Manon Severin
Manon Severin ist ein ganz besonderes Vampirmädchen. Sie kann kein Blut mehr sehen,
was für einen Vampir wirklich nicht einfach ist.
Ihre Mama, Ludmilla belegt das Frühstücksbrot für sie. Ob sie das wenigstens isst?
„Bist du bereit, Manon? Hier ist dein Blutwurstbrot und der Bluttee. Magst du einen Apfel oder lieber eine Banane?“
„Ach Mama, du weißt doch, dass ich kein Blut mag!“ Sie ekelt sich bei der Vorstellung, Blutwurst zu essen. „Hier ist meine Frühstücksdose. Hast du noch von diesem herzhaften Rindenbrot, das Papa mitgebracht hat? Und vielleicht von der leckeren Apfelblütenwurst? Und trinken, du weißt doch: Tigerklauen -Tee.“
Ludmilla stöhnt leise auf. „Wenigstens den trinkst du, seit du weißt, dass die Tigerklaue eine Pflanze ist und der Tee nichts von einem Tier enthält.“ Sie macht sich große Sorgen um ihr so zartes Töchterchen, die jüngste ihrer 6 Kinder. „Kindchen, Kindchen, du willst doch groß und stark werden! Wie stellst du dir das vor? Wie willst du im Flugunterricht die Meisterschaft im Weitflug schaffen, wenn du nichts zu beißen hast“
„Mama, ich bin die Beste in der Klasse! Unterstell mir nicht, dass ich nichts leiste! Danke für das Brot.“
Beleidigt schnappt sie ihre Frühstücksdose und ihre Jacke, dann stürmt sie zum Flugloch hinaus, um zur Schule zu fliegen.
„Gute Nacht, Manon. Du siehst gar nicht gut aus, heute Nacht. Ist dir schlecht?“
„Gute Nacht, Herr Blutlache, nein, es gibt mal wieder Ärger zu Hause.“
Sie kann sich nicht mehr zurückhalten. Sie zittert vor Wut. Tränen stürzen ihr aus den Augen. Herr Blutlache, der sie wirklich gern mag, sieht sie erschrocken an: „Oh, was ist denn passiert? Ist jemand krank?“ Er denkt an Manons Vater, der schon lange Frührentner ist, weil er sich an einem Stück Holz die Zähne ausgebissen hat. Und damit kommt Dagobert ganz und gar nicht zurecht.
„Nein, das ist es nicht. Meine Mama ist nicht mit meinen sportlichen Leistungen zufrieden.“
Stockend hat sie das zwischen den Zähnen herausgequetscht.
„Waaaas ?????????????“
Herr Blutlache ist entsetzt. Das kann doch nicht wahr sein! Da kann irgendwas nicht stimmen.
„Manon, glaubst du, dass du deine Mutter richtig verstanden hast?
Als sie keine Antwort gibt, redet Herr Blutlache weiter: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass deine Mutter das so gemeint hat. Wir können jetzt aber nicht weiterreden, der Unterricht beginnt gleich. Komm doch in der Pause zu mir. Ja? Ich glaube, das können wir ganz schnell klären.“
In der Pause erzählt sie ihrem Lieblingslehrer, dass ihre Mutter meckert, weil sie „nichts gescheites isst“. Aber sie kriegt doch dieses Blutzeugs nicht runter.
Dass das für Manons Mutter nicht einfach ist, das kann Herr Blutlache gut verstehen.
„Warst du deswegen schon beim Arzt? Es ist schon sehr ungewöhnlich, kein Blut zu sich nehmen zu wollen. Ihr habt in Biologie schon den Körper besprochen, du weißt also, dass das Blut die meisten Vitalstoffe für uns Vampire hat. Trotzdem glaube ich nicht, dass deine Mutter dir Leistungsmangel vorwerfen will.“
Nach einer kurzen Pause: „Meinst du, ich soll mit ihr sprechen? Ich sehe da wirklich einen ernsthaften Konflikt.“
Manon ist erleichtert: „Mm ja, ich glaube, das wäre ganz gut. Seit ich dieses Zeugs nicht mehr mag, haben wir immer wieder Streit.“
„Wie lange ist das schon?“
„Vielleicht 2 Monate.“
Der Lehrer nickt. „Ganz schön lange für so einen nervenden Konflikt.“
Manon, aus tiefstem Herzen: „O ja, das stimmt.“ Jetzt kann sie es nicht mehr erwarten, dass Herr Blutlache mit ihrer Mutter redet. „mm Glauben sie, dass sie noch vor nächster Woche kommen können?“
„Du meinst noch vor der Meisterschaft? Ja, ich denke auch, dass das sinnvoll ist.“
„Mit dem Gedanken im Kopf, dass sie mir den Sieg nicht zutraut, brauche ich gar nicht anzutreten.“
Am übernächsten Tag schon steht Herr Blutlache vor der Tür. Ludmilla war gerade mit Manon beim Arzt. Das hat sie nicht viel weitergebracht. Soll sie noch mal zu einem anderen Arzt mit ihr gehen? Vielleicht ist ein Gespräch mit dem Klassenlehrer auch eine gute Idee. Sie hat Manon in ihr Zimmer geschickt und sie eröffnet gleich das Gespräch.
„Sie denken wohl auch, dass Manon krank ist? Sie besteht ja nur noch aus Haut und Knochen. Ich mach mir wirklich große Sorgen, dass sie irgendwann umkippt.“
Frau Severin holt zwei Gläser aus dem Schrank und schenkt Rote-Beete-Saft ein, während Herr Blutlache sich in einen Sessel setzt. Er fragt: „Waren Sie mal bei einem Arzt mit ihr?“
„Der sagt, es ist alles in Ordnung. Die Blutwerte, Größe, Gewicht ist zwar etwas weniger als bei ihren Geschwistern in dem Alter, aber es ist alles noch im unteren Bereich des Durchschnitts.“
Herr Blutlache nippt mal kurz an dem leckeren Rote-Beete-Saft. „Wie zufrieden sind Sie mit ihren Leistungen in der Schule?“
„Die sind okay. In den Lernfächern kommt sie gut mit, sie hat noch keine schlechtere Note als eine 4 nach Hause gebracht. Und na ja, Sport, sie wissen ja selbst,“ strahlt Ludmilla
Herr Blutlache ist erstaunt.
„Das mein ich aber auch! Ich frage mich nur, wie kommt sie dazu, zu sagen, Sie wären mit ihren sportlichen Leistungen nicht zufrieden?“
„Was haben Sie gesagt? Hab ich das richtig gehört?“
„Sie haben richtig gehört.“ Er trinkt noch mal einen Schluck Saft. “Vorgestern traf ich sie abends auf dem Weg zur Schule. Ich habe sie angesprochen, weil sie ganz blass war. Ich dachte, entweder ist ihr schlecht, oder es gibt sonst ein Problem, bei dem sie Hilfe braucht. Ja, so war es auch. Manon hat Sie so verstanden, dass Sie mit ihren sportlichen Leistungen nicht zufrieden sind.“
Ludmilla schreit auf: „Nein, um Himmels Willen, Nein! Wie kann sie nur. Wir sind alle begeistert, dass unsere Kleine so eine gute Sportlerin ist. Sonst ist niemand in unserer Familie, der so schnell und wendig ist, wie sie. Oft fängt sie uns den Sonntagsbraten, aber dann isst sie keinen Bissen davon. Lasst mich in Ruhe mit euren Fleisch, ich mag das nicht.“
`Genau, wie ich mir dachte,` sagt sich her Blutlache. Laut fragt er: „Und was isst sie dann?“
„Rindenbrot, Efeuwurz…am Liebsten sind ihr Früchte: Rosenballen, Eicheln, Bucheckern“
Herr Blutlache überlegt: „Das sind gute Sachen. Ich finde es trotzdem erstaunlich, dass sie bei dieser Kost so gute Leistungen bringen kann. Hat ihr Arzt mehr dazu gesagt?“
„Er hat gemeint, sie merkt es schon, wenn sie was anderes zu essen braucht.“
Herr Blutlache bestätigt: „Das sagt man. Ja so ist das sicher, wenn man durch unsere Zivilgesellschaft nicht zu sehr verbogen wurde. Und irgendwelche akuten gesundheitlichen Probleme gibt es nicht, haben Sie ja schon gesagt.“
„Nein, die gibt es nicht.“
„Und seit wann isst sie so?“
Ludmilla überlegt. „Vielleicht seit 2 Monaten. Das kam aus heiterem Himmel. Sie hat irgendwann einmal gesagt: Wir essen und trinken immer nur von diesem Blutzeugs, ich ekele mich! Gibt es denn gar nichts anderes? Wir haben hin und her überlegt und einiges gefunden. Sie kommt ganz gut zurecht. Ich denke trotzdem, dass das sehr einseitig ist und ich mache mir Sorgen, weil sie so dürr ist.“
„Das kann ich gut verstehen.“ Herr Blutlache nickt einige Male. „Es gibt bei der Krankenkasse eine Ernährungsberatung. Meine Frau war dort, sie hatte in der Schwangerschaft große Probleme, ich glaube, sie war sehr zufrieden mit dieser Beratung.“
Ludmilla erinnert sich: „Dr. Mahlzahn hat mir auch davon erzählt. Vielleicht sollte ich das versuchen.“
„Ich glaube, das Wichtigste ist für Manon zunächst mal die Meisterschaft. Sie hat gesagt, wenn Sie ihr den Sieg nicht zutrauen…“
Ludmilla schüttelt den Kopf. „Nein, nein das ist überhaupt nicht der Fall. Moment bitte, das können wir sofort klären.“
Sie geht an Manons Zimmertür und klopft an. „Kommst du bitte raus?“
Darauf hat Manon doch nur gewartet. Im Nu steht sie an der Tür. „Ja, was ist?“
„Komm mal her,“ sagt Ludmilla und geht voran ins Wohnzimmer, wo Herr Blutlache sie freundlich anlächelt.
„Manon, hast du am Mittwoch verstanden,“ fragt Ludmilla, „dass ich mit deinen sportlichen Leistungen nicht zufrieden bin?“
„Du hast gesagt, ich könnte niemals im Flugunterricht die Schul-Meisterschaft schaffen. Wieviel soll ich denn noch trainieren? Ich bin schon jeden Tag auf dem Flugfeld!“
Ludmilla schüttelt den Kopf. „Oh nein, da haben wir uns aber gründlich missverstanden. Es geht nur um dein Essen. Du ernährst dich jetzt schon lange so einseitig und im Sport bringst du Höchstleistungen. Das kann doch nicht lange gut gehen. Ich habe Angst, dass dir irgendwann schlecht wird oder du zusammenbrichst. Deshalb waren wir doch schon beim Arzt.“
Manon insistiert. „Und der hat gesagt, dass alles okay ist. Also wo ist das Problem?“
„Dein Vater hatte so einen schrecklichen Unfall. Du weißt, er macht sich heute noch Vorwürfe, dass er das tun konnte. Und du verlegst dich auf dieses, dieses… absonderliche Futter.“
„Ach nein,“ jetzt mischt sich Herr Blutlache wieder in das Gespräch ein. „Ich glaube nicht, dass du ungenießbares oder unverdauliches zu dir nimmst. Trotzdem ist es sicher sinnvoll, mehr Nahrungsmittel zu wissen, die du essen kannst. Nicht nur, wegen der einseitigen Ernährung. Wenn ich täglich mein Leibgericht essen müsste, könnte ich es bald nicht mehr sehen. Vielleicht ist es eine gute Idee, dass du mitkommst, wenn deine Mutter sich bei der Krankenkasse beraten lässt.
Manons Herz macht einen Sprung. „Du gehst zur Krankenkasse, um dich über Vollwertkost zu informieren? „
„Herr Blutlaches Frau hat da gute Erfahrungen gemacht. Das werd ich auch versuchen.“
Manon strahlt „Klaro, da komme ich mit.“
„Dann steht ja deinem Sieg nächste Woche nichts mehr im Weg,“ lächelt Herr Blutlache.
„Huch, ich muss zum Training! Tschüss Herr Blutlache bis morgen, ja und vielen Dank, dass Sie da waren.“
Tag der Veröffentlichung: 27.01.2012
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