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Es war wie in den alten Kriegsfilmen, jemand vom Militär kommt mit einem Wagen vorgefahren, klingelt an der Haustür der Familie und überbringt die traurige Nachricht.


Doch in unserem Fall war es der alte Ernie, der beste Freund meines Großvaters. Man konnte seine Ankunft schon immer etwas früher erahnen, denn seine alte Kiste von Auto machte Geräusche, als würde gerade ein achtstöckiges Hochhaus zusammenfallen.


Meine Mutter sah aus dem Küchenfenster auf die im Nebel liegende Straße, hier im Norden war es meist nebelig. Sie sah den alten Mann langsam auf die Veranda zukommen.

Noch bevor er die Tür erreichte, öffnete meine Mutter die Tür und sah ihn voller Neugier an. Ernie, der jetzt nun noch älter aussah, als er sowieso schon ist, stellte sich vor meine Mutter, hievte seinen Kopf langsam nach oben und schaute ihr nun direkt ins Gesicht. Er nahm seinen alten strohigen, schon verfilzten Hut von seinem Kopf und stammelte etwas, das meine Mutter im ersten Moment nicht verstand.

Dann aber merkte sie, dass Ernie von ihrem Vater Bartholomäus, dem alten Schiffskapitän sprach.

Voller Aufregung fragte sie ihn, was mit ihm sei.

Mit zittriger Stimme brachte er nur etwas von "Unfall" raus.

Meine Mutter wurde lauter, schrie den armen Alten förmlich an.

Dann erzählt er endlich weiter.

Als sie gestern den alten Kahn der Familie beluden, kam ein starker Wind auf, der so heftig war, dass er den Mast des alten Bootes umknickte.

Der Mast fiel in Richtung Bug, wo gerade ihr Vater gestanden hatte. Der Mast knallte mit einer solchen Kraft auf den Greis, dass dieser keine Überlebenschance hatte.


Ich hörte weiterhin dem alten Ernie zu, der noch erzählte, dass der Großvater schon vom Notarzt abgeholt worden.

Meine Mutter stand die ganze Zeit in derselben Pose verharrend an der Türschwelle. Doch ganz plötzlich sackte sie zusammen, kauerte sich in die Ecke des Eingangs. Ich hörte sie nur noch schluchzen. Ich und Ernie warfen uns einen Blick zu und dann verschwand er auch wieder in den Nebelschwaden.


Dann drangen auch mir die Tränen in die Augen und ich lief so schnell ich konnte runter zu ihr, um sie festzuhalten und für einen Moment nur für sie da zu sein. Ich verharrte mit meiner Mutter ca vier Stunden zusammen auf dem Boden. Ich sah sie noch nie ohne Ausdruck im Gesicht, sonst war sie immer fröhlich lebenslustig und stets für einen da, doch nun sah sie einfach aus wie ein kleines Kind, das seinen Vater braucht.

Paul mein kleinerer Bruder, der aus einer anderen Ehe stammt, verbrachte sein letztes Wochenende kurz vor den Ferien bei seinem leiblichen Vater in Innsbruck.


Das Opa tot war konnte keiner richtig verstehen, er konnte zwar fies und gemein sein, aber dennoch gehörte er zur Familie. Zur Beerdigung kamen alle Familienangehörigen. Die Beerdigung war trist und wieder legte sich an diesem Tag ein dichter Nebel über den Boden-


Etwa in der dritten Ferienwoche bekam meine Mutter, die mit uns alleine in einem kleinen Häuschen lebte, einen Brief der Erbgesellschaft.

Sie hatte ihn noch nicht geöffnet, da sie es gemeinsam mit uns machen wollte.

Als erster Punkt wurde genannt, dass die 1500 Hektar Land im Norden von Uppsala in Schweden an seinen Stiefbruder Hektor ging. Dann gab es noch eine wertvolle Briefmarkensammlung, von der meine Mutter glaubte, dass sie diese erben würde. Damit hätte Sie die Chance gehabt, die Raten und die zahlreichen Reparaturen am Haus zu bezahlen. Laut Testament jedoch geht die gesamte Briefmarkensammlung an eine gewisse Gaudeline Wekjir, die keiner von uns kannte.

Unter dieser Zeile stand dann nun auch endlich unser Name, bzw der meiner Mutter.

Als meine Mutter das Erbe benannte, das uns hinterlassen worden war, waren wir für einen kurzen Moment einfach nur fassungslos. Dennoch stellten wir keine Ansprüche, denn das Verhältnis zu unserem Großvater war immer angespannt.

Opa Bartholomäus hatte uns seinen alten Kahn, den er "Perle" nannte, hinterlassen.

Meine Mutter wusste überhaupt nicht, was sie damit anfangen sollte, sie dachte gleich daran, den alten Kahn zu verkaufen, wusste aber auch gleichzeitig, das dieser nicht viel Geld einbringen würde.


Nachdem wir nun wussten, was wir nach dem Tod von unserem Großvater erhalten haben, mussten wir uns überlegen, was wir mit dem alten Schiff machen.

Paul kam auf die Idee, den Kahn einfach zu verschrotten. Doch das kam für mich und auch für meine Mutter nicht in Frage.

An einem Sonntagnachmittag bereiteten wir uns darauf vor, unser Erbe zu inspizieren.

Wir machten Sandwiches, zogen unsere Regenmäntel an und wanderten den Pfad Richtung Nordsee.

Wir lebten in Aalborg im Norden Dänemarks.


Wir machten uns also auf den Weg und brauchten ca vier Stunden, bis wir ein wenig erschöpft und dennoch erleichtert an der Küste ankamen. Die größte Strecke fuhren wir mit dem Rad, anschließend mit dem örtlichen Zug. Die letzten Kilometer gingen wir zu Fuß. Nachdem wir angekommen waren, erwartete uns schon Ernie, der die Schlüssel zur Kabine des Schiffes bereithielt.

Wir nahmen den Schlüssel und bestaunten erst einmal das riesige Schiff, das dort sehr ruhig im Hafen lag. Mama blickte auf den Umgeknickten Mast, der immer noch da lag. Ihr standen wieder die Tränen in den Augen. Ich nahm ihre rechte Hand und Paul ihre linke, dann schritten wir langsam auf den riesigen Koloss zu, um es endlich zu betrachten.

Paul war so aufgeregt, dass er unbedingt zuerst aufs Schiff wollte. Ich hörte nur noch das Knartschen des alten Brettes, auf das er hinaufstieg, um auf das Boot zu kommen. Ich folgte ihm zusammen mit unserer Mutter.

Wir hatten das Schiff unseres Großvaters noch nie bewundern können, denn meine Mutter hatte nicht gerade ein gutes Verhältnis zu ihrem Vater. Das lag wahrscheinlich daran, dass ihr Vater damals im Krieg diente und kaum zu Hause war. Sie haben keinerlei Beziehung zueinander aufbauen können.

Das Leben meiner damals fünfjährigen Mutter verlief ebenso schlecht wie das heutige auch. Mit sieben Jahren musste sie schon Schwerstarbeit leisten und die Arbeitszeit eines ausgewachsenen Mannes übernehmen. Und wenn ihr Vater einmal zu Hause war, gab es meistens aus Zorn nur Schläge und Wutausbrüche. All diese Dinge sind auch der Grund dafür, dass meine Mutter in abgrundtief hasste.

Doch zu Lebzeiten war Bartholomäus von ihr abhängig, denn der Fischfang, den er mit seiner alten Perle betrieb, warf nichts ab. Meistens nur magere Ausbeuten. Es gab natürlich auch Erfolge, vor allem dann, wenn es Stürme gab , das wirbelte den Meeresgrund schön auf und garantierte, dass man beim Fang etwas mehr Glück hatte.

Wir durchforsteten das Schiff nach wertvollen Dingen, schauten in jede Ecken und in allen Laderäumen nach, ob etwas Brauchbares zu finden war.

Wir fanden rein gar nicht, außer zerlumpten Fischernetzen, Ölfässern, ein paar Lebensmittel und alte Kleidung.


Unseren Gesichtern war die Enttäuschung anzusehen. Man hoffte vergebens auf einen kleinen Schatz. Und unserer Mutter stellte sich wieder die Frage, wie sie durch den Herbst oder den Winter kommen sollte. Ihre kleine Tätigkeit in einem dänischen Café reichte bei weitem nichts aus.

Ich und Paul hatten des öfteren mitbekommen, wie verschiedene und teilweise auch etwas ältere Menschen das Haus betraten und verließen.

Meist dachte meine Mutter, wir schon schlafen würden, aber wir wussten ganz genau, dass allein ihr Verdienst war , dass wir jeden Tag eine warme Mahlzeit auf dem Tisch hatten. Dafür bin ich ihr bis heute noch sehr dankbar.

Wir waren gerade dabei zu gehen, als dem kleinen Paul eine glänzende Schatulle hinter dem Steuerrad des Schiffes auffiel. Er packte so schnell zu, dass er sich an einem Stück Holz schnitt. Ich verband seine kleine Wunde mit einem Stück Stoff, dass ich in meiner Hosentasche hatte und befahl ihm, dass er seine Hände in der gegenüberliegenden Gaststätte säubern soll, damit sich nichts entzünden kann.


Mama nahm die oval glänzende Schatulle an sich und wischte das bisschen Fischöl, das an ihr haftete mit einem Taschentuch fein säuberlich weg.

Auf der Schatulle konnte man eine Gravierung entziffern. Der Name, der dort stand, begann mit "K".

"K", war der Anfangsbuchstabe des Namens meiner Großmutter.

Katherine Hukslij war die Mutter meiner Mutter und in den frühen 50er Jahren bei einem Unwetter auf See ums Leben gekommen. Damals waren meine Großmutter und mein Großvater noch gemeinsam unterwegs, um für den Lebensunterhalt der Familie zu sorgen.

Mit zaghafter Kraft versuchte meine Mutter den kleinen Gegenstand zu öffnen. Nach ca dreißig Sekunden geballter Kraft sprang die Schatulle mit einer solchen Kraft auf, dass ein Stück davon durchs Bullauge schoss und die Scheibe einschlug.


Darin jedoch lag ein kleiner Zettel und eine goldene Brosche, die aussah wie eine Feder.

Im ersten Moment konnten wir mit der Brosche überhaupt nichts anfangen, doch dann fiel es meiner Mutter wieder ein. Die Brosche die sie da gefunden hatte, gehörte Ihrer Mutter. Großvater hatte in seinen jungen Jahren in Amerika gelebt und arbeite mit zwanzig Jahren in einer Goldmiene, um das große Geld zu machen. Doch das einzige, was er dort fang, war ein geringer Klumpen Gold, dem ihm höchstens für ein paar Monate über Wasser hätte halten können. Er hob sich also dieses Stück auf, bis er es irgendwo gegen Lebensmittel eintauschen konnte. Vor allem musste er zur damaligen Zeit einfach vorsichtig sein, um nicht mit diesem wertvollen Stück erwischt zu werden.


Nachdem das Minengeschäft nicht mehr lief und auch schon der Krieg ausbrach, behielt mein Großvater den Klumpen Gold in der Hoffnung, ihn irgendwann einsetzten zu können. Den ersten Krieg hatte er überlebt und wanderte anschließend zusammen mit Nigerianern, die als Sklaven genutzt wurden, nach Dänemark aus.

Dort lernte er in dem Straßencafé, in dem auch heute meine Mutter arbeitet, seine große Liebe Katherine kennen. Sie verliebten sich unsterblich ineinander und bekamen insgesamt elf Kinder. Sie verbrachten viel Zeit im Auf und Ab der Geschäfte, gingen durch dick und dünn. Nach 23 Ehejahren wollte mein Großvater seiner Frau ein besonderes Geschenk machen. Doch gerade jetzt lebte seine Familie in größter Armut und konnte froh sein, wenn es einen Laib Brot gab.

Da fiel ihm schlagartig der Klumpen Gold ein, den er damals in einer Miene fand. Er machte sich auf den Weg zum Stadtschmied und verlangte von diesem, dass er eine schöne Brosche in Form einer Feder draus schmelzen sollte. Warum gerade eine Feder, fragte ich mich damals auch, als er mir mal die Geschichte erzählte. Darauf antwortete er mir nie.

Nun wusste ich nicht, was es mit dieser Feder auf sich hatte, denn wir hatten sie nie gefunden. Er behauptete immer, dass sie seit dem Tod von Großmutter verschwunden sei.


Meine Mutter bekam ganz plötzlich einen Geistesblitz. Sie wusste warum die Brosche in Form einer Feder gegossen war. Als Kind war sie immer der Liebling der Mutter gewesen, da sie die einzige Tochter war, die ihr Bartholomäus geschenkt hatte.

Die anderen Kinder waren Söhne, Arbeiter die den engen Kontakt zur Mutter mieden.

Großmutter Katherine erzählte meiner Mutter damals immer eine Geschichte von einem prächtigen Vogel, der immer versuchte, über eine Mauer zu fliegen, aber es nie schaffte, weil er nicht genug übte. Großmutter versuchte damit meiner Mutter Mut zu machen, denn die litt ständig darunter, dass ihre Brüder stark waren und etwas erreichen konnten. In Ihrer Kindheit wurde sie oft vom Vater vernachlässigt und nie wahrgenommen. Doch Großmutter wusste immer, dass ihre Tochter irgendwann ausbrechen und über die Mauer klettern würde.

Jetzt ergibt es auch einen Sinn, warum die Brosche in der Form einer Feder gegossen wurde, Großmutter erzählte ihrem Mann immer von wunderschönen Vögeln und deren wundervollen Federn.


Als Großvater mir damals diese Geschichte erzählte hielt ich es nicht für wichtig, diese meiner Mutter zu erzählen, ich dachte es wäre einfach eine Geschichte, die er erfunden hätte, um den Schmerz des Verlustes zu verarbeiten.


Auf den Lippen meiner Mutter konnte ich ein leichtes Lächeln sehen. Und im selben Augenblick zog ein leichter Wind durch die Kabine, den ich und meine Mutter gleichzeitig spürten. Aus irgendeinem Grund waren wir erleichtert und vor allem Sie, denn sie wusste, dass diese Brosche, die Brosche ihrer einst liebevollen Mutter, ihr ganzes Leben verändern würde.

In dem Moment, als dieser Wind im Rücken kitzelte, fühlten ich und meine Mutter eine tiefe Verbundenheit und waren überzeugt, dass dieser Moment etwas ganz Besonderes war.

Einige Zeit später kam auch Paul zurück und fragte mit großen Augen, was in der Schatulle sei, doch meiner Mutter antwortete ihm nicht, nahm ihn nur an die Hand und ging mit einem Lächeln von Bord.

Und auch ich blickte noch einmal auf den Kahn meines verstorbenen Großvaters zurück und ging mit einem guten Gefühl der Geborgenheit und Warmherzigkeit von Bord.


Meine Mutter beschloss die Brosche, obwohl es ein Erbstück war, an einen Händler zu verkaufen.

Wie viel Geld wir dafür bekamen, hat sie bis heute für sich behalten. Doch eines konnten wir mit dem großen Glück, das uns hinterlassen wurde, sicherlich tun. Wir trugen die Erinnerung der nie endenden Liebe der Großeltern in unseren Herzen und konnten zudem auch erkennen, dass unser Großvater ein doch wundervoller Mensch gewesen war.

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Tag der Veröffentlichung: 08.10.2010

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