griff war schmal und, ebenso wie die Scheide, silber-blau. Die Parierstange war leicht nach unten gebogen, der Knauf formte einen Wolfskopf mit aufgerissenem Maul. Das Heft war weiß und sah aus wie mit weichem Leder umschlungen.
Elena griff mit einer Hand an das Heft, mit der anderen hielt sie die Scheide fest und zog das Schwert raus. Mit einem leisen Kreischen löste sich die Klinge aus der Scheide.
Überrascht lies Elena beides los und sprang auf.
Verdammt, das Ding wiegt mindestens zehn Kilo!
Elena schluckte und betrachtete das Schwert. Okay. Also, das war kein Styropor und auch kein LARP Schwert. Das Ding war sogar ziemlich echt.
Erneut ging Elena in die Hocke und zog das Schwert aus der Scheide. Wieso schleppte der Mann so ein Schwert mit sich rum?
Die Scheide warf den Schein der Flammen aus dem Kamin zurück. Sie war lang und schmal, in der Mitte zog sich die Hohlkehle entlang.
Nicht zum abfließen des Blutes, sondern als Gewichtsminderung und zur Balance, erinnerte sich Elena an etwas, was ihr Ty vor ein paar Wochen über Schwerter erzählt hatte.
Naja, aber bei dem, was dieses Schwert wog, war die Rinne vielleicht doch für das Blut gedacht.
Elena schauderte. Bäh. Eine widerliche Vorstellung. Und was war das? Ganz vorne an der Spitze des Schwertes war ein kleiner dunkler Fleck. Elena beugte sich vor, das Schwert war ihr zu schwer um es weiter hoch zu heben, und sah sich den rostbraunen Punkt genauer an.
War das etwa... Oh. Mein. Gott.
Warum um alles in der Welt war da Blut auf dem Schwert? Getrocknetes Blut zwar, aber dennoch Blut! War dieser Mann etwa ein Psychopath und ging in seiner Pseudo-Mittelalterwelt völlig auf, indem er ahnungslose Mädchen hier in seine Hütte schleppte und sie dann umbrachte?
Okay. Das reichte nun wirklich. Vielleicht tat sie dem Typen ja unrecht, wenn sie ihn als Geisteskranken abstempelte, schließlich hatte er sie vor dem erfrieren bewahrt, trotzdem wurde ihr diese ganze Geschichte hier langsam zu unheimlich.
Hektisch durchsuchte sie den kleinen Raum nach ihren Klamotten und fand diese schließlich neben dem Kamin, ordentlich gefaltet am Boden liegen. Sogar der schwarze Umhang, den sie in der anderen Hütte gefunden hatte, lag dort.
Sie zog sich die Sachen über, nachdem sie sich hastig ein wenig mit dem Wasser gewaschen hatte, das in einer Schale auf dem Kaminsims stand.
In der dicken Kleidungsschicht sah sich sich noch ein letztes Mal in dem Raum um.
Da weder ihr Sattelzeug, noch ihre Packtaschen hier waren, vermutete sie, dass der Fremde sie bei Rose gelassen hatte.
Als sie die Tür aufzog, drang ihr ein eisiger Wind entgegen. Es hatte zwar aufgehört zu schneien, doch wirbelten die Windböen den Schnee von den Ästen der Tannen und an jede unbedeckte Stelle von Elenas Körper.
Sie zog die Schultern hoch, schob die Fäuste in die Jackentaschen und stapfte um die Hütte herum, zu dem kleinen Verschlag, in dem Rose stand. Hier war der Wind noch stärker und Elena musste all ihre Kraft aufwenden, um die Tür aufzuziehen.
Drinnen warf Rose nervös den Kopf hoch. Das Rauschen des Windes und die Gestalt, die im Türrahmen auftauchte, erschreckten sie.
Elena sprach beruhigend auf ihre Stute ein und betrat den kleinen Raum, der kaum mehr als drei Schritte in jede Richtung maß.
Sie tätschelte Roses Schulter und lehnte sich schon ein wenig erschöpft gegen sie. Der kurze Weg durch den tiefen Schnee hatte ihr schon einen Großteil ihrer Kraft geraubt und bei diesem Wetter durch die unbekannte Gegend zu reiten, war nicht gerade ihre Traumvorstellung von der Nacht des Heiligen Abend.
Als sie wieder etwas Atem geschöpft hatte, durchsuchte sie den Verschlag nach Roses Sattelzeug. Doch außer einem muffig riechendem Haufen Heu in einer Ecke, war der Raum leer.
Verwundert rieb Elena sich die Stirn. Wo hatte der Mann die Sachen hingepackt? In der Hütte waren sich nicht gewesen und hier bei Rose ebenfalls nicht. Angestrengt versuchte sie sich daran zu erinnern, was sie mit dem Sattelzeug gemacht hatte, als sie in der Nacht zwischen den Tannen eingeschlafen war.
„Mist“, entfuhr es ihr laut. Sie hatte Rose Sattel und Trense abgenommen und als Windschutz benutzt. Dann hatte der Fremde die Sachen vermutlich liegen gelassen. Wie er Rose aber ohne Halfter oder Trense bis zur Hütte gebracht hatte, konnte sie sich nicht erklären.Fieberhaft überlegte sie, was sie nun tun sollte. Noch immer wollte sie von dieser Hütte fort, wo der Mann jederzeit zurückkommen und wer weiß was mit ihr anstellen könnte. Am sichersten war es also, sich gemeinsam mit Rose auf den Weg zu machen, möglichst schnell und weit weg, von dieser Hütte.
Um das umsetzten zu können, musste sie aber reiten. Ansonsten würde sie nach zehn Metern zusammenbrechen und da konnte sie sich auch von Anfang an einfach wieder in die Hütte setzten und darauf warten, dass der Mann zurückkam.
Etwas zweifelnd blickte sie auf das weiche Fell auf Roses Rücken. Sie war schon häufiger ohne Sattel und Trense geritten, doch war dass immer auf dem Reitplatz oder der Weide gewesen. Sollte sie hier runterfallen und Rose weiterlaufen, wäre sie endgültig verloren. Aber vielleicht konnte sie aus einem Seil ein provisorisches Halfter mit Zügeln basteln, damit würde es wohl gehen.
Jetzt musste nur noch das passende Seil gefunden werden.
Und Elena hatte Glück. Von einem Balken herb hing ein altes, aufgerautes Seil. Sie streckte sich und erreichte gerade so den Knoten, mit dem das Seil fest verschlungen war. Doch mit den Handschuhen hatte sie keine Chance. Also streifte sie sie ab und zerrte so lange an dem Seil, bis es hinabfiel.
Rose hielt still, während Elena den Strick um sie schlang. Einmal über die Nase, einmal hinter den Ohren entlang und ein letzter Knoten unter dem Kinn. Der Rest des Sticks war nicht mehr so lang, wie Elena gehofft hatte. Sie konnte also keine Zügel daraus machen, sondern nur den Strick an einer Seite des Halses in einer Hand halten.
Elena schluckte einmal, als sie daran dachte, die warme Hütte zu verlassen und wieder mitten im Wald herumzuirren. Rose stupste sie fragend an.
„Na gut“, riss sie sich zusammen. „Zuerst weg von der Hütte. Und dann, wenn ich mich an der Sonne orientieren kann, reite ich nach Süden. Irgendwann muss ich dann ja auf ein Dorf treffen. Schließlich kann dieser Wald ja nicht unendlich lang sein.“. Bestätigend nickte sie noch einmal, dann führte sie Rose an dem Halfter hinaus in den Tiefschnee.
Draußen suchte sie eine Art Hocker mit dem sie auf Roses Rücken gelangen konnte und entdeckte nur einige Meter vor sich einen umgefallenen Baumstamm , der sich perfekt dafür eignete.
Entschlossen zog sie Rose hinter sich her, die sich nur widerwillig von der Hütte entfernte. An dem Baumstamm angekommen verschnaufte Elena einen Augenblick, dann kletterte sie auf den von Schnee rutschigen Stamm, wobei sie sich an der Mähne ihrer Stute festhielt. Von dort legte sie ein Bein über den Pferderücken und zog sich auf ihre Stute. Oben angekommen schloss sie die Augen, als schwarze Punkte in ihrem Blickfeld auftauchten. Die kleine Kletterpartie war schon beinahe zu viel für ihren geschwächten Körper. Sie sammelte ihre Kräfte, kuschelte sich ein wenig tiefer in ihre Jacke um dem schneidenden Wind zu entgehen und trieb Rose vorwärts.
Die Fuchsstute wandte noch ein letztes Mal den Kopf in Richtung Hütte, spitzte die Ohren und schnaubte abschließend. Dann ging sie im Schritt los und schon bald verschwanden die Beiden zwischen den Bäumen. Nur wenige Minuten hatte der Wind die Hufspuren zugeweht.


Fortsetzung folgt


So endlich geht es weite mit Phönixseele. Tut mir leid dass ihr so lange warten müsst.
Das vierte Kapitel ist abgeschlossen. Tut mir übrigens leid mit meiner Rechtschreibung, aber meine Lektorin^^ will sich den Text nochmal vornehmen und dann ist es auch viel besser zu lesen- hoffe ich XD

Impressum

Texte: Alle Personen und Orte in diesem Buche sind frei erfunden. Der Inhalt gehört dem Autor und darf nicht vervielfältigt werden.
Tag der Veröffentlichung: 28.11.2010

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Widmung:
Ich widme dieses Buch meiner Schwester, die mich in meinem Leben, sowie beim Schreiben zu immer mehr antreibt

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