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Kommentar zur Johannesapokalypse
von Paul Imhof

Nach Christi Himmelfahrt

Wer mit wem im Gespräch war, welche Weisen der Vermittlung dabei stattfanden, all das erzeugte den Text der vorliegenden Offenbarung.

Der Text entgrenzt denjenigen, der ihn hört, auf vielfache Weise. Zunächst auf den Text selbst hin. Denn er erklärt manche Worte durch dieselben Worte an anderen Stellen. So ist es etwa mit dem Zeugnis Jesu Christi (Offb 1,2). Es ist ein Grund, weswegen Johannes auf Patmos war (Offb 1,9). Bei dem Zeugnis Jesu handelt es sich um den Geist der Prophetie (Offb 19,10). Die göttliche Vorsehung wurde sichtbar.

Ein Verständnis durch den Text selbst erfährt auch die Rede vom Wort Gottes, das geschaut wurde (Offb 1,2). Es ist ein weiterer Grund, weswegen sich Johannes auf Patmos befand (Offb 1,9). Das Wort Gottes ist der Reiter auf dem weißen Pferd (Offb 19,11), der bekleidet ist mit einem blutgetränkten Gewand (Offb 19,13). Sein Name heißt: Das Wort Gottes (Offb 19,13). Es ist Jesus Christus.

Vieles in der geistigen Welt, die durch die Visionen des Johannes zugänglich wird, begreift der Leser erst im Verlauf des Textes. So erweisen sich z. B. die sieben Geister (Offb 1,4) als sieben Feuerfackeln (Offb 4,5), die etwas später mit den sieben Augen des Lammes (Offb 5,6) identifiziert werden. Trotz solcher sprachlicher Gleichsetzungen ist die damit gemeinte Wirklichkeit jedoch noch nicht begriffen. Wie ist ein tiefes, spirituelles Verständnis der himmlischen Wirklichkeit möglich? Welche Bewusstseinserweiterung, welche Inspiration, welche Erleuchtung, welcher Glaube ist dazu nötig?

Noch vor der Beantwortung dieser Fragen wende man sich dem Text der Johannesoffenbarung zu. Er enthält entsprechende Antworten. Der Text ist etwas, das man gründlich lesen sollte. Dabei können sprachwissenschaftliche Methoden hilfreich sein. Seine Wirkungs¬geschichte beweist dies zur Genüge. Die Entgrenzung des Textes durch den Kontext verlangt, sich dem ganzen Text und nicht nur einzelnen Wörtern und Sätzen zuzuwenden, um den Text zu verstehen. Es dauert also, bis sich der Text erschließt. Sein Sinn ist nicht offensichtlich, sondern zunächst verborgen.
Die Entgrenzung des Textes geschieht des weiteren auf die Realität hin. Die Zeit ist nahe, in der sich ereignet, was geschieht (Offb 1,3). Der Offenbarungstext des Johannes lässt sich nicht nur historisch, sondern auch geschichtlich in dem Sinn verstehen, dass seine Gültigkeit nicht abgeschlossen ist, insoweit er das bleibende Verhältnis von Zeit und Ewigkeit behandelt.

Was gehört zur Welt des Menschen? Unterscheidbar sind elementare, vegetative, animalische, humane und geistige Realitäten. Haben die Engel eine Bedeutung für das Verständnis der geistigen Welt? Für Johannes jedenfalls sind die Engel im Bauplan der Schöpfung wesentlich.

Der polydimensionale Text entgrenzt auf die Wirklichkeit der Engel hin. Dabei geht es primär nicht darum, eine vernünftige Engellehre zu rekonstruieren, sondern um das Erkennen der Realität in einem geistlichen Prozess, der ohne Unterscheidung der Geister nicht systematisch gegangen werden kann. Auch eine verantwortungsvolle geistliche Begleitung verlangt dies. Denn die inneren Regungen und Bewegungen sollen nicht nur sorgsam wahrgenommen werden, sondern auf einer Metaebene auch reflektiert werden. Der Text der Johannesapokalypse ist also zutiefst spirituell zu verstehen.

Weiterhin entgrenzt der Text auf eine existenzielle Beziehung zu Jesus Christus. Wer ist er? Erst in einer mehrjährigen Lern- und Lebensgemeinschaft mit dem Mann aus Nazareth begriffen die Jünger, dass Jesus der Christus ist. Wie lässt sich das Verhältnis zu ihm gestalten? Die Offenbarung Jesu Christi, wie sie Johannes überliefert, ist dafür ein Schlüssel. Durch seine Selbstvorstellung wird Beziehung ermöglicht.

Zudem verweist der Text der Offenbarung nach Johannes auf GOTT. Gehört zu einer angemessenen Textrezeption daher das Gebet? Ja, denn es ist die Methode schlechthin, um selbst gotteskundig zu werden. Darüber später mehr, wenn sich verdeutlicht hat, was bzw. wer mit Gott gemeint ist. Welche Offenbarungsgeschichte wird biblisch mit der ungeschaffenen Wirklichkeit verbunden, die in Israel verehrt wurde?

Kommt es allein schon dadurch zur Seligkeit, die im Text versprochen wird, wenn man ihn vorliest oder hört (Offb 1,3)? Vielleicht geschieht dies manchmal spontan. Der Gesamttext der Johannesoffenbarung aber weist in eine längere Gebetspraxis ein. Geistlicher Trost und Misstrost gehören in den Bereich von geordneten Gebetserfahrungen. Überraschende Gefühle von innerem Glück, ja von Seligkeit, sind Früchte praktizierter Frömmigkeit.

Johannes wünscht den Erstadressaten seines Sendschreibens die Gnade und den Frieden Gottes (Offb 1,4). Wer ist Gott? Schriftkundig zitiert Johannes die Selbstoffenbarung Gottes nach dem Buch Exodus, das zu den fünf Büchern Mose gehört. Sie sind die Heilige Schrift Israels und der jungen christlichen Gemeinden. In Exodus, dem Buch des Auszugs aus Ägypten, heißt es: „ICH bin, der ICH bin da“ (vgl. Ex 3,14), „wo du bist“, fügt Martin Buber bei seiner Übersetzung hinzu. Gott ist der, „der ist und der war und der kommen wird“ (vgl. Ex 3,14). Dieser Vers rahmt die Rede von Gott im Vorwort der Johannesapokalypse ein (vgl. Offb 1,4 u. 1,8).

Für den Propheten Jesaja ist GOTT derjenige, der im Anfang war und jetzt gegenwärtig ist und im Ende sein wird: „So spricht der Herr, Israels König, sein Erlöser, der Herr der Heere: ich bin der Erste, ich bin der Letzte, außer mir gibt es keinen Gott“ (Jes 44,6). Der ewige Gott ist das Alpha und das Omega.

Vertraut mit Psalmen und Propheten wünscht Johannes seinen Gemeinden den Frieden Jesu Christi. Mit entsprechenden Zitaten erläutert er, was mit Messias bzw. Christus gemeint ist. Dabei lassen sich Propheten wie Jesaja, Daniel und Sacharja als Thorakommentare zur Geschichte Israels verstehen, die auf den Messias zuläuft.

Der Messias bzw. Christus hat die Aufgabe, für die Völker zu offenbaren, wer Gott ist und was es heißt, ethisch zu leben. Für Johannes ist Jesus von Nazareth der Messias Israels und der Völker. Auf ihn hin legt Johannes geschichtlich und heilsgeschichtlich die Thora aus. Seine Art von Auslegung ist von seinem Selbstverständnis her aber eine von ihm nur aufgezeichnete Offenbarung Jesu Christi, d. h. Christus selbst meldet sich auf diese Weise in Welt und Geschichte zu Wort.

Das Christusverständnis des Johannes, wie es in seinem Vorwort zugänglich wird, ist die Basis für ein hohes christliches Selbstwertgefühl. Man kann davon ausgehen, dass sich die ersten Christen ihrer Würde und Auserwähltheit durchaus bewusst waren. Von außen betrachtet erzeugt dies oft Aggressionen. Denn man benötigt viel Toleranz, um die Andersheit eines Christen zu ertragen. Jede Exklusivität führt leicht zu Feindschaft und Missverständnissen. Man denke nur an die Wirkungsgeschichte des Wortes: „Niemand kommt zum Vater außer durch mich“ (Joh 14,6). Dabei geht es eigentlich darum, wie eine Gemeinschaft mit einer intensiven Christusbeziehung aus dem Gebet lebt.

Bevor man sich auf den Offenbarungstext als solchen einlässt (Offb 1,10 ff), sollte man sich fragen, inwieweit das letzte Buch der christlichen Bibel für nichtchristliche Adressaten überhaupt verständlich ist. Erschließt es sich nur, wenn vorab eine spezielle Geisterfahrung stattgefunden hat? Oder kann es auch sein, dass zu einer vernünftigen Rezeption geistliche Übungen gehören, während derer sich genuine Geisterfahrungen ereignen? Wie entsteht ein hermeneutischer Zirkel, der sich nicht nur innerhalb einer Binnentranszendenz bewegt, sondern der offen ist für GEIST aus Ewigkeit?


DAS PFINGSTWUNDER VON PATMOS

„Am Tag des Herrn wurde ich vom GEIST ergriffen und …“ (Offb 1,10).


Pfingstsonntag

Welche Geisterfahrung machte Johannes auf Patmos? Was sah und hörte er in seiner Ergriffenheit? (Offb 1,10)? Das Buch der Offenbarung enthält, was er davon aufgeschrieben hat (Offb 1,11).

Viele Seiten Text entstehen, um die Dynamik pfingstlicher Vermittlung, die durch den gemeinsamen Geist in verschiedenen Sprachen geschieht, von den Machenschaften des Ungeistes, der zur Unmenschlichkeit verleitet, unterscheiden zu lernen. Weder die Anstrengungen gewalttätiger Himmelsstürmer noch die Antreiber kollektivsüchtiger Zwangsarbeiter bringen mehr Himmel auf die Erde. Ganz im Gegenteil. Die babylonische Sprachverwirrung nimmt zu. Der Untergang rückt näher.

Der Heilige Geist ist die treibende Kraft, die unabhängig von menschlicher Umtriebigkeit schaffen will, was dem Geiste Jesu gemäß ist. Durch ihn werden die menschlichen Triebe, etwa Esstrieb, Anerkennungstrieb, Sexualitäts- bzw. Fortpflanzungstrieb, so in die Gesamtpersönlichkeit integriert, dass sie dem Willen Gottes entsprechend gesteuert werden können. Sowohl die menschliche Seele mit ihren Seelenvermögen, seien sie bewusst oder unbewusst, wie auch die geistige und körperliche Realität des Menschen sind Wirkfelder des Heiligen Geistes. Befindlichkeiten und Grundkräfte, Gedanken und Ideen, kurzum innere Völker werden in einem geistlichen Prozess verwandelt und neu positioniert. Dem Weg nach Innen korrespondiert die Sendung nach Außen zu den Völkern (vgl. Apg 2,9-11; Mt 28,19) bzw. zu den sieben Gemeinden (vgl. Offb 1,11).


Dreifaltigkeitsonntag

Seine Pfingsterfahrung bringt Johannes dazu, in Christus das Alpha und das Omega zu sehen (Offb 1,17). So ist seine Geisterfahrung zugleich Gottes- und Christuserfahrung. Spirituali¬täts¬ge¬schichtlich gesehen ist die Offenbarung nach Johannes der Grundtext für eine jahr¬hunderte¬lange Tradition trinitarischer Mystik, die sich einer lebendigen Christusbeziehung verdankt. Wie ist die Gottheit in Christus präsent? Kultische und liturgische Sprache versucht davon zu künden. Prophetische Rede spricht in Gottes Namen. Die Gottheit Gottes ist zu achten. Dies ist die Basis allen Betens.

Der Vokativ dreht um! Was war das für eine „Umkehr“ des Johannes, die mit seiner neuen Berufung zum eschatologischen Seher Jesu Christi zusammenfiel (Offb 1,12)? Die Selbst¬offenbarung Jesu Christi ist der Grund für die universelle Kirchen- und Weltdeutung im Horizont der Ewigkeit.

Eine alttestamentliche Kürzel- bzw. Zitatensprache bildet den hymnischen Stoff für das persönliche Gespräch zwischen Christus, wie er auf Patmos, dem Jerusalem der Ägäis, erschienen ist, und demjenigen, der die Johannes¬apokalypse als ewiges Evangelium (Offb 14,6) verstehen möchte. Dieser innere Dialog ist die geistliche Übung, die nach dem Dreifaltigkeitsonntag eine Woche lang zu wiederholen ist. Das so genannte Herzensgebet ist dafür besonders geeignet.


Sonntag der sieben Gemeinden

Das Urbild der sieben Leuchter wird im Buch Exodus und im Buch Numeri beschrieben (vgl.
Num 8,1-4; Ex 25,31-40; 37,17-24). Wie stehen die sieben Gemeinden in der Erwählungs- und Heiligkeitsgeschichte Israels? Christus hält sie in seinen Händen. Er ist ihr tragender Grund.

Die sieben Leuchter brennen, wenn die sieben Engel zu ihren Lichtern werden. Im hellen Schein der glänzenden Leuchter versammeln sich Christen, um gemeinsam im Dunkel einer untergehenden Welt auszuharren. Im Lichtkegel der Gnade begreifen sie, wie es steht um Zeit und Ewigkeit.

Wie die Sterne am Nachthimmel von sich her leuchten und die Menschen, die sie sehen zum Staunen bringen, so erreichen die Lichtgeister die Menschen, die für sie offen sind. In den Spuren der Engel wird göttlicher Trost erfahren, der die Menschen von innen erleuchtet. So entsteht Gemeinde.

Eine geistliche Übung besteht darin, dass man nach seiner persönlichen Menorah Ausschau hält und sie kreativ gestaltet. Was ist meine Kerngemeinde? Wer gehört dazu? Wofür stehen die einzelnen Arme der Menorah? Wo ist organisches Wachstum angesagt?

In der persönlichen Besinnungszeit kann man sich weiter fragen, zu welcher Gemeinde man sich zugehörig fühlt. Oder ist es Zeit, eine neue Gemeinde zu suchen? Bietet sich eine Gemeinde vor Ort an oder eine weltweite Gemeinschaft oder beides zugleich? Welche Erfahrungen sind nötig, um sich spirituell sinnvoll zu vergesellschaften? Wie bleibt eine christliche Gemeinde lebendig? Man lese dazu im ersten Korintherbrief (vgl. 1 Kor 12,27-31a). Hier werden die Charismen aufgeführt, die nötig sind, damit eine Gemeinde lebensfähig ist. Paulus legt allen ans Herz, danach Ausschau zu halten, was noch fehlt (vgl. 1 Kor 12,31). Die Basis für Gebet und Gottesdienst in der christlichen Gemeinde ist der gemeinsame Glaube an den auferstandenen Christus: „Gott sei Dank, weil er uns den Sieg geschenkt hat durch unseren Herrn Jesus Christus“ (1 Kor 15,57).

Nun wende man sich den johanneischen Gemeinden zu, wie sie im Sendschreiben von Patmos nach Ephesus, Smyrna, Pergamon, Thyatira, Sardes, Philadelphia und Laodizea skizziert sind (Offb 1,11).


Sonntag der Gemeinde von Ephesus

Mit dem Sendschreiben an den Engel der Gemeinde in Ephesus (Offb 2,1-7) beginnt ein neues Kapitel im eigenen geistlichen Prozess. Der Text des „Visitationsberichtes“ lässt sich auf den Sonntag der Gemeinde von Ephesus (Offb 2,1-6) und den Sonntag der ersten Verheißung (Offb 2,7) verteilen. Das Schema, das einerseits Analyse und Weisung und andererseits Verheißung enthält, wird bei den einzelnen Gemeinden jeweils wiederholt.
Der HERR der sieben Engel lässt an den Engel schreiben, in dessen Licht die Gemeinde von Ephesus zum Vorschein kommt (Offb 2,1). Ob sich die Botschaft realistischerweise an den Gemeindeleiter bzw. Bischof richtet, was in älteren Kommentaren behauptet wird, sei dahingestellt.

Was markiert das Profil der Gemeinde in Ephesus? Zunächst wird an das Ergebnis einer geistlichen Klärung erinnert, die in der Gemeinde stattgefunden hat. Ein langwieriger Prozess war dazu nötig. Keineswegs ist alles egal. Die Frage nach der Sendung musste entschieden werden. Offensichtlich gab es Leute, die sich für befugt hielten, die Sendung zu bestimmen. Aber es stellte sich heraus, dass ihre Ideen und Konzepte falsch waren. Die damit verbundenen Leitbilder erwiesen sich als Illusionen. Mit Repräsentanten von Halbwahrheiten kann man keine missionarische Gemeinde bauen (Offb 2,2).

Um den Zustand der Gemeinde zu begreifen, wird auf ein wichtiges spirituelles Kriterium aufmerksam gemacht: Der Mangel an Liebe (Offb 2,3). Dabei ist es unerheblich, ob es dazu durch endlose, zermürbende Diskussionen und Debatten kam, oder ob man aus anderen Gründen an Liebeskraft verloren hat.

Der Name Christi steht dafür, dass er die Geschichte der Gemeinde geprägt hat. Wie kann er wieder zur ersten Liebe werden (Offb 2,4)? Hatte man in Ephesus genug damit zu tun, dass man auf jeden Fall zumindest das grundsätzlich Christliche der Gemeinde retten wollte? Es genügt jedoch nicht, sich prototypisch zu orientieren, sondern es geht um eine lebendige Beziehung zum Erstgeborenen der neuen Schöpfung (vgl. Kol 1,15). „Ich bin umarmt“, bekennt, wer tiefe Freundschaft erfährt. Die Kehre zu Christus steht an.


Sonntag der ersten Verheißung

Greift die Verheißung das Motiv auf, von welcher Höhe jemand gefallen ist (vgl. Offb 2,5)? Das Gleichnis vom höchsten Baum im Paradies (Ez 31,8), mit dem der Prophet Ezechiel den Sturz des Pharao beschreibt (Ez 31), legt dies nahe. Denn alle Verheißungen an die sieben Gemeinden sind so angelegt, dass das entscheidende Motiv im Text vor der entsprechenden Verheißung schon genannt ist.

Die zentrale, positive Verheißung bezieht sich auf den Baum des Lebens, der im Paradiese Gottes steht (vgl. Gen 2,9). Jedem der siegt – jeder, der teilhat an der Wirklichkeit des auf¬erstandenen Christus – wird die Rückkehr in den Garten Eden zugesagt (vgl. Offb 2,7). Das ist der Kern der Verheißung an die Gemeinde von Ephesus. Christus gibt vom Baum des Lebens zu essen, der in der ersten Schöpfung noch tabu war. Wer davon isst, lebt ewig (vgl. Gen 3,22). Und wir leben an der Grenze zwischen der alten und der neuen Schöpfung. Was ist das ewige Leben? Im Johannesevangelium steht die Antwort: „Dich den einzigen und wahren Gott erkennen und Jesus Christus, den du gesandt hast“ (Joh 17,3).

Was ist der Lebensbaum? Wird nach ihm gesucht in den armenischen Knospenkreuzen? Scheint er auf in den Christ- und Weihnachtsbäumen? Hat er etwas zu tun mit der unsichtbaren Weltenachse, um die man als Maibaum tanzt? Wer ein Bild von seinem individuellen Lebensbaum malt, wird die Sehnsucht nach dem Baum des Lebens entdecken, der im Paradies steht.

Die Christen sind davon überzeugt: Wer am Baum des Wissens im Paradies gesiegt hat (vgl. Gen 3,13b), der wurde am Holz des Kreuzes besiegt (vgl. Lk 24,7). Das bloße Wissen um den Verlust des Paradieses führt nicht zurück in den Garten Eden, geschweige denn zum Baum des Lebens. Gott „ließ lagern vor dem Garten Eden die Cherubim mit dem flammenden, blitzenden Schwert, zu bewachen den Weg zu dem Baum des Lebens“ (Gen 3,24).

Der Baum des Lebens (vgl. Offb 22,2-3) ist die Metapher, die zum Einstieg in das Betrachtende Gebet führt. Dadurch wird die erste Verheißung dem Glaubensschatz des Beters hinzugefügt.


Sonntag der Gemeinde von Smyrna

Für die Gemeinde in Smyrna ist einiges typisch. Trotz ihrer Armut und Bedrängnis wird sie als reich bezeichnet (Offb 2,9). Was ist das für ein Segen? Man wird an Basisgemeinden z. B. in Brasilien erinnert, die reich sind an Lebensfreude und menschlichen Werten. Im Vordergrund steht nicht all das, was fehlt, sondern das, was an Positivem vorhanden ist. Dies könnte ein Anlass sein zu fragen, womit man selbst gesegnet ist.

Wer sind die sogenannten Juden (Offb 2,9)? Gemeint sind wohl jene, die mit ihrer Halsstarrigkeit und Rechthaberei anderen die Hölle heiß machen. Sie haben die Bibelauslegung anscheinend gepachtet. Ihr religiöses Sendungs- und Erwählungsbewusstsein sorgt aber nur für Verwirrung. Wie durch einen Zensor wird Furcht und Schrecken verbreitet.

An einem Zitat aus dem Buch Daniel (Dan 1,12) wird deutlich (Offb 2,10), wie die Bibel zum Sprach-, Sprech- und Wortschatz des Johannes gehört. Man kann davon ausgehen, dass er sie auswendig kennt. Wie selbstverständlich steht sie mit ihrer Bilderwelt zur Verfügung, um etwas auszudrücken. Das Experiment mit Daniel, Hananja, Michael und Asarja aus dem Stamme Juda in der Babylonischen Gefangenschaft (Dan 1,1-21) zeigt, wie die Treue zu Gottes Weisung einen Weg in die Zukunft eröffnet. Natürlich ist damit nicht jene Nibelungen¬treue gemeint, die in den Untergang führt. Nicht Tod und Verderben, sondern der Kranz des Lebens ist das Ziel (Offb 2,10).


Sonntag der zweiten Verheißung

Der Tod ist ein wesentliches Thema in der Gemeinde von Smyrna (Offb 2,8; 2,10; 2,11). Dabei gilt es genau zu unterscheiden. Gemeint ist einerseits das physische Verscheiden und andererseits der sogenannte zweite Tod. Was ist mit letzterem gemeint? Er ist das eigentliche metaphysische Übel, die Hölle schlechthin. Wie tröstlich ist die Verheißung, dass der zweite Tod den nicht verderben kann, der siegt (Offb 2,11).

Christus hat die Schlüssel des Todes und der Welt des Todes (Offb 1,18). So sieht man an der orthodoxen Auferstehungsikone, wie der Auferstandene auf den Pforten der geöffneten Unterwelt steht. Er nimmt Adam und Eva an der Hand und ringsum liegen die Teile eines Schlüsselbundes und eines zerstörten Schlosses. Der Tod hat keine Macht mehr. „Der Tod und die Welt des Todes aber werden in den Feuersee geworfen. Das ist der zweite Tod: der Feuersee“ (Offb 20,14). Der Tod des Todes ist die Kehrseite des Triumphes Christi.

Die Verheißung wider den Tod wird durch Zitate aus den Propheten Hosea und Jesaja angereichert (vgl. Offb 20,13-14). Der Herr der himmlischen Heerscharen wird für alle Völker auf dem Zion ein Festmahl geben, dem Ort seiner Gegenwart in Jerusalem (Jes 25,6). „Er beseitigt den Tod für immer. Gott, der Herr wischt die Tränen ab von jedem Gesicht“. (Jes 25,8).
Wer wie Efraim auf Baal als Gott gesetzt hat, handelt sich mit dem Baalsprinzip auch den Tod ein, der zum naturalen Kreislauf gehört (Hos 13,1). Gott, der Ewige, jedoch ist der Zyklik der Natur enthoben. ER spricht zu dem, der sich abwendet von den Göttern und heimkehrt zu Gott: GOTT: “Was hat Efraim noch mit den Götzen zu tun? Ich, ja, ich erhöre ihn, ich schaue nach ihm.“ (Hos 14,9).

Die Gebetszeit, in der die zweite Verheißung verinnerlicht wird, dient dazu, die religiöse Prägung durch Überlieferungen von der Hölle zu durchleuchten. Für die befreite Freiheit ist der unendliche Feuersee keine Alternative.


Sonntag der Gemeinde von Pergamon

Und wieder ist es Christus selbst, der spricht. Sein Richtschwert ist geschliffen mit Barmherzigkeit und Gerechtigkeit. Nicht Strafgerechtigkeit im menschlichen Sinn kann gemeint sein, sondern nur Gottes Gerechtigkeit. Durch sie wird der Sünder aus Gnade gerechtfertigt (vgl. Röm 3,21-24). Christus, das Wort Gottes, sorgt für diese Gerechtigkeit. Er kämpft mit dem „Schwert seines Mundes“ (Offb 2,6). Er führt in die Krise und klärt sie.

Die Unterscheidung zwischen Christus und den Herrschern ganz anderer Art, die den Menschen bestimmen wollen, geschieht in Pergamon. Hier steht der Thron Satans, das Symbol menschenfeindlicher Herrschsucht. Mächte und Gewalten, Götter und Götzen versuchen an Gottes Statt den Menschen in ihrem Sinn funktionieren zu lassen. Dabei kann es sich um Götzen aus der Höhe handeln. Angefangen von Idealen und Ideen, die mit göttlichem Nimbus umgeben werden, bis hin zum Über-Ich oder Potentaten jeglicher Couleur, sei es weltlicher oder kirchlicher Provenienz. Übermenschliches verführt allzu gern zur Unmenschlichkeit. Aber auch Halbgötter in Weiß, Schwarz-Weiß oder Grau in Grau verleiten zur Vergötzung. Die sogenannte Mittelwelt mit ihren Normen und Standards erzeugt eine Atmosphäre, in der Schritt für Schritt die Freiheit des Menschen zu reduzieren versucht wird. Selber Schuld, könnte man sagen, wenn jemand Gegenständliches, Strukturelles, Programmatisches, Autoritäres, Bedingtes mit dem Anspruch unbedingter Liebe verwechselt.

Nicht zu vergessen sind die unsichtbar wirkenden Idole aus den Tiefenschichten. Die Mächte des Es können den Menschen bannen, sodass man meint, erst nach einer langjährigen Psychoanalyse werde der zwischenmenschliche Verhaltenskodex wieder relevant. Irgendeine alte Kränkung, eine unbestattete Leiche im Keller des Unbewussten, eine tief verdrängte unversöhnte Beziehung, irgendetwas kann so dominant werden, dass sich praktisch das ganze Leben nur noch darum dreht. Wie glückt die Entsorgung? Kurzum, sobald etwas Geschaffenes auf dem inneren Hausaltar sitzt, sodass es gleichsam die Stelle Gottes einnimmt, ist es Zeit sich zu fragen, wie man wieder seinem Gewissen gemäß leben kann. In diesem Sinn ist der „Polytheismus“ mit seinen vielen Göttern zwar normal, aber nicht gut.

Auf zwei spezielle Gruppierungen in der Gemeinde von Pergamon wird besonders hingewiesen (Offb 2,14-15). Es handelt sich um die Bileamiten (vgl. Num 25,1; 31,16) und die Nikolaiten. Die Erstgenannten trifft der pauschale Vorwurf der Verführung, der Unzucht und der Teilnahme an verbotenen Kultveranstaltungen. Wie ist die Reaktion des wiederkehrenden Christus? Er reagiert nicht mit dem tödlichen Spieß (Num 25,8) oder der Vollstreckung des Bannes (Num 31,17), sondern mit dem Schwert seines Mundes (Offb 2,16).

Der Segen des Bileam wurde durch die sogenannten Bileamiten verdreht, und es wurde behauptet, er hätte den Moabiterkönig Balak gelehrt, er solle Israel verfluchen (vgl. Offb 2,14). Welche Lehre, die den Urheber des Segens mit dem Urheber des Fluches verwechselt (vgl. Num 24,15-17)!

Wie in Ephesus (Offb 2,6) so agieren in der Gemeinde von Pergamon ebenfalls die Nikolaiten (Offb 2,13). Historisch lässt sich über sie nicht viel ausmachen. Doch ihr Name gibt hinreichend Grund für allerlei Vermutungen. Nicht mehr Jesus Christus soll durch seine befreiende Christokratie herrschen, sondern das völkische Prinzip, eine „Laiokratie“ scheint erstrebenswert. Darunter kann sich zeitgeschichtlich höchst Unterschiedliches verbergen, ein sich selbst absolut setzender Laizismus oder eine gottlose Volksdemokratie. Zur faschistischen Parole von einem Volk, einem Führer und einem Reich ist es nicht weit.

In der Gemeinde von Pergamon existierte weltgeschichtlich gesehen natürlich eine völlig unbedeutende, wenn auch bedrohliche Gruppierung, die man Nikolaiten nannte. Rudimentär mag es einen frühen Antagonismus zwischen Klerus und Laien gegeben haben. Dabei werfen die einen den anderen Stümperhaftigkeit vor, die anderen kontern damit, dass sie die Macht der Mehrheit besitzen.


Sonntag der dritten Verheißung

Um die Größe einer Verheißung halbwegs zu erfassen, sollte man sich genügend Zeit zur Meditation nehmen. Es lohnt sich, die doppelte Verheißung von Pergamon gründlich auf sich wirken zu lassen.

Zunächst geht es um das verborgene Manna, das in der Zukunft derjenige erhält, der siegt (Offb 2,17). Den Hintergrund bildet das Wunder in der Wüste, durch das Israel zu essen bekam. „Und er ließ Manna auf sie regnen zur Speise und gab ihnen Himmelsbrot. Brot der Engel aßen sie alle, er sandte ihnen Speise in Fülle“ (Ps 78,24-25). Der biblische Langtext dazu steht im Buch Exodus (vgl. Ex 16,1-36). Neutestamentlich greift Jesus dieses Motiv auf, um seine Sendung zu bezeugen, die sich in der Ewigkeit vollendet (vgl. Joh 6,32-35; 6,48-59).

In der Verheißung wird durch Gott erfüllt, woran die Versuchung prinzipiell scheitert. Anstelle der Mahlzeiten mit Götzenopferfleisch (Offb 2,14) tritt das himmlische Festmahl mit dem verborgenen Manna (Offb 2,17). Daran nimmt teil, wer mit neuem Namen genannt wurde: “Man soll dich nicht mehr nennen ‚Verlassene’ und dein Land nicht mehr ‚Einsame’, sondern du sollst heißen ‚meine Lust’ und dein Land ‚Liebe Frau’; denn der HERR hat Lust an dir und dein Land hat einen lieben Mann“ (Jes 62,4).

Der Name ist geschrieben auf weißen glänzenden Marmor, den Stein aus dem die Götterstatuen gemeißelt waren. Welche Symbolik! Die Christen sind die Töchter und Söhne des wahren Gottes, die er mit ihren eigenen Namen nennt. Sie sind zum himmlischen Festmahl geladen.

Für Menschen, die in der griechischen Antike beheimatet sind, ist noch ein weiterer Aspekt mit dem weißen Stein verknüpft. Wenn das Urteil gefunden werden musste, ob jemand in die Verbannung geschickt werden sollte oder das Recht erhielt, in der Heimat zu bleiben, dann wurde mit schwarzen und weißen Steinen abgestimmt. Der schwarze Stein stand für Verbannung, der weiße Stein sprach vom Gang in die Verbannung frei.

Das verborgene Manna und der weiße Stern mit dem neuen Namen sind die Gegenstände für die innere Betrachtung. Angesichts der dritten Verheißung wächst in der Gebetszeit die persönliche Beziehung zu Gott.


Sonntag der Gemeinde von Thyatira

Der jüdische Spitzentitel für den Messias, nämlich Sohn Gottes (vgl. Ps 2,7) gehört zur Selbstvorstellung Jesu Christi (Offb 2,18), der sich einerseits sehr positiv über das äußert, was in Thyatira geschieht (Offb 2,19). Andererseits sagt er entschieden Nein zu einer Theorie und Praxis, die im Kreis um Isebel der Fall war (vgl. Offb 2,20-24).

Die Geschichte der alttestamentlichen Isebel kommt in den Sinn (1. Kön 21,1-29). Nach ihrer religiösen Ideologie sollte sich jegliches dem Wissen unterordnen, nach dem es zu funktionieren hatte. Nur Baal regiert. Die Propheten Gottes sollen zugrunde gerichtet werden. Werte und Würde, Person und Geschichte, Freiheit und Gewissen spielen keine entscheidende Rolle mehr.

Alles wird veräußerlicht. Oberflächlichkeit zählt. Materialismus ist Triumph. Eine Scheinwelt entsteht. Sie allein hat Bedeutung. Eine pornographische Spiritualität entwickelt sich. Es ist interessant, wie das griechische Wort für Unzucht, nämlich porneia darauf hinweist (vgl. Offb 2,20; 2,14).

Denn selbstverständlich werden durch eine solche Kultideologie alle wertorientierten und personal verantworteten Beziehungen prinzipiell in Frage gestellt. Den Mangel an Innerlichkeit ersetzt man durch die Pseudotiefe okkulter Praktiken. Statt wesentlich zu leben, setzt man auf pornographische Beliebigkeit. So aber kommt keine Zukunft in Gottes Namen zustande. Da die Chiffre für die Zukunft das Kind ist, wird in drastischer Sprache enthüllt, was Zukunft hat und was nicht (vgl. Offb 2,23).

Fragen der Ethik haben mit Gott zu tun. Das Handeln des Menschen bringt Konsequenzen mit sich, die sich jedoch durch eine neue Praxis verändern lassen. Alttestamentlich wird diese Thematik ausführlich behandelt (vgl. Ps 7,10; Jer 11,20; Ps 62,13; Spr 64,12). Während die Moral normalerweise eine Zusammenfassung von Prinzipien, Gesetzen und Vorschriften ist, nach der das menschliche Leben geregelt werden sollte, wird in der Ethik das Gewissen des einzelnen bewusst berücksichtigt. Sokrates hörte auf sein Gewissen, er war ein freier Mann. In der jüdisch-christlichen Tradition wird das Gewissen mit der inneren Stimme identifiziert, durch die Gott spricht.

Außer durch Isebel, die in Thyatira ihr Unwesen trieb, ist die Stadt durch Lydia bekannt geworden, eine Purpurhändlerin, die sich vom Apostel Paulus im Zygagtes bei Philippi taufen ließ (vgl. Apg 16,13-15). „Als sie und ihr Haus getauft waren, bat sie: Wenn ihr überzeugt seid, daß ich fest an den Herrn glaube, kommt in mein Haus und bleibt da“ (Apg 16,15). Lydia verkörpert jene christliche Spiritualität, die im scharfen Kontrast zu einer ekstatischen, aber zukunftslosen Lehre steht (Offb 2,24). Baalische Zyklik und nicht göttliche Ewigkeit ist der Kern einer solchen Lehre.


Sonntag der vierten Verheißung

In der Antike ist der Morgenstern das Symbol der Venus bzw. der Aphrodite. Am Abend wird sein Glanz sichtbar, am Morgen birgt sich seine Helligkeit zurück in das Licht des Tages. Er braucht weder das Zwielicht einer schummrigen Welt noch ein künstliches Getue, um heller zu werden.

Viele Seeleute in der Antike orientierten sich an diesem Gestirn, um ihren Kurs zu bestimmen. Zu einem grundlegenden Prozess der Inkulturation trat Maria, die Mutter Jesus, das Erbe der Venus an. „Meerstern ich dich grüße“, heißt es im Kirchenlied.

Wer ist der Morgenstern, der als ewiges Geschenk verheißen ist (vgl. Offb 2,27)? Es ist Christus selbst (vgl. Offb 22,16). So wie er an sich Teilhabe gewährt (Offb 2,28), lässt er auch an seiner Mächtigkeit partizipieren (Offb 2,26-27). Der Vers, der seine Messianität beschreibt (vgl. Ps 2,7-8), gilt in Zukunft auch für Christen. Sie sollen ihm gleichen.

Um diese Bildsprache von ihren Wurzeln her zu verstehen, lohnt sich ein Blick auf den Kultlauf des Pharao, mit dem er seine weitere Herrschaft über Ägypten legitimierte. Angetan mit seinem Staatsgewand versammelte der Pharao seinen Hofstaat, um das Krönungsritual zu wiederholen. Gegürtet mit einem Stierschwanz, der seine Kraft symbolisiert, trug er eine Eisenkeule als Zepter. Das Material war um vieles wertvoller als Gold. Auf seinem Diadem prangte eine stilisierte Königskobra, die bedeutet, dass er über Gift zur Abwehr der Feinde verfügt. Daneben das Symbol der Geiergöttin. Denn eine Aufgabe des Herrschers bestand darin, dass er alles Verwesende wieder in den Kreislauf des Lebens zurückholt.

In ein paar hundert Meter Entfernung vom Pharao waren viele leere Tonkrüge aufgeschichtet. Sie sollten zerschlagen werden. Denn sie repräsentierten die Feinde des Pharao. Machtvoll demonstrierte er seine Kraft, indem er das Zeremoniell des Festes durchführte. Es ging um Legitimierung von Herrschaft anhand eines öffentlichen Aggressionsrituals.

Charakteristisch für den Pharao waren seine fünf Namen, zwei Geburts- und zwei Thronbesteigungsnamen sowie der Osirisname. Von ihm, dem Sohn Gottes, erwartete man Segen und Heil. Dieser Titel wird in neuer Bedeutung auf den Messias Israels und der Völker angewendet (vgl. Ps 2,7).

Das Christentum verbreitete sich in Ägypten rasch. Die koptische Kirche ist etwas Besonderes. Jesus von Nazareth ist der neue, der ganz andere Pharao. Nach der Überzeugung der Christen treffen auf ihn die fünf Namen zu, mit denen Prophet Jesaja den Messias bezeichnet: „Wunderbarer, Ratgeber, starker Gott, Vater in Ewigkeit, Fürst des Friedens“ (Jes 9,5b).

Im Kraftfeld der Gnade verdeutlicht sich der Sinn der vierten Verheißung. Betend werden Zepter und Morgenstern visualisiert. Ein existentielles Verständnis entsteht.


Sonntag der Gemeinde in Sardes

Auch der Gemeinde in Sardes wird ein Beichtspiegel vorgehalten. Er zeigt an, was der Fall
ist. Und er enthält Weisungen, wie es in Zukunft sein sollte. Was ist das für eine Gemeinde (Offb 3,1-4)? Züge davon findet man in der so genannten Volkskirche wieder. Die Kultur funktioniert, die Ästhetik stimmt, aber innerlich ist manches abgestorben. Die Affinität zum Tod ist offensichtlich. Doch es lohnt sich, wachsam zu sein und zu stärken, was übrig ist (Offb 3,2). In der Extremform geht die Parole um: Kirche ja, Christus nein. Während bei denen, die sich für die besseren Christen halten, es meistens heißt: Kirche nein, Christus ja.

Die Polarität von Leben und Tod ist typisch für Sardes. Unendlich vielfältig sind die Weisen des Lebens, zahllos die Formen des Todes. Mit dem schwarz-weiß marmorierten Sarder wird dies zum Ausdruck gebracht. Er ist einer der der zwölf Grundsteine im neuen Jerusalem (Offb 21,19).

Die Lehre, die ursprünglich auch in Sardes gemeindebildend war, ist das Evangelium Jesu Christi. Daran soll man in Zukunft neu festhalten (Offb 3,3). Wer alles verschläft, wird auch das Pascha Jesu nicht bemerken (Offb 3,3).

Rühmend wird erwähnt, dass es in Sardes Christen gibt, die ihre Taufgnade bewahrt haben (Offb 3,4). Das Bild dafür sind die weißen Gewänder. Solche Festkleider trug man bei Taufe oder Hochzeit. Damit wird ein Leben in Würde angesagt. „Das Leinen bedeutet die rechten Taten der Heiligen“ (Offb 19,8). Gemeint ist jenes ethische Verhalten, das sich aufgrund des Gerechtfertigtseins wie von selbst ergibt.


Sonntag der fünften Verheißung

Das Sendschreiben, das die Gemeinde in Sardes erreichte, kreist um das Mysterium von Tod und Auferstehung. Die darin genannte Verheißung ist ein großer Trost für alle, die glauben können, dass sie sich an ihnen bewahrheitet. Wer mit dem Licht des Auferstandenen überkleidet wird, lebt in Ewigkeit (Offb 3,5). Welche Botschaft in düsteren Zeiten!

In der Taufe wird der Doppelcharakter der Existenz, die eingespannt ist zwischen Leben und Sterben, gedeutet. „Wißt ihr denn nicht, daß wir, die wir auf Christus Jesus getauft wurden, auf seinen Tod getauft sind? Wir wurden mit ihm begraben durch die Taufe auf den Tod, damit so, wie Christus durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferweckt wurde, auch wir in dieser neuen Wirklichkeit leben. Wenn wir nämlich mit der Gestalt seines Todes vereinigt worden sind, dann werden wir es auch mit der Gestalt seiner Auferstehung sein“ (Röm 6,3-5).

Während mit dem Tod im negativen Sinn des Wortes die Unlebendigkeit der Gemeindemitglieder gemeint ist (Offb 3,1), kann man unter Tod im positiven Sinn des Wortes den mystischen und sakramentalen Akt verstehen, durch den der gläubige Christ am Leben und Sterben Jesu Christi, aber auch an seiner Auferstehung Anteil gewinnt.

Was ist das Buch das Lebens (Offb 3,5)? Wessen Name ist darin verzeichnet? Im Buch Exodus wird überliefert, dass Moses davon überzeugt war, dass bei Gott ein Buch des Lebens existiert. Nach dem Tanz Israels um das Goldene Kalb bittet er Gott: „Vergib ihnen doch ihre Sünde; wenn nicht, dann tilge mich aus deinem Buch, das du geschrieben hast“ (Ex 32,32). Mose ist bereit, wie später Paulus (vgl. Röm 9,3), um Israels willen auf seinen Himmel zu verzichten.

Nicht allzu fromm hingegen klingt der Wunsch des Psalmisten für seine Feinde: „Tilge sie aus dem Buch des Lebens, daß sie nicht geschrieben stehen bei den Gerechten“ (Ps 69,29). In den Versen vorher werden sie charakterisiert: „Die mich ohne Grund hassen, sind mehr, als ich Haare auf dem Haupte habe. Die mir zu Unrecht feind sind und mich verderben wollen, sind mächtig. Ich soll zurückgeben, was ich nicht geraubt habe. ... Ich warte, ob jemand Mitleid habe, aber da ist niemand, und auf Tröster, aber ich finde keine. Sie geben mir Galle zu essen und Essig zu trinken für meinen Durst“ (Ps 69,5.21-23).

Das Buch Daniel richtet sein Augenmerk weniger auf individuelle, eschatologische Fragestellungen als vielmehr auf die große geistig-geistliche Auseinandersetzung, die in der Welt der Völker und Nationen stattfindet. Am Ende läuft es darauf hinaus: „In jener Zeit wird Michael, der große Engelsfürst, der für dein Volk eintritt, sich aufmachen. ... Dein Volk wird errettet werden, alle, die im Buch geschrieben stehen“ (Dan 12,1).

Tröstlich ist es, dass Jesus zu seinen Jüngern sagt: „Freut euch, daß eure Namen im Himmel verzeichnet sind“ (Lk 10,20). Und Paulus schreibt in seinem Brief an die Philipper, was mit denen geschieht, die sich mit ihm für das Evangelium eingesetzt haben: „Ihre Namen stehen im Buch des Lebens“ (Phil 4,3).

Was ist das Besondere an der Verheißung, die Jesus Christus den Gemeindemitgliedern in Sardes verkünden lässt? Er sagt: „Nie werde ich ihren Namen aus dem Buch des Lebens löschen“ (vgl. Offb 3,5). Unumkehrbar ist der Sieg, der sich ihm verdankt. Weltliche Sieg- und Heilserwartungen hingegen erreichen nicht den Horizont der Ewigkeit.

Liest man die Bibel als Heilige Schrift, die den Menschen in Beziehung zum lebendigen Gott bringt, so wird sie zu einem Buch des Lebens. Wer sie nach innen nimmt, kann selbst zu einem Buch werden, in dem sich das Leben ausbuchstabiert, insoweit Christus bezeugt wird: Er ist das Leben (vgl. Joh 14,6).

Die weißen Gewänder und das Buch des Lebens lassen sich in der Beziehung zu Gott verorten. Welche Konsequenzen ergeben sich aus der fünften Verheißung für den, der betend damit umgeht?


Sonntag der Gemeinde von Philadelphia

Der Text an die Gemeinde von Philadelphia setzt voraus, dass man einiges über den Tempel in Jerusalem, die heilige Stätte Israels, weiß. Dieses Wissen wird in der Beziehung zu Jesus Christus verortet, da sich in ihm der Sinn des Tempels erfüllt, so der Glaube seiner Jünger (vgl. Joh 2,19-22). Durch Christus wird der Tempel zur Metapher, die zeigt, wie sich das geistige Konzept des Gotteshauses vollenden lässt.

Der Messiasanspruch Jesu, den er mit seiner Tempelaktion kundtat (vgl. Joh 2,13-22; Lk 19,45-20,8; Mk 11,15-17, Mt 21,5-16), wird im Sendschreiben nach Philadelphia bestätigt. Er ist der Heilige, der Wahrhaftige, der den Schlüssel Davids hat (vgl. Offb 3,7).

Beim Propheten Jesaja findet sich die Geschichte von der Neuregelung der Zugangsrechte zum Tempelbezirk, die für das Verständnis der Herrschaftsübernahme des Tempels durch Christus wichtig ist (vgl. Jes 22,15-25).

Das Privileg der Schlüsselgewalt über den Tempelbezirk lag in der Frühzeit Israels bei Schebna (Jes 22,15). Doch er verwaltete sein Amt nicht im Sinne Gottes. Ein Wechsel stand an: „Und zu der Zeit will ich rufen meinen Knecht Eljakim, den Sohn Hilkijas, und will ihm dein Amtskleid anziehen und ihn mit deinem Gürtel gürten und deine Herrschaft in seine Hand geben ... Und ich will die Schlüssel des Hauses Davids auf seine Schulter legen, dass er auftue und niemand zuschließe, daß er zuschließe und niemand auftue“ (Jes 22,20-22).

Der Christus der Offenbarung ist derjenige, der die Pforte zum göttlichen Bereich geöffnet hat, die niemand schließen kann (Offb 3,8). Welche Zusage! Weder weltliche noch religiöse Instanzen können den unmittelbaren Zugang zu Jesus Christus verstellen. Niemand, auch keine Institution, hat das Recht, die von Christus her eröffnete Beziehung zu verhindern. Eine große evangelische Freiheit ist geschenkt. Auch wenn die eigene Kraft gering ist, das Festhalten an seinem Wort ist in Philadelphia, der Gemeinde der geschwisterlichen Liebe, geglückt (Offb 3,8). Im Unterschied zu den anderen Gemeinden ist sie die einzige, die nicht gerügt wird.

Ein weiteres Motiv ist ebenfalls dem Propheten Jesaja entnommen. Und christlich neu gedeutet. Wie die Geschichte des Tempels auf Jesus Christus zulief, so wird die Völkerwallfahrt zum Zion auf die christliche Gemeinde bezogen (Offb 3,9). „Es werden gebückt zu dir kommen, die dich unterdrückt haben, und alle, die dich gelästert haben, werden niederfallen zu deinen Füßen und dich nennen ‚Stadt des HERRN’, ‚Zion des Heiligen Israels’“ (Jes 60,14).

Die Gemeinde von Philadelphia ist seit Jahrhunderten das Ziel vieler Christen. Dazu möchte man gehören. Ob Ordenschristen oder gläubige Zirkel von Reformatoren, sie alle sehnen sich nach einer Gemeinde, wie sie in Philadelphia existierte. Und ab und zu leuchtete etwas davon im Laufe der Kirchengeschichte auf. An solchen Orten der Gnade und Barmherzigkeit finden sogar Menschen eine Zuflucht, die aus einem Umfeld stammen, in dem viel Böses geschieht (Offb 3,9). Im Kraftfeld des Guten schmilzt ihre Halsstarrigkeit dahin.

Als geistliche Übung, die sich bei der Rezeption des Textes von Philadelphia nahe legt, kann man dialogisch meditieren. Dabei sitzen sich zwei gegenüber und konzentrieren sich auf den Punkt oberhalb der Nasenwurzel auf der Stirn. Die Kommunikation findet im Dreieck bzw. Kegel statt, dessen Basis durch die Linie bzw. Ebene gebildet wird, die man sich zwischen den beiden Stirnchakren denken kann. Überhaupt befindet sich die Spitze des Kegels bzw. des gleichschenkligen Dreiecks. Sie ist Symbol des Christuschakras.

Durch Christus existiert die eine, wahre, heilige Kirche in den Gemeinden. Er selbst ist ihre Einheit, sowohl was ihre Herkunft wie auch was ihre Gegenwart und Zukunft betrifft. Das Problem der Ökumene ist prinzipiell schon gelöst, selbst wenn die organisatorische Darstellung noch aussteht. Der Organismus der Christenheit ist sichtbar. Der Geist Christi, seine Gegenwart, bleibt unsichtbar. Doch mit den Augen des Glaubens kann der Leib Christi wahrgenommen werden.


Sonntag der sechsten Verheißung

Wie schon zu Beginn des Schreibens nach Philadelphia (Offb 3,7) mit einem großen Zitat aus Jesaja angekündigt (vgl. Jes 22,22), fokussiert die Verheißung (Offb1,12-13) darauf, wie die ewigkeitliche Zukunft dessen aussieht, der siegreich ist. Das Bild einer Säule im antiken Tempel wird aufgegriffen. Sie ist das tragende Element der Verbindung von Himmel und Erde. So hatten Jakobus, Kefas und Johannes als Säulen großes Ansehen in der christlichen Gemeinde (vgl. Gal 2,9).

Die Säule von Philadelphia trägt drei Namen. Erstens steht der Eigenname Gottes, das Tetragramm, auf ihr. Und zweitens der Name der Stadt Gottes, wie sie beim Propheten Ezechiel genannt ist: “Hier ist der HERR“ (Ez 48,35). Und drittens der neue Name, den der Mund des Herrn nennen wird (Jes 62,2). Es handelt sich für Christen um den Namen Jesus. Denn bei der Taufe am Jordan sprach die Stimme aus dem Himmel zu ihm: „Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Gefallen gefunden“ (Mk 1,11; vgl. Ps 2,7). Denn in ihm hat Gott sich neu ausgesprochen, so ihr Glauben. Jeschua bzw. Jesus bedeutet soviel wie „Gott erlöst, rettet, hilft.“ Gleichsam trinitarisch beschriftet steht die Säule von Philadelphia als Chiffre des Gläubigen inmitten der Heiligen Stätte. Hier senkt sich das himmlische Jerusalem auf die Erde herab.

Die sechste Verheißung kann man an der Säule mit den drei Namen festmachen, die im Tempel steht. Dafür bietet sich eine ganzheitlich gestaltete Gebetszeit an, da der Leib des Menschen der Tempel des Geistes ist.


Sonntag der Gemeinde von Laodizea

Schritt für Schritt verdeutlicht sich, wer Jesus Christus ist, der an die Engel der sieben Gemeinden schreiben lässt. Nicht nur die Evangelien, inspirierte Kommentare zum Leben Jesu, auch die Apostelgeschichte und die neutestamentlichen Briefe berichten von ihm. Diese Zeugnisse des Glaubens werden durch viele Verse aus der hebräischen Bibel ergänzt, die von der frühen Christenheit auf Jesus Christus hin ausgelegt wurde. Die Psalmen boten sich dafür als Fundgrube an.

Christus spricht von sich (Offb 3,14). Er ist der treue und zuverlässige Zeuge (Ps 89,38), der neue Regenbogen als Zeichen des Bundes (vgl. Gen 9,13). Wie die göttliche Weisheit wirkt er von Anbeginn der Schöpfung (Spr 8,22).

Das Sendschreiben erreicht die Gemeinde von Laodizea. Die reiche Stadt lag in einiger Entfernung von den kalten Wassern des Lykos, der an Kolossä vorbeiströmt, und in der Nähe der heißen Quellen von Hierapolis, der Stadt, die Kaiser Domitian verschönert hatte. Ob diese geographischen Verhältnisse den Hintergrund für das laue Wasser bilden, das in Laodizea symbolisch ausgespieen wird, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen (Offb 3,16). In der dortigen Wohlstandsgesellschaft verfügte man über kostbare Kleider in Hülle und Fülle, über teure Salben und Medikamente, über Gold, an dem noch das Blut der Sklaven klebte. Inszenierte Tragödien, die Welt des Theaters, prägte Laodizea.

Der dortigen Christengemeinde wird einiges ins Stammbuch geschrieben (Offb 3,17-18). „Denn wen der HERR liebt, den weist er zurecht, und hat doch Wohlgefallen an ihm wie ein Vater am Sohn“ (Spr 3,12). Ermahnungen machen einen Sinn, wenn dadurch der Betroffene gefördert wird. Voraussetzung ist eine prinzipiell positive Beziehung. Der pädagogische Bezug ist dafür da, dass es freiwillig zu mehr Authentizität und Ursprünglichkeit kommt.

Wie in der Gemeinde von Philadelphia (Offb 3,8), so ist auch in der Gemeinde von Laodizea von einer Tür die Rede (Offb 3,20). Im Sanskrit heißen solche Bereiche der Kommunikation bzw. der Konzentration normalerweise Chakren, d.h. Pforten bzw. Tore. Diese Schöpfungspunkte eignen sich besonders gut für geistliche Übungen, bei denen es darum geht, die energetischen Aspekte während einer Meditation zu berücksichtigen. Sie sind die bevorzugten Stellen, um die heilende Wirkung von Lichtenergie zu erspüren.

Dabei ist natürlich zu unterscheiden, ob es sich primär um Kraftfelder handelt, die ihren spirituellen Ursprung in der Wirklichkeit guter Engel besitzen, oder ob ein Gnadenlicht leuchtet, das von Jesus Christus ausgeht. Ähnliches gilt für akustische Phänomene, die in inneren Klängen und Stimmungen wahrnehmbar werden. Jedenfalls gibt es eine lange christliche Frömmigkeitstradition, in der praktiziert wird, wonach in der modernen Esoterik gesucht wird. Man denke nur an jene Gebete, mit denen man sich auf den Empfang des Abendmahls bzw. der Hl. Kommunion vorbereitet. Die Nähe des Heiligen lässt sich im Leib besonders verorten (vgl. Offb 3,20). Verschiedene Gebetsweisen, etwa das laut gesprochene Kreuzzeichen, sensibilisieren dafür.

Während der Rezeption des Textes von Laodizea empfiehlt sich die regelmäßige Teilnahme am Abendmahl bzw. an einer Eucharistiefeier. Auch eine liturgisch gestaltete Fußwaschung ist für ein tiefes Verständnis der Verhältnisse in Laodizea nötig.


Sonntag der siebten Verheißung

Welche Verheißung! Auf dem Herrscherstuhl Christi zu sitzen! Welche Versuchung, die Kathedra Petri mit dem Thron Jesu Christi in eins zu setzen. Was gibt es alles für Throne? Vom Thron Satans (Offb 2,13) in Pergamon über die Göttersitze auf dem Nemrud Dağ im Königreich Kommagene bis hin zu postmodernen Kathedren des Wissens, des Reichtums, der Gesundh.eit, der Schönheit und der Macht.

Wie anders ist die neutestamentliche Verheißung. Der ist der HERR, der befreiend dient (vgl. Joh 13,1-17). In der Szene der Fußwaschung wird sakramental enthüllt, dass die Dialektik von Herr und Knecht aufgehoben ist. Wer mit Christus siegreich aufersteht, wird mit ihm auf seinem Thron sitzen (vgl. Offb 3,21-22). Es ist der Thron der Gnade.

Alle sieben Verheißungen im Sendschreiben nach Ephesus, Smyrna, Pergamon, Thyatira, Sardes, Philadelphia und Laodizea gelten dem, der siegt (vgl. Offb 2,7-3,21). Um es in der Sprache des ersten Johannesbriefes zu sagen: „Alles, was aus Gott geboren ist, überwindet die Welt. Und der Sieg, der die Welt besiegt hat, ist unser Glaube. Wer sonst besiegt die Welt außer dem, der glaubt, dass Jesus der Sohn Gottes ist?“ (1 Joh 5,4-5). Und weiter heißt es: „Gott hat uns ewiges Leben gegeben, und dieses Leben ist in seinem Sohn“ (1 Joh 5,11).

Die Auferstehung Christi, sein ewiges Leben, ist die Voraussetzung, dass der Glaube der Christen an den Gekreuzigten und Auferstandenen keine Illusion ist. Sein Weg, der den Horizont der Welt auf Ewigkeit hin aufgesprengt hat, wird in den Ostergeschichten bezeugt. Der auferstandene Christus verkündet in Wort und Vision, was Johannes den sieben Gemeinden vermittelt. Auferstehung unterbricht Leidengeschichte.

Bei allen sieben Gemeinden kommt es auf eines an: Zu hören, was der GEIST den Gemeinden sagt (Offb 3,22). Damit wird nicht nur die Unterscheidung der Geister vorausgesetzt, sondern auch die Fähigkeit, das Wirken des Heiligen Geistes unmittelbar zu erfassen. Nötiger denn je ist daher die Andacht zum Heiligen Geist, der eingibt, was sinnvollerweise getan werden soll. „Denn wir wissen nicht, wofür wir in rechter Weise beten sollen; der Geist selber tritt jedoch für uns ein mit unaussprechlichem Seufzen“ (Röm 8,26).

Dieser Geist bewirkt, was der Geist des Antichrist verneint (vgl. 1 Joh 2,18; 4,3). „Traut nicht jedem Geist, sondern prüft die Geister, ob sie aus Gott sind; denn viele falsche Propheten sind in der Welt aufgetreten.“ (1 Joh 4,1)... „Wir haben die Liebe erkannt und an die Liebe geglaubt, die Gott zu uns hat. Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott und Gott bleibt in ihm“ (1 Joh 4,16). Der Geist Gottes ist der Geist Jesu Christi.

Der Thron der Gnade ist die Metapher schlechthin, um die Verheißung Gottes zu begreifen. Die siebte Verheißung motiviert, sich auf Gebetsweisen einzulassen, die ermutigen, je neu an Gottes Gnade zu glauben.


Sonntag des thronenden Christus

Spiritualität ist die Kernkompetenz christlicher Existenz. Es geht einerseits um praktische Erfahrungen mit der Wirklichkeit des Heiligen Geistes und andererseits darum, das Erlebte zu reflektieren. Der wissenschaftliche Anspruch besteht darin, dass dies im Hinblick auf Welt und Geschichte systematisch geschieht

Nicht mehr die Zukunft einzelner Christen oder Gemeinden bzw. der Kirche, die in ihnen subsistiert, steht nun im Mittelpunkt der Fragestellung, sondern das Schicksal der ganzen Menschheit ist das Thema. Jahrhundertelang prägten Bilder vom Weltgericht das Bewusstsein vieler Menschen. Angst und Schrecken wurden höchst anschaubar dargestellt. Der Weltuntergang trat an die Stelle des Evangeliums. Apokalyptische Vordergründigkeit verstellte den Blick auf das Wesentliche der Christophanie in der Johannesapokalypse.

Das Evangelium von Patmos gehört zur Phänomenologie des göttlichen Geistes. Es handelt sich um eine sprachliche Gestalt, in der sowohl die Identität als auch die Differenz des Vaters im Himmel mit dem Christus thematisiert wird. Dabei ist selbstverständlich, dass von Gott, dem Heiligen, nur geredet werden kann, insoweit er sich offenbart. Seine Offenbarung ist die Basis von Beziehung. „Gott ist Geist, und alle, die anbeten, müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten“ (Joh 4,24). Wesentliche Erkenntnisse ereignen sich im Akt der Anbetung. Beim Gebet handelt es sich um jene geistigen Vollzüge, bei denen davon ausgegangen wird, dass Vielheit in Einheit aufgehoben ist.

Am Ende des Schreibens nach Laodizea hat der Selbstvorstellungsprozess des erscheinenden Christus den Punkt erreicht, an dem das Erkenntnisvermögen dessen, der den bisherigen Weg betend und reflektierend mitgegangen ist, dafür offen sein könnte, was bezüglich des göttlichen Throns mitgeteilt wird. Der Christus spricht: „Jedem, der siegt, werde ich gewähren, mit mir auf meinem Thron zu sitzen, wie auch ich gesiegt und mich mit meinem Vater auf seinen Thron gesetzt habe“ (Offb 3,21).

Die Christophanie auf Patmos gründet in der Theophanie am Gottesberg. Die religiöse Urerfahrung des Mose und der zwölf Stämme bildet das Herzstück der Offen¬barungs¬geschichte Israels (vgl. Ex 19,1-20,26): „Als nun der dritte Tag kam und es Morgen ward, da erhob sich ein Donnern und Blitzen und eine dichte Wolke auf dem Berge und der Ton einer sehr starken Posaune ... Und der Posaune Ton ward immer stärker. Und Mose redete, und Gott antwortete: Ich bin der HERR, dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland, aus der Knecht¬schaft, geführt habe. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir ... Und alles Volk wurde bange von dem Donner und Blitz und dem Ton der Posaune und dem Rauchen des Berges (Ex 19,16.19; 20,1-3.18).

Der Bund Gottes mit Israel, der zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort für bestimmte Menschen gestiftet wurde, ist die Basis der jüdischen Religion. Dieser Bund wurde niemals gekündigt. Er hat Bestand durch die Zeiten. Jesus von Nazareth öffnete den Bund für alle Völker. Er sandte seine Jünger, den Glauben an den einen Gott, den Gott Israels, zu verkünden. Das Zusammenleben der Menschen sollte sich an einer Ethik orientieren, die in den zehn Geboten wurzelt. Die Universalisierung des Gottesbundes durch Jesus Christus, in den nun alle Menschen von ihm ermächtigt eintreten können, führte dazu, dass er als Repräsentant des Bundesherrn angesehen wurde. Er vergegenwärtigt wie vom Herrschaftssitz Gottes her Weisung und Recht gesprochen worden sind.

Die Vollmacht Jesu Christi bedeutet ursprünglich, dass er aus seinem Wesen (griech. ex-ousia) heraus handelt (vgl. Mt 28,18). Seine Wesentlichkeit ist durch die Anwesenheit Gottes in ihm begründet. Der Thron Gottes wird zum Sitz Jesu Christi. Christus erscheint als Weltenrichter. Er durchwirkt die ganze Schöpfung. Durch ihn, den Pantokrator, der am griechischen Gottesnamen und dem Kreuz in seiner goldenen Aura erkennbar ist, wird die Nähe des EWIGEN sichtbar (vgl. Offb 4,2).

Wer ist der Ewige, der Heilige, den der Prophet Jesaja bezeugt? „Im Jahr, als der König Usija starb, sah ich den Herrn sitzen auf einem hohen und erhabenen Thron, und sein Saum füllte den Tempel. Serafim standen über ihm; ein jeder hatte sechs Flügel: mit zweien deckten sie ihr Antlitz, mit zweien deckten sie ihre Füße, und mit zweien flogen sie. Und einer rief zum anderen und sprach: Heilig, heilig, heilig ist der HERR Zebaoth, alle Lande sind seiner Ehre voll! Und die Schwellen bebten von der Stimme ihres Rufes, und das Haus ward voll Rauch“ (Jes 6,1-4).

Zur Berufungsvision des Propheten gehörte nicht nur die Schau des Göttlichen, sondern auch das Hören der Stimme des Herrn, der sprach: „Wen soll ich senden? Wer will unser Bote sein? Ich aber sprach: Hier bin ich, sende mich!“ (Jes 6,8)

Der Tempel ist die architektonisch inszenierte Struktur für die Erfahrung des Heiligen. Die pro-fane Welt befindet sich, wie das Wort sagt, außerhalb des Heiligtums. Die Begegnung mit dem Heiligen erzeugt Ehrfurcht. Die Faszination, die das Heilige ausübt, zieht an, der Schauder vor dem Göttlichen hält zurück. Die Metapher dafür ist der brennende Dorn-busch.

Der Vision des Jesaja im Innern des Heiligtums korrespondiert die Vision des Hesekiel im Außen der Natur und des Kosmos. Nach der ersten Einnahme Jerusalems im Jahre 597 v. Chr. lebte der Prophet Hesekiel im babylonischen Exil. Er schreibt: „Als ich unter den Weggeführten am Fluss Kebar war, tat sich der Himmel auf, und Gott zeigte mir Gesichte“ (Ez 1,1). In einer seiner Visionen sah er: „Auf dem Thron saß einer, der aussah wie ein Mensch“ (Ez 1,26). Nach seiner Berufung hörte Hesekiel: „Du Menschenkind, geh hin zum Hause Israel und verkündige ihnen meine Worte“ (Ez 2,4). Doch er stieß auf taube Ohren und verstockte Herzen (vgl. Ez 2,4).

Die beiden großen prophetischen Traditionen, die sich auf den Thron Gottes beziehen, nämlich Jesaja (vgl. Jes 6,1) und Hesekiel (vgl. Ez 1,26) stehen im Kontext des Untergangs. Nach dem Tod des Königs Usija, der im Jahre 736 v. Chr. starb, eroberten die Assyrer unter Salmanasser V. im Jahre 722 v. Chr. Samaria. Das Nordreich Israel ging unter. Die endgültige Katastrophe des Südreiches Juda fand im Jahr 587 v. Chr. statt. Der babylonische König Nebukadnezar eroberte Jerusalem und zerstörte den Tempel.

Die Deutung, dass der Zorn Gottes der theologische Grund für die schrecklichen Erfahrungen Israels in der Geschichte ist (vgl. Jes 5,25; Ez 5,5 ff), gehörte zur sinnstiftenden Rolle der Religion. Der Zorn Gottes besteht aufseiten des Menschen in der leidenschaftlichen Einsicht, dass alles verantwortungslose, rücksichtslose, unvernünftige Handeln unweigerlich in die gesellschaftliche und politische Katastrophe führt. Wer die assyrische und babylonische Zerstörung Israels als Gericht akzeptierte, musste nicht mehr an Gottes Weg mit seinem Bundesvolk verzweifeln, zumal Jesaja (vgl. Jes 11 ff) und Hesekiel (vgl. Ez 36 ff) eine neue Zukunft verkündeten, die Gott selbst heraufführen würde.

Johannes, der Seher von Patmos, hielt wie die Propheten an der Heilszusage Gottes fest, auch wenn die Realität der Unheilserfahrungen dagegen sprach. Die geöffnete Tür am Himmel (vgl. Offb 4,1) ermöglichte ihm eine Sicht der Dinge aus dem Blickwinkel der Ewigkeit, dem Herrschaftsbereich Gottes. Bis ins Detail sieht Johannes, was Hesekiel auf seine Weise sah, etwa die vier Wesen (vgl. Offb 4,7.6). Nicht um literarische Abhängigkeiten geht es, sondern um den je genuinen Blick in die himmlische Welt mit ihren Wesen: „Ihre Angesichter waren vorn gleich einem Menschen und zur rechten Seite gleich einem Löwen bei allen vieren und zur linken Seite gleich einem Stier bei allen vieren und hinten gleich einem Adler bei allen vieren“ (Ez 1,10; vgl. Ez 1,18).

Im Laufe der Kirchengeschichte wurden die vier Gestalten zu Attributen, die man den vier Evangelisten zuordnete. Inspiriert vom Heiligen Geist schrieben Matthäus, Markus, Lukas und Johannes die Evangelien. Dem inkarnatorischen Prinzip verpflichtet, legten sie Wert darauf, das Wesentliche der Schöpfungs- und Offenbarungs¬geschichte Gottes im Licht der Auferstehung Jesu zu überliefern.

Für die Evangelisten spiegelte sich im Wesen Jesu Christi das Wesen Gottes. Durch seinen menschlichen Zorn wird Gottes Zorn verstehbar. Exemplarisch dafür ist die Reaktion Jesu beim Tod seines Freundes Lazarus (vgl. Joh 11,33-44). Durch Jesus Christus wird offenbar: Jetzt, in der Gegenwart, existiert die Wirklichkeit der Auferstehung. Sie ist der Schlüssel für die Zukunft in Gottes Ewigkeit. Die Auferstehung ist das Gericht über eine Welt, die sich in ihrer Vergänglichkeit, Schlechtigkeit und Hoffnungslosigkeit abschließen möchte. Der Auf¬erstandene ist in dieser Perspektive der Richter der Welt. Theophanie wird zur Christophanie (vgl. Offb 4,9-11).

Die Himmelstür ist der Bereich, durch den sich die göttliche Wirklichkeit irdisch mitteilt. So geschah es bei der Taufe Jesu (vgl. Mt 3,13-17; Lk 3,21-22; Mk 1,9-11; Joh 1,29-34). In der Johannesapokalypse kehrt der Topos des geöffneten Himmels wieder, z. B. Offb 4,1. Durch den Bezug zum Prophetenbuch Daniel wird deutlich, dass es um Geheimnisse Gottes geht, die offenbar werden sollen (vgl. Dan 2,29). In der kirchlichen Tradition hat sich der Grundgedanke vielfältig erhalten. Vom schlichten Adventskalender mit seinen Türchen bis zur Kuppel der Barockkirchen, der sogenannten Laterne, oder den Ikonen und Türen der Ikonostase findet der Beter einen Ort, an dem er mit der Ewigkeit ins Gespräch kommen kann.


Der Sonntag des göttlichen Lammes

Die Johannesapokalypse als solche ist nicht das Buch mit den sieben Siegeln. Aber in ihr wird jene himmlische Schriftrolle lesbar, deren Siegel das göttliche Lamm geöffnet hat (vgl. Offb 5,1-8,1). Ist die doppelt beschriebene Schriftrolle jene, die auch Hesekiel in seinen Visionen gesehen hat? (vgl. Ez 2,9-3,4; Offb 10,9-11) Nach der Öffnung der Siegel wird offensichtlich, welche Auseinandersetzungen in der geistigen Welt stattfinden. Und was dies mit den Verhältnissen auf der Erde und im Kosmos zu tun hat.

Im Kontext der Siegelöffnung erscheint das göttliche Lamm zum ersten Mal in der Johannesoffenbarung (Offb 5,6). Wer ist dieses Lamm? Bei Deuterojesaja wird der Knecht Gottes mit ihm verglichen: „Als er gemartert ward, litt er doch willig und tat seinen Mund nicht auf wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird; und wie ein Schaf, das verstummt vor seinem Scherer, tat er seinen Mund nicht auf“ (Jes 53,7).

Diese Schriftrolle las der Kämmerer der Kandake auf der Rückreise seiner Wallfahrt nach Jerusalem (vgl. Apg 8,32). Philippus kam hinzu „und ausgehend von diesem Schriftwort verkündigte er ihm das Evangelium von Jesus“ (Apg 8,35). Der Kämmerer hatte aufgrund seines Eunuchentums nicht in den Gottesbund Israels eintreten können. Da Jesus jedoch den Bund für alle Menschen bedingungslos geöffnet hatte, bestand die Möglichkeit, durch die Taufe initiiert zu werden. Sie ist das Zeichen der Zugehörigkeit zum Neuen Bund.

Im Johannesevangelium zeigt Johannes der Täufer auf Jesus von Nazareth und spricht: „Seht das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt!“ (Joh 1,29) In der katholischen Kirche wiederholt der Priester diese Worte liturgisch und deutet dabei auf die konsekrierte Hostie. Sie gilt als Präsenzort Jesu Christi.

Vor der Kommunion bzw. dem Empfang des Abendmahls wird oft das Lied gesungen, das auf einen Zusammenhang zwischen dem Leiden Christi und der eigenen Schuld bzw. Sünde hinweist, nämlich: „O Lamm Gottes unschuldig, am Stamm des Kreuzes geschlachtet, allzeit erfunden geduldig, wiewohl du warest verachtet, all Sünd hast du getragen, sonst müssten wir verzagen, erbarm dich unser o Jesu. – Gib deinen Frieden o Jesu.“

Das Lamm Gottes vor Augen stellt sich vielleicht die prinzipielle Frage, wie man von eigener Schuld durch das Leiden eines anderen erlöst werden kann. Denn auf den ersten Blick scheint das Gegenteil der Fall zu sein. Wer sein Leben so organisiert, dass er dem anderen Leid zufügt, um dadurch die eigene Schuld zu kompensieren, gerät der nicht in noch tiefere Schuld? Es ist fatal, wenn Religion die Ideologie einer solchen Einstellung wäre, die darauf abzielt, die Freiheit eines anderen nicht zu mehren, sondern systematisch zu vernichten. Nicht nur ein konträres, sondern ein kontradiktorisches Verständnis einer entsprechenden Christologie ist angesagt, damit nicht zwischenmenschliche Katastrophen unter dem Schein der Frömmigkeit vorprogrammiert werden. Denn Christologie ist immer auch Anthropologie, da Jesus Christus wahrer Mensch ist. Eine falsche Christologie führt zu einer menschenfeindlichen Anthropologie.

Was kann der Sinn eines Gesprächs mit dem gekreuzigten Christus sein? Wie geht es vonstatten? Sobald es zu einer Präsenzerfahrung der inwendigen Christusgestalt kommt, beginnt das innere Gespräch. Die Unterscheidung der Leiden ist angesagt und gerade nicht die Vergrößerung des Leidens des anderen um das eigene Leiden.

Genau so ist es mit der Frage der Schuld. Wer ist für was verantwortlich? Durch inneres Ansehen, Anhören und Anfühlen kommt es zur Klärung. Das Konglomerat aus eigenem und fremdem Leid, von eigener und fremder Schuld im zwischenmenschlichen Beziehungsgeflecht wird durchschaubar und benennbar. Dies ist ein wesentlicher Schritt zur Selbsterkenntnis. Der objektiv andere, der gekreuzigte Christus, ist gleichsam der Katalysator, der den Prozess der Unterscheidung vorantreibt.

Doch nicht nur um eine katalysatorische, sondern um eine persönliche Beziehung geht es. Der Kreislauf von Leid und Schuld soll so unterbrochen werden, dass die Geschichte persönlicher Verletzungen und Schuldzuweisungen zu Ende kommt. Wie lässt sich ein Anfang finden, mit dem in Zukunft versöhnt gelebt werden kann? Ein neues Selbstverhältnis glückt oft erst dann, wenn im Prozess der Veränderung bisherige Verstehensmuster überwunden werden. Konkret gesprochen: Ohne das Wagnis zu beten lässt sich keine andere Seinsweise erreichen.

Erst der Eintritt in einen alternativen Liebesbund ermöglicht die Auflösung der Verstrickung zwischen Leid und Schuld. Praktisch läuft das darauf hin, dass jemand mit den ausgebreiteten Armen der Offenheit, mit dem Reichtum der leeren Hände oder mit gefalteten Händen als Zeichen einer Einfältigkeit, die darum weiß, wie wichtig es ist, sich zusammen zu nehmen, in Beziehung zu Christus tritt. In Stille und Schweigen geschieht jene geistige Verwandlung, in der vernommen wird, wie es zutiefst um die Liebe bestellt ist. – Wie geht das Leben im Dialog mit der Liebe weiter?

Durch das Lamm, das heilige Totemtier des gekreuzigten und auferstandenen Christus, wird in der Johannesapokalypse sowohl die endliche Schuld- und Unheilsgeschichte wie auch die unendliche Freiheits- und Heilsgeschichte der Menschheit offenbar gemacht (vgl. Offb 5,5; 22,1). Christus erscheint in seinen heraldischen Grundzeichen: als das Lamm und als der Löwe des Stammes Juda (Offb 5,5-6; vgl. Gen 49,9).

Beim Propheten Sacharja steht der ausführliche Text, den Johannes im Kraftfeld seiner Christologie fokussiert hört: „Siehe, auf dem einen Stein, den ich vor Jeschua hingelegt habe, sind sieben Augen. Siehe ich will auf ihm eine Inschrift eingraben, spricht der HERR Zebaoth, und will die Sünde des Landes wegnehmen an einem einzigen Tag … Jene sieben sind des HERRN Augen, die alle Lande durchziehen“ (Sach 3,9; 4,10).

Wer mit seiner Bibel vertraut ist, weiß um die vierundzwanzig Ältesten (Offb 5,8), die namentlich genannt das aronitische Priestertum repräsentieren (vgl. 1 Chron 24,4-19). Nach dem Tod Aarons übernahm sein Sohn Eleasar den Dienst im Allerheiligsten (vgl. Num 20,28; Dtn 10,6). Eleasar und seine Nachkommen legten den Namen Gottes auf das Volk, damit es von Gott Segen erhalte: „Der HERR segne dich und behüte dich; der HERR lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig; der HERR hebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden“ (Num 6,24-26).

Nach dem ersten Buch der Chronik findet die aronitische Tradition ihren Platz in der Tempelordnung von Jerusalem (vgl. 1 Chron 23,13). „Dies waren die Ordnungen der Söhne Aaron. Die Söhne Aarons waren: Nadab, Abihu, Eleasar und Itamar. Aber Nadab und Abihu starben vor ihrem Vater und hatten keine Söhne. Und Eleasar und Itamar wurden Priester. Und David zusammen mit Zadok von den Söhnen Eleasar und mit Ahimelech von den Söhnen Itamar teilte sie ein nach ihrer Dienstgruppe und ihrem Amt. Und es fand sich bei den Söhnen Eleasar eine größere Zahl an Männern als bei den Söhnen Itamar. Und sie teilten sie ein: Von den Söhnen Eleasar sechzehn Sippenhäupter und von den Söhnen Itamar acht Sippenhäupter.“ (1 Chron 24, 1-4).

Eine wichtige erbpriesterliche Aufgabe der vierundzwanzig Ältesten bestand darin zu unterscheiden, „was heilig und unheilig, was unrein und rein ist“ (Lev 10,10). So schickte Jesus die zehn Aussätzigen zum Tempel, wo die Hohenpriester und die Ältesten das Sagen hatten (vgl. Mk 8,31). Dort sollte festgestellt werden, dass die Aussätzigen nun rein seien (vgl. Lk 17,11-19).

Johannes erlebt die vierundzwanzig Ältesten, die am Allerheiligsten ihren Dienst tun, als jene, die beten (vgl. Ps 141,2) und ein neues Lied singen (vgl. Ps 33,3). Für den Seher von Patmos gibt es keine Spaltung zwischen den kultischen Repräsentanten der Thora, den Evangelisten und den Aposteln des Neuen Testamentes, weil sie für ihn alle christozentrisch verbunden sind (vgl. Offb 5,8-10.14; 21,14).

Diese Christozentrik gibt den Blick auf die Würde der Menschen frei, die durch Christus zu königlichen und priesterlichen Menschen werden (vgl. Offb 5,10; 1,6). Er hat die Erwählungs¬geschichte Israels um die Völker erweitert, die nun gleichwesentlich wie Israel durch den Heiligen Geist in den Gottesbund gebracht werden: „Ihr sollt mir ein Königreich von Priestern und ein heiliges Volk sein“ (Ex 19,6; vgl. Jes 61,6; 1 Petr 2,9).

Natürlicherweise wird erwartet, dass eine Priesterschaft heilig ist und ein Volk souverän bzw. königlich. Gerade die Verschränkung von Heiligkeit und Volk bzw. von Souveränität und Priesterschaft zeigt, dass der Gnadenbund Gottes die natürlichen Verhältnisse überbietet und neu ordnet. Und dieser Gottesbund Israels steht in Chisti Namen jetzt offen für alle Priesterschaften und Völker.

Die Sache der Engel ist es, die Macht, den Reichtum und die Weisheit des himmlischen Christuslammes zu rühmen (Offb 5,12) und zusammen mit allen Geschöpfen seine Kraft, Herrlichkeit und Ehre zu besingen. Ihm gilt ihr Lobpreis (vgl. Offb 5,13).

Denn um wie viel erhabener ist das göttliche Lamm, der ewige König der Könige (Offb 19,16) als die mächtigen Herrscher, die achämenidischen Könige, die zur Zeit des Propheten Daniel lebten. Herrscher wie Kyros und Darius waren von den Zehntausend Unsterblichen umgeben. Wenn einer ihrer edlen Kämpfer starb, wurde er sofort ersetzt, so dass ihre Zahl gleich blieb.

Daniel bekennt von dem himmlischen Herrscher, den er sah: „Und von ihm ging aus ein langer feuriger Strahl. Tausendmal Tausende dienten ihm, und zehntausendmal Zehntausende standen vor ihm“ (Dan 7,10).

Jesus Christus ist der Heilige Gottes. Engel dienen ihm (vgl. Mt 4,11; Mk 1,8). In der göttlichen Liturgie eines Johannes Chrysostomos oder in den Festgottesdiensten einer Barockkirche wird etwas von der himmlischen Liturgie mit ihren Engelchören sichtbar. Schönheit fasziniert. Sie gibt das Maß für eine Ästhetik der Zukunft. Wahrheit befreit. Das Schreckliche wird vergehen. Es soll nicht das letzte Wort behalten. Die Heiligkeit des Ewigen aber bleibt und heilt.


Sonntag der sechs Siegel

Das Buch mit den sieben Siegeln ist nicht die Johannesapokalypse, sondern die himmlische Schriftrolle, die vom göttlichen Lamm geöffnet wird (Offb 6,1-17; 8,1-15). Die Adressaten sind alle Völker und Nationen (Offb 5,1. 9-10) und nicht mehr nur das Volk Israel wie zur Zeit des Propheten Ezechiel (vgl. Ez 2,8-3,4), der bezeugt: „Und ich sah, und siehe, da war eine Hand gegen mich ausgestreckt, die hielt eine Schriftrolle. … Und ER sprach zu mir: Du Menschenkind, geh hin zum Hause Israel und verkündige ihnen meine Worte“ (Ez 2,9.4).

Auch dem Propheten Sacharja war es gegönnt, in dem Buch zu lesen, um die Welt und ihre Geschichte zu deuten. Er war Zeitgenosse des archämenidischen Königs Darius I (521-486 v. Chr.), der die sogenannten Lügenkönige gefangennahm, sich in Persepolis seine Residenz erbauen ließ und in der Nähe sein Felsgrab schuf. „Im achten Monat des zweiten Jahrs des Königs Darius geschah das Wort des HERRN zu Sacharja, dem Sohn Berechjas, des Sohnes Iddos, dem Propheten: Der HERR ist zornig gewesen über eure Väter. Aber sprich zum Volk: So spricht der HERR Zebaoth: Kehrt euch zu mir, spricht der HERR Zebaoth, so will ich mich zu euch kehren, spricht der HERR Zebaoth“ (Sach 1,1-3).

Er ist, wie man aus dem Hebräischen übersetzen kann, der Herr der himmlischen Heerscharen, d.h. der Sterne am Firmament. Welche Stimmigkeit durchzieht die Sternenwelt des Makro¬kosmos und die Menschenwelt des Mikrokosmos, die im Mund des Propheten zur Sprache kommt? Was sagt der Logos der Logik der Schöpfung? Jegliches sollte gemäß seiner Seins¬weise existieren dürfen, miteinander und nebeneinander (vgl. Jes 10,6-8). Für die Menschen ist vorgesehen, dass sie leben können nach der Ordnung der Freiheit, die Tiere gemäß ihrer Art, ebenso die Pflanzen und die Elemente.

Wie ist mit zerstörerischen Mächten und Gewalten umzugehen, die versuchen, eine Gegenwelt aufzubauen, die ihre Realität durch Beraubung der guten Schöpfung, durch Mord und Totschlag erhalten möchte? Diese Auseinandersetzung wird im Text der Johannesoffenbarung gespiegelt, in der sich Gott als ein unvergleichlicher Schöpfer erweist, der seiner guten Schöpfung in Seele und Gemüt, in Geist und Wahrheit, beisteht. Bis in die Welt des Elementaren wirkt sich die Unterscheidung der Geister aus. In wessen Geist wird wie mit was umgegangen?

Das göttliche Lamm öffnet Siegel für Siegel das himmlische Buch für Israel und die Völker, kurzum für die ganze Menschheit. Auf diese Weise fällt heilsames Licht in die ununterschiedene Welt. Es entsteht Klarheit bezüglich der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse. Religionen und Ideologien werden unterscheidbar. Welche Kräfte und Interessen stecken dahinter? Nur die Wahrheit macht frei. Verschwörungstheorien machen vieles oft nur noch schlimmer. Wo wächst Glaube, Hoffnung und Liebe? Was ist dem Untergang geweiht?

Die vier Reiter, die bei der Öffnung der ersten vier Siegel offenbar werden, zeigen, wie es um die Welt bestellt ist. Sie erfüllen ihre Sendung. Beim Propheten Sacharja sind sie vorfiguriert und ziehen Wagen. „Am ersten Wagen waren rote Rosse, am zweiten Wagen waren schwarze Rosse, am dritten Wagen waren weiße Rosse, am vierten Wagen waren scheckige Rosse, allesamt stark. Und ich hob an und sprach zum Engel, der mit mir redete: Mein Herr, wer sind diese? Der Engel antwortete und sprach zu mir: Es sind die vier Winde unter dem Himmel, die hervorkommen, nachdem sie gestanden haben vor dem Herrscher aller Lande. Die schwarzen Rosse ziehen nach Norden, die weißen ziehen nach Westen und die scheckigen ziehen nach Süden“, die roten Rosse ziehen nach Osten (vgl. Sach 6,2-6).

Wie verwoben die Schau des Hl. Johannes mit den Prophezeihungen des Sacharja und des Hosea ist, wird an Details offensichtlich. Der Reiter auf seinem feuerroten Pferd taucht schon in der Nachtvision des Sacharja auf (vgl. Sach 1,8). Nach der Öffnung des zweiten Siegels der himmlischen Buchrolle sieht Johannes den Reiter (vgl. Offb 6,3). Sobald das vierte Siegel geöffnet wird, erscheint ein Reiter auf einem fahlen Pferd. Sein Name heißt „der Tod“ (vgl. Hos 13,14).

Der Prophet Hosea, der zur selben Zeit wie der Prophet Amos predigte, sieht den Untergang Israels durch die assyrische Weltmacht voraus. Nur bei Gott, der neues Leben zu schaffen vermag, ist Rettung zu finden. Er spricht: „Aber ICH will sie aus dem Totenreich erlösen und vom Tode erretten. Tod, ICH will dir ein Gift sein; Totenreich, ICH will dir eine Pest sein; Rache kenne ICH nicht mehr“ (Hos 13,14). Rache, d.h. Ausgleich ist keine reale Möglichkeit mehr!

In der Johannesoffenbarung geht es um eine Gesamtschau der Welt mit ihrer Untergangs- und Aufgangsdynamik. Zwei Bewegungen sind zu unterscheiden. Die eine besitzt ihr Zentrum in Babylon, die andere in Jerusalem.

Was lässt sich auf dem Geviert der Welt, der Windrose, wahrnehmen? Von Jerusalem aus gesehen beginnt am Morgen der Aufgang der Sonne östlich der Wüste Juda. Hellgelb steigt sie über dem fahlen Bergland empor. Für die entsprechende spirituelle Dimension steht der Erzengel Uriel. Am Höhepunkt des Tages leuchtet die Sonne aus dem Süden. Weißes Licht liegt über dem Sinai. Je heller das Licht, desto dunkler der Schatten. Die Auseinandersetzung zwischen Michael und Luzifer hilft das Gnadenlicht vom luziferischen Pseudolicht zu unterscheiden, das bergende Dunkel von der Schattenwelt der Scheol.

Von Jerusalem aus, der Stätte, an der das irdische und das himmlische Jerusalem in Glaube, Hoffnung und Liebe erwartet wird, wendet sich der Blick nach Westen, dem Kreislauf der Sonne folgend. Zwischen dem dunkelblauen Mittelmeer und dem hellblauen Himmel wirkt Rafael. Im Norden, wo von Jerusalem aus gesehen die Menschwerdung Gottes durch Gabriel in Nazareth bei Maria anhebt, steht der Engel Gabriel. Diese vier Erzengel sind in den biblischen Büchern, wenn man das Buch Henoch hinzunimmt, namentlich bezeugt. Sie markieren das christliche Geviert der Welt.

Die Mitte ist Jerusalem, die Stätte der Gegenwart Gottes. Im Tempel auf dem Zion wurde seine Ewigkeit in der Zeit gefeiert. In den ersten Jahren seiner Offenbarungen war die Gebetsrichtung Mohammeds von der Heiligen Stadt Jerusalem bestimmt. Grün, die Farbe des Propheten, ist die Farbe der Gegenwart. Das Gelb des Ostens, der Herkunft, und das Blau des Westens, der Zukunft, sind in der Mitte, der Gegenwart, vereint zur Farbe Grün.

Der Koran ist der arabische Kommentar zur apokalyptischen Offenbarung, in dem die Christuserfahrung des Johannes jesuanisch und nicht trinitarisch positioniert ist. Ein Vergleich beider Schriften lohnt. Im Selbstverständnis Mohammeds offenbart sich ihm Gott, vermittelt durch den Engel Gabriel, während Johannes bezeugt, dass sich ihm Gott in Jesus Christus offenbart.
Der Gegenpol zu Jerusalem ist Babylon, wie Ignatius von Loyola in seiner Zwei-Banner-Betrachtung des Exerzitienbuches meditieren lässt. Von Babylon aus ziehen in der Vision des Sacharja (vgl. Sach 6,6) die Rosse mit ihren Wagen über die Welt, in der Untergang geschieht. Zur Zeit des Johannes ist Babylon mit der Weltmacht Rom identifiziert.

Werden die apokalyptischen Reiter aus der Perspektive von Babylon oder von Jerusalem erlebt? Nach dem Öffnen der ersten vier Siegel wird die Dynamik offensichtlich, die sich in alle vier Himmelsrichtungen ausbreitet (Offb 6,1-8). Durch das Öffnen des fünften Siegels wird die Bewegung nach unten (vgl. Offb 6,9-11), durch das Öffnen des sechsten Siegels die Bewegung nach oben sichtbar (vgl. Offb 6,12-17).

Aus den geöffneten Siegeln kommen biblische Bildworte, die unsere Welt als Schlachtfeld zeigen. In Visionen und Auditionen wird offensichtlich, wie gekreuzte Schwerter die Schöpfung durchdringen, die in sieben Tagen erschaffen wurde. Sollte Heraklit, der Dunkle aus Ephesus, doch Recht behalten, dass der Krieg der Vater aller Dinge ist? Gewiss, gäbe es nicht Gottes Achten Tag, der die Hoffnung nicht sterben lässt.

Im Krieg verläuft alles nach den Gesetzmäßigkeiten des Todes und des Sterbens. Die Logik des Tötens und Getötetwerdens ist unerbittlich. Wer kämpft gegen wen? Die Guten gegen die Bösen oder die Bösen gegen die Bösen oder die Guten gegen die Guten? Weder Parteinahme noch Flucht sind prinzipiell ein Ausweg. Denn überall ist die Welt.

Der Blick nach oben bietet keine Ausflucht in einer untergehenden Welt. Der Mond ist gleichsam schamrot geworden über das Treiben auf Erden (vgl. Joel 3,4). Wie bei einer Sonnenfinsternis ist die Welt verschattet. Eingeschwärzt ist die Sonne. „Denn die Sterne am Himmel und sein Orion scheinen nicht hell, die Sonne geht finster auf, und der Mond gibt keinen Schein“ (Jes 12,10). Und Gott spricht: „ICH kleide den Himmel mit Dunkel und hülle ihn in Trauer“ (Jes 50,3; vgl. Ez 32,8). „Und alles Heer des Himmels wird dahinschwinden und der Himmel wird zusammengerollt werden wie eine Buchrolle“ (Jes 34,4). Welche Möglichkeiten bleiben den Menschen angesichts solcher kosmischen Katastrophen? „Geh in die Felsen und verbirg dich in der Erde vor dem Schrecken des HERRN und vor seiner herrlichen Majestät!“ (Jes 2,10; vgl. Jer 4,19).

Nicht nur in der Stimme des Gewissens wird Gottes Weisung zum Leben vernommen, sondern auch kriegerische und kosmische Ereignisse werden von den Propheten aufgegriffen, um einer¬seits Gottes absolute Transzendenz zu rühmen, und um andererseits auf Gottes Immanenz abzuheben, der sich offenbart: „ICH bin der, ich bin da“ (vgl. Ex 3,14) bei den Menschen. Anthropologisch gewendet heißt das: Liebe ist parteiisch und überparteilich!

Die Verheißung von Gottes unbegreiflicher Nähe in Kriegen und Katastrophen wird im Leben Jesu Christi greifbar. Es ist ein entschiedenes Leben, das aus dem Ja zum Menschen sowohl Nein aus Ja wie auch Ja aus Ja sagt. Nach heiligem Zorn richtet Christus in Barmherzigkeit und Gerechtigkeit, so dass die Beziehung zu ihm geklärt und versöhnt ist.

Die Propheten Israels haben die Zerstörungen vor Augen, die Kriege mit sich bringen. Menschen werden vernichtet und auf alle mögliche Art gequält und geschändet. Seit Jahr¬hunderten ereignete sich im Vorderen Orient eine Katastrophe nach der anderen. Man lese bei Jeremia (14,12; 15,2-3) und bei Jesaja (24,21).

Was hat Gott damit zu tun? Die Propheten suchen nach Gründen, warum dies alles geschieht. Wie kann Gott das zulassen (vgl. Sach 1,12; Ps 79,5)? Oder ist er gar der Grund für den vielfältigen Untergang (vgl. Dtn 32,43; 2 Kön 9,7; Hos 10,8; Ez 5,12; 14,21)? Was ist der Tag des Herrn für ein Tag?

Der Prophet Joel schreibt dazu: „Denn der HERR wird seinen Donner vor seinem Heer erschallen lassen; denn sein Heer ist sehr groß und mächtig und wird seinen Befehl ausrichten. Ja, der Tag des HERRN ist groß und voller Schrecken, wer kann ihn ertragen?“ (Joel 2,11) Der Zorn des Herrn (vgl. Jes 13,13; Nah 1,6) offenbart sich im Zorn des Lammes, im Antlitz des grimmigen Christus (vgl. Offb 6,16).

Der Tag des Herrn fängt im Tag des Zorns an, der im Tag der Auferstehung endet. Neutestamentlich ist der Tag des Herrn der Sonntag. Es ist der Tag, an dem die christliche Gemeinde bekennt: „Deinen Tod, o Herr, verkünden wir und deine Auferstehung preisen wir, bis du kommst in Herrlichkeit.“ Christus ist die Gegenwart des HERRN auf Erden. Bei seinem Sterben bebte die Erde, verfinsterte sich der Himmel, öffneten sich die Gräber (vgl. Mt 27,51-53; Mk 15,33). Bei seiner Auferstehung wurden die Engel Gottes auf Erden sichtbar (vgl. Joh 20,12).

Im Zorn des Lammes werden die Ängste des Menschen offensichtlich (vgl. Offb 6,15-17). Von innen her wirkt das Lamm, der Christus, mit leidenschaftlicher Entschiedenheit, gleichsam mit heiligem Zorn gegen die menschenfeindlichen Mächte und Gewalten.

Angst verschließt und macht zu, Freiheit geht auf und öffnet. Wie ist die Situation, sowohl die Lage der Welt wie die persönliche Grundbefindlichkeit? Eine sorgsame Bestandsaufnahme tut not, um all das Schreckliche halbwegs zu erfassen. Denn die Wahrheit ist die Basis für mehr Freiheit und weniger Angst.

Wo befinden sich die Schöpfungspunkte, an denen die Energien der Angst und die Dynamik der Freiheit sich kreuzen? Der Blick geht dabei sowohl in die Außenwelt bzw. in die Um- und Mitwelt als auch in die Innenwelt mit ihren Grenzen nach außen. Ins Persönliche gewendet: An welchen Chakren bzw. Pforten und Toren sitzen die Angstteufel und die Freiheitsengel?

Die Erfahrung und Hoffnung Israels im babylonischen Exil wird bei Johannes christozentrisch und universalisiert wieder aufgenommen. Die Welt ist das Exil schlechthin. Durch die Kirchen¬geschichte hindurch findet sich dieser Glaube im Lied wieder: „Wir sind nur Gast auf Erden …“, singt die Gemeinde. Und seit dem 12. Jahrhundert erklingt: „Salve regina, mater misericordiae: vita, dulcedo et spes nostra, salve. Ad te clamamus, exsules filii Evae. Ad te suspiramus, gementes et flentes in hac lacrimarum valle. Eia ergo, advocata nostra, illos tuos misericordes oculos ad nos converte. Et Jesum, benedictum fructum ventris tui, nobis post hoc exsilium ostende.“


Sonntag des geretteten Israels

Der von den Propheten angekündigte Tag des Zorns hat sich, wie gesagt, in neutestamentlicher Perspektive schon ereignet. Am 6. Tag der Woche ist das Ende der ersten Schöpfung offenbar geworden. Zur sechsten Stunde starb Jesus am Kreuz (vgl. Lk 23,44). Die Ruhe des Sabbats, der am Abend des 6. Tages anfängt, war am Karsamstag, dem 7. Tag, die Realität Christi. Die Sonne der Gerechtigkeit ging unter. Von dem Tag des Herrn, dem Ostersonntag, fällt das Licht des 8. Tages auf die erste und die neue Schöpfung.

Nach dem Öffnen des sechsten Siegels tritt eine Zeit der Stille und Ruhe ein (vgl. Offb 7,1). Es ist die Zeit, die Knechte Gottes zu besiegeln. Was ist das Siegel Gottes? Ist es sein Eigenname oder das Taw, das Zeichen des Kreuzes? Beim Propheten Ezechiel lesen wir dazu: „Der HERR rief dem, der das Kleid von Leinwand anhatte und das Schreibzeug an seiner Seite, und sprach zu ihm: Geh durch die Stadt Jerusalem und zeichne mit einem Zeichen an der Stirn die Leute, die da seufzen und jammern über alle Greuel, die darin geschehen… aber die das Zeichen an sich haben, von denen sollt ihr keinen anrühren“ (Ez 9,3b-4; 6b).

Neutestamentlich gesehen stehen die Pforten der Ewigkeit für ganz Israel offen. Die wird mit dem Zahlenwert Hundertvierundvierzigtausend, d. h. zwölfmalzwölftausendmal zum Ausdruck gebracht (vgl. Offb 7,4). Die Liste der Stämme findet sich im Buch Genesis (Gen 49,1-28) und im Buch Deuteronomium (Dtn 33,1-29). Statt des Stammes Dan, der wegen des baalischen Kultzentrums auf seinem Stammesgebiet in Misskredit geraten war, wird neu¬testamentlich wahrscheinlich der Stamm Manasse gezählt.

In einem gewissen Sinn kann man sagen: Gott gibt es nicht. Er ist kein Etwas in der Schöpfung, sondern der Überirdische, der schlechthin Extraterrestrische. Zur Schöpfung gehören selbstverständlich auch die himmlischen Sphären bzw. das Sonnensystem, kurzum alles, wovon im ersten Schöpfungsbericht die Rede ist (vgl. Gen 1,1-36), nämlich Prinzipielles, Substanzielles, Vegetatives, Kosmisches, Animalisches und Humanes. Der 7. Tag kennt keine schöpferische Aktivität. Er ist der Ruhetag (vgl. Gen 2,1-4).

Welcher Affront, wenn Jesus gerade an diesem Tag zugunsten von Menschen schöpferisch handelt (vgl. Joh 5,1-9; 7,20-24)! Es geht um das Herzstück jüdischen Selbstverständnisses. Jeder ist verpflichtet, die göttliche Schöpfungsordnung zu beachten. Wer hat das Recht zu entscheiden, was am Sabbat verboten und was erlaubt ist? Welche religiöse Autorität? Jesus Christus? Denn einhellig war man der Überzeugung, wer den Sabbat bricht, zerbricht die ganze Thora.

Der Schabbat schlechthin ist der Jom Kippur, der Tag der Versöhnung. Welcher eigene Beitrag ist nötig, um mit seinem Nächsten versöhnt zu sein? Was heißt Versöhnung mit Gott, so dass der eigene Name im Buch des Lebens steht? Die Vorbereitung auf den Jom Kippur dauert zehn Tage. Begonnen wird damit an Rosch ha Schana, dem jüdischen Neujahrstag. (Außerjüdisch wünscht man sich am Neujahrstag einen guten Rutsch, einen guten Anfang also.) Am Jom Kippur trifft man sich dann vor der Synagoge mit dem Wunsch, dass der Name für das kommende Jahr in das Buch des Lebens eingeschrieben werde. Wer gelangt in die Ewigkeit, in die Wirklichkeit Gottes? Gott ist der EWIGE und kein Geschöpf, das es gibt.
Was hat Religion mit Gott zu tun? Sind Religionen die Institutionen, die Freiräume eröffnen, Gott zu suchen und zu finden? Oder betreiben sie mit ihrem Mystizismus die Vergötzung von geistigen und seelischen Realitäten? Was ist die Alternative zu Religionen? Keine Religion? Mit ihrer Abschaffung hätte die Menschheit viel zu tun.

Die jüdische Religion will dafür einstehen, dass die Transzendenz Gottes in Kult und Wort gewährleistet bleibt. Dies ist ein Unterfangen, das sich von außen her prinzipiell in Frage stellen lässt. Denn selbstverständlich kann Gott als eine unheimliche metaphysische Instanz verstanden werden, die Furcht und Schrecken verbreiten lässt, ohne dass sie selbst in irgendeiner Form greifbar wird. Gott ist dann mit einer dunklen Macht identifiziert, die ihren Repräsentanten das Recht und die Macht gibt, andere Menschen in Gottes Namen zu bedrohen, zu unterdrücken, ja sogar auszurotten. Es kommt alles darauf an, in der Offenbarungs¬geschichte dämonische Gottesbilder von spirituellen Erfahrungen zu unterscheiden, die den Menschen menschlicher machen, so dass er gemäß seiner Art leben kann. Dazu gehört auch die Frage nach einem letzten Woher und Wohin. Die Heils- und Unheilsgeschichte Israels ist ein wesentlicher Beitrag, um darauf eine Antwort zu finden.

Der Tempel in Jerusalem bildete bis zu seiner Zerstörung im Jahre 70 n. Chr. das institutionelle Herzstück der jüdischen Religion. Der Kern des Glaubens, der in ihm praktiziert wurde, wird an einem Text ablesbar, der dem Gottesbezug und der Ethik Israels zugrunde liegt. „Das erste ist: Höre Israel, der Herr, unser Gott, ist der einzige Herr, und sollst den Herrn, deinen Gott lieben von ganzem Herzen und ganzer Seele, mit deinem ganzen Denken und all deiner Kraft. Das zweite ist dies: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Kein anderes Gebot ist größer als diese beiden“ (Mk 12,29-31). So antwortete Jesus einem Schriftgelehrten, der ebenfalls mit der Thora, den fünf Büchern Mose, vertraut war (vgl. Dtn 4,35; 6,4f und Lev 19,18).

Selbstverständlich kann mit der Ganzheit, von der im Doppelgebot der Gottes- und Nächstenliebe die Rede ist, nur jene Radikalität gemeint sein, die sich ihrer Verwundbarkeit und Fragmentarität bewusst ist. Anders kann der Akt des Glaubens vonseiten des Menschen nicht realisiert werden. Vielleicht lässt sich die markinische Ergänzung der alttestamentlichen Urfassung um das Denken als etwas verstehen, das auf das Besondere der Bibelschule Jesu hinweist. Ihre Zielsetzung bestand darin, den Gott des Bundes und die Grundprinzipien der Ethik Israels zu verkünden. Dafür galt es sprachfähig zu werden. Im Geiste Jesu soll so aufgetreten werden, dass der erste Bund sich für alle als geöffnet erweist.
Sonntag der geretteten Völker

Bei der Öffnung des sechsten Siegels sieht Johannes, wie nicht nur das auserwählte Volk Israel nach der Besiegelung mit dem Zeichen Gottes ins Heil gelangt, sondern auch, wie unzählige Menschen, die nicht zu den zwölf Stämmen Israels gehören, durch Gott vor Tod und Verderben gerettet wurden. Mit Palmwedeln bringen sie ihre Freude zum Ausdruck.

Wofür steht der Palmzweig? In der Antike wurden siegreiche Feldherren bei ihrer Heimkehr mit Palmzweigen gefeiert. Denn durch ihren Sieg blieb die einheimische Bevölkerung vor Fremdherrschaft und Sklaverei bewahrt. In dieser Perspektive werden die Erwartungen des Volkes deutlich, das Jesus bei seinem Einzug in Jerusalem zujubelte (vgl. Joh 12,13). Da die Palme nur gedeiht, wenn ihre Wurzeln das Grundwasser erreichen, ist sie zum Symbol für die Verwurzelung in der Wirklichkeit des Ursprungs geworden.

So wird mit dem Palmzweig auf den Gräbern im Orient oder auf den Sargdeckeln westlicher Friedhofskultur die Hoffnung zum Ausdruck gebracht, dass der Verstorbene im ewigen Ursprung gut aufgehoben sein möge.

Die Berufungsvision des Propheten Jesaja, der Gott auf dem Thron sitzend sah (vgl. Jes 6,1), ist zum Allgemeingut derer geworden, die Gott ewigkeitlich mit lauter Stimme loben (vgl. Offb 7,10). Sie bekennen, dass sie durch das Wirken Gottes und das Opfer des heiligen Lammes ihren ewigen Frieden gefunden haben. Die Engel, die Ältesten bzw. die jüdischen Erbpriester und die Evangelisten stimmen in ihren Lobpreis ein (vgl. Off 7,11). Welche Sabbatliturgie kann beginnen!

Im mystischen Dialog zwischen einem jüdischen Erbpriester und dem hl. Johannes antwortet der Seher von Patmos auf die Frage, wie die Menschen aus den Völkern in die Ewigkeit gelangt sind, indem er die Frage zurückgibt und an das tiefe Wissen seines Gesprächspartners appelliert. Auf die gestellte Frage gibt dieser sich nun mit biblischen Zitaten selbst die Antwort. Oder ist es gar der Erzvater Jakob, der durch den Ältesten spricht?

Im Buch Genesis heißt es ja: „Und Jakob berief seine Söhne und sprach: Versammelt euch, dass ich euch verkünde, was euch begegnen wird in künftigen Zeiten. Kommt zuhauf und hört zu, ihr Söhne Jakobs, und hört euren Vater Israel“ (Gen 49,1).

Sein Segen für Juda enthält die Prophezeihung, dass der Löwe aus dem Stamm Juda (vgl. Offb 5,5) den Himmel für die Völker zugänglich machen wird: „Es wird das Zepter von Juda nicht weichen noch der Stab des Herrschers von seinen Füßen, bis dass der Held komme, und ihm werden die Völker anhangen. Er wird seinen Esel an den Weinstock binden und seiner Eselin Füllen an die edle Rebe. Er wird sein Kleid in Wein waschen und seinen Mantel in Traubenblut“ (Gen 49,10-11).

Die Chiffre für den Himmel, die göttliche Realität, ist der Wein. Man denke an die Hochzeit zu Kana (Joh 2,1-11) oder an das liturgische Gebet zur Vorbereitung der eucharistischen Gaben: Wie das Wasser sich mit dem Wein verbindet zum heiligen Zeichen, so lasse uns dieser Kelch teilhaben an der Gottheit Christi, der unsere Menschennatur angenommen hat.

Nach dem Propheten Sacharja wird der Messias auf einem Esel in Jerusalem einreiten, um das Reich des Friedens zu errichten (vgl. Sach 9,9; Joh 12,14). Er ging seinen Weg weiter nach Gethsemane und Golgatha bis Emmaus. Unterwegs fragt er als auferstandener Christus: „Begreift ihr denn nicht? Wie schwer fällt es euch, alles zu glauben, was die Propheten gesagt haben! Musste nicht der Messias all das erleiden und so in seine Herrlichkeit eintreten?“ (Lk 24, 25-26). Zu seinem Gefolge gehören all jene, die aus der großen Drangsal kommen und im Buch des Lebens stehen (vgl. Dan 12,1).

Die Verheißung des Propheten Jesaja geht in Erfüllung: „Sie werden weder hungern noch dürsten, sie wird weder Hitze noch Sonne stechen; denn ihr Erbarmer wird sie führen und sie an die Wasserquellen leiten“ (Jes 49,10). Die Sehnsucht der Völker nach Elysium, einem ewigen Jungbrunnen, wird durch die biblische Botschaft von den Quellwassern des Lebens beantwortet. Durch das Lamm Gottes, den Christus, werden die Verheißungen an Israel universalisiert (Jes 12,3; Sach 13,1).

Christus erweist sich als der gute Hirte aus dem Hause Davids. „Und ICH will ihnen einen einzigen Hirten erwecken, der sie weiden soll, nämlich meinen Knecht David. Der wird sie weiden und soll ihr Hirte sein, und ich, der HERR, will ihr Gott sein, aber mein Knecht David soll der Fürst unter ihnen sein; das sage ich, der HERR“ (Ez 34,23-24). Von Bethlehem, dem Hauptort im Stammesgebiet Benjamin, führt der Weg an der Davidsstadt entlang hinab nach Jericho. Wer weist den Weg von dort durch die Todschattenschlucht hinauf nach Jerusalem? „Der HERR ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser“ (Ps 23,1-2).
Christus, der Herr, in dem der HERR handelt, kümmert sich um jene, die nach dem himmlischen Jerusalem auf Erden unterwegs sind. Ein neues Zeitalter beginnt, eine alternative Schöpfung entsteht. „Er wird den Tod verschlingen auf ewig. Und Gott der HERR wird die Tränen von allen Angesichtern abwischen und wird aufheben die Schmach seines Volks in alles Landen, denn der HERR hat’s gesagt“ (Jes 25,8; vgl. Offb 21,4).


Sonntag des siebten Siegels

Das siebte Siegel ist das Sabbatsiegel (vgl. Offb 8,1-9). Am Ende des sechsten Tages, bei Sonnenuntergang also, beginnt der siebte Tag. „Und Gott segnete den siebenten Tag und heiligte ihn, weil er an ihm ruhte von allen seinen Werken, die Gott geschaffen und gemacht hatte“ (Gen 2,3). Für die Stille des Sabbats wird im Zeitlichen die Hälfte einer Zeitstunde angegeben, die aus zwölf Einheiten besteht. Dient eine solche halbe Zeit dem Gedenken der Welt, die in sechs Tagen erschaffen wurde? Im Horizont des himmlischen Jerusalem wird des irdischen Jerusalems gedacht.

Das Mondmaß für Zeit und Zahl ist die Sieben. Der Akzent der Wahrnehmung liegt auf dem Empfangen des schöpferichen Lichtes und Wortes. Das Sonnenmaß für Zeit und Zahl ist die Zwölf. Sie steht für eine Ganzheitserfahrung, die aus sich selbst erscheint.

So entstehen Zeitreihen nach dem Rhythmus von Sieben und Vierzehn und Achtundzwanzig bzw. von Sechs und Zwölf und Vierundzwanzig mit jeweiligen Sprüngen auf eine andere Zeitachse. Der Volksmund weiß darum. Man sagt z. B.: „Jetzt schlägt’s dreizehn.“ Vor diesem Hintergrund kann man formulieren: „Am achten Tag beginnt eine neue Schöpfung oder der Pfingstgeist (griech. Pentakost, deutsch fünfzig) wirkt nach einer Zeit von Siebenmalsieben. Ein Jobel- bzw. Jubeljahr (davon deutsch Jubiläum) beginnt“.

Natürlich lassen sich auch den Primzahlen und entsprechenden Kombinationen allerlei Bedeutungsinhalte zuordnen. Vor allem bei Sprachen, deren Alphabete sowohl für Buchstaben- wie für Zahlenwerte stehen, ergibt sich ein ganzer Kosmos von Gedanken. Die Anwendung der Grundrechenarten, weitere mathematische Verfahren und die Einführung der Null als Leerstelle erzeugt berechenbare Zusammenhänge und begründet Ausnahmen. Die Zeit des Sabbats ist eine gute Gelegenheit für Kabbala, Mystik und Gebet.
Was ist das für eine himmlische Welt, die beim Öffnen des siebten Siegels offenbar wird? Die Gegenwart Gottes zentriert sieben Engel. Sind sie identisch mit den sieben Engeln der sieben christlichen Gemeinden oder bilden sie eine eigene spirituelle Hierarchie von geschaffenen Geistern? Hier-archie sollte im ursprünglichen Sinn des Wortes verstanden werden. Es handelt sich dabei um heilige Prinzipien bzw. Herrschaften, die dem unmittelbaren Wirkfeld des Heiligen zuzuordnen sind. Das Heilige besitzt den Doppelcharakter des Faszinierenden und des Erschreckenden, sobald es in der Realität der Menschen erscheint.

Eschatologisch ist zur kosmischen Liturgie geworden, was Aaron am Tag der Versöhnung, dem Großen Sabbat, kultisch vollzog, „Aaron soll eine Pfanne voll Glut vom Altar nehmen, der vor dem HERRN steht, und beide Hände voll zerstoßenen Räucherwerks und es hinein hinter den Vorhang bringen und das Räucherwerk aufs Feuer tun vor dem HERRN, dass die Wolke vom Räucherwerk den Gnadenthron bedecke, der auf der Lade mit dem Gesetz ist, damit er nicht sterbe“ (Lev 16,12-13).

In der aaronitischen Tradition steht Zacharias, dessen Frau Elisabeth mit Maria, der Mutter Jesu, nah verwandt war. „Als seine Priesterklasse wieder einmal an der Reihe war und er beim Gottesdienst mitwirken musste, wurde, wie nach der Priesterordnung üblich, das Los geworfen, und Zacharias fiel die Aufgabe zu, im Tempel des Herrn das Rauchopfer darzubringen. Während er opferte, stand das ganze Volk draußen und betete. Da erschien dem Zacharias ein Engel des Herrn; er stand auf der rechten Seite des Rauchopferaltars. Als Zacharias ihn sah, erschrak er und hatte Angst. Der Engel aber sagte ihm: Fürchte dich nicht, Zacharias! Dein Gebet ist erhört. Deine Frau Elisabeth wird dir einen Sohn gebären; dem sollst du den Namen Johannes geben“ (Lk 1,8-13). Den kultischen Vorschriften entsprechend stammte Elisabeth wie Zacharias aus priesterlichem, aaronitischem Geschlecht ( vgl. Lk 1,5).

Auf die zweifelnden Fragen des Zacharias antwortete der Engel: „Ich bin Gabriel, der vor Gott steht, und ich bin gesandt, um mit dir zu reden und dir diese freudige Botschaft zu bringen“ (Lk 1,19).

Bis zur Zeit des Tempels gehörte zum Kult Israels das Opfer. Je nach Epoche wurden Weihrauch-, Brand-, Sühne- und Sündopfer dargebracht. Was gehört Asasel und was zum HERRN (vgl. Lev 16,5-11, 14-22)? Es gilt genau zu unterscheiden, welche geistigen und seelischen Realitäten im Kraftfeld der Gnade geordnet werden sollen. Durch das Opfer wird rituell sowohl die neue Nähe zwischen den Heiligen und den Nichtheiligen bezeugt als auch die endgültige Ferne zwischen dem versöhnten Menschen und dem Potential, durch das sich das Nichtheilige vom Heiligen trennte, offenbar gemacht.

Diese Grundstruktur und Dynamik ist beim Versöhnungsvorgang zwischen Opfer und Täter ebenfalls zu beachten. Erst dann steht die Schuld nicht mehr trennend zwischen beiden. Was ist zu opfern? Alle Formen des Erinnerns, die nicht versöhnungsorientiert sind. Aber auch alle Weisen des endlosen Aufrechnens von Schuld, alle Reflexionen des rationalen Diskurses, weswegen es so gekommen ist. Produktive Reflexion zielt auf Bekenntnis und Vergebung. Was letztlich zählt und die Wiederholung von Schuld verhindert, ist die Unterbrechung. Sowohl Opfer als auch Täter werden dadurch frei, und gerade so bleibt ihre Differenz in Wahrheit und Versöhntheit erhalten.

Dabei ist das Bekenntnis bzw. stellvertretende Bekenntnis auf seine Weise genauso wesentlich wie die durch nichts zu ersetzende Vergebungshandlung dessen, der das Opfer im Namen Gottes, der Schuldigen und Betroffenen vollzieht. Dieser geistige Akt sucht sich von Fall zu Fall auch Ausdrucksformen, die auf Elementares, Vegetatives oder gar Animalisches zurückgreifen.

Je nach Religiosität, also institutionalisierter Spiritualität, gibt es eine Vielfalt archaischer und liturgischer Spiritualität, gibt es eine Vielfalt archaischer und liturgischer Vollzüge. Ein Blick in die Praxis der Religionen genügt.

Auch die Negation jeglichen Opfergedankens in sogenannten aufgeklärten Religionen bzw. Glaubenssystemen opfert: nämlich die Idee des Opfers. Kommt es dadurch zu heilsamen Erinnerungen oder der Verdrängung der realen Existenz des Menschen? Beides scheint möglich. Jedenfalls, ob Opfer oder Nichtopfer, das Verhalten des gläubigen Menschen wird mit der Wirklichkeit Gottes begründet.

Biblisch wird das Verhältnis zwischen dem Heiligen Gott und dem sündigen, dh. dem sich getrennt empfindenden Menschen, sowohl im Wort als auch im Zeichen verdeutlicht. Ob der Grund, das Trennende also, aus Nichtglauben oder Nichtwissen, aus freier Entscheidung oder aus Sünde und Schuld herrührt, ist vor allem eine persönliche Gewissensfrage.

Auffällig ist, dass die Übergabe der Zehn Gebote als Weisungen zum Leben, die das Verhältnis zu Gott und die menschlichen Beziehungen bestimmen sollen, von kultischen Handlungen, religiösen Vorschriften und Phänomen, die in sakraler Terminologie gedeutet werden, umrahmt ist (vgl. Ex 19,14-25; 20,18-26). „Und alles Volk wurde Zeuge von dem Donner und Blitz und dem Ton der Posaune und dem Rauchen des Berges. Als sie aber solches sahen, flohen sie und blieben in der Ferne stehen“ (Ex 20,18).

Wie das Wort Gottes fällt das Feuer der Liebe vom Himmel, so dass die Herzen der Menschen entflammen. Um Jesus selbst zu zitieren: „Ich bin gekommen, um Feuer auf die Erde zu werfen, wie froh wäre ich, wenn es schon brennen würde“ (Lk 12,49).

Jesus Christus selbst, so das Zeugnis Gregors des Erleuchters, ist das göttliche Feuer, das in der Feuersäule auf die Erde herabgestiegen ist. Am Fest seiner Erscheinung brachten ihm weise Zoroastrer ihr Gold, den Weihrauch und die Myrrhe. Wie Weihrauch sind die Gebete der Heiligen, dichtete der Psalmist (vgl. Ps 141,2).

Und noch der Apostel Paulus kennt den Brauch, die Frömmigkeit des Büßers zu unterstützen, indem glühende Kohlen in die Räucherpfanne dessen gelegt wurden, der sie – sich vor allzu viel Hitze entsprechend geschützt – auf seinem Haupte trug (vgl. Röm 12,20).

Der Entschluss, ein sinnvolles Büßerleben zu wagen, verdankt sich der Einsicht, dass man nicht immer mehr ein schlechter Mensch werden muss, sondern ein besserer Mensch werden kann. Kein Karma ist ein unabwendbares Schicksal, sondern es kann durch das Ergriffenwerden von Gottes Gnade ein Tor zum ewigen Leben werden. Welche Erweckung steht an? Wer hört die Posaunen?


Sonntag der vier Posaunen

Wie in sechs Tagen die Schöpfung durch Gottes Wort entstand und als siebter Tag die Zeit der Gebetsstille folgte, so kündigen die sieben Posaunen der Engel die sechs Tage der Zerstörung eines Drittels der Schöpfung und die Zeit der Anbetung am siebten Tag an.

Die Posaune macht den, der bewusst auf sie hört, wach. Akustisch wird unterstützt, worum es in müden Zeiten geht: „Wach auf, Schläfer, und steh auf von den Toten, und Christus wird dein Licht sein“ (Eph 5,14b). Denn wenn die Besinnung der Menschheit einsetzt, wird sie erkennen, dass ein Drittel der Schöpfung zutiefst bedroht ist, ja sich schon im Untergang befindet.

Mit der Posaune, dem Kultinstrument par exellence, wird sowohl angekündigt, wann im Menschenwort das Wort Gottes vernommen werden soll (vgl. Ex 19,16.19) als auch abgekündigt, dass wirklich Gott zu den Menschen von außen und in der Stimme des Gewissens gesprochen hat (vgl. Ex 20,18).

Eine Voraussetzung im Bedingungsgefüge der Welt, die Stimme des Unbedingten hören zu können, ist die spirituelle Offenheit des Menschen, der alles, was ihm an Gutem oder Schlechtem begegnet, auf seine letzte Herkunft hin zu befragen vermag. Der Geist des Menschen sucht die geistigen Ursachen zu erkennen, um die Verhältnisse der materiellen Welt angemessen zu verstehen. Nicht bloß um Deutung geht es, sondern um ein sinnvolles, dh. ganzheitliches Verändern bzw. Unterbrechen dessen, was der Menschheit schadet.

Sobald es um den Zustand und die Zukunft der Schöpfung geht, kommen die Themen der einzelnen Schöpfungstage in den Sinn (vgl. Gen 1,1-2,4). Wie ist es um das Land (Offb 8,7), um das Wasser (Offb 8,8-9), um die Atmosphäre (Offb 8,10-11) bestellt, die durch den Zwischenraum von oben und unten entstand? Was passiert in Blick auf Sonne, Mond und Sterne (Offb 8,12-13)? Was geschieht in der Welt der Tiere (Offb 9,1-12). Was ereignet sich in der Welt des Menschen (Offb 9,13-21)? Dreifach wird dies adventlich entfaltet (vgl. Offb 10,1-11; 11,1-2; 11,3-14), bis nach dem Tag der siebten Posaune (Offb 11,15-19), der Advent ausklingt und die kosmische Weihnacht vor der Tür steht (Offb 12,1-6).

Der Klang der Posaunen schärft den Blick dafür, dass die Schöpfung in ihrer Gestalt jeden Tag großen Schaden leidet. Zitate aus den Büchern der Propheten, die Israels Geschichte mit Gott begleitet haben, bringen die Entwicklungen in der Schöpfung auf den Punkt. Warum lässt Gott dies alles zu? Greift er ein, indem die Menschen, die beten, erkennen, was zu tun ist?

Den Schöpfungstagen entsprechend verschwindet das Wort und das Lied, das in den geschaffenen Dingen wohnt, ja schließlich ein Teil der Schöpfung selbst. Aus Strophen werden Katastrophen. Ein Drittel der Schöpfung verstummt, wird taub, unberührbar und unansehlich. Die Verstrahlung und Verseuchung nehmen zu. Was hält die Welt im Innersten zusammen, obwohl sie Stück für Stück wegbricht? Die Erde wird neu, wenn Weihnachten wird und die Auferstehung sich durchsetzt.
Nicht nur die neue Schöpfung, der neue Himmel und die neue Erde, sondern auch die Apokalypse hat schon begonnen. Was wollen uns die periodisch wiederkehrenden großen Wald- und Buschbrände sagen, die zunehmende Verschmutzung der Ozeane, die Reaktorkatastrophen und die Folgen der Atompilze, die Smog- und Giftgaswolken über den Städten?

Kehren die ägyptischen Plagen wieder, die dem Pharao die Grenzen seiner Macht zeigen (vgl. Ex 7,20; 9,23-25)? Kommt das Blutvergießen von Gog und Magog im Heiligen Land zu Ende, weil die Angreifenden in Naturkatastrophen umkommen (Ez 38,8.22; Joel 3,3)? Endlich ist auch die babylonische Macht: „Siehe, ICH will an dich, du Berg des Verderbens, der du Verderben gebracht hast über alle Welt, spricht der HERR. Ich will meine Hand wider dich ausstrecken und dich von den Felsen herabwälzen und will einen verbrannten Berg aus dir machen“ (Jer 51,25). Und weiter heißt es: „Wie bist du vom Himmel gefallen, du schöner Morgenstern! Wie wurdest du zu Boden geschlagen, der du alle Völker niederschlugst! Du aber gedachtest in deinem Herzen: Ich will in den Himmel steigen und meinen Thron über die Sterne Gottes erhöhen, ich will mich setzen auf den Berg der Versammlung im fernsten Norden. Ich will auffahren über die hohen Wolken und gleich sein dem Allerhöchsten“ (Jes 14,12-14).

Die Großmacht Babel hatte im Namen des Marduk bzw. des Jupiter und der Ischtar, dem Morgenstern bzw. der Venus, einst Weltgeschichte gemacht. Die römische Politik war ähnlich imperialistisch von Mars und Venus bestimmt. Andere Staaten führten den Mond oder die Sonne im Wappen. Die Herrschaftsansprüche bleiben erhalten, die Zeiten ändern sich, die Mächtigen wechseln. Animalische Symbole, wie Drache, Taube, Wolf, Stier, Kuh, Adler oder Löwe repräsentieren die Macht über Energien, die eigene Dynamik in den Konstellationen.

Visionär schaut Johannes auf Patmos wie Natur- und Klimakatastrophen nicht nur natürliche, sondern auch menschliche Ursachen haben können. Seine Visionen sind aktueller denn je. Sie haben endzeitliches, dh. immer auch präsentischen Charakter. Dafür ist der Prophet Daniel ein Gewährsmann.

Der Erzengel Gabriel legte Daniel die Vision von der medisch-persischen und der hellenistischen Invasion geschichtlich und überzeitlich aus. „Siehe, ich will dir kundtun, wie es gehen wird zur letzten Zeit des Zorns; denn auf die Zeit des Endes geht das Gesicht“ (Dan 8,19; vgl. Dan 8, 1-27).

Sonntag der fünften Posaune

Nicht nur mächtige Kultfeuer wie am Gottesberg (vgl. Ex 19,18) zeigen an, dass der Heilige Gott durch seine Nähe den Menschen und die Erde erschüttert, sondern auch gewaltige Okkultfeuer aus dem Abgrund machen die Abgründigkeit der Existenz offensichtlich. Was wird offenbar? Wie spricht Gott durch diese Feuer?

Tröstlich ist es, wenn das göttliche Geheimnis den Menschen aus seiner Verborgenheit in das bergende Licht seiner Offenbarung ruft. Misstrost hingegen stellt sich zunächst ein, wenn man vom Untergang dessen hört, was keine Zukunft haben soll. Gibt es einen tieferen Sinn?

Im Monotheismus geht es theologisch immer um ein Doppeltes. Erstens: Außer Gott ist kein anderer Gott. Jede Form von Dualismus, geschweige denn ein Polytheismus ist mit dem monotheistischen Glauben an den einen, ewigen, heiligen Gott unvereinbar. Daher muss Gott selbst alle Abgründe umfangen, auch jene, aus deren Rauch die Plagen und Schrecken kommen. Gemäß der monotheistischen Schöpfungslehre ist er zudem restlos verschieden von allen Abgründen der Welt.

Zweitens: Wie könnte man die Dualität der geschaffenen Welt besser zum Ausdruck bringen als durch ein klares Konzept von der prinzipiellen Verschiedenheit zwischen guten und bösen geistigen Mächten? Gott selbst wirkt demnach so durch seine Engel, dass sich sein Wille auch durch die Negation des Negativen durchsetzt. Wofür steht dann z. B. die Welt von Sodom und Gomorra, die in Gottes Namen verraucht (vgl. Gen 19,27-29)?

Was macht Heuschrecken und Skorpione so schrecklich? Gewiss nicht die naturale Existenz solcher Tiere, sondern ihr massenhaftes, zerstörerisches Auftreten, das den Lebensraum des Menschen vernichtet (vgl. Ex 10,12.15; Weish 16,9; Joel 1,4). Sobald jemand dem pharao¬nischen Prinzip verfällt, entwickelt sich die organische und animalische Natur zu einer menschenfeindlichen, übergriffigen Gewalt. Auf verschiedenen Ebenen wird dies dann höchst schmerzhaft erfahrbar. Zerstörerische, eigendynamische Gewalt ist das Gegenteil von positiver Väterlichkeit. „Oder ist unter euch ein Vater, der seinem Sohn eine Schlange gibt, wenn er um einen Fisch bittet, oder einen Skorpion, wenn er um ein Ei bittet“ (Lk 11,11-12)?

Um Rechenschaft vom eigenen Glauben geben zu können, kommt man nicht umhin, Primär- und Sekundärursache zu unterscheiden. Wobei aber von Gott nicht einfachhin als Primärursache gesprochen werden sollte, weil er sonst allzu leicht als zur Logik der Schöpfung gehörig verstanden werden könnte. Schritt für Schritt nur kann in der Schöpfung nachbuchstabiert werden, was es mit der Offenbarung auf sich hat. Die Posaunen der Engel machen dafür wach.

Nachdem die Posaune des fünften Engel ertönte, wird sichtbar, was aus dem Abgrund steigt (vgl. Offb 9,1-12). Der Prophet Joel ist der Kronzeuge: „Ein finsterer Tag, ein dunkler Tag, ein wolkiger Tag, ein nebliger Tag! Gleichwie die Morgenröte sich ausbreitet über die Berge, so kommt ein großes und mächtiges Volk … . Vor ihm erzittert das Land und bebt der Himmel“ (Joel 2,2.10). Wie ein Heer aus Riesenheuschrecken und gepanzerten Skorpionen tobt die Vernichtungsmaschinerie in der Luft und auf dem Boden. „Denn es zieht herauf in mein Land ein Volk mächtig und ohne Zahl; das hat Zähne wie die Löwen und Backenzähne wie die Löwinnen“ (Joel 1,6). In drei Wellen ergießt sich das Heer über das Land (vgl. Offb 9,12). „Sie sprengen daher über die Höhen der Berge, wie die Wagen rasseln und wie eine Flamme prasselt im Stroh, wie ein mächtiges Volk, das zum Kampf gerüstet ist“ (Joel 2,5).

Furchtbar leiden die Opfer – Hiob selbst kommt zu Wort: „Die auf den Tod warten, und er kommt nicht, und nach ihm suchen mehr als nach Schätzen, die sich sehr freuten und fröhlich wären, wenn sie ein Grab bekämen“ (Job 3,21). So ist die Realität die Welt. Sie soll in Zukunft nicht mehr sein. Ihr Ende ist angesagt.

Die Hoffnung auf eine andere Welt existiert. Ein Gottesmann im leinenen Gewand geht durch Jerusalem und markiert jene, deren Hoffnung auf eine neue Erde und einen neuen Himmel nicht gestorben ist. „Zeichne mit einem Zeichen an der Stirn die Leute, die da seufzen und jammern über alle Greuel, die darin geschehen“ (Ez 9,4).

Der Gegenengel zu dem Boten, der durch die Gassen Jerusalems geht, ist der Engel des Abgrunds (vgl. Offb 9,11). Als Ab-addon wurde er wie Asas-el, dh. ursprünglich die gänzliche Entfernung (von Sünde und Schuld) personifiziert (vgl. Lev 16,8). Die griechische Variante zu Abaddon (hebr. Zerstörung) heißt Apollyon. Sie führt zum Apolloheiligtum nach Hierapolis. An der Ecke des Tempels geht es in die Unterwelt, in den Hades. Der Schacht führt in die Tiefe, in die Welt des Pluto. Giftige, unsichtbare Wolken, die von dort aufstiegen, brachten Tod und Siechtum. Die unsichtbaren Mächte und Gewalten rühren von einer Uranader her, die unterhalb verläuft. Erst nach einem Erdbeben scheint die Gefahr nun vorüber zu sein.


Sonntag der sechsten Posaune

Was muss noch alles passieren, damit die Menschen ethisch miteinander umgehen und die Schöpfung bewahren? Die Luft, die allen gemeinsam ist, wird mancherorts von rötlichen, bläulichen und gelblichen Schwaden durchzogen, so dass sie nicht mehr als gemeinsamer Atem der Menschheit geeignet ist. Der Tod liegt in der Luft. Wird irgendwann ein Drittel der Menschen sterben, weil Feuersbrünste um sich greifen, die Luft verpestet ist und die Atmosphäre vergiftet wird? Gerät das Klima so aus den Fugen, dass apokalyptische Verhältnisse eintreten?

Bis zum Euphrat, dem vierten Paradiesstrom (vgl. Gen 2,14) reicht das Land, das Abraham verheißen wurde (vgl. Gen 15,17). Vom Rand der heilen Welt aus bricht der Strom der Zerstörung los (vgl. Offb 9,14). Die Stimme der Wahrheit tut es kund, die sechste Posaune ertönt (vgl. Offb 9,13-21).

Vom goldenen Altar aus (Offb 9,13; vgl. Offb 8,3; Lev 16,12; Ex 37,25-26) nimmt das Geschehen seinen Lauf.

Die Autorität des Mose war gefragt, damit die kultische Verehrung Gottes in Israel akzeptiert wurde. Was in Ewigkeit verborgen ist, bekam eine sichtbare Gestalt: „Du sollst auch einen Räucheraltar machen aus Akazienholz, eine Elle lang und ebenso breit, viereckig und zwei Ellen hoch mit seinen Hörnern. Und du sollst ihn mit feinem Golde überziehen, seine Platte und seine Wände ringsum und seine Hörner. Und sollst einen Kranz von Gold ringsum machen und zwei goldene Ringe unter dem Kranz zu beiden Seiten, dass man Stangen hineintue und ihn damit trage. Die Stangen sollst du auch aus Akazienholz machen und mit Gold überziehen. Und du sollst ihn setzen vor den Vorhang, der vor der Lade mit dem Gesetz hängt, und vor dem Gnadenthron, der auf der Lade mit dem Gesetz ist, wo ICH dir begegnen werde“ (Ex 30,1-6).

Ursprünglich will religiöser Kult den menschlichen Geist so fokussieren, dass er die Welt mit all ihrer Schrecklichkeit vor Gott bringt. Dadurch kann der Geist des Beters wieder frei werden. Denn im Dasein vor Gott, der absoluten Freiheit, wird am göttlichen Verhältnis zur Schöpfung in ihrer Vergänglichkeit partizipiert. Auf diese Weise wird der Mensch wieder handlungsfähig und kann sich in der Schöpfung freiwillig für die Schöpfung einsetzen, ohne einer weltimmanenten Ideologie zu verfallen. Weder Zynismus noch Resignation haben eine Chance.

In der Welt der Babylonier wimmelte es von bösen Geistern und Dämonen. Seit der Zerstörung des Tempels in Jerusalem lebten viele Juden in der babylonischen Gefangenschaft am Euphrat. Der Prophet Daniel hatte Visionen in Susa, der Hauptstadt von Elam, das zu Babylon gehörte (vgl. Dan 8,2). Er wurde an den Königshof nach Babel gerufen, um eine geheimnisvolle Schrift zu deuten, die bei einem Festgelage an der Wand erschienen war. Und er prophezeite dem letzten König von Babylon: „Du hast dich gegen den Herrn des Himmels erhoben, und die Gefäße seines Hauses hat man vor dich bringen müssen, und du, deine Mächtigen, deine Frauen und deine Nebenfrauen, ihr habt daraus getrunken; dazu hast du die silbernen, goldenen, ehernen, eisernen, hölzernen, steinernen Götter gelobt, die weder sehen noch hören noch fühlen können. Den Gott aber, der deinen Odem und alle deine Wege in seiner Hand hat, hast du nicht verehrt. Darum wurde von ihm diese Hand gesandt und diese Schrift geschrieben. So aber lautet die Schrift, die dort geschrieben steht: Mene mene tekel u-parsin. Und sie bedeutet dies: Mene, das ist Gott hat dein Königtum gezählt und beendet. Tekel, das ist, man hat dich auf der Waage gewogen und zu leicht befunden. Peres, das ist, dein Reich ist zerteilt und den Medern und Persern gegeben“ (Dan 5,23-28).

Das Ende des babylonischen Reiches, das historisch existierte, bis die Perser es einnahmen, ist natürlich nicht identisch mit der Dynamik Babels. Auch nach dem Ende der babylonischen Gefangenschaft Israels – unter dem Perserkönig Kyros durfte es in seine Heimat zurückkehren – wirkt der Geist babylonischer Herrschaft weiter.

Wie ambivalent ist Babylon, dh. Bab-il-Anu. Es kann das Tor zu Anu, dem Herrn des Himmels, werden oder in sprichwörtlich babylonischer Sprachverwirrung entsteht ein Turm zu Babel, der wegen der Götter den wahren Gott des Himmels in Vergessenheit geraten lässt. Und ein Drittel der Menschen geht dann an den Plagen zugrunde, die der Größenwahn mit sich bringt.

Vor Gottes Altar wird offenbar, was keine Zukunft hat, sondern untergeht. Und doch gibt es keine Notwendigkeit in diese Einsicht. Das Treiben geht weiter. Der ersehnte Friede mit Mensch und Natur rückt in weite Ferne, wenn sich der Umgang mit den Dingen nicht ändert. So lautet die Antwort Jehus auf die Frage, ob nun endlich Friede werde: „Was Friede? Deiner Mutter Isebel Abgötterei und ihre viele Zauberei haben noch kein Ende“ (2 Kön 9,22)!

Wann kommt die Zeit, von der Jesaja kündet? „Zu der Zeit wird der Mensch blicken auf den, der ihn gemacht hat, und seine Augen werden auf den Heiligen Israels schauen; und er wird nicht mehr blicken auf die Altäre, die seine Hände gemacht haben, und nicht schauen auf das, was seine Finger gemacht haben, auf die Bilder der Aschera und auf die Rauchopfersäulen“ (Jes 16,7). Die selbstgemachten Götzen werden gestürzt (vgl. Jes 2,8.20; Ps 106,27; Ps 115,4-7; Ps 135,15-17).

In adventlicher Zuversicht richten sich die Augen der Menschen aufs neue zum Himmel. Welche Botschaft kommt aus der Ewigkeit? Was kommt von oben? Ausharren und Geduld ist angesagt.


Sonntag der himmlischen Schriftrolle

Johannes sieht auf Patmos, wie sich ein Fenster am Himmelsgewölbe öffnet. Eine Tür im kosmischen Adventskalender geht auf. Der Regenbogen als Zeichen des Schöpfungsbundes wölbt sich über den Engel der Prophetie, der erscheint. Und eine himmlische Stimme spricht (vgl. Offb 10,1-11).

So wie der Erzengel Michael am Grund der Seele unabweisbar die Frage stellt „Wer-ist-wie-Gott“, so schreit der Engel der sechsten Posaune, dass die Zeit der sechs Schöpfungstage zu Ende geht (vgl. Offb 10,2-3).

Alles läuft alles auf das Mysterium der Weihnacht zu. Auf unvordenkliche Weise wird Gott in Fleisch und Blut in seiner Schöpfung gegenwärtig werden. Wie anders als durch die bisher vertrauten Metaphern seiner Offenbarungsgeschichte könnte er dies ankündigen? „Gott der HERR tut nichts, er offenbare denn seinen Ratschluss den Propheten, seinen Knechten. Der Löwe brüllt, wer sollte sich nicht fürchten? Gott der HERR redet, wer sollte nicht Prophet werden?“ (Am 3,7-8; vgl. Sach 1,6; Dan 9,6.10)

Das Aufschreiben einer Prophetie ist eine Form der Veröffentlichung. Bevor eine Weissagung jedoch an die Öffentlichkeit kommt, ist sie geheimzuhalten (Offb 10,4). „Dies Gesicht von den Abenden und Morgen, das dir hiermit kundgetan ist, das ist wahr; aber du sollst das Gesicht geheim halten; denn es ist noch eine lange Zeit bis dahin“ (Dan 8,26). Die Versiegelung dient der Geheimhaltung: „Und du Daniel, verbirg diese Worte, und versiegle das Buch bis auf die letzte Zeit“ (Dan 12,4; vgl. Dan 12,9). Es ist Gottes Sache zu bestimmen, wann der Prophet die Weissagung mitzuteilen hat.

Die Qualität einer Prophetie wird durch einen Eid bezeugt (vgl. Offb 10,6). Bei Gott selbst wird geschworen. Er soll sowohl Richter als auch Zeuge sein. Daher möge er für die Wahrheit dessen einstehen, was die Weissagung beinhaltet, und für die Durchsetzung des Rechts zuständig sein, das sich aus dem Vertrag ergibt, der entsteht, wenn jemand sich auf das Wort eines anderen verlässt.

Die Geschichte des Eides hat in Israel eine lange Tradition. Von Abraham bis zu dem Mann mit leinenem Gewand wird berichtet: „Da sprach der König von Sodom zu Abram: Gib mir die Leute, die Güter behalte für dich! Aber Abram sprach zum dem König von Sodom: Ich hebe meine Hand auf zu dem HERRN, dem höchsten Gott, der Himmel und Erde geschaffen hat, daß ich von allem, was dein ist, nicht einen Faden noch einen Schuhriemen nehmen will, damit du nicht sagest, du habest Abram reich gemacht“ (Gen 14,21-23; vgl. Neh 9,6).

Wann werden die großen Wunder geschehen? Auf diese Frage erhielt der Prophet Daniel folgende Antwort: „Und ich hörte den Mann in leinenen Kleidern, der über den Wassern des Stroms stand. Er hob seine rechte und linke Hand auf gen Himmel und schwor bei dem, der ewiglich lebt, daß es eine Zeit und zwei Zeiten und eine halbe Zeit währen soll, und wenn die Zerstreuung des heiligen Volkes ein Ende hat, soll dies alles geschehen“ (Dan 12,7).

Die Fülle der Zeit wird eintreten, das Geheimnis Gottes sich vollenden. Es wird Weihnacht sein. Dies ist der Inhalt der Prophetie des Engels (vgl. Offb 10,7). Letztlich kommt alles darauf an, dass Gott selbst die Prophetie erfüllen wird.

Das Buch mit den sieben Siegeln ist geöffnet (vgl. Offb 8,1). Schritt für Schritt wird enthüllt, was hinter dem siebten Siegel verborgen ist. Die sieben Posaunen kündigen dies an (vgl. Offb 8,6). Mit der sechsten Posaune (vgl. Offb 9,13) hat ein dreifacher Advent (vgl. Offb 10,1; Offb 11,1; Offb 11,3) begonnen, der mit der siebten Posaune als Zeit des vierten Advents zu Ende geht (vgl. Offb 11,15-19). Der Dreh- und Angelpunkt des Heiles wird erscheinen in der Fülle der Zeit (vgl. Offb 12,1; Offb 10,6b-7; Gal 4,4).

Am ersten Advent ist die himmlische Schriftrolle geöffnet (vgl. Offb 10,2-10). Der Engel reicht sie Johannes. Im Mund des Propheten von Patmos wird sie zum Evangelium, auch wenn sie bitter zu verdauen ist (vgl. Offb 10,10). Neues wird beginnen.

Eine ähnliche Schrifterfahrung hatte der Prophet Ezechiel mit der himmlischen Botschaft gemacht, die er dem Volk Israel zu verkünden hatte: „ Und ich sah, und siehe, da war eine Hand gegen mich ausgestreckt, die hielt eine Schriftrolle. Die breitete sie aus vor mir, und sie war außen und innen beschrieben, und darin stand geschrieben Klage, Ach und Weh. Und er sprach zu mir: Du Menschenkind, iß, was du vor dir hast! Iß diese Schriftrolle und geh hin und rede zum Hause Israel!

Da tat ich meinen Mund auf, und er gab mir die Rolle zu essen und sprach zu mir: Du Menschenkind, du musst diese Schriftrolle, die ich dir gebe, in dich hinein essen und deinen Leib damit füllen. Da aß ich sie, und sie war in meinem Mund so süß wie Honig. Und er sprach zu mir: Du Menschenkind, geh hin zum Hause Israel und verkündige ihnen meine Worte“ (Ez 2,9-3,3).

Ezechiel spricht zu Israel, Daniel zu den Bewohnern in Babylon (Dan 3,4; 7,14), Jeremias zu Israel und den umliegenden Völkern (Jer 1,10; 25,9.30), Johannes zu den Völkern, deren Ort vor Gott der Vorhof des Tempels von Jerusalem war (Offb 10,11).


Sonntag des preisgegebenen Tempels

Die Völker, denen die Botschaft des Johannes gilt, leben in der Zerstreuung. Ihr Platz vor Gott ist zertreten. Wie erreicht das ewige Evangelium die Völker in ihrer Gottesferne (vgl. Offb 11,1-2)? Die Welt ist nun für sie der Vorhof des Heiligtums. Denn der Tempel des irdischen Jerusalem ist zerstört, das Heiligtum ist preisgegeben. Die Verweltlichung hat stattgefunden. Die römische Staatsmacht mit ihren Caesaren Titus und seinem Bruder Domitian hatte ganze Arbeit geleistet. Exemplarisches ist geschehen. Weltgeschichte wird verstehbar.

Auf der Basis einer grundsätzlichen Profanität entstehen immer neue Formen von Säkularität. Weiß diese Profanität aber noch darum, dass das Fanum, das Heilige also, konstitutiv ist für das Selbstverständnis der pro-fanen Welt? Jahrhunderte um Jahrhunderte kommen und gehen, ein Säkulum löst das andere Säkulum ab.
Der Säkularismus ist die Weltanschauung der endlosen Zeitlichkeit. Auf und Ab, Zerstörung und Aufbau bestimmen den Rhythmus der Vergänglichkeit. Wie aber glückt Unterbrechung, die Ankunft der Ewigkeit in der Zeit? Wann erscheint das Heilige im Profanen? Wo wird das verborgene Heilige in der Profanität des Alltags offensichtlich? Welche Räume und Zeiten sind dafür nötig?

Es handelt sich um eine eigenartige Dialektik, dass gerade das frömmste Volk der damaligen Welt – dafür hielten sich die Römer – mit seinen Legionen den Tempel in Jerusalem, den Höfe für Nichtjuden und Juden umgaben, dem Erdboden gleichmachten. Was ist das für eine feindselige Konstellation zwischen Monotheisten mit ihrer Logik des Entweder-Oder und den religiösen Polytheisten, die auf ihre Weise eine Diktatur des Relativismus gegen die jüdischen Truppen organisierten, die am Absolutheitsanspruch ihrer Religion festhielten? Wer beantwortet die Frage nach der Wahrheit und der Macht so, dass Friede entsteht?

Eine pluralistische Gesellschaft hat nur dann Bestand, wenn in ihr Platz ist für Nächsten- und Feindesliebe, für Ehrfurcht vor Gott oder den Göttern, die als fremde Gottheiten nicht mit dem eigenen Gott identisch sind, aber auch nicht von vornherein nur als böse Götzen verdächtigt und gestürzt werden müssen. Denn Pluralität lebt von einer Einheit, in der das Nichtwiderspruchs-Prinzip gilt, das aber im praktischen Leben miteinander nicht absolut durchgesetzt werden muss.

Die Auseinandersetzung mit der Moderne impliziert den Gedanken, dass nur die jeweilige Gegenwart wirklich modern ist. Denn die Moderne und die Postmoderne sind rasch veraltet, Avantgarde zielt immer auf Präsenz. Da nun jede große monotheistische Religion sich als Sachwalterin der Gegenwart Gottes versteht, ist es selbstverständlich, dass sie mit jeder Moderne einerseits in ein Konkurrenzverhältnis tritt und andererseits sich jederzeit erhaben weiß, weil sie sich nicht nur um die Gegenwart, sondern um die Gegenwart des Ewigen organisiert. Der Gottesname im Judentum und die Schechina auf dem Zion oder die Präsenz Jesu Christi und das Wirken des Heiligen Geistes im Christentum oder die Transzendenz Allahs in der Leere der Kaaba verbürgen dem Gläubigen die Gegenwart Gottes auf wesentlichen Stationen seiner Pilgerschaft auf Erden.

In Geist und Wahrheit erweist sich als wirklich, was in der Realität einen architektonischen Ausdruck gefunden hat. Wie sehr die Zerstörung des Tempels in Jerusalem das religiöse Bewusstsein der gläubigen Juden geprägt hat, lässt ahnen, was eine gewaltsame Vernichtung heiliger Stätten bedeutet. Noch weiterreichende Konsequenzen hätte ein Angriff auf Mekka oder den Vatikan. Eine Wiedererrichtung mit allen Mitteln wäre das Ziel.

Mit der Symbolzahl Zweiundvierzig bzw. dreimal Vierzehn ist gesagt, dass nach einer langen Vorgeschichte nun ein Zustand eingetreten ist, der die Basis für eine neue, einmalige Geschichte ist. Am deutlichsten wird das anhand des Stammbaums Jesu, mit dem das Evangelium nach Matthäus beginnt. „Im ganzen sind es also von Abraham bis David vierzehn Generationen, von David bis zur babylonischen Gefangenschaft vierzehn Generationen und von der babylonischen Gefangenschaft bis Christus vierzehn Generationen“ (Mt 1,17). Die Zahl Zweiundvierzig markiert die Grenze, an der eine konkrete Alternative erscheint. Sie symbolisiert den reinen Advent, an dem Neues durchbricht. Durch das Eingreifen des Vaters im Himmel beginnt Christus auf Erden.

Welchen Trost vermittelten die Propheten angesichts der Tempelzerstörung? Ihre Visionen stärkten die Hoffnung. Jesaja verkündet: „Kurze Zeit haben sie dein heiliges Volk vertrieben, unsere Widersacher haben dein Heiligtum zertreten. Wir sind geworden wie solche, über die DU niemals herrschtest, wie Leute, über die dein Name nie genannt wurde“ (Jes 63,18-19).

Und der Psalmist klagt: „Gott, es sind Heiden in dein Erbe eingefallen; die haben deinen heiligen Tempel entweiht und aus Jerusalem einen Steinhaufen gemacht. Sie haben die Leichname deiner Knechte den Vögeln unter dem Himmel zu fressen gegeben und das Fleisch deiner Heiligen den Tieren im Lande. Sie haben ihr Blut vergossen um Jerusalem her wie Wasser, und da war niemand, der sie begrub“ (Ps 79,1-3). Doch unbeirrt hält der Beter an seinem Glauben fest, dass Gott sich um einen gerechten Ausgleich kümmern wird (vgl. Ps 79,12). Jerusalem hat Zukunft (vgl. Sach 12,3.6).

Der Prophet Hesekiel tut kund: Im vierzehnten Jahr nach der Einnahme Jerusalems durch die Babylonier (vgl. Ez 40,1), „eben an diesem Tag kam die Hand des HERRN über mich und führte mich dorthin, - in göttlichen Gesichten führte ER mich ins Land Israel und stellte mich auf einen sehr hohen Berg; darauf war etwas wie der Bau einer Stadt gegen Süden. Und als er mich dorthin gebracht hatte, siehe, da war ein Mann, der war anzuschauen wir Erz. Er hatte eine leinene Schnur und eine Meßrute in der Hand und stand unter dem Tor“ (Ez 40,1b-3).

Ausführlich wird nun geschildert, wie der Tempel und die Stadt wiedererrichtet werden und wie die Herrlichkeit Gottes einziehen wird (vgl. Ez 40,5-47,12). In der Offenbarung des Johannes kehrt die Bilderwelt der Visionen wieder (vgl. Offb 22,1-2; Ez 47,12). So erweist sich der ruinierte Gebetsplatz der Völker am Tempel von Jerusalem als vorläufige Verortung der Anbetung im neuen Jerusalem. „Einen Tempel sah ich nicht in ihr. Denn der Herr, ihr Gott, der Herrscher des Alls, ist ihr Tempel, und das Lamm“ (Offb 21,22).

Die Auferstehung Jesu ist der Schlüssel in einer unvordenklichen Zukunft. Im Blick auf den Tempel des irdischen Jerusalem hatte der Mann aus Nazareth prophezeit: „Reißt diesen Tempel nieder, in drei Tagen werde ich ihn wieder aufrichten… Er aber meinte den Tempel seines Leibes. Als er dann von den Toten erweckt war, erinnerten sich seine Jünger, dass er dies gesagt hatte, und sie glaubten der Schrift und dem Wort, das Jesus gesprochen hatte“ (Joh 2,19.21-22).

Für Christen existiert daher eine Mystik des Alltags, die um die Brüchigkeit und Vergänglichkeit wie um die Ewigkeit und Ergänzbarkeit des Lebens weiß. Auf meditative Weise wird daher Welt und Geschichte betrachtet, um an den Bruchstellen die Fenster zur Ewigkeit zu entdecken.


Sonntag der prophetischen Zeugen

Damit ein Zeugnis glaubwürdig und rechtsverbindlich wird, strebte man im Judentum danach, zwei Zeugen aufbieten zu können. Wenn es nun um eine Wahrheit geht, die erst in Zukunft eintreten wird, sind prophetische Zeugen nötig. In der Offenbarung des Johannes werden Geschehnisse bezeugt, die sich in geschichtlicher Einmaligkeit ereignet haben und adventlich wiederkehren (vgl. Offb 11,3-14). Es wird verkündet, was war und was ist und was sein wird. Die Johannesapokalypse ist Gottes Wort, der da war und da ist und da sein wird: im Menschenwort.

In der Bamberger Apokalypse werden die zwei prophetischen Zeugen mit Elija (2 Kön 2,11) und Henoch (1 Gen 5,24; Hebr 11,5) identifiziert. Nur von ihnen wird berichtet, dass sie am Ende ihres Lebens in den Himmel aufgefahren sind. Daher bietet es sich an, dass sie auf die Erde zurückkommen können, um Zeugnis zu geben.

Die beiden Zeugen in der Offenbarung des Johannes (vgl. Offb 11,3) lassen sich hingegen in der Perspektive der Apostelgeschichte als Stephanus (Apg 6,5-8,2; 22,20) und Jakobus (Apg 12,1-3) identifizieren. In Jerusalem wurden sie hingerichtet.

Stephanus ist der Erzmärtyrer, der erste Blutzeuge der jungen Christenheit. „Er aber, voll heiligen Geistes, blickte zum Himmel empor, sah die Herrlichkeit Gottes und Jesus zur Rechten Gottes stehen, und rief: Ich sehe den Himmel offen und den Menschensohn zur Rechten Gottes stehen!“ (Apg 7,55-56). Gesteinigt blieb Stephanus eine Zeitlang liegen. Doch dann: „Fromme Männer bestatteten Stephanus und hielten eine große Totenklage für ihn“ (Apg 8,2). Stephanus war, wie sein Name bereits andeutet, derjenige, der den Siegeskranz gewonnen hat. Wie der Geist des Elija wirkte sein Geist weiter: „Die Gläubigen, die zerstreut worden waren, zogen umher und verkündeten das Wort“ (Apg 8,4). Die Spur der Propheten und Märtyrer läuft durch die Geschichte.

„Bei der Verfolgung, die wegen Stephanus entstanden war, kamen die Versprengten bis nach Phönizien, Zypern und Antiochia; doch verkündeten sie das Wort nur den Juden. Einige aber von ihnen, die aus Zypern und Zyrene stammten, verkündeten, als sie nach Antiochia kamen, auch den Griechen das Evangelium von dem Herrn Jesus“ (Apg 11,19-20). Dort nannte man die Jünger zum ersten Mal Christen.

Kurz vor seinem Tod befahl Herodes Agrippa I (vgl. Apg 12,19b-23) in Jerusalem „einige aus der Gemeinde zu verhaften und zu foltern. Jakobus, den Bruder des Johannes, ließ er mit dem Schwert hinrichten“ (Apg 12,1-2). Jakobus war der erste Apostel aus dem Zwölferkreis Jesu, der das Martyrium erlitt. Er gehörte mit Petrus und Johannes zum engsten Kreis um Jesus (vgl. Mt 17,16; 26,37). Jakobus ist nach dem Erzvater Jakob benannt, von dem die zwölf Stämme Israels abstammten.

In der Zeit der Hinrichtung des Jakobus leitete sein Namensvetter, der Herrenbruder Jakobus, die Gemeinde Gottes in Jerusalem, die sich zu Jesus von Nazareth als ihrem Messias bekannte (vgl. Apg 15,13-21; 21,18-26; Gal 2,9). Die Thora wird für Israel und die Völker angesichts des Lebens, Sterbens und Auferstehens Jesu Christi ausgelegt. Wie Mose an die Grenze des verheißenen Landes führte, so leitet Jakobus die Gemeinde in Jerusalem bis an die Grenzen der Welt, in der sich Menschen zu Christus bekehren. Von Jerusalem nach Rom, dem Zentrum der damaligen Welt, wird sich das Evangelium ausbreiten.

Um beide Zeugen Jesu Christi von ihrem Wesen her zu verstehen, werden sie in einer langen biblischen Tradition positioniert. Der Prophet Sacharja hilft, sie zu identifizieren. Im Gespräch mit einem Engel fragt er ihn über die Deutung seiner Vision: „Und ich hob an und sprach zu ihm: Was sind die zwei Ölbäume zur Rechten und zur Linken des Leuchters? Und ich sprach weiter zu ihm: Was sind die beiden Zweige der Ölbäume bei den zwei goldenen Röhren, aus denen das goldene Öl herabfließt? Und er sprach zu mir: Weißt du nicht, was sie sind? Ich aber, sprach: Nein, mein Herr. Und er sprach: Es sind die zwei Gesalbten, die vor dem Herrscher aller Lande stehen“ (Sach 4,11-14; vgl. Sach 4,1-5).

Da das Öl die Chiffre für den Messias bzw. Christus ist, handelt es sich wohl um zwei Christen im ursprünglichen Sinn des Wortes. In der Auseinandersetzung mit ihren Gegnern kommen ihnen Gaben zu wie einst dem Elija und dem Mose. Ausgestattet sind sie wie Gottesmänner.

Gott, der über den Cherubim thront, ist mit ihnen (vgl. 2 Sam 22,8-11), sein Wort wirkt durch sie wie verzehrendes Feuer (vgl. Jer 5,14), Feuer, das vom Himmel fällt, steht ihnen zur Verfügung (vgl. 2 Kön 1,10). Doch nicht gewalttätig soll damit umgegangen werden, lautete die Weisung Jesu, als er mit seinen Jüngern unterwegs nach Jerusalem war und die Einwohner eines samaritanischen Dorfes sie nicht aufnehmen wollten: „Als das die Jünger Jakobus und Johannes hörten, sagten sie: Herr, sollen wir befehlen, daß vom Himmel Feuer fällt und sie vernichtet?“ (Lk 9,54).

Die Verschließung des Himmels, so dass kein Regen mehr fällt (vgl. 1 Kön 17,1), die Verwandlung des Wassers in Blut (vgl. Ex 7,17), die Wunderzeichen der Plagen (vgl. Ex 11,10), der Einsatz der kultischen Nähe Gottes (vgl. 1 Sam 4,8), all dies bewirkte keine Umkehr der Feinde der zwei Gottesmänner. Ihr Zeugnis endete im Martyrium (vgl. Offb 11,7). Alle charismatischen und spirituellen Zeichenhandlungen nützten nichts.

Die Abgründigkeit einer bestialischen Welt setzte sich durch (vgl. Dan 7,3.7.21). Sie ist eine Chiffre für die imperialistische Staatmacht Roms und seiner Verbündeten im ersten Jahr¬hundert n. Chr. Hat Sodom und Gomorra über Jerusalem gesiegt? „Hätte uns der Herr Zebaoth nicht einen geringen Rest übriggelassen, so wären wir wie Sodom und Gomorra“ (Jes 1,9).

Nach dreieinhalb Tagen, der Hälfte von sieben Tagen der ersten Schöpfung liegen beide Zeugen ermordet da. Ihr persönliches Schicksal ist damit besiegelt, aber ihr Leben ist nicht beendet. Denn Gottes Schöpferkraft wirkt in ihnen weiter: „Siehe, ICH will Odem in euch bringen, dass ihr wieder lebendig werdet“ (Ez 37,5; vgl. 37,10).

Die Himmelfahrt des Elija liefert den Stoff, um die Zukunft der beiden Zeugen bei Gott zu rühmen. Der Prophetenschüler Elisa begleitete einst Elija in seiner letzten Stunde: „Und als sie miteinander gingen und redeten, siehe, da kam ein feuriger Wagen mit feurigen Rossen, die schieden die beiden voneinander. Und Elia fuhr im Wetter gen Himmel“ (2 Kön 2,11).

Für die beiden Zeugen begann mitten in der ersten Schöpfung der Übergang in Gottes Herrlichkeit. Ihr Martyrium ist ein adventliches Zeugnis für die kommende Welt, ein Trost in schrecklichen Zeiten. Denn das endzeitliche Beben hatte Jerusalem erreicht (vgl. Offb 11,13; Ez 38,19).

Wer übrig bleibt, betet mit den Worten des Propheten Daniel: „Gelobt sei der Name Gottes von Ewigkeit zu Ewigkeit, denn ihm gehören Weisheit und Stärke! ER ändert Zeit und Stunde, ER setzt Könige ab und setzt Könige ein; ER gibt den Weisen ihre Weisheit und den Verständigen ihren Verstand, ER offenbart, was tief und verborgen ist; ER weiß, was in der Finsternis liegt, denn bei IHM ist lauter Licht“ (Dan 2,20-22).


Sonntag der siebten Posaune

Zum letzen Mal ist in der Heiligen Schrift der Christen hier von einer Posaune die Rede (vgl. Offb 11,15-19). Der siebte Engel lässt sie ertönen. Damit wird angezeigt, dass die Endzeit des Schwertes auf Erden angebrochen ist. Das Wächteramt tut seine Pflicht wie es der Prophet Hesekiel für Israel angekündigt hatte: „Wer nun den Hall der Posaune hört und will sich nicht warnen lassen, und das Schwert kommt und nimmt ihn weg, dessen Blut wird auf seinen Kopf kommen. Denn er hat den Hall der Posaune gehört und sich dennoch nicht warnen lassen; darum wird sein Blut auf ihn kommen. Wer sich aber warnen lässt, der wird sein Leben davonbringen“ (Ez 33,4-5).

Die himmlische Sabbatliturgie wird gefeiert: Wie im Himmel so auf Erden. Es wird Zeit für das Erscheinen des Christus auf Erden. Wer ist der Gesalbte des Herrn? Wer ist der HERR? (vgl. Offb 11,15). In sabbatlicher Ruhe wird betrachtet, was in der Welt los ist: „Warum toben die Heiden und murren die Völker so vergeblich? Die Könige der Erde lehnen sich auf, und die Herren halten Rat miteinander wider den HERRN und seinen Gesalbten“ (Ps 2,1-2). Doch nach den Maßstäben Gottes wird eine heilsame Ordnung entstehen. „Die Elenden sollen essen, dass sie satt werden; und die nach dem HERRN fragen, werden ihn preisen; euer Herz soll ewiglich leben. Es werden gedenken und sich zum HERRN bekehren aller Welt Enden und vor ihm anbeten alle Geschlechter der Heiden. Denn des HERRN ist das Reich, und er herrscht unter den Heiden. Ihn allein werden anbeten alle, die in der Erde schlafen; vor ihm werden die Knie beugen alle, die zum Staube hinabfuhren und ihr Leben nicht konnten erhalten. Er wird Nachkommen haben, die ihm dienen; vom HERRN wird man verkündigen Kind und Kindeskind. Sie werden kommen und seine Gerechtigkeit predigen dem Volk, das geboren wird“ (Ps 22,27-32).

Die Weltreiche der Könige vergehen, das Königreich Gottes hat Bestand. „Zur Zeit dieser Könige wird der Gott des Himmels ein Reich aufrichten, das nimmermehr zerstört wird; und sein Reich wird auf kein anderes Volk kommen. Er wird alle diese Königreiche zermalmen und zerstören; aber er selbst wir ewig bleiben“ (Dan 2,4; vgl. 7,14). Die ewige, heilige Ordnung wird wiederhergestellt. „Und der HERR wird König sein über alle Lande. Zu der Zeit wird der HERR der einzige sein und sein Name der einzige“ (Sach 14,9).

Der Sabbat ist eine Zeit des Innehaltens vor Gott. Im Gebet wird bekannt, wie die Schöpfung eigentlich gebaut ist, bevor ihr Absturz begann. Die Zukunft der Schöpfung in der Welt ist der siebte Tag, der Tag der Stille und der Ruhe, des Gedenkens und Betens.

Das Gebet der vierundzwanzig Älteren fasst den Weg all derer zusammen, die den Weg durch die Welt bis zur Einweihung in das Mysterium Gottes mitgehen (vgl. Offb 11,17).

Es ist Zeit geworden, dass es recht wird mit den Verstorbenen, dass jeder erhält, was ihm zukommt, dass die Machenschaften derer aufhören, die der Erde schaden (vgl. Offb 11,18). Der Segen Gottes erreicht die Großen und die Kleinen, die Heiligen und die Propheten, alle, die Gott verehren und seinen Namen nennen (vgl Ez 9,14; Am 3,7; Dan 9,6.10; Ps 115,13). Vom Heiligtum Gottes aus strömt das Heil in die Welt.

Anlässlich des bevorstehenden Tempelweihfestes (125/124 v. Chr.) unterrichteten die Juden von Jerusalem und Judäa die Juden in Ägypten von einer lange verschollenen testamentarischen Schrift des Propheten Jeremia. In der Schrift stand, „der Prophet habe auf göttlichen Befehl hin geboten, die Stiftshütte und die Bundeslade sollten mit ihm kommen, als er auszog an dem Berg, auf den Mose gestiegen war und von dem aus er das Erbland des Herrn gesehen hatte. Als Jeremia dorthin kam, fand er eine Höhle; darin versteckte er die Stiftshütte und die Lade und den Räucheraltar und verschloss den Eingang. Aber einige Männer, die ihm nachgegangen waren, traten hinzu und wollten sich an dem Zugang ein Zeichen machen; sie konnten ihn aber nicht finden. Als das Jeremia erfuhr, tadelte er sie und sagte: „Diese Hütte soll kein Mensch kennen, bis Gott sein Volk wieder zusammenbringen und ihm gnädig sein wird. Dann wird der Herr dies alles wieder ans Licht bringen; und dann wird die Herrlichkeit des Herrn und die Wolke erscheinen, wie sie sich zu Moses Zeiten gezeigt hat und damals, als Salomo bat, daß die Stätte über die Maßen geheiligt würde“ (2 Makk 2,4-8).

König Salomo, der Sohn Davids, hatte den ersten Tempel Israels gebaut, damit die Bundeslade mit den zwei steinernen Tafeln des Mose einen würdigen Platz auf dem Gipfelplateau des Zionberges hätte. „Da versammelte der König Salomo zu sich die Ältesten in Israel, alle Häupter der Stämme und Obersten der Sippen in Israel nach Jerusalem, um die Lade des Bundes des HERRN heraufzubringen aus der Stadt Davids, das ist Zion. ... So brachten die Priester die Lade des Bundes des HERRN an ihren Platz in den Chorraum des Hauses, in das Allerheiligste, unter die Flügel der Cherubim“ (1 Kön 8,1.6).

Die Flügelspitzen der Cherubim bilden den Thron für Gottes Anwesenheit. Hier ruht die Schechina, Gottes Gegenwart. Seine Unsichtbarkeit wird durch Wolken von Weihrauch sichtbar gemacht, sein Wirken durch kultischen Donner, durch Beben und Posaunen. Auffällige Effekte der Natur, wie Hagel und Blitze, symbolisieren die Energien unsichtbarer Mächte und Gewalten (vgl. Ex 9,24; 19,16).

Wie wird Gott in der Zeitenwende handeln? Wo zeitigt er seine Gegenwart? Wer wird sein Tabernakel? In seiner Vision sieht Johannes, wie die Lade des Bundes sichtbar wird (vgl. Offb 11,12). Wird Gott das Geheimnis seiner Gegenwart im Mysterium der Weihnacht enthüllen? Denn seine Liebe tut alles, um den Menschen seine Gnade und Barmherzigkeit zu zeigen. Er ist anders als die Welt des bösen Drachens.


DIE KOSMISCHE WEIHNACHT IN DER ÄGÄIS

„Und sie gebar ein Kind. ...“ (Offb 12,5).
Weihnachten

Im Spiegel des Geistes wird offenbar, welcher Frau das göttliche Kind anvertraut wird. Die verfolgte Mutter auf Erden und die Königin des Himmels sind ein und dieselbe Person (vgl. Offb 12,1-6). Der Apostel Paulus ist davon überzeugt, dass ein erstes Weihnachten schon stattgefunden hat. Er schreibt: „Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau, hörend auf die Thora“ (Gal 4,4).

Die orthodoxe und die katholische Mariologie geht von der Identifizierung der apokalyp¬tischen Frau mit der Mutter Jesu Christi aus. In Folge davon ist eine triumphale Marienfrömmigkeit entstanden, in der für die marginale Existenz vieler Mütter insoweit Raum ist, dass Maria als die schmerzensreiche Mutter, doch von unvergleichlicher Würde ist.

Der einfachste Zugang zu der altorientalischen Kult- und Symbolwelt wird durch das jüdische Verständnis der hebräischen Buchstaben und den damit verbundenen Zahlenwerten eröffnet. Für die Zahl sechzig steht der hebräische Buchstabe Samech. Das Zeichen wurde aus einer stilisierten Wasserschlange entwickelt. Und Wasserschlange hießt auf Griechisch drakon, deutsch Drache. Diese Bedeutungszusammenhänge geben dem Zahlenwert zwölfhundert¬undsechzig einen besonderen Sinn. Da man mit der Zwölf immer die Form einer ganzen Zeit bezeichnet, wird deutlich, dass besagte Zeit hundertfach unter dem Vorzeichen des Drachen steht.

Der entsprechende Langtext dazu in der Johannesoffenbarung löst genau diese Vorstellung ein. Es handelt sich um die eschatologische Zeit, in der zwei prophetische Zeugen in Jerusalem auftreten (vgl. Offb 11,3) und die Zeit der Mutter, die das eschatologische Kind geboren hat, und in der Einsamkeit lebt (vgl. Offb 12,6). Die Mutter Christi und die beiden Märtyrer Christi leben in der Zeit der zwölfhundertsechzig Tage.

Wie bei umfallenden Dominosteinen ergibt sich eine Sequenz von der armenisch-iranischen Göttin Anahit mit ihren Vishap, den Drachensteinen an ihren Quellen, über die Ischtar, deren babylonisches Prozessionstor mit Drachen und Löwen geschmückt ist, bis zu der nordischen Liebesgöttin Frigga, deren Tag der Freitag, also der sechste Tag ist.

Die Teufelsschlange aus dem Paradies (vgl. Gen 3,1) treibt noch Paulus um, wenn er an die Korinther schreibt: „Ich fürchte aber, wie die Schlange durch ihre Falschheit Eva täuschte, könntet auch ihr in euren Gedanken von der aufrichtigen Hingabe an Christus abkommen“ (2 Kor 11,3). Sprach doch einst Gott: „Und ICH will Feindschaft setzen zwischen deinen Nachkommen und ihren Nachkommen; der soll dir den Kopf zertreten, und du wirst ihn in die Ferse stechen“ (Gen 3,15).

Kosmologisch ist die sumerisch-babylonische Göttin Inanna-Ischtar mit der römischen Venus identisch, der Stammmutter des julisch-claudischen Kaiserhauses. Wie ist der Drache zum Symbol einer frauenfeindlichen Welt geworden, obwohl der Morgen- bzw. Abendstern das Orientierungsgestirn des Weiblichen ist?

Kann es sein, dass die Herrschaft der Venus im Himmel und auf Erden nicht das letzte Ziel des Menschen sein kann, auch nicht in Kombination mit Mars oder Jupiter, mit Kewan und Marduk? Jede Absolutsetzung von Konstellationen am Himmel oder auf der Erde führt unweigerlich zum Konflikt mit dem Glauben, dass der Mensch nur in Gottes Ewigkeit sein absolutes Ziel erreichen kann. Christen orientieren sich daher an dem Christus, der den Morgenstern schenkt und nicht an der Göttin des Morgensterns mit ihrer Drachenwelt (vgl. Offb 2,28).

Mitten in dem Drama, das im Himmel und auf Erden stattfindet, stiftet Gott einen heiligen Anfang (vgl. Offb 12,5). Das Kind ist der Messias, der Sohn Gottes.

Der Mund des Psalmisten bezeugt, was Gott sagt: „ICH aber habe meinen König eingesetzt auf meinem heiligen Berg Zion“ (Ps 2,6). Der Messiaskönig offenbart, wer Gott ist und was Gott tun wird: „Kundtun will ich den Ratschluss des HERRN. Er hat zu mir gesagt: »Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt. Bitte mich, so will ich dir Völker zum Erbe geben und der Welt Enden zum Eigentum. Du sollst sie mit einem eisernen Zepter zerschlagen, wie Töpfe sollst du sie zerschmeißen«“ (Ps 2,7-9; vgl. Offb 2,27; 12,5; 19,15). Das Bild vom eisernen Zepter und den zerschlagenen Töpfen stammt aus dem ägyptischen Ritual des Kultlaufs des Pharao, durch das seine Herrschaft legitimiert wurde.

Im Kontext der tödlichen Bedrohung durch die grausame Welt des Drachens wird die Klage des Propheten verstehbar, der am liebsten gar nicht geboren worden wäre. Jeremia schreit: „Warum bin ich doch aus dem Mutterleib hervorgekommen, wenn ich nur Jammer und Herzeleid sehen muss und meine Tage in Schmach zubringe“ (Jer 20.18)!

Himmel und Erde sind von der Polarität zwischen der schwangeren himmlischen Frau und dem siebenköpfigen Feuerdrachen bestimmt. Die Propheten stehen Pate, um die Welt des Drachens und der Frau zu deuten: „Ehe sie Wehen bekommt, hat sie geboren; ehe sie in Kindsnöte kommt, ist sie eines Knaben genesen. Wer hat solches je gehört? Wer hat solches je gesehen? Ward ein Land an einem Tag geboren? Ist ein Volk auf einmal zur Welt gekommen? Kaum in Wehen, hat Zion schon ihre Kinder geboren. Sollte ICH das Kind den Mutterschoß durchbrechen und nicht auch geboren werden lassen? spricht der HERR. Sollte ich, der gebären lässt, den Schoß verschließen? spricht dein Gott. Freuet euch mit Jerusalem und seid fröhlich über die Stadt, alle, die ihr sie liebhabt! Freuet euch mit ihr, alle, die ihr über sie traurig gewesen seid“ (Jes 66,7-10).

Der Prophet Micha ist ein Garant endzeitlicher Perspektive. „Leide doch solche Wehen und stöhne, du Tochter Zion, wie eine in Kindsnöten; denn du musst zwar zur Stadt hinaus und auf dem Felde wohnen und nach Babel kommen. Aber von dort wirst du wieder errettet werden, dort wird dich der HERR erlösen von deinen Feinden“ (Mich 4,10).

Micha ist der Prophet, von dem die Verheißung stammt: „Und du Bethlehem Efrata, die du klein bist unter den Städten in Juda, aus dir soll mir kommen, der in Israel Herr sei, dessen Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her gewesen ist“ (Mich 5,1).

Der Drache ist bei Johannes der Inbegriff der schrecklichen babylonischen Welt bzw. der römischen Gewaltherrschaft. Beim Propheten Daniel, dessen Bilderwelt sich bei Johannes wiederfindet, ist ausführlich vom Drachen die Rede, dessen Schrecklichkeit in der vierten Bestie zum Vorschein kommt. Daniel hat Visionen: „Danach sah ich in diesem Gesicht in der Nacht, und siehe, ein viertes Tier war furchtbar und schrecklich und sehr stark und hatte große eiserne Zähne, fraß um sich und zermalmte, und was übrigblieb, zertrat es mit seinen Füßen. Es war auch ganz anders als die vorigen Tiere und hatte zehn Hörner“ (Dan 7,7; vgl. Dan 7,19.24). Im Schweif des Drachens wirkt das tödliche Horn. „Und es wuchs bis an das Heer des Himmels und warf einige von dem Heer und von den Sternen zur Erde und zertrat sie“ (Dan 8,10).

Die spirituelle Auseinandersetzung zwischen Michael und dem Drachen nimmt seinen Lauf.

Sonntag der spirituellen Unterscheidung


Das Geheimnis der Weihnacht ermöglicht einen neuen Zugang zur Unterscheidung der Geister. Denn eine inkarnatorische Spiritualität ist sowohl gegen die Versuchungen der Gnosis als auch des Materialismus gefeit. Nicht nur die Unterscheidung der himmlischen von der irdischen Realität ist ihr Thema, sondern auch deren Verhältnis zueinander. Zunächst geht es um die spirituelle Unterscheidung und Auseinandersetzung zwischen St. Michael mit seinen guten geistigen Mächten im Gefolge und den satanischen Gegenkräften (Offb 12,7-12).

Während der geistlichen Übungen im Weihnachtsfestkreis sollte die Andacht zu St. Michael praktiziert werden. Denn er ist der Engelfürst, der für das Volk Gottes endzeitlich eintritt (vgl. Dan 12,1). Nicht jeder große geistige Kampf geht den Menschen auf Erden etwas an (vgl. Dan 10,13.20). Auch wenn man davon betroffen ist, ergibt sich daraus nicht, dass man aktiv eingreifen sollte. Mancher Kampf, den man kämpfen möchte, ist einfach zu unterlassen. Denn Selbstüberschätzung kann nicht nur auf militärischem, sondern auch auf geistlichem Gebiet tödlich sein.

Eines ist deutlich: In der himmlischen Welt ist der Kampf entschieden. Der Himmel ist frei zu allen bösen Mächten und Gewalten. Um es mit den Worten Jesu im Lukasevangelium zu sagen: „Ich sah den Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen“ (Lk 10, 18).

Was bei dem Propheten Daniel in Gestalt einer Verheißung formuliert wurde, ist jetzt unumkehrbar realisiert: „Jetzt ist gekommen die Rettung und die Macht und die Herrschaft unseres Gottes und die Vollmacht seines Gesalbten“ (Offb 12,10).

Das Land und das Meer aber ist noch der Kampfplatz zwischen den Gewalten des Teufels und den Mächten der Engel (vgl. Offb 12,12). Vom Engel, dessen Füße wie Feuersäulen sind, heißt es: „Er setzte seinen rechten Fuß auf das Meer, den linken auf das Land“ (Offb 10,2). Dieser Engel überbrückte in der Schöpfung des sechsten Tages den irdischen mit dem himmlischen Bereich.

Im Himmel herrscht nach der kosmischen Weihnacht großer Jubel darüber, dass das Verklagen derer, die gerechtfertigt sind, nun ein für alle mal ein Ende hat (vgl. Offb 12,10b; Jes 44,23). Denn es gibt keinen Grund mehr, der dazu berechtigen würde. Das Blut des Lammes ist das wirkmächtige Zeichen des endgültigen Versöhntseins.

Dennoch gehen die Machenschaften des Bösen in der Welt weiter. Denn die Existenz des Widersachers ist nicht schlechthin abgeschafft (vgl. Gen 3,1.14-15; Sach 3,1; Hiob 1,6; 2 Kor 6,15; 12,7-8). An der Verfolgung der himmlischen Frau und ihren Nachkommen wird dies offensichtlich.


Sonntag der irdischen Unterscheidung

In der Wüste kann man so einsam werden, dass sogar die Zweisamkeit mit dem Versucher ausgeräumt ist. Als Ort der Offenbarung, der Nähe Gottes, tobt um sie herum die böse Welt (vgl. Offb 12,13-18). Einerseits existiert die himmlische Frau, die das Kind geboren hat, und die Erde, die ihr zu Hilfe kommt, andererseits die wasserspeiende Drachenschlange, in der die naturale Selbstvergötzung figuriert.

Die Zeit der geschaffenen Endlichkeit, die aus sechs Schöpfungstagen und dem Sabbattag besteht, lässt sich hälftig teilen, um die Polarität der Schöpfung zum Ausdruck zu bringen, die im Laufe der Evolutionsgeschichte entstanden ist. Während des einen Zeitraums ist die Frau in der Wüste geschützt (vgl. Offb 12,14), während des anderen Zeitraums ist der Gewaltherrscher an der Macht, von dem es beim Propheten Daniel heißt: „Er wird den Höchsten lästern und die Heiligen des Höchsten vernichten und wird sich unterstehen, Festzeiten und Gesetz zu ändern. Sie werden in seine Hand gegeben werden eine Zeit und zwei Zeiten und eine halbe Zeit.

Danach wird das Gericht gehalten werden; dann wird ihm seine Macht genommen und ganz und gar vernichtet werden. Aber das Reich und die Macht und die Gewalt über die Königreiche unter dem ganzen Himmel wird dem Volk der Heiligen des Höchsten gegeben werden, dessen Reich ewig ist, und alle Mächte werden ihm dienen und gehorchen“ (Dan 7,25-27).

Wenn die Zerstreuung des Volkes Gottes zu Ende kommt und der Engel der Sammlung mit der Heimholung beginnt, dann ist erreicht, wovon der Prophet Daniel spricht, nämlich „daß es eine Zeit und zwei Zeiten und eine halbe Zeit währen soll“ (Dan 12,7). In der Mitte des Mittwochs, dem Tag des Erzengels Gabriel, ist genau die eine Zeit und die zwei Zeiten und die halbe Zeit der sieben Tage der ersten Schöpfung erreicht. Der schöpferischen Evolution aus dem Ursprung entspricht die spirituelle Revolution, die Rückkehr zum Ursprung.

Die Unterscheidung der Geister auf Erden bewegt sich daher genau an der Grenzlinie zwischen einem evolutiv-kreationalen Bewusstsein, das sich seiner Herkunft vergewissert und einer aktiven Umkehr zu Gott als dem zukünftigen Ziel allen Fortschritts. Jene, die an der Perspektive der Zukunft in Gottes Ewigkeit festhalten, werden in vielfacher Weise von denen bedroht und bekämpft, die sich der Welt des Drachens verschrieben haben.

Wofür stehen Christen ein, die sich zu Jesus von Nazareth bekennen? Welches Charisma kommt ihnen zu? „Das Zeugnis Jesu ist der Geist der Prophetie“ (Offb 19,10b).


Sonntag der politischen Unterscheidung

Bei dem Prozess der Unterscheidung der Geister geht es nicht nur um die spirituellen, sondern auch um die politischen, religiösen und ökonomischen Verhältnisse. Anders ist eine inkarnatorische Spiritualität nicht realisierbar. Was das konkret heißt, muss im einzelnen immer wieder neu bestimmt werden. Einerseits sind davon jene betroffen, die im Lebensbuch des Lammes eingetragen sind, das geschlachtet wurde (vgl. Dan 12,1b; Ps 69,29; Jes 53,7) und andererseits alle, die zur Partei derer gehören, die sich der Diktatur des Drachens unterwerfen.

Was sich prinzipiell leicht unterscheiden lässt, ist in der Praxis eine höchst differenzierte Angelegenheit. Wie leicht verfällt man einem Schwarz-Weiß-Denken, dem keine existentielle Realität entspricht. Daher sind alle Bemühungen, die großen spirituellen Visionen der Propheten eins zu eins in den historisch-politischen Alltag zu übersetzen, zum Scheitern verurteilt. Es bleibt immer ein geistig-geistlicher Mehrwert übrig, der die Faktizität des Geschichtlichen übersteigt.

Der Prophet Daniel ist der literarische Gewährsmann für die Schau des Johannes auf Patmos. Der Verfasser der Offenbarung sieht ein tierisches Monster (Offb 13,1-10). Es steht für die politische Gewalt, von der Vernichtung ausgeht.

Wenn man Daniel als eine historische Persönlichkeit akzeptiert, die das Reich der Babylonier und das Reich der Meder und Perser aus eigener Anschauung kannte, dann muss man konsequenterweise auch davon ausgehen, dass er das griechisch-hellenistische Expansions¬bedürfnis und die Dynamik des römischen Imperiums, das sich zu seiner Zeit im Mittelmeer immer mehr ausgebreitet hatte, durchschaute.

Geschichtlich gesehen überlagerten sich babylonische, persische, hellenistische und römische Imperien. Ihre Zusammenschau ergibt eine endzeitliche Metapher für all jene Gewalt, die Menschen von Staats wegen erlitten haben. Summa summarum zeigt sie sich in einem heraldischen Gebilde. Hinter diesem Fabelwesen – ein Löwewesen mit aufgerichteten Pranken, eine fleischfressende Bärengestalt, ein vierköpfiges Panthertier, eine zehnhörnige, menschenäugige Bestie (vgl. Dan 7,1-28) – steckt, was viele grausame Erfahrungen verursacht hat.

In diesen Kontext gehört auch die Vision Daniels vom Widder und vom Ziegenbock. „Der Widder mit den beiden Hörnern, den du gesehen hast, bedeutet die Könige von Medien und von Persien. Der Ziegenbock aber ist der König von Griechenland. Das große Horn zwischen seinen Augen ist der erste König. Daß aber vier an seiner Stelle wuchsen, nachdem es zerbrochen war, bedeutet, daß vier Königreiche aus seinem Volk entstehen werden, aber nicht so mächtig wie er“ (Dan 8,20-22). Die vier Diadochen, die nach Alexander an die Macht kamen, stammten aus dem Raum der Ägäis, der Welt des Ziegenbockfells also.

Auch wenn die Fülle der Zeit sich weihnachtlich schon ereignet hat, existieren bis heute viele Zeitvorstellungen, die man unterscheiden kann, um besser zu verstehen, was in der vergänglichen Welt der Fall ist. In seltener Eintracht dominieren Terminus und der doppelköpfige Janus. Und Kairos versucht Chronos zu entkommen.

Mythen erzählen vom Schicksal, das mit solchen Zeitvorstellungen verbunden ist, die manchen Alltag prägen. Es lohnt sich, darüber nachzusinnen, wie der Druck durch den Terminkalender zustande kommt, der die Zeit in immer kleinere Zeiteinheiten zerteilt. Welche Knechtschaft entsteht dadurch!

Was geschieht eigentlich auf der Zeitachse, bei der Vergangenheit und Zukunft nahtlos miteinander verknüpft sind? Es gibt keine Gegenwart, keiner hat Zeit. Das Lebensgefühl pulsiert zwischen rastloser Hektik und tödlicher Langeweile. Das Idol des Janus, nach dem der Monat Januar benannt ist, triumphiert.

Chronos frisst seine Kinder. An die alles verschlingende Zeit erinnert das perfekte Chronometer. Mit der Zeit verschwindet auch das Geschlecht der Olympischen Götter, mag Zeus auch durch die List seiner Mutter für lange Zeiträume vorerst seinem Vater Kronos bzw. Chronos entkommen sein. Begrenzt, wenn auch unterschiedlich lang, dauert die Herrschaft der Götter und der Halbgötter, die der Menschen sowieso.

Wer versucht nicht eine günstige Gelegenheit beim Schopf zu packen? In Skulpturen wird dargestellt, wie der Kairos aussieht. Von der Stirn hängt ein Zopf herab – wer zu spät zugreift, rutscht am glatten Hinterkopf ab. Vielleicht hat man Glück und es ergeben sich neue gute Gelegenheiten. Doch der Tragik des Daseins entkommt keiner. Denn der letzte Augenblick hat nichts, woran man sich festhalten könnte.

Die Reflexion auf verschiedene Formen von Zeitlichkeit könnte ein Anlass sein, sich zu fragen, was sich aufgrund einer inkarnatorischen Spiritualität nahe legt. Mit der Formel „Wer Ohren hat, der höre“ (Offb 13,9) werden Verheißungen Gottes eingeleitet, die in Zukunft eintreten werden (vgl. Offb 2,7.11.19; 3,6.13.22). Dies betrifft die Zukunft sowohl in der Perspektive der Ewigkeit als auch in der Perspektive der Endlichkeit. Es gibt eine Logik des Friedens und die Gesetzmäßigkeiten des Krieges. „Wen der Tod trifft, den treffe er; wen das Schwert trifft, den treffe es; wen der Hunger trifft, den treffe er; wen die Gefangenschaft trifft, den treffe sie“ (Jer 15,2b; vgl. Jer 43,8-13).

Nur die Heiligen können die Logik des Krieges unterbrechen (Offb 13,9b). Gemeint sind jene Menschen, die nach bestem Wissen und Gewissen handeln. Welcher politische Einsatz ist sinnvoll? Wann lohnt sich ein Engagement nicht? Alles, was den Terror und die Gewalt politisch fördert, sollte unterbleiben. Wo ist der eigene Ort in Politik und Gesellschaft? Welche Sendung steht an? Was ist zu tun, was ist zu lassen? Solche Fragen haben durchaus etwas mit dem Gebetsleben eines Christenmenschen zu tun. Denn es geht um konkrete Antworten, die das eigene Leben im Sinne Gottes verändern können.


Sonntag der religiösen Unterscheidung

Das erste Tier, das in der Zeitlichkeit aufgetaucht war, hatte sich Hörner und sieben Köpfe, ein Inbegriff politischer Gewaltherrschaft (vgl. Offb 13,1). Von ihm leitete das zweite Tier mit zwei Hörnern (vgl. Deu 8,20) seinen Machtanspruch ab. Es redete wie der Drache (Offb 13,11).

Zu Wasser und zu Land herrscht eine religiöse Staatsideologie, durch die Menschen gezwungen werden, die Macht des Tieres anzubeten (vgl. Offb 13,11-15). Sein Bildnis soll der Gegenstand göttlicher Verehrung sein. Auf alle mögliche Weise wird versucht, die Vitalität dieses Herrschaftsprinzips zu demonstrieren.

Auf ähnliche Weise hatte der babylonische König Nebukadnezar eine reichsverbindende Religion verordnet. Sein Herold hatte angekündigt: „Es wird auch befohlen, ihr Völker und Leute aus so vielen verschiedenen Sprachen: Wenn ihr hören werdet den Schall der Posaunen, Trompeten, Harfen, Zithern, Flöten, Lauten und aller anderen Instrumente, dann sollt ihr niederfallen und das goldene Bildnis anbeten, das der König Nebukadnezar hat aufrichten lassen. Wer aber dann nicht niederfällt und anbetet, der soll sofort in den glühenden Ofen geworfen werden. Als sie nun hörten den Schall der Posaunen, Trompeten, Harfen, Zithern, Flöten und aller andern Instrumente, fielen nieder alle Völker und Leute aus so vielen verschiedenen Sprachen und beteten an das goldene Bildnis, das der König Nebukadnezar hatte aufrichten lassen“ (Dan 3,4-7).

Widerstand leisteten nur die Juden, die an ihrem monotheistischen Glauben festhielten. Nach ihrer Errettung soll Nebukadnezar bekannt haben: „Denn es gibt keinen andern Gott als den, der so erretten kann“ (Dan 3,30).

Handelte es sich bei dem goldenen Bildnis, das Nebukadnezar hatte errichten lassen, vielleicht um das Drachensymbol einer Wasserschlange? Hatte es mit dem amphibischen Fischmenschen Joannes zu tun, von dem der babylonische Gelehrte Berossos berichtet? Der Kult der Göttin Anahit, deren Symbol die Drachenstele ist, war bis in persische Zeit weit verbreitet. Dazu gibt es zahlreiche archäologische Funde. Aber mit Sicherheit lässt sich das goldene Bildnis bis jetzt nicht rekonstruieren.

Für die Anbetung des Tieres ist im ersten nachchristlichen Jahrhundert die Verehrung der ägyptischen Götter durch die römischen Pharaonen exemplarisch. An den Tempelwänden sieht man viele tiergesichtige Götter. Besonders eindrucksvoll ist der Falkengott Horus. Im Schatten seiner Flügel wussten sie sich geborgen.

Solchen Göttern brachte der römische Kaiser Domitian als Pharao das Weihrauchopfer dar. Und er spendete Trankopfer. Auch andere Kaiser erwiesen den tiergesichtigen Göttern höchste Reverenz. Damit wird der zeitgeschichtliche religiöse Hintergrund verstehbar, vor dem Johannes die Offenbarung Jesu Christi vernimmt.

Das Thema der Verabsolutierung animalischer Grundkräfte prägte jahrhundertelang die Symbolwelt. Unter dem Banner überindividueller Tiersymbole starben Tausende in den Kriegen.

Welche Symbole bestimmen heute das religiöse Bewusstsein? Weder Verabsolutierung noch Vergötzung, noch Instrumentalisierung oder Verachtung, sondern nur eine angemessene Wertschätzung des Animalischen ist menschengemäß. Zweifellos gibt es die Gefahr der Zerstörung tierischer Lebensräume oder die Übernahme bestialischen Verhaltens in die Lebenswelt der Menschen. Was für Bestien, wie man wilde Tiere in der Antike nannte, durchaus richtig ist, passt nicht zum Kodex menschlichen Verhaltens.


Sonntag der ökumenischen Unterscheidung

Das apokalyptische Tiersymbol oder die Zahl, die den entsprechenden Herrschaftsanspruch zum Ausdruck bringt, sind die Schlüssel um Zugang zum Wirtschaftskreislauf zu bekommen. Wer sich nicht kodieren lässt, kann weder kaufen noch verkaufen (vgl. Offb 13,16-18). Was zählt, ist die geprägte Form und nicht die lebendige Gestalt. Ein extremes Beispiel dafür bietet die Antike, in der ein Sklave mit dem Stempel seines Besitzers markiert wurde.

Die zentrale Festung der römischen Legionen, die in Ägypten stationiert waren, wurde im ersten Jahrhundert n. Chr. in Heliopolis errichtet. Kaiser Trajan und die späteren Kaiser bauten sie aus. Große Rundtürme wurden errichtet, die teilweise bis in unsere Zeit erhalten geblieben sind.

Der ägyptische Name für Heliopolis lautete Per-Hapi-en-Ou, was zur römischen Festungsbezeichnung Babylon wurde. Damit bot sich Babylon als Deckname für die römische Herrschaft schlechthin an. Mit einem Wort konnten alle Schrecken der babylonischen Gefangenschaft ins Bewusstsein gerufen werden. Die erste Zerstörung des Tempels von Jerusalem durch die Babylonier und die endgültige Zerstörung durch die Römer lagen auf derselben Linie.

Lässt sich dieses Trauma anhand des Evangeliums Jesu Christi überwinden? Die ersten Christen waren durch ihre Ostererfahrungen davon überzeugt. Denn nach dem Niederriss des Leibes Jesu am Kreuz war er ihnen als Auferstandener erschienen. Der neue Himmel und die neue Erde hatten durch ihn anfänglich Gestalt gewonnen.

Die römischen Legionen, die hinter ihren Tierbildstandarten marschierten, garantierten, dass die Reichtümer Ägyptens den Caesaren zur Verfügung standen. Rom, die Stadt auf den sieben Hügeln, kontrollierte Politik und Religion, Wirtschaft und Verwaltung. Titus, der Bruder Domitians, besteuerte sogar die Benutzung der Latrinen. Mit dem Satz „pecunia non olet“, Geld stinkt nicht, soll er seine Kritiker unwirsch abgefertigt haben.

Die erste Christenverfolgung fand unter Kaiser Nero in Rom statt. Die Weltanschauung der Christen und der Weltherrschaftsanspruch der Caesaren standen einander diametral gegen¬über. Auf der einen Seite war das Leben von der Wirklichkeit des siebten und achten Schöpfungstages bestimmt, auf der anderen Seite war die Binnentranszendenz des sechsten Tages der Horizont, in dem alles verortet wurde.

Die Zahl 666 bedeutet, dass jemand sich auf der Ebene der Einer, der Zehner und der Hunderter auf die Welt hier fixiert hat. Nur im Diesseits wird die Vollendung gesucht. Die Eins, Chiffre für Transzendenz, und die Zehn, Symbol der göttlichen Gebote, und die Hundert, Metapher für die hundertfache Frucht des Wortes Gottes (vgl. Mt 13,8), spielten keine Rolle. Ist dies das Teuflische, keine Transzendenz, keine Weisung zum Leben, keine neue Schöpfung zulassen zu wollen?

Ob man nun die Zahl 666 als einen Hinweis auf den römischen Kaiser Nero oder auf die Realität des Bösen im Menschen sehen möchte, sei dahingestellt. Manche Mönche auf dem Athos interpretieren diese Zahl als eine Warnung vor dem Internet. Denn der Zugang dazu erfolgt mit der Eingabe www, was im Hebräischen dem Zahlenwert 666 entspricht (vgl. Offb 13,18).

Empfehlenswert scheint eine Durchforstung der eigenen Lebenswelt. Wie soll man mit den eigenen Reichtümern umgehen? In welchem Horizont werden Entscheidungen getroffen? Wann entstehen durch Formalisierung neue Freiräume? Wo treibt Standardisierung einen Hersteller in den Ruin und überfordert den Verbraucher? Wer ist verantwortlich, wenn Produkte zu teuer werden, Betriebe zusammenbrechen? Wird langfristig der Markt aus¬schließlich von denen beherrscht, die Gesetze und Vorschriften des apokalyptischen Tieres bis ins Detail durchführen lassen? Kann irgendwann der Stier Europas zum neuen Reittier der Hure Babylon werden? Ein total kodiertes Dasein ist das Schreckgespenst, das bei der weltweiten Ökonomisierung der Lebensverhältnisse auftaucht. Was ist die Alternative?


Sonntag des Heiligen Zion

Der Zion ist der Ort der Gegenwart Gottes (Offb 14,1-5). In dieser Wirklichkeit ist das göttliche Lamm und die hundertvierundvierzigtausend Erlösten zuhause (vgl. Offb 7,3-4; vgl. Ez 9,4). Hier erklingt das neue Lied (vgl. Offb 5,9b-10). Beim Propheten Jesaja war schon davon die Rede: „Singet dem HERRN ein neues Lied, seinen Ruhm an den Enden der Erde, die ihr auf dem Meer fahrt, und was im Meer ist, ihr Inseln und die darauf wohnen“ (Jes 42,10)!

In der Schöpfung und im Heiligtum soll das Lob erklingen: „Halleluja! Singt dem HERRN ein neues Lied; die Gemeinde der Heiligen soll ihn loben. Israel freue sich seines Schöpfers, die Kinder Zions seien fröhlich über ihren König. Sie sollen loben seinen Namen im Reigen, mit Pauken und Harfen sollen sie ihm spielen. Denn der HERR hat Wohlgefallen an seinem Volk, er hilft den Elenden herrlich. Die Heiligen sollen fröhlich sein und preisen und rühmen auf ihren Lagern“ (Ps 149,1-5; vgl. Ps 40,4).

Die Psalmen, das Gebetbuch Israels, leiten dazu an: „Freuet euch des HERRN, ihr Gerechten; die Frommen sollen ihn recht preisen. Danket dem HERRN mit Harfen; lobsinget ihm zum Psalter von zehn Saiten! Singet ihm ein neues Lied; spielt schön auf den Saiten mit fröhlichem Schall“ (Ps 33,1-3; vgl. Ps 144,9).

Und weiter: „Singet dem HERRN ein neues Lied; singet dem HERRN alle Welt! Singet dem HERRN und lobt seinen Namen, verkündet von Tag zu Tag sein Heil! Erzählet unter den Heiden von seiner Herrlichkeit, unter allen Völkern von seinen Wundern! Denn der HERR ist groß und hoch zu loben, mehr zu fürchten als alle Götter. Denn alle Götter der Völker sind Götzen; aber der HERR hat den Himmel gemacht. Hoheit und Pracht sind vor ihm, Macht und Herrlichkeit in seinem Heiligtum“ (Ps 96,1-6; vgl. Ps 98,1). Die Herrlichkeit des Herrn schaute einst Hesekiel: „Und siehe, die Herrlichkeit des Gottes Israels kam von Osten und brauste, wie ein großes Wasser braust, und es ward sehr licht auf der Erde von seiner Herrlichkeit“ (Hes 43,2; vgl. Hes 1,24).

In der biblischen Symbolsprache lässt sich die Zahl 144.000 so deuten, dass damit gesagt ist, etwas Ganzes (12) ist ganz (12) vollendet – und zwar tausendfach. Selbstverständlich war die Wirklichkeit, auf die diese heilige Zahl hinweist, jederzeit offen für das Wirken des Heiligen Geistes. In biologischer Sprache spricht man daher von der immerwährenden Jung¬fräulichkeit, die keinerlei sexuellen Missbrauch kennt (vgl. Offb 14,4). Die Kommunikation geschieht daher so geistig und intim, dass von außen her betrachtet diese Einmaligkeit sprachlich unzugänglich bleibt (vgl. Offb 14,3).

Die Verheißung Gottes, die der Prophet Zefanja verkündet hatte, ist in der Perspektive des Sehers von Patmos nun erfüllt (vgl. Offb 14,1). Gott spricht: „ICH will in dir übriglassen ein armes und geringes Volk; die werden auf des HERRN Namen trauen. Und diese Übrig¬gebliebenen in Israel werden nichts Böses tun noch Lüge reden, und man wird in ihrem Munde keine betrügerische Zunge finden, sondern sie sollen weiden und lagern ohne alle Furcht. Jauchze, du Tochter Zion! Frohlocke Israel! Freue dich und sei fröhlich von ganzem Herzen, du Tochter Jerusalem“ (Zef 3,12-14¸ vgl. Jes 53,9)!

Wie lautet das Lied, das sich im eigenen Inneren angesichts des heiligen Lammes komponiert?


Aschermittwoch

Die österliche Bußzeit beginnt mit einem Memento mori. Mancherorts wird mit einem Aschenkreuz auf der Stirn an die Vergänglichkeit erinnert. Entscheidend ist, dass dies im Namen des VATERS und des SOHNES und des HEILIGEN GEISTES geschieht. Damit wird die Vergänglichkeit in den Horizont des Unvergänglichen, des EWIGEN gestellt.

Wie richtet Gott die Welt? Durch welchen Richterspruch, durch welches Wort? Die Antwort ist höchst überraschend. Das Gericht ist das ewige Evangelium, das der Engel Gottes im Zenit allen verkündet (vgl. Offb 14,6-7). Dadurch wird offenbar, was der Fall ist.

Christologisch gesehen ist es selbstverständlich, dass Jesus Christus das Evangelium schlechthin ist. Und in dieser Perspektive ist er auch das Gericht. Um es mit den Worten des Evangelisten Johannes zu sagen: „Der Vater richtet auch keinen, sondern er hat das Gericht ganz dem Sohn übergeben.“ Und er hat ihm Vollmacht gegeben, „Gericht zu halten, weil er der Menschensohn ist“ (Joh 5,22.27). Auf Jesus Christus, der in Ewigkeit auferstanden ist, läuft die österliche Bußzeit zu.

Es gibt keinen metaphysischen Grund, dass es keine neue Schöpfung, die Schöpfung des achten Tages, geben kann, in der die erste Schöpfung aufgehoben ist. Der neue Himmel und die neue Erde ist das Ziel, auf das hin die Schöpfung der sechs Tage unterwegs ist.

Von ihr heißt es am Ende der ersten Tafel der Zehn Gebote: „In sechs Tagen hat der HERR Himmel und Erde gemacht und das Meer und alles, was darinnen ist, und ruhte am siebenten Tage. Darum segnete der HERR den Sabbattag und heiligte ihn (Ex 20,11). Die erste Tafel thematisiert das Gottesverhältnis der Schöpfung, die zweite Tafel behandelt die zwischen¬menschlichen Beziehungen.


Sonntag des göttlichen Heilsgerichts

Was hat keine ewigheitliche Zukunft? Wofür gibt es keinen Platz im Himmel? Wessen Frist ist auf Erden prinzipiell abgelaufen? In Gottes Namen geben Engel darauf eine Antwort.

Wenn man davon ausgeht, dass mit guten Engeln jene Wirklichkeiten einer spirituellen Metaphysik gemeint sind, deren Nähe sich in befreienden geistlichen Erfahrungen auswirkt, dann kann man sich fragen, worin die Frohe Botschaft des Engels besteht, der verkündet, dass Babel keine Zukunft haben wird (Offb 14,8). Verständlich wird diese Botschaft erst im Kontext der Zerstörung Jerusalems. Babylon triumphierte: „Nach zwölf Monaten, als der König auf dem Dach des königlichen Palastes in Babel sich erging, hob er an und sprach: Das ist das große Babel, das ich erbaut habe zur Königstadt durch meine große Macht zu Ehren meiner Herrlichkeit“ (Dan 4,26-27). In der babylonischen Gefangenschaft war der Tiefpunkt der Geschichte Israels erreicht.

Doch „da kommen Männer, ein Zug von Wagen und Rossen; die hoben an und sprachen: Gefallen ist Babel, es ist gefallen, und alle Bilder seiner Götter sind zu Boden geschlagen“ (Jes 21,9)! Der Rückkehr zum Heiligen Zions steht nun nichts mehr im Wege. „Israel und Juda sollen nicht Witwen werden, verlassen von ihrem Gott, dem HERRN Zebaoth; denn das Land der Chaldäer hat sich sehr verschuldet am Heiligen Israels. Flieht aus Babel, und rette ein jeder sein Leben, dass ihr nicht untergeht in seiner Schuld. Denn dies ist für den HERRN die Zeit der Rache, um ihm seine Taten zu vergelten. Ein goldener Kelch, der alle Welt trunken gemacht hat, war Babel in der Hand des HERRN. Alle Völker haben von seinem Wein getrunken; darum sind die Völker so toll geworden.

Wie plötzlich ist Babel gefallen und zerschmettert! Heult über Babel, bringt Balsam für seine Wunden, ob es vielleicht geheilt werden könnte. Wir wollten Babel heilen; aber es wollte nicht geheilt werden. So laßt es fahren und laßt uns ein jeder in sein Land ziehen! Denn seine Strafe reicht bis an den Himmel und langt hinauf bis an die Wolken. Der HERR hat unsere Gerechtigkeit ans Licht gebracht. Kommt, laßt uns in Zion erzählen, die Werke des HERRN, unseres Gottes“ (Jer 51,5-10)!

Das Wort von der Strafe klingt rachsüchtig und gnadenlos. Daher handelt es sich jedoch um die logische Konsequenz, die sich aus einem bestimmten Verhalten ergibt. Am Ende einer solchen Konsequenz wird eine neue Kon-sequenz angeboten, nämlich die Nachfolge Jesu Christi. Der ursprüngliche Wortsinn von consequi, dh. ich folge nach, weist auf einen Weg hin, der besagt, wie es am Ende menschlichen Scheiterns straffrei weitergehen könnte. Der Apostel Paulus wünscht allen, die jenseits von Sünde und Schuld, von Strafe und Selbst¬bestrafung, neu leben möchten: „Die Gnade des Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit euch allen“ (2 Kor 13,13).

Weitere Register aus der Geschichte Israels werden gezogen, um die Differenz zwischen dem, was sein soll und dem, was nicht sein soll, offensichtlich zu machen. Edom (vgl. Jes 34,5), Gog (vgl. Ez 38,22), Sodom und Gomorra (vgl. Gen 19,24) sind dabei Synonyme für schreckliche Realitäten. Den Heilsplan Gottes können sie allerdings nicht aufhalten. Ganz im Gegenteil. Wie bei einer Tragödie treiben sie in all ihrer Schrecklichkeit die Handlung voran:

„Werde wach, werde wach, steh auf, Jerusalem, die du getrunken hast von der Hand des HERRN den Kelch seines Grimmes! Den Taumelkelch hast du ausgetrunken, den Becher geleert. … So spricht dein Herrscher, der HERR, und dein Gott, der die Sache seines Volkes führt: Siehe, ich nehme den Taumelkelch aus deiner Hand, den Becher meines Grimmes. Du sollst ihn nicht mehr trinken, sondern ich will ihn deinen Peinigern in die Hand geben, die zu dir sprechen: Wirf dich nieder, dass wir darüberhin gehen! Und du machtest deinen Rücken dem Erdboden gleich und wie eine Gasse, dass man darüberhin laufe“ (Jes 51,17.22; vgl. Jer 25,15; Ps 75,9).

Immer ist Erntezeit (Offb 14,14-26). Ob Weizen oder Gerste, Oliven oder Weintrauben, immer geschieht Kelterung. Hundertfach geht es im Geviert der Welt (4) ganz weltlich (4) zu. Sechzehn mal hundert Stadien weit reicht das Kelterblut. Die ganze Welt ist voll davon (vgl. Offb 14,20).

Mit dem Blut der Heiligen wird genauso umgegangen wie mit Christus, der seinen Weg durch den Kelterort Gethsemane bis ans Kreuz ging. Welche Umkehrung der Verhältnisse! Der göttliche Keltertreter ist der Gekelterte. Während beim Propheten Jesaja der Keltertreter vom Blut der Feinde rot war (vgl. Jes 63,3; Joel 4,13) ist Christus nun selbst der Gekelterte.

Er ist der Menschensohn, der mit den Wolken des Himmels kommt (vgl. Dan 7,13; Mt 26,64). „Wenn all das beginnt, dann richtet euch auf und faßt Mut, denn eure Erlösung ist nahe“ (Lk 21,28).

Der erste Fastensonntag eignet sich gut für eine persönliche Besinnung. Worin besteht das Gericht Gottes? „Das Gericht ist, dass der Herrscher dieser Welt gerichtet ist“ (Joh 16,11). Wie richtet das Evangelium? Welches Urteil spricht der gekelterte, gekreuzigte Messias?


Sonntag der sieben Plagen

Plagen lassen sich als Folgen von Sünden deuten. Die Trennung von der Liebe und der Logik des Lebens führt in Situationen, die man möglichst rasch wieder hinter sich haben möchte. Aber nicht alle denken so. Sie werden mit der Entschiedenheit Gottes konfrontiert. Er will, was für den Menschen gut ist: „Und wenn ihr mir zuwiderhandelt und mich nicht hören wollt, so will ICH euch noch weiter schlagen, siebenfältig, um eurer Sünden willen“ (Lev 26,11). Wann sind die Sünden vergeben, die Gottes Zorn hervorgerufen haben?

Mit den sieben Plagen ist Gottes Zorn vollendet (vgl. Offb 15,1-8). Sein Zorn im Himmel ist vorüber. Welches Evangelium angesichts der Angst der Menschen vor dem Zorn Gottes! Oft wird damit das Strafpotential des eigenen Überichs verwechselt. Und gerade das kann sinnvollerweise damit nicht gemeint sein. Der Zorn Gottes ist die Kehrseite der Entschiedenheit zum Guten. Wozu ist nein zu sagen? Das Ja zu Gott, sein Lobpreis, macht frei zum Guten.

Nicht smaragdgrüngläsern wie der Thronsockel Gottes, sondern feuriggläsern ist die Basis, auf der jene stehen, die das Lied des Lammes (Offb 5,9-10) und das Lied des Mose singen (Ex 15,1-9; vgl. Dtn 32,1-43). Hinzu kommt das Lied, das kunstvoll aus Psalmversen, Worten der Propheten Amos und Jeremia und Versen aus den Büchern Exodus und Deuteronomium zusammengefügt ist (Offb 15,3-4).

Dieses Lied bezeugt, wie vertraut die Menschen mit der biblischen Überlieferung sind, die Gottes Lobpreis singen. Sie kennen ihre heiligen Schriften. „Denn, HERR, du lässest mich fröhlich singen von deinen Werken, und ich rühme die Taten deiner Hände. HERR, wie sind deine Werke so groß“ (Ps 92,5-6; vgl. Ps 111,2)! „Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin; wunderbar sind deine Werke; das erkennt meine Seele“ (Ps 139,14)! „HERR, wer ist dir gleich, der so mächtig, heilig, schrecklich, löblich und wundertätig ist“ (Ex 15,11)?

Und weiter heißt es: „ER ist ein Fels. Seine Werke sind vollkommen; denn alles, was er tut, das ist recht. Treu ist Gott und kein Böses an ihm, gerecht und wahrhaftig ist er“ (Dtn 32,4). „Der HERR ist gerecht in allen seinen Wegen und prächtig in allen seinen Werken“ (Ps 145,12). „Dir HERR, ist niemand gleich; du bist groß, und dein Name ist groß, wie du es mit der Tat beweist“ (Jer 10,6; vgl. Am 3,13). „Alle Völker, die du gemacht hast, werden kommen und vor dir anbeten, HERR, und deinen Namen ehren, dass du so groß bist und Wunder tust und du allein Gott bist“ (Ps 86,9-10).

Die großen Visionen des Johannes bilden ein Gesamtpanorama der Heilsgeschichte in all ihrer Dramatik. In seiner Schau von den sieben Engeln mit ihren Plagen (vgl. Offb 15,6) kehrt gesteigert wieder, was der Prophet Daniel nach einer Zeit des Fastens gesehen hat: „Und ich hob meine Augen auf und sah, und siehe, da stand ein Mann, der hatte leinene Kleider an und einen goldenen Gürtel um seine Lenden. Sein Leib war wie ein Türkis, sein Antlitz sah aus wie ein Blitz, seine Augen wie feurige Fackeln, seine Arme und Füße wie helles, glattes Kupfer, und seine Rede war wie ein großes Brausen“ (Dan 10,5-6).

Jeder der sieben Engel, die Johannes sah, war in weißes Leinen gekleidet und hatte einen goldenen Gürtel um (Offb 15,7). Die Plagen, die sie mit sich brachten, hatten eine ähnliche Funktion wie die zehn Plagen, die den Pharao veranlassen sollten, Israel aus Ägypten ziehen zu lassen (Ex 7,14-11.51). Der Weg in die Freiheit, in das verheißene Land, ist unaufhaltsam vorgezeichnet.

Gott war mit Israel unterwegs. Im Zeltheiligtum, der sogenannten Stiftshütte, wurde seine Gegenwart verehrt. „Da bedeckte die Wolke die Stiftshütte und die Herrlichkeit des HERRN erfüllte die Wohnung. Und Mose konnte nicht in die Stiftshütte hineingehen, weil die Wolke darauf ruhte und die Herrlichkeit des HERRN die Wohnung erfüllte. Und immer, wenn die Wolke sich erhob von der Wohnung, brachen die Israeliten auf, solange ihre Wanderung währte. Wenn sich aber die Wolke nicht erhob, so zogen sie nicht weiter bis zu dem Tag, an dem sie sich erhob. Denn die Wolke des HERRN war bei Tage über der Wohnung, und bei Nacht ward sie voll Feuers vor den Augen des gesamten Hauses Israel, solange die Wanderung währte“ (Ex 40,34-38).

Am Ende der Wüstenwanderung wurde der Tempel in Jerusalem zum neuen Ort der Gegenwart Gottes. Im Allerheiligsten fand die Bundeslade ihren Platz. „Und es war nichts in der Lade als nur die zwei steinernen Tafeln des Mose, die er hineingelegt hatte am Horeb, die Tafeln des Bundes, den der HERR mit Israel schloß, als sie aus Ägyptenland gezogen waren. Als aber die Priester aus dem Heiligen gingen, erfüllte die Wolke das Haus des HERRN, so daß die Priester nicht zum Dienst hinzutreten konnten wegen der Wolke; denn die Herrlichkeit des HERRN erfüllte das Haus des HERRN“ (1 Kön 8,9-11; vgl. Jes 6,4).

Wann werden durchlichtete Weihrauchwolken zu Chiffren für die Herrlichkeit Gottes, die im Verborgenen leuchtet? Müssen zunächst die Zornschalen Gottes auf Erden ausgegossen werden, damit Heil einzieht, wo Unheil haust? Welches Fasten steht an? Mit welchen himmelschreienden Sünden muss Schluss gemacht werden?


Sonntag der sieben Zornschalen

Sieben Engel tragen den Zorn Gottes in den Schalen mit den Plagen und schütten sie auf Erden aus (vgl. Offb 16,1-21). Man muss genau hinsehen, was damit gemeint ist, um nicht alles Unglück und Leid auf der Welt als Zorn Gottes zu deuten. Auch die Probleme der Theodizee sind nicht das Thema, sondern die Frage, was die sieben Zornengel an Evangelium mit sich bringen.

„Horch, Lärm aus der Stadt! Horch, vom Tempel her! Horch, der HERR vergibt seinen Feinden“ (Jes 66,6)! Wer sind die Feinde Gottes, die sein Zorn trifft (Offb 16,1)? „Sie sind von jeher eifrig dabei, alles Böse zu tun. Darum wartet auf mich, spricht der HERR, bis auf den Tag, an dem ich zum letzten Gericht auftrete; denn mein Beschluß ist es, die Völker zu versammeln und die Königreiche zusammenzubringen, um meinen Zorn über sie auszuschütten, ja, alle Glut meines Grimmes; denn alle Welt soll durch meines Eifers Feuer verzehrt werden. Dann aber will ich den Völkern reine Lippen geben, daß sie alle des Herrn Namen anrufen sollen und ihm einträchtig dienen. Von jenseits der Ströme von Kusch werden meine Anbeter, mein zerstreutes Volk, mir Geschenke bringen“ (Zef 3,7b-10).
Wer einen spirituellen Weg gehen möchte, kann damit anfangen zu realisieren, was gesamtgesellschaftlich noch aussteht. Im eigenen Leib, dem durchgeistigten, durchseelten Körper also, wird es dann zur Begegnung mit jenen spirituellen Energien kommen, die bewirken, dass im Lichtkegel der Gnade eine heilsame Verwandlung stattfindet. Das Wort des Moses Maimonides bekommt wieder einen tiefen Sinn: Er ist davon überzeugt, dass alle Kräfte, die im Körper wohnen, Engel sind.

An körpereigenen Schöpfungspunkten, die wesentlich sind, wirken sich mentale Kraftfelder aus, die auf die Nähe der Zornengel verweisen. Die Chakren, jene Pforten der Kommunikation zwischen dem Innen und Außen des Leibes, werden dabei als Zentren wahrgenommen, an denen ins Fließen kommt, was geschehen ist. Heilsames und Unheilsames lassen sich unterscheiden.

Der Zorn Gottes wird als produktiver Schmerz erlebt. An die Stellen, an denen sich üble Geschichte abgelagert hat, fließt jener heilsame Zorn hin, dessen Dynamik befreit. Die Palette der Plagen im eigenen Leben wird abgeräumt.

Im einzelnen handelt es sich um sieben unterschiedliche Zornschalen, deren inhaltliche Thematik durch einen alttestamentlichen Texthintergrund angezeigt wird. Eschatologisch gesehen geht es darum, dass anstelle des alten Inhalts der Zornschalen die Liebe tritt. Im ersten Johannesbrief heißt es dazu: „Darin ist bei uns die Liebe vollendet, dass wir Zuversicht haben am Tag des Gerichts; denn wie er ist, so sind auch wir in dieser Welt. Furcht gibt es nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe vertreibt die Furcht. Denn die Furcht rechnet mit Strafe, und wer sich fürchtet, ist in der Liebe nicht vollendet“ (1 Joh 4,17-19).

Sieben Gebetszeiten sind der Zeitraum, in dem Zornschale um Zornschale im Kraftfeld des jeweiligen Engels durchmeditiert wird. Die erste Zornschale erinnert an die Plage der Geschwüre, die als sechste Plage in Ägypten genannt ist (vgl. Ex 9,9; vgl. Dtn 28,35).

Den Engel der ersten Schale kann man als Scheitel bezeichnen. Denn wer den Weg der Hinkehr zu Gott beschreiten möchte, empfindet vielleicht manchmal wie Ijob, der von Scheitan mit Aussatz geschlagen wurde (vgl. Hiob 2,7).

Die zweite Zornschale nimmt Bezug auf die erste Plage in Ägypten: „Siehe, ich will mit dem Stabe, den ich in meiner Hand habe, auf das Wasser schlagen, das im Nil ist, und es soll in Blut verwandelt werden“ (Ex 7,17). Auf einer Deutungsebene wird davon ausgegangen, dass das Blut der Sitz der Seele ist und das Wasser die Chiffre für die Zeit. In dieser Perspektive kann man sich dann fragen, ob ein Teil der Plage die völlige Psychologisierung dessen ist, was zeitlich geschieht.

Der Name für den Zornengel der Blutgelage, Raotiel, meint darauf hin, dass der Pharao schreckerfüllt zur Einsicht kommen sollte. Mit Pharao ist in diesem Kontext das Herrschafts¬prinzip der Unfreiheit gemeint.

Bei der dritten Zornschale gerinnt das Blut, Symbol des Lebens, nicht nur im Meer (vgl. Offb 16,3), sondern auch in Quellen und Flüssen. Das Wasser ist nicht mehr trinkbar (vgl. Ex 7,19-24). Das Leben erstarrt.

Eine Aufgabe des dritten Zornengels besteht darin, an die blutige Kriegs- und Eroberungsgeschichte Israels zu erinnern: „Gott, es sind Heiden in dein Erbe eingefallen; die haben deinen heiligen Tempel entweiht und aus Jerusalem einen Steinhaufen gemacht. Sie haben die Leichname deiner Knechte den Vögeln unter dem Himmel zu fressen gegeben und das Fleisch deiner Heiligen den Tieren im Lande. Sie haben ihr Blut vergossen um Jerusalem her wie Wasser, und da war niemand, der sie begrub. Wir sind bei unseren Nachbarn eine Schmach geworden, zu Spott und Hohn bei denen, die um uns her sind. HERR, wie lange willst du so sehr zürnen und deinen Eifer brennen lassen wie Feuer? Schütte deinen Grimm auf die Völker, die dich nicht kennen, und auf die Königreiche, die deinen Namen nicht anrufen“ (Ps 79,1-6; vgl. Jes 49,26). Wer alles ist umgebracht worden in der Geschichte Israels und der Völker! Hier und jetzt soll ein gegenläufiger Prozess stattfinden. Würdigung geschieht. Ein feierliches Gedenken der unsterblichen Seelen gehört dazu, ihr Geist möge ruhen in Frieden.

Das Blut vieler Heiliger heischt nach Gottes Gerechtigkeit (vgl. Ex 3,1.4): „HERR, du bist gerecht, und deine Urteile sind richtig“ (Ps 119,137; vgl. Dtn 32,4; Ps 19,10). Der Mörder soll nicht in Ewigkeit über das unschuldige Opfer triumphieren (vgl. Offb 22,15; 1 Joh 3,15). Die Wucht Gottes räumt aus, was nicht human ist. Dafür steht der Zornengel mit Namen Chebetiel.
In die vierte Zornschale gießt der Engel die Energie der Brandopfer. Doch der Widerstand der Menschen gegen Korbaniel ist hartnäckig. Die Kraft des Feuers, der Sonne auf Erden, bewirkt nicht automatisch Reinigung und Läuterung. Oft wird zunächst der Trotz gegen ein sinnvolles Geschehen offensichtlich.

Der Engel der Nacht, Lailaliel, führt Finsternis mit sich. Die neunte Plage in Ägypten kommt in den Sinn: „Da sprach der HERR zu Mose: Recke deine Hand gen Himmel, daß eine solche Finsternis werde in Ägyptenland, daß man sie greifen kann“ (Ex 10,21; vgl. Jes 8,21-22). Doch verstockt wie der Pharao lassen die Menschen nicht ab von ihrem bösen Treiben, bis die Zeit des Zornes vollendet ist.

Bis an den Euphrat reicht das Land, das Abraham und den Seinen verheißen wurde (vgl. Dtn 1,7; Gen 15,8; Jes 11,15; Jes 41,2.25). Die Landnahme wird eschatologisch durch Gottes Engel vollendet.

Der Engel der himmlischen Heerscharen, daher sein Name Zebathiel, treibt den spirituellen Kampf gegen die Machthaber voran, die von unreinen Geistern angestiftet wurden, in die Entscheidungsschlacht von Harmagedon zu ziehen (vgl. Offb 16,12-16). Diese Ortsangabe bezieht sich weniger auf den Stadthügel von Meggido als vielmehr auf den Ölberg. Denn im Hebräischen wird mit Meged die wertvollste Sorte des Olivenöls bezeichnet. Am Fuß des Ölbergs liegt Gethsemane, der Garten der Kelterung. Auf halber Höhe befindet sich Kleingaliläa, das Lager der Jerusalempilger aus Galiläa, und oben wird der Ort der Auffahrt Jesu Christi in den Himmel gezeigt. Von dort wird seine Wiederkunft erwartet.

Der Offenbarungstext, der an Johannes auf Patmos erging, entschlüsselt die zweite ägyptische Plage, die von den Fröschen handelt. „Da sprach der HERR zu Mose: Geh hin zum Pharao und sage zu ihm: So spricht der HERR: Laß mein Volk ziehen, daß es mir diene! Wenn du dich aber weigerst, siehe, so will ich dein ganzes Gebiet mit Fröschen plagen, daß der Nil von Fröschen wimmeln soll. Die sollen heraufkriechen und in dein Haus kommen, in deine Schlafkammer, auf dein Bett, auch in die Häuser deiner Großen und deines Volkes, in deine Backöfen und in deine Backtröge; ja, die Frösche sollen auf dich selbst und auf dein Volk und auf alle deine Großen kriechen“ (Ex 7,26-29; vgl. Ex 8,1-11).

Aus dem Maul des Drachens und aus dem Maul des apokalyptischen Tieres und aus dem Mund des Lügenpropheten stammen die unreinen Geister, die Fröschen gleichen (vgl. Offb 16,13). Der Frosch gilt als Symbol der Sexualität, die ambivalent ist. Im Zusammenhang mit den Plagen erscheint der Frosch als Inbegriff der Unreinheit, es Ekligen und Glitschigen. Grenzenloser Sexismus breitet sich aus.

Und auch der siebte Zornengel handelte. Leise Wahrheit wird erlebt. Ja, Amen, so ist es. Emunahiel könnte man ihn daher nennen. Was jahrhundertelang kultisch zelebriert wurde, ereignet sich durch den Engel in der Realität der Welt (vgl. Ex 19,16; Jes 66,6; Dan 12,1). Der Zornbecher Gottes gelangte dorthin, wohin er bestimmt ist (vgl. Jer 25,15; Jes 51,17.22; Dan 4,27-29).

Wie in Ägypten kommt es jetzt zur siebten Plage. Der Pharao musste sich von Gott sagen lassen: „Du stellst dich noch immer wider mein Volk und willst es nicht ziehen lassen. Siehe, ich will morgen um diese Zeit einen sehr großen Hagel fallen lassen, wie er noch nie in Ägypten gewesen ist von der Zeit an, als es gegründet wurde, bis heute“ (Ex 9,17-18; vgl. Ex 9,1-35).

Die Zornengel mit ihren Plagen konfrontieren den Menschen damit, dass er alles lassen soll, was aus Sünde und Hass, aus Gier und Sucht geschieht. Weniger ist mehr! Daher ist die Fastenzeit besonders gut geeignet, spirituelle Prozesse zu wagen, die notwendig sind, um wieder im Sinne Gottes leben zu können.


Sonntag der sieben Hügel

Rom wurde auf sieben Hügeln errichtet. Topographische Fakten sind ideologisch wirksam. So gründete Kaiser Konstantin, der sich für das Christentum entschieden hatte, sein Neues Rom, Konstantinopel, ebenfalls auf sieben Hügeln. Und der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, Heinrich II., errichtete einen Neuen Dom in Bamberg, seiner Residenz¬stadt, auf sieben Hügeln. Dort befindet sich das einzige Papstgrab nördlich der Alpen. An der Skulptur von Papst Clemens fällt das zwölfsteinige Brustschild auf. Der Papst als Nachfolger des Hohenpriesters bzw. als Repräsentant des himmlischen Jerusalem!

Es war ein langer Weg, bis im Namen Jesu Christi anstelle der Hure Babylon regiert werden sollte. Was alles wurde im Laufe der Geschichte mit Babylon, der Mutter aller Greuel, identifiziert, die mit ihrer Herrschsucht die Welt beglückt und verführt! Für den späten Luther kehrte sie im römischen Papsttum der Renaissance wieder, das alle möglichen Schandtaten verübte. Rom als Zentrum der Laster und der Prunksucht!

In der abendländischen Geschichte spiegelt sich in der Dialektik zwischen Papsttum und Kaisertum etwas von der eschatologischen Wahrheit des Evangeliums und den politisch-gesellschaftlichen Realitäten wieder. Beide Institutionen berufen sich dabei auf das Evangelium. In der Moderne und Postmoderne kommt es zum Konflikt zwischen totalitären Systemen und ihren Gegnern. Wer lebt aus dem Geist des Evangeliums? Welche anderen Geister wirken sich reell vermittelt in Einzelnen und in Institutionen aus?

Das monströse Wesen der babylonischen Hure auf dem scharlachroten Tier mit zehn Köpfen ist eine perfekte Allegorie (Offb 17,1-18), dh. eine Form, durch die etwas in anderer Weise gesagt wird. Was soll gesagt werden? Welcher Schwindel und Betrug versteckt sich hinter der apokalyptischen Maskerade? Welche Prophetenzitate werden aufgenommen, um den Lesern anschaulich vorzuführen, was schrecklich ist?

Die Initiative zu der spirituellen Weltsicht liegt bei dem Engel, der Johannes zeigt (Offb 17,1), wie rätselhaft die Welt ist, in der sich das göttliche Lamm siegreich durchsetzt (Offb 17,14). Je mehr es zur Einsicht in den Bauplan der Welt kommt, desto deutlicher werden die inneren Verhältnisse, nach denen historische Erscheinungsformen begriffen werden können. So wie der Prophet Jeremia zu seiner Zeit den Aufstieg des neubabylonischen Reichs und die damit verbundenen Konsequenzen erfasste, und der Prophet Daniel sah, wie der Kult der babylonischen Götter weiterging, so deutete Johannes der Theologe seine zeitgeschichtlichen Erfahrungen in ihrer universellen Bedeutsamkeit.

Die nahezu kampflose Einnahme Babylons ist ein Fanal für Systeme, deren letzte Stunde geschlagen hat (vgl. Jer 25,15; Jes 23,17). „Ja, schärft nun die Pfeile und ergreift die Schilde! Der HERR hat den Mut der Könige von Medien erweckt; denn seine Gedanken stehen wider Babel, daß er es verderbe. Denn dies ist die Vergeltung des HERRN, die Vergeltung für seinen Tempel. Ja, erhebt nun das Banner gegen die Mauern von Babel, macht stark die Wachen, bestellt Wächter, legt einen Hinterhalt! Denn der HERR hat sich’s vernommen und wird’s auch tun, was er gegen die Einwohner von Babel geredet hat. Die du an großen Wassern wohnst und große Schätze hast, dein Ende ist gekommen; dein Lebensfaden wird ab¬geschnitten“ (Jer 51,11-13)!

Ein Hoffnungstext für jene Christen, die durch die römische Staatsmacht verfolgt wurden, die das Land, das Meer und die vielen Flüsse rund um den Mittelmeerraum beherrschte.

Die einzelnen Attribute der bösen Babylonier (vgl. Dan 4,27) bzw. Römer sind bis ins Detail alttestamentlich vorweg geschaut, ob goldener Becher (Jer 51,7) oder das furchtbare Tier mit den zehn Hörnern (vgl. Dan 7,3.7.20). „Die zehn Hörner bedeuten zehn Könige, die aus diesem Königreich hervorgehen werden“ (Dan 7,24a; vgl. Offb 17,12).

Die römisch-babylonische Gegenwelt stürzt im Kampf gegen Gott und seinen Messias in ihr eigenes Verderben. „Denn der HERR, euer Gott, ist der Gott aller Götter und der Herr über alle Herren, der große Gott, der Mächtige und der Schreckliche, der die Person nicht ansieht und kein Geschenk nimmt und schafft Recht den Waisen und Witwen und hat die Fremdlinge lieb, daß er ihnen Speise und Kleider gibt“ (Dtn 10,17-18, vgl. Dan 2,47; Ps 2,2). Von jenseits der Dialektik des Do ut des (Ich gebe, damit DU gibst) ereignet sich in Gottes Gerechtigkeit.

Für die eigene Frömmigkeitspraxis könnte man sich die Frage stellen, wie die Reste jener babylonischen Scheinwelt im eigenen Leben rascher entsorgt werden können, die im Untergang begriffen ist. Abschied tut not, damit Platz wird für das, was befreit. Dadurch gewinnt die Fastenzeit an Profil.


Sonntag des babylonischen Weltuntergangs

Die spirituelle Erfahrung des Propheten Hesekiel von der Herrlichkeit Gottes, durch die es licht wird auf der Erde (vgl. Ez 43,2), gleicht der Schau des Johannes, der einen Engel vom Himmel sah, so dass „die Erde hell wurde von seinem Lichtglanz“ (Offb 18,1). Zum Leben kommt das Hören (vgl. Offb 18,2; Ez 43,2). Der Ruf des Engels „Gefallen, gefallen ist Babylon, die Große“ setzt voraus (Offb 18,2; vgl. 21,2.9; Jer 51,8), dass ihr Untergang für die Menschheit etwas Positives ist, sozusagen ein Meilenstein auf dem Weg der Rückkehr ins Paradies (Offb 18,1-24).
Obwohl Babylon einerseits eine wesentliche Aufgabe in der Heilsgeschichte hat, muss es andererseits an uns für sich verschwinden. Denn es ist durch und durch verdorben (vgl. Jer 51,7). Daher trifft Babylon dasselbe Schicksal wie Tyrus (Jes 23,17) und Edom (Jes 34,11), Ninive (Nah 3,4) und Sodom und Gomorrah (Jes 13,19-21; Jer 50,39).

Es gibt nur eine einzige Alternative, nämlich Babylon zu verlassen (vgl. Jes 48,20; 52,11; Jer 50,8; 51,9). Denn die Stadt geht in ihrer maßlosen Selbstüberschätzung jammervoll zugrunde. „Du dachtest: Ich bin eine Herrin für immer. Du hattest noch nicht zu Herzen genommen noch daran gedacht, wie es hernach werden könnte. So höre nun dies, die du in Wollust lebst und so sicher sitzt und sprichst in deinem Herzen: »Ich bin’s und sonst keine; ich werde keine Witwe werden noch ohne Kinder sein«: Dies beides wird plötzlich über dich kommen auf einen Tag, daß du Witwe und ohne Kinder bist. Ja, es wird in vollem Maße über dich kommen trotz der Menge deiner Zaubereien und trotz der großen Macht deiner Beschwörungen. Denn du hast dich auf deine Bosheit verlassen, als du dachtest: Niemand nicht mich! Deine Weisheit und Kunst hat dich verleitet, daß du in deinem Herzen sprachst: Ich bin’s und keine sonst“ (Jes 47,7-10)! Das Ich-Bewusstsein Babylons steht in eklatantem Widerspruch zur Selbstoffenbarung Gottes: „ICH bin der HERR, und sonst keiner mehr, kein Gott ist außer mir“ (Jes 45,5; vgl. Ex 20,3).

Unaufhaltsam kommt die Zeit der Heimsuchung Babels (Pekod), der doppelte Trotz (Meratajim) wird zu Ende gebracht: „Zieh heran gegen das Land Meratajim; zieh heran gegen die Einwohner von Pekod; verfolge sie und vollziehe den Bann an ihren Nachkommen, spricht der HERR, und tu alles, was ich dir befohlen habe“ (Jer 50,21.15; Ps 137,8)! Kommt endlich das Ende? Wann wird Babylon vom Erdboden verschwinden? Bleiben Ruinen und Erinnerungen?

In der jüdischen Überlieferung sagt man, dass ein zweifaches bzw. doppeltes Nennen nötig ist, weil der Mensch beim ersten Mal normalerweise nicht zuhört.

Babylon wird doppelt eingeschenkt (vgl. Offb 18,6), Jerusalem doppelt gestraft, bis ein Freiraum für einen neuen Anfang entsteht, der bei den Evangelisten Lukas (Lk 3,4-6) und Johannes (Joh 1,3) auf Jesus Christus hin ausgelegt wird, dem Johannes der Täufer den Weg bereitet.

„Tröstet, tröstet, mein Volk! Spricht euer Gott. Redet mit Jerusalem freundlich und predigt ihr, daß ihre Schuld vergeben ist; denn sie hat doppelte Strafe empfangen von der Hand des HERRN für alle ihre Sünden. Es ruft eine Stimme: In der Wüste bereitet dem HERRN den Weg, macht in der Steppe eine ebene Bahn unserem Gott! Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden, und was uneben ist, soll gerade, und was hügelig ist, soll eben werden; denn die Herrlichkeit des HERRN soll offenbart werden, und alles Fleisch miteinander wird es sehen; denn des HERRN Mund hat’s geredet“(Jes 40,1-5).

Die drei Weherufe über Babel, die nur Distanzierung der fremden Könige, Kaufleute und Besucher führen (Offb 18,9-19), gründen in der Wahrnehmung des Gerichts: „So spricht der HERR Zebaoth: Siehe, die Leute von Israel samt den Leuten von Juda müssen Gewalt und Unrecht leiden; alle, die sie gefangen weggeführt haben, halten sie fest und wollen sie nicht loslassen. Aber ihr Erlöser ist stark, der heißt HERR Zebaoth, der wird ihre Sache so hinausführen, daß er das Land erbeben und die Einwohner von Babel erzittern läßt“ (Jer 50,33-34, vgl. Dan 4,27).

Der Prophet Hesekiel wirkte während der eskalierenden Auseinandersetzung zwischen Babylon und Jerusalem in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts n. Chr. Babel triumphierte. Tyrus erhoffte sich dadurch politischen Gewinn (vgl. Ez 26,2). Doch Babel eroberte auch Tyrus, das wie uneinnehmbar auf einer Halbinsel an der Küste Phöniziens lag.

Aber Babel wird es ebenso wie Tyrus. Hesekiel sieht den Untergang der phönizischen Stadtstaaten. „Sie werden über dich ein Klagelied anstimmen und von dir sagen: Ach, wie bist du zugrunde gegangen, du berühmte Stadt, die du am Meer lagst und so mächtig warst auf dem Meer samt deinen Einwohnern, daß sich das ganze Land vor dir fürchten mußte! Nun entsetzen sich die Inseln am Tag deines Falls, und die Inseln im Meer erschrecken über deinen Untergang. Denn so spricht der HERR: Ich will dich zu einer verödeten Stadt machen gleich den Städten, in denen niemand wohnt, und will eine große Flut über dich kommen lassen, daß hohe Wellen dich bedecken“ (Ez 26,17-19.21).

Die Katastrophengeschichte von Tyrus soll für alle eine Mahnung sein. „Deine Ruderer haben dich auf die hohe See geführt; aber ein Ostwind wird dich mitten auf dem Meer zerschmettern, so daß dein Reichtum, dein Handelsgut, deine Ware, deine Schiffsleute, deine Steuerleute, deine Zimmerleute, deine Händler und alle deine Kriegsleute und alles Volk in dir mitten auf dem Meer umkommen werden am Tag deines Falls. Da werden die Gestade erbeben von dem Geschrei deiner Steuerleute. Und alle, die das Ruder führen, die Schiffsleute, alle Seefahrer, werden von ihren Schiffen herabsteigen, sie werden an Land gehen und laut über dich schreien und bitterlich klagen, werden Staub auf ihre Häupter werfen und sich in der Asche wälzen. Sie werden sich kahlscheren deinetwegen und Säcke anlegen und von Herzen bitterlich um dich weinen und trauern. Es werden auch ihre Kinder ein Klagelied über dich anstimmen und um dich klagen: Ach! Wer ist je auf dem Meer so still geworden wie Tyrus? Als du deinen Handel auf dem Meer triebst, da machtest du viele Länder satt, mit der Menge deiner Güter und Waren machtest du reich die Könige auf Erden. Nun aber bist du zerschmettert, hinweg vom Meer in die tiefen Wasser gestürzt, daß dein Handelsgut und all dein Volk in dir umgekommen ist. Alle, die auf den Inseln wohnen, erschrecken über dich, und ihre Könige entsetzen sich und sehen jämmerlich drein. Die Kaufleute unter den Völkern zischen über dich, daß du so plötzlich untergegangen bist und nicht mehr aufkommen kannst“ (Ez 27,26-23.13; vgl. Jes 23,8.17).

Welche Konsequenzen ergeben sich aus solchen geschichtlichen Fakten für das politische, ökonomische und religiöse Weltverständnis? Wie realistisch wird wahrgenommen, was in der Gegenwart geschieht? Welche Analysen besitzen prophetischen Charakter in einer globalisierten Welt, die partiell vom Untergang bedroht ist?

Für die spirituelle Besiegelung eines endgültigen Untergangs steht der Engel, der den Stein – Symbol für Babylon – ins Meer wirft. Es geht um die reale Erfüllung dessen, was der Prophet Jeremia dem Seraja aufgetragen hatte, der mit Zedekia, dem König von Juda, in das babylonische Exil gehen musste: „Und Jeremia schrieb all das Unheil, das über Babel kommen sollte, in ein Buch, nämlich alle diese Worte, die wider Babel geschrieben sind. Und Jeremia sprach zu Seraja: Wenn du nach Babel kommst, so schaue zu und lies laut alle diese Worte und sprich: HERR, du hast geredet gegen diese Stätte, daß du sie ausrotten willst, so daß niemand darin wohne, weder Mensch noch Vieh, sondern daß sie immerdar wüst sei.

Und wenn du das Buch ausgelesen hast, so binde einen Stein daran und wirf’s in den Euphrat und sprich: So soll Babel versinken und nicht wieder aufkommen von dem Unheil, das ich über sie bringen will, sondern soll vergehen. So weit hat Jeremia geredet“ (Jer 52,60-64).

Anhand von vielen Einzelheiten wird in der Bibel verdeutlicht, dass es in der Welt ein Ende gibt. Plötzlich ist es vorbei mit der Zauberei von Ninive (Nah 3,4). In Tyrus und anderswo sind die Lieder verklungen; still sind die Harfen für immer (Ez 26,13; Jes 24,8). „Und ICH will wegnehmen allen fröhlichen Gesang, die Stimme des Bräutigams und der Braut, das Geräusch der Mühle und das Licht der Lampe“ (Jer 25,10), so spricht Gott zu Babylon.

Das Ende einer solchen Welt ist aber nicht schlechthin das Ende der Welt, sondern der mögliche Anfang für eine neue Erde und einen neuen Himmel. Deshalb ist nicht Häme oder Schadenfreude über das Ende einer untergehenden Welt angesagt, sondern Freude über das Neue, das in Gottes Namen anbrechen wird: „Jauchzet, ihr Himmel, denn der HERR hat’s getan! Jubelt, ihr Tiefen der Erde! Ihr Berge, frohlocket mit Jauchzen, der Wald und alle Bäume darin! Denn der HERR hat Jakob erlöst und ist herrlich in Israel“ (Jes 44,23; vgl. Ps 96,1-13). Das Morden und Plündern der Babylonier gehört ein für allemal der Vergangenheit an. „Himmel und Erde und alles, was darinnen ist, werden jauchzen über Babel, weil seine Verwüster von Norden gekommen sind, spricht der HERR. Und Babel muß fallen für die Erschlagenen Israels, wie für Babel gefallen sind die Erschlagenen der ganzen Erde“ (Jer 51,48-49).

Im Unterschied zur altorientalischen Klassengesellschaft wurde im alttestamentlichen Israel der Grundsatz der Rechtsgleichheit praktiziert. Der Ausgleich von Unrecht erfolgte ohne Ansehen der Person: „Entsteht ein dauernder Schaden, so sollst du geben Leben um Leben, Auge um Auge, Zahn um Zahn, Hand um Hand, Fuß um Fuß, Brandmal um Brandmal, Beule um Beule, Wunde um Wunde“ (Ex 21,23-25). Nicht Rachejustiz geht es jedoch, sondern um ausgleichende Gerechtigkeit!

Der Rechtsgrundsatz „Auge um Auge, Zahn um Zahn“, nach dem die Erstattung zu erfolgen hat, wurde auch auf das Problem der Wiederherstellung der Gerechtigkeit angewendet, die zwischen Gott und den Völkern herrschen soll, falls sie sich ins Unrecht gesetzt haben.

Durch dieses Prinzip kann es jedoch zu einem großen religiösen Missverständnis kommen, nämlich, wenn man sich Gott anthropomorh vorstellt. Gott wird dann leicht als ein rachsüchtiges, strafendes, metaphysisches Wesen verstanden, das den Menschen strafrechtlich verfolgt und vernichtet.

Jesus von Nazareth wirkt solchen Vorstellungen entgegen. Er legt die Torah für die Seinen, für Israel und die Völker anders aus. „Ihr habt gehört, daß gesagt worden ist: Auge um Auge und Zahn um Zahn. Ich aber sage euch: Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand, sondern wenn dich einer auf die rechte Backe schlägt, dann halt ihm auch die andere hin. … Ihr sollt vollkommen sein, denn auch euer himmlischer Vater ist vollkommen“ (Mt 5,38-39.48).

Nicht um die Abschaffung der Torah geht es, sondern um die Überbietung des bisherigen Gerechtigkeitsverständnisses und damit auch bestimmter Vorstellungen von Gott (vgl. Dtn 32,43; Jes 25,10). Jesus von Nazareth legt die Torah als Messias aus. Für die Seinen ist er die Halacha, der Weg, der zum Ziel, zu GOTT führt.


Sonntag des himmlischen Jubels

Der Jubel im Himmel und der endzeitliche Reiter (Offb 19,1-12) bilden den metaphysischen Hintergrund für den Einzug Jesu Christi in Jerusalem (vgl. Joh 12,13-14). Durch ihn geht die Offenbarungsgeschichte Gottes mit Israel weiter. Er öffnete den Bund für die Völker, so dass sie den einen wahren Gott erkennen. Zudem ermöglichte er eine neue Ethik (vgl. Offb 19,8).

Durch Jesus Christus entsteht ein neuer Freiraum für die Völker, die sich am Gott des Bundes orientieren wollen. Bisherige Untergangsgeschichten gehen zugrunde. Modern gesprochen, Systeme, durch die Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder die Genozide verübt werden, haben auf die Dauer keine Chance, weiter zu existieren. So geschah es mit Tyrus, Babylon und Ninive, der assyrischen Großmacht.

Die Zerstörung des Nordreichs Israel durch den Assyrerkönig Salmanassar wird im vielschichtigen Buch Tobit aufgegriffen. Vor diesem Hintergrund ereignet sich die Glaubensgeschichte des Tobias. Der Engel Raphael spielt dabei eine entscheidende Rolle (Tob 3,25). Er heilt in Gottes Namen (Tob 11,1). Sobald man Raphael, der im Buch Tobit einer der sieben Engel ist, die um den Thron Gottes stehen (Tob 12,15), im Engel der Gemeinde von Laodizea wieder erkennt (Offb 3,14), entsteht ein großer spiritueller Spannungsbogen. Das Gold von Laodizea (Offb 3,18) und das Kapital in Rages (Tob 1,16; 5,19; 96) – heute der Stadtteil Ray in Teheran – die Funktion der Augensalbe im Sendschreiben an die Gemeinde von Laodizea (Offb 3,18) und im Buch Tobit (Tob 11,13) lassen sich gut miteinander in Beziehung bringen.

Das Halleluja aus dem Lobgesang des Tobias gibt für das dreifache Halleluja im Himmel den Ton vor. Nach seiner Erblindung wurde er wieder sehend: „Lobe den Herrn, meine Seele! Denn er wird seine Stadt Jerusalem erlösen. Wohl mir, wenn auch nur meine letzten Nachkommen die Herrlichkeit Jerusalems sehen werden! Die Tore Jerusalems werden aus Saphir und Smaragd gebaut werden und aus Edelsteinen ringsum all seine Mauern. Mit weißem und reinem Marmor werden alle seine Gassen gepflastert werden und auf allen seinen Straßen wird man Hallelluja singen. Gelobt sei der Herr, der seine Stadt wieder gebaut hat, und er herrsche über sie in Ewigkeit! Amen“ (Tob 13,18-22).

Der dreifache Jubel im Himmel ist ein Lied (Offb 19,1b-8a), aus dessen Strophen eine große Vertrautheit mit den Propheten (vgl. Jes 6,1) und ihren Verheißungen (vgl. 2 Kön 9,7; Jes 34,10) spricht. Auch aus den Psalmen wird zitiert. Die Beter sollen Gott preisen (Ps 22,24; 115,13; 134,1). Seine Herrlichkeit ist himmlisch (Ez 1,24; 43,2; 93,1). Gottes Heilstaten (vgl. Ps 111-113) und Weisungen werden gerühmt (Ps 19,9). Sein Messias kommt, von dem der Prophet Daniel weissagt: „Ich sah in diesem Gesicht in der Nacht, und siehe, es kam einer mit den Wolken des Himmels wie eines Menschen Sohn und gelangte zu dem, der uralt war, und wurde vor ihn gebracht. Der gab ihm Macht, Ehre und Reich, daß ihm alle Völker und Leute aus so vielen verschiedenen Sprachen dienen sollten. Seine Macht ist ewig und vergeht nicht, und sein Reich hat kein Ende“ (Dan 7,13-14; 10,5-6).

Nach dem dritten Halleluja kommt der Höhepunkt des himmlischen Jubelfestes: Die Hochzeit des Messiaskönigs – sein Krafttier ist das göttliche Lamm – mit seiner Braut ( vgl. Offb 19,7-8). „Dies ist der Tag, den der HERR macht; laßt uns freuen und fröhlich an ihm sein“ (Ps 118,24). Der Sohn Gottes ist der Bräutigam, der Herr, in dem der HERR anwesend ist. „Der HERR ist König und herrlich geschmückt; der HERR ist geschmückt und umgürtet mit Kraft. Er hat den Erdkreis gegründet, daß er nicht wankt“ (Ps 93,1).

Und von der Braut heißt es im Psalm: „Die Königstochter ist mit Perlen geschmückt; sie ist mit goldenen Gewändern gekleidet“ (Ps 45,14). Zu ihrem Festkleid gehört das weiße Leinen, das Symbol der Taufgnade, durch die gerecht gehandelt werden kann (vgl. Offb 19,8). Die ewigkeitliche Würde der Braut ist offenbar. Im Unterschied zu dem Mann ohne hochzeitliches Gewand (vgl. Mt 22,11) ist sie bereit, wie die Christen in der Gemeinde von Sardes (Offb 3,4-5) und Laodizea (Offb 3,18), die auf Christus hören, den Messiaskönig zu empfangen.

Er ist der Reiter auf dem weißen Pferd (vgl. Offb 19,11; vgl. Sach 1,8). Als der treue und zuverlässige Zeuge ist er den Hörern der Offenbarung des Johannes schon aus dem Sendschreiben an die Gemeinde von Laodizea bekannt (vgl. Offb 3,14; Ps 89,38).


Montag des blutgetränkten Gewandes

Das Sehen der Herrlichkeit des Herrn, wie sie in Jesus Christus erschienen ist, und das Hören des Wortes Gottes, das sich durch ihn ausspricht, ist eins. Was der Prophet Hesekiel in seiner mystischen Gottesvision erlebte (Ez 1,1-4), findet seine Entsprechung in der Christus¬erfahrung des Johannes auf Patmos. Er vernimmt die Selbstoffenbarung Jesu Christi sowohl im Wort wie in der geschauten Gestalt, die in ein blutgetränktes Gewand gekleidet ist (Offb 19,13).

Welch heiliger Tausch fand durch Christus statt! Der Keltertreter ist zum Gekelterten geworden. Welche Umkehr der Verhältnisse. Der Richter übernimmt das Schicksal des Angeklagten! Die Verheißung des Propheten Jesaja erfährt eine überraschende Wendung. „Wer ist der, der von Edom kommt, mit rötlichen Kleidern von Bozra, der so geschmückt ist in seinen Kleidern und einherschreitet in seiner großen Kraft? »Ich bin’s, der in Gerechtigkeit redet, und bin mächtig zu helfen.« Warum ist denn dein Gewand so rotfarben und dein Kleid wie das eines Keltertreters? »Ich trat die Kelter allein, und niemand unter den Völkern war mit mir. Ich habe sie gekeltert in meinem Zorn und zertreten in meinem Grimm. Da ist ihr Blut auf meine Kleider gespritzt und ich habe mein ganzes Gewand besudelt. Denn ich hatte einen Tag der Vergeltung mir vorgenommen; das Jahr, die Meinen zu erlösen, war gekommen“ (Jes 63,1-4).

Die Karwoche ist die liturgische Zeit, während der die Offenbarung Gottes, wie sie in Jesus Christus ergangen ist, feierlich begangen wird. Christi Unschuld und die Schuld des Menschen werden dabei unterschieden. Das innere Gespräch mit ihm und die liturgische Gestaltung seines Sterbens und Auferstehens sind unverzichtbar, um sich von ihr tiefer erfassen zu lassen, und so das Wesen des Menschen besser zu begreifen.
Dienstag des Heiligen Krieges

Gott schuf durch sein Wort (vgl. Gen 1,3-31). Auf diese Weise kamen die geschaffenen Realitäten zur Erscheinung. Sie folgten gleichsam aufs Wort. Da christologisch gesehen Christus das Wort Gottes ist (Offb 19,13b-15) gehören die himmlischen Heerscharen zu seinem Gefolge. Er bringt die Schöpfung Gottes durch sein Wort wieder ins Lot.

Von Christus verkündet der Prophet Jesaja: „Er wird mit Gerechtigkeit richten die Armen und rechtes Urteil sprechen den Elenden im Lande, und er wird mit dem Stabe seines Mundes den Gewalttätigen schlagen und mit dem Odem seiner Lippen den Gottlosen töten. Gerechtigkeit wird der Geist seiner Lenden sein und die Treue der Gurt seiner Hüften. Da werden die Wölfe bei den Lämmern wohnen und die Panther bei den Böcken lagern. Ein kleiner Junge wird Kälber und junge Löwen und Mastvieh miteinander treiben. Kühe und Bären werden zusammen weiden, daß ihre Jungen beieinander liegen, und ihre Löwen werden Stroh fressen wie die Rinder. Und ein Säugling wird spielen am Loch der Otter, und ein entwöhntes Kind wird seine Hand stecken in die Höhle der Natter“ (Jes 11,4; 63,3; vgl. Ps 2,9; Jes 49,2).

Das messianische Friedensreich wird durch Christus errichtet. Welche Aufgaben haben die Menschen in diesem Heiligen Krieg? Die biblische Antwort ist überraschend: „Stellt euch nur auf und bleibet stehen und sehet, wie der Herr euch Rettung schafft“ (2 Chron 20,17).

Systemische Aufstellungen können offensichtlich machen, wie eine friedensreiche Lösung aussieht. Denn der Kampf zwischen einer Welt, die sich nach ihren Maßstäben richtet, und der unterscheidenden Liebe, die sich konkret in der Nächsten- und Feindesliebe zeigt, kommt zum Ausdruck. Die Worte, die in der Leere des Schweigens ihren Anfang nehmen und durch die Repräsentanten des Aufstellungsgeschehens zur Sprache kommen, gehören zu einer heilsamen Dramaturgie.

In diesem Kontext könnte man sich bezüglich der eigenen Ethik fragen, wie man normalerweise bei Konflikten mit anderen reagiert. Wie reflektiert wird das eigene Aggressionspotential eingesetzt? Auf einer ersten Stufe kommt es meistens zu Fluchtbewegungen. Der Konflikt bleibt prinzipiell ungelöst. Bei extremer Eskalation hingegen entstehen Strategien der Vernichtung. Eine gängige Form der Konfliktentschärfung ist die Unterwerfung, die an und für sich höchst problematisch ist.

Ein weiteres Modell funktioniert, indem der Konflikt zur Lösung an eine dritte Instanz delegiert wird. Beim Kompromiss hält die gemeinsame Schnittmenge die Konfliktparteien in Schach. Optimal dagegen ist der Konsens, bei dem jede Partei sich die Position der anderen restlos zu eigen machen kann.


Mittwoch des Königs der Könige

Der Titel „König der Könige“ stammt aus der iranischen Welt. Der Herrscher der Meder und Perser wird Schah-in-Schah genannt, König der Könige. Ohne Kenntnis der religiösen und politischen Verhältnisse im Reich der Achämeniden lässt sich der geschichtliche Gehalt der Rolle Esther, der Prophetenbücher Daniel, Hesekiel, Haggai und Sacharja, aber auch Jeremia, Deuterojesaja und Tritojesaja kaum verstehen.

An Kyros, den persischen Großkönig ergeht nach Jesaja das Wort: „So spricht der HERR, dein Erlöser, der dich von Mutterleibe an bereitet hat: Ich bin der HERR, der alles schafft, der den Himmel ausbreitet allein und die Erde festmacht ohne Gehilfen; … der zu Kyros sagt: Mein Hirte! Er soll all meinen Willen vollenden und sagen zu Jerusalem: Werde wieder gebaut! Und zum Tempel: Werde gegründet!

So spricht der HERR zu seinem Gesalbten, zu Kyros, den ich bei seiner rechten Hand ergriff, daß vor ihm unterwerfe und Königen das Schwert abgürte, damit vor ihm Türen geöffnet werden und Tore nicht verschlossen bleiben: Ich will vor dir hergehen und das Bergland eben machen, ich will die ehernen Türen zerschlagen und die eisernen Riegel zerbrechen und will dir heimliche Schätze geben und verborgene Kleinode, damit du erkennst, daß ich der HERR bin, der dich beim Namen ruft, der Gott Israels. Um Jakobs, meines Knechts, und um Israels, meines Auserwählten willen rief ich dich bei deinem Namen und gab dir Ehrenamen, obgleich du mich nicht kanntest.

Ich bin der HERR, und sonst keiner mehr, kein Gott ist außer mir. Ich habe dich getröstet, obgleich du mich nicht kanntest, damit man erprobe in Ost und West, daß außer mir nichts ist. Ich bin der HERR, und sonst keiner mehr, der ich das Licht mache und schaffe die Finsternis, der ich Friede gebe und schaffe Unheil. Ich bin der HERR, der dies alles tut. Träufelt, ihr Himmel, von oben, und ihr Wolken, regnet Gerechtigkeit! Die Erde tue sich auf und bringe Heil, und Gerechtigkeit wachse mit auf! Ich, der HERR, habe es geschaffen“ (Jes 44,24.28; 45,1-8).

Der Prophet Daniel, ein Zeitgenosse der frühen Archämenidenherrscher, begegnete in seiner mystischen Vision eine messianische Gestalt, der Gesalbte des Herrn, der sprach: „Nun aber komme ich, um dir Bericht zu geben, wie es deinem Volk gehen wird am Ende der Tage; denn das Gesicht geht auf ferne Zeit. Und als er das alles mit mir redete, neigte ich mein Angesicht zur Erde und schwieg still. Und siehe, einer, der einem Menschen gleich war, rührte meine Lippen an. Da tat ich meinen Mund auf und redete und sprach zu dem, der vor mir stand: Mein Herr, meine Glieder bebten, als ich das Gesicht hatte, und es war keine Kraft mehr in mir. Wie kann der Knecht meines Herrn mit meinem Herrn reden, da auch jetzt noch keine Kraft in mir ist und mir der Atem fehlt? Da rührte mich abermals der an, der aussah wir ein Mensch, und stärkte mich und sprach: Fürchte dich nicht, du von Gott Geliebter! Friede sei mit dir! Sei getrost, sei getrost! Und als er mit mir redete, ermannte ich mich und sprach: Mein Herr, rede; denn du hast mich gestärkt“ (Dan 10,14-19; vgl. Dan 10,5-21).

Jahrhundertelang war Kleinasien von der Herrschaft der Perser geprägt. Die Religion Zarathustras blieb bis in die Zeit lebendig, als Johannes auf Patmos wirkte. Nach griechisch-orthodoxer Tradition hatte er dort sogar eine Auseinandersetzung mit einem Magier, der mit der Religion Zarathustras vertraut war.

Für Johannes ist Jesus von Nazareth der endgültige Messias, der Gesalbte des Herrn schlechthin. Er ist der Christus, der neue, einzigartige König der Könige, der Herr der Herren (vgl. Offb 19,16).


Donnerstag des großen Mahles

Was ist das für ein großes Mittagsmahl, zu dem Gott doch seinen Engel einlädt? Es handelt sich um das letzte Mahl, von dem in der christlichen Bibel die Rede ist (Offb 19,17-18).

Beim Propheten Hesekiel findet sich die Vorlage für das eschatologische Geschehen. Mit der Gier und der Sucht, der vernichtenden Gewalt von Gog soll Schluss gemacht werden (vgl. Offb 20,8). „Auf den Bergen Israels sollst du fallen, du mit deinem ganzen Heer und mit den Völkern, die bei dir sind. Ich will dich den Raubvögeln, allem was fliegt, und den Tieren auf dem Felde zum Fraß geben. … Du Menschenkind, so spricht Gott der HERR: Sage den Vögeln, allem, was fliegt, und allen Tieren auf dem Feld: Sammelt euch und kommt herbei, findet euch zusammen von überall her zu meinem Schlachtopfer auf den Bergen Israels, und freßt Fleisch und sauft Blut! Fleisch der Starken sollt ihr fressen, und Blut der Fürsten auf Erden sollt ihr saufen, der Widder und Lämmer, der Böcke und Stiere, all des Mastviehs aus Baschan. Und ihr sollt Fett fressen, bis ihr satt seid von dem Schlachtopfer, das ich euch schlachte. Sättigt euch von Rossen und Reitern, von Starken und all den Kriegsleuten an meinem Tisch, spricht Gott der HERR“ (Ez 39,4; 17-20).

Sobald man Gog mit all dem identifiziert, wovon man „aufgefressen“ wird, kann man das Experiment riskieren, Gleiches mit Gleichem zu behandeln. Dies macht natürlich nur Sinn, wenn das Ziel klar ist, nämlich sich gegen die Gewalt des Gog zu immunisieren. Man denke an das Modell Schutzimpfung. Im Extremfall helfen ja auch Antibiotika, um das eigene Leben zu retten, indem anderes Leben – Bakterien – innerlich getötet werden.

Für die spirituelle Rezeption des Textes vom großen Mahl (Offb 19,17-18) erweist sich eine ritualisierte Rahmenhandlung als besonders effizient. Zunächst sucht man sich einige Zutaten, die symbolisieren, wovon man sich in Zukunft verabschieden möchte. Vielleicht muss man manches in der Küche erst zubereiten. Was steht für das, worüber man ständig sauer wird? Welches süßliche Getue ist schon lange überflüssig? Warum lässt man sich immer wieder die Suppe versalzen? Wovon nährt sich die Verbitterung? Mit Salzwasser, Süßstoff, Öl, Essig, gemahlenem Kaffee, Kräutern, Wurzeln etc. wird ein kleiner Tisch gedeckt. Eine Art Sederteller entsteht. Die Dinge stehen für das Fleisch, dh. das Vergängliche, das Gegenständliche, kurzum die Äußerlichkeit der Realitäten.

Die geistige Arbeit besteht darin zu erforschen, welche leitenden Prinzipien, welche Könige also, im eigenen Leben destruktiv sind. Welche Heerführer, welche Strategien sind unsinnig? In welche Fallen geht man aufgrund von Stärke? Welche Pferde, welche Triebe mit welchem Ego rennen sich zu Tode? Und so kann man die Welt der Freien und Sklaven, der Kleinen und der Großen, durchgehen. Was möchte man durch realistische, gleichsam homöopathische Internalisierung hinter sich bringen? Nach der Herrichtung der Zutaten und ihrer Zubereitung erfolgt der rituelle Verzehr. Natürlich nimmt man nur so viel, wie einem zuträglich erscheint.

Das Ritual lässt sich als Vorliturgie zum Gründonnerstag gottesdienstlich gestalten. Es ist ein geistliches Unterfangen, das den Bußakt zeichenhaft entfaltet: Kyrie eleison, Christe eleison, Kyrie eleison.


Freitag des Sieges Christi

Die bleibende Bedeutung des heilsgeschichtlichen Karfreitags gipfelt im Sieg Christi, des Königs der Könige, des Reiters auf dem weißen Pferd und der Seinen über die apokalyptische Bestie, den Lügenpropheten und die Führer der Weltmächte mit ihren Heeren (Offb 19,19-21).

In einer gewaltigen Schau sieht Johannes, wie die Welt verbrennt, über die der Prophet Jesaja weissagte: „Denn die Feuergrube ist längst hergerichtet, ja, sie ist auch dem König bereitet, tief und weit genug. Der Scheiterhaufen darin hat Feuer und Holz die Menge; der Odem des HERRN wird ihn anzünden wie ein Schwefelstrom“ (Jes 30,30). Die prophetische Perspektive auf Assur und Ninive ist nun entgrenzt auf die ganze Welt, die sich um ihre Zukunft bringt, weil sie ihren Verführern gehorcht (vgl. Ps 2,2), statt auf Christus zu hören, der sie retten will.

Sein Kreuz ist zum Wendepunkt geworden, an dem sich die Geister scheiden. Die einen streben himmelwärts, bleiben unterwegs zu einer neuen Erde und einem neuen Himmel, die anderen rechnen damit, dass sie nach dem Tod Jesu die Welt wieder im Griff haben.

Christen bekennen sich jedoch zu dem Glauben: Wer am Holz des Baumes im Paradies gesiegt hat (vgl. Gen 3,13-15), wurde am Holze des Kreuzes besiegt. Das Kreuz ist der äußerste Rand der Welt. Von dort her beginnt mit Christus die Rückkehr ins Paradies, das für die Mächte der Hölle unerreichbar ist. Sie selbst streben nicht ins Paradies, sondern wollen nur Himmel verhindern. Von ihnen heißt es beim Propheten Daniel: „Ich merkte auf um der großen Reden willen, die das Horn redete, und ich sah, wie das Tier getötet wurde und sein Leib umkam und ins Feuer geworfen wurde. Und mit der Macht der anderen Tiere war es auch aus; denn es war ihnen Zeit und Stunde bestimmt, wie lang ein jedes leben sollte“ (Dan 7,11-12). Der Prozess der Unterscheidung der Geister wird durch die Macht des Wortes, das aus dem Munde Christi kommt, vorangetrieben. Dies geschieht auch durch die Vögel, wichtige Chiffren für spirituelle Dynamiken, die sich vom Fleisch der Kadaver nähren (vgl. Ez 39,17). Was an und für sich tot war, kehrt so wieder in den Kreislauf des Lebens zurück. Wo ist der eigene Ort auf dem Schlachtfeld der Welt? Zu warnen ist vor einer egozentrischen Selbstpositionierung unter das Banner Christi. Die vielen Kreuzzüge sind zutiefst von weltlichen Interessen bestimmt. Wie leicht kommt es zur Verteufelung der anderen. Kein Mensch ist jedoch eine Ausgeburt des Bösen. Dennoch muss oft entschieden Nein gesagt werden. Wozu beruft Christus und wozu nicht?

Das Evangelium von Patmos ist der Leitfaden, der durch die Karwoche führt, die Woche schlechthin. Am Karfreitag wird der Tod Jesu verkündet, der seine Messianität mit dem Schicksal des Gottesknechtes in Beziehung brachte (vgl. Jes 53; Lk 22,37). Das Sinnziel dieses Wegs wird erst in der österlichen und eschatologischen Wiederkunft des Messias aufleuchten.


Sonntag des Abgrunds

In der Ruhe des Karsamstags lassen sich mehrere Formen von Ende und Tod unterscheiden. Welche Abgründe gibt es? Welche Endlösungen? Was gehört wohin? Wer hat eine Zukunft? Welche Gräber öffnen sich? Wie kommt der Tod des Todes zustande? Welcher Anfang ist von vornherein zeitlich begrenzt? Was bleibt ursprünglich?

Fragen über Fragen angesichts von Tod und Verderben, von Hoffen und Leben. Fragen nach dem Wirken des Geistes und der Geister brauchen spirituelle Antworten. Johannes der Theologe kann sie geben. Denn er sieht die Schöpfung in ihrer Endlichkeit vor dem Panorama der Ewigkeit (vgl. Offb 20,1-15). Wie lautet die Botschaft, die er verkündet?

Ein Engel sperrt das Prinzip des Verführers in einen Abgrund. Damit beginnt ein tausendjähriges Reich, in dem die alte Schlange, der Teufel oder Satan (vgl. Gen 3,1) entmachtet ist. Die Zeit des Verklagens hat ein Ende (vgl. Sach 3,1).

Wie wahnsinnig hingegen der zeitgeschichtliche Versuch, ein Tausendjähriges Reich im letzten Jahrhundert zu inszenieren. Nach zwölf Jahren war der Spuk vorüber. Aber die Folgen sind unübersehbar. Einen Ausgleich für das, was geschehen ist, wird es in der Welt nie geben. Nur der Glaube bleibt, dass die Opfer des Holocaust im Buch des Lebens verzeichnet sind (Offb 20,11-13; Dan 12,1-2). Gott hält Gericht über gottwidrige Mächte (vgl. Jes 6,1; 11,12; Ps 28,4; 114,3.7; 2 Kön 1,10; Hab 1,6; Dan 2,35).

Im Laufe der Zeitgeschichte wurde versucht den Anfang des tausendjährigen Reiches historisch festzumachen. Regelmäßig tauchen chiliastische Strömungen auf. Unser alter Adam, Nostr-adamus, würde allzu gern mehr wissen, als sich wissen lässt. Futurismus hat Konjunktur! Aber es scheint müßig das Kommen des Messias berechnen zu wollen. Die tausendjährige Christusherrschaft, die Zeit der ersten Auferstehung, ist kein geeignetes Objekt für geschichtliche Spekulationen (Offb 20,4-6).

Wer wird mit Christus tausend Jahre herrschen (vgl. Offb 20,6)? Johannes zitiert den Propheten Daniel: „Das Reich und die Macht und die Gewalt über die Königreiche unter dem ganzen Himmel wird dem Volk der Heiligen des Höchsten gegeben werden, dessen Reich ewig ist, und alle Mächte werden ihm dienen und gehorchen“ (Dan 7,27.9.22). Und auch die Vorausdarstellung bei dem Propheten Jesaja kommt zu Wort: „Ihr sollt Priester des HERRN heißen, und man wird euch Diener unseres Gottes nennen. Ihr werdet der Völker Güter essen und euch ihrer Herrlichkeit rühmen“ (Jes 61,6).

Da die Zeit der tausendjährigen Christusherrschaft nicht kalendarisch bestimmt werden kann, ist auch für die kurze Zeit danach, in dem der Teufel aus dem Abgrund losgelassen wird (Offb 20,3b.7-9) eine historische Zeitangabe nicht möglich. Von wann bis wann der Endkampf von Gog und Magog (Ez 38,1-23; 39,1-16; Ez 7,2) und anderen gottwidrigen Mächten stattfindet, ist nicht voraussagbar (vgl Offb 20,8). Vielleicht auch deshalb nicht, weil viele entscheidende spirituelle Prozesse sich im zeitlosen System des Unbewussten oder in einer Plötzlichkeit ereignen, die sich auf einer Zeitlinie nicht abbilden lässt.

Gerade deshalb macht es Sinn, sich kontemplativ und liturgisch mit dem tausendjährigen Reich zu befassen. Denn die Schöpfung des Schöpfers ist zeitlich und räumlich so mehrdimensional, dass ihre Komplexität nur durch methodische Vielfalt zugänglich wird. Ein Psalm weist darauf hin, wie anders Gottes Zeitmaß ist als das der Menschen: „Denn tausend Jahre sind vor dir wie der Tag, der gestern vergangen ist, und wie eine Nachtwache“ (Ps 90,4). Der zweite Petrusbrief greift die Thematik wieder auf: „Dies eine aber, liebe Brüder, dürft ihr nicht übersehen: daß beim Herrn ein Tag wie tausend Jahre und tausend Jahre wie ein Tag sind. Der Herr zögert nicht mit der Verheißung, wie einige meinen, die von Verzögerung reden; er ist nur geduldig mit euch, denn er will nicht, daß jemand zugrunde geht, sondern daß alle sich bekehren. Der Tag des Herrn wird aber kommen wir ein Dieb“ (2 Petr 3,8-10; vgl. 1 Thess 5,2-10).

Da weder die Naherwartung noch die Fernerwartung Jesu Christi, sondern die jeweilige Jetzterwartung die entscheidende Zeit ist, in der sich für den einzelnen Heil ereignet, kommt alles darauf an, mit Christus in die Gegenwart zu gelangen. Dem dient die Kontemplation und die Liturgie. Die Stille des Karsamstags stimmt darauf ein, die Schöpfung in ihrer Begrenztheit, in ihrer Offenheit und in ihrer Abgründigkeit zu erahnen, in die Christus durch Kreuz und Tod hindurch zu den Geistseelen der Verstorbenen gelangt ist. Werden sie wieder geboren in die Zyklik des natürlichen Lebens oder erlöst sie der auferstandene Christus zur Seligkeit des ewigen Lebens? Die Frömmigkeit der orthodoxen Kirche gibt darauf eine klare Antwort: Der Auferstandene steht auf den Pforten der entriegelten Unterwelt und nimmt die Gestalt des Adam und der Eva an die Hand.

Von Äon zu Äon, durch alle Zeiten hindurch, gehören der Teufel, die apokalyptische Bestie und die Gestalt des Lügenpropheten in den Feuersee, einen brennenden Schwefelsee (Offb 19,20; 20,10), ebenso die Welt des Todes (Offb 1,18; 20,14). Während der erste Tod, der natürliche Tod, zum Kreislauf des Lebens gehört, ist mit dem zweiten Tod der Tod im Feuersee gemeint (Offb 20,14). Was ist das für ein Wunder, wenn der Tod im Feuersee stirbt (vgl. Hos 13,14)! Welche Tautologie: Was nicht im Buch des Lebens steht, das ist im Feuersee (Offb 20,15). Nach dem Tod des Todes wird das göttliche, das himmlische, das ewige Leben in der Schöpfung offenbar.

In der Nacht von Karsamstag auf Ostersonntag wird das Osterfeuer entzündet. Mancherorts werden Zettel ins Feuer geworfen, auf denen persönliche Sündenbekenntnisse geschrieben sind. Dürres Holz, gespaltene Scheite und abgeschnittene Zweige nähren das Feuer. Alles kann symbolisch verstanden werden.

Am Osterfeuer wird die Ambivalenz des Symbolischen besonders deutlich. Es ist einerseits eine Stätte der Vernichtung, andererseits der leuchtenden Wärme und des zentrierenden Lichtes. Während in der katholischen Liturgie die Osterkerze am Osterfeuer entzündet wird, um die Kontinuität zwischen dem Geschehen am Holz des Kreuzes und dem Erscheinen des Osterlichts anzuzeigen, wird im evangelischen Ostergottesdienst das Gnadenlicht Jesu Christi durch die brennende Osterkerze symbolisiert, die nicht am Feuer vor der Kirche entzündet wurde. Dadurch lässt sich die Diskontinuität zwischen der Ordnung der Natur und der Logik der Gnade deutlich machen. Wie kommt im Licht der Gnade eine neue Erde und ein neuer Himmel zustande?


Ostersonntag

Die visionäre Zusammenschau der christlichen Glaubensinhalte und der prophetischen Traditionen Israels in der Gegenwart des wiederkehrenden Christus, der mit dem auferstandenen Jesus von Nazareth identisch ist, macht die Einmaligkeit des Evangeliums aus, das Johannes auf Patmos aufgeschrieben hat (Offb 21,1-4). Im Propheten¬buch Jesaja führt Tritojesaja (Jes 56-66), der wohl im 6. Jahrhundert v. Chr. bis kurz vor der Einweihung des zweiten Tempels von Jerusalem gelebt hat, den Propheten Deuterojesaja weiter (Jes 40-55), an dessen Gottesknechtsliedern sich Jesus von Nazareth orientiert hat.

Wie zu erwarten läuft die Christuslinie über den Hohenpriester Jeschua auf Jesus Christus zu: „Und der Engel des HERRN bezeugte es Jeschua und sprach: So spricht Gott der HERR Zebaoth: Wirst du in meinen Wegen wandeln und meinen Dienst recht versehen, so sollst du mein Haus regieren und meine Vorhöfe bewohnen. Und ich will dir Zugang zu mir geben mit diesen, die hier stehen. Höre nun, Jeschua, du Hoherpriester: Du und deine Brüder, die vor dir sitzen, sind miteinander ein Zeichen; denn siehe, ich will meinen Knecht, »den Sproß«, kommen lassen“ (Sach 3,7-8). Wer ist dieser Spross? „In jenen Tagen und zu jener Zeit will ICH dem David einen gerechten Spross aufgehen lassen; der soll Recht und Gerechtigkeit schaffen im Lande“ (Jer 33,15; vgl. Jer 23,5), lässt Gott durch den Propheten Jeremia verkünden.

Mit dem Ruf: Jesus Christus, Sohn Davids, erbarme dich meiner, wendet sich sowohl der blinde Bartimäus (vgl. Mk 10,46-48) wie auch die syrophönizische Frau (vgl. Mt 15,22) an Jesus von Nazareth. Es ist für viele der erhoffte Spross Davids, der Messias für Israel und die Völker.

Das Wort vom neuen Himmel und der neuen Erde hat seinen ursprünglichen Sitz im Leben in der Weisung am Ende des Prophetenbuches Jesaja. „Denn siehe, ICH will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen, daß man der vorigen nicht mehr gedenken und sie nicht mehr zu Herzen nehmen wird“ (Jes 65,17). Gott schafft neue Zukunft: „Freuet euch mit Jerusalem und seid fröhlich über die Stadt, alle die ihr sie lieb habt! Freuet euch mit ihr, alle, die ihr über sie traurig gewesen seid. … Denn wie der neue Himmel und die neue Erde, die ich mache, vor mir Bestand haben, spricht der HERR, so soll auch euer Geschlecht und Name Bestand haben“ (Jes 66,10.22).

Jerusalem ist die Stadt Jesu. Hier ist er als Messias eingezogen, hier wurde er gekreuzigt, hier ist er auferstanden, so der Glaube der Christen. Seine Braut ist das neue Jerusalem. „Wach auf, wach auf, Zion, zieh an deine Stärke! Schmücke dich herrlich, Jerusalem, du heilige Stadt“ (Jes 52,1)! Dein Bräutigam kommt. „Der Geist Gottes des HERRN ist auf mir, weil der HERR mich gesalbt hat. Er hat mich gesandt, den Elenden gute Botschaft zu bringen, die zerbrochenen Herzen zu verbinden, zu verkündigen den Gefangenen die Freiheit, den Gebundenen, daß sie frei und ledig sein sollen; zu verkündigen ein gnädiges Jahr des HERRN und einen Tag der Vergeltung unseres Gottes, zu trösten alle Trauernden“ (Jes 61,1-2; vgl. Lk 4,17-21). … „Ich freue mich im HERRN, und meine Seele ist fröhlich in meinem Gott; denn er hat mir die Kleider des Heils angezogen und mich mit dem Mantel der Gerechtigkeit gekleidet, wie einen Bräutigam mit priesterlichem Kopfschmuck geziert und wie eine Braut, die in ihrem Geschmeide prangt“ (Jes 61,10).

Der ewige Bund Gottes gewinnt Gestalt (vgl. Jes 61,8): „Die Erlösten des HERRN werden wiederkommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen“ (Jes 35,10). Die Einladung zum himmlischen Festmahl ergeht: „ER wird den Tod verschlingen auf ewig. Und Gott der HERR wird die Tränen von allen Angesichtern abwischen und wird aufheben die Schmach seines Volks in allen Landen; denn der HERR hat’s gesagt“ (Jes 25,8).

Mit der Herabkunft des himmlischen Jerusalem wird die Gegenwart Gottes bei den Menschen besiegelt (vgl. Sach 2,9). Er vollendet eschatologisch, was er in Jesus Christus inkarnatorisch begonnen hat: „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat in uns gezeltet, und wir haben seine Herrlichkeit geschaut, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit“ (Joh 1,14; vgl. Ps 2,7).

Das Zelt (griech. Skene) ist die Szene. Die göttliche Selbstinszenierung begann in der Stiftshütte Israels, die im Tabernakel der katholischen Kirche ihre neutestamentliche Wirkungs¬geschichte gefunden hat (vgl. Lev 8,3-4; Ez 37,27-28). Gottes Gegenwart erfüllt den neuen Himmel und die neue Erde. Der Leib des auferstandenen Christus ist das neue Heiligtum Gottes (vgl. Joh 2,11).


Ostermontag

Wie bei der Berufungsgeschichte des Jesaja (vgl. Jesaja 6,1-13) sieht Johannes den, der auf dem Thron sitzt, und hört, was er verkünden soll (Offb 21,5-8). Die Schau der Herrlichkeit des Herrn, wie sie Jesaja geschenkt wurde, ist bei Johannes auf den auferstandenen und wiederkehrenden Christus transparent, in dem die Gegenwart des HERRN präsent ist.

Zunächst zurück zu Jesaja: „In dem Jahr, als der König Usija starb, sah ich den Herrn sitzen auf einem hohen und erhabenen Thron, und sein Saum füllte den Tempel. Serafim standen über ihm; ein jeder hatte sechs Flügel: mit zweien deckten sie ihr Antlitz, mit zweien deckten sie ihre Füße, und mit zweien flogen sie. Und einer rief zum anderen und sprach: Heilig, heilig, heilig ist der HERR Zebaoth, alle Lande sind seiner Ehre voll! Und die Schwellen lebten von der Stimme ihres Rufens, und das Haus ward voll Rauch. Da sprach ich: Weh mir, ich vergehe! Denn ich bin unreiner Lippen; denn ich habe den König, den HERRN Zebaoth, gesehen mit meinen Augen“ (Jes 6,1-5).

Die Verheißungen der Propheten haben zunächst die Zukunft Israels im Blick. Hier ist der Ort der Heilserfahrungen, die durch Jesus Christus in Gottes Namen allen zugänglich gemacht wurden. Davon ist Johannes auf Patmos überzeugt, wenn er wesentliche Verheißungen christozentrisch zusammenfasst. Jesus von Nazareth ist für ihn der Sohn Davids, der Christus.

Der Prophet Nathan prophezeite einst König David: „Wenn nun deine Zeit um ist und du dich zu deinen Vätern schlafen legst, will ich dir einen Nachkommen erwecken, der von deinem Leibe kommen wird; dem will ich sein Königtum bestätigen. Der soll meinem Namen ein Haus bauen, und ich will seinen Königsthron bestätigen ewiglich. Ich will sein Vater sein, und er soll mein Sohn sein“ (2 Sam 11b-14a).

Die Verheißungen, die an die sieben Gemeinden ergangen sind, begannen mit der Formel „wer siegt“ (vgl. Offb 2,7.11.17.26; 3,5.12.21). Was dem Sohn Davids zugesagt wurde, daran gibt Jesus Christus nun jedem Anteil, der mit ihm siegt (vgl. Off 21,7). Sein Sieg ist die Auferstehung!

In den Feuersee hingegen gehören die Anteile, die nicht um Leben taugen (vgl. Offb 21,8; Ez 38,27). Daher soll die Sünde vom Menschen abgespalten werden. Dies geschieht durch das Bekenntnis der Sünden und die Vergebung durch Jesus Christus.

Der auferstandene Christus repräsentiert das Alpha und das Omega (vgl. Offb 19,6), das die Propheten als die Selbstaussage Gottes verkündeten. „Höre mir zu, Jakob, und du, Israel, den ich berufen habe: Ich bin’s, ich bin der Erste und auch der Letzte“ (Jes 48,12). Das Alpha und das Omega! „Gedenkt nicht an das Frühere und achtet nicht auf das Vorige! Denn siehe, ich will ein Neues schaffen, jetzt wächst es auf, erkennt ihr’s denn nicht? Ich mache einen Weg in der Wüste und Wasserströme in der Einöde“ (Jes 43,18-19). Er lädt ein: „Wohlan, all, die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser! Und die ihr kein Geld habt, kommt her, kauft und eßt! Kommt her und kauft ohne Geld und umsonst Wein und Milch“ (Jes 55,1)! Wenn der Herr erscheint, „zu der Zeit werden lebendige Wasser aus Jerusalem fließen“ (Sach 14,8).

Wie die Menschwerdung Gottes der Dreh- und Angelpunkt der bisherigen Heilsgeschichte ist, so ist die Auferstehung Jesu Christi der Dreh- und Angelpunkt der Zukunft der Menschheit.


Sonntag des Himmlischen Jerusalems

Was könnte die materielle Basis für die Vision des Johannes von der himmlischen Stadt gewesen sein? Sah er in einer Fata Morgana den Granatapfelhain der Göttin Hera von Samos? War ihre Tempelarchitektur die Luftspiegelung einer paradiesischen Welt? Topographisch spricht alles dafür.

Als Johannes von Ephesus in die Verbannung nach Patmos gebracht wurde, segelte er an der Küste der Insel Samos entlang. Das Heiligtum der Hera, der göttlichen Gemahlin des Zeus, war ihm nicht völlig fremd. Doch für ihn war der griechische Götterhimmel mit seinen Kulten und Heiligtümern auf Erden nur ein Schattenbild des neuen Jerusalem (vgl. Offb 21,9-21). Die heilige Stadt ist für den Seher von Patmos der Inbegriff des neuen Himmels und der neuen Erde.

Die zwölf Perlentore der Stadt und die Straße aus goldschimmerndem Glas (vgl. Offb 21,21) lassen noch einmal die Frage nach der Fata Morgana aufkommen. Etymologisch gesehen ist das Phänomen der Luftspiegelung wahrscheinlich nach der Fee Morgana benannt, der Halbschwester von König Artus. Sie residierte auf der legendären Insel Avalon in einem Palast der Anderwelt. Die irischen Kelten hielten die vergleichsweise häufigen Luft¬spiegelungen über dem Meer für gläserne Paläste, in denen ihre Helden und Götter lebten.

Vielleicht stammt die Bezeichnung Fata Morgana aus dem Arabischen: Margan bedeutet Koralle. Durch das leicht bewegte Wasser am Korallenriff sieht man eine phantastische Welt.

Aber es ist auch sehr gut möglich, dass man Fata Morgana direkt aus dem griechischen Wort für Perle, nämlich margarites, herleitet. Die neutestamentliche Perspektive legt nahe, dass die Perle das Himmelreich symbolisiert (vgl. Mt 13,44-46). In der Muschel bildet sich ein wunderschöner Glanz um das, was sie verwundet hat. So ist Neues entstanden!

In seiner geistigen Schau wird Johannes von einem der sieben Zornschalenengel (vgl. Offb 16,1-21; Lev 26,21) die heilige Stadt Jerusalem gezeigt (vgl. Jes 52,1). Von einem Berg aus sieht er (vgl. Ez 40,2), was ewigkeitlich mit Jesus Christus verbunden ist.

Am Ende seines Buches schreibt der Prophet Hesekiel über die Stadt, in der Gott gegenwärtig ist (vgl. Ez 48,35): An ihrer Nordseite hat sie drei Tore mit viertausendfünfhundert Ellen: „das erste Tor Ruben, das zweite Juda, das dritte Levi; denn die Tore der Stadt sollen nach den Namen der Stämme Israels genannt werden. So auch an der Ostseite mit ihren viertausendfünfhundert Ellen drei Tore: nämlich das erste Tor Josef, das zweite Benjamin, das dritte Dan. An der Südseite mit ihren viertausendfünfhundert Ellen auch drei Tore: das erste Tor Simeon, das zweite Issachar, das dritte Sebulon. So auch an der Westseite mit ihren viertausendfünfhundert Ellen drei Tore: das erste Tor Gad, das zweite Asser, das dritte Naphtali“ (vgl. Ez 48,31-34).

Im Licht der Herrlichkeit Gottes (vgl. Jes 60,1) bekommt alles seinen Platz nach einer heiligen Ordnung. Dafür steht das Ephod, die Brusttasche für Losentscheidungen am priesterlichen Gewand des Aaron: „Viereckig soll sie sein und doppelt gelegt; eine Spanne soll ihre Länge sein und eine Spanne ihre Breite. Und du sollst sie besetzen mit vier Reihen von Steinen. Die erste Reihe sei ein Sarder, ein Topas und ein Smaragd, die andere ein Rubin, ein Saphir und ein Diamant, die dritte ein Lynkurer, ein Achat und ein Amethyst, die vierte ein Türkis, ein Onyx und ein Jaspis; in Goldgeflecht sollen sie gefaßt sein. Zwölf sollen es sein in Siegelstecherarbeit nach den Namen der Söhne Israels, daß auf jedem ein Name stehe nach den zwölf Stämmen“ (Ex 28,16-21).

Gott hat seine Entscheidung getroffen: Das Los der Völker ist das himmlische Jerusalem. So stehen die Namen der zwölf Apostel Jesu Christi auf den zwölf Grundsteinen der Stadtmauer (vgl. Offb 21,14). Diese Steine der fundamentalen Ordnung sind geschmückt mit allerlei Edelgestein (vgl. Offb 21,19-20).

Das himmlische Jerusalem erscheint in einer besonderen Form. Es handelt sich um einen Kubus mit den Idealmaßen 12 x 12 x 12 (vgl. Offb 21,16b; Ez 43,16). Die Prophezeihungen des Hesekiel (Ez 40,3.5; 43,16), Sacharja (Sach 2,5-9) und Jesaja sind in Erfüllung gegangen. „Denn es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der HERR, dein Erbarmer. Du Elende, über die alle Wetter gehen, die keinen Trost fand! Siehe, ich will deinen Grund mit Saphiren legen und deine Zinnen aus Kristallen machen und deine Tore von Rubinen und alle deine Grenzen von erlesenen Steinen“ (Jes 54,10-12; vgl. Ez 37,26-28).

Und doch bleibt das Schicksal des Königs von Tyrus als Mahnung bestehen: „In Eden warst du, im Garten Gottes, geschmückt mit Edelsteinen jeder Art, mit Sarder, Topas, Diamant, Türkis, Onyx, Jaspis, Saphir, Malachit, Smaragd. Von Gold war die Arbeit deiner Ohrringe und des Perlenschmucks, den du trugst; am Tag, als du geschaffen wurdest, wurden sie bereitet“ (Ez 28,13). Durch Selbstvergottung und Hochmut hat der König von Tyrus seine Weisheit und Vollkommenheit verspielt (vgl. Ez 28,1-19). Spirituelle Wachsamkeit ist angezeigt, damit kein Klagelied angestimmt werden muss.


Sonntag der Herrlichkeit Gottes

Ein monotheistischer Versuch, das himmlische Jerusalem in einem Symbolbau auf Erden zu installieren, ist die Kaaba in Mekka. Dieser schwarz abgedeckte große Kubus mit einem Meteorstein an der Kante, durch den auf die extraterristische Herkunft des Heiligtums hingewiesen wird, ist innen leer geräumt. Der Raum soll frei sein für Gottes Gegenwart. So wie ein Vakuumkubus kein Licht reflektiert, sondern nach außen schwarz erscheint, ist die Kaaba als Realsymbol des himmlischen Jerusalem entsprechend gestaltet.

Der Koran hat wesentliche Bausteine der Johannesoffenbarung bewahrt. Allerdings ist die Christologie, die in der Lehre vom Lamm Gottes gipfelt, als Jesuanologie konzipiert. Auch die paulinische Christologie mit der Lehre vom himmlischen Jerusalem als unserer Mutter (vgl. Gal 4,26) ist nach dem Rückbau der christlichen Kirche zur Kaaba nicht mehr erkennbar.

Die himmlische Stadt, die Johannes schaut, ist erfüllt von der Herrlichkeit Gottes (vgl. Offb 21,22-22,5), von der es beim Propheten Jesaja heißt: „Mache dich auf, werde licht; denn dein Licht kommt, und die Herrlichkeit des HERRN geht auf über dir! Denn siehe, Finsternis bedeckt das Erdreich und Dunkel die Völker; aber über dir geht auf der HERR, und seine Herrlichkeit erscheint über dir. Und die Heiden werden in deinem Licht ziehen und die Könige zum Glanz, der über dir aufgeht“ (Jes 60,1-3; vgl. Ps 72,10). Weiter heißt es: „Deine Tore sollen stets offen stehen und weder Tag noch Nacht zugeschlossen werden, daß der Reichtum der Völker zu dir gebracht und ihre Könige hergeführt werden“ (Jes 60,11). Und „es werden gebückt zu dir kommen, die dich unterdrückt haben, und alle, die dich gelästert haben, werden niederfallen zu deinen Füßen und dich nennen »Stadt des HERRN«, »Zion des Heiligen Israels«“ (Jes 60,14; vgl. Sach 14,1).

Mit einer gewissen Selbstverständlichkeit macht man diese Verheißungen an der geschichtlichen Stadt Jerusalem fest. Erst nach langen spirituellen und religions¬geschichtlichen Prozessen findet einerseits eine Entkoppelung zwischen der Historie Jerusalems und seiner heilsgeschichtlichen Bedeutung statt, und andererseits ist das irdische mit dem himmlischen Jerusalem bleibend verbunden.

Die Herrlichkeit Gottes hebt alle bisherigen historischen Entwicklungen am Zion in Jerusalem auf, dh. bewahrt und überbietet sie: „Die Sonne soll nicht mehr dein Licht sein am Tage, und der Glanz des Mondes soll dir nicht mehr leuchten, sondern der HERR wird dein ewiges Licht und dein Gott wird dein Glanz sein. Deine Sonne wird nicht mehr untergehen und dein Mond nicht den Schein verlieren; denn der HERR wird dein ewiges Licht sein, und die Tage deines Leidens sollen ein Ende haben“ (Jes 60,19-20; vgl. Offb 21,11).

Das Paradies beginnt, wenn die Herrlichkeit des Herrn aufleuchtet: „Und es wird ein einziger Tag sein – er ist dem HERRN bekannt!-, es wird nicht Tag und Nacht sein, und auch um den Abend wird es licht sein. Zu der Zeit werden lebendige Wasser aus Jerusalem fließen, die eine Hälfte zum Meer im Westen, und so wird es sein im Sommer und im Winter“ (Sach 14,7-8; vgl. Ez 47,1).

Die Schönheit der königlichen Gärten im Reich der Meder und Perser, die hängenden Gärten der Semiramis oder die Gartenanlagen um die fürstlichen Paläste in Phönizien nähren den Traum von Eden, die Hoffnung auf ein ewiges Paradies. „Die Herrlichkeit des Libanon soll zu dir kommen, Zypressen, Buchsbaum und Kiefern miteinander, zu schmücken den Ort meines Heiligtums; denn ich will die Stätte meiner Füße herrlich machen“ (Jes 60,13).

Wer im Lebensbuch des Lammes verzeichnet ist, kommt ins Paradies (Offb 21,27; vgl. Dan 12,1; Jes 4,3). Es ist die Heimat der Heiligen: „Die Heiligen des Höchsten werden das Reich empfangen und werden’s immer und ewig besitzen“ (Dan 7,18; vgl. Dan 7,27). Wer betet, spricht: „Ich aber will schauen dein Antlitz in Gerechtigkeit, ich will satt werden, wenn ich erwache, an deinem Bilde“ (Ps 17,15).

Das Unheilige hingegen ist nicht daran interessiert, in die Nähe Gottes, der ewigen Liebe, zu sein, sondern versucht, sich außerhalb einzuhausen (vgl. Ps 69,29; Jes 52,1).

Die Geschichte von den Bäumen im Paradies ist erzählter Sinn. Da gibt es den Baum des Lebens und den Baum des Erkennens ohne zu sein, was man haben möchte. „Und Gott der HERR ließ aufwachsen aus der Erde allerlei Bäume, verlockend anzusehen und gut zu essen, und den Baum des Lebens mitten im Garten und den Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen“ (Gen 2,9).

Dieser Baum besitzt nicht die Qualität zu sein wie Gott (vgl. Gen 2,17; 3,3-24). Doch durch den Geist der Unterscheidung, der mit ihm verbunden ist, lässt sich durch ihn eine gewisse Gottähnlichkeit erreichen. „Und Gott der HERR sprach: Siehe, der Mensch ist geworden wie unsereiner und weiß, was gut und böse ist. Nun aber, daß er nur nicht ausstrecke seine Hand und breche auch vom Baum des Lebens und esse und lebe ewiglich“ (Gen 3,22)!

Die Alternative von Haben oder Sein erweist sich vor dem biblischen Hintergrund als unangemessen. Nach dem Buch Genesis lautet die Alternative: Haben/Erkennen oder Haben/Erkennen und Sein. Der Baum der Einheit von Erkennen und Sein ist der Baum des Lebens! Die Katastrophe schlechthin wäre, wenn die Umfunktionierung des Baumes des Lebens zu einem Baum des Habens passieren könnte. Es wäre beständiges Leben nach dem Muster der Habe, ein Existieren ohne zu sein!

Der Baum des Lebens wurde daher in der ersten Schöpfung von Gott geschützt, damit sich die Menschen an ihm nicht so vergreifen können, dass er im Strudel des egozentrierten Erkennens und Machens, des Wissen und Wollens, verschwindet. Der Geschenkcharakter der Schöpfung sollte prinzipiell erhalten bleiben.

Im Strom des Paradieses fließt das Wasser des Lebens (vgl. Ez 47, 6-7; Gen 2,10). „Und an dem Strom werden an seinem Ufer auf beiden Seiten allerlei fruchtbare Bäume wachsen; und ihre Blätter werden nicht verwelken, und mit ihren Früchten hat es kein Ende. Sie werden alle Monate neue Früchte bringen; denn ihr Wasser fließt aus dem Heiligtum. Ihre Früchte werden zur Speise dienen und ihre Blätter zur Arznei“ (Ez 47,12).

Der Baum mit Blättern lässt sich als Metapher der heilsamen Sprache verstehen. So ist im Japanischen das Wort für Blätter zugleich das Wort für Sprache (jap. kotoba). Denn das Blatt hat eine offenbare und eine verborgene Seite. Je mehr Offenbarung stattfindet, desto mehr geschieht auch Verbergung.

Gott ist das verborgene, sich offenbarende Geheimnis. Jesus Christus, die Selbstoffen¬barung Gottes im Geist und Wort, ist zugleich der, in dem unendlich viel verborgen ist. Im Brief an die Gemeinde in Kolossä, der auch in Laodizea vorgelesen werden soll (vgl. Kol 4,16), heißt es vom Apostel Paulus: „Ihr sollt wissen, was für einen schweren Kampf ich für euch und für die Gläubigen in Laodizea zu bestehen habe, auch für alle anderen, die mich nie gesehen haben. Sie sollen getröstet werden und in Liebe zusammenhalten, um die tiefe und reiche Einsicht zu erlangen und das göttliche Geheimnis zu erkennen, das Christus ist. In ihm sind alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis verborgen“ (Kol 2,1-3).


Sonntag der Prophetie

Allein die Tatsache, dass in der Johannesoffenbarung von so vielen Engeln die Rede ist, wie in keinem anderen biblischen Buch, macht sie zu einem spirituellen Buch par excellence. Es handelt sich um ein prophetisches Buch, das am Ende der christlichen Bibel den Blick in die Zukunft lenkt (vgl. Dan 2,28). Zukunft ist schon im ersten Buch der Bibel ein Thema: Vom Baum des Lebens zum Segen Jacobs für seine Söhne spannt sich der Bogen (vgl. Gen 2,9; 3,22; 49,1).

Am Engel der Prophetie (Offb 22,6-15) lässt sich exemplarisch ablesen, was jeder Engel auf seine Weise bewirkt. Dabei ist es nicht uninteressant zu wissen, dass das griechische Wort deikmimi sowohl mit dem deutschen Wort zeigen wie mit dem lateinischen Wort dicere, dh. sagen, sprachlich ganz nah verwandt ist. Die Vermittlung dessen, was zukünftig sich ereignen wird, kann sowohl in einer visionären Schau als auch einem prophetischen Wort erfasst werden.

Die Sendung eines Engels besteht darin, dass geistige Wirklichkeiten erkannt und unterschieden werden, damit der Mensch sich jeweils angemessen verhalten kann (vgl. Offb 22,8-9). Daher thematisiert die Ethik das Verhalten des Menschen im Beziehungsgefüge innerhalb der geschaffenen Welt, das Gebet hingegen ist die Weise, das Verhältnis zur ungeschaffenen Wirklichkeit zu gestalten. Sowohl Ethik wie Gebet wurzeln in spirituellen Erfahrungen, die in den Offenbarungen der Heiligen Schrift ausbuchstabiert worden sind.

Da nun vom Baum der Unterscheidung von Gut und Böse gegessen ist (Gen 3,6), verläuft die Rückkehr ins Paradies gemäß der Unterscheidung der Geister. Spirituelle Handreichungen, angefangen vom Hirt des Hermas über die Exerzitien des Ignatius von Loyola bis hin zu aktuellen geistlichen Übungsbüchern befassen sich mit den Machenschaften des bösen Engels, damit der Exerzitant durch Trost und Misstrost hindurch leichter seinen Lebensweg findet.

Der Geist der Prophetie, durch das Zeugnis Jesu (vgl. Offb 19,10; 22,7) führt in die positive Zukunft, ins ewige Leben. Die Falschprophetie hingegen verleitet dazu, die Gegenrichtung einzuschlagen. Immer wieder ergeht daher die Aufforderung genau hinzuschauen, was der Fall ist: „Viele werden gereinigt, geläutert und geprüft werden, aber die Gottlosen werden gottlos handeln; alle Gottlosen werden’s nicht verstehen, aber die Verständigen werden’s verstehen“ (Dan 12,10).

Jegliches Verhalten hat Konsequenzen (vgl. Ps 28,4). Christologisch kann es eine Weise der Nachfolge Christi sein (lat. consequi, dt. nachfolgen) oder gegenwendig verlaufen. Theologisch gesehen führt es zu Gott als dem Ursprung und Ziel – er ist das Alpha und Omega (vgl. Jes 44,6) – oder versucht ursprungs- und ziellos in der Binnentranszendenz der Welt zu verharren bzw. sich zu agieren.

Die Prophetie der Johannesoffenbarung soll im Unterschied zum Buch Daniel nicht versiegelt werden (vgl. Offb 22,10; Dan 12,4). Denn die letzte Zeit hat begonnen, von der Sacharja kündet: „Freue dich und sein fröhlich, du Tochter Zion! Denn siehe, ich komme und will bei dir wohnen, spricht der HERR“ (Sach 2,14). Die entsprechende Prophetie bei Jesaja lautet: „Siehe, da ist Gott der HERR! Er kommt gewaltig, und sein Arm wird herrschen. Siehe, was er gewann ist bei ihm, und was er sich erwarb, geht vor ihm her“ (Jes 40,10).

Gegen Ende der Johannesoffenbarung werden die Verheißungen, die in den sieben Gemeinden angekündigt wurden, wieder aufgegriffen: Im himmlischen Jerusalem sind sie erfüllt. Dort steht der Baum des Lebens, auf den sich die Verheißung in der Gemeinde von Ephesus bezog (vgl. Offb 2,7; 22,2). Für die Gemeinde von Smyrna ist der Feuersee, der zweite Tod, jetzt endgültig außerhalb ihrer Zukunftsmöglichkeiten (vgl. Offb 2,11; 22,15). Die himmlische Nahrung, von der in der Gemeinde von Pergamon die Rede war, gibt es nun beständig (Offb 2,17; 22,1). Über der Gemeinde von Thyatira ist der Stern endgültig aufgegangen (Offb 2,26; 22,16).

Angetan mit weißen Kleidern leben im neuen Jerusalem jene, von denen die Verheißung an die Gemeinde von Sardes gegolten hat (Offb 3,5; 22,14). Wer aus der Gemeinde von Philadelphia jetzt Gott schaut, dem ist auch der verheißene neue Name gegeben (Offb 3,12; 22,4). Und der Thronsitz, der in der Gemeinde von Laodizea versprochen wurde, steht in der himmlischen Stadt Jerusalem (Offb 3,21; 22.1.3).

Ins Persönliche gewendet könnte man sich fragen, welche Visionen und Prophezeiungen die eigenen Zukunftspläne bestimmen. Denn von dort her lassen sich Entscheidungen treffen, die den eigenen Alltag gegebenenfalls neu strukturieren. Wieviel Zeit man sich für was nimmt, hat mit der Frage zu tun, aus welcher Hoffnung man lebt.


Sonntag der Jesusbegegnung

Die geistige Begegnung mit Jesus, der seinen Engel gesandt hat, ist nun das zentrale Thema der Betrachtung (Offb 22,16-17). Was bei der Hochzeit von Kana begonnen hat, jener großen Szene, in der sich Jesus mit seiner Bibelschule verlobt bzw. vermählt hat (Joh 2,1-12), das findet seine Vollendung beim himmlischen Hochzeitsmahl, von dem der irdische Jesus in seinen Gleichnissen erzählt hat (vgl. Mt 22,1-14; Lk 14,15-24).

Die Weissagung des Bileam, der dem Moabiterkönig Balak nicht zu willen war, Israel zu verfluchen, erhellt die Identität Jesu. „Es sagt Bileam, der Sohn Beors, es sagt der Mann, dem die Augen geöffnet sind, es sagt der Hörer göttlicher Rede und der die Erkenntnis des Höchsten hat, der die Offenbarung des Allmächtigen sieht und dem die Augen geöffnet werden, wenn er niederkniet: Ich sehe ihn, aber nicht jetzt, ich schaue ihn aber nicht von nahem. Es wird ein Stern aus Jakob aufgehen und ein Zepter aus Israel aufkommen und wird zerschmettern die Schläfen der Moabiter und den Scheitel aller Söhne Sets“ (Num 24,15-17).

Der Stern über Bethlehem wurde zum Zeichen, dass die Welt des Fluches, den Balak über Israel bringen wollte, an Jesus scheitert, ja mehr noch, der Grund, aus dem der Fluch stammt, wird restlos beseitigt. Das Leben Jesu zeigt: Am Kreuz hat er die Fluchgeschichte zu Ende gebracht. Daran wird offensichtlich, dass er die Thora als Heilige Schrift versteht und sie spirituell praktiziert.

Jede materialistische, kriegerische Bibelauslegung greift hermeneutisch zu kurz. Die Agressivität Jesu ist anders. Er praktiziert gewaltfreien Widerstand. „Simon Petrus aber, der ein Schwert hatte, zog es, traf den Knecht des Hohenpriesters und schlug ihm das rechte Ohr ab; der Knecht hieß Malchus. Da sagte Jesus zu Petrus: Steck das Schwert in die Scheide! Soll ich den Kelch, den mir der Vater gegeben hat, nicht trinken“ (Joh 18,10-11)?

Die Jünger und Jüngerinnen Jesu sind nach ihren Ostererfahrungen überzeugt, dass durch ihn das Friedensreich des Messias aufgerichtet wurde, das Jesaja verkündet hat. „Und es wird ein Reis hervorgehen aus dem Stamm Isais und ein Zweig aus seiner Wurzel Frucht bringen. Auf ihm wird ruhen der Geist des HERRN, der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Furcht des HERRN. … Und es wird geschehen zu der Zeit, daß der Reis aus der Wurzel Isais dasteht als Zeichen für die Völker. Nach ihm werden die Heiden fragen, und die Stätte, da er wohnt, wird herrlich sein“ (Jes 11,1.10).

Der Herrscher der Babylonischen Welt hingegen, der mit Gewalt die Völker unterdrückte, stürzt ins Totenreich hinab. „Wie bist du vom Himmel gefallen, du schöner Morgenstern! Wie wurdest du zu Boden geschlagen, der du alle Völker niederschlugst“ (Jes 14,12)!

Jesus von Nazareth ist der himmlische Bräutigam. In der Mystik der Begegnung rufen der Geist und die Braut nach ihm (vgl.Offb 22,17). Nicht der Geist allein und auch nicht die Braut allein, sondern erst, wenn die Braut spirituell bereit ist – das Öl, Chiffre des Messias, in ihrer Lampe brennt (vgl. Mt 25,7) – und der Geist in ihr sich entsprechend materialisiert, ist der Augenblick nahe, auf den die zehn Jungfrauen warteten (vgl. Mt 25,1-13). In einer wechsel¬seitigen dreifachen Unverfügbarkeit, nämlich des Geistes, der Braut und Jesu, entsteht jenes Begegnungsgefüge der Freiheit, in dem die himmlische Seligkeit zustande kommt.

Was heißt dies für den eigenen geistlichen Übungsweg? Die intensivste Leben-Jesu-Betrachtung im eigenen biographischen Werdegang sollte kontemplativ wiederholt werden, um das innere Gespräch mit ihm neu aufzunehmen.

Ähnlich wie die Stadtgöttin mit ihrer Mauerkrone eine Allegorie der Stadt war, etwa die Roma von Rom, die jungfräuliche Athene von Athen oder die Kommagene mit ihrem Füllhorn, die in der Reihe der Götter auf dem Nemrud Dağ thront und das Königreich Kommagene darstellt, so lässt sich das neue Jerusalem als himmlische Braut versprachlichen. Allerdings eröffnet die christliche Brautmystik über ein allegorisches Verständnis hinaus die Möglichkeit, sowohl eine einmalige, zutiefst persönliche Beziehung mit Jesus einzugehen wie auch ein Wir zu bilden, das in Liturgie und Alltag vor ihm miteinander da ist. Diese Vergesellschaftung geschieht um seinetwillen. So wird die christliche Gemeinde bzw. die Kirche zum Abbild des himmlischen Jerusalem.

Das Wort Jesu, der den Propheten Jesaja zitiert, gilt sowohl individuell als auch gesellschaftlich: „Am letzten Tag, dem großen Tag des Festes, stand Jesus da und rief: Wer durstig ist, kommt zu mir und trinke! Wer an mich glaubt, dem gilt, was die Schrift gesagt hat: Aus seinem Inneren werden Ströme von lebendigem Wasser hervorfließen. Dies sagte er von dem Geist, den alle empfangen sollten, die an ihn glauben; denn noch gab es nicht den Geist, weil Jesus noch nicht verherrlicht war“ (Joh 7,37-39; vgl. Jes 55,1; Sach 14,8).


Sonntag der Heiligen Schrift

Das intensive Studium der Bibel prägte zu Beginn der Neuzeit die abendländische Christen¬heit. Christus allein (solus Christus), durch den die einzigartige Gnade Gottes offenbar wurde (sola gratia), worauf nur der Glaube angemessen antworten kann (sola fide), wird allein auf die Heilige Schrift hin ausbuchstabiert (sola scriptura). In der Johannesapokalypse ist dieses Prinzip formuliert, dessen Verständnis während der Reformationszeit zum Kriterium der richtigen Konfession gemacht wurde (vgl. Offb 22,18-19).

Jesus Christus bezeugt: Die Johannesoffenbarung ist sein Buch, sein ewiges Evangelium (vgl. Offb 22,18). Wie zu erwarten reichen die Wurzeln, eine aufgeschriebene Offenbarung als Heilige Schrift zu akzeptieren, bis in die Thora zurück. Dort heißt es von Mose im Buch Deuteronomium: „Und nun höre, Israel, die Gebote und Rechte, die ich euch lehre, daß ihr sie tun sollt, auf daß ihr lebt und hineinkommt und das Land einnehmt, das euch der HERR, der Gott eurer Väter gibt. Ihr sollt nichts dazutun zu dem, was ich euch gebiete, und sollt auch nichts davontun, auf daß ihr bewahrt die Gebote des HERRN, eures Gottes, die ich euch gebiete“ (Dtn 4,1-2; vgl. Dtn 13,1).

Im Buch der Sprüche wird dieses theologische Grundprinzip einer Buchreligion so selbstverständlich wie eine allgemeine Volksweisheit tradiert. „Alle Worte Gottes sind durchläutert; er ist ein Schild denen, die auf ihn trauen. Tu nichts zu seinen Worten hinzu, daß er dich nicht zur Rechenschaft ziehe und du als Lügner dastehst“ ( Spr 30,5-6).

Die Frage nach den Sanktionen bei Nichtbeachtung dieses Prinzips wird schon im Buch Deuteronomium behandelt: „Einem solchen Mann wird der HERR nicht gnädig sein, sondern sein Zorn und Eifer wird entbrennen gegen ihn, und es werden sich auf ihn legen alle Flüche, die in diesem Buch geschrieben sind, und seinen Namen wird der HERR austilgen unter dem Himmel und wird ihn zum Unheil absondern aus allen Stämmen Israels nach allen Flüchen des Bundes, der in dem Buch dieses Gesetzes geschrieben ist“ (29,19-20).

Die neutestamentliche Fassung des Prinzips Heilige Schrift orientiert sich im Hinblick auf die Sanktionierung am Ziel, dessen Erreichung gefährdet ist, sobald der Weg des Evangeliums verlassen wird, das in der Johannesoffenbarung verkündet wird (vgl. Offb 14,6; 22,19).

Eines bleibt bei dem Gesagten, das fundamentalistisch missverstanden werden kann, natürlich selbstverständlich: Eine Heilige Schrift ist nur dann eine Heilige Schrift, wenn sie in der lebendigen Beziehung zum HEILIGEN – und Gott ist Geist – normativ gelesen wird. Ohne Gottesbezug ist eine sogenannte Heilige Schrift einfach religiöse Literatur, ein Objekt allerlei hermeneutischer Künste. Sie sind dann für das Glaubensverständnis relevant, wenn sie der Wahrheit und dem Gebet dienen.

Es kommt also alles darauf an, die Wörter und Buchstaben im Geist der jeweiligen Inspiriertheit zu erfassen. So kann man die Thora im Geist des Mose verstehen und den Koran im Sinne des menschenfreundlichen Erzengels Gabriel, der Mohammed nach dem Zeugnis seiner Frau Aischa inspiriert hat. Für Christen werden die hebräische Bibel und die neutestamentlichen Schriften im Geiste Jesu Christi zu verstehen und auszulegen sein. Jesus von Nazareth ist restlos erfüllt vom Geist des Messias und verkündet das Evangelium vom Reich Gottes. Er legt die Bibel christlich aus. Wann wirkt sein Geist? Wo wirkt sein Geist? Wer vermag im Geist des reinen Evangeliums die Heilige Schrift auszulegen? Wes Geistes Kind ist jemand?

Die Johannesoffenbarung behandelt die Frage nach der Zukunft aus der Perspektive der Ewigkeit. Der im Geist wiederkehrende Christus ist der Ursprung des letzten Buches der Heiligen Schrift der Christen. In diesem Sinn ist christliche Spiritualität die Geisteswissenschaft der Zukunft.

Zuguterletzt wird am Ende der Johannesapokalypse noch einmal auf das erste Buch Mose zurückgegriffen (vgl. Gen 2,9; 3,22). Damit wird deutlich, dass der Mensch mit dem Geist der Unterscheidung begabt ist. Er weiß um den Baum von Gut und Böse. Entscheidungen stehen an.

Der Baum des Lebens steht vor ihm. Jesus Christus schenkt Anteil an diesem Baum (Offb 2,7). Er lässt teilhaben an dem, was ihn ausmacht, an seinem Wesen(Offb 2,27). Er ist jener, der sich bis ans tote Holz des Kruzifixes und in die Buchstäblichkeit hinein entäußert hat. Von dort her kehrte er ins ewige Leben heim, angetan mit der Herrlichkeit der Auferstandenen. Sein Geist ist der Geist der Freiheit, nicht der Beliebigkeit und auch nicht der Willkür. Um den Apostel Paulus zu zitieren: „Wir haben durch Christus so großes Vertrauen auf Gott. Freilich sind wir dazu nicht von uns aus fähig, so daß wir selber uns etwas zuschreiben könnten; unsere Befähigung stammt vielmehr von Gott. Er hat uns fähig gemacht, Diener des Neuen Bundes zu sein, und zwar nicht des Buchstabens, sondern des Geistes. Denn der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig. … Der Herr aber ist der Geist, und wo der Geist des Herrn wirkt, da ist Freiheit“ (2 Kor 3,4-6.17).

Wer glaubt, dass er durch Christus in der ersten Schöpfung zur Freiheit befreit ist (vgl. Gal 5,1), strebt nach dem Garten des Paradieses in der himmlischen Stadt Jerusalem, um sich vom Baum des Lebens beschenken zu lassen. Denn Freiheit will restlos bei der absoluten Freiheit, dem HEILIGEN, ankommen. Die Abhängigkeit vom UNABHÄNGIGEN ist die Unabhängig¬keit des Abhängigen. Nur so kann die Vergottung des Menschen wahr werden.


Christi Himmelfahrt

Die Himmelfahrt Jesu Christi ist das Fest der Heimkehr dieses Menschen der Menschheit in die Tiefe der Gottheit Gottes. Welche Hoffnung entspringt aus der Verheißung Christi, dass er zurückkehrt (vgl. Offb 22,20a)! Wie anders könnte darauf geantwortet werden als so, dass er dies in Wahrheit tun möge (vgl. Offb 22,20b).

Mit dem unüberbietbaren Segenswunsch des Johannes, dem Theologen auf Patmos, klingt die Heilige Schrift aus: „Die Gnade des Kyrios Jesus sei mit allen“ (Offb 22,21). Seine Gnade ist die Wahrheit des Evangeliums, das er in Gottes Namen verkündet hat. Im Gleichnis vom barmherzigen Vater und seinen beiden Söhnen ist es auf den Punkt gebracht. Angesichts der Lebenstragödien der beiden Söhne bleibt Gott sich gleich: einladende, barmherzige Liebe (vgl. Lk 15,11-31).

Kyrie eleison, Christe eleison, Kyrie eleison. Herr erbarme dich, Christus erbarme dich, Herr erbarme dich. Schenke uns Anteil an deiner Barmherzigkeit (vgl. Mt 5,48)!

Leseordnung zur Johannesoffenbarung

Wegen des wandernden Ostertermins ändert sich jedes Jahr etwas die Verteilung der Sonntage in der Leseordnung. Dem kann problemlos Rechnung getragen werden, indem die Textmenge des Sonntags mit den sechs Siegeln und dem Sonntag mit den vier Posaunen auf mehrere Sonntage verteilt werden. Die Sonntage der Unterscheidung lassen sich in ähnlicher Weise zusammenfassen. Außer der Palmhütte, die am Ostertermin hängt, finden die anderen Hütten immer zu den selben Terminen statt.

1. Nach Christi Himmelfahrt (1,1-3)
2. Sonntag vor Pfingsten (1,4-8)
3. Pfingstsonntag (1,9-10)
4. Dreifaltigkeitssonntag (1,11-1,19)
5. Sonntag der sieben Gemeinden (1,20)
6. Sonntag der Gemeinde von Ephesus (2,1-6)
7. Sonntag der ersten Verheißung (2,7)
8. Sonntag der Gemeinde von Smyrna (2,8-10)
9. Sonntag der zweiten Verheißung (2,11)
10. Sonntag der Gemeinde von Pergamon (2,12-16)
11. Sonntag der dritten Verheißung (2,17)
12. Sonntag der Gemeinde von Thyatira (2,18-25)
13. Sonntag der vierten Verheißung (2,26-29)
14. Sonntag der Gemeinde in Sardes (3,1-4)
15. Sonntag der fünften Verheißung (3,5-6)
16. Sonntag der Gemeinde in Philadelphia (3,7-11)
17. Sonntag der sechsten Verheißung (3,12-13)
18. Sonntag der Gemeinde von Laodizea (3,14-20)
19. Sonntag der siebten Verheißung (3,21-22)
20. Sonntag des thronenden Christus (4,1-11)
21. Sonntag des göttlichen Lammes (5,1-14)
22. Sonntag der sechs Siegel (6,1-17)
23. Sonntag des geretteten Israel (7,1-8)
24. Sonntag der geretteten Völker (7,9-17)
25. Sonntag des siebten Siegels (8,1-5)
26. Sonntag der vier Posaunen (8,6-13)
27. Sonntag der fünften Posaune (9,1-12)
28. Sonntag der sechsten Posaune (9,13-21)
29. Sonntag der himmlischen Schriftrolle (10,1-11) (1. Adv.)
30. Sonntag des preisgegebenen Tempels (11,1-2) (2. Adv.)
31. Sonntag der prophetischen Zeugen (11,3-14) (3. Adv.)
32. Sonntag der siebten Posaune (12,14-19) (4. Adv.)
33. Weihnachten (12,1-6)
34. Sonntag der spirituellen Unterscheidung (12,7-12)
35. Sonntag der irdischen Unterscheidung (12,13-18)
36. Sonntag der politischen Unterscheidung (13,1-10)
37. Sonntag der religiösen Unterscheidung (13,11-15)
38. Sonntag der ökonomischen Unterscheidung (13,16-18)
39. Sonntag des Heiligen Zion (14,1-5)
40. Aschermittwoch (14,6-7)
41. Sonntag des göttlichen Heilsgerichts (14,8-20)
42. Sonntag der sieben Plagen (15,1-15,8)
43. Sonntag der sieben Zornschalen (16,1-21)
44. Sonntag der sieben Hügel (17,1-18)
45. Sonntag des babylonischen Weltuntergangs (18,1-24)
46. Sonntag des himmlischen Jubels (19,1-12)
47. Montag des blutgetränkten Gewandes (19,13a)
48. Dienstag des Heiligen Krieges (19,13b-15)
49. Mittwoch des Königs der Könige (19,16)
50. Donnerstag des großen Mahles (19,17-18)
51. Freitag des Sieges Christi (19,19-21)
52. Samstag des Abgrunds (20,1-15)
53. Ostersonntag (21,1-4)
54. Ostermontag (21,5-8)
55. Sonntag des Himmlischen Jerusalem (21,9-21)
56. Sonntag der Herrlichkeit Gottes (21,22-22,5)
57. Sonntag der Prophetie (22,6-15)
58. Sonntag der Begegnung mit Jesus (22,16-17)
59. Sonntag der Heiligen Schrift (22,18-19)
60. Christi Himmelfahrt (22,20-21)
Vier biblische Hütten

Viermal im Jahr bietet das Johanneshaus auf Hof Beutzen die Möglichkeit an, den Intensiv¬kurs Spiritualität zur Johannesoffenbarung durch Seminartage mit biblischen Hütten zu vertiefen.

1. Schöpfungshütte

Der Prophet Jesaja verkündet, was Gott spricht: „Denn siehe, ICH will ein Neues schaffen, jetzt wächst es auf, erkennst ihr’s nicht?“ (Jes 43,19). Und einige Kapitel später lesen wir: „ICH will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen, dass man der vorigen nicht mehr gedenken und sie nicht mehr zu Herzen nehmen wird“ (Jes 65,17a).

Johannes sieht auf Patmos diesen neuen Himmel und diese neue Erde (vgl. Offb 21,1). Aus österlicher Perspektive schreibt er seine Apokalypse. Sie bildet den roten Faden, anhand dessen man einen Jahreskreis geistlich gestalten kann.

Eine gemeinsame biblische Schwitzhütte ist ein guter Anfang, sich Vers für Vers auf das ewige Evangelium einzulassen. Christi Himmelfahrt könnte man damit beginnen. Denn die folgenden zehn Tage stehen dann für die textliche Rezeption der Johannesapokalypse (vgl. Offb 1,1-1,8) zur Verfügung. Und es ist genügend Zeit für die persönliche Vorbereitung auf den Pfingstsonntag, den Festtag des Heiligen Geistes. Dieser ist der GEIST, der den hl. Johannes am Tag des Herrn, am Sonntag also, ergriff (vgl. Offb 1,9-10). Patmos wurde zum Ort der Erfahrung des neuen Jerusalem.

Wenn man den Schamanismus nicht als primitive Religion, sondern als spirituelle Kraft- und Energielehre zu verstehen sucht, kann man wesentliche Elemente schamanischer Tradition für das eigene Schöpfungsverständnis übernehmen. Indianische Schwitzhütten ermöglichen einen Zugang, um in sehr archaischer Weise den Kosmos und die eigene Lebenswelt als geschaffene Wirklichkeiten zu erleben. Natürlich müssen nicht zuerst Indianersprachen gelernt werden, um an menschheitlichen Kulturgütern zu partizipieren. Totem und Tabu sind auch Parolen von Sigmund Freud. Die Welt der Krafttiere – nicht nur in der Heraldik – und achtsames Verhalten gehören zum Menschsein.

Wer schon öfter an verschiedenen Formen von Schwitzhütten teilgenommen hat und davon überzeugt ist, selbst eine leiten zu können, wird mit interessierten Menschen eine eigene Hütte bauen. Vorher sollte man sich die Zustimmung von Personen einholen, die seit Jahren Schwitzhüttenzeremonien durchführen. Es ist selbstverständlich, dass die Leitung mit entsprechender Verantwortung verbunden ist.

Wenn die Entscheidung für eine Schwitzhütte gefallen ist, geht es zunächst darum, einen guten Platz zu finden, der auch von seiner natürlichen Beschaffenheit her dafür geeignet ist. Dabei ist darauf zu achten, dass ein großes Feuer gemacht werden kann, um die Steine zu erhitzen, die anschließend in der Mitte der Hütte gelagert werden. Sie sollen für vier Durchgänge reichen. Vieles geschieht rituell. Die Dimension des Symbolischen wird berücksichtigt. Gebete, Texte und Lieder gehören dazu.

Die Hütte wird aus Weidenästen und Decken errichtet. In ihr versammeln sich die Teil¬nehmer. Erzählungen, Erinnerungen, Bekenntnisse, Wünsche und Hoffnungen kommen zur Sprache. Es gibt Phasen des Dankens, des Bittens, des Weitergebens und des Annehmens. Das intensive Miteinander, das durch Kräuteraufgüsse gesteigert wird, wirkt sich kathartisch aus. Um Reinigung geht es.

Je größer die spirituelle Offenheit der Teilnehmer ist, desto leichter kommt es zu psychisch überraschenden Erfahrungen. Das eigene Leben kehrt positiv in die gute Schöpfungsordnung zurück. Vertrauen und Glauben bekommen neue, existentielle Tiefe. Denn für die Welt des Prinzipiellen, Elementaren, des Vegetativen, des Kosmischen, des Animalischen, des Menschlichen und des Göttlichen gibt es Zeit und Raum. Eine Schöpfungshütte ist ein guter Ort, sich seines Geschaffenseins neu bewusst zu werden. Nicht mehr, aber auch nicht weniger ist das Ziel einer solchen gemeinsamen Zelterfahrung.

Mit dem ersten Seminar, bei dem eine Schöpfungshütte gebaut und genutzt wird, beginnt der einjährige Exerzitienkurs 2008/9 anhand der Johannesapokalypse. Thematisiert werden die johanneische Weltsicht und die biblische Zahlensymbolik.


2. Engelhütte

Was Engel sind und wer Engel sind, darüber gibt es viele philosophische Diskussionen. Mancher plädiert für überindividuelle Gestaltkräfte im psychologischen Sinn, andere halten jeden Engel für eine eigene Spezies, wieder andere für geistige Wesen, die mit Menschen in Beziehung treten können. Sind sie personifizierte Grundkräfte einer vergangenen Epoche oder überirdische Intelligenzen aus dem Weltraum? Wie werden die Spuren von Engeln wahrnehmbar?

In der jüdischen Religion sind Engel auf die Transzendenz Gottes hin offene Wesen und können im Leben der Menschen eine befreiende Rolle spielen. Anders hingegen ist es um den griechisch-römischen Götterhimmel bestellt. Über Götter und Menschen waltet unerbittlich das Schicksal. Im christlichen Glaubensverständnis werden Götter zu Gegenspielern der Engel. Während Engel einen positiven Gottesbezug haben, ordnen sich Götter von sich her nicht dem einen Gott zu. Sie sind gleichsam aus der ursprünglichen Schöpfungsordnung herausgefallen. Gefallene Engel, Götter bzw. Dämonen sind in dieser Perspektive Feinde der guten Engel und der Menschen, die in Gottes Namen leben möchten.

Wie Schatten korrespondieren mit den lichten Engeln (Raguel, Gabriel, Suriel, Uriel, Michael, Yerachmiel, Rafael) böse Geister. Wie ist dem Geist der Gewalt zu begegnen? In einer teuflischen Welt wird immer wieder an der Spirale der Gewalt gedreht. Welche diabolische Versuchung steckt hinter krankmachenden Traditionen und der halben biblischen Wahrheit, die zur Verwirrung führt? Warum steigert die dämonische Dynamik okkulter Kräfte die Furcht und Angst? Man ist wie gebannt von einer gespenstischen Welt.

Welcher luziferische Abgrund tut sich hinter menschenverachtenden Illusionen auf? Wer hält die vielköpfigen bösen Drachen nieder, damit man nicht der verschlingenden Gier und Sucht erliegen muss? Wodurch kommt satanische Bosheit an ein Ende? Wie wird man frei vom Geist der Lüge? Was bringt Mammon um seinen Einfluss auf Menschen, die besessen sind von ihrem Besitz oder irgendeiner anderen Realität? Auch wenn böse Geister im Grunde dieselbe Wurzel haben, so ist es doch nützlich, sie zu unterscheiden, weil man so leichter zu einem jeweils angemessenen Verhalten kommen kann. Wo besteht die Gefahr? Wie kann man sich schützen? Der Epheserbrief weist uns ein (Eph 6,10-11).

Archäologische und kosmologische Forschungen haben eine Identifizierung der Engel ermöglicht. Je ausführlicher man sich mit den sieben Engeln und den sieben Gemeinden der Offenbarung des Johannes befasst, desto mehr geheimnisvolle Zusammenhänge werden offensichtlich. Der Christushymnus im Brief an die Kolosser fokussiert die sichtbaren und unsichtbaren Welten auf die Herzmitte der Schöpfung hin (vgl. Kol 1,13-20).

In alttestamentlicher Perspektive wird eines deutlich: Engel erscheinen am Anfang von Neuem. Verkündigung und Sendung ist ihr Thema. Um Gnade und Freiheit geht es. Vom Engel Gabriel, der Maria erschienen ist (Lk 1,26-38), über den Engel vom Himmel, der Jesus in Gethsemane stärkte (Lk 22,43) bis zu den zwei weiß gekleideten Engeln im Grabe Jesu (Joh 20,12) und den sieben Engeln, die Sorge tragen für die sieben apokalyptischen Gemeinden (Offb 2,1-3,22), spannt sich der Bogen, auf dem Gott seine Bundestreue realisiert.


3. Sternenhütte

Mit welchen mathematischen Formeln von Endlichkeit und Unendlichkeit machte Pythagoras die Menschen vertraut? Sein Lehrsatz c2 = a2 + b2 gehört noch heute zum schulischen Grundwissen. Er begriff, dass es fünf symmetrische Raumkörper gibt, nämlich das Tetraeder, den Kubus, das Oktaeder, das Ikosaeder und das Dodekaeder. Im pythagoreischen Denken steht das Dodekaeder für die Substanz der Himmelskörper. Der Pythagoreer Hippasius veröffentlichte das Geheimnis der Kugel mit den zwölf Fünfecken.

Pythagoras lebte auf der griechischen Insel Samos. In einer Höhle auf dem Kerkis studierte er. Auf Samos wurde Hera, die Gemahlin des höchsten Gottes, in ihrem Granatapfelhain verehrt. Wenig ist von ihrem Tempel erhalten. Wie spiegelte das Heiligtum den olympischen Himmel?

Gegenüber von Samos liegt auf dem kleinasiatischen Festland die St. Paulsbucht und in Sichtweite befindet sich Patmos, das Herzstück der Dodekanes, einer Inselgruppe in der Ägäis. Was mag sich Paulus gedacht haben, wenn er an die Galater, die Kelten Kleinasiens, von der Fülle der Zeit geschrieben hat (vgl. Gal 4,4) und vom himmlischen Jerusalem, das er als unsere Mutter bezeichnet (vgl. Gal 4,26)? Und wie erlebte Johannes auf Patmos das himmlische Jerusalem (vgl. Offb 21,1-3)? Welche Bedeutung hat die kosmische Weihnacht in seiner Offenbarung (vgl. Offb 12,3-6)?

Im Dezember ist die Zeit der Wintersonnenwende. Die Yeziden feiern das Ida-Ezi-Fest, das seinen Ursprung im Mithraismus hat. Da die Sonnenenergie im Feuer verehrt wird, nannte man sie Feueranbeter, was natürlich so nicht stimmt. Bei den Römern war der höchste Staatsfeiertag das Fest des Sol invictus, der unbesiegbaren Sonne. Im westlichen Christentum wird an Weihnachten die Geburt Jesu Christi gefeiert. Er ist für die Christen die Sonne der Gerechtigkeit, die durch Gottes Gnade zustande kommt.


4. Palmhütte

In der Offenbarungsgeschichte Israels war es ein langer Weg von der Stiftshütte bis zur Heiligen Stätte für die Völker. Am Palmsonntag zog Jesus in Jerusalem ein (Joh 12,1-13). In Gottes Namen hatte er den Hof der Völker im Tempelbezirk von Jerusalem wieder zu einem Ort des Gebets gemacht (Joh 2,13). Die Wallfahrt der Völker zum Zion konnte stattfinden.

Nach der Zerstörung des Tempels bleibt die Anbetung in Geist und Wahrheit übrig (Joh 4,23). Die biblische Hütte, die das himmlische Jerusalem symbolisiert, ist der Platz, an dem nicht nur der Kreisläufe der Natur gedacht wird, sondern auch des neuen Anfangs, der mit Jesus Christus in die Welt gekommen ist. Zu diesem Zweck wird eine bearbeitete Holzstele errichtet, die an den Lebensbaum erinnert, von dem Christus zu essen gibt (Offb 2,7).

Stelen haben in der Menschheitsgeschichte eine lange Tradition. Holzstelen erinnern die an die Tradition indianischer Totempfähle. Sie visualisieren, wie eine bestimmte Gruppe bzw. eine Sippe oder ein Stamm die eigene Herkunftsgeschichte versteht.

Die armenischen Steinstelen aus dem 5. – 7. Jahrhundert n. Chr. hingegen bringen zum Ausdruck, dass am Ort ihrer Errichtung eine Initiation von Menschen in eine neue spirituelle Großfamilie statt¬gefunden hat (vgl. Mt 12,49-50). Auf solchen Stelen findet man Darstellungen von Jesus Christus, Maria, Engeln und Heiligen. Die christliche Gemeinde will sich nicht nur ihrer irdischen Herkunft und Zukunft, sondern auch ihrer ewigkeitlichen Herkunft und Zukunft vergewissern. Aus den viereckigen Steinstelen haben sich die Khatchkare, die armenischen Kreuzsteine, entwickelt. Die Natur ist der Ort der Schöpfung, der Anbetung Gottes, was sich am kreuz¬förmigen Glockenturm von Haghpat, in architektonisch einmaliger Weise ablesen lässt: Dem konkav gestalteten Viereck des Kircheninnenraums entspricht dem Schöpfungsraum, der durch den konvex bebauten Glockenturm eröffnet wird. Dadurch wird die Natur sakralisiert und die Welt wird zum Tempelbezirk.

Die Palme gedeiht nur im frischen Wasser. Daher wurde sie zum Symbol der Verwurzelung im Ursprung. Mit Palmwedeln bzw. mit Palmkätzchenzweigen der Weiden in unseren Breiten wird der Beginn der Heiligen Woche eingeläutet, die mit dem Bau und der Nutzung einer Weidenhütte gestaltet wird.


Die vier Runden der Palmhütte beginnen am 15. März 2008 um 18.00 Uhr.
Anmeldung: 0 50 52 / 60 85. Das Wochenende Maranatha IV vom 14.-16. März 2008 ist zudem Teil eines Filmprojekts.


Wegen der Termine des Intensivkurses Spiritualität und des entsprechenden Begleitmaterials zu den „Großen Exerzitien im Alltag“ setzen Sie sich bitte in Verbindung mit Karin Höber, Tel. 05805/512, E-Mail: khoeber@email.de

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Tag der Veröffentlichung: 10.01.2009

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