Sarahs Geburtstagswunsch
Als ich Sarah kennenlernte war sie ein fröhliches kleines Mädchen. Sie wurde als Erstklässlerin eingeschult und ich war ihre Klassenlehrerin. Sie wohnte mit ihren Eltern in einer schönen Villa am Rande der Stadt. Die Eltern waren beruflich sehr eingespannt und in ihrer Freizeit engagierten sie sich für unzählige sozialen Projekte.
In Sarahs Kinderzimmer war so viel Spielzeug, dass kaum noch Platz für andere Sachen war. Die Eltern überhäuften sie mit Geschenken. Jedes andere Kind hätte Sarah darum beneidet. Doch Sarah verlor so nach und nach ihre Fröhlichkeit. Sie wurde immer stiller, und ihre Augen schauten immer trauriger.
Ich, ihre Lehrerin, beobachtete diese Entwicklung und machte mir ernsthaft Sorgen um Sarah, zumal auch ihre Leistungen in der Schule nachgelassen hatten. Schließlich bestellte ich die Eltern zu einem Gespräch zu mir. Als ich den Eltern von meinen Beobachtungen und Sorgen um Sarah erzählte, sahen die sich nur erstaunt an, schüttelten verständnislos die Köpfe und meinten: „ Aber das Kind hat doch alles, wir erfüllen ihr jeden Wunsch.“ Während sie mit mir sprachen bemerkte ich, dass sie ständig zur Uhr schauten. Dann hatten sie es plötzlich sehr eilig und erklärten mir, dass sie nun keine Zeit mehr hätten, wichtige Termine würden auf sie warten.
An Sarahs Traurigkeit ändert e sich in den nächsten Wochen nichts.
Dann nahte Sarahs Geburtstag , an dem sie 10 Jahre alt werden sollte. Die Eltern erkundigten sich nach ihrem Geburtstagswunsch.
Sarah überlegte nicht lange und schrieb einen Wunschzettel auf dem folgender Text stand:
„ Liebe Mama, lieber Papa,
Ich habe euch sehr lieb, aber ihr habt immer so wenig Zeit für mich. Mein schönstes Geschenk von euch wäre deshalb, wenn ihr mir ein wenig eurer Zeit schenken würdet. Andere Wünsche habe ich nicht.
Eure Sarah "
Beschämt lasen die Eltern diesen Wunsch und zumindest was Sarahs Geburtstag anging erfüllten sie ihn auch. Für Sarah wurde es der schönste Geburtstag seit Jahren. An diesem Tag strahlten ihre Augen . Ihre Eltern hatten sich den ganzen Tag für sie frei genommen.
Ob sie auch weiterhin mehr Zeit für Sarah hatten, entzieht sich meiner Kenntnis.
Ihre Leistungen in der Schule wurden auf jeden Fall wieder besser. Sie schaute auch nicht mehr so traurig aus. Ein paar Wochen später verließ sie die Schule, um das Gymnasium zu besuchen.
Ich , ihre ehemalige Grundschullehrerin, bekam eine Anstellung in einer anderen Stadt, und habe Sarah nie wieder gesehen. Inzwischen bin ich längst pensioniert und Sarah müsste jetzt die 30 überschritten haben . Manchmal denke ich noch an sie und es würde mich schon interessieren, was aus ihr geworden ist. Vielleicht sollte ich ein paar Nachforschungen anstellen. Ja, ich glaube, das ist eine gute Idee.
Texte: Dora
Bildmaterialien: Cover Foto Google
Tag der Veröffentlichung: 03.04.2012
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