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Fühlen

Fühlen

Der letzte der 5 Sinne

Der letzte der 5 Sinne ist das „Fühlen“.

Das Fühlen ist das Stiefkind unter unseren Sinnen. Verglichen mit Sehen, Hören, Riechen oder Schmecken gilt er als niedere Wahrnehmung. Dabei ist das Fühlen lebenswichtig.

Es fängt bei dem Baby an. Das völlige Fehlen liebevoller Bemühungen verzögert nicht nur die Entwicklung und verursacht seelische Schäden, sondern kann sogar zum Tode führen.

(Quelle , Planet wissen)

Fühlen hat zwar auch etwas mit ertasten , aber für mich in erster Linie mit den Gefühlen zu tun, also mit Schmerz, Liebe, Zuneigung, Abneigung, Ekel, Freude, um einige zu nennen.

 

Ich habe des Öfteren schon den Satz gehört oder gelesen:

 

„ Sie oder er hatte das Gefühl, als ob man ihr oder ihm den Boden unter den Füßen weg zieht.“

Ich hatte eigentlich nie so richtig über diesen Satz nachgedacht, bis ja, bis ….

 

Ich fange mal von vorne an. Eine Tochter von mir ist in Bayern mit einem waschechten Münchener verheiratet. Als sie vor über 29 Jahren heirateten hatten sie den Wunsch mit wenigstens drei oder vier Kindern eine Familie zu gründen.

Aber es sollte ganz anders kommen. Meine Tochter konnte auf natürlichem Wege keine Kinder zur Welt bringen. Als Alternative gab es nur eine künstliche Befruchtung, zu der sie sich dann auch entschloss. Und oh Freude, die erste war sofort erfolgreich. Die Schwangerschaft verlief auch ganz normal.

Ungefähr zwei Wochen vor dem Geburtstermin habe ich mit ihr telefoniert und es ging ihr da gut. Sie freute sich auf die bevorstehende Geburt.

Fünf Tage später ging bei uns in der Mittagszeit das Telefon. Die Tochter war dran und erzählte mir in einem ganz sachlichen Ton, dass sie gerade aus dem Krankenhaus nach Hause gekommen wäre.

Ich in freudiger Erwartung:“ Und ?“

Sie daraufhin: „ Ich hatte eine Totgeburt“.

 

Und das war es. In dem Moment hatte ich wirklich das Gefühl, als würde man mir den Boden unter den Füßen wegziehen. Ich war nicht fähig einen klaren Gedanken zu fassen. Ich hatte nur den einen Gedanken. Ich müsste jetzt doch bei ihr sein, sie in den Arm nehmen mit ihr zusammen weinen. Aber das alles war in diesem Augenblick nicht möglich. Meine Tochter war 600 Kilometer entfernt.

Mein Mann und ich sind dann am nächsten Tag sofort zu ihr und dem Schwiegersohn gefahren. Und ich konnte sie endlich in meine Arme nehmen. Aber wie sollte ich sie trösten? Dass es beim nächsten Mal klappt? Es ging doch nur mit einer künstlichen Befruchtung. Sollte sie sich wieder dieser Tortur aussetzten. ? Außerdem tickte ja auch die biologische Uhr. Meine Tochter war schon über 30.

 

Aber was wir konnten --- zusammen weinen.

 

Während ich nun darüber schreibe, kommt mit aller Wucht wieder die Erinnerung daran und ich muss eine Pause einlegen.

 

So es geht wieder.

 

Einen Tag nach meinem Anruf verspürte die Tochter kein Leben mehr und rief ihre Hebamme an. Diese riet ihr sofort ins Krankenhaus zu fahren. Dort stellte man fest, dass die kleine Jelka, so sollte das Mädchen heißen, nicht mehr lebte.

Es wurde sofort eine Geburt eingeleitet . Sie bekam eine Spritze, damit die Geburt schmerzfrei verlief und  sie nicht auch noch Schmerzen  während des Geburtsvorganges  ertragen musste. Der Schwiegersohn war während der ganzen Zeit bei ihr. Und dann hielten sie die tote Jelka in ihren Armen.

Die Tochter hat es dann noch ein paarmal mit der künstlichen Befruchtung versucht, aber es war immer erfolglos. Schließlich gab sie auf und sie und der Schwiegersohn entschlossen sich, zwei Pflegekinder zu sich zu nehmen. Und das ist dann wieder eine andere Geschichte.

 

Bei mir stellte sich neben der Trauer in den nächsten Monaten ein ganz anderes Gefühl ein, nämlich das Neidgefühl. Wenn ich eine Frau mit ihrem Baby sah, konnte ich nicht hinschauen. Mich beschlich einfach der Neid. Warum sie und meine Tochter nicht? Aber dann kam auch das Schamgefühl dazu. Ich schämte mich , dass ich so Gedanken hatte.

Wenn ich dann in der Zeitung las, dass wieder eine Frau ihr Baby getötet und im Müll entsorgt hatte, kam das Wutgefühl hinzu. Warum bekamen Frauen, die gar kein Kind wollten problemlos Nachwuchs und meiner Tochter, die sich sehnlich ein Kind wünschte, wurde dieser Wunsch versagt.

 

Aber irgendwann ging das Leben auch für mich wieder normal weiter. Jelka wäre in diesem Jahr 25 Jahre alt geworden. Immer wenn ihr Geburtstag naht denke ich, wie sie sich wohl entwickelt hätte,.

Bei uns gibt es einen Bürgerwald. Dort kann man einmal im Jahr ein Bäumchen pflanzen und die Patenschaft dafür übernehmen. Vor ein paar Jahren haben mein Mann und ich dort vier Bäumchen für unsere Enkelkinder gepflanzt. Wir haben auch für Jelka eine Eiche gepflanzt. So wird sie nicht vergessen und immer in der Erinnerung weiter leben. Tochter und Schwiegersohn waren extra aus Bayern angereist um diesen Tag mit uns zu feiern. Sie haben sich sehr darüber gefreut. Dem Bäumchen geht es gut. Es ist inzwischen schon ein ganzes Stück gewachsen .

 

 

 

 

 

 

Impressum

Texte: Doris Frese
Bildmaterialien: Coverbild, eigenes Foto
Tag der Veröffentlichung: 01.05.2020

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