Seit ich denken kann, gab es in meinem Leben immer wieder mal Momente der Angst.
Was ist eigentlich Angst?
Angst ist lt. Wikipedia ein Alarmsignal und erhöht die allgemeine Aufmerksamkeit, z. B. bei Auftreten gefährlicher Situationen. Je nachdem wie groß die Angst ist, kann es zu körperlichen Reaktionen, wie Herzrasen, Zittern und Beklemmungen kommen.
Meine ersten Lebensjahre habe ich im zweiten Weltkrieg erlebt und wurde mit der Angst vor Bombenangriffen konfrontiert. Wenn die Sirene einen Angriff ankündigte, schlug mein Herz vor Angst schneller als sonst. Die Angst wich von mir, sobald der Angriff vorüber war.
Später als ich nach dem Krieg schon ein paar Jahre älter war, kam die Angst vor Strafe seitens der Eltern, wenn ich etwas Verbotenes getan hatte. Wenn ich z. B. sonntags mein bestes Kleid an hatte und durch eine Sumpfwiese ging und das Kleid von oben bis unten mit Schlamm bespritzt war. Zu der Zeit hatte meine Mutter noch keine Waschmaschine, um das Kleid mal eben darin zu waschen. Dazu kam, dass es ein rotes Seidenkleid war, von einer Schneiderin genäht. Den Stoff hatte meine Mutter unter erschwerten Umständen irgendwo besorgt.
Ja, da hatte ich vor Angst Magenschmerzen, als ich nach Hause kam und die waren berechtigt, denn es gab ganz schön etwas auf den Allerwertesten.
Dann gab es die Angst vor dem Zahnarzt, wenn er bohren musste. Vor Angst hatte ich nasse Hände. Sobald der Arzttermin vorbei war, entspannte sich mein Körper wieder.
Ich ging zwar gerne zur Schule, aber wenn ich eine Arbeit verbaut hatte, hatte ich Angst eine 5 oder sogar 6 dafür zu bekommen und atmete erleichtert auf, wenn es noch ein 4 war.
Als ich zum ersten Mal schwanger war, hatte ich große Angst vor der Entbindung. Dazu hatte allerdings auch meine Mutter beigetragen, die mir eine Geburt in den schlimmsten Farben ausgemalt hatte. Diese Angst stellte sich dann allerdings, genauso wie bei den beiden anderen Geburten, als unbegründet heraus. Ich hatte Gott sei Dank drei leichte Geburten, es war sogar eine Hausgeburt dabei. Die Schmerzen waren sobald ich meine Kinder im Arm hielt vergessen.
In den achtziger Jahren hatte ich große Angst, dass ich mein Augenlicht verlieren könnte. In der Augenklinik wurde während der Untersuchung der Chefarzt hinzu gezogen, das ließ mich schon ängstlich aufhorchen, befürchtete ich doch , dass es Komplikationen geben könnte. Und ich sollte Recht behalten. Der Chefarzt teilte mir dann sehr unsensibel mit, dass ich in beiden Augen Löcher in der Netzhaut hätte und damit rechnen müsste, dass ich über kurz oder lang erblinden würde. Das könnte in zwei Jahren sein, das könnte aber auch erst in zwanzig Jahren sein, aber ich könnte ja auch vorher unters Auto kommen. Das waren seine Worte. Ich habe sie bis heute nicht vergessen
Es war eigenartig, das hat mich schon sehr geschockt. Doch ich hatte inzwischen gelernt mit der Angst umzugehen. Ich habe mich ihr gestellt und es einfach nicht mehr zugelassen, dass sie mich beherrscht Ich übte dann zuhause mich mit geschlossenen Augen in der Wohnung zu orientieren.
Aber das Schicksal meinte es gut mit mir. Zunächst schüttelte mein Augenarzt den Kopf, als er hörte, was mir in der Augenklinik diagnostiziert wurde. Er meinte, das wäre wohl stark übertrieben, mein Gesichtsfeld würde sich zwar einengen, aber ich würde nicht vollkommen erblinden. Zu der Zeit konnte man medizinisch noch nichts dagegen tun. Ich weiß nicht, wie weit man heute in der Augenmedizin ist. Inzwischen ist ja schon allerhand möglich.
Ich musste nun alle drei Monate regelmäßig zur Untersuchung. Ja, und es geschehen noch Zeichen und Wunder. Die Löcher wuchsen so wie sie gekommen waren auch wieder von alleine zu. Jetzt bestand zwar die Gefahr, dass sich die Netzhaut von den Rändern lösen könnte, aber das hätte man dann lasern können. Soweit war man schon in der Medizin.
Vor ein paar Jahren stellte man in meinem linken Auge eine feuchte Makuladegeneration fest. In der Vergangenheit wurden alle Patienten mit dieser Augenerkrankung innerhalb weniger Jahre blind .Mittlerweile kann man die Krankheit in vielen Fällen behandeln. Dazu spritzt man unter örtlicher Betäubung ein Medikament in das betroffene Auge. Eine Injektion wirkt je nach Einzelfall etwa vier Wochen lang. Je früher man mit den Spritzen beginnt, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Therapie gut wirkt. Inzwischen habe ich schon insgesamt 15 Injektionen bekommen und habe auf dem Auge immer noch zwischen 50 und 70 % Sehkraft. Unbehandelt erblindet man.
Obwohl ich glaubte die Angst in den Griff zu haben, ließ ich mich in den 90ziger Jahren doch noch einmal von ihr beherrschen. Mein Gynäkologe stellte in meiner linken Brust einen Knoten fest Ich ließ ihn ambulant in seiner Praxis entfernen. Während der 24 Stunden, die ich auf das Ergebnis wartete, ob gutartig oder bösartig , ergriff wieder die Angst von mir Besitz. Ja, ich gestehe, dass ich tausend Ängste ausstand. Als dann der erlösende Anruf kam, dass er gutartig war, fielen mir ebenso viele Steine vom Herzen.
Jetzt mit 80 Jahren denke ich auch schon mal über den Tod nach. Angst vor dem Tod habe ich nicht. Ich hoffe, dass da auch das Schicksal gnädig mit mir ist und der Tod mich sanft hinüber schlafen lässt. Gewissermaßen so über Nacht, dass ich mich abends ins Bett lege und morgens nicht mehr aufwache. Aber genauso wie das Leben kein Wunschkonzert ist, ist auch das Sterben kein Wunschkonzert. Keiner kann es sich aussuchen. Noch geht es mir gut und ich genieße jeden Tag.. Ich halte es da mit Kurt Tucholski.
Erwarte nichts. Heute;
Das ist dein Leben.
Texte: Doris Frese
Bildmaterialien: Cover Internet
Tag der Veröffentlichung: 02.01.2019
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