Geburtstagsbrief an den Sohn
Mein lieber Sohn!
Ein ganz normaler Geburtstagsgruß zu Deinem 50. Geburtstag ist mir zu wenig. Das muss dieses Mal schon etwas mehr sein. Ich sitze also hier vor meinem Blatt Papier und erlebe in Gedanken noch einmal die Jahre mit Dir.
Vielleicht ist die Tatsache, dass Du Dein 50. Lebensjahr nun vollendet hast, für Dich nichts Aufregendes.
Ich dagegen kann nicht begreifen, dass seit Deiner Geburt 50 Jahre vergangen sein sollen. Mir ist, als wäre es erst gestern gewesen oder vorige Woche, - oder vor ein paar Monaten ? …Oder vor drei, vier Jahren? -----doch schon etwas länger?
Vielleicht doch schon 50 Jahre?
Nachdem meine Gynäkologin mir meine Schwangerschaft bestätigt hatte, freuten Dein Vater und ich uns sehr darüber. In den ersten Monaten hatte ich mit starkem Übelsein zu kämpfen. Danach ging es mir nicht nur gut, nein, ich blühte im wahrsten Sinne des Wortes auf, d. h., ich ging mehr auf wie ein Hefekloß. Ich fühlte mich von kleinen Krisen abgesehen, richtig gut in der Schwangerschaft . Nur vor der Geburt hatte ich ein wenig Angst. Schließlich war es die erste Niederkunft in meinem Leben. Auch Du scheinst Dich im Mutterleib wohl gefühlt zu haben, denn der Termin Deiner Geburt war schon längst überschritten, aber Du machtest keine Anstalten die Welt mit Deiner Anwesenheit zu beglücken. Letztendlich wurdest Du mit Gewalt in Form einer Beschleunigungsspritze in Deinem Quartier auf Trab gebracht.
Am 13. August 1961 schlug Dein Schicksal zu. Mit 14 Tagen Verspätung erblicktest Du an einem Sonntagmorgen um 10.00 Uhr bei herrlichem Sonnenschein das Licht der Welt. Ein kleines runzliges Etwas, 6 Pfund schwer, 51 cm lang mit kohlrabenschwarzem Haar.
Große Freude bei Deinem Vater und mir. Trotzdem entging uns nicht, dass genau an dem Tag Deiner Geburt in Berlin die Teilung Deutschlands durch den Bau einer Mauer vollzogen wurde, die bis zum 9. November 1989 das neue Wahrzeichen von Berlin und für viele Menschen mit sehr viel Leid verbunden war.
Dann kam der Tag, an dem ich mit dem kleinen Bündel Mensch auf dem Arm, für den Dein Vater und ich den Namen Michael ausgesucht hatten, aus dem Krankenhaus entlassen wurde.
Unser Familienleben konnte beginnen. Und es begann mit einen schreienden Baby und schlaflosen Nächten. Ein Schnuller brachte schließlich Abhilfe. Ansonsten hast Du Dich wie jedes andere normale Baby entwickelt. Nach 5 Monaten machte sich der erste Zahn bemerkbar und nach 6 Monaten konntest Du sitzen. So verging Dein erstes Lebensjahr. Als Du dreizehn Monate alt warst , bis Du zum ersten Mal alleine durchs Zimmer gelaufen. Weihnachten 1962 war das erste Weihnachtsfest, dass Du bewusst erlebt hast. Ich werde nie Deine strahlenden Augen vergessen, als Du den Weihnachtsbaum im Lichterglanz sahst und ich meine, jetzt noch Dein „Juchzen „ zu hören. Das sind so Momente im Leben, die man nicht missen und in denen man mit keinem Menschen tauschen möchte.
Am 9. Januar 1963 bekamst Du dann ein Schwesterchen , Ulrike.
Du hast sehr spät angefangen zu sprechen. Mit 2 Jahren hast Du zum ersten Mal „Mama „ gesagt. Zu meinem Leidwesen warst Du kein Schmusebaby. Sobald ich Dich auf den Arm nahm, um mit Dir zu schmusen, drehtest Du den Kopf weg und machtest Dich ganz steif. Nein, wahrhaftig ein Mamasöhnchen warst Du nicht, im Gegensatz zu Deinen Schwestern, die richtige kleine Schmusebabies waren. Zu Ulrike gesellte sich im Mai 1964 noch Steffi dazu.
Bis zum 22. April 1968 wohnten wir in Essen. Dein Vater hatte 1965 seine Bergschulzeit beendet und wurde auf der Zeche als Elektrosteiger angestellt. Das bedeutete , dass ihm eine Dienstwohnung zugewiesen wurde, d.. h. es war ein halbes Häuschen mit einem großen Garten dahinter. Ihr Kinder habt euch dort sehr wohl gefühlt.
Im Januar 1968 wechselte Dein Vater seine Arbeitsstelle und fing bei einer amerikanischen Firma in Hamm an. Der Abschied von Deinen kleinen Freunden in Essen fiel Dir sehr schwer. Aber es dauerte nicht lange, da hattest Du in Hamm neue Freunde gefunden.
Und hier begann dann auch der Ernst des Lebens für Dich mit der Einschulung am 12. August 1968. Und es begann eine Zeit, die weder für Dich als auch für mich sehr erfreulich war. Du hattest am Anfang große Probleme Lesen zu lernen. Ich versuchte Dir dabei zu helfen. Diese Versuche endeten jedes Mal mit Tränen, meistens bei Dir, aber manchmal auch bei mir, wenn ich nervlich am Ende war. Doch auch Du hattest es eines Tages begriffen. Du wurdest sogar ein guter Schüler, und Du wurdest ein leidenschaftlicher Fußballspieler. Ein echter Sohn Deines Vaters, zumindest was das Fußballspielen anbelangt.
Als Du im vierten Grundschuljahr warst, mussten wir die Entscheidung treffen, zu welcher weiterführenden Schule wir Dich schicken würden. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätten wir Dich an der Realschule angemeldet. Aber Deine Lehrerin riet uns, Dich am Gymnasium anzumelden. Und Du selbst wolltest das auch, weil alle Deine Freunde dort angemeldet waren. Mit zwiespältigen Gefühlen befolgten wir den Rat der Lehrerin.
Aber unsere Befürchtungen, dass Du es nicht schaffen könntest schienen sich, wenigstens am Anfang nicht zu bewahrheiten. Du brachtest gute Zensuren nach Hause. Die Jahre von Deiner Einschulung bis ungefähr zu Deinem 12. Lebensjahr waren mit die schönsten und erfreulichsten, die wir nicht nur mit Dir, sondern auch mit Deinen Schwestern, erleben durften. Eigentlich habt ihr uns nur Freude bereitet.
Ja, es war eine herrliche Zeit mit Euch Dreien, Auch wenn ich manchmal richtig schimpfen musste oder sogar wütend losschrie, wenn Ihr Euch mal wieder gezankt hattet. Meistens warst Du der Leidtragende. Jahre später erfuhr ich dann von den Mädchen, wie raffiniert sie es angestellt hatten, dass Du gescholten wurdest und nicht sie. Wenn sie Dich zum Beispiel ärgerten, Du Dich wehrtest,, sie dann laut losschrien, ich sie schreien hörte, die armen Mädchen bedauerte, die von dem bösen Buben geärgert wurden und der verdutzte Bub wahrscheinlich die Welt nicht mehr verstand.
Ich hoffe nur, mein lieber Sohn, Du hast mir inzwischen verziehen. Auch, dass ich Dich regelmäßig zwang, Deinen Teller leer zu essen, wenn es Erbsensuppe gab, die Du bis zum heutigen Tag nicht ausstehen kannst.
Für die Schwierigkeiten, die dann während Deiner Pubertät entstanden, sind hoffentlich nicht meine kleinen Ungerechtigkeiten verantwortlich.
Deine Leistungen in der Schule ließen zu wünschen übrig. Wir mussten Dich vom Gymnasium nehmen. Auch auf der Realschule musstest Du eine Klasse wiederholen und warst nun zusammen mit Deiner jüngeren Schwester Ulrike in einer Klasse. Wie beschämend muss das für Dich gewesen sein. Du zeigtest es nach außen nicht, wurdest aber immer verschlossener. Und wie ich damals meinte immer bockiger und Deine Leistungen ließen noch mehr nach.
Ich war verzweifelt. Ich wusste kein Patentrezept, um diese Situation zu ändern. Ich kam einfach nicht an Dich heran. Dann kam der Tag, an dem der blaue Brief von der Schule kam, dass Du in 5 Fächern „mangelhaft „ standest. Da setzte es bei mir aus. Aber anstatt zu toben, wurde ich dieses Mal ganz ruhig, setzte Dir ganz sachlich auseinander, dass es nun wohl Zeit wäre, dass Du Dir einen Job suchst, da Du ja die Klasse nicht noch einmal wiederholen könntest und wohl von der Schule musst und ohne Schulabschluss keinen Ausbildungsplatz bekommen würdest.
Damit war das Thema Schule für mich erledigt. Es war mir zwar nicht egal, aber ich war ganz einfach müde, immer und immer wieder das Gleiche ohne Erfolg zu predigen,. Ich resignierte und war grenzenlos enttäuscht.
Ich weiß nicht, was es letztendlich war, was Dich bewogen hatte, Dich doch noch einmal auf den Hosenboden zu setzen und Dich richtig lang zu machen. Jedenfalls schafftest Du es, nicht nur von den 5 Fünfen herunter zu kommen, sondern konntest vier Fünfen in Zweien umwandeln, nur in Physik rechtes es „nur“ für ein ausreichend.
Als Du 1979 aus der Realschule entlassen wurdest, hattest Du sogar die Qualifikation fürs Gymnasium. Du zogst es allerding vor, eine Ausbildung als Versicherungskaufmann anzufangen. Dich lockte das viele Geld. Die Versicherungen zahlten gut.
Ja, und während Deiner Ausbildungszeit lerntest Du Deine erst große Liebe kennen, die vier Jahre hielt. Deine Freundin beendete die Beziehung als Du beim Bund warst. Deine Schwestern und Deine Freunde halfen Dir in dieser Zeit, so gut sie konnten darüber hinweg zu kommen. So schmerzlich das für Dich war, für mich hatte das Ganze doch auch etwas Gutes. Wir zwei kamen uns dadurch ein wenig näher. Du wurdest mitteilsamer, die ersten zaghaften Versuche Deinerseits mit mir über Deine Freundin zu reden und später auch über andere Dinge, die Dich bewegten.
Im Frühjahr 1981 beendetest Du Deine Ausbildung mit der Note befriedigend. Deine Vorgesetzten waren sehr zufrieden mit Dir und hätten Dich auch gerne weiter beschäftigt. Die Zentrale in Hamburg entschied anders.
Nachdem Du bei dem Versuch, Dein Fachabitur zu machen gescheitert bist, in Deinem erlernten Beruf keine Anstellung bekamst, hieltest Du Dich mit verschiedenen Jobs , z. B. auch als Taxifahrer über Wasser.
Und dann überraschtest Du uns mit der Mitteilung, dass Du Dich auf dem Westfalenkolleg in Dortmund angemeldet hättest, um Dein richtiges Abitur nachzuholen. Und Du hast dann 1990 mit ausgezeichneten Noten Dein Abi gemacht.
Das alles ist nun schon zwanzig Jahre her. Dank Deiner kaufmännischen Ausbildung und Deiner Englischkenntnisse, konnte Dich Dein Vater noch bevor er Rentner wurde in seiner Firma unterbringen, in der Du nun schon zwanzig Jahre erfolgreich und als unverzichtbarer Mitarbeiter als Kostenanalytiker tätig bist.
Und im Privatleben hast Du nach ein paar Irrungen die Frau fürs Leben gefunden, mit der Du nun schon 10 Jahre verheiratet bist. Zu unserer aller Freude wurdest Du im letzten Jahr noch Vater einer süßen kleinen Tochter.
Lieber Michael, trotz einiger Umwege hast du am Ende doch Deinen Weg gefunden und darüber sind Papa und ich sehr froh , und wir sind sehr stolz auf Dich.
Für Dein weiteres Leben wünschen wir Dir weiterhin alles erdenklich Gute, privat und auch beruflich.
Wir wünschen Dir, dass alle Deine Wünsche in Erfüllung gehen. Mögen immer gute Freunde um Dich sein, und möge Dir jeder Tag der kommt , eine besondere Freude bringen und Dein Leben bereichern.
In Liebe Mama, imAugust 2011
Texte: Dora Fries
Bildmaterialien: Cover Fotot eigenes Bild von Enkelin Mila
Tag der Veröffentlichung: 01.10.2014
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für meinen Sohn Michael