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Elvis, Sonny West und das Weiße Haus

Elvis ist mir aus verständlichen Gründen nie begegnet, auch nicht als Geist, obwohl mich das in hysterisches Entzücken versetzen würde. Vor sieben Jahren, allerdings, war ich ihm sehr nah. Damals arbeitete ich in Berlin und die Familie blieb in der Heimatstadt zurück.

Nach der Arbeit empfing mich „meine Bude“ mit trister Verlassenheit. Die Berliner Nebenwohnung kannte nur mich und beherbergte keinen weiteren Menschen. Das war öde und bekam meiner Psyche nicht.

Oft spielte sich das Heimkommen folgendermaßen ab: Wohnungstür aufschließen, in das menschenleere Zimmer schauen, kehrt machen und durch die Berliner Straßen schweifen.

An jenem Tag war ich besonders melancholisch. Ich lief den Kuhdamm entlang und landete in der Tauentzienstraße, wo ich ein Plakat sah. Es warb für eine Elvisausstellung anlässlich seines 30. Todestages im Ellingtonhotel. Das war ja gleich um die Ecke. Da ich eh nichts weiter vorhatte und mich die Ausstellung interessierte, bog ich kurz entschlossen zum Ellingtonhotel ab, wo ich eine Eintrittskarte erstand.

Im ersten Raum prangten mir Großaufnahmen entgegen, die Elvis während der Konzerte zeigten. Er wäre jetzt ein alter Mann. Für einen echten Fan ist das kaum vorstellbar. Seinerzeit liefen die Medien Sturm gegen ihn, nur weil er seine Hüften rotieren ließ und dabei die Beine verdrehte. Das war anstößig und entsprach nicht der Moral des damaligen amerikanischen Bürgertums. Doch die Ansichten änderten sich, und Elvis wurde vom Präsidenten Richard Nixon im Weißen Haus empfangen.

Ich erinnere mich noch genau an die Ausstellung 2007. Es war die größte ihrer Art außerhalb Gracelands. Viele persönliche Gegenstände des Kings of Rock’n‘ roll waren zu sehen: edler Schmuck, riesengroße Sonnenbrillen mit aufwendigem Design (sie werden für 30 000 bis 50 000 Euro das Stück gehandelt), seine Bibel, sein Schlafanzug aus Seide, die prunkvolle Bekleidung, die er während der Auftritte trug, usw. Unter den Exponaten befand sich auch die berühmte Ehrenmarke der Anti-Drogenbehörde, die Presley 1970 im Weißen Haus von US-Präsident Richard Nixon verliehen wurde. Ein Großteil der beeindruckenden Ausstellungsstücke wurde durch Fotos vervollständigt, auf denen Elvis mit den jeweiligen Gegenständen zu sehen war.

Ich stand fasziniert vor den Vitrinen und war begeistert, hinterfragte mich allerdings auch, wieso ich auf all diese Dinge abfuhr. Meine Schlafanzüge würde später niemand bestaunen. Dabei hatte mich der Sänger früher nie interessiert. Er entsprach nicht meiner Generation. In der Jugendzeit hörte ich die Stones, Doors, Led Zeppelin, The Who, usw. ...Die Begeisterung für Elvis begann als junge Mama. Da mich Langeweile quälte, zappte ich im Fernsehprogramm herum. Plötzlich sah ich, wie Frauen vor einer Bühne kreischten, was mich unerklärlicherweise interessierte. Ich erkannte Elvis, der sich mit einem Tuch den Schweiß von der Stirn tupfte und dieses in die hysterisch schreiende Weiblichkeit warf. Ich war begeistert! Und dann sang er auch noch. Natürlich kannte ich den Song, doch in dem Moment sprang der Funke über. Ein Funke, der meine bisherige Interessenwelt ins Wanken brachte. Seitdem verfolgte ich alles, was mit dem King des Rock’n’ roll zu tun hatte. Wenn ich seine Musik höre, breitet sich in meiner Seele eine knisternde Spannung aus, die mich vom Rest der Welt entrückt. Diese elektrisierende Erregung ließ auch während der Ausstellung nicht auf sich warten.

Ich wandelte durch die Räume und gewahrte, dass im Nachbarraum eine Talkshow stattfand. Die Neugierde trieb mich hinein. Hinter den besetzten Stühlen zwängten sich Menschen und lauschten, was der Dolmetscher gerade übersetzte. Ein älterer Herr saß am Tisch und richtete abschließende Worte in englischer Sprache an die Zuhörer. Sie waren gespannt und hingen förmlich an seinen Lippen. Er trug ein schwarzes Hemd, über dem sich eine Silberkette mit kräftigen Gliedern ausbreitete. Er schien permanent zu lächeln. Wer war dieser Mann? Ich kramte das Faltblatt aus meiner unergründlichen Tasche. Es offenbarte, dass es ein Bodyguard von Elvis war, mit dem Namen Sonny West. Ich atmete auf, als ich las, dass die Talkshow am nächsten Tag wiederholt wurde.

Am folgenden Tag kaufte ich mir zum zweiten Mal eine Eintrittskarte und ging unverzüglich in den Veranstaltungsraum, der bereits recht gut gefüllt war. Ich fand noch einen der letzten Plätze. Endlich betrat Sonny West, der viele Jahre als Elvis‘ persönlicher Bodyguard arbeitete, auf Graceland lebte und Mitglied der „Memphis Mafia“ war, den Raum.

Er sprach mit Begeisterung und ohne jegliche Verbitterung über Elvis. Immerhin wurde er von ihm rausgeschmissen. Er erklärte, dies sei geschehen, weil er ihn von den Drogen fernhalten wollte. Danach schrieb West das Buch: „Elvis: What happened?“ Darin prangerte er die Tabletten- und Alkoholsucht des Kings an. Verständlicherweise kam das bei Elvis und den Fans nicht gut an.

Er erzählte, dass Elvis ihn als persönlichen Fahrer beschäftigt hatte. Er hielt die Autos in einem Topzustand.

Seine Hauptaufgabe bestand jedoch darin, zu verhindern, dass die Fans nicht zu dicht an den King herankamen. Sie wollten ihm natürlich nicht wehtun, doch sie hätten es mit Sicherheit getan. Die durchgedrehten Verehrer/innen wollten ihn permanent berühren, ein Haarbüschel von ihm haben, Kleidungsstücke oder anderes.

Er berichtete auch, dass Elvis jede Menge Schusswaffen besaß und damit gern auf Fernsehgeräte zielte, wenn ihm irgendwelche Sänger einer Sendung nicht gefielen. Doch wenn der King auf Fernseher schoss, wäre das immer ein Zeichen gewesen, dass es ihm gut ginge.

Ein lachendes Raunen tönte durch die Reihen der Zuhörer.

Er schilderte Elvis als warmherzigen Boss, der große Angst hatte, getötet zu werden, da er berühmt war.

Ein Satz von Sonny West ist mir natürlich in besonderer Erinnerung: „Wenn Elvis tatsächlich noch leben würde, sähe er mit Sicherheit noch verdammt gut aus.“

Die Zuhörer nickten zustimmend. Er ging davon aus, dass der King seine Sucht besiegt hätte.

Am Ende des Vortrages konnte das Publikum Fragen stellen. Ich hatte in der Ausstellung den Brief von Elvis an den Präsidenten der Vereinigten Staaten gelesen. Er bat darin, als Drogensheriff eingesetzt zu werden. Das interessierte mich.

So nutzte auch ich die Chance und fragte den ehemaligen Bodyguard (natürlich auf englisch, das ließ ich mir nicht von einem Dolmetscher abnehmen, weil es eine gewisse Nähe schuf), was er über das Treffen mit Präsident Nixon berichten konnte. Immerhin hatte er ihn ins Weiße Haus begleitet. Die Zusammenkunft mit dem Staatsoberhaupt fand im Dezember 1970 statt. Für Sonny West war es ein Höhepunkt. Nixon hätte allen die Hände geschüttelt und einen grauen Baumwollanzug getragen. Elvis trug seine schwarzen Lederstiefel, den Gürtel mit Goldbelag und eine übergroße Sonnenbrille, natürlich auch einen Anzug.

„Mir hat der Präsident noch auf die Schulter geklopft und zu Elvis gesagt: ‚Du hast ja kräftige Jungs hier‘“, informierte uns West, wobei seine Augen strahlten.

Elvis wurde mit der Dienstmarke des „Büros für Narkotika und gefährliche Drogen“ zum Bundesdrogenfahnder befördert.

Das Treffen wurde bis 1972 geheim gehalten und gilt als bizarrster Augenblick der Popgeschichte.

Die Veranstaltung war beendet, ich schaute mich noch in der Ausstellung um und ging anschließend Richtung Ausgang. Sonny West kam mir entgegen. Sein blondes, bereits vom Weiß des Alters durchsetztes Haar, schimmerte im Neonlicht. Mein Herz klopfte bis zum Hals. Er erkannte mich, kniff die Augen verschmitzt zusammen und sagte mit tiefer Stimme: „That was a good question, a very good question.“ (Das war eine gute Frage, eine sehr gute Frage.)

Meine Knie wurden weich. Es war, als hätte Elvis mit mir gesprochen.

 

 

 

Impressum

Texte: Brigitte Voß
Bildmaterialien: Wolfgang Voß
Tag der Veröffentlichung: 02.07.2014

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