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„Nicht allen von uns ist es vergönnt, alt zu werden. Manche von uns verunfallen, andere werden krank. Das Leben ist wie ein Schmetterling in den Händen der Natur. Drückt sie zu fest zu, zerbrechen wir.“ Kat und Maurice sahen sich stirnrunzelnd an. Mit der alten Miss Madgley zu plaudern war ein grosses Hobby von ihnen, aber manchmal wurde sie ein wenig zu sentimental. Miss Madgley fuhr fort: „ Wir nehmen das Leben als selbstverständliches Geschenk der Natur an. Oder als ein Geschenk Gottes- wie ihr wollt." Miss Madgley glaubte nicht an die Bibel; sie glaubte nur an ihre okkulten Praktiken und an das Übernatürliche, wie zum Beispiel an Hexen und Dämonen. Dennoch respektierte sie sämtliche Religionen und verkniff sich jegliche spitze Bemerkungen. Sie fuhr fort: "Es ist seltsam, und manchmal fast schon beschämend, wie unbewusst und verschwenderisch die Menschen mit dem Leben umgehen. Die Menschen spüren den Tod zu wenig. Er ist ihnen nicht präsent- er ist zu weit weg. Sie vergessen ihn- blenden ihn aus. Dabei ist er hier. Jeden Tag… Entweder sind die Menschen mutig und zuversichtlich, oder einfach nur dumm. Ich tippe auf Zweites.“ Kat presste die Lippen aufeinander: „Wieso so verbittert, Miss Madgley?“ Miss Madgley sah ihr tief in die Augen: „Als ich gestern im Garten war, habe ich Noelle Yankee gesehen. Ich rief sie zu mir und habe ihr gesagt sie soll sich verdammt noch mal zusammenreissen wenn sie so spät in der Nacht noch nach Hause torkelt... Und sie solle das nächste Mal leiser sein.“ Maurice grinste. „Ich verstehe Sie. Aber so sind die Jungen nun mal wenn sie betrunken sind.“ Miss Madgley sah ihn betrübt an. „Das waren jedoch die letzten Worte, die ich zu ihr gesagt habe, bevor sie gestern Abend tot in ihrem Zimmer aufgefunden wurde. Epileptischer Anfall.“ Kat und Maurice sahen sie entgeistert an. Miss Madgley lächelte traurig. „Der Tod ist unberechenbar.“ Die zwei Freunde warfen sich einen kurzen, beklemmten, jedoch auch vielsagenden Blick zu. „Sie konnten das ja nicht wissen, Miss Mad…“, fing Kat an, wurde von Miss Madgley jedoch jäh unterbrochen. „Es geht hier nicht um meine Schuldgefühle, sondern darum euch zu zeigen, wie vergänglich unser Leben ist.“ Die zwei jungen, naiven, nichtswissenden, impulsiven, draufgängerischen, lebendigen und aufgeschlossenen Menschen sahen sich noch einmal an und nickten ihr respektvoll zu. Anschliessend erhoben sie sich und verliessen Miss Madgleys Veranda, auf der sie sich seit dem frühen Nachmittag aufhielten. Als sie der Hauptstrasse entlangliefen, schwiegen sie und sahen betreten zu Boden. Sie beide wussten nicht, wie sie auf Noelles Tod reagieren sollten. Maurice brach das unangenehme Schweigen. „Hör zu Kat: Reden wir jetzt nicht über den Tod, sondern über… das Leben“, schlug er vor. „Über die Liebe!“, rief Kat und sah in strahlend an. Maurice nickte und begann: „Du... bist wie Kokain für mich. Ich liebe dich und ich hasse dich. Das macht dich spannend…“ Kat runzelte die Stirn. „Du bist wie Alkohol für mich. Du bist berauschend, lässt mich Dinge tun, die mir meine Vernunft verweigert und du lässt mich euphorisch werden. Aber du bist auch der Grund für meine Abstürze.“ Sie grinste und fasste ihn bei der Hand. „Danke für deine Ehrlichkeit“, flüsterte sie ihm dann ins Ohr und küsste ihn auf die Wange. Er lächelte und fasste sie sanft am Kinn. „Danke für dein Vertrauen“, erwiderte er und küsste sie auf ihren warmen, hoffnungsvollen Mund. In diesem Moment begriffen sie, was das Leben so lebenswert machte. Lieben- und geliebt zu werden.

 

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 17.10.2013

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für Cathal- Du hast mich zum Nachdenken gebracht. Danke.

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