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Mit dem Fahrrad unterwegs

 

Vorwort



Nachdem wir im letzten Jahr in zweieinhalb Wochen mit Rädern von Hamm, über den Teutoburger Wald, durch die Lüneburger Heide, bis nach Flensburg hinauf und über Husum zurück bis Bremen geradelt waren und so einen herrlichen Urlaub verbracht hatten, waren Werner und ich auf den Geschmack gekommen und beschlossen, in diesem Jahr wieder einen Fahrradtörn zu unternehmen. Dieses Mal hatten wir die östliche Seite der Ostsee anvisiert und wollten die Ostseeküste eventuell bis zur polnischen Grenze erkunden. Und zwar sollte das Ganze von Lübeck aus gestartet werden.

Am 5.9.1993 ging es dann endlich los. Und genau hier beginnen meine Aufzeichnungen. Ich hoffe, die Leser haben ein bisschen Spaß daran und bekommen Lust darauf, es uns gleichzutun.

5.9.93



Tochter und Schwiegersohn haben uns heute mit unserem Auto, die Räder waren auf dem Dachgepäckträger verstaut, nach Lübeck gebracht. Das Wetter war wolkig mit Aufheiterungen.

Wir sind um 13:30 Uhr in Lübeck angekommen. In der Nähe des Heiliggeistspitals in den “Schwarzwaldstuben“ haben wir auf Anhieb ein Zimmer mit Dusche und WC bekommen. Preis 135.-DM, Frühstücksbüfett inbegriffen. Die Fahrräder stehen im abgeschlossenen Hof. Unser Zimmer hat den hübschen Namen “Hinterzarten“.

Nachdem wir unser Gepäck und unsere Fahrräder untergebracht hatten, sind wir mit Achim und Steffi zur “Schiffergesellschaft" zum Essen gegangen. Uns war das historische Restaurant vom vergangenen Jahr her bekannt. Anschließend haben wir den beiden ein wenig von Lübeck gezeigt. Wir hatten ja schon Erfahrung vom letzten Jahr.

Während Werner den beiden die Nicolai-Kirche zeigte, besuchte ich das Buddenbrockhaus, das seit Mai dieses Jahres mit einer literarischen Ausstellung über Thomas und Heinrich Mann geöffnet ist.

Anschließend tranken wir an der Trave, genau wie im letzten Jahr, draußen sitzend Kaffee. Dann haben wir Achim und Steffi, die wieder nach Hause fahren wollten, bis zum Auto begleitet und verabschiedet. Nachdem wir sie mit guten Wünschen entlassen hatten, schlenderten Werner und ich zurück zum Holstentor, setzten uns auf eine Bank und genossen die letzten Sonnenstrahlen. Der Himmel war inzwischen tiefblau und wolkenlos.

Im Hotel angekommen, hatten wir das Bedürfnis, für kurze Zeit die Beine hochzulegen. Nachdem wir uns frisch gemacht hatten, ging es zum Abendessen, genau wie im letzten Jahr, in den “Kartoffelkeller“.
Unser Hotelzimmer erinnert mich übrigens sehr an Neutras, Bauernmöbel, karierte Bettwäsche, selbst die Lampen und Gardinen ähneln denen in Neutras, unserem ständigen Urlaubsort in der Oberpfalz.

6.9.93 Von Lübeck nach Boltenhagen (54,7 km)



Abfahrt 9:10 Uhr. Wetter bewölkt. Bis Travemünde war es eine bekannte Strecke vom vorigen Jahr.
Von Travemünde sind wir mit der Fähre nach Priwall hinüber.

Auf der Fähre vor Priwall



Kurz hinter Priwall fing Mecklenburg Vorpommern an, unschwer an den Straßenverhältnissen zu erkennen. Die Straßen sind in einem katastrophalen Zustand. Wenn die Straßen streckenweise einigermaßen asphaltiert waren, dann aber nur bis zum Ortsanfang. In den kleinen Ortschaften, die wir durchfuhren, war entweder Kopfsteinpflaster oder Lehmboden mit Schlaglöchern, die nach der vergangenen regenreichen Zeit voll Wasser standen. Die unberührte Landschaft entschädigte uns für die schlechte Wegstrecke. Ich fühlte mich in die Kindheit zurückversetzt. Es sieht alles so aus, wie es bei uns in den fünfziger Jahren ausgesehen hat. Die Häuser in den Ortschaften hätte ich allerdings am liebsten in einen Farbtopf getaucht. Sie waren grau in grau.

Klütz, wenige Kilometer vor Boltenhagen. Häuser grau in grau.



Nach 54 km Fahrt kamen wir um ca. 15 Uhr im Ostseebad Boltenhagen an, nachdem wir mittags in Schwansee, einem kleinen Ort an der Ostsee zu Mittag gegessen hatten. Die Preise in den Restaurants sind sehr niedrig gehalten, fast so wie die humanen Preise in der Oberpfalz.

In Boltenhagen haben wir sofort ein Zimmer im Hotel “John Brinkmann“ bekommen, mit Du/WC, Frühstücksbüfett. Preis 114 DM plus 7 DM pro Person für Bettwäsche.
Das Hotel stammt noch aus der DDR-Zeit, ist aber restauriert, d.h. das Restaurant und ein Teil der Zimmer, z.B. unser Zimmer sind renoviert. Die Außen-fassade ist noch sehr restaurationsbedürftig. Ich schätze, das sieht in einem oder zwei Jahren schon anders aus.
Das Hotel liegt nur 50 m vom Strand entfernt, an der Mittelpromenade, in unmittelbarer Nähe des Kurparks.
Boltenhagen ist das zweitälteste Ostseebad und liegt in einer sanften Bucht des “Klützer Winkels“, in der Mitte zwischen den alten Hansestädten Lübeck und Wismar. Der Strand ist fast vier Kilometer lang. Ein neues Wahrzeichen ist die 1992 wiedererbaute Seebrücke. Ausflugsdampfer verbinden seit jüngstem wieder Boltenhagen mit Wismar, Travemünde, Neustadt und Grömitz.

Nachdem wir im Strandcafe Kaffee getrunken hatten, zog es uns zum Strand. Und wir sind durch eine unberührte Landschaft bis zur Steilküste von Redewisch gelaufen.

Strand und Steilküste von Boltenhagen



Anschließend haben wir uns noch den Ort Boltenhagen angeschaut und die Villen bestaunt, von denen einige schon sehr schön instand gesetzt worden sind.

Boltenhagen



Am ersten Tag unserer Fahrradtour haben wir schon sehr viele Eindrücke sammeln können. Auf dem Weg hierher hatte die Landschaft viel Ähnlichkeit mit unserem Münsterland. Allerdings sind bei uns nicht nur die Straßen, sondern auch die Radwege in einer besseren Verfassung.

Unser Zimmer ist mit Kabelfernseher und Minibar ausgestattet.

Jetzt bin ich müde. Hatte ich das schon erwähnt? Das Wetter war wolkig aber trocken. Temperatur ungefähr 15°C.

Noch etwas! Das Hotelrestaurant ist ein großer quadratischer Raum und erinnert mich trotz Renovierung immer noch an einen Saal, in dem einmal zu DDR Zeiten LPG-Versammlungen o.ä. abgehalten wurden. Als wir da heute Abend saßen, sah ich im Geiste immer noch den Parteifunktionär auf der Bühne stehen, auf der jetzt wahrscheinlich in der Hochsaison am Wochenende eine Band musiziert. Ich jedenfalls stellte mir den Parteimenschen mit dem Mikrophon in der Hand vor, wie er auf die Versammelten einsprach, sie rügte oder lobte, je nachdem, ob sie ihr Plansoll erfüllt hatten oder nicht. Und ich sah im Geiste im Hintergrund den riesengroßen Sowjetstern. Ich kann nichts dazu. Manchmal geht halt die Phantasie mit mir durch.

7.9.93 Von Boltenhagen nach Kirchdorf (44,7km)



Nach einem reichhaltigen Frühstücksbüfett machten wir uns auf den Weg, zunächst nach Wismar, um dann weiterzufahren zur Halbinsel Poel nach Kirchdorf.

Wir fuhren durch eine wunderschöne Landschaft. Ein imponierender Anblick, als wir direkt auf die Ostsee zufuhren.

Auf dem Weg nach Wismar, vor uns die Ostsee



Dann ging es weiter, ein paar Kilometer an der Ostsee entlang, an einem wunderschönen menschenleeren Strand vorbei. Zur Rechten ein unbebautes Hinterland, kilometerweit kein Haus, nur Äcker, Wiesen und ein wenig Wald. Wir konnten uns nicht vorstellen, dass es so etwas in den alten Bundesländern oder in den europäischen Südländern heutzutage noch gibt. Da würden unter Garantie schon etliche Hotels stehen, wer weiß, wie lange es hier noch so sein wird.

Um 11.30 Uhr waren wir in Wismar und gaben dort am Bahnhof unsere Räder zur Aufbewahrung, um uns in Ruhe die Stadt anzusehen und zu Mittag zu essen. Letzteres taten wir im historischen Gasthaus “Zum alten Schweden“. Es ist das älteste Bürgerhaus von Wismar und stammt aus dem Jahre 1380.

Wismar ist eine alte Hansestadt an der Ostsee und liegt an der Wismarer Bucht. Die wurde von deutschen Siedlern aus Niedersachsen, Westfalen und Lübeck im Zuge der deutschen Ausweitung in den slawischen Osten gegründet und erstmalig im Jahre 1229 urkundlich erwähnt.

Wismar, Blick aus dem Rathaus



Wismar ist heute eine wunderschöne alte Stadt, oder besser gesagt, sie könnte es sein, wenn man sie nicht so vernachlässigt hätte. Es ist noch sehr viel zu tun, um die alten, im Kern wunderschönen Häuser und die drei gotischen Kirchen nicht ganz dem Verfall preiszugeben.

Am Markt in Wismar



Nach unserem kurzen Einblick sind wir weitergeradelt zu unserem heutigen Etappenziel Kirchdorf, auf der Halbinsel Poel. Und wir waren wieder einmal überwältigt.

Es ist hier traumhaft schön.

Nachdem wir ein Zimmer in der Pension “Zur Seemöwe“ (Preis 90 DM) bezogen hatten, erkundeten wir mit dem Rad noch die Insel, fuhren bis Timmendorf, einem kleinen Fischerdörfchen, tranken im Gasthaus “Zum Leuchtturm“ am Leuchtturm, draußen sitzend, mit Blick auf den kleinen niedlichen Hafen, einen Kaffee und waren fasziniert. Werner dachte immer noch, er träumt das alles nur. Und für mich war das eine halbe Stunde, die besonders in meinem Kopf haften bleiben wird.

Gaststätte zum Leuchtturm



Ich genoss die Stille, den Blick auf den Hafen und die Sonne, die vorsichtig durch die Wolken lugte. Ab und zu kreischte eine Möwe und die kleinen bunten Fischerboote, die im Hafen lagen, schaukelten leise im leichten Wind.

Fischerhafen von Timmendorf auf der Insel Poel



Nach dem Abendessen machten wir noch einen kleinen Rundgang und landeten in Kirchdorf im Hafen. In einer kleinen Hafenkneipe trafen wir zwei Mitbewohner unserer Pension, es waren Bruder und Schwester, die auch mit den Rädern unterwegs sind. Sie ist aus Viersen und er aus Wuppertal. Sie sind mit dem Auto bis Schwerin gefahren und haben das Auto dort stehen. Morgen fahren sie mit den Rädern in die gleiche Richtung wie wir. Wir haben uns angeregt unterhalten. Er ist anscheinend ein wenig behindert, hat Sprachschwierigkeiten.

Werner schläft schon, und ich mache jetzt auch das Licht aus. Hoffentlich brauche ich heute Nacht nicht so oft heraus. Wir haben keine Toilette auf dem Zimmer.

8.9.93 Von Kirchdorf nach Kühlungsborn (45,6 km)



Ein blauer Himmel erwartete uns heute Morgen. Um kurz vor neun Uhr waren wir startbereit zur nächsten Etappe nach Bad Kühlungsborn.

Eine wunderschöne Strecke, immer mit dem Blick zur Ostsee, entweder fuhren wir entlang der Ostsee, oder wir sahen sie vor uns liegen.

Die Straßen waren gut befahrbar.

Eine kurze Strecke fuhren wir durch eine herrliche Allee, mit schönen alten Linden.

Um 11.15 Uhr waren wir bereits in Rerik, ungefähr 10 bis 15 km von Kühlungsborn entfernt. Rerik wurde erstmals urkundlich 808 genannt. Das reiche mittelalterliche Seefahrer–und Bauerndorf wurde ab der Zeit um 1900 ein Fremdenverkehrsort. Aus dem südlich gelegenen Neubukow stammt der Troja-Entdecker Heinrich Schliemann.

Wir setzten uns am Reriker Strand vor einen Imbissladen und tranken genüsslich einen Kaffee. Inzwischen waren wohl ein paar Wolken am Himmel. Es blies auch eine steife Brise. Aber als wir dort saßen, schien gerade mal wieder die Sonne.

Da es noch sehr früh war und wir nur noch eine kurze Strecke vor uns hatten, beschlossen wir, das letzte Stück bis Kühlungsborn an der Steilküste entlang zu fahren.

Wir haben unseren Entschluss nicht bereut. Es war zwar ein wenig mühsam und dauerte etwas länger, aber dafür war die Aussicht auch traumhaft schön.

Um 14.00 Uhr waren wir in Kühlungsborn, nach einigen Umwegen, da es nur wenige Straßen – und Hinweisschilder gab und wir uns, nachdem wir von der Steilküste weg waren, ein wenig verfranzt hatten.

Zur Entschädigung bekamen wir sofort ein Zimmer mit WC/DU und TV im Hotel Nordwind. (Preis 120 DM). Einen Fernseher hatten wir übrigens bis jetzt jedes Mal auf dem Zimmer. Die Fahrräder mussten wir durch ein Fenster in den Keller hieven, da auch hier, wie fast überall, alles im Umbau ist und die Kellertür noch fehlte.

Dann sind wir die ca. 300 m bis zum Strand hinunter und sind anschließend ungefähr hin und zurück 6 bis 8 km am Strand entlang gelaufen, teilweise auf der Promenade und teilweise barfuss durch den Sand, wobei die Wellen unsere Füße umspielten.

Am Strand von Kühlungsborn



Die heutige Stadt Kühlungsborn gibt es erst seit 1938 und war zu DDR-Zeiten der bedeutendste Badeort an der Ostseeküste Mecklenburg-Vorpommerns. Drei ehemalige Fischerdörfer haben sich zusammengeschlossen und blicken auf eine mehr als 800 Jahre alte Geschichte zurück. Alte Villen erinnern an die „Gründerzeit“ um 1900.

Nachdem wir uns mit einer guten Tasse Kaffee in einem Strandhotel gestärkt hatten, schlenderten wir erst einmal zurück zum Hotel, um uns ein wenig frisch zu machen.

9.9.93 Von Kühlungsborn nach Rostock (42,7 km)



Wetter grau in grau. Die Straßen sind nass. Es hat gestern den ganzen Abend bis in die Nacht geregnet. Aber im Moment hat es aufgehört. Hoffentlich werden wir heute nicht nass. Aber erst einmal gehen wir jetzt frühstücken.

Wir wollen heute über Bad Doberan nach Rostock.

Es ist 14:25 Uhr und wir haben gerade unser Zimmer in Rostock in der Innenstadt im Hotel “Gastmahl des Meeres“ bezogen. Preis 165 DM mit WC/DU, Frühstück, Minibar, Getränke der Minibar sind im Preis enthalten. Der Fernseher darf auch nicht fehlen, ebenso wie das Radio. Die Betten stehen auseinander, dafür steht eine komplette Clubgarnitur im Zimmer.

Die Fahrt war sehr stressig.

Nachdem wir von Kühlungsborn ein paar Kilometer am Strand entlanggefahren waren, mussten wir zur Hauptstraße zurückkehren, da der Boden am Strand vom Regen so aufgeweicht war und dort solche Riesenpfützen waren, dass ein Durchkommen so gut wie unmöglich war.

Auf der Straße war unheimlich viel Verkehr. Und da die Straßen hier sehr schmal sind, mussten wir schon ganz schön aufpassen, um im wahrsten Sinne des Wortes, nicht unter die Räder zu kommen.

In Bad Doberan legten wir eine kleine Pause ein, tranken am Markt einen Kaffee und beschlossen weiterzufahren. Wir hatten mit dem Gedanken gespielt, uns hier ein paar Stunden aufzuhalten, um uns in Ruhe Bad Doberan ansehen zu können, aber es lohnte sich nicht.
Die Stadt (Stadtrecht seit 1879, Bad seit 1921) war Sommerresidenz des Mecklenburger Hofes. Wahrzeichen und herausragende Sehenswürdigkeit des Ortes ist das Münster,

die Kirche des 1171 gegründeten Zisterzienserklosters. Die Kirche war wirklich sehenswert. Aber ansonsten hatten wir von Bad Doberan genug. Eine einzige Baustelle, aufgerissene Straßen und viel Verkehr.

Als wir das erste Hinweisschild sahen

Rostock 10 km
Parkentin 4 km


atmete ich insgeheim auf.

Nach ungefähr vier bis fünf Kilometern das nächste Hinweisschild

Klein Schwaß
Rostock 10 km



Wieder ein Hinweisschild nach etwa vier Kilometern

Groß Schwaß
Rostock 10 km



Und dann nach einem Kilometer endlich ein Straßenschild

Rostock 1 km



Die ersten drei Hinweisschilder waren anscheinend noch aus der DDR-Zeit. Man hatte, um zu sparen, einfach die “Rostock 10 km“ Schilder verwendet und darunter oder darüber die jeweiligen Ortsnamen hinzugefügt.

Der nächste Clou passierte am Nachmittag, als wir am Hafen saßen, eine Kleinigkeit aßen und eine Tasse Kaffee tranken.

Ich sah aus dem Fenster gegenüber vom Restaurant ein Paar vorbeigehen, ich meinte, das Geschwisterpaar aus Kirchdorf erkannt zu haben und machte Werner darauf aufmerksam. Werner lief daraufhin sofort hinaus, und siehe da, sie waren es. Das war aber noch nicht alles. Es stellte sich heraus, dass sie auch im gleichen Hotel wohnten wie wir. Sie wussten es schon vor uns. Als sie ihre Räder dort abstellten, sahen sie schon unsere Räder da stehen. Die Welt ist wirklich klein. Wir verbrachten dann noch einen schönen Abend zusammen.

Eigentlich bin ich jetzt müde und möchte schlafen. Aber ich glaube, Rostock ist es wert, ein paar Sätze darüber zu schreiben.

Die ersten Siedler, die am linken Warnowufer um 1200 ansiedelten, waren deutsche Kaufleute. Das erste Rathaus entstand und um 1252 wurde erstmalig die St. Petri Kirche erwähnt. Um 1380 lebten ungefähr 11000 Menschen in der Stadt, die mit einer Stadtmauer mit 22 Toren gesichert war. Dank seiner Zugehörigkeit zum Handelsbund der Hanse erlebte Rostock im 14. und 15. Jahrhundert eine Zeit politischer, wirtschaftlicher und kultureller Blüte und galt nach Lübeck als bedeutendste Handelsstadt an der Ostsee. Heute ist Rostock mit 250 000 Einwohnern die größte Stadt von Mecklenburg – Vorpommern.

Rostock



Sehenswürdigkeiten sind das Rathaus und die gotische Marienkirche. Ein abwechslungsreicher Fußgängerbereich ist die Kröpeliner Straße mit dem gleichnamigen Tor, in dem heute ein Museum eingerichtet ist. Interessant sind auch das am Südrand der Altstadt gelegene Steintor mit seinen drei Stadtwappen und das einzige noch vollständig erhaltene Kaufmannshaus der Hansezeit in der Wokrenter Straße 40.

10.9.93 Von Rostock nach Ahrenshoop (63,4 km)



Um 9:25 Uhr ging es los, über Lichtenhagen nach Warnemünde, das wir nach einer stressigen Fahrt in einer Stunde erreichten. Die Rostocker Autofahrer stehen denen in Paris und Rom nicht nach. Sie fahren genau so rücksichtslos.

In Warnemünde ließen wir uns mit der Fähre übersetzen und fuhren weiter durch eine schöne unberührte Landschaft bis Graal-Müritz. Zwischen dem Wasser und uns nur die bewachsenen Dünen.

Nach einer Stärkung ging es weiter bis Ahrenshoop. Kurz nach Graal-Müritz konnten wir von der Hauptstraße abbiegen und auf einem pilzreichen Waldweg bis Neuhaus fahren. Nach Neuhaus fing die Halbinsel Fischland / Darß an, und ein Fahrradweg, ähnlich unserem Lippedamm, führte uns bis zum Ostseebad Wustrow. Von dort waren es nur noch vier Kilometer bis Ahrenshoop.

Das Ostseebad liegt unmittelbar nördlich des fünf Kilometer langen und ein bis zwei Kilometer breiten Fischlands zwischen der Ostsee im Westen, dem Saaler Bodden im Osten und dem so genannten Vor-Darß im Norden. Seit 1880 ist Ahrenshoop eine bekannte Künstlerkolonie mit einer einzigartigen, urwüchsigen Küstenlandschaft.

Wir sind zunächst einmal zur Kurverwaltung wegen eines Zimmers und haben mit Müh und Not im Vorort Nienhagen im Ferienheim Boddenblick eine Unterkunft für 80 DM bekommen. Neben unserem Zimmer befindet sich ein Container mit WC und Dusche nur für uns. Das Zimmer selbst ist riesengroß, mit einer Sitzecke, die aus Tisch und drei Stühlen besteht. Gegenüber an der anderen Wand befindet sich noch eine Couch. Fernseher ist auch da, allerdings nur mit Zimmerantenne. Neben dem Ferienheim befindet sich ein griechisches Restaurant, in dem wir heute Abend gegessen haben, und morgen früh können wir dort gegen Bezahlung a la Carte frühstücken.

Ferienheim Boddenblick



Kunstkate in Ahrenshoop



Nachdem wir unser Zimmer bezogen hatten, machten wir uns mit dem Fahrrad wieder auf den Weg nach Ahrenshoop, haben dort, draußen sitzend Kaffee getrunken und uns den Ort ein bisschen näher angesehen. Und wir waren hellauf begeistert. Ein Stück haben wir noch unsere Räder bis Altenhagen an der Steilküste entlang geschoben.

Ahrenshoop gefällt uns auf jeden Fall so gut, dass wir in Erwägung gezogen haben hier einmal einen Urlaub zu verbringen.

Zum Hafen sind wir leider nicht mehr gekommen, da es zu regnen begann und wir uns schleunigst auf den Weg machen mussten, um noch einigermaßen trocken zu unserem Hotel zu kommen.

Ein bekanntes Motiv : Herrliche Ahrenshooper Steilküste



Toi, toi, toi! Bis jetzt sind wir noch nicht einmal ernsthaft nass geworden. Im Moment regnet es in Strömen, aber wir sitzen im Trockenen. Ich hoffe, dass es sich heute Nacht ausregnet und wir morgen wieder bei trockenem Wetter weiterfahren können.

11.9.93 Von Ahrenshoop nach Zingst (38,6 km)



Das Wetter war mehr als trüb. Nachdem wir uns heute Morgen noch den kleinen niedlichen Ahrenshooper Hafen angeschaut hatten, sind wir einen wunderschönen Weg entlang gefahren, am Naturschutzgebiet Ahrenshooper Holz vorbei bis Prerow. Dort haben wir zu Mittag gegessen.

Und welch eine Freude! Weiter ging es über den Damm auf einem gut ausgebauten Fahrradweg, immer parallel zur Hauptstraße bis zum Ostseebad Zingst.

Um 13:30 Uhr hatten wir im Hotel “Claus Störtebecker“ für 110 DM ein Zimmer im vierten Stock, das erste Mal ohne Fernseher und auch sonst ohne jeglichen Komfort, doch mit Dusche und WC. Allerdings gibt es zwischen Toilette und Dusche keine Trennwand. In der Mitte des Badezimmers ist auf dem Boden ein Abfluss, und wenn man duscht kann man nirgendwo den Duschkopf befestigen. Theoretisch wäre es möglich, sein Geschäft auf der Toilette sitzend zu verrichten und gleichzeitig zu duschen. Wir verzichteten allerdings darauf, es auszuprobieren.

Inzwischen war der Himmel strahlend blau. Wir sind zunächst zu Fuß zum Ort, haben am Strand in der Sonne gesessen und Kaffee getrunken, und weil es so schön war, auch noch ein Eis geschleckt. Zum ersten Mal nahmen wir hier in Zingst den zaghaften Versuch eines Strandlebens a la Sylt oder Adria wahr. Es gab viele Verkaufsbuden, Kurkonzert, kurzum ein buntes Treiben.

Zingst liegt auf der gleichnamigen ehemaligen Insel. Sie wurde nach der Sturmflut von 1872 durch die Schließung des Prerowstromes 1872 mit der Halbinsel Darß verbunden. Schön anzusehen sind die Seemannshäuser mit ihren charakteristischen Krüppelwalmdächern. Als Badeort erlangte Zingst erst nach 1945 größere Bedeutung.
Wir kehrten zum Hotel zurück, holten unsere Fahrräder und fuhren zunächst einmal über den Damm Richtung Möggenburg, um dann kurz entschlossen rechts abzubiegen, um zur “Hohen Düne“ zu gelangen.

Der Promenadendamm in Zingst



Die “Hohe Düne“ ist ein Rastplatz für Kraniche, die auf ihrem Weg zum Süden hier nachts übernachten, tagsüber halten sie sich auf dem Lande auf.

Bereits in den zwanziger Jahren standen die wichtigsten Brutplätze der Küstenvögel von der Halbinsel Fischland-Darß und Zingst unter Schutz. Inzwischen ist die Vorpommersche Boddenlandschaft – Bodden ist der niederdeutsche Ausdruck für Buchten und Strandseen – zum Nationalpark erklärt worden.

Wir radelten also durch dieses Naturschutzgebiet, hier darf kein Auto fahren, zur “Hohen Düne“, um die Kraniche zu beobachten. Da wir heute einen blauen Himmel und sehr viel Sonne hatten, dunkelte es nicht so früh und es war noch zu hell. Die Kraniche kamen noch nicht.

Wir befanden uns am äußersten Ostzipfel der Insel und hatten zurück bis zu unserem Hotel noch ca. 15 km zu bewältigen. Da es hier keine Laternen gibt, und wir nicht unbedingt bei Nachtlicht fahren wollten, entschlossen wir uns, nicht länger auf die Kraniche zu warten und kehrten zum Hotel zurück.

Hohe Düne Zingst, Übernachtungsplatz der Kraniche



Der Ausflug war aber auch ohne Kraniche schön. Es gab unterwegs so viele andere Dinge zu bestaunen.

Im Hotel fand heute Abend, es ist Samstag, ein Tanzabend statt. Werner und ich haben nach dem Abendessen zunächst zugesehen, wie andere das Tanzbein schwangen. Nach zwei Gläschen Wein verspürte ich Lust, es den anderen gleichzutun. Und als Werner nach zwei oder drei Bier den Mut dazu hatte, machten wir mit.
Den Kaiserwalzer tanzten wir dann schon nicht mehr, wir schwebten. Das lag nicht nur an dem glatten Tanzboden.

Um 22:30 Uhr sind wir hinauf aufs Zimmer. Morgen geht es nach Stralsund.

12.09.93 Von Zingst nach Stralsund (50 km)



Nach einem reichhaltigen Frühstück, dem besten bis jetzt, ging es um 9:45 Uhr los. Aber zuerst suchten wir im Ort noch den Friedhof auf, um der Grabstätte der Dichterin des Liedes “Wo die Ostseewellen rauschen“, ich glaube Grählert hieß sie, einen Besuch abzustatten.

Wir fuhren in Richtung Barth, mit Blick auf den Barther Bodden und erreichten Barth kurz vor 11:00 Uhr.

Die Stadt erhielt schon 1255 lübsches Stadtrecht und war von 1316 bis 1606 Residenzstadt. Von der Mitte des 17.Jh. bis zum Beginn des 19.Jh. war Barth in schwedischer Hand und wurde nach dem Wiener Kongress preußisch. Unter den damaligen Segelschiffhäfen nahm Barth den zweiten Platz ein. Heute ist von der Blütezeit nichts mehr zu merken, nur das 35m hohe Dammtor erinnert noch an die Zeit.

Von Barth aus fuhren wir ungefähr drei Kilometer an der Küste entlang. Aber der Weg war zu schlecht und wir sahen zu, dass wir zur Straße zurückkamen. Von Küstrow aus durchfuhren wir eine wunderschöne, schnurgerade Baumallee. Allerdings war die Fahrt durch die Windverhältnisse erschwert. Es war heute sehr böig und der Wind kam immer von vorn. Ca. 11 km vor Stralsund kehrten wir in einer Pizzeria ein und stärkten uns noch einmal, um dann die letzten Kilometer auf der berüchtigten “B 105“ in Angriff zu nehmen. Und die erforderte unsere ganze Konzentration.

Etwas muss ich noch einfügen.

Als wir durch die herrliche Baumallee fuhren, fing es an zu regnen und wir stellten uns in einem Buswartehäuschen unter. Dabei entdeckten wir gegenüber von uns ein Feld voller Kraniche. Es waren wahrscheinlich die, auf die wir gestern vergeblich auf der “Hohen Düne“ in Pramort auf Zingst gewartet hatten.

Aber ich war bei der B 105. Ja, da war einmal der starke Verkehr, zum anderen war es sehr windig, und zum dritten ging es fast immer bergauf. Aber endlich hatten wir es geschafft.

Wir sahen zu, dass wir zur Innenstadt kamen. Und es war ein reiner Glücksfall, dass wir am Neuen Markt das Hotel Norddeutscher Hof entdeckten und dort ein Zimmer für 140 DM bekamen. Das beste Zimmer, das wir bis jetzt hatten und das schönste Restaurant dazu. Hier merkt man den Unterschied zwischen Ost und West überhaupt nicht.

Und welch ein Glück, die Post ist nur ein paar Meter entfernt. Dort müssten nämlich unsere Wäschepakete sein, die wir morgen abholen wollen.

Wir machten uns allerdings heute erst einmal auf den Weg, um die Stadt kennen zu lernen. Und es ist kaum zu glauben, gegenüber von unserem Hotel steht die Marktkirche aus dem 14. und 15.Jh., die wir zuerst in Angriff nahmen.

Und wen trafen wir da? Unser Geschwisterpaar Vogel und Weber. Wir besichtigten gemeinsam die Kirche, dann trennten wir uns wieder. Die beiden hatten ihr Quartier im Hotelschiff im Hafen.

Heute war Tag des Denkmals und wir konnten die Jacobi Kirche besichtigen, die sonst für den Publikumsverkehr gesperrt ist. Und das hat seinen guten Grund. Solch eine heruntergekommene Kirche habe ich noch nie gesehen. Es ist mir unbegreiflich. Das waren nicht nur die Bomben des zweiten Weltkrieges. Allein die Orgel ist so demoliert, dass eine halbe Million DM nötig wäre, um sie wieder in Ordnung zu bringen.
Am Alten Markt besichtigten wir das mittelalterliche Rathaus, das viel Ähnlichkeit mit dem Lübecker Rathaus hat. Neben dem Rathaus befindet sich die Nicolaikirche, die zwischen 1270 und 1280 gebaut wurde und z.Zt. restauriert wird.

Das Rathaus von Stralsund



Zwischendurch gingen wir noch einmal zum Hotel zurück, um uns etwas Wärmeres anzuziehen, denn es war inzwischen ganz schön kalt geworden. Dann suchten wir den Hafen auf und waren hocherfreut, als wir erfuhren, dass noch Fähren nach Hiddensee hinüber fahren. Nur die Abfahrzeiten ändern sich ab morgen.
Trotz der warmen Kleidung kamen wir ein bisschen durchgefroren im Hotel an und ich bestellte mir zuerst einmal einen Grog. Das Restaurant ist urgemütlich. Ich fühle mich einfach wohl. Beide bestellten wir uns skandinavisches Lachfilet mit Kaviarsauce, Blattspinat und Dillkartoffeln. Mit das Beste, das wir bis jetzt gegessen haben.

Stralsund, der Hafen



Während ich das nun schreibe, läuten die Glocken in der gegenüberliegenden Marienkirche. Es ist 22:00 Uhr. Wir sind jetzt eine Woche unterwegs und können das Erlebte kaum verarbeiten. Ein Tag war schöner als der andere.

Jetzt bin ich müde.
Werner hat die Beine hochgelegt und sieht sich noch ein Fußballspiel im Fernsehen an. Ich werde mich jetzt ausziehen und ins Bett gehen. Wahrscheinlich wird Werner motzen, weil ich ihm nun durchs Bild laufen muss.

Ende des ersten Teils
Teil 2 folgt

Für die Erstellung des Covers und die Einstellung der Fotos bedanke ich mich ganz herzlich bei meinem Mann.

Impressum

Texte: Doris Frese
Tag der Veröffentlichung: 03.11.2009

Alle Rechte vorbehalten

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