Raubtiere
Die Klasse 8d der Realschule hat einige Wochen vor der Zeugnisausgabe einen Ausflugsfahrt gemacht. Die Jugendlichen sitzen jetzt im „Sea-Life in der Cafe-Teria. Die Schüler sind begeistert. Heute hat der Bio-Unterricht Spaß gemacht. Die Raubfische, speziell die Haie, die haben die Jungs und Mädels beeindruckt. Dass die Weibchen grundsätzlich zwei Kammern in der Gebärmutter haben, weil sich die Jungen gegenseitig auffressen würden, das gab zunächst mal großes Gekicher.
Manfred stieß den Sascha an: Hat die Miriam auch zwei Kammern?“ Dann prustet er los. Attila und David, die in der Nähe standen, wollten ihn übertönen.“ Die kriegt Zwillinge?“ „Die sich gegenseitig aufessen?“ Das Gelächter wird immer lauter. Sascha, dessen Schwester Miriam ungewollt ein Kind kriegt, ist keiner von den Schüchternen. Meistens ist er der schnellste, wenn es darum geht, sich über andere lustig zu machen. Aber bei diesem Thema, da gibt es nichts zu lachen.
Die Miriam musste kurz vor ihrem Lehrabschluss abbrechen, die letzten beiden Monate vor dem Geburtstermin waren zu anstrengend. Sie ist zu Hause ausgezogen, weil sie es nicht ausgehalten hat, mit den verständnislosen Eltern. Bekannte, von denen er jetzt nicht mehr denkt, dass sie Freunde sind, reagieren mit Häme oder Spott. Und ob der Vater des Kindes zu ihr hält, das weiß sie auch noch nicht. Er selbst kommt sich vor wie ein Verräter, weil er noch zu Hause wohnt. Ihm ist jetzt erst bewusst, wie gern er seine Schwester hat und wie stolz er auf sie ist, für die es gar keine Frage war, für das Kind da zu sein.
--,--,--,--,--,--,--,--,--,--,
Zeugnisausgabe. Sascha geht ganz zufrieden nach Hause. Vielleicht bringt er ein bisschen andere Stimmung mit. Seine Noten sind wirklich gut. Es ist doch die größte Sorge der Eltern, dass aus „den Kindern was gescheites wird“. Er kann sich jetzt mit voller Zufriedenheit um seinen Ausbildungsplatz in der Druckerei bewerben.
Mit guter Stimmung zu Hause ist nichts, es gibt dicke Luft. Miriam hat angerufen und schon wieder gefragt, ob Mama nicht mal vorbeikommen kann.
„ Die will doch nur wieder Geld!“
Sascha ist sich sicher. „Nein, das glaube ich nicht. Die braucht deine Hilfe!“
„Ja und? Das hätte sie sich können vorher überlegen!“
„ Sie will nächstes Jahr ihre Ausbildung fortsetzen, natürlich macht sie sich Gedanken, wie das gehen soll.“
„Die hätte sie sich vorher machen sollen. Wie stehen wir da, mit unserem Geschäft? Die Leute gucken uns schon nach, die zeigen mit dem Finger auf uns. „
„Ihr seid ja unmöglich! Mit euch ist einfach nicht zu reden.“
Er wirft seine Tasche ins Eck und verläßt das Haus. Er ist wütend, weil die Eltern nur ans Geschäft denken, daran, was „die Leute reden“. Wer ist das, die Leute? Und kommt keine Kundschaft mehr in die Bäckerei, seit bekannt ist, dass Miriam ein Kind hat?
Die Anna ist so lieb. Gestern hat er Miriam wieder beim Baden geholfen. Sie geht so geschickt mit ihr um, wie wenn sie das schon immer gemacht hätte und die Kleine kräht laut vor sich hin und strampelt wie verrückt mit den Beinchen. Später als sie schlief, hat Miriam erzählt, dass der Boris angerufen hat. Er hat gefragt, wie es ihr geht, und ob er heute vorbeikommen kann. Auch Sascha geht jetzt zu ihr. Er weiß, dass er hier willkommen ist.
Boris öffnet ihm die Tür. „Hallo Schwager! Schön, dass du kommst!“
Sascha sieht den anderen groß an. Soll er jetzt lachen oder weinen? „Wollt ihr heiraten? Mensch Boris! Was für eine Nachricht!“ Er nimmt Boris in den Arm und drückt ihn ganz fest.
„Menschenskind, herrlich! Eure Anna kriegt eine richtige Familie.“
Miriam, die ganz verweinte Augen hat, muss jetzt lachen. Zu Boris sagt sie. “Der Sascha war der erste, der zu mir gekommen ist. Auf den kann ich mich 100% verlassen.“
Sascha: „Dafür hast du herzlose Eltern. Wie ich die hasse!“
Boris mischt sich ein.“ Das war doch für uns alle sehr überraschend. Die wussten ja nicht mal, dass wir zusammen sind. Ich weiß auch nicht, ob sie mich überhaupt kennen.“
Sascha ist sehr aufgebracht. „Das ist egal. Du bist der Vater und Miriam ist jetzt Mutter, ist das nicht allein schon Grund genug, zu Euch zu stehen?“
„Warum, wieso, das bringt uns alles nicht weiter. So lange sie noch schläft, können wir wenigstens in Ruhe reden.“ Boris ist schon ein Stück in seine Vaterrolle hineingewachsen. “Ich musste auch erst mal mit der Situation fertig werden. Jetzt ist Anna da und wir sollten sehen, wie es weitergehen kann.“
„Ja, entschuldige, du hast Recht.“
Miriam kommt herein mit einem Tablett mit Gläsern und sie schenkt Obstsaft für sich und Boris ein. „Willst du auch was, Sascha?“
Der steht auf, „Ich hol mir Sprudel - in der Küche?“
„Ja, du weißt schon, in der Kiste neben der Spüle.“
„Also in 2 Monaten hab ich die Lehre abgeschlossen. Der Meister hat mir schon zugesichert, dass er mich behalten will. Und dass ich mir Urlaub nehmen kann, um alles zu regeln.“
„Ja gut und wann ist das?“
„Wenn ich will, nächste Woche schon“
„Weißt du, dass du einen klasse Chef hast?“
„Weißt du, dass der mir ganz schön die Hölle heiß gemacht hat? Der hat mich mächtig zur Schnecke gemacht, als er erfuhr, dass ich der Vater bin. Ein Mädchen schwängern und dann nicht zu ihr zu halten. So was gibt es bei mir nicht! Wenn du nicht zu der Miriam hältst, dann kannst du deinen Abschluss vergessen! Wenn du das nicht machst, woher weiß ich, ob du im Betrieb dazu stehst, wenn du mal einen Fehler gemacht hast?!?!? Nein, nein, mein Junge bei mir nicht! So hat er gesagt.“
Miriam: „Mmm ? Ich denke, du hast erst heute Morgen mit deinem Chef gesprochen, mich hast du aber gestern schon angerufen.
„Natürlich, ich hab den nicht gefragt, was ich machen soll. Ich wollte ihn nur um Urlaub bitten.“
Sascha: “Und deine Eltern? Was sagen die?“
„Begeistert sind sie nicht gerade. Aber ich konnte ganz gut mit ihnen reden und meine Entscheidung alleine treffen.“
Sascha: „Tolle Eltern hast du!“
Miriam:“ Also, wenn du nächste Woche Urlaub hast, wo sollen wir anfangen? Die ganze Wohnung muss renoviert werden.“
„Das Bad ist ja so weit ganz gut. Dann ist die Küche das Wichtigste. Mein Chef wird vorbeikommen um auszumessen und sich alles anzuschauen. Er wird uns sicher wichtige Tipps geben können.“
„Und deine Eltern? Glaubst du, dass die uns helfen können?“
„Papa ist Buchhalter. Der hat 2 linke Hände. Aber ich glaube schon, dass die da sind, wenn wir sie brauchen. Miriam, du sollst dich melden und mit der Anna vorbeikommen, wenn du magst.“
„Toll, da freue ich mich.“
„Wissen sie, wie unsere Eltern mmmmm dazustehen?“
„Keine Ahnung. Ich hab ja selbst nicht gewusst, wie ich mich verhalten soll. Wir haben Dich alle ganz schön allein gelassen, Miriam!“
„Und du ganz besonders!“ Miriam hat das geschrieen, sie ist aufgesprungen, sie zittert am ganzen Körper, Tränen stürzen aus ihren Augen. „Du bist die Schönste, du bist die Liebste. Und dann stehst du plötzlich ganz alleine da!“
Boris sitzt stocksteif in seinem Sessel. Hat er denn nicht….Nein er hat wohl noch nicht alles für seine Miriam getan. Er steht auf, geht zu ihr hin und nimmt sie ganz fest in den Arm.
Sie hält sich an ihm fest, legt den Kopf auf seine Schulter. Ihr Weinen wird leiser, dann sagt sie ganz leise vor sich hin „Ich war so alleine.“
Tag der Veröffentlichung: 29.12.2011
Alle Rechte vorbehalten