Kindheitserinnerungen
(1938 - 1948)
Ich bin im September 1938 geboren . Mit anderen Worten, ich war 1 Jahr alt, als der 2. Weltkrieg mit all seinen Schrecken begann. Soweit reicht meine Erinnerung natürlich nicht zurück. Aber ich kann mich an ein paar Details aus den letzten Kriegsjahren noch erinnern.
Ich möchte jetzt nicht von all den Bombenangriffen schreiben, die ich erlebt habe. In meinem Buch “Mein Kriegsende “ habe ich ausführlich über den schwersten Angriff über meine Heimatstadt Essen und wie ich das Kriegsende erlebt habe, geschrieben.
Nein, ich möchte von dem ganz normalen Alltagsleben, soweit man im Krieg von normal reden kann, schreiben. Meine frühesten Erinnerungen sind unwiderruflich mit dem Krieg verbunden, z. B. auch das Abhören des englischen BBC Senders.
Wir hatten zu der Zeit schon einen Volksempfänger. Ich sehe noch heute diesen schwarzen Kasten vor mir. Das Anhören feindlicher Sender wurde strafrechtlich verfolgt. Trotzdem fanden die Leute Mittel und Wege die BBC Nachrichten abzuhören. So auch mein Bruder, zehn Jahre älter als ich. Meine Mutter hat immer tausend Ängste ausgestanden, dass das mal entdeckt werden könnte. Der BBC nannte im Gegensatz zu dem Deutschlandsender die Städte und Dörfer wo die nächsten Bomben fallen würden. Die Nachrichten wurden mit einem Bum- bum- bum- schlag angekündigt Diesen bum- bum- Rhythmus habe ich heute noch in den Ohren.
Trotzdem ereigneten sich in meinem kleinen Leben auch schöne und heitere Dinge. Ich kann mich zum Beispiel an einen Nikolaustag erinnern. Entweder war es 1943 oder 1944, also als ich fünf oder 6 Jahre alt war, als meine Mutter mir eröffnete, dass in dem Jahr kein Nikolaus zu uns kommen würde. Zum einen hätte der Nikolaus wegen der vielen Bombenangriffe Angst, dass man ihm seinen Rentierschlitten abschießen könnte, zum anderen gäbe es auch im Himmel keine Süßigkeiten mehr, die er mir bringen könnte. Und Mehl und Eier um Plätzchen zu backen würde auch fehlen, genau wie bei uns auf der Erde. Das machte mich natürlich traurig, ich fand mich aber damit ab.
Der Nikolausabend kam. Meine Mutter war für einen Moment bei unserer Nachbarin, als es an der Tür klingelte. Ich öffnete und wer stand da.? Der Nikolaus. Er forderte mich auf , ein Gedicht aufzusagen. Lobte mich anschließend und übergab mir ein Päckchen mit selbstgebackenem Spritzgebäck. Es war nicht viel. Aber die Freude, dass er überhaupt da war und mir etwas gebracht hatte überwog die Enttäuschung, dass es nicht mehr gab. Ich war ganz aus dem Häuschen, als ich meiner Mutter hinterher erzählte, dass der Nikolaus doch da war.
Ich erinnere mich auch an ein Weihnachtsfest, an dem ich eine wunderschöne Puppenstube bekam, naturgetreu unserer Wohnstube und unserem Schlafzimmer nachgebaut. Mein Vater hatte sie gebastelt. In unserer Straße wurde ich schon ein Jahr vorher um meine Mamapuppe beneidet, weiß der Kuckuck, wo meine Eltern die aufgetrieben hatten. Die Puppe hatte einen Porzellankopf, schwarze Zöpfe, die Haare waren echt., Glasaugen die sie auf und zu machen konnte und sie konnte Mama sagen. Jedes Jahr zu Weihnachten hatte sie ein neues Kleidchen an, welches meine Mutter genäht hatte.
Außerdem bekam ich jedes Jahr zu Weihnachten eine neue Stoffpuppe mit Haaren aus Wolle, die meine Mutter gebastelt hatte, zusammen mit einer Nachbarin, deren Töchterchen zwei Jahre älter war als ich und meine Spielgefährtin war.
Tagsüber spielten wir Kinder bei schönem Wetter draußen, Kreisspiele, Ballspiele. Verstecken und Fangen oder wir Mädchen mit unseren Puppen und die Jungen Fußball, sofern sie einen hatten. Aber die Eltern waren da immer sehr erfinderisch. Sie bastelten Bälle aus Lumpen, die zwar nicht lange hielten, aber es gab ja nichts anderes. Und wir spielten in den Trümmern, der bombardierten Häuser, was zwar verboten war, aber einen ungeheuren Reiz auf uns ausübte. Außerdem fanden wir da immer etwas, was wir noch gebrauchen konnten. Tagsüber gab es zwar auch Bombenalarm, aber die meisten Bombenangriffe fanden nachts statt.
Ich weiß nicht, ob es während des Krieges in unserem Vorort einen Kindergarten gab, der noch geöffnet hatte. Ich habe jedenfalls keinen besucht.
Ab 1943 wurden Familien aus der Stadt aufs Land evakuiert. Viele blieben dort bis Anfang der 50ziger Jahre. Auch aus unserem Haus waren zwei Familien evakuiert. Eine in Pommern, wo die andere Familie war weiß ich nicht. Wir wohnten in einem Haus mit 5 Mieteinheiten. In den zwei leer stehenden Wohnungen wurden dann Familien einquartiert ,deren Häuser einem Bombenangriff zum Opfer gefallen waren, oder später auch Flüchtlinge, die vor den Russen geflohen waren.
Ab 1939 gab es schon Lebensmittelkarten, die erst 1950 abgeschafft wurden. “Normalverbraucher “ erhielten wöchentlich 2400 Gramm Brot, 500 Gramm Fleisch und 270 Gramm Fett. “Schwerarbeiter und Schwerstarbeiter “ , dazu gehörten auch die Bergleute unter Tage, also auch mein Vater , bekamen mehr. Kartoffeln und Gemüse konnten ohne Beschränkungen gehandelt werden, falls vorhanden.
Die Erinnerung reicht auch nicht so weit zurück, dass ich sagen kann, wir hätten nichts zu essen gehabt. Doch das war in der Nachkriegszeit der Fall. Ich weiß, dass es an einem Tag nur eine Steckrübenscheibe mit etwas Salz darauf gab. Ich glaube nach dem Krieg wurde noch mehr gehungert als während des Krieges. Meine Mutter stand manchmal während der der Nacht in der Schlange um ein Brot zu bekommen. Morgens hat mein Bruder sie dann oft abgelöst .Manchmal musste auch ich sie für vielleicht eine Stunde ablösen. Und wenn wir Pech hatten war das Brot aus, kurz bevor wir dran waren. Manchmal gab es Maisbrot. Das sah wunderschön gelb aus. Aber es schmeckte scheußlich. Am härtesten war es im Winter 1945/46. Mit der Versorgung klappte es überhaupt nicht. Es gab so gut wie nichts. Ich kann mich an eine Wassersuppe in der dicke Graupen und ein paar Fettaugen schwammen erinnern, Bei irgend einem Metzger hatte meine Mutter ein paar Knochen auftreiben können, die sie ausgekocht hatte. Obwohl hungrig, fiel es mir schwer diese Suppe herunter zu bekommen.
Die Hausfrauen waren sehr erfinderisch in dieser Zeit. Sie ließen sich immer wieder etwas einfallen. Viele Lebensmittel gab es gar nicht mehr. Rezepte wurden ausgetauscht. Meine Mutter hat Kappes zu Sauerkraut verarbeitet. Aus Zuckerrüben wurde Sirup gemacht. Die Rüben wurden klein geschnitten und kochten stundenlang auf dem Ofen, mussten ständig gerührt werden und verbreiteten einen bestialischen Gestank. Aber der Sirup schmeckte. Vor allen Dingen wenn für die Scheibe Brot auch noch Butter da war.
Meine Mutter hat alte Wollsachen aufgetrennt , die sie anschließend wieder verstrickt hat. So habe ich dann zu Weihnachten einmal entweder war es 1945 oder 1946 ein Strickkleid daraus bekommen.
Im Herbst 1945 begannen die Schulen wieder. Für meinen Bruder öffnete die Folkwang - Hochschule in Essen-Werden 1946 wieder ihre Pforten.. Er studierte dort Musik. Am Wochenende strippte er in einer Gaststätte, d. h. er spielte da zum Tanz auf mit zwei oder auch drei weiteren Schulkollegen , was zwar von der Schulleitung verboten war, aber die Lehrer drückten beide Augen zu und taten so als ob sie das nicht wüssten. Auf jeden Falle verdienten sich die Schüler dort ein wenig Taschengeld. Mein Bruder hatte dann manchmal die Spendierhosen an und spendierte meinen Eltern und mir zwei Äpfel, die ich in der Obst- und Gemüsehandlung , besorgen musste, nein, besser ausgedrückt , durfte. Ich sehe diese Äpfel heute noch vor mir und meine sie zu schmecken. Sie wurden gerecht aufgeteilt. Jeder bekam eine Hälfte. In meiner Erinnerung sind sie so groß wie kleine Kinderköpfe. Vielleicht erschien mir das auch nur so, weil ich selbst ja noch so klein war. Und geschmeckt haben sie, das kann ich gar nicht beschreiben. So leckere Äpfel habe ich danach nie wieder gegessen. Meine ich jedenfalls.
Der Schwarzmarkt blühte. Auch mein Vater versorgte uns mit Nahrungsmitteln vom Schwarzmarkt. Er hatte immer etwas zum Tauschen . Er war unter Tage im Bergbau beschäftigt .Ich glaube, das war auch der Grund, warum er während des Krieges nicht eingezogen wurde, vielleicht war es aber auch aus Altersgründen . Er war Jahrgang 1895 und hatte als Kriegsteilnehmer den 1. Weltkrieg schon mitgemacht. Er bekam ab und an eine Schnapszuteilung, die er gegen Nahrungsmittel tauschte. Eines Tages kam er mit einem ganzen Eimer voll Bismarckheringen nach Hause. Die ersten schmeckten wundervoll. Aber dann konnte ich lange Zeit keine Heringe mehr sehen. Und die Hamsterzeit blühte. In überfüllten Zügen fuhren die Menschen in ländliche Gegenden , um entweder bei den Bauern irgend etwas gegen Nahrungsmittel zu tauschen oder auch nur um darum zu betteln. Auch mein Vater war unterwegs. Einmal brachte er einen großen Klumpen Butter und Brot mit, welches die Bäuerin selbst gebacken hatte. Das war ein Festessen.
Ich kann mich an ein Osterfest erinnern, als meine Mutter ein Hühnchen aufgetrieben hatte und ich zum ersten Mal im Leben gebratenes Hühnchenfleisch gegessen habe. Alleine den Geruch , der die Küche erfüllte, habe ich nicht vergessen. Da ist der heutige Geruch der Grillhähnchen überhaupt nichts gegen.
Ja, und dann gab es dann noch eine Tante im Neandertal. bei Mettmann im Bergischen Land. Diese hatte ein Schwein im Stall, hatte Hühner und eine Ziege. Und eines Tages wurde schwarz geschlachtet. Meine Mutter und ich waren zu dem Zeitpunkt gerade zu Besuch da. Meine Mutter half beim Wursten . Da konnten wir uns einmal im wahrsten Sinne des Wortes die Bäuche voll schlagen.
Mein Onkel besaß eine echte Siamkatze, die sehr wertvoll und sehr gut erzogen war. Ich weiß noch, dass sie auf der Terrasse vor einem Kükenkäfig saß, und von meinem Cousin den Befehl erhielt: “ Sultan, schön aufpassen.”, was der Kater dann auch tat. Da hatten die anderen Katzen aus der Nachbarschaft keine Chance an die Küken heran zu kommen. Sultan beschütze sie. Er war außerdem ein wunderbarer Spielkamerad für uns. Wir spielten z. B. Post mit ihm, d.h. mein Cousin wickelte ihn in Zeitungspapier und ich nahm in quasi als Paketpost in Empfang und wickelte ihn wieder aus. Sultan ließ alles mit sich machen.
Während unserer Besuchstage war auf einmal der Kater verschwunden. Wir haben ihn überall gesucht. Es war nicht seine Art zu stromern. Mein Onkel hatte einen Verdacht. In der Nähe gab es ein Lager mit Flüchtlingen aus Schlesien. Ja, und dort fand mein Onkel dann das Fell vom Sultan. Mein Gott ja, die Leute hatten Hunger, wie alle anderen auch, und haben ihn halt geschlachtet. Wir Kinder waren sehr traurig darüber. Aber so waren die Zeiten damals nun einmal.
Bei dieser Tante, eine Schwester meiner Mutter, lebte auch meine Oma, Sie wurde 84 Jahre und starb noch während des Krieges. Sie ist ganz friedlich eines Nachts eingeschlafen. Wir sind dann unter abenteuerlichen Umständen von Essen zur Beerdigung hingefahren. Ich glaube der Zug ging von Essen - Steele aus und musste über die Ruhr. Aber die Ruhrbrücke war schon nicht mehr da. Ich weiß nicht ob bombardiert oder von den Deutschen gesprengt. Ich kann mich nur erinnern, dass wir über ein Provisorium mussten , um weiterfahren zu können..
Zu der Zeit hat man noch die Toten im Hause aufgebahrt. So war das auch mit meiner Oma. Ich hatte eine ungeheure Scheu, wenn ich an dem Zimmer vorbei musste, in dem meine Oma aufgebahrt war, fasste mir dann aber doch ein Herz und öffnete die Tür und schaute herein. Es war die erste Tote, die ich sah. Sie lag ganz friedlich da, als ob sie schlafen würde. Und meine Scheu war vorbei.
Am Beerdigungstag ging es zu Fuß bis nach Mettmann zum Friedhof. Ich weiß nicht mehr wie lange der Fußweg war. Mir kam er jedenfalls sehr lang vor. Und da war natürlich die Angst vor einem Bombenalarm. Rechts und links waren nur Felder, keine Häuser, geschweige denn ein Bunker, in dem man hätte Unterschlupf finden können. Es fing auch schon die Zeit mit den Tieffliegern an. Diese Angst kam noch dazu. Wir sind dann aber wohlbehalten mit der toten Oma auf dem Friedhof angelangt.
Und noch eine Erinnerung verbindet mich mit der Tante im Neandertal. Meine Cousine, 21 Jahre alt, ist in den letzten Kriegstagen noch erschossen worden. Sie war mit einem deutschen Soldaten im Wehrmachtsauto unterwegs, als eine Kugel durch den Rücksitz von hinten in den Beifahrersitz in ihren Rücken hinein und vorne aus dem Herzen wieder heraus kam. Sie war wohl sofort tot.
1943 wurde in Essen der gesamte Schulunterricht nach 2 großen Bombenangriffen beendet.
Im Herbst 1945 fing für mich als I-Männchen die Schule an. Am Anfang wurden wir von einem Schulgebäude zum anderen geschickt. Es ergaben sich erhebliche Raumprobleme. Viele Schulen waren ausgebombt. Die Schulwege waren oft weit. Notunterkünfte wurden gesucht. Ich kann mich erinnern, dass ich für zwei Tage einen Schulweg von ungefähr einer Stunde hatte. Aber schließlich und endlich nach ein paar Wochen besuchte ich die Volksschule, in der ich bis zum Frühjahr 1949 , bis zum Übergang zur damaligen Mittelschule blieb. Ich brauchte 20 Minuten bis zur Schule. Das erste Schuljahr begann im Herbst 1945 und endete am 31. März 1946. Das Zeugnis beinhaltete keine Noten., nur einen Text: Ich hätte einen guten Anfang gemacht. Es wäre mir nichts zu viel. Immer gleichmäßig und angenehm, ein liebes Kind.. Das war alles.
Bemerkungen: versetzt,
Essen den 31. März 1946.
Eine Schultüte zur Einschulung gab es übrigens nicht. Es war ja nichts da. Aber ab 1946 gab es die Schulspeisung. Für 1,20 RM je Woche. Das Essen war entweder eine Erbsensuppe, ein Haferschleim oder, was ich am liebsten aß, Fleischsuppe mit ein paar Nudeln drin, . Allerdings konnte man die Fleischstückchen und Nudeln zählen. Was ich gar nicht mochte, war die Haferschleimsuppe, die mag ich heute noch nicht. Einen Topf und einen Löffel mussten wir von zuhause mitbringen. Wenn man schlau war, stellte man sich am Ende der Schlange an, denn der Speck in der Erbsensuppe oder das Fleisch in der Fleischsuppe hatte sich am Boden abgelagert, und so konnte man wesentlich gehaltvoller essen. Für manche Kinder war das die einzige warme Mahlzeit am Tag. Erst 1950 wurde die Schulspeise eingestellt.
Schulhefte gab es in den ersten Schuljahren nicht. Wir hatten eine Schiefertafel mit einem Schwämmchen und einem Lappen und einen Griffel.
Protestanten und Katholiken waren streng getrennt. Auf unserem Schulhof standen zwei Schulgebäude. Eine Schule für die Katholiken und eine für die Protestanten. Wir trafen nur in der Pause auf dem Schulhof zusammen und es war nichts Ungewöhnliches, dass manchmal eine Prügelei zwischen den Katholischen und den Evangelischen stattfand, und die Lehrer dazwischen gehen mussten
In den Wintern 45/46 und 46/47 war der Kohlenmangel ein großes Problem. In den Fenstern fehlten zum größten Teil noch die Scheiben . Fensterglas war bis Dezember 1946 für Schulen nicht zu bekommen. Kinder und Lehrpersonal saßen mit Mäntel, Mützen und Handschuhe in den Klassen. Da auch damals schon kein Unterricht ausfallen durfte, gab es “verkürzten Unterricht”, d. h. wir mussten nach kurzem Aufenthalt in der Schule nach Hause gehen.
Da mein Vater im Bergbau beschäftig war, brauchten wir zu Hause nicht zu frieren. Wir bekamen so viel Kohle, dass wir noch einige Zentner schwarz verkaufen oder tauschen konnten. Meine erste Grundschullehrerin, die mir das gute Zeugnis schrieb, wusste das und winkte mich eines Tages zu sich ans Pult und bat mich, zu Hause bei meinen Eltern einmal nachzufragen, ob sie ihr nicht einen Sack Kohlen bringen könnten., selbstverständlich geschenkt. Mit dieser Aufgabe wurde dann mein Bruder betraut, der meiner Lehrerin in einer Karre fluchend einen Sack Kohlen brachte. Fluchend, weil es ein langer Weg bis zu ihr war. Im zweiten Schuljahr bekam ich dann eine andere Lehrerin, die ich bis zum Ende des vierten Schuljahrs auch behielt.
Die Lehrerinnen waren meistens Singles und wurden mit “Fräulein “ angeredet. Egal ob sie 30 oder 50 Jahre alt waren. Das stammte noch aus der Kaiserzeit. Da durften die Frauen nur bis zur Heirat unterrichten und mussten dann ihren Beruf aufgeben. Ich wurde übrigens bis zu meiner Heirat auch noch mit “Fräulein “ angeredet. Die Anrede “Frau “ für alle Personen weiblichen Geschlechts ist erst 1976 gesetzlich eingeführt worden. Frauen ab 18 Jahren werden seitdem mit “Frau “ angeredet. Die Anrede Fräulein ist in Deutschland gesetzlich verboten.
Ab 1946 gab es in regelmäßigen Abständen die Care - Pakete. 22 kirchliche und andere humanitäre Hilfsorganisationen in den USA haben diese Aktion ins Leben gerufen. “CARE “ heißt das Unternehmen “Cooperative für American Remittances to Europe. Deutschland wurde zum Schwerpunkt dieser beispielhaften humanitären Aktion. Die Pakete enthielten Fleisch, Fett, Mehl, Zucker, Honig, Rosinen, Kaffee, Milchpulver, Schukolade, Seife- auch Zigaretten. Die Zigaretten wurden dann auf dem Schwarzmarkt wieder getauscht.
Zum Thema Zigaretten fällt mir noch folgendes ein. Mein Vater war immer bemüht, neben seiner Tätigkeit auf der Zeche noch etwas dazu zu verdienen. Und ich weiß nicht woher, aber er tauchte eines Tages mit großen Tabakblättern auf, Der Tabak wurde fein geschnitten und in primitiven kleinen Zigarettenmaschinchen.( Ich weiß nicht, wie man diese primitiven Dinger damals nannte) wurden Zigaretten gedreht. Abend für Abend saßen wir in unserer Wohnküche und drehten Zigaretten, die wir dann für 1.-- RM pro Stück verkauften. Wenn ich nachmittags draußen spielte und meine Eltern waren nicht zu Hause, hatten ich den Haustürschlüssel an einem Band um den Hals und passte auf, ob ein “Kunde” zu uns wollte. Es waren ja meistens die gleichen Leute , die uns aufsuchten. Mit der Rechnerei klappte es schon so gut, dass ich auf große Geldscheine herausgeben konnte.
Gerne erinnere ich mich an die Zeit, als bei uns Hausmusik gemacht wurde. Einmal in der Woche kamen ein oder zwei Mitschüler meines Bruders zu uns nach Hause und es wurde musiziert. Wir hatten ein Klavier , und ich bewunderte meinen Bruder, der so gut spielen konnte. Als ich gerade einmal 7 Jahre alt war, sagte ich zu meinem Vater, dass ich auch Klavierspielen lernen möchte. Ich bin dann einmal in der Woche alleine mit der Straßenbahn nach Gelsenkirchen gefahren und habe bei einer Lehrerin Klavierunterricht bekommen. Ich hatte noch gar nicht lange Unterricht bei ihr, als sie für die Eltern der Schüler ein Konzert veranstaltete. Ich war die jüngste Schülerin, die etwas vorspielen durfte. Es war eine Menuett und ein Rondo. Von welchen Komponisten weiß ich nicht mehr.
Als ich im dritten Schuljahr war, habe ich meine Liebe zu den Büchern entdeckt. Mit der Spielgefährtin aus unserem Haus bin ich jede Woche einmal zur Stadtbücherei gelaufen, eine halbe Stunde hin und eine halbe Stunde zurück. Dort haben wir uns beide je drei Bücher ausgeliehen, mehr durfte man nicht., die wir dann untereinander noch austauschten. Ich habe also 6 Bücher in einer Woche gelesen. Ich weiß noch mein erstes Buch war “ Die Biene Maja”. Meine Lieblingsautorin war Johanna Spyri. Ihre Bücher waren immer so schön traurig. Ich habe dabei immer Rotz und Wasser geheult.
Aber ich habe nicht nur gelesen. Auch in den Vororten von Essen gab es Bauernhöfe und Felder , und wir Kinder gingen aufs Feld , lasen Ähren oder sammelten übrige Kartoffeln ein. Freitags wurde bei uns geputzt und ich musste der Mutter mithelfen.
Am 21. Juni 1948 wurde in den westlichen Besatzungszonen die Deutsche Mark eingeführt. Am 20 Juni wurde pro Person ein Kopfgeld von 40,-- DM und einen Monat später noch einmal 20,-- DM bar ausgezahlt.
Einen Tag nach der Währungsreform waren die Geschäfte wieder mit offensichtlich zurückgehaltenen Gütern gefüllt. Man konnte nahezu alles plötzlich wieder kaufen, wenn man genug DM hatte. Die Preise zogen stark an und die meisten, auch wir , konnten die Warenangeboten in den Geschäften nur bestaunen. Aber die Wirtschaft in den Westzonen entwickelte sich ab Ende 1948 zusehends . Die 1949 gegründete Bundesrepublik ging einem Wirtschaftsaufschwung entgegen, dem deutschen Wirtschaftswunder.
Tag der Veröffentlichung: 18.03.2009
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Auf Wunsch meiner Kinder und Enkelkinder