Diese Schmerzen, immer wieder diese Schmerzen! Es hört überhaupt nicht mehr auf. Des Nachts jagen sie mich aus dem Bett. Tagsüber finde ich Ablenkung, doch jede Bewegung wird zur Qual. Trotzdem treibe ich Sport, aber der Schmerz schlägt zurück, indem er Ameisen durch die Nervenbahnen sendet.
Meine große Hoffnung war die Physiotherapeutin. Sie versprach mit fester Stimme, dass sie mich von dem Leiden befreien könnte. In jenem Moment überwältigten mich die Gefühle. Ich konnte nicht verhindern, dass Tränen aus den Augen stürzten, und ich in das Taschentuch schnäuzen musste. lch schäme mich jetzt noch dafür.
Sie hat bereits viele Methoden an mir ausprobiert, doch vergebens. Ihr nächstes Ziel sind meine Faszien. Das ist irgendein besonderes Gewebe, welches nach neuesten Erkenntnissen der Schmerzforschung für die Quälerei verantwortlich sein kann, der ich Tag und Nacht ausgesetzt bin. Ich bin immer wieder erstaunt, was ich so alles in meinem Körper habe. Faszien! Alles hängt mit allem zusammen. Ich bin ein komplexes System, bei dem ein Baustein aus den Fugen geraten ist. Der Fehler setzt sich wie eine Kettenreaktion fort, breitet sich mit schmerzender Peitsche in mir aus.
Heute habe ich mich dieser Behandlung ausgesetzt. Hoffnungsvoll stand ich, nur in Unterhosen bekleidet, vor der Pritsche. Und was war wieder? Ich hatte bei der Therapie das Gefühl, dass der Schmerz in das Gehirn eindringt, um es auseinander zupressen. Sie haben sicher nie erfahren, wie einem zumute ist, wenn der Kopf kurz vor seiner Explosion steht. Die Zähne biss ich aufeinander, so sehr drang der Schmerz in die Tiefe. Es war, als ritze sie mit einem Messer unsichtbare Bahnen in das Fleisch meiner Oberschenkel sowie Waden. Dabei erzählte die hübsche Physiotherapeutin, die den Namen Dana trägt, dass ihr beim Erlernen dieser Behandlungstechnik ein Lehrfilm vorgeführt wurde, worin die Opferpatientin vor Schmerzen schrie. Ist das nicht zynisch? Mir so etwas zu erzählen, während ich selbst versuche, meine Schreie zu unterdrücken? Nun frage ich mich: Darf Dana das? Darf sie mir derartige Schmerzen zufügen, wenn sie mir diese nehmen will? Mit Sicherheit nicht!
Ich bin nicht bereit, weiteres Leid zu ertragen und werde mich wehren. Die Frage nach dem wie erübrigt sich. Natürlich werde ich sie quälen und sie mit Schmerzen versorgen. Dieses Mal in körperlicher Form.
Psychische Schmerzen habe ich ihr vor Wochen zugefügt. Ich musste mich einfach rächen. Immer wieder weckt sie Erwartungen, dass sie die Marter mit ihren Methoden verscheuchen kann. Und wie ich damals hoffte! Ich sehnte mit jeder Zelle meines Seins einen Tag ohne diese Qual herbei. Nur einen Tag! Vergebens! Immer wieder verpuffte die Hoffnung im Raum. Das muss erst mal einer aushalten. Ich bin dazu nicht mehr in der Lage.
Nachts, wenn die Schmerzen sich bis ins Knochenmark durchnagten, sodass ich das Bett verlassen musste, wandelte ich im Dunklen durch die Wohnung und hatte die tollsten Ideen. Ich bin stolz darauf, dass trotz der Folter mein Kopf so gut arbeiten konnte.
Zunächst schwärzte ich Dana in der Wettbewerbszentrale an.
Wir unterhalten uns viel, wenn ich unter ihren Händen auf der Pritsche liege. So vertraute sie mir an, dass sie in der Freizeit gern Bücher schreibt und lud mich ein, ihre Autorenseite im Internet zu besuchen. Ich stellte fest, dass diese kein Impressum enthielt. Natürlich meldete ich das der Wettbewerbszentrale. Das ist ungesetzlich und kam ihr teuer zu stehen. Sehr teuer sogar! Die Einnahmen, die sie durch die Literatur hatte, ergaben nun unter dem Strich ein sattes Minus. Sie erzählte, dass sie ein fettes Bußgeld zahlen musste und beinah den finanziellen Ruin erlitten hätte. Ha! Da habe ich mich gefreut! Um so mehr, als ich erfuhr, dass sie jegliche Lust am Schreiben verloren hat. Ich habe ihr liebes Hobby zerstört. Das ist gut so. Kein einziges Mal kam in ihren Machwerken das Wort Schmerz vor. Derartige Literatur interessiert mich nicht. Ich ordne sie der Schundliteratur zu, weil das Leben nur aus Schmerzen besteht. Ich bin das beste Beispiel.
Später habe ich ihre Autoreifen angestochen. Auch das hat sie total aufgeregt, da sie an diesem Tag nicht zur pflegebedürftigen Mutter fahren konnte, die sie sehr liebt.
Mein dritter Racheakt, der Danas Psyche fast zerbrach, war Spitze. Ich entführte ihr Schmusehündchen Philipp, den ich mit Schmerztabletten, die sich in meinem Schränkchen anhäuften, umbrachte. Immer, wenn ich es öffnete, fielen mir die Schachteln und Fläschchen, prall gefüllt mit Pillen und Tropfen, entgegen und landeten auf dem Fußboden. Das war das Einzige, wozu sie in der Lage waren. Ihrer Bestimmung, Schmerzen zu beseitigen oder wenigstens zu lindern, entsprachen sie nicht, sodass ihr Anblick mir die Zornesröte ins Gesicht trieb.
Doch jetzt ist mein Medizinschränkchen nicht mehr so voll und Philipp tot. Damit habe ich der verhassten Pharmaindustrie noch einen Gefallen getan, da ihre sonst nutzlosen, aber teuren Medikamente einer sinnvollen Verwendung zugeführt wurden. Vorher hatte ich dem Hündchen ein Würstchen als Henkersmahlzeit gegeben, die es mit großem Appetit verschlang. Ich schwöre, es hat überhaupt nicht gelitten. Ich bin doch kein Tierquäler! Philipp legte sich auf das Parkett und schlief friedlich für immer ein. Ich habe ihn erst ausgeweidet, als er mit Sicherheit tot war. Einen Vorwurf kann man mir wirklich nicht machen. Beim anschließenden Ausstopfen wurden alle Regeln der Kunst beachtet, habe ich doch vor der Invalidschreibung als Präparator für ein naturkundliches Museum gearbeitet.
Danas Leid milderte meine Schmerzen bedauerlicherweise nur vorübergehend. Ich genoss es, als ihre Tränen auf meinen Rücken tropften, während sie die Wirbel durchwalkte und erzählte, dass ihr Philipp verschwunden sei.
Als Dana eines Tages die Haustür öffnete, stand das Hündchen ausgestopft davor. Drei Wochen konnte sie wegen seelischer Erschütterung nicht zur Arbeit kommen. Ich hatte seit langer Zeit wieder gute Laune.
Sie vertreten mit Sicherheit die Ansicht, dass mein Gehirn krank ist. In gewisser Weise haben Sie recht. Jeder Psychologe wird zugeben, dass die Seele eines chronischen Schmerzpatienten Schäden aufweisen kann. Nicht umsonst bieten sie entsprechende Therapien an. Mich brachten sie allerdings nur zum Heulen, weil der Kummer überwältigend ist. Helfen konnten mir die Seelenklempner nicht.
Naja, mittlerweile gehe ich zweimal in der Woche zu Dana, die sich momentan die Dreistigkeit herausnimmt, die Verklebungen meiner Faszien zu lösen. ICH WILL BEI DER BEHANDLUNG NICHT NOCH MEHR SCHMERZEN ERLEIDEN. Es steht mir jederzeit offen, die Therapie abzubrechen. Allerdings zeigt die Physiotherapeutin eine Begabung, Hoffnung zu schüren, wo in der Realität kein Raum für sie ist. Immer wieder wirft sie mir diesen Strohhalm zu, an den ich mich wider besseren Wissens erneut klammere. Die Aussicht in Zukunft ohne Torturen zu leben, ist verlockend. Daher nenne ich sie auch gern „mein Sonnenschein“.
Ich muss mich von ihr befreien. DANA MUSS WEG! Ich vergelte gleiches mit gleichem. „Mein Sonnenschein“ fügt mir Schmerzen zu. Sie muss begreifen, dass ich das auch kann – ich werde sie töten. Doch sie soll keinen sanften, humanen Tod erfahren, so wie ich es ihrem Hündchen ermöglicht hatte. Sie soll vorher brüllen, am besten die Worte: ICH HALTE DIE SCHMERZEN NICHT MEHR AUS! Das wäre eine Genugtuung für meine Seele. Aber helfen wird ihr dies nicht.
Ich habe folgenden Plan: Morgen bin ich der letzte Patient. Sie wird allein in der Praxis sein. Zunächst lasse ich mich von ihr behandeln, damit die Schmerzen, die sie mir zufügt, die Aggressivität in mir schüren. Das wird das Vorspiel sein. Anschließend werfe ich sie auf den Schlingentisch, reiße ihr die Kleider vom Leib, stecke ihre Arme und Beine, jedes für sich verdreht, in die vorgesehenen Schnüre und ziehe sie soweit auseinander, bis sie kreischt. Weitere Fesseln sorgen dafür, dass sie sich nicht befreien kann. An Folterwerkzeugen fehlt es in dieser Physiotherapie nicht. Alles ist vorhanden. Akupunkturnadeln, Schröpfgläser, usw. Das Blut wird fließen. Mit den asiatischen Massagestäbchen und –kreuzen werde ich sie zusätzlich peinigen, bis ihre Haut in Fetzen herunterhängt. Das wird Schwerstarbeit. Doch die Bewegung wird mir gut tun. Ärzte, Schwestern, Physiotherapeuten und ähnliches Gesindel behaupten, dass Sport die Qualen des Betroffenen lindert. Wenn Danas dabei zunehmen, um so besser. Zugleich verbinde ich sie noch mit den Elektrostimulationsgeräten, wobei die Elektroden auf besonders empfindliche Körperstellen, wie Brustwarzen und dergleichen, aufgeklebt werden. Den Rest verteile ich über ihren gesamten Körper. Alle Schalter und Knöpfe werden in die Maximalstellung gebracht, nur so kann der Strom in ihrem Leib seine Polka tanzen. SIE WIRD SCHMERZEN HABEN! Ich hoffe, dass dann ein langsamer, schmerzhafter Tod folgt. Wenn sie bei Anbruch des nächsten Tages noch lebt, ersteche ich sie mit einem scharfen Küchenmesser. Ich freue mich auf diesen Moment.
Na, was halten Sie von meinem Plan?
Seitdem sind einige Monate vergangen. Mir geht es nicht so gut. Besser gesagt, ich fühle mich miserabel. Täglich kommt die Krankenschwester und gibt mir eine Spritze, die den Schmerz nicht vertreibt, aber mich zum Gähnen bringt. Ich bin zu müde, mich umzubringen. Gleich nach der Reha kratzte ich die restlichen Pillen zusammen und spülte sie mit großen Schlucken, die ich aus der Schnapsflasche nahm, hinunter. Ich lehnte mich zurück und wartete auf den Tod. Und wer kam? Es war nicht mein Lebensende, es war Frau Schreiber, die Nachbarin. Die Wohnungstür stand offen. Eine Dame vom Pflegedienst hatte vergessen, sie zu schließen. Frau Schreiber, die dumme Gans, betrat durch ihre Neugierde getrieben, einfach die Wohnung. Sie behauptet, vorher geklingelt zu haben. Sie rief sofort den Rettungsdienst, da sie mich nahezu erkaltet vorfand. Die angeblichen Retter holten mich ins Leben zurück, in dieses Leben voller Schmerzen, die die zusätzliche Behinderung nicht gerade erträglicher macht.
Die Folter hat zugenommen, aber Dana lebt. Ja, Sie hören richtig, Dana lebt. Obwohl der Plan bis ins letzte Detail durchdacht war, bin ich leider nicht dazu gekommen, ihn auszuführen. Ich hatte „meinen Sonnenschein“ unterschätzt. Sie kam mir zuvor. Dumm ist sie wirklich nicht. An dem Tag, an dem ich sie töten wollte, lag ich halb nackt bäuchlings auf ihrer Pritsche. Sie schlug eine neue Therapie vor, die die Schmerzen zwar nicht beseitigen, jedoch mit Sicherheit verringern könnte. Wenigstens Linderung, auch das bringt Erleichterung. Ich stimmte der Behandlung zu. Ein Fünkchen Hoffnung keimte in mir auf.
Zunächst schob sie die Haut auf meinem Kopf herum, ganz sanft, legte die andere auf die Wirbelsäule und streichelte diese mit zunehmendem Druck. Anschließend griff sie mit den Fingern beider Hände in die Wirbel hinein. Es knirschte. Plötzlich krachte es in meinem Inneren, als würde ein Hammer auf Metall schlagen. Der Stoß dröhnte in den Ohren.
„Das ist für die Anzeige bei der Wettbewerbszentrale“, keuchte sie. „Du hast einfach zu viel Kenntnis gezeigt, als ich dir davon erzählte, und dich verplappert, du verquatschtes Schwein. Und ich hatte dir vertraut!“
Meine Wirbel schienen zu glühen. Die Hitze war unerträglich und breitete sich bis in die Gedärme aus. Kaum kam ich wieder zur Besinnung, ließ mich ein erneutes Knacken im Steiß aufschreien.
„Und das ist für die Autoreifen!“ Ihr Atem stieß mir in den Rücken. „Du denkst wohl, ich wusste es nicht?“
Ich wollte mich wehren, doch konnte ich mich kaum bewegen. Was hatte sie nur getan?
„Du redest während der Therapie einfach zu viel. Ich schöpfte Verdacht und fand Zeugen, die bestätigten, dass du es warst“, fuhr sie fort und fing an, heftige Hiebe mit der Handkante zu verteilen. Dann setzte sie sich rittlings auf mich und traktierte den Rücken mit Massagezubehör. Sie drückte die Stäbe tief zwischen die Wirbel. Der Schmerz schlug Wellen, die sich in jeder Zelle ausbreiteten. Tausende Nadeln stichelten die Wirbelsäule auf und ab. Sie hörte nicht auf, bis ein fürchterliches Malmen im Rückgrat Dunkelheit über die Sinne brachte. Während ich in die Ohnmacht abglitt, vernahm ich noch ihre Worte: „Und dies ist für meinen Liebling Philipp, den du auf dem Gewissen hast. Die Nachbarn beobachteten, wie du ihn in dein Auto zerrtest. Du bist ein perfides Ungeheuer!“
Erst einige Tage später wachte ich im Krankenhaus auf.
Die Krankenschwester erzählte, dass mich spielende Kinder im Gebüsch einer Parkanlage gefunden hatten. Obwohl die Polizei annahm, dass ich von Kriminellen zusammengeschlagen wurde, ging sie meiner Aussage nach. Die Beamten fanden keinerlei Hinweise auf diese Tat. Dana hatte sämtliche Spuren verwischt und alles perfekt vorbereitet. Niemand kann dem raffinierten Weib etwas nachweisen. Es gibt keine Zeugen.
Inzwischen hat sie sich ins Ausland abgesetzt. Tag und Nacht recherchiere ich im Internet, um ihren Wohnort aufzuspüren. Sie ist sehr vorsichtig. Ich werde sie finden und Rache verüben.
Und ich? Mein Leben hat sich durch sie in eine wahre Hölle verwandelt. Leider fällt mir keine weitere Methode ein, wie ich mich noch umbringen könnte, obwohl mir viel Zeit zum Überlegen zur Verfügung steht. Alle Medikamente haben die Krankenschwestern mitgenommen. Aufhängen oder sich aus dem Fenster stürzen ist nicht so einfach, da ich seit Danas Attacke im Rollstuhl sitze. Ich bin teilweise gelähmt und auf Hilfe angewiesen.
„Mein Sonnenschein“ hat schwere Schuld auf sich geladen, eine sehr schwere Schuld. Ich werde diese „Sonne“ zum Erlöschen bringen, das weiß ich genau. Irgendwann und irgendwie ...
Texte: Brigitte Voß
Bildmaterialien: ClipArt
Tag der Veröffentlichung: 08.07.2014
Alle Rechte vorbehalten