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Der Stock im Arsch
Eine Parabel

Von Martin Hammer


Ich bin gerade auf Wohnungssuche. Die Uni-Hamburg wollte mich nicht annehmen, so bin ich nun gezwungen, meine heißgeliebte WG für einige Monate zu verlassen, um erst einmal in Hannover anzufangen. Da wirft sich ziemlich schnell die Frage auf, wohin ziehen. Wohnheim? Zu viele Erasmus-Studenten, zu wenig Flurgemeinschaft, mehr aneinander vorbei, als miteinander zusammen leben. Für 6 Monate eine neue WG suchen, klingt erstmal einfach. Im Internet findet man schnell einige Angebote. Anrufen, Termin ausmachen, nur nicht wieder den einfachen Weg nehmen – pseudo-personalisierte Massenmails an alle „günstig“ scheinenden Angebote; diese verblendeten Studentenverbindungen lauern überall und schrecken auch nicht vor Warnungen zurück. Telefonieren ist da sicherer.
Ich hatte 3 Besichtigungstermine für Sonntag und fuhr, von meiner erstaunlicherweise gar nicht so mitgenommenen Mitbewohnerin Easy begleitet, nur leicht verkatert zur ersten Wohnung. Die vermeintliche Abkürzung hätten wir lieber vermeiden sollen. Hannover ist doch nicht so ein Dorf, wie erst angenommen. Vorurteil überwunden, doch teure Zeit als Lehrgeld verplempert. 2 Stunden zu spät erreichten wir die erste WG, 5. Stock, schwarzer Bär. Gute Gegend im Sinne von altonativ, studentisch, 'ne Menge Bars, genau das, was ich bräuchte. Als ich eintraf, war bereits mein Konkurrent Stephan da, der sich nach wenigen Minuten als nicht sehr konkurrenzfähig erwies. Sehr sympathische WG, verranzt, alternativ, groß, wohnlich, ebenfalls von gestern gezeichnete unkonventionelle MitbewohnerInnen; wie ich es mir schon der Anzeige nach gedacht habe, dort hieß es, man suche „weltoffene Menschen, ohne Brett vorm Kopf oder Stock im Arsch“. Ebenfalls mein Profil für WG Mitbewohner, da pass' ich rein.
Die 3. Wohnung beschlossen wir gar nicht mehr anzusehen, da wir eigentlich um 21 Uhr wieder in Hamburg sein wollten, zwecks Party in unserem Domizil. Immerhin war es schon 19:00, 1 Stunde nach unserem Termin bei der 2. Wohnung, als wir die erste verließen.
Dort, nach einer kleinen Irrfahrt angekommen, wurden Easy und ich nachhaltig schockiert. Ein ziemlich zierliches Mädchen Anfang 20 öffnete uns die Tür zu einer klinisch reinen, gepflegten und für so junge Leute übelst spießigen Wohnung. Nun gut, ich bin ja nicht voreingenommen. Rein mit uns, direkt ging die Führung los. Dies ist Zimmer von Bla, achja 'nen Putzplan haben wir auch, jeder muss, wenn er dran ist, einmal in der Woche zwischen Montag und Mittwoch alles geputzt haben, und das hier ist das Zimmer von Blub. Komisch, heute ist Sonntag dachte ich, trotzdem sauberer hier, als in jedem mir bekannten Krankenhaus. Zimmer von Blub links, offene Küchentür rechts. Dort saßen die anderen WG-Bewohner inkl. eines Freundes, Easy und mich eines kurzen Blickes würdigend. Bei der Küche handelte es sich um eine von widerlich spießiger Ordnung und Sauberkeit durchtränkten Nische. Trotzdem einer gerade kochte, keine Spritzer, keine Flecken, kein Müll oder Dreck, Zauberei.
Ich versuchte das Eis zu brechen und stellte mich fröhlich vor, mit Handreichen, locker-lustigem Spruch und allem drum und dran. Keine Wirkung. Diese WG war wirklich anders als alles, was ich bisher kannte. Wir gerieten dann doch in zwanghafte Konversation. Alles BWLer- Typen, dachte ich. Der zu ihrem Wesen passende Studiengang stellte sich als falsch – trotzdem passend - heraus. Unreflektierte, ungesprächige, uninteressante – wahrscheinlich weil schon zu sehr konforme, indoktrinierte – Menschen. Kein Wort zuviel! Erstmal nach Hobbys fragen dachte sich das zierliche Mädchen, wohl um die Kennenlernphase einzuleiten. Hobbys! Darauf fiel mir spontan nur ein, dass ich keine Hobbys habe, zumindest keine ordinären, Segeln, Fußball, Angeln, Jagen und was es als Zeitvertreib für Deppen sonst noch geben kann – macht man ja auch nicht hauptsächlich in seiner Freizeit… Ich antwortete irritiert über die Frage: Diskussionen und interessante Gedanken, ach und Feiern tu ich auch viel. Unzufrieden mit der Antwort wirkte die junge Frau vor mir, die uns die Tür geöffnet hatte. Die anderen waren wohl eher irritiert, wie ich, nur aus einem anderen Grund. Sie berichtete mir dann noch von ihrem Hobby, Faustball – so ausführlich, dass ich mein Gehirn abschalten musste.
Junge Frau, weißt du, was hier das Problem ist?
Kennst du das, wenn man mit jemandem das erste Mal Sex hat? Entweder man harmoniert, oder man harmoniert nicht. Wenn dein Gegenüber nicht aus sich raus kommt, verklemmt ist, ’nen sprichwörtlichen Stock im Arsch hat, dann wird das nichts und du fängst an zu denken. Fragst dich, wann er denn nun fertig ist, was du da überhaupt machst. Was er da überhaupt macht. Warum zum Teufel du das jetzt mitmachst. Naja, aufhören geht auch nicht einfach so. Ist wie bei Kommunikation. Du fändest die Vögelei natürlich geil, wenn der Stock im Anus deines gegenüber ’n ähnliches Ausmaß an Durchmesser und Länge bietet wie der deinige. Ist er kleiner als deiner, kannst du dich bemühen, dir etwas beibringen zu lassen, offener werden – sprich: ihn dir ziehen oder wenigstens durch ’ne kleinere Version ersetzen zu lassen. Dazu musst du es aber erst einsehen, lernbegierig sein und mitmachen wollen. Ist er aber größer als deiner, bist du gefragt, dann musst du ziehen oder zumindest ’n kleineres Substitut einführen.
Das erfordert ziemlich viel Taktgefühl und großes empathisches und sozialpsychologisches Talent. Andernfalls kommen beide einfach nicht rein, ihr Rhythmus neben dem Takt, finden es nicht gut, weil sie wissen, dass es nichts wird, wenn der Stock im Arsch des anderen, falls er überhaupt vorhanden ist, sich zu arg von dem eigenen unterscheidet.
Kommen wir zurück auf unser Problem: Ich habe keinen Stock, also haben wir eine ziemliche Divergenz, die müsste ausgeglichen werden. Das ist aber kein Zuckerschlecken, das ist das Problem bei uns mit der Kommunikation. Ich könnte natürlich versuchen, dir den riesigen Stock aus deinem Hintern zuziehen, damit ich zu dir vordringen kann, du deine Fassade abwirfst, ein bisschen lockerer wirst und vielleicht mal du selbst bist, wie du es vielleicht vor langjährigen Freundinnen sein kannst, die dich schon in peinlichen und erhabenen Momenten erleben durften, zumindest aber schon mal so zugedröhnt, dass der Stock wie mit Vaseline getränkt von selbst rausrutschte. Oder, ich lass das hier jetzt über mich ergehen, spar mir die vielleicht auch vergebliche Mühe die ich mit euch allen hätte, mach es wie beim Sex und ruf einfach nicht mehr an.
Mit diesen Worten drehte ich mich um, schnappte meine Mitbewohnerin und verschwand.
Und wenn er nicht gezogen wurde, steckt er noch heute und auf alle Ewigkeit. Diese armen Menschen. Galileo Galilei sagte einst „man kann einem Menschen nichts lehren, man kann ihm nur helfen, es in sich selbst zu entdecken“. Dazu fehlte mir leider die Zeit gepaart mit der nötigen Muße, immerhin waren sie zu fünft.

Impressum

Texte: Alle Rechte an den Grafiken verbleiben bei Alexander Jäger
Tag der Veröffentlichung: 26.11.2008

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Ich widme diese Geschichte allen, die auf der Suche im facettenreichen Jungle der WGs absurde Erfahrungen erleben durften.

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