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Prolog

Ich weilte im Oktober/November 2018 für zwei Wochen im Iran. Meine Freundin und ich reisten individuell.
Nancy ist in Deutschland geboren, aufgewachsen ist sie in verschiedenen Ländern. Ihre Eltern sind Perser, die in den 1960er Jahren nach Europa ausgewandert sind. Sie fragte mich, ob ich sie in das Land ihrer Wurzeln begleiten möchte. Im Endeffekt sagte ich zu.
Der Iran und seine Bevölkerung sind bunt. Bis jetzt habe ich kein gastfreundlicheres und offeneres Volk kennengelernt. Nur die Mullahs, die ihre Interessen knallhart auf Kosten ihrer Untertanen durchsetzen, sowie der Tschador sind schwarz.
Mehr schreibe ich an dieser Stelle nicht, das würde den Rahmen sprengen. In meinem Blog Iran – magische Fremde kann der Interessierte die Reise Tag für Tag, versehen mit genaueren Erklärungen, gern verfolgen.
Ich greife für dieses Büchlein nur einige Stunden heraus, die wir nach einem ereignisreichen Tag in Shiraz (Großstadt im Süden des Iran) verbrachten.

Die erste Sure

Nancy möchte mir unbedingt eine Moschee zeigen, die nur in der Dunkelheit ihre volle Wirkung entfaltet, da sie angestrahlt wird. Sie schwärmt von dem speziellen Flair, das sie in guter Erinnerung behalten hat.
»Du wirst schon sehen«, sagt sie mit Nachdruck.
Mehdi, unser Freund und Chauffeur, ist Iraner und arbeitet für eine deutsche Firma.
Er spricht kein Deutsch, so dass wir, wenn jeder etwas verstehen soll, auf Englisch miteinander kommunizieren.
Er bezweifelt, ob ich als Nicht-Muslimin, die heiligen Räume der Freitagsmoschee überhaupt betreten darf.
Sie ist die Hauptmoschee der Stadt, in der das Wochengebet gemeinsam durchgeführt wird. Wie ihr Name zeigt, wird es nicht, wie bei uns, sonntags abgehalten, sondern an einem Freitag. Daher entspricht der Tag dem Sonntag unseres Kulturkreises.
Tröstend schaut Mehdi mich an und meint: »Aber der Innenhof ist auch sehr beeindruckend.«
Das Gotteshaus ist Moschee und Begräbnisstätte zugleich. Für die schiitischen Moslems ist er ein wichtiger Pilgerort. Gleich zwei Nachkommen eines Imams, der vom Propheten Mohammed abstammt, wurden hier im 9. Jahrhundert beigesetzt. Einer von ihnen wird Schah Tscheragh, der König des Lichts, genannt, wobei sein richtiger Name Amir Ahmad lautet. Die Anlage gilt als eine der berühmtesten im Iran.
Wir trennen uns, denn Mehdi benutzt natürlich den Eingang für Männer.
Wir passieren die Sicherheitskontrolle. Eine Frau im schwarzen Tschador durchsucht die Rucksäcke und tastet uns flink ab. Nancy muss eine Schachtel Streichhölzer vorübergehend abgeben, die sie gekauft hatte, weil ihr die Verpackung gefiel.
Eine andere Mitarbeiterin legt mir ein großes, weißes Tuch gekonnt um den Körper. Ohne vorher zu fragen, rafft sie mit festem Griff meine Haare straff nach hinten, sodass es ziept, und steckt sie züchtig unter den Stoff.
Ich fühle mich in dem Tschador wie eine fromme Gebetsschwester. Nur Hände, Gesicht und Füße schauen heraus. Sie nickt zufrieden als Zeichen, dass ich gehen darf. Nancy ergeht es ebenso. Sie sieht wie eine gestrenge Muslimin aus.
Wie ich vermutet habe, laufe ich nur wenige Meter, und das Meisterwerk lockert sich. Es rutscht von Kopf sowie Schultern. Ich habe Mühe, es ordnungsgemäß zusammenzuhalten. Wie machen das nur die weiblichen Moslems?
Mehdi wartet bereits auf uns. Ich bestaune den Hofkomplex der Anlage. Arkaden begrenzen den hell erleuchteten Innenhof. Welche Pracht! Die kunstvoll verzierten mehrfarbigen Kacheln an den Wänden der Gebäude spiegeln im künstlichen Licht  und verstärken es.
Der erste Bau wird auf das 13. Jahrhundert zurückgeführt.
Unser Freund verschwindet hinter dem Eingang zu den Gebetshallen für die Männer. Er möchte beten. Wir streben dem Fraueneingang zu.
Ich ziehe die Schuhe aus, um die Innenräume des Heiligtums zu besichtigen. Eine Aufsichtsperson untersagt mir den Zutritt, weil ich bestätigt habe, nicht dem islamischen Glauben anzugehören. Freundlicherweise empfiehlt sie, die Security für Foreign affairs am anderen Ende des Platzes aufzusuchen. Da Nancy persisch aussieht, hat sie keine Probleme, das Innere zu betreten, doch hilft sie mir. Sie spricht Farsi, was in dieser Angelegenheit förderlicher als Englisch sein könnte.
Wir suchen auf dem riesigen Areal die Person, die für die Ausländer zuständig ist, oder das betreffende Büro. 
Nancy erzählt von einem Spielfilm, den sie erst kürzlich gesehen hat. Die Hauptpersonen konnten sich die unwahrscheinlichsten Ziele erfüllen, weil sie sie im Vorfeld gründlichst geplant hatten. Meine Freundin hat das mächtig beeindruckt. Hochmotiviert beginnt sie zu tüfteln, was sie den Verantwortlichen erzählen könnte. Ich solle nur alles bejahen, wenn ich gefragt würde. Sie ist wild entschlossen, für mich die Erlaubnis zum Betreten der Innenräume der Moschee zu erkämpfen.
Sie murmelt vor sich hin. Ich verstehe nur Wörter wie heiraten und Türke. Das reicht mir, ich will gar nicht wissen, was sie vorhat, denn sonst würde ich vielleicht widersprechen. Ich bin typisch Deutsch, aber ihre Kultur schlägt für das Land ihrer Wurzeln. Sie weiß mit den Einheimischen umzugehen und so schaue ich hoffnungsvoll auf das, was kommen wird. Und es naht in Riesenschritten:
Wir entdecken eine Tür mit der Aufschrift Foreign affairs. Ich bewege mehrfach die Klinke, doch der Eingang ist verschlossen, sodass wir uns abwenden.
Wir sind nur wenige Schritte gelaufen, als ein wichtig aussehender Herr in Uniform auf uns zukommt. Ich ziehe rasch das Tuch weit nach vorn über die Haare und versuche mit den Händen, dem Tschador einen gewissen Halt am Körper zu geben.
Nancy erklärt den Sachverhalt und fragt, ob ich das Innere des Heiligtums betreten darf.
Er räuspert sich und antwortet: »No«. Allerdings möchte er wissen, woher ich komme.
»Germany«, antworte ich.
Er überlegt und wiederholt sein »No, that is’nt possible«.
Nancy bevorzugt die englische Sprache. Was sie jetzt erzählt, entspringt der puren Fantasie. Meine Augen werden größer, in der Magengegend macht sich ein Grummeln breit.
Sie erklärt ihm, ohne mit der Wimper zu zucken: »Ihr Freund ist ein sunnitischer Türke. Die beiden lieben sich und wollen heiraten. Daher hat meine Freundin den Wunsch, zum Islam zu konvertieren.«
›Ojeh, wenn das nur gut geht‹, denke ich.
Doch habe ich im Vorfeld zugestimmt, sie gewähren zu lassen.
So nimmt die Geschichte ihren Lauf.
Er wendet sich mir zu.
»Is that right?«
Da ich laut Anweisung von Nancy stets mit einem »Ja« reagieren soll, nicke ich mit dem Kopf und ein leises »Yes« ertönt.
Er schmunzelt und möchte, dass ich die Erste Sure aus dem Koran aufsage.
»I cannot.«
Ich bekomme Kopfschmerzen. Worauf habe ich mich nur eingelassen!? Vor der Iranreise hatte ich mir vorgenommen, unauffällig aufzutreten, um ja nicht aufzufallen. Mit den iranischen Autoritäten ist nicht zu spaßen. Und nun das!
Er fragt ein zweites Mal und erhält dieselbe Antwort, kenne ich doch diese Sure nicht.
Der Mann mit den freundlich dreinblickenden Augen gibt es nach einigem Hin und Her auf. Dennoch schickt er uns nicht weg, obwohl uns klar ist, dass er die Story nicht glaubt.
Der Schalk spricht aus seinem Gesicht, als er sich erkundigt, was ich für einen Beruf habe.
Ich druckse herum.
Ehe ich antworten kann, präzisiert er und fragt, ob ich eine Lehrerin sei.
Nancy steht dicht neben mir und stößt mit dem Ellbogen in meine Seite.
Warum ich ihrer diskreten Aufforderung folge und damit tiefer im Lügenpfuhl versinke, kann ich nicht begründen.
Ich höre mich »Ja« sagen. Die Stimme ist belegt.
»Ach so, naaa dann ...«, erwidert er, lacht uns an und meint: »In diesem Fall dürfen Sie natürlich hinein.«
Das haben wir nicht erwartet. Keinesfalls hat er unsere Hirngespinste geglaubt.
Erleichtert atme ich auf und bedanke mich wortreich bei ihm. Der kalte Schweiß steht mir auf der Stirn.
Wir eilen davon.
Die Dame am Einlass ist informiert, vermutlich per Funk, denn sie gewährt uns wortlos den Zutritt in das Gotteshaus.
Wir können es kaum glauben, als wir den Eingang zur Gebetshalle passieren.
Frauen sitzen auf Teppichen mit dem Rücken an die Mauer gelehnt. Sie beten und meditieren oder flüstern miteinander.
Ich spüre die neugierigen Blicke, die sich in uns verkrallen. Die Ausländerin sieht man mir an, außerdem bin ich blond. Obwohl ich bereits einige Moscheen besichtigt habe, komme ich mir wie ein Störenfried vor und vermeide, die Musliminnen unverhohlen anzuschauen. Dafür betrachte ich mehr als nur aufmerksam die Spiegelsplitter, die die Wände und die Decke kunstvoll verzieren. Die Kristallleuchter passen gut dazu.
Eine Frau im schwarzen Tschador erhebt sich vom Teppich und kommt auf uns zu.
Eine Woge des Schreckens durchfährt mich. Wir haben hier nichts zu suchen.
Sie dagegen lächelt uns an und sagt: »Come with me.« Sie geht voran, wir folgen ihr. Sie winkt eine Glaubensgenossin heran, die uns eine Tür aufschließt. Beide geleiten uns in die hinteren Räume. Wir sind zu viert, sonst ist niemand hier. Sie erlauben uns sogar, zu fotografieren. Zunächst mache ich keinen Gebrauch davon.
Was für ein Glitzern und ein Leuchten! Solch ein massives goldenes Funkeln habe ich noch nie gesehen. Es wird verursacht durch eine unendliche Anzahl winziger Spiegelscheiben, die uns golden von der Decke und den Wänden anblitzen. Kontrastfarbene Spiegelmosaike in silberner, grüner oder blauer Farbe formen hübsche Ornamente und weitere Verzierungen. Das reflektierte Licht ergibt eine Melodie der Schönheit. Schwere Kristallleuchter hängen von oben herab.
Wir stehen und staunen, bis wir uns etwas gesammelt haben. Schweigend laufen wir auf den Teppichen mit persischen Mustern dahin. Ich habe den Eindruck, durch eine entrückte Welt zu schweben, so unwirklich ist die Herrlichkeit, die einer anderen Kultur entspringt.
Ich fotografiere nur wenig. Lieber erfasse ich mit eigenen Augen die märchenhafte Umgebung.
Manchmal begleitet uns eine Aufsichtsperson, manchmal lässt sie uns allein.

Die Mitarbeiterin möchte wissen, ob wir Fragen haben. Doch was soll man fragen, angesichts der goldenen Pracht, die einem die Stimme zu nehmen droht.
Trotz all der ungewohnten Herrlichkeit, die auf uns hereinstürmt, ist uns nicht wohl in unserer Haut, wenn man bedenkt, wie wir uns Zugang verschafft haben. Ich habe ein furchtbar schlechtes Gewissen.

Plötzlich ruft sie uns. Ihre Worte zerschneiden die Halle.
Mir rutscht das Herz in die Hose. Was will sie jetzt? Was wird passieren? Kurz sehe ich mich in bedrohliche Diskussionen mit uniformierten Sicherheitskräften verwickelt. Sie hingegen weist lächelnd auf einen kleinen Spalt in der Wand, durch den wir schauen sollen. Durch ihn können wir die Männer beim Beten beobachten. Heimlich, versteht sich. Sie lacht. Allerdings fesselt mich der benachbarte Raum auf der männlichen Seite mehr, den die Öffnung zusätzlich freigibt. Er strahlt in ähnlicher Weise einen märchenhaften Zauber aus wie dieser hier.
Wir beschließen zu gehen und nicken zum Abschied den beiden Tschador-Frauen dankbar zu.
Trotz der unfassbaren goldenen Licht-Schönheit, die wir soeben erleben durften, sind wir doch froh, wieder draußen zu sein. Geheuer war uns die Situation nicht, weil sie durch waghalsige Lügen zustande kam.

 

 


Im Innenhof warten wir auf Mehdi, der immer noch betet.
Meine Freundin findet eine grüne Gebetskette und schenkt sie mir. Sie besteht aus 99 Perlen, die jeweils durch eine Markierung in drei Teile, bestehend aus 33 Perlen, gegliedert ist. Man lässt eine bestimmte Zahl durch die Finger gleiten und spricht dabei vorgeschriebene Gebete/Anrufungen. Mehdi benutzt sie gern und schwört nebenbei auf ihre beruhigende Wirkung. Man könne mit ihr gut meditieren.
Wir bummeln im Innenhof ein wenig hin und her. Plötzlich höre ich auf Deutsch ein freundliches »Willkommen im Iran«. Vor uns sitzen Perser, die es sich mit einer Decke und einem Picknick-Korb auf den Bodenplatten bequem gemacht haben. Sie sprechen nahezu fließend meine Muttersprache. Es sind Vater, Mutter und ihr jugendlicher Sohn. Die Eltern arbeiten in Deutschland als Bäcker. Sie verbringen den Urlaub in Persien, um ihre Familie zu besuchen. Der junge Mann erzählt, dass er niemals im Iran leben möchte. Seine Heimat sei dort, wo er geboren wurde und seine Freunde sind. Deutschland ist sein Zuhause.
Inzwischen hat Mehdi sein Gebet in der Licht-Moschee beendet, sodass wir uns von den dreien verabschieden.
Am Ausgang des Schah-Tscheragh-Heiligtums wickeln wir uns aus den Stofftüchern und geben sie ab. Nancy erhält ihre Streichhölzer zurück.
Nach kurzer Autofahrt stoppt unser Freund das Fahrzeug. Wir steigen aus.

Leider hat der Park mit dem Grab des berühmten persischen Dichters und Mystikers Saadi bereits geschlossen. Uns bleibt nur der Blick durch die Gitterstäbe des verschlossenen Tores. Die Grabstätte ist erleuchtet, doch viel kann man nicht erkennen. Der Poet wurde ungefähr 1190 in Shiraz geboren und starb in seiner Geburtsstadt gegen 1283. Es gibt unterschiedliche Angaben. Seine Hauptwerke sind der »Duftgarten« (Bustan) und der »Rosengarten« (Golestan).
Ein Zitat aus dem letztgenannten Werk ziert die Eingangshalle des UNO-Hauptquartiers in New-York:


Die Kinder Adams sind aus einem Stoff gemacht,
als Glieder eines Leibs von Gott, dem Herrn, erdacht.
Sobald ein Leid geschieht nur einem dieser Glieder,
dann klingt sein Schmerz sogleich in ihnen allen wider.
Ein Mensch, den nicht die Not der Menschenbrüder rührt,
verdient nicht, dass er noch des Menschen Namen führt.


Mehdi lockt uns in eine Eisdiele, um den Abend ausklingen zu lassen. Drei Personen sitzen auf Stühlen, die an einer Wand aufgereiht sind, und schleckern an ihrem Eis. Ich nehme an, es handelt sich um ein Elternpaar mit Tochter.
Wir platzieren uns hinter einer Kiste, die als Tisch dient. Das Safraneis, mit Rosenwasser hergestellt, schmeckt. Es zieht leichte Fäden im Mund. Wer mag, kann sich das bereitgestellte Zitruswasser darübergießen.
Der vermutliche Vater spricht mich an: »Do you like Iran?«
Ich antworte: »Cheli chub.«
Diese Wendung auf Farsi habe ich gelernt und heißt soviel wie »ausgezeichnet«.
Das gefällt ihnen, sie lachen.

 


Er kramt ein übermäßig dickes Geldbündel aus seiner Hosentasche, postiert sich in die Mitte des Raumes und wedelt damit in der Luft herum.
Er fordert mich auf, ihn nach Deutschland mitzunehmen.
»I am a rich man, i am a rich man ... «, ruft er, wobei er wiederholt die vielen Geldscheine, die beeindruckenden Reichtum suggerieren, jedoch kaum Wert haben, in meine Richtung schwingen lässt. Die Ironie in seiner Stimme ist unüberhörbar. »I am a rich man«.
Alle Anwesenden, auch wir prusten los.
Eigentlich ist es traurig. Das Volk leidet unter der Herrschaft der Mullahs und zusätzlich unter den Sanktionen des amerikanischen Präsidenten Trump.
Schließlich verabschieden wir uns. Sie winken uns herzlich nach.

Impressum

Texte: Brigitte Voß
Bildmaterialien: Brigitte Voß
Tag der Veröffentlichung: 05.07.2021

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