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Laura

Laura und Felix verlassen das Restaurant. Es ist besser zu gehen. Der Regen verstärkt sich. Die Straßen überschwemmen, das Wasser steigt rapide.
Sie würden es sich zu Hause gemütlich machen, um ihren ersten Hochzeitstag in trauter Zweisamkeit zu feiern.
Nachdem sie einige Schritte durch das Wasser gestiefelt sind, küsst er sie innig. Seine Hände ruhen auf ihren nackten Schultern, die das Kleid freigibt.
Auf einmal drückt ihn Laura weg und schaut erschrocken an sich herunter. Das Wasser umspült bereits ihre Knie.
Der Wind bündelt die Regentropfen zu drahtigen Fäden, die er heulend durch die Gasse peitscht. Sie treffen voller Wucht ihre nackte Haut. Ihr ist, als würden Nadeln sie durchlöchern.
Die Kleidung klebt an ihrem Körper, es wird kalt. Triefende Haare klatschen ins Gesicht.
»Was passiert?« Die Angst quetscht ihre Stimme.
»Weiß nicht, die haben vereinzelte Gewitter vorhergesagt, aber sowas nicht.«
Die Panik flackert in ihren Augen. Er drängt: »Komm, lass uns schleunigst ...«
»... nach Hause gehen«, kann Laura noch hören, während sich der Boden unter den Füßen verflüssigt und ihr jeglichen Halt nimmt. Sprudelnde Wassermassen reißen sie in die Tiefe.
Das Nass gluckst dumpf in den Ohren, presst ihre Lungen und spült sie voran. Mitunter stößt die Strömung den willenlosen Körper an die Oberfläche. Es ist extrem dunkel. Laura japst nach Luft, bevor sie wiederholt in den Fluten verschwindet. Plötzlich knallt sie gegen etwas Hartes. Reflexartig greifen ihre Hände in alle Richtungen, suchen Halt. Sie bekommen eine Stange zu fassen. Unter Mühen stemmt sie sich hoch und schnappt nach dem lebensrettenden Sauerstoff.
Aus einem Rohr, das neben ihr aus der Wand ragt, stürzt Wasser in die Tiefe.
War ich etwa da drin?, überlegt sie. Säbel wühlen in ihrem Bauch.
Sie krallt an einer Sprosse und schaut nach oben. Die Leiter verliert sich im finsteren Nichts. Sie steigt tastend hinauf. Ihre Hände dürfen nicht ins Leere fassen, denn die Dunkelheit dämmt die Sicht.
Ihre eigene Stimme, die plötzlich, »Licht, endlich Licht!«, ruft, lässt sie zusammenzucken.
Sie klettert der Öffnung entgegen, die die Freiheit verspricht.
Ein Gitterrost verschließt sie, sodass die Säbel erneut in ihrem Bauch toben.
Keuchend schiebt Laura ihn beiseite und verlässt die Kanalisation.
Sie atmet auf und findet sich in einem überfluteten Park wieder, den sie erkennt. Die Wohnung wartet in greifbarer Nähe. Konzentriert watet sie vorwärts, denn ihr graust, nochmals in die Tiefe gezogen zu werden ....

Ein eindringliches Klingeln weckt sie.
Wie, was, was ist passiert? Verwundert betrachtet sie ihr nasses Kleid, dem ein unangenehmer Geruch entströmt. Sie sitzt im Wohnzimmersessel, wo sie eingeschlafen sein muss.
Es klingelt Sturm.
Vor der Tür stehen zwei Polizisten und fragen nach ihrem Namen. Merkwürdige Blicke treffen sie.
Sie gewährt Einlass. Ungefragt erzählt sie, was ihr zugestoßen ist.
»Geschah das in der Wasagasse?«
Sie nickt.
»Sie müssen in einen Kanalschacht gefallen sein. Die Wasa ist über die Ufer getreten und hat Gullydeckel mit  sich gerissen.«
Schweigen. Ein Räuspern.
Einer der Polizisten beginnt: »Wir haben Ihren Mann, Felix Sommer, nahe der Wasa tot aufgefunden. Er ist ertrunken. Unser tiefes Beileid.«
Laura bricht lautlos zusammen.

Impressum

Texte: Brigitte Voß
Tag der Veröffentlichung: 01.11.2021

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