Schulbeginn in schwierigen Zeiten
Während des 2. Weltkrieges wurden in Deutschland 1943 alle Schulen geschlossen. Nachdem der Krieg am 8. Mai 1945 zu Ende war, fing für alle Schulkinder im Herbst 1945 die Schule wieder an. Auch ich wurde als I – Männchen eingeschult. Eine Schultüte gab es nicht, denn es war ja nichts da. In der Versorgung gab es erhebliche Engpässe. Schulhefte gab es in den ersten Schuljahren auch nicht. Einen alten Lederranzen der zwar schon ziemlich abgenutzt war, hatte ich von meinem Cousin bekommen, aber ich trug ihn ganz stolz zur Schule. Darin befand sich eine Schiefertafel mit einem Schwämmchen , einem Lappen und einem Griffel. Unsere erste Hausaufgabe fiel mir sehr schwer. Wir sollten ein kleines lateinisches „i“ auf die Tafel schreiben, d . h. mehr malen als schreiben.
Einen Kindergarten hatte ich während der Kriegsjahre nicht kennen gelernt, auch die waren alle geschlossen. Ich hatte also Null Kenntnisse. Und die Hausaufgabe fiel mir sehr schwer. Meine Mutter wischte alle meine „i `s „ wieder weg, ich fing immer wieder von vorne an. Und es gab die ersten Tränen bei mir. So hatte ich mir eigentlich meinen ersten Schultag nicht vorgestellt. Doch irgend wann hatte ich es dann geschafft, meine Tafel war voller „i`s“
Am Anfang wurden wir von einem Schulgebäude zum anderen geschickt. Die Schulen waren nach dem Krieg in einem desolaten Zustand. Es ergaben sich erhebliche Raumprobleme. Die Schulwege waren oft weit. Es wurden Notunterkünfte gesucht.
Ich kann mich erinnern, dass ich für zwei Tage einen Schulweg von ungefähr 1 Stunde Fußweg hatte. Aber schließlich und endlich nach ein paar Wochen besuchte ich die Volksschule, das war zu der Zeit noch die Bezeichnung für die heutigen Grundschulen, in der ich bis zum Frühjahr1949, bis zum Übergang zur damaligen Mittelschule blieb. Ich brauchte 20 Minuten bis zur Schule. Das erste Schuljahr begann im Herbst 1945 und endete am 31. März 1946. Das Zeugnis beinhaltete keine Noten, nur einen Text. Ich hätte einen guten Anfang gemacht. Es wäre mir nichts zu viel. Immer gleichmäßig und angenehm, ein liebes Kind. Das war alles.
Mit der Verpflegung haperte es zu der Zeit. Es gab ja nichts. Deshalb war die Schulspeisung, die es ab 1946 für 1.20 RM je Woche gab , eine echte Hilfe. Das Essen war entweder eine Erbsensuppe, eine Fleischsuppe mit ein paar Nudeln drin oder eine Haferschleimsuppe, die ich bis heute noch nicht mag. Am liebsten aß ich die Fleischsuppe. Allerdings konnte man die Fleischstückchen und Nudeln zählen. Einen Topf und einen Löffel mussten wir von zuhause mitbringen. Wenn man schlau war, stellte man sich am Ende der Schlange an, denn der Speck in der Erbsensuppe und das Fleisch in der Fleischsuppe hatte sich am Boden abgelagert, und so konnte man wesentlich gehaltvoller essen. Für manche Kinder war das die einzige warme Mahlzeit am Tag. Erst 1950 wurde die Schulspeise eingestellt.
Protestanten und Katholiken waren streng getrennt. Auf unserem Schulhof standen zwei Schulgebäude. Eine Schule für die Katholiken und eine für die Protestanten, Wir trafen nur in der Pause auf dem Schulhof zusammen und es war nichts Ungewöhnliches, dass manchmal eine Prügelei zwischen den Katholiken und den Evangelischen stattfand und die Lehrer dazwischen gehen mussten.
In dem Winter 45/46 war der Kohlenmangel ein großes Problem. In den Fenstern fehlten zum größten Teil noch die Scheiben, Fensterglas war bis Dezember 1946 für Schulen nicht zu bekommen, Kinder und Lehrpersonal saßen mit Mäntel , Mützen und Handschuhen in den Klassen. Da auch damals schon kein Unterricht ausfallen durfte, gab es „ verkürzten Unterricht „, d. h. wir mussten nach kurzem Aufenthalt in der Schule nach Hause gehen.
Da mein Vater im Bergbau beschäftigt war, brauchten wir zuhause nicht frieren, Wir bekamen so viel Kohle, dass wir noch einige Zentner schwarz verkaufen oder tauschen konnten. Meine erste Klassenlehrerin, die mir das gute Zeugnis schrieb, wusste das und winkte mich eines Tages zu sich ans Pult und bat mich, zu Hause bei meinen Eltern einmal nachzufragen, ob sie ihr nicht einen Sack Kohlen bringen könnten, selbstverständlich geschenkt. Mit dieser Aufgabe wurde dann mein Bruder, 10 Jahre älter als ich ,betraut, der meiner Lehrerin in einer Karre fluchend einen Sack Kohlen brachte. Fluchend, weil es ein langer Weg bis zu ihr war. Im nächsten Schuljahr bekam ich dann eine andere Lehrerin, die ich bis zum Ende des vierten Schuljahres auch behielt
Ich gehörte zu den drei Klassenbesten. Ich ging gerne zur Schule. Das Lernen machte mir Spaß und ich hatte zwei Schulfreundinnen gefunden. Wir drei haben viel zusammen unternommen.
Im Frühjahr 1949 bestand ich die Aufnahmeprüfung zur Städtischen Knaben- und Mädchen-Mittelschule in Essen –Steele. Damals musste man , wenn man eine weiterführende Schule besuchen wollte, noch eine Aufnahmeprüfung ablegen. Aus meiner Klasse waren wir zu dritt, die eine weiterführende Schule besuchen wollten und aus finanziellen Gründen konnten; denn die weiterführenden Schulen kosteten Geld. Da in meiner Klasse fast nur Arbeiterkinder waren, kam für sie eine Mittelschule oder gar ein Gymnasium nicht in Frage. Wir drei waren eine Ausnahme.
Zu der Zeit besuchten Jungen und Mädchen noch nicht gemeinsam das Gymnasium-. Die Jungen gingen zum Gymnasium und die Mädchen besuchten das Lyzeum. Auch die Mittelschule war streng nach Jungen und Mädchen getrennt. Wir waren zwar in einem Gebäude untergebracht, aber wenn wir Mädel morgens Schule hatten, mussten die Jungen nachmittags zur Schule. In der nächsten Woche war es dann umgekehrt. Wenn wir nachmittags Schule hatten fiel am Samstag der Unterricht aus. Aber die weiterführenden Schulen waren schon ein wenig fortschrittlicher , denn Katholiken und Protesten waren nicht nur auf einer gemeinsamen Schule , sondern auch noch in einer Klasse, nur der Religionsunterricht war getrennt.
Die Prüfung bestand aus einem Diktat, einem Aufsatz und Rechenaufgaben. Das Diktat war aus unserem Lesebuch und hieß „Die beiden Pflugscharen.“ Das Aufsatzthema sollte ein Erlebnis sein. Ich ließ meiner Phantasie freien Lauf und nahm die Überschrift „ Wie ich mir mein Kleid zerrissen habe.“ Es war eine frei erfundene Geschichte.
Als ich nach der Prüfung nach Hause kam, schlug ich sofort mein Lesebuch auf , um nachzusehen, ob ich in dem Diktat Fehler gemacht hatte. In der Volksschule waren meine Diktate immer fehlerfrei. Und oh Schreck, ich fand 2 Fehler. Ich weinte bitterlich und war der Meinung, dass ich durchgefallen wäre.
Mutlos fuhr ich am nächsten Tag mit der Straßenbahn von Essen-Kray nach Essen-Steele, überzeugt davon, dass ich die Prüfung nicht bestanden habe. Wir mussten uns auf dem Schulhof aufstellen und die Rektorin verlas die Namen, derjenigen Schüler/innen, die auf Anhieb die schriftliche Prüfung bestanden hatten. Ja, welch eine Erleichterung als auch mein Name aufgerufen wurde. Die beiden Mitschüler aus meiner Klasse mussten noch eine mündliche Prüfung absolvieren, die sie dann auch bestanden. Allerdings haben beide nach zwei Jahren die Schule wieder verlassen. Ich weiß nicht, ob freiwillig, oder ob sie gehen mussten. Ab 1951 wurde die Mittelschule in Realschule unbenannt. Ich wurde am 29, März 1955 mit dem Abschlusszeugnis entlassen. Ich hatte das Ziel der Realschule erreicht..
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Texte: Doris Frese
Tag der Veröffentlichung: 01.02.2014
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