Cover

Prolog


Ich war so unsterblich in Logan verliebt, dass ich nicht bemerkte, welch grosses Verderben und welch grausamen Fluch er mit sich brachte.

Unerwarteter Besuch


Ich war ein ganz normales Mädchen mit ganz normalen Hobbies. Ich hatte ein ganz normales Leben und hatte ganz normale Bedürfnisse. Ich ging an eine normale Schule und hatte normale Freunde. Ich war nicht in irgendeinen Vampir verliebt und ging nicht an eine Zauberschule namens Hogwards. Ich hatte keinen Mr. Big und hatte auch keine aussergewöhnlichen Talente.
Mein Name ist Mary Hausser. Ich war 17 Jahre alt und befand mich gerade in meiner Ausbildung als Friseuse, als mir Logan Wilde zum ersten Mal begegnete…

„Hey Mary, kommst du nachher auch noch ins Schwimmbad?“, fragte Sally, meine beste Freundin. „Naa, danke, Sal. Aber ich muss noch für den Test morgen lernen“, log ich und machte ein unschuldiges Gesicht. Sally lachte. „Streber“, rief sie belustigt und winkte mir zu, bevor sie verschwand. Ich war nicht gerade aufgelegt, um mit ihr ins überfüllte, laute Schwimmbad zu gehen. Vor allem nicht wenn Mike und Aaron dort waren. Mike war ein total schmieriger Typ, den Sally schon seit Jahren anschmachtete. Aaron war bloss sein Mitläufer und machte jedes Mädchen im Radius von 2m an. Ich hatte später sowieso noch Gitarrenunterricht, den ich nicht versäumen durfte. Als ich nach Hause trottete, überkam mich die Sehnsucht nach der Kirche. Meine Mutter war Katechetin, daher war ich ein sehr gläubiger Mensch. Ich machte einen Abstecher Richtung Kirche und beeilte mich, denn ich hatte noch so viele Dinge zu erledigen. Als ich die Kirche betrat, atmete ich tief ein, zeichnete mir das Kreuz auf die Stirn und kniete mich in der hintersten Reihe nieder. Ich war so in diesen andächtigen Moment versunken, dass ich nicht bemerkte, wie sich ein Jugendlicher meines Alters aus einer der vorderen Reihen erhob und nach draussen schritt. Ich erschrak, als er an mir vorbei lief, denn seine Augen glühten seltsam. Er lächelte freundlich und lief weiter. Ich hatte diesen Typ noch nie zuvor gesehen! Wie war das möglich, in einem so kleinen Dorf? Und dazu in der Kirche! Ich versuchte mich nicht an seine veilchenblauen Augen zu erinnern und mich stattdessen auf die Harmonie der Stille zu konzentrieren.

Ein kleines Durcheinander


Ich wusste nicht wieso, aber irgendwie traf ich die Töne nicht. „Mary, konzentrier dich bitte!“, zeterte Frau Ferres und sah mich streng an. „Ich versuch es ja“, jammerte ich und starrte auf mein Notenheft. Doch irgendwie wollte es mir heute nicht gelingen, ein Lied auf meiner Gitarre zu spielen. „Es geht nicht…“, stellte ich seufzend fest und sah meine Gitarrenlehrerin entschuldigend an. Ich durfte anschliessend frühzeitig nach Hause gehen. Jetzt war ich wütend. Ich wusste einfach nicht was mit mir los war. Ständig sah ich Augen. Schöne Augen. Schöne, veilchenblaue Augen. Da ich in Gedanken versunken war, merkte ich erst spät, dass ich in die total falsche Richtung lief. Genervt sah ich mich um und als ich mich umdrehte, stand eine hochgewachsene Gestalt vor mir. Erschrocken wich ich zurück. „Oh entschuldige. Ich wollte dich nicht erschrecken“, sagte die Gestalt. Als sich meine Augen auf das Gesicht hefteten, erkannte ich die veilchenblauen Augen von der Kirche. „Eh… kein Problem“, murmelte ich und wollte weiterlaufen. Doch er hielt mich auf. „Ich… ich wollte dich fragen, ob du mir zeigen kannst, wo der Blumenweg ist… ich bin neu hier und deshalb kenn ich mich noch nicht so aus“, erklärte er. Ich nickte. „Ah ja, das ist bei mir in der Nähe… Komm“, erwiderte ich und deutete ihm mir zu folgen. Ich lief stillschweigend weiter und hatte das Gefühl, als würde er mich mit seinem intensiven Blick beäugen. „Ich bin Logan… Logan Wilde“, sagte er schliesslich. Ich sah ihn lächelnd an. „Okay.“ Verwirrt blickte er mich an. „Und… wer bist du?“, fragte er. Ich lächelte abermals. „Ich? Ich bin ein ziemlich erschöpftes und verwirrtes Mädchen, dessen Konzentrationsfähigkeit im Gitarrenunterricht kärglich versagt hat“, antwortete ich und hoffte damit, ihn mit meinen seltsamen und unbefriedigenden Antworten von mir abgeschreckt zu haben. Er sah zwar ziemlich verwirrt aus, aber auch sehr neugierig und amüsiert. „Du spielst Gitarre?“, fragte er höchst interessiert. Ich nickte und starrte weiter auf den Boden. „Wie schön… ich spiele Klavier“, erzählte er freudig. Was wollte dieser unglaublich gutaussehende Typ eigentlich? Wieso sprach er überhaupt mit mir? „Spielst du sonst noch was?“, wollte er wissen und seine Augen leuchteten neugierig. „Ich ääh, ich spiele Tennis“, erzählte ich. Um nicht allzu unfreundlich zu wirken stellte ich ihm die gleiche Frage. „Ich spiele Schach“, erzählte er und schielte zu mir hinüber. Ich sah ihn überrascht an und nickte anerkennend. Schliesslich blieb ich an der Kreuzung stehen. „So, da wären wir. Dort ist der Blumenweg“, meinte ich und zeigte ihm die Richtung an. „Danke nochmals.“ „Kein Problem.“ Dann ging jeder seine Wege.

Der Neuling


„Na, mal wieder Zeit für deine beste Freundin?“, fragte Sally neckisch, als wir am Nachmittag von der Berufsschule nach Hause kamen. „So wie du aussiehst, könntest du eine Ablenkung gut gebrauchen“, meinte sie und sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. Ich lächelte bekümmert. „Ja, du hast wohl recht“, antwortete ich und lief mit ihr Richtung Schwimmbad.
Natürlich war der schmierige Mike auch da und sein Anhängsel Aaron. Sally flirtete wie verrückt mit Mike und versuchte ihm ständig zu gefallen. Ich war von diesem Getue ziemlich genervt und setzte mich in einiger Entfernung auf mein Badetuch. Ich hatte mich nicht wie Sally in einen sexy Bikini geworfen, sondern sass da und versuchte meine Hausaufgaben zu lösen. Auf einmal spürte ich eine Hand auf meiner Schulter. Ich drehte mich um. „Hi“, begrüsste mich Aaron und lächelte schmierig. „Eh… hi“, begrüsste ich ihn ein wenig perplex und versuchte seine Hand von meiner Schulter zu bringen. Sein Griff wurde stärker. Er setzte sich neben mich hin. „Na, wie geht’s so?“, fragte er; aus seinem Mund kroch ein beissender Geruch nach Alkohol. „Gut“, antwortete ich und rutschte ein bisschen von ihm weg. „Hey, was is los? Haste Angst von mir oda was?“, lallte er und legte eine Hand auf meinen Oberschenkel. „Ich will bloss reden…“ „Finger weg“, zischte ich und versuchte ihn wegzustossen, was gar nicht so einfach war. Verzweifelt rang ich um Luft. „Geh weg“, presste ich hervor und stiess ihn mit aller Kraft von mir. Plötzlich wurde Aaron gepackt und zur Seite geworfen. „Sie will dass du gehst“, sagte Logan, der angespannt vor mich stand. Ich sah erschrocken zu ihm hinauf. Seine Augen waren dunkel und zornerfüllt auf Aaron gerichtet. Er kniete zu mir nieder. Nun sah er besorgt aus. „Geht’s dir gut?“, fragte er und blickte mich mit seinen topasblauen Augen sorgevoll an. „Alles okay… danke Logan“, antwortete ich verdattert und realisierte erst jetzt, dass Sally neben mir sass. „Tut mir Leid Mary, ich hab gar nix mitbekommen“, rief sie erschüttert und sah mich reuevoll an. Ich erschrak, als ich sah wie sich Aaron hinter Logan erhob und auf ihn einschlagen wollte. Ich schrie. Aaron schlug zu, doch jaulte jämmerlich auf. Logan sah verdutzt hinter sich. „Hat er mich etwa geschlagen?“, rief er belustigt und starrte auf den zusammengekauerten Aaron. „Ja… und du hast nichts gemerkt? Das war ein ziemlich heftiger Schlag“, meinte Sally und sah in verwundert an. „Ich… bin abgehärtet“, witzelte er und half mir beim Aufstehen. „Ich glaub ich hau ab“, sagte ich zu Sally. „Ich komm mit“, meinte Logan und nahm seine Tasche. Als wir dem Weg entlang liefen, schielte ich unauffällig zu Logan hinüber. Ich mochte sein Gesicht. Es war schön; er hatte blasse Haut, rabenschwarze Haare und diese wunderschönen Augen. Er ertappte mich dabei, wie ich ihn anglotzte und grinste vergnügt. „Seh ich so schrecklich aus, oder was?“ Ich wurde rot. „Nein, natürlich nicht“, murmelte ich beschämt. Vor meiner Haustüre blieben wir stehen. „Danke… für alles“, sagte ich und sah Logan dankbar an. Er lächelte verlegen. „Kein Problem. Ich dachte… du könntest dich bedanken… indem du mit mir ans Seenachtsfest kommst?“ Ich sah ihn verblüfft an. „Du willst mit mir ans Seenachtsfest?“, fragte ich. Er sah mich lachend an. „Ja, mit dir, Mary“, antwortete er. „Gerne“, meinte ich und sah verlegen zu Boden. „Freut mich. Ich hole dich also morgen Abend ab, ist das okay?“ „Mehr als okay“, antwortete ich. Fast glaubte ich zu erkennen, das seine Augen erregt aufflackerten. Ich grinste verschmitzt und verabschiedete mich.

Grosse Gefühle


Ich wusste auch nicht wieso, aber irgendwie war ich nervös. Na klar, ich war schon mit Jungs ausgegangen, aber irgendwie war es diesmal anders. Immer wieder zupfte ich an meiner Bluse herum und strich mir meine Jeans glatt. Ich warf ständig einen Blick in den Spiegel und schmierte Tonnen von Lipgloss auf meine Lippen. „Bin ich bescheuert oder was?“, fragte ich mich schliesslisch und runzelte die Stirn. Als es klingelte, zog ich aufgeregt meine Ballerinas an. „Hi Logan“, begrüsste ich ihn, als ich die Türe öffnete. „Oh mein Gott“, dachte ich und hörte wie mein Herz schneller schlug. Er hatte ein weisses Hemd an, das leicht geöffnet war, seine Haare waren herrlich verstrubbelt und seine Augen leuchteten wie immer wunderschön veilchenblau. „Hi Mary“, begrüsste er mich. Es war ein wunderschöner, warmer Abend. Zu meiner Verblüffung verstand ich mich auf Anhieb prima mit Logan. Immer wieder überraschte er mich mit seinen Denkweisen und Ansichten. „Wo wolltest du schon immer hin?“, fragte ich ihn. Er musste nicht lange überlegen. „Nach Australien. Irgendwo in die Victoriawüste.“ „Wieso gerade dort?“, fragte ich ihn interessiert. Er lächelte geheimnisvoll. „Na ja… alles ist so schön ruhig dort. Keine Probleme, keine Sorgen. Einfach nur du und die Wüste“, erklärte er und starrte zum Himmel. „Ich würde dich gerne begleiten“, meinte ich und nahm spielerisch seine Hand. Er sah mich amüsiert an. „Ach ja? Wieso denn? Nur wegen mir?“ Ich lächelte ihn kokett an. „Logan, wirst du etwa hochmütig? Natürlich will ich wegen dem Sternenhimmel hin!“, rief ich lachend. Ein warmer Wind fegte an uns vorbei und ich tänzelte auf dem warmen Asphalt. Logan rannte mir nach. „Du bist ja eiskalt!“, rief er grinsend und nahm mich bei den Händen. Nun standen wir uns gegenüber und Logan zog mich nah zu sich heran. Unsere Nasenspitzen berührten sich fast. „Aber ich könnte mir vorstellen, dass ich den Sternenhimmel sehr gerne mit dir an meiner Seite beobachten würde“, flüsterte ich ihm zu. Logans Augen leuchteten so blau wie noch nie. Erschrocken wich ich zurück, fasste mich jedoch schnell wieder und tänzelte weiter. Logan lachte entzückt und rannte mir nach. Als wir ankamen, fing das Feuerwerk bereits an. „Komm, schnell!“, rief ich ihm zu und deutete auf einen abgelegenen Felsen. Wir setzten uns hin und beobachteten das Feuerwerk. Es war wie immer atemberaubend schön. „Es ist so atemberaubend schön, nicht war Logan?“, sinnierte ich und warf ihm einen fragenden Blick zu. Er starrte mich an. „Ja, atemberaubend schön“, stimmte er zu und richtete seinen Blick immer noch auf mich. Ich neigte meinen Kopf zur Seite. „Ist was?“ Logan sah ziemlich konzentriert aus. Er hatte einen Gesichtsausdruck, als würde er gerade verschiedene Möglichkeiten abwägen. Schliesslich hatte er seinen Entschluss gefasst. Er rückte ganz nah zu mir und lege seine Hand auf Meine. Ich lächelte, als ich das sah und beobachtete dann weiter das Feuerwerk. Mein Herz klopfte wie wild und drohte zu zerbersten. Ich spürte Logans intensiven Blick auf mir ruhen. Neugierig sah ich ihm ins Gesicht und erschrak. Sein Blick… Er war so voller Wärme, Hingabe und Zuneigung. Nun war es mit meinem Herz endgültig vorbei. Ich wusste nicht, was in mich gefahren war, aber plötzlich bückte ich mich nach vorne. Anscheinend war Logan ebenso überrascht, doch ich konnte die ungeheure Freude in seinen Augen aufblitzen sehen. Mein ganzer Körper schien in Flammen zu stehen, als sich unsere Lippen berührten. Mein Herz schien einen Moment lang auszusetzten und ich hatte das Gefühl unter Strom zu stehen. Als ich ihm wieder in die Augen blickte, sah ich seine hingebungsvolle Leidenschaft darin. Und wahrscheinlich sah er dasselbe in den Meinen. „Ich hatte noch nie so gefühlt“, flüsterte ich ihm zu und legte meine Hand auf seine Wange. „Ich glaube ich bin in dich verliebt, Mary“, flüsterte er zurück und strich mir übers Haar. Das Feuerwerk war zwar zu Ende, doch für uns war es der Beginn von etwas Wunderbarem…

Ein kleines Geschenk


Da Sally auch als Tratschmaul berühmt war, wusste bald jeder meiner Freunde, dass ich einen Freund hatte. Sogar meiner Mutter war eine Veränderung aufgefallen. „Nimmst du Drogen, Mary?“, fragte sie mich eines Morgens erst. Ich sah sie verdattert an. „Du bist so… gut drauf“, erklärte sie und sah mich weiterhin scharf an. Ich fing lauthals an zu lachen. „Mama… ich habe einen Freund“, klärte ich sie auf und sah wie sich ihre Augen weiteten. Erfreut klatschte sie in die Hände und fragte mich eine halbe Ewigkeit nach ihm aus.

Als Logan mich eines Abends vom Bahnhof abholte, nahmen wir einen Umweg und liefen durch den kleinen Park am Dorfrand. Er setzte sich plötzlich auf eine Bank. Ich tat es ihm nach. Er nahm eine kleine Schachtel hervor und reichte sie mir. Verwundert sah ich das sorgfältig eingepackte Geschenk an. Ich zog scharf die Luft ein. „Logan“, rief ich mahnend und warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu. Er zuckte mit den Schultern und grinste vergnügt. „Ich hoffe es gefällt dir.“ Ich öffnete vorsichtig die kleine Schachtel und zum Vorschein kam ein wunderschöner Ring. In der Mitte sass eine Perle die so hell leuchtete, dass es fast schon blendete. Neben der Perle befanden sich zwei kleine, runde Kristalle. Ich hielt die Luft an. „Oh mein Gott, Logan! Der ist umwerfend! Ich habe noch nie so einen schönen Ring gesehen“, rief ich und starrte wie gebannt diesen seltsamen Ring an. Logan nahm in vorsichtig aus der Schachtel und steckte ihn mir an den Finger. „Ich schenke dir mein Leben, meine Liebste“, flüsterte er mir zu. Ich schluckte schwer. „Logan, ich kann dir gar nichts geben… Ich hab noch gar nicht so viel Geld“, versuchte ich zu erklären und sah zu Boden. Er hob sanft mein Kinn an. „Du schenkst mir schon genug“, meinte er und sah mich warmherzig an. Ich lächelte verlegen und gab ihm einen Kuss. „Danke Logan“, flüsterte ich und strich langsam über meinen neuen, wunderschönen Ring.

Seltsame Ereignisse


Seit ich Logans Ring besass, hatte ich das Gefühl, als würden seltsame Dinge vor sich gehen. Überall wo ich hinging war immer ein starker Wind, Wolken verdichteten den zuvor noch stahlblauen Himmel und der Tag verdüsterte sich. Plötzlich sah ich ständig dieselben Gesichter. Einen alten Mann mit einem weissen Bart und moosgrünen, stechenden Augen. Eine Frau mittleren Alters, mit langen, blonden Haaren und einem traurigem Gesicht. Auch einen Jugendlichen, hochgewachsen, kurz geschorenes Haar, mit markanten Gesichtszügen und einem Gesichtsausdruck, so verhasst und durchbohrend, dass ich jedes Mal erschauerte, wenn ich ihn erblickte. Immer wieder sah ich sie. An den verschiedensten Orten. Einmal sah ich den Jugendlichen sogar vor meiner Schule stehen. Er beobachtete mich. Sie alle beobachteten mich… und das schlechte Wetter verfolgte mich wie ein penetranter Geruch. Zu Beginn wollte ich es nicht wahrhaben und als ich es schliesslich einsah, war es mir egal. Sie waren da, aber was kümmerte mich das? Nur wenn ich mit Logan zusammen war, blieb das Wetter gleich und die fremden Gesichter blieben fern. Doch mit meiner Gelassenheit war es vorbei, als eines Tages der alte Mann auf mich zukam. Ich war am See, löste meine Hausaufgaben und war in Gedanken versunken. Obwohl es Sommer war, blies der Wind und die Wolken bildeten eine unheilvolle Decke über mir. Er setzte sich plötzlich neben mich. Ich schreckte auf. „Oh… guten Tag“, begrüsste ich ihn freundlich. Er sah mich bloss mit zusammengekniffenen Augen an. Dann packte er mich plötzlich am Arm. Erschrocken schrie ich auf. „Lassen Sie mich los!“, rief ich panisch und versuchte mich aus seinem eisernen Griff zu befreien. Dann nahm er meine Hand. Nun wusste ich was er wollte: Meinen Ring! Voller Wut stiess ich den Alten von mir und stand ruckartig auf. „Was fällt Ihnen ein, mich anzugreifen? Ich rufe die Polizei!“, schrie ich aufgebracht und packte meine Sachen. Der Mann sah mich wütend an. „Gib mir den Ring, Mädchen“, stiess er ärgerlich hervor. Ich beachtete ihn nicht weiter und lief davon. Zuhause liess ich mich auf mein Bett fallen und betrachtete meinen Ring. Nein, den würde ich nie hergeben. Ich fand es keineswegs unverständlich, dass er mich angriff. Der Ring sah sehr wertvoll aus. Ich hatte Logan noch nie gefragt, wo er ihn her hatte. Doch ich nahm mir vor, ihn bei Gelegenheit danach zu fragen.

Ein Geheimnis


Ich liebte seinen Geruch. Alles was ein bisschen nach Logan roch musste ich beschnuppern. Es war nicht einfach nur ein Parfum… es war eine Mischung aus Allem. Seiner Wäsche, seinem Parfum, seinem Shampoo, seinem Zuhause und seinem Körper. Logan hatte mich schon zu sich nach Hause gebracht, aber seine Eltern waren nie Zuhause gewesen. Ich fand es seltsam, doch es schien, als hätte Logan eine harte Vergangenheit hinter sich, deshalb fragte ich ihn nicht danach. Immer wenn ich bei ihm war, spielte er mir etwas auf seinem Klavier vor. Es war schön ihm zuzuhören und ihn zu beobachten. Als ich ihn nach weiteren Hobbies ausser Schach und Klavier ausfragte, lächelte er bloss. „Eine Zeit lang war ich verrückt nach Videogames, Zigaretten und Alkohol… doch das ist vorbei.“ Wir lagen auf seinem Bett und ich schmiegte mich an ihn. „Ich hätte dich auch mit Videogames, Zigaretten und Alkohol so fest geliebt wie jetzt“, murmelte ich uns seufzte. Ich schloss die Augen und genoss seine Wärme- plötzlich schrak ich auf. „Logan?“ „Ja?“, fragte er mit geschlossenen Augen und strich mir ruhig über den Rücken. „Von wo ist dein Ring eigentlich?“ Auf diese Frage war er anscheinend nicht gefasst gewesen. Ruckartig setzte er sich auf. „Wieso?“, fragte er beunruhigt. Ich zuckte mit den Schultern „Ich bin eben neugierig.“ „Es ist… ein Erbstück“, antwortete er langsam. Ich nickte und schmiegte mich wieder an ihn. Sein Körper fühlte sich leicht verkrampft an, doch bald löste sich die Angespanntheit wieder. Ich wollte nicht nach haken, dafür war ich im Moment zu verträumt.


Ein weiterer Vorfall


Es war ein schöner Tag. Obwohl sich das Wetter wie immer verschlechterte, wenn ich in der Nähe war, fühlte ich mich toll. Natürlich lag es an Logan. Ich musste am Abend noch einige Einkäufe machen und lief alleine zum Supermarkt. Verträumt summte ich eine Melodie von Logans Klavierstücken vor mich hin und hatte bald das Gefühl, verfolgt zu werden. Unsicher drehte ich mich um. Das Einzige was ich sah, war der schlecht beleuchtete Weg und einige karge Bäume. Ich hörte das Flüstern des Windes und steckte meine Hände noch tiefer in meine Taschen. Dann drehte ich mich wieder um und lief weiter. Ich hatte den Laden schon fast erreicht, als ich ein leises Atmen direkt hinter mir wahrnehmen konnte. Erschrocken fuhr ich herum. Mein Herz klopfte wie wild und meine Augen wanderten überall umher. Nichts! Es war niemand hier! Seufzend drehte ich mich um und schrie. Vor mir stand der Jugendliche mit dem bohrenden Blick. Er stiess mich gegen eine Wand. „Gib mir den Ring“, zischte er und sah mich durchdringend an. Ich zitterte. „Du… du kannst mein Portemonnaie haben… meine Uhr… nimm alles“, sagte ich leise und starrte ihn verängstigt an. „Ich will aber den Ring“, knurrte er und seine Augen blitzen wütend auf. Grob packte er meine Hand. Nun wich die ganze Angst von mir. „Nein! Den Ring gebe ich dir nicht“, fauchte ich und fing an um Hilfe zu schreien. „Du hast ja keine Ahnung was du da tust“, sagte der Jugendliche mit ruhiger Stimme und sah mich hasserfüllt an. Ein Angestellter des Supermarktes lief auf mich zu. „Hey! Alles in Ordnung?“, rief er und blickte mich fragend an. Als ich wieder zum Jungen sah, war er verschwunden. „Ja, ja, alles okay“, antwortete ich, doch innerlich brodelte es gewaltig.

Die Wahrheit


Gedankenversunken sass ich in der Kirche. Ich hatte mein Hände gefaltet. Mein Blick war in die Ferne gerichtet. „Was geht hier vor, Gott? Ist Logan doch nicht der gute Mensch, für den ich ihn halte?“ Ich starrte auf das Jesu Kreuz vor mir. Plötzlich spürte ich eine Hand auf meiner Schulter. „NEIIN!“, schrie ich und fuchtelte wie wild mit den Armen um mich. Erschrocken wich Logan zurück. „Hey, ganz ruhig! Ich bins nur“, sagt er sanft und legte beide Hände auf meine Schultern. Ich sah ihn wütend an. „Wieso bist du so aufgebracht?“, fragte er, in seinen topasblauen Augen spiegelte sich die Sorge wieder. „Das kann ich dir sagen. Seit geraumer Zeit verfolgen mich steht’s die gleichen Leute. Sie lauern mir auf, beobachten mich und wollen nur das Eine: Meinen Ring“, rief ich aufgebracht und wartete auf seine Reaktion. Logans Kiefermuskeln spannten sich an und seine Augen verdunkelten sich. „Oh…“, sagte er und setzte sich neben mich. Er fing an zu erzählen: „Weisst du noch, an dem Abend, als ich dir den Ring geschenkt habe, sagte ich dir etwas. Ich schenke dir mein Leben, habe ich gesagt. Und das habe ich wörtlich gemeint… Der Ring, die Perle… sie erhält mich am Leben… verstehst du? Sie ist so überirdisch schön, nicht wahr? Wenn die Perle zerstört wird, sterbe ich.“ Meine Kinnlade war so weit wie möglich herunter geklappt. Ich versuchte zu begreifen. Der Ring erhielt ihn am Leben? Ich zweifelte an keinem einzigen Wort, das aus seinem überzeugenden Mund kam, denn ich wusste, dass mich Logan nie anlügen würde. Aber das Alles erzählte er mir erst jetzt? Dann kamen mir meine Verfolger in den Sinn. „Wieso… wieso wollen sie den Ring, Logan? Wollen sie dich etwa töten?“, fragte ich ängstlich. Er sah mich gequält an. „Ja… ja das wollen sie.“ „Logan! Du bist doch so freundlich, so grossherzig! Wie können sie dich nur töten wollen? Das ist ja grausam!“, rief ich und sah ihn besorgt an. Ich drückte ihn ganz fest an mich und legte mein Gesicht an seinen Nacken. „Das ist eine lange, lange Geschichte“, flüsterte er mir durchs Haar und in seiner Stimme schwang der Schmerz der Vergangenheit mit. „Für dich habe ich alle Zeit der Welt, mein Lieber“, flüsterte ich zurück. Vorsichtig nahm er meine Hand und steckte sie unter sein Shirt. Langsam verfolgte ich mit meinen Fingerspitzen seinen Bauch. Und schrie auf.

Logan‘s Geschichte


Kleine kristallerne Tränen bildeten sich in meinen Augen, als Logan mich ansah. Wie viele Emotionen ein Blick widerspiegeln konnte! Ich sah in seine Augen und erblickte seine Seele. Sie war so voller Kummer, Selbsthass, Angst und Schuld geprägt. Unter seinem Shirt ertastete ich seine wulstigen, tiefen Narben; es waren drei. Und Logan’s Geschichte begann…

„Es war vor drei Jahren… vor drei Jahren; ich war gerade mal fünfzehn, geschah der Fluch. Ich war anders als heute. Ich besuchte die Schule höchstens einmal pro Woche, ich kiffte und trank täglich. Meine Eltern hassten mich, denn ich war faul, unfreundlich und egoistisch. Mein Aussehen hatte mich bei den Mädchen sehr beliebt gemacht. Ich hatte viele Verhältnisse und dachte das sei okay. Ich liebte mein Leben! Doch dann starb mein Vater, und alles wurde anders… Es war ein Autounfall. Mein Vater und ich waren auf dem Weg zum Schulleiter. Es war Abend und die Strassen waren schlecht beleuchtet. Wir stritten uns, wie immer. Ich hörte nicht auf ihn und er versuchte ständig auf mich einzureden. –Mach dein Leben nicht kaputt, Logan, es ist so verdammt wertvoll!- Ich sah ihn bloss spöttisch an…“ Ein hefiger Schüttelanfall überkam Logan. Ich strich ihm sanft über den Kopf. Dann erzählte er weiter. „Vor uns war ein Velofahrer in meinem Alter. Er hatte kein Licht… Mein Vater sah ihn zu spät und riss das Steuer um und wir fuhren in einen Baum hinein. Ich kann mich an diesen Teil nur schlecht erinnern. Doch das eine Bild, das sehe ich heute noch gestochen scharf: Besorgt ringe ich mich zu meinem Vater nach vorne. –Dad? Oh mein Gott, Dad! Alles okay? Ich rufe einen Krankenwagen! -, schrie ich verzweifelt. Doch dann legte mir mein Vater seine blutige Hand auf die Schulter und flüsterte: -Pass auf deine Mutter auf, ja Logan? Ich liebe dich…- Dann war er tot. Einfach tot. Und ich heulte wie verrückt...“ Logans Augen waren glasig. Ich sah ihn an und fing an zu weinen. Eine Träne um die Andere kullerte meine Wange hinab. Doch seine Geschichte ging noch weiter. „Ich wollte seine Bitte um alles in der Welt erfüllen. Da begann ich als erstes mit dem Kiffen und dem Alk aufzuhören, was gar nicht so einfach war. Als ich mit dem Schach anfing, um mich abzulenken, ging alles viel leichter, da man sich bei diesem Sport ziemlich anstrengen muss. Einen Monat nach dem Tod meines Vaters beschloss ich, wieder zur Schule zu gehen… Es war der 23. Juli 2007, als der Brand an meiner Schule ausbrach. Ich war gerade auf dem Hinweg, als ich die riesigen Rauchwolken aus den Klassenzimmern steigen sah. So schnell wie ich konnte rannte ich zu meiner Schule um zu helfen den Brand zu löschen. Da kam er mir entgegen… mit russverschmiertem Gesicht, einem Kanister in der Hand und einem teuflischen Blick. Es war Eddy, Eddy Grant, ein alter Kumpel von mir. Ich war sprachlos. Er hatte dieses verdammte Feuer gelegt? Wie eine Furie ging ich auf dieses Arschloch zu und wollte ihn packen… da sah ich seinen verzweifelten Blick und die zugespitzte Brechstange in seiner Hand. Drei Mal Stach er zu und rannte davon. Ich lag halb tot auf dem Asphaltboden, hörte Jugendliche in dem Schulinferno um Hilfe kreischen und dann… ein Mädchen über mir. Mit rabenschwarzen Haaren und Augen… so dunkel wie die Nacht. Es war Anne. Die Freundin von Eddy. Es ging herum, dass sie verrückt sei…“ Logan nahm meine Hand und starrte den wunderschönen Ring an. „Die Leute irrten sich. Sie war nicht verrückt. Anne kniete sich zu mir nieder, strich mir über die Wange und stellte mir folgende Frage: -Willst du leben?- Ich nickte. Natürlich! Natürlich wollte ich leben! Und ein weiterer Anstoss für mich, um am Leben zu bleiben, war meine Mutter. Mich durchfuhr es eiskalt, wenn ich daran dachte, sie alleine lassen zu müssen. –Dann musst du bereit sein, die ganze Schuld und die Schmerzen auf dich zu nehmen-, sagte sie. Ich wusste zwar nicht, von welcher Schuld sie sprach, aber ich wusste eins: Ich wollte leben! Also stimmte ich ihren Bedingungen zu. –Achte gut darauf. Sie erhält dich am Leben- Sie legte mir eine Perle auf die Brust, die dann so hell erleuchtete, dass ich aufschrie. Ich wachte in einem Krankenbett auf. Meine Mutter stand neben mir und sah mich weinend an.
–Logan… wie konntest du nur?- rief sie und sah mich schmerzlich an. –Wie konntest du nur dieses Feuer legen? Oh Logan! Drei deiner Freunde sind dabei umgekommen! Hörst du mich?- Sie sah mich hasserfüllt an und ging davon. In diesem Moment überkam mich die Welle und zerschlug mir den Atem. Die Welle der Schuldgefühle, der Angst, des Selbsthasses, der Furcht und der abgrundtiefer Trauer. Da begriff ich, was Anne gemeint hatte: Ich musste die Schuld für den Brand auf mich nehmen, wenn ich leben wollte. Ich musste die ganzen Gefühle, die Eddy getroffen hätten, auf mich laden. Es war so hart, Mary…“ Logans Wimpern waren tränennass und ich wischte ihm mit meinem Ärmel über sein Gesicht. Ich durfte ihm nicht in seine unglaublichen Augen sehen, sonst hätte ich auch anfangen müssen zu weinen. Stattdessen hörte ich ihm weiter zu… „Da sah ich sie, Mary. Sie standen draussen und sahen in mein Zimmer hinein. Es war Edward Fox, der Grossvater von Lilly Fox, eine meiner Mitschülerinnen, die bei dem Brand umgekommen ist. Es war Luke Graham da, der ältere Bruder von Matthew Graham; Klassenbester meiner ehemaligen Klasse, der ebenfalls gestorben ist. Und da war noch Mrs. Porter; ein Blick in den Augen, der mir die Seele zerriss. Ihr Oliver, 11 Jahre, ist bei dem Feuer gestorben. Alles war meine Schuld und sie alle wollten meinen Tod… und sie alle wussten, wie sie mich töten konnten. Der Ring war meine Wunde Stelle, ansonsten war ich unverletzlich.“ Logans Geschichte endete mit einem schweren, klagenden Seufzer. Ich starrte meine grosse Liebe an und legte eine Hand auf ihre Schulter. Ich bückte mich herüber und gab Logan einen Kuss. Dann wich ich nur wenig zurück und blickte ihm streng in die Augen: „Es ist nicht deine Schuld, Logan“, flüsterte ich ihm beruhigend zu, legte meinen Kopf in seinen Nacken und überliess ihn seinen Tränen.

Unerwartete Wendung


Eine unglaubliche Hitzewelle durchfuhr meinen Körper. Niemand sollte es wagen, meinen Logan jemals Schmerzen zuzufügen. Dieser Gedanke brannte sich so fest in meinen Kopf ein, dass ich einen Moment lang nicht mehr klar denken konnte. „Wir müssen eine Lösung finden“, stellte ich fest und nahm Logan an der Hand. Wir liefen nach draussen. Die Nacht war frisch, der Himmel sternenklar. „Es gibt keine Lösung Mary. Es war meine Entscheidung… und seit du hier bist möchte ich auf keinen Fall sterben. Ich will da sein. Bei dir“, erklärte er und sah mich wehmütig an. Ich widersprach heftig. „Nein! Nein Logan! Es muss eine Lösung geben.“ Da blieb ich wie angewurzelt stehen. Ich hatte die Lösung. „Wo wohnt Anne?“, fragte ich und straffte die Schultern. Logan sah mich ungläubig an. „Sie… sie wohnt weit weg von hier.“ Ich wusste, dass ich morgen Schule hatte. Ich wusste, dass sich meine Eltern Sorgen machen würden. Aber ich musste zu ihr gehen. „Komm schon“, drängte ich und zerrte Logan zum Bahnhof. „Geh allein, Mary. Ich kann das nicht. Und wenn ich dabei bin, wird sie erst recht nicht zuhören“, flüsterte er mir zu und zitterte leicht. Ich verstand. Liebevoll umarmte ich ihn. Er kritzelte die Adresse auf einen Zettel und gab ihn mir. „Keine Chance dir das auszureden, oder?“, fragte Logan. Ich lächelte und schüttelte den Kopf. Dann stieg ich in den Zug.
Es war früh am Morgen, als ich das kleine Dorf in Zürich erreichte. Es war nicht schwer, Annes Zuhause zu finden. Es lag ein bisschen abseits des Dorfes. Das Haus war klein, verlottert und alt. Ich klingelte und wartete angespannt. Als die Tür aufging, erblickte ich eine junge Frau, hochgewachsen, mager, mit blasser Haut und rabenschwarzen, kurzen Haaren. Ihr Blick war durchdringend. „Ja?“ „Ich brauche Ihre Hilfe… Anne“, sagte ich ruhig. Anne sah mich verwundert an und hielt die Türe auf. „Komm herein.“ Das Haus war gemütlicher als erwartet. Klein aber gemütlich. Anscheinend lebte sie allein. Wir setzten uns in ihre Stube. „Na dann erzähl mal. Was willst du? Wieso kennst du mich?“ Ich hatte zu wenig Beherrschung, um ruhig zu bleiben. „Wie konntest du ihm das nur antun, Anne? Wieso? Lass ihn in Ruhe!“ Verständnislos blickte sie mich an. Ich war zu erschüttert um etwas zu sagen. Stattdessen zeigte ich ihr den Ring. Ihre Augen wurden gross. „Oh! Jetzt versteh ich! Logan Wilde…“ Sie starrte mich einen Moment lang bloss an. „Er darf nicht so leiden! Es war nicht seine Schuld!“, rief ich und sah sie flehend an. Anne lächelte verwundert. „Ich hätte nicht gedacht, diese Perle jemals wieder zu sehen...“ Nun war ich wütend. „Er soll sich stellen, Anne. Eddy soll zur Polizei und seine Schuld zugeben. Dann wird Logan in Ruhe gelassen“, forderte ich eisern und blickte sie ernst an. Nun verfinsterte sich ihr Blick. „Eddy ist tot. Er hat sich vor einem Jahr das Leben genommen“, antwortete sie und wandte den Blick von mir ab. Erschrocken sah ich sie an. Als Anne mich wieder ansah, konnte ich es erkennen. Ihre ungeheure Trauer und ihr zerrissenes Herz. Sie hatte Eddy genau so sehr geliebt, wie ich Logan liebte. Voller Mitgefühl legte ich ihr eine Hand auf die Schulter. „Aber warum denn Anne? Er hatte doch keinen Grund dazu…“ „Seine Schuldgefühle“, antwortete sie. Ich verstand nicht. „Schuldgefühle? Aber Logan musste doch die Schuldgefühle auf sich nehmen. Er hatte doch die ganze Bürde zu tragen.“ Anne sah mich traurig an. „Die Schuldgefühle Logan gegenüber. Logan musste Eddys Schuld tragen. Eddy hatte es einfach nicht mehr ausgehalten…“ Baff sass ich da und starrte Anne mit offenem Mund an. „Was soll ich jetzt tun, Anne? Wie kann ich Logan helfen?“, fragte ich verzweifelt. „Ich kann nichts tun. Der Fluch lässt sich nur durch den Tod auflösen“, meinte sie und sah mich entschuldigend an. Ich stand auf und machte mich zum Gehen bereit. Sie fasste mich an der Hand. „Warte… ich möchte mitkommen.“ Ich nickte und sie folgte mir zum Bahnhof.

Die Todesperle


Es war eine relativ kurze Fahrt. Doch für mich war es die Längste meines ganzen Lebens. Ungeduldig starrte ich auf meine Uhr und wartete angespannt auf die Endstation. Logan würde dort auf mich warten, das hatte mich ein wenig beruhigt. Doch die Vorstellung, nichts für ihn machen zu können, ihn diesen Wahnsinnigen alleine zu überlassen, war unvorstellbar. Ich rannte schnurstracks aus dem Zug, als er zu stehen kam und suchte den Bahnhof ungeduldig nach Logan ab. Am kleinen Café sah ich ihn stehen und mein Herz atmete auf. Lachend lief ich auf ihn zu und wollte ihm in die Arme springen, als mich jemand blitzschnell und mit einem gewaltigen Hieb zur Seite schleuderte. Ich stürzte auf den Boden und schürfte mir dabei einen Arm und die Hände auf. Wütend und gleichzeitig erschrocken sah ich nach oben und erkannte, wie mir zwei moosgrüne Augen entgegenblickten. Ich drehte mich zu Logan und sah, wie er mit aller Gewalt von der Frau und dem Jugendlichen zurückgehalten wurde. Schnell wollte ich mich aufrappeln, als plötzlich ein heftiger Tritt meine Hand erwischte. Mit seinen riesigen Schuhen war mir der Alte voller Wucht auf meine linke Hand gestanden. Einen stechenden Schmerz bis zur Schulter hinauf prägten meine Schmerzensschreie. Kleine, weisse Splitter steckten in meinem Fleisch und ich verstummte, als ich realisierte, dass der Ring kaputt war. Wie eine Verrückte versuchte ich mich aufzurappeln und torkelte zu Logan. Voller Entsetzen starrte er mich an; sein Blick voller Angst und Kummer. Er sackte auf die Knie und atmete schwer. Ich setzte mich neben ihn und schrie ihn an. „Logan! Logan, hör mir zu! Du darfst nicht sterben, hast du mich gehört? Du gehörst zu mir, du darfst mich nicht allein lassen! Logan! Logan bleib hier!“, schrie ich und packte ihn an den Schultern. Seine Augen waren auf mich gerichtet. „Ich liebe dich Mary. Ewig…“, flüsterte er und sackte zusammen. Die Nacht war totenstill auf diesem kleinen, verlassenen Bahnhof. Niemand ausser der 3 Rächer, Logan, Anne und mir waren anwesend. Und als mein Wehklagen und Geheul losging, glaubte ich zu spüren, wie die Rächer zu zittern begannen.

Mein Herz schien in Flammen zu stehen. Eine Wut, wie ich sie noch nie hatte, erfüllte meinen Körper. „Ihr Narren! Ich verdammten Narren! Er war gar nie Schuld an dem Tod eurer Kinder! Es war Eddy! Jawohl er war es. Und Logan musste ihm die Bürde abnehmen! Damit er leben durfte! Und ihr? Ihr habt ihm es wieder genommen! Schert euch zum Teufel ihr verfluchten…“ Mir blieben die Worte im Hals stecken. Was brachte das Ganze schon? Ich konnte das erstaunte und erregte Gemurmel unter den Dreien hören. Sie waren sichtlich überrascht und sehr erschrocken. „Das kann nicht sein“, flüsterte die zierliche Mrs. Porter und ich hörte wie Grandpa Fox den Atem anhielt. „Unmöglich“, meinte Luke eisern und wischte sich kleine Schweissperlen von seiner zerfurchten Stirn. „Und ob das möglich ist“, konterte Anne und stellte sich vor mich. „Ich selbst habe den Fluch über ihn gebracht. Ich war so in Eddy verliebt, dass ich richtig und falsch nicht unterscheiden konnte. Deshalb brachte ich den Fluch über Logan. Er sollte die Ganze Schuld des Brandes auf sich nehmen, obwohl Eddy der Schuldige war.“ Ich blickte in drei schmerzerfüllte, beschämte und erschütterte Gesichter. „Nein!“, keuchte Mr. Fox und fasste sich an der Brust. „Keine Sorge. Ich werde für Eddy einstehen. Für all seine Schuld“, murmelte Anne und schloss die Augen. „Wir haben einen Unschuldigen getötet“, flüsterte Mrs. Porter und knackste nervös ihre Finger. Ich weinte heftig und merkte erst spät, wie ein warmer Wind im Kreis um uns wirbelte. Anne war wie in Trance, hob ihre Arme und murmelte unverständliche Worte vor sich hin. Ich sah wie Logan langsam wie durch einen Zauber vom Boden gehoben wurde und… wie er in der Luft schwebte. Der Wind wurde wärmer, schneller, ungeduldiger. Er zog an unseren Kleidern, erhitzte unsere Gemüter, machte uns nervös. Wie wild kreiste der Wind um Anne, Logan und mich. Die Rächer hatten sich erschrocken zurückgezogen und beobachteten das Geschehen von Weitem. Plötzlich erstrahlte Logans Brust so hell wie das Leuchten der Perle. Annes Worte richteten sich nun an mich: „Ich kann Logan nicht gehen lassen, Mary. Ich habe gesehen wie sehr ihr euch liebt. So sehr wie Eddy und ich uns geliebt haben. Nimm Logan, und ich werde zu Eddy reisen“, sagte sie mit klarer, heller Stimme und das Leuchten von Logans Brust wurde schwächer. Sein schwebender Körper wurde wieder auf den Boden gelassen. Das Leuchten erstarb, der Wind zog weiter und Anne war weg. Das Einzige was ich hörte war Logans Husten. „Wa… was ist passiert?“, fragte er verwirrt, setzte sich auf und sah mich fragend an. Liebevoll zog ich ihn an mich und küsste ihn, als wäre es das letzte Mal.

Ewig dein, ewig mein, ewig uns


Es war keine Schlagzeile, welche in der Zeitung gedruckt war. Es war ein kleiner, aber dennoch recht ausführlicher Bericht über den Grossbrand 2007. „Unschuld nach 3 Jahren bewiesen“, stand da als Titel und dazu ein kleines Bild von Logan und ein Bild von Eddy. „Für den Grossbrand an einer Schweizer Schule im Jahre 2007 , wo insgesamt 20 Schüler getötet und 26 schwer verletzt wurden, wurde der dazumal 15 Jährige Logan Wilde für Schuldig erklärt. Nach knapp 3 Jahren konnte man die Schuld dem Mitschüler Eddy Grant nachweisen…“ Glücklich klappte Mrs. Wilde die Zeitung zu. „Es tut mir so leid, Logan. Ich hätte wissen müssen, dass du es nicht warst“, meinte Logans Mutter schuldbewusst, verstrubbelte ihrem Sohn liebevoll die Haare und drückte gleichzeitig meine Hand. Ich lächelte Logan ebenfalls an. „Schon okay, Mama, wie hättest du das wissen können. Und ich hätte es dir sagen sollen, aber wie gesagt, ich wollte Eddy nicht verpetzen“, antwortete er und zwinkerte mir vielsagend zu. Auch die drei Rächer hatten sich in aller Form bei Logan entschuldigt. „Wir können niemals das gut machen, was wir dir angetan haben. Wir erwarten keine Vergebung. Wir wollen nur, dass du weisst, dass wir ewig in deiner Schuld stehen.“ Logan nickte ruhig. Es war das letzte Mal, dass ich Mrs. Porter, Luke und Edward Fox sah.

Epilog


Es war ein schwüler, dennoch schöner Sommerabend. In der Kirche war es angenehm kühl. Durch die offene Kirchentüre drang ein warmer, feiner Wind. Logan und ich sassen auf einer Kirchenbank. Er strich mir sanft über den Kopf und betrachtete meine bleibende Narbe an der linken Hand. Ich starrte durch das schöner Kirchenfenster, durch das ein heller Sonnerstrahl drang. „Logan? Was du da gesagt hast, bevor du… gestorben bist…“ Er sah mich fragend an. „Ja? Was meinst du?“ „Du hast gesagt, dass du mich liebst… Ewig. Wieso bist du dir da so sicher?“ Fragend sah ich ihn an. Ich konnte sehen wie seine Augen aufleuchteten. Er setzte sich mir gegenüber senkrecht auf. Dann sah er mir direkt in die Augen: „Bevor ich starb… Weisst du, was ich da als letztes sah?“ Ich schüttelte den Kopf. „Augen. Wunderschöne, grosse Augen. Es waren deine Augen. Und wenn ich das nächste Mal sterbe, dann werden diese Augen, wieder das Letzte sein, was ich sehen werde. Deshalb weiss ich, dass ich dich ewig lieben werde.“ Ich lauschte seinem berauschenden Versprechen. „Ich liebe dich auch Logan. Ewig“, flüsterte ich ihm lächelnd zu und drückte seine weiche Hand. Logan Wildes Hand, die ich um nichts in der Welt jemals wieder loslassen würde.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 17.07.2010

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /