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Widmung

Ich widme die Geschichte allen Kindern, die sehr krank sind und über den Tod nachdenken, aber auch ihren Angehörigen.

Das Polarlicht

Wir fegen durch den Wald, Thore voran und hinter mir Malte. In der Mitte bin ich, das Elchkind Elzi. Wir rennen um die Wette. Ich spiele gern mit den Geschwistern. Zweige krachen unter den Hufen. Ich muss den Bruder unbedingt überholen, ich will der Schnellste sein. Aber sosehr ich mich anstrenge, irgendwie fällt das Luftholen schwer. Ich weite die Nüstern, doch die Puste reicht nicht aus. Maltes warmer Atem streift bereits meine Hinterbeine. Nein, er soll dort bleiben. Bisher war ich nie der Bummelletzte! Mist, jetzt zieht er an mir vorbei! Abrupt bremse ich ab. Malte bemerkt es sofort und schnaubt geräuschvoll, sodass auch Thore den Lauf unterbricht. Beide traben zu mir zurück.

"Was ist los?", Malte stupst mich an.

"Ich bin so schlapp", japse ich. "Ich kriege keine Luft. Mir sticht es im Bauch."

"Im Bauch? Hast du was Schlechtes gefuttert?" Thore schaut mir in die Augen. Als ich mit einem "Nein" antworte, rupft er saftige Halme aus dem Boden. "Die schmecken lecker." Er hebt den Kopf und zermalmt das frische Grün zwischen den gelben Zähnen. "He, wir ruhen uns aus. Hier wächst jede Menge Grünzeug, das wir futtern können."

Der Wind weht über die Wiese hinweg. Er ist so stark, dass er die Birken, die vereinzelt am Waldesrand stehen, verbiegt.

Ich bin erschöpf, lehne an einem Baum und betrachte die Umgebung.

Wir wohnen in einer großartigen Natur, in der wir Elche uns wohlfühlen. Wälder umsäumen Seen und in den Fjorden spiegeln sich hohe Berge. Sie werden wellig, sobald ich mit der Zunge die Wasseroberfläche durchstoße, um zu saufen. Das macht Spaß.

Ich hörte einmal, wie Vater der Mutter gegenüber äußerte: "Der Elzi ist noch so verspielt."

Na und? Es gibt nichts Schöneres, als mit Elchkindern durch die Landschaften zu toben.

Nur das unendliche Meer mit den rasenden Wellen meide ich, weil die tosenden Wassermassen, die der Sturm aufwühlt, viel Krach machen.

Thore unterbricht meine Gedanken: "Wollen wir an die Straße gehen und Verkehrsschild spielen?"

Malte antwortet: "Nein, das haben die Eltern verboten. Sie sagen, es ist zu gefährlich."

"Ach weißt du, die verderben einem nur die bombigsten Ideen." Ich lasse die Stimme tiefer klingen, damit die anderen erkennen, dass ich bald ein Mann bin.

Sofort reckt Thore den Kopf vor und wedelt mit den kleinen Geweihspießen. Immerhin ist er der Ältere.

"Komm doch, du dummer Schlappschwanz. Ich habe keine Angst vor dir!", beschimpfe ich ihn.

Er rennt zu mir und beißt mich. Ich zeige die Zähne, bevor ich sie ihm in den Nacken ramme.

Malte schupst uns auseinander und fährt fort: "Ich will nicht von einem Auto überrollt werden. Außerdem ist es blöd, neben einem Verkehrszeichen zu stehen, auf dem ein Elch zu sehen ist."

Ich werfe Thore einen vernichtenden Blick zu und versuche, Malte zu überreden, mit uns zu gehen: "Besonders die Urlauber aus dem Ausland freuen sich. Und wenn wir dazu Quatsch machen, staunen sie und fotografieren uns. Viele Menschen haben noch nie einen Elch gesehen."

Thore, der nicht mehr so angriffslustig riecht, fügt hinzu: "Das stimmt. Sie reisen von weit her, weil wir so herrliche Tiere sind."

Aber Malte stapft nur mit dem rechten Vorderhuf auf. "Nein", sagt er, macht kehrt und trabt davon.

"Geht's denn deinem Bauch besser?", fragt Thore. Seine Stimme klingt versöhnlich.

Ich schweige. Immerhin hat er zuerst gebissen.

"Nun reg dich mal ab, hab dich nicht so. Los komm mit!" Ohne meine Reaktion abzuwarten, stürmt er Richtung Straße. Ich ihm hinterher. Das welke Laub unter den Beinen wirbelt nur so auf. Sofort finden wir das Verkehrsschild, auf dem ein schwarzer Elch prangt. Es soll die Fahrer warnen, damit sie aufpassen, wenn wir die Fahrbahn überqueren.

Gern unterbrechen sie die Fahrt, um es zu fotografieren. Und wir, wir stellen uns mit Begeisterung daneben, verdrehen die Augen oder recken ihnen die Zungen entgegen. Die Touristen zücken begeistert die Fotoapparate.

Ein Fahrzeug düst vorbei, hält plötzlich an und kommt rückwärtsfahrend wieder auf uns zu. Thore steht links neben dem Schild, und ich bin auf der anderen Seite. Menschen verlassen das Auto.

"Du, die sprechen deutsch", sage ich.

"Du Angeber, das D auf der Heckklappe schnalle ich auch. Das bedeutet Deutschland."

Wir ziehen vor der Kamera Grimassen, worüber die Ausländer lachen und uns mit dem Verkehrszeichen knipsen. Trotzdem halten sie gebührenden Abstand. "Schau dir mal das kräftige Gebiss an", sagt eine von den Frauen. Thore zeigt seine Zähne. Sofort steigen sie in den Wagen und fahren weg.

"Du hast sie verscheucht. Schade!", rufe ich aus.

Aus der Ferne dringt das Brummen eines Motorrades zu uns: "Brmmmm, Brmmm."

Auf einmal wackeln die Bäume um mich herum, mir ist schwindelig. Ich sehe Thore, die Büsche am Wegesrand, die Straße, einfach alles doppelt. Der Bauch tut so weh, dass meine Vorderbeine wegknicken. Im Fallen erkenne ich noch, wie ein Motorradfahrer direkt vor mir bremst und über den Lenker fliegt.

Ich erwache aus der Ohnmacht und erblicke, zunächst verschwommen, einen Mann. Er löst die Riemen des Schutzhelms, wühlt aus der Hosentasche ein Handy hervor und telefoniert mit Förster Fred.

Ich möchte ausreißen, im Wald verschwinden, jedoch die Muskeln versagen.

Der Mann umkreist mit prüfendem Blick die Maschine, als der Waldhüter mit dem Auto herbeidüst. Er steigt aus. Ich beobachte, wie er das Gewehr vom Hintersitz nimmt und über die Schulter hängt.

Ich fürchte mich sosehr, dass es in den Hufen kribbelt.

"Das ist doch Elzi!", ruft er aus. Dann schaut er zu den Bäumen und stellt fest: "Alles klar." Er weist mit der Hand auf eine dicke Eiche, hinter der Thores Schnauze hervorlugt. "Die beiden kenn ich. Eigentlich gehört ein dritter Elch dazu. Die treiben hier ihr Unwesen."

"Aber Sie? Sind sie verletzt?", will er wissen.

Der Mann antwortet: "Nein. Nur bin ich ganz schön aufgeregt. Der Elch fiel auf die Straße, einfach so, da war ich noch weit entfernt. Ich habe ihn nicht angefahren. Wirklich, dass müssen Sie mir glauben." Seine Stirn legt sich in Falten. "Um Haaresbreite hätte ich das Tier erwischt, glücklicherweise konnte ich die Maschine rechtzeitig stoppen."

"Hmm", entfährt es dem Förster und kommt zu mir. "Na, du kleiner Springinsfeld, was hast du wieder angestellt."

Ich senke die Augen, da ich keine Ahnung habe, was ich jetzt machen soll.

Er versucht, mich aufzurichten. Ich drücke die Beine durch und stehe, erst etwas wackelig, doch zunehmend fühle ich, wie die Kraft in die Gelenke strömt. Fred tastet meinen Körper ab, wobei er des Öfteren fragt: "Tut das weh?" Jedes Mal schüttele ich mit dem Kopf, sodass er mir schließlich einen Klaps auf den Hintern gibt und meint: "Na, hau schon ab, geh zurück zu deiner Herde."

Das lasse ich mir nicht zweimal sagen. Sofort presche ich in den Wald, Thore hinterher.

Wir erreichen außer Atem unser Familienrudel. Der Bauch schmerzt erneut.

Vater schreitet auf uns zu. Er schwenkt die beeindruckenden Geweihschaufeln und schimpft: "Es ist spät, wir haben uns Sorgen gemacht." Dabei setzt er einen Blick auf, der Schlimmes verkündet. Seinem Fell entströmt ein Geruch, der in den Nüstern beißt. Das ist stets der Fall, wenn er zornig ist. Wir spreizen die Vorderbeine und beugen die Hälse herab, um die Standpauke zu erleiden. Allerdings murmele ich: "Es ist noch hell und daher ..."

Ich hätte es wissen müssen: Ihm zu widersprechen, bringt ihn in Wut. Er röhrt uns eine Strafpredigt entgegen, die wir nie vergessen werden. Sogar die Blätter an den Bäumen zittern.

Danach fragt er mit donnernder Stimme: "Wo seid ihr gewesen?"

"Elzi ist umgekippt", antwortet Thore knapp. Die Autobahn verschwieg er.

Vater hält inne und schaut zu mir. "Wieso? Elche stürzen nicht so einfach zu Boden." Er tritt zu mir heran, beschnüffelt mich, hört kurz auf, um daraufhin erneut an mir herumzuschnüffeln. Schließlich ruft er: "Mutter!" Sie zupft in der Nähe Kräuter. Sie trabt herbei. Beide flüstern miteinander. Auch sie riecht an den Haaren neben meinem Maul, worauf sie Vater mit bestürztem Blick ansieht und meint: "Elzi braucht Doktor Andersson." Sie lässt den Kopf hängen.

Vater stupst sie an. "Sieh, er weidet dort auf der Wiese am Waldrand. Ich begleite euch."

Über das jähe Ende der Standpauke staunen wir.

Vater und Mutter stapfen mit mir zu Doktor Andersson, der mich gründlich untersucht. Dabei muss ich genauestens berichten, wie es mir geht und wo sich die Schmerzen befinden.

Lange steht er vor mir, sieht mit seinen gütigen Augen zu mir herab und schweigt. Ich trete ungeduldig von einem Bein auf das andere, mir ist langweilig. Endlich sagt er: "Geh, troll dich zu den Geschwistern. Spiele, solange du es noch kannst."

Ich schaue die Eltern an. "Darf ich?"

Mutter erwidert: "Wir unterhalten uns jetzt mit Doktor Andersson, das dauert eine Weile. Geh zu deinen Brüdern. Wenn die Sonne hinter den Bergen verschwindet, seid ihr wieder zurück."

Ich sause davon.

Thore und Malte beobachten einen Schmetterling, als ich eintrudele.

"He, wie war's bei Doktor Andersson?", fragt Thore.

"Der hat an mir herumgedrückt." Ich schüttele mein Fell. "Wollen wir durch den Wald stromern?"

Anstatt zu antworten, fängt Thore an zu stänkern: "Du wirst nie ein richtiger Kerl. Wahre Bullen kippen nicht um." Er brüllt noch: "Schwächling! Schwächling!"

Der Zorn kraucht in mir hoch. Ich gebe ihm so einen heftigen Schubs, dass er das Gleichgewicht verliert und zu Boden stürzt. Zur weiteren Einschüchterung blecke ich die Zähne.

Malte versucht zu schlichten: "Geht endlich auseinander, ihr Raufbolde! Sofort! Müsst ihr euch immer streiten!"

Eine Weile fällt zwischen uns Dreien kein Wort und so käuen wir wieder.

In der Nähe schnaubt eine Elchmutter, hinter der sich ein Elchmädchen versteckt. Wir sehen sie zum ersten Mal. Das Mädchen reckt den Kopf vor, um uns besser zu beäugen. Ich ziehe die überhängende Oberlippe nach oben und rolle dabei mit den Augen.

Sie lächelt und stolziert mit kleinen Schritten auf mich zu. Wie wird mir doch warm ums Herz! Sie steht vor mir, lacht und sagt: "Das sieht aber lustig aus. Ich bin die Mette." Aus ihrem schwarzbraunen Fell leuchten rötliche Strähnen. Wir knuffen uns zum Spaß. Ich kann es nicht lassen, an ihr herumschnuppern. Sie duftet nach salzigen Pflanzen, das mag ich.

Ich knabbere an Mettes Ohren, während die Brüder Wettrennen spielen. Ein wohliges Schnauben zeigt an, dass es ihr gefällt.

Die Sonne versteckt sich zunehmend hinter den Bergen, sodass mir Mutters Worte einfallen.

"Wollen wir uns morgen Nachmittag da drüben am Wasserfall treffen?" Ich zeige auf das herabstürzende Nass am gegenüberliegenden Felsen.

"Gern", haucht sie mir entgegen. Sie kichert.

Den Geschwistern rufe ich zu: "Hallo, wir müssen zurück, zu den Eltern, sonst schimpfen sie."

Die Erwachsenen erwarten uns bereits. Warum nur lässt Mutter den Kopf hängen? Auch Vaters Bewegungen wirken müde. "Elzi komm mal her."

Ich folge der Aufforderung und trotte zu ihnen. Mutter druckst herum, bevor sie in der Lage ist zu reden. "Du, Kleiner", sie stößt mich mit den Nüstern an, "Doktor Andersson hat uns mitgeteilt, dass du sehr, sehr krank bist."

Ich schaue sie erstaunt an. Sie versucht, weiter zu sprechen, hüstelt, doch ihre Stimme versagt. Vater ergreift das Wort: "Großer, du musst stark sein. Die Krankheit ist so schlimm, dass du", er stöhnt, "also dass du nicht mehr lange Leben wirst."

Was hat er eben gesagt? Ich spüre, wie sich überall am Körper die Haare aufrichten. "Wie bitte?" Ich sehe ihm in die Augen. "Wieso? Ich bin ein Elchkind, Kinder sterben nicht."

"Leider gibt es das", sagt Mutter leise. Ich stapfe mit den Beinen auf den Waldboden. Unter mir zerknacken Äste. "Das ist eine Lüge! Das stimmt nicht! Das stimmt nicht!", schreie ich immer wieder, bis sie zu mir kommt. Ich schmiege mich eng an sie. Sie leckt mein Fell. Ich weine so viele Tränen, wie ich es noch nie getan habe. Thore und Malte stehen wie gelähmt und bringen keinen Laut heraus. Vater nickt ihnen zu: "Wir gehen ein Stück. Ich möchte mit euch reden." Sie verschwinden hinter den Büschen.

Mutter und ich kuscheln nebeneinander auf dem Moos. Die Aufregung, besonders die Schmerzen im Bauch, nerven. Trotzdem bin ich sehr erschöpft und schlafe ein.

Als ich aufwache, liegen Vater und die Brüder in Nähe. Malte streckt alle viere von sich und schnarcht, neben ihm döst Thore. Vater passt auf, dass keine Wölfe in die Herde eindringen. Sie sind unsere ärgsten Feinde.

Ich spüre Mutters Zunge durch das Rückenfell streichen. Ich presse mich an sie. "Mutter?"

"Was ist?"

"Was wird mit mir nach dem Tod? Bin ich dann einfach weg?"

Sie überlegt eine Weile. Schließlich sagt sie: "Ich weiß nicht genau." Sie schweigt. Ich höre, wie die Blätter im Wind rascheln. "Schau dich um", fährt sie fort, "das Laub wird bunt und welk, da der Herbst beginnt. Bald fällt es ab, vielleicht pustet es der Sturm von den Bäumen. Die Blätter sterben. Naht der Frühling, wachsen erneut zartgrüne Knospen an den Zweigen. Sie werden größer, platzen und frische saftig grüne Blätter entfalten sich. So ist es überall in der Natur."

"Wäre ich so ein vertrocknetes Blatt, komme ich dann als Neues noch einmal auf die Welt?", frage ich.

"Das kann dir keiner beantworten. Womöglich ist nur ein Teil von dir in diesem Blatt? Oder", sie macht eine Pause, "nichts?"

Ich muss nachdenken, doch sie erklärt: "Niemand weiß, was nach dem Tod ist. Viele glauben, sie leben bei einem Gott im Himmel oder an einem anderen schönen Ort weiter. Es gibt aber ebenso die Meinung, das danach nur Leere ist. Kein Verstorbener wurde je wieder lebendig und konnte vom Tod erzählen."

Das leuchtet mir ein.

Mutter schaut zu mir herab. "Auch wirst du nicht weg sein, Elzi. Du lebst in unserer Erinnerung, nie vergessen wir dich, niemals."

Während des Einschlafens stelle ich mir vor, wie der Ort aussieht, den ich betrete, sobald ich tot bin. Er ist überraschend hell, warm und bunt ...

Leider werde ich von der Übelkeit aus dem Traum gerissen. Ich schlage die Augen auf. Die schreckliche Krankheit fällt mir ein.

Ich stehe auf und gehe zu den Brüdern, die in der Nähe im Waldboden scharren. Gewiss suchen sie Pilze.

Ich geselle mich zu ihnen. "Um Haaresbreite hätte mich der Motorradfahrer erwischt. Schade, dass ich am Leben geblieben bin, wo ich ja sowieso sterben muss", bricht es aus mir hervor.

Thores Körpergeruch zeigt, dass die Wut von ihm Besitz ergreift. "Na und wir? Denkst du mal an uns? Wenn du so plötzlich abhaust und plötzlich stirbst?!" Seine Stimme ist laut.

Ich springe auf, lege die Ohren nach hinten und senke den Kopf, obwohl bei mir noch keine Ansätze eines Geweihs zu entdecken sind. Nie wird mir ein so Prächtiges mit ausladenden Schaufeln wachsen, wie es Vater hat, weil ich so krank bin.

Malte tritt dazwischen. "Thore, was soll denn das! Um Haaresbreite hat Elzi den Zusammenprall überlebt. Wäre es nicht besser, in Frieden von ihm Abschied zu nehmen? Vertragt euch lieber."

Wir verstehen ihn kaum, da er flüstert. Niemand antwortet.

Thore wendet sich ab, setzt sich in das Moos, um wiederzukäuen. Mich beachtet er nicht mehr.

Die Sonne steht bereits hoch am Himmel, als ich zu ihm gehe und ihn sanft anstoße.

Er schaut zu mir auf und sagt: "Weißt du, ich bin eben temperamentvoll. Die Hörner drohen schneller, als der Verstand arbeitet. Doch", er schluckt einige Male, bevor er fortfährt, "du musst wissen, ich mag dich wirklich gut leiden." Zur Bekräftigung springt er auf und stapft mit dem rechten Huf auf den Waldboden.

Ist das ein Traum? Mein großer Bruder hat mich gern? Ich sehe ihm in die Augen. "Naja, ich fange auch oft an zu streiten. Warum zanken wir uns so oft?"

"Das ist eine interessante Frage."

"Thore, Malte - ihr seid die besten Kumpel der Welt. Ich habe euch lieb." Wieso muss ich erst so krank werden, um ihnen das zu sagen?

Vater naht mit schweren Schritten. Er ist ein kräftiger Bulle. Zwar ist er gefürchtet, wegen der Wutausbrüche, aber gerecht und gütig. Stets wacht er über die Herde.

"Hast du irgendeinen letzten Wunsch, den wir dir erfüllen können?", fragt er. "Es darf etwas Besonderes sein."

Ich überlege lange, bevor ich antworte: "Das Polarlicht. Ich möchte zum Polarlicht. Diese farbigen Schleier am Himmel sollen so toll sein. Noch nie konnte ich sie bewundern." Ich sinke auf den Waldboden, da die Beine vor Aufregung beben.

"Nun, gut. Ich spreche mit Doktor Andersson, ob du in der Lage bist, die weite Strecke zu bewältigen." Er beschnüffelt mein Fell. "Wir müssen nach Norden wandern, dort gibt es das herrlichste Polarlicht, jedoch du riechst sehr krank."

"Ich schaffe das", rufe ich.

"Klar, Elzi ist doch fast ein Mann", sagt Thore. Malte nickt zur Bekräftigung mit dem Kopf.

"Das glaube ich dir, Kind." Vater zwickt mich zärtlich in den Rücken und entfernt sich.

"Leute, ich habe jetzt ein Rendezvous mit Mette." Bei dem Gedanken wird mir flau im Magen. "Wenn sie nun rauskriegt, was mit mir los ist? Ob ich ihr sage, dass ich todkrank bin?" Ratlos schaue ich die beiden an.

"Das musst du", antwortet Malte. "Das wird nicht einfach. Geh zu deiner Freundin. Sprich mit ihr."

"Hmm." Ich stehe auf und trotte davon. Unterwegs grübele ich, wie ich es ihr am besten beibringen könnte.

Mein Elchmädchen spielt am Wasserfall und hascht mit der Zunge nach dem sprühenden Wasserschaum. Ich ducke mich hinter das Gebüsch, weil ich immer noch keine Ahnung habe, wie ich es ihr erkläre.

"He, Elzi, warum bleibst du dort? Was soll das!?"

Auf dem Weg zu ihr zupfe ich öfter als notwendig Gras. Zu gern möchte ich das Gespräch mit ihr über die doofe Krankheit vermeiden. Sie schreitet mir wie eine Prinzessin entgegen. "Wieso muss ich diese Welt verlassen?", flüstere ich im Selbstgespräch, aber der Wind trägt die Worte zu ihr.

"Was redest du da?" Sie steht neben mir. Ich weite die Nasenlöcher, die den Schreck riechen, den ich ihr soeben eingejagt habe.

"Naja, Doktor Andersson sagt, ich sei so schlimm krank, dass ich bald sterbe." Mir steigt ein Kloß den Hals hinauf, am liebsten hätte ich geheult. Ich schnaufe ein wenig zu schrill, ziehe die Stirn in Falten und blinzele mit den Augen.

Sie ist geschockt. "Was?" Dicke Tränen kullern ihr Gesicht herab.

"Na, na, na, na ..." Was Besseres fällt mir nicht ein.

Sie dreht sich weg.

Ich warte ab.

Als sie erneut zu mir schaut, wirkt ihr Blick entschlossen. Eine Verwandlung ist in ihr vorgegangen. Sie knufft zärtlich in mein Bein. "Weißt du was, wir machen uns die Zeit, die uns noch verbleibt, zu etwas Besonderem. Lass uns viel spielen, miteinander reden und jede Menge Spaß haben."

"Willst du wirklich mit mir zusammenbleiben?"

"Du fragst aber blöd. Natürlich bleibe ich bei dir!"

"Du, wir wandern weit weg, um das Polarlicht zu sehen. Hast du Lust, mitzukommen? Mit deiner Mutter? Wir könnten immer zusammen sein."

"Sie ist bestimmt einverstanden", antwortet sie.

Gerade spielen wir Weitwurf mit Steinchen, als Vaters Ruf durch den Wald hallt: "Elzi, wo bist du? Ich möchte mit dir sprechen."

Ich pflücke für Mette eine blaue Blume, gebe sie ihr zum Abschied und trotte davon.

Vater hat meine Witterung aufgenommen, um mich besser zu finden. "Elzi, Doktor Andersson wird uns auf dem Weg nach Norden begleiten, damit er hilft, wenn dich die Schmerzen quälen."

Ich schaue ihn mit erschrockenen Augen an. "Tut der Tod weh?"

"Ist man krank, kann es wehtun. Und Doktor Andersson ist kundig in Baumrinden, Wurzeln, Kräutern, Beeren und solchen Dingen. Er nimmt diese Waldmedizin mit."

"Ist das notwendig?"

"Ja, Großer. Er wird deine Beschwerden lindern."

"Du sagst ständig, ein Elchbulle kennt keine Angst. Ich habe aber Angst, Angst vor dem Tod." Ich schluchze.

Er sagt: "Jedes Lebewesen muss einmal sterben. Der Tod gehört zum Leben."

Mir fällt Mutters Beispiel von den Blättern ein, die im Herbst abfallen, damit Neue im Frühling nachwachsen können. Vater leckt mein Fell. Das ist behaglich, ich fühle mich geborgen. Er ist bei mir. Alle, die ich liebe, sind bei mir. Ich brauche mich nicht zu fürchten.

Einige Tage vergehen, bis die Wanderung beginnt. Mette und ihre Mutter begleiten uns, die Eltern erlauben es. Wir schreiten durch ausgedehnte Waldgebiete, entlang an Seen und steilen Felsen. Sogar ein Gebirge überqueren wir.

Oft bin ich traurig, weine und suche Trost in der kleinen Herde. Ich möchte bei der Familie und Mette bleiben, im Gelände umherspringen und die frische Luft einatmen. Ich merke deutlich, dass die Kräfte nachlassen, die Krankheit siegen wird.

Mein Mädchen läuft neben mir. Wir unterhalten uns über Vergangenes, über die schönsten Erlebnisse, die wir bisher hatten, und was wir gern spielen. Das Verkehrszeichenspiel findet auch sie drollig. Wir lachen.

Unterwegs entdecke ich interessante Dinge, die die Natur hervorbringt. Ich nehme sie mit, um sie Mutter zur Aufbewahrung zu geben. Zum Beispiel habe ich einen Stein gefunden, der in der Sonne tiefrot aufleuchtet. Den soll Mette erhalten, wenn ich nicht mehr bin. Thore schenke ich eine ineinander verschlungene Wurzel, die wie ein Vogel aussieht. Für Malte habe ich ein Stück Holz mit einer eigentümlichen Maserung vom Boden aufgehoben, die mich an einen Elchkopf erinnert, und Vater bekommt eine abgeworfene Schlangenhaut. Da es hierzulande kaum Schlangen gibt, wird er sich darüber freuen. Das Geschenk für Mutter hinterlege ich bei Vater. Ich überrasche sie mit Duftkräutern, die ich bei Vollmond eingesammelt habe. Daher riechen sie besonders intensiv nach Wald, Erde und Heublumen. Sie liebt Düfte.

Für Doktor Andersson und die Mutter meines Elchmädchens muss ich noch etwas finden.

Wenn ich tot bin, schauen sie die Sachen an und denken an mich. Ich möchte in guter Erinnerung bleiben.

Wir wandern und wandern. Der Winter beginnt. Die Kälte lässt die gefrorenen Zweige knistern.

Werden die Bauchschmerzen zu stark, ist Doktor Andersson zur Stelle. Er verabreicht mir eine Mischung aus Baumrinde und Kräutern, die so bitter ist, dass nach dem Hinterschlucken die Zunge taub ist. Doch die Waldmedizin hilft, zumindest für eine Weile.

Das brodelnde Rauschen von Wasser reißt mich aus den Gedanken. Wir rasten an einem langen, schmalen See. Am gegenüberliegenden Ufer stürzen Wasserfälle von den wild gezackten Felsen.

Mutter naht. "Wie fühlst du dich?" Ihr warmer Atem streift mein Gesicht.

"Ist es noch weit bis zum Polarlicht?", frage ich und setze mich in den Schnee. Seit einiger Zeit stapfen wir über Schneefelder, was anstrengend ist. "Ich glaube, ich brauche Ruhe."

"Halt durch, vielleicht sehen wir es heute Abend. Ich spüre so ein Kribbeln in den Ohren. Das empfinde ich vorher öfters", erwidert sie.

Thore und Malte stürmen herbei. Aus ihren Mäulern hängen Wasserpflanzen, die sie mir schenken. Sofort verspeise ich die Leckerbissen. "Hmm", entfährt es mir. "Die schmecken so lecker salzig."

Vater holt Doktor Andersson, der mir den Puls misst. Anschließend zerkleinert er rotbraune Baumrinde, die ich fressen muss. Diese Waldmedizin soll das Fieber bekämpfen.

Er sagt: "Elzi, siehst du dort drüben den Waldesrand? Bis dahin musst du es schaffen."

Ich nicke. Die Beine wollen mir vor Schwäche nicht gehorchen, doch erreiche ich den gewünschten Ort.

Mette und meine Brüder suchen trockenes Heu, das sie vor mir ausbreiten, damit ich auf einem weichen, warmen Untergrund liege. Die anderen lagern sich um mich herum. So ist es kuschelig und gemütlich.

Ich döse im Dämmerschlaf. Doktor Anderssons Stimme dringt zu mir: "Da, da, schaut euch das an!" Er sieht zum Himmel, der in Flammen steht. Ein grüner Schweif schlängelt sich in Halbkreisen durch die Dunkelheit.

"Oh", ruft Mette und rutscht zu mir herüber, sodass wir nebeneinanderliegen. Doktor Anderssons sorgenvoller Blick wechselt zwischen mir und dem Polarlicht. Die beiden Mütter, Vater, Thore und Malte umringen mich. Sie recken die Köpfe nach oben und beobachten die Lichtspiele, die die Nacht erhellen. Aus dem grünen Wellenband treten weiße und gelbe Streifen hervor, die in unterschiedlicher Helligkeit leuchten. Sein Saum nimmt die Form eines nach unten gerichteten Trichters an.

Mette und ich, wir lachen uns an. Ich bin glücklich. Mutter reibt ihre Stirn an meiner, als wolle sie Abschied nehmen.

Ich bringe keinen Laut heraus, so wunderbar ist das bunte Naturschauspiel.

Malte springt auf und Thore zerwühlt mit den Hufen den Schnee, wobei er ununterbrochen singt: "Das Polarlicht ist da, juhuu, das Polarlicht ist da."

Rötlich blauer Nebel leuchtet mit zunehmender Kraft aus dem Inneren des Schweifes. Der Lichttrichter schwingt in fließenden Wellen zu mir herab.

Ich höre Vater leise sagen: "Gute Reise, Elzi, habe es gut in der anderen Welt."

Die Farben durchdringen meinen Körper. Ich bin das Rot, das Blau, das Gelb und Grün und Weiß. Es ist so schön ... Sie heben mich in das Licht hinein ...

 

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 31.10.2014

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