Lehrjahre sind keine Herrenjahre
Mein Leben in Jahrzehnten
Als ich 1955 mit knapp 17 Jahren mit dem Abschlusszeugnis der Realschule entlassen wurde, versuchte ich vergeblich bei einer größeren Firma wie Siemens oder Buderus einen Ausbildungsplatz zu bekommen .Karstadt bot mir einen Ausbildungsplatz in der Konfektionsabteilung an. Das wollte ich nicht. Ich wollte unbedingt ins Büro.
Zu der Zeit waren die Ausbildungsplätze sehr rar. Ich war am Ende froh, in einem kleinen Betrieb anfangen zu können.
Ich begann eine Ausbildung als Groß- und Außenhandelskauffrau in einem kleinen Betrieb in Essen - Stadtwald. Im Briefkopf stand „Herstellung und Vertrieb feinmechanischer und metallkünstlerischer Gegenstände“.
Die Firma hatte ein Juweliergeschäft in Essen-Rüttenscheid und in ganz Westdeutschland in den großen Kaufhäusern wie Karstadt und Horten jeweils einen Modeschmuckstand und beschäftigte Werbeverkäuferinnen, die auf Honorarbasis arbeiteten.
Im ersten Lehrjahr bestand meine Ausbildung darin. Im Lager Schmuck auszuzeichnen und die von den Verkäuferinnen bestellte Ware zusammenzustellen und ganz wichtig , den Ofen anzuheizen, denn eine Heizung gab es nicht. Für die Mittagspause (eine halbe Stunde )haben wir von zu Hause einen Henkelmann mitgebracht, den wir auf dem Ofen warm machen konnten.
Im zweiten Lehrjahr durfte ich dann schon die ellenlangen Lieferscheine in fünffacher Ausfertigung auf einer alten klapprigen Schreibmaschine tippen. Einen Fehler durfte ich mir dabei nicht erlauben, sonst musste ich noch einmal von vorne anfangen.
Im letzten Ausbildungsjahr war ich dann vorne im Büro und sollte auf Anhieb die Sekretärin ersetzen, die gekündigt hatte. Das bedeutete für mich Diktate aufnehmen, die Honorarabrechnung für die Werbeverkäuferinnen erledigen und was sonst noch anfiel. Für die Buchhaltung hatten wir eine Buchhalterin, die fast schon im Rentenalter war. Außer der Buchhalterin habe ich von der Buchhaltung nichts zu sehen bekommen. Die Buchführung wurde einfach von mir ferngehalten. Doch auf meinem Zeugnis stand, als ich dort aufhörte, „Die Ausbildung erfolgte nach dem Berufsbild des Kaufmannns im Groß- und Außenhandel“, wobei Fräulein L. Gelegenheit hatte, sich in allen Abteilungen(Es gab nur ein Lager und ein Büro) sowohl des Groß- als auch des Einzelhandels entsprechenden Einblick zu verschaffen.“
Eigentlich war das eine bodenlose Frechheit so etwas zu schreiben., bei der Ausbildung, die ich in der Firma hatte.
Aber ich war am Ende der Lehrzeit perfekt darin, mit wenig Holz einen Ofen anzuheizen. Ja, super !!!.
Am Wochenanfang war immer die Hölle los. Dann kamen die Aufträge der Werbeverkäuferinnen herein, und es musste alles am gleichen Tag erledigt werden. Es durfte kein Auftrag bis zum nächsten Tag liegen bleiben. Das bedeutete Überstunden, und dass ich abends manchmal erst um 22,00 Uhr zu Hause war.
Der Chef war dann so gnädig und hat mich in seinem Mercedes heim gefahren, Morgens bin ich um 7.00 Uhr aus dem Haus, bin von Essen-Kray mit dem Zug zum Hauptbahnhof Essen gefahren, eilte schnell zur Hauptpost, um die Post abzuholen, und dann ging es weiter mit dem Zug nach Essen-Stadtwald.
Jeden zweiten Samstag haben wir bis 13.30 Uhr arbeiten müssen. Also nur an jedem zweiten Wochenende zwei freie Tage.. Wir hatten eine 48 Stunden Woche. Erst 1957 begann die Umstellung von der 48 auf die 45 Stundenwoche. Und erst 1960 wurde die 5 tage Woche eingeführt. Ab 1962 gab es eine weitere Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit auf 42 ½ Stunden (8 1/2 Stunden täglich). Während der Ausbildung habe ich 12 Arbeitstage Urlaub bekommen
Die Aufträge waren meistens auf offenen Postkarten geschrieben. Nach einer gewissen Zeit hatte ich heraus, wie viel wir davon am gleichen Tag erledigen konnten, war auch in der Lage die Dringlichkeit der einzelnen Aufträge fest zustellen. Und da passierte es schon mal, dass ich einige Bestellungen zurückhielt und sie erst am nächsten Tag ablieferte. Ich wollte damit erreichen, dass die Arbeit gleichmäßiger verteilt wird. Dienstags war es dann auch noch einmal heftig, und nach diesen zwei anstrengenden Tagen musste ich mittwochs immer zur Berufsschule.
Lange Rede kurzer Sinn. Ich habe am Ende der Lehrzeit meine Prüfung nicht bestanden. Chef und Chefin waren unangenehme Leute , so nach dem Motto Zuckerbrot und Peitsche. Sie waren zwar bereit , mich noch ein halbes Jahr zu behalten, so dass ich die Prüfung hätte wiederholen können. Klar, für 105,-- DM im Monat hätten sie keine Sekretärin bekommen. Und ich war ja nun so schön eingearbeitet. Aber ich hatte die Schnauze gestrichen voll und wollte nur weg.
Zwei Monate später fing ich dann als Bürokraft bei einem Elektro-Kundendienst an.
Texte: Doris Frese
Tag der Veröffentlichung: 29.06.2020
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