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Abschiedserinnerungen

Abschiedserinnerungen

 

Ich habe in meinen 75 Jahren schon um viele geliebte Menschen geweint, von denen ich Abschied nehmen musste, sei es durch ihren Tod oder weil sie sich aus anderen Gründen aus meinem Leben verabschiedet haben.

Wenn ich es so recht überlege, ist der Geburtsvorgang schon der erste Abschied gewesen. Aus der molligen Wärme im Mutterleib hinaus in die kalte Welt. Das war der erste Abschiedsschmerz gegen den ich mich mit lautem Schreien wehrte.

Mit 10 Jahren wechselte ich von der Volksschule zur Mittelschule (spätere Realschule), trotz der Neugier auf die neue Schule, war ich traurig darüber, dass ich mich von meinen Schulfreundinnen verabschieden musste.

 

Als ich dann 1955 aus der Realschule entlassen wurde, bekam ich bei der Abschlussfeier in der Aula feuchte Augen und wischte mir heimlich die Tränen weg. Ich bin gerne zur Schule gegangen und der Abschied von meinen Klassenkameradinnen fiel mir schwer.

Der Abschied 8 Jahre Später von der Schwester meines Mannes, die plötzlich und unerwartet infolge eines Herzinfarktes mit 21 Jahren starb hat mich sehr mitgenommen. Sie war die Patentante unseres Sohnes, hatte am Nachmittag noch mit ihm gespielt und abends lebte sie nicht mehr. Ihr Tod hat mich wochenlang im Traum verfolgt.

 

Mein Mann war auf einer Zeche in Essen als Elektrosteiger beschäftigt. Als der Zusammenschluss dieser Zeche mit einer anderen geplant war, beschloss mein Mann, sich beruflich zu verändern. So nahm er am 2. Januar 1968 eine Stelle als Schichtleiter bei dem amerikanischen Chemiewerk Dupont in Hamm-Uentrop an. Drei Monate später sind wir dann nach Hamm umgezogen, nicht wissend , was uns die Zukunft in Hamm bringen würde. Der Abschied von Verwandten und Freunden fiel mir schwer. Abschiedsschmerz auch bei den Kindern. Es zerriss mir das Herz, als ich unsere fünfjährige Ulrike , die mittlere von unseren drei Kindern, im Auto leise vor sich hin weinen hörte. Da nützte auch mein Trost nicht, dass sie in Hamm sicherlich schnell neue Freunde finden würde. Und wie das bei Kindern so ist, lebten sie sich sehr schnell in der neuen Umgebung ein.

 

 

Mein Eltern wohnten noch in Essen, waren inzwischen beide pflegebedürftig und ich holte sie 1976 nach Hamm und brachte sie in einem Pflegeheim unter. Meine Mutter starb mit 74 Jahren im Oktober 1977, mein Vater folgte ihr 4 Jahre später im Alter von 85 Jahren. Ich war bei ihm, als er von uns ging. Sein Herz hat ganz einfach aufgehört zu schlagen. Im gleichen Jahr mussten wir auch Abschied von meinem Schwiegervater nehmen. Mit 67 Jahren war er viel zu jung zum Sterben. Er starb infolge eines Herzinfarkts, als er gerade 2 Tage mit der Schwiegermutter im Schwarzwald Urlaub machte. Meine Schwiegermutter musste hilflos mit ansehen, dass die Ärzte ihm nicht mehr helfen konnten. Sie ist über diesen Verlust nie mehr hinweg gekommen. Große Bestürzung und Trauer auch bei uns.

 

Und dann kam 1986 das Jahr des Abschiedsnehmens. Schon 1985 zog unser Sohn in eine Männer-WG und 1986 zog unsere Jüngste , Steffi, mit ihrem damaligen Freund zusammen, und Ulrike, die Sozialpädagogik studiert hatte und keine Anstellung in Hamm fand, suchte sich einen Job in München. Das war die schlimmste Trennung für mich. Sie war so weit weg. Wenn ich an den Moment denke, als wir uns Lebewohl sagten und alles so definitiv war, wird mir jetzt nach so vielen Jahren noch ganz komisch. Es war so etwas „Endgültiges „ in meinem Leben. Während der Abschiedsszene war ich ganz schön tapfer. Aber als sie weg war, habe ich im Wohnzimmer gesessen und fürchterlich geheult. Auf einmal war von der großen Familie nichts mehr da. Eine unheimliche Leere umgab mich in diesem Moment. Aber dann gelang es mir, dem Ganzen eine positive Seite abzugewinnen. Endlich würde ich wieder mehr Zeit für mich und für meinen Mann haben, der sich vielleicht manchmal vernachlässigt gefühlt hatte.

 

Im Mai 1991 heiratete unsere Ulrike in München ihren Traummann, geplant waren 5 Kinder. Aber das Schicksal wollte es anders. Von ärztlicher Seite aus wurde festgestellt, dass sie auf natürlichem Wege keine Kinder bekommen konnte. Deshalb entschieden sich Tochter und Schwiegersohn für eine künstliche Befruchtung. Die Schwangerschaft verlief auch problemlos. Bis dann Ende März 1995 der schicksalsschwere Tag eintraf, an dem nicht nur das Leben von Tochter und Schwiegersohn, sondern unser aller Leben aus den Fugen geriet. Ein paar Tage vor dem Geburtstermin hatte unsere Tochter eine Totgeburt. Die kleine Jelka zog es vor, uns zu verlassen, bevor sie das Licht der Welt erblickte. Als die Tochter bei uns anrief, um uns die traurige Nachricht mitzuteilen, dachte ich in diesem Moment, jemand würde mir den Boden unter den Füßen wegziehen. Ich hoffe, Jelka geht es gut, da wo sie jetzt ist. Im gleichen Jahr nahmen beide zwei Pflegekinder auf. Monja und Mario , ein Geschwisterpaar, sie sind inzwischen erwachsen und aus dem Haus.

 

Meine Schwiegermutter verließ uns 1998 im Alter von 81 Jahren. Sie hat ihren Mann zwar um 17 Jahre überlebt, war aber physisch und psychisch in all den Jahren in keiner guten Verfassung.

 

In den letzten Jahren trauerten wir noch um viele liebe Menschen , die von uns gegangen sind. Aber in unserem Alter muss man halt jeden Tag damit rechnen, dass man Abschied nehmen muss.

 

Jeder Abschied ist die Geburt

Einer Erinnerung.

(Salvador Dali)

Mit diesen Worten möchte ich meine Geschichte beenden.

 

 

Impressum

Texte: Dora
Bildmaterialien: Cover, Internet
Tag der Veröffentlichung: 07.05.2014

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