»Großvater!« Dís helle Stimme tönt fordernd durch den Thronsaal und holt den König unter dem Berg, Herr über das Zwergenreich des Erebors, aus seinen Gedanken. Seit wenigen Minuten ist die Audienz beendet, die Wachen haben sich zurückgezogen und Thrór vermutet, dass seine Enkelin diesen Moment genutzt hat, um vorzusprechen, wie sie es nennen würde. Pah! Die eigentlichen Herrscher sind die drei Zwerglinge, wie er sich selbst eingesteht. Der König ist in diesem Fall der Beherrschte, ein Untertan, der schon beim Anblick des lieben Lächelns und der funkelnden Augen das Unmögliche machbar machen will. Das Gute ist aber auch, dass zugleich das Gefühl der Erschöpfung verschwunden ist, das ihn stets nach einer Audienz befällt. Freude hebt sein Herz und ein Lächeln seine Mundwinkel. Aber das lässt er die junge Zwergin nicht sehen, denn Dís würde es nur zu ihrem Vorteil nutzen und das ausgesprochen reiflich. Sie wickelt ihn sowieso schon zu schnell um den kleinen Finger. Daher verbirgt er es hinter einem Neigen des Kopfes, ganz hoheitsvoll, und lädt somit Dís ein, näherzutreten.
»Was wünscht meine Süße?«
Statt einer ebenfalls privaten Erwiderung versinkt Dís in einem graziösen Knicks, aus dem sie sich ebenso elegant erhebt. »Es ist der vierte Tag nach dem Durinstag«, beginnt sie und ein leises Beben schwingt in ihrer Stimme mit, das König Thrór nicht verborgen bleibt. Auch das Lächeln ist von ihren Lippen gewichen und der Glanz ihrer Augen hat sich verändert. »In den vergangenen Jahren hast du uns den Wunsch nach einem Märchen erfüllt und uns, den Kindern deines Sohnes, damit eine große Freude bereitet. Nun ...« Dís verstummt, wirkt unschlüssig und ein zittriges Seufzen entweicht ihr. »Hast du uns vergessen, Großvater?«, fragt sie mit brüchiger Stimme. Eine einzelne Träne rinnt ihr über die Wange, tropft auf das dunkelblau ihres Kleides herab, wo sie für Augenblicke wie ein Diamant funkelt. Eine weitere folgt.
Eilig steigt Thrór vom Thron herab, über dem der Arkenstein leuchtet. Vor Dís sinkt er auf die Knie und weil eine Krone störend bei einer festen Umarmung ist, poltert sie sie unbeachtet zu Boden. Mehr Aufforderung benötigt Dís nicht, um sich in die ausgebreiteten Arme zu stürzen und das Gesicht im dichten Bart und Haar des Königs zu vergraben.
»Ich würde euch drei niemals vergessen«, versichert er ihr und streicht über den bebenden Rücken. Schluchzer erschüttern den Körper in seinen Armen. »Ihr seid mir das Wichtigste. Aber manchmal gibt es Zeiten, die die ganze Aufmerksamkeit fordern und das Liebste in den Hintergrund rücken.« Ausreden. Herausreden.
Die Erinnerungen von Nár kommen ihm in den Sinn, die er zu einem guten Teil mit »Es ist noch Zeit« abgetan hatte. Dann war Durinstag. Im Berg wimmelte es von Gästen, verlangten nach seiner Gegenwart und er selbst war es zufrieden, von den Kindern nicht behelligt zu werden. Er hatte sie nicht mit fadenscheinigen Ausreden abfinden wollen. Aber was tu ich jetzt?, fragt er sich und fühlt Scham. Ein hässliches Gefühl, wie er sich eingestehen muss.
»Ich habe dich so sehr vermisst, Großvater«, schluchzt Dís und schnieft, bevor ein schwerer Seufzer ihre Schultern hebt und sogar die Arme des Königs weit macht. »Frin und Thin haben gesagt, dass du Vieles bedenken musst. Sie sind schon erwachsen. Sie sagten, ich solle dich nicht stören. Aber es ging nicht mehr.«
Sanft schiebt Thrór Dís von sich, mehr, um ihr ins tränennasse Gesicht blicken zu können, als auch, um sich ganz unköniglich auf den Fußboden der Audienzhalle zu setzen und das Zwergenmädchen auf seinen Schoß zu ziehen. Aus dem fellbesetzten Ärmelaufschlag seines Mantels zieht er ein Tuch heraus, das Nár ihm erst am Morgen dort hineingeschoben hatte. »Du musst mehr auf dich achten, alter Mann«, hatte er dabei gesagt. »In deinem hohen Alter ist man anfällig und bekommt schnell eine Schniefnase.« Am Morgen hatte Thrór darüber noch lachend die Augen verdreht, nun ist er dankbar, dass er mit dem Tuch Dís Gesicht trockentupfen kann.
»Warum bist du nicht zu Nár gegangen? Er hätte mir die Ohren lang gezogen und mir einen Vortrag gehalten, bis mir Hören und Sehen vergeht.« Dís weicht seinem Blick aus, was ihm Antwort genug ist. »Du warst bei ihm und bestimmt hat er über mich geschimpft.« Ein zaghaftes Nicken und verspieltes Zupfen an ihrem Ärmel.
Was und wie Nár geschimpft hat, kann sich Thrór lebhaft vorstellen. Erst heute Morgen hatte sein Gefährte kein Blatt vor den Mund genommen und war nur ruhiger geworden, als ein Bediensteter das Zimmer betreten hatte. »O je!«, murmelt er, als er eins und eins zusammenzählt und sich wünscht so klein zu sein, um in den Fugen zwischen den Bodenfliesen zu versinken.
»Ich bin ja so ein Bergtroll!«, schimpft er und greift sich an die Stirn. »Nár hat es mir klar und deutlich gesagt und ich Lumpenhecht habe nicht begriffen, was er mir erzählt.« Um Verzeihung heischend sieht er Dís an, die sich wieder erhoben hatte und auf das Häuflein Verzweiflung blickt. »Es tut mir so unsagbar leid, meine Süße, was für ein hirnloser Waldelb ich doch bin. Ich werde alles wieder gutmachen, was ich falsch gemacht habe, nur weil ich nicht zuhören konnte«, verspricht der König und hebt sogar eine Hand im Schwur, die andere aufs Herz gelegt. »Kommt morgen Abend zu uns. Wie jedes Jahr. Ich muss Abbitte bei euch leisten und auch bei Nár und mir etwas Außergewöhnliches für euch einfallen lassen – aber nun hilf mir hoch, mein Kind. Alte Knochen und kalter Fußboden vertragen sich nicht recht. Die Gelenke knarren wie rostige Scharniere.«
»Ach, Großvater!« Dís seufzt und greift nach der ausgestreckten Hand. »Du bist nicht alt. Vater sagt immer, du wärst gereift wie guter Käse oder Wein.«
Thrór ist sich nicht ganz sicher, ob er die Äußerung als Kompliment auffassen kann, weil alter Käse nicht nach seinem Geschmack ist und besagter Wein herb und kratzig. Jugendliche Weichheit und Süffigkeit sind dann nur noch Erinnerung. »So, so, das sagt er«, murmelt er daher nur, bevor er sich ächzend und mit Dís Hilfe auf die Knie und dann auf die Füße stemmt und sich alt fühlt. Uralt. So alt wie der Arkenstein, der über dem steinernen Zwergenthron im schwarzen Basalt eingelassen ist und dort wie ein Stern am Firmament leuchtet.
»Sag deinen Brüdern Bescheid, mein liebes Kind«, fordert der König Dís auf. »Sag ihnen, dass ihr herzlich in meinen Räumen Willkommen seid, wie auch schon in den Jahren zuvor.«
Das feingeschnittene Gesicht erhellt sich mit einem Lächeln und Dís fällt in einen tiefen Knicks, wie es sich gegenüber einem König geziemt. »Das werde ich, Großvater. Jetzt gleich.« Nach einem weiteren Knicks, nun jedoch eilig, eilt Dís aus dem Thronsaal und der König seufzt über den eigenen Verlust der jugendlichen Beweglichkeit.
»Und ich werde mich meinem Nár stellen«, murmelt Thrór in seinen Bart und wendet sich der Tür zu, die in einer Nische hinter dem Thron verborgen ist. »Das habe ich dir gesagt, wird er sagen. Schon seit Wochen und dass ich nicht hatte hören wollen. Und er hat so Recht damit.«
Selbstverständlich hat Nár dem König die Leviten gelesen und das ist sein gutes Recht. Er ist nunmal die bessere Hälfte ihres Gespanns, wie Thrór weiß. Sein Liebster ist mitfühlend und herzensgut. Und er vergisst seine Versprechen nicht. Auch jene nicht, die keine Versprechen sind, sondern nur Zusagen. Ganz ohne Handschlag und Zeremonie.
Entsprechend still und mit schlechtem Gewissen bis zum Pelzkragen gefüllt, hatte sich Thrór Nárs Rede angehört und nur hin und wieder zustimmend genickt. Mehr oder eine andere Geste hatte er nicht gewagt. »Lass mich machen, Thrór, und bleib mir aus dem Weg«, hatte er am Morgen den König angewiesen. »Kümmere du dich um deine Geschäfte und ich mich um meine.« Thrór hatte sich die Worte seines Gefährten zu Herzen genommen und den Tag mit langatmigen Gesprächen und elbischer Korrespondenz verbracht, auf die er sich kaum hatte konzentrieren können. Wer versteht schon die verworrenen Wortspielereien eines Elben? Doch nur ein Elb selbst.
Davon, was sein Liebster in der gleichen Zeit geschaffen hat, kann er sich am Abend selbst überzeugen: Wieder ist der Berg aus Kissen und Decken vor dem Kamin aufgeschichtet und vermutlich höher, als in den vergangenen Jahren. Schalen mit süßem Gebäck und kandiertem Obst stehen für die jungen Gäste bereit, ebenso wie warme Schokolade. Für den Märchenerzähler selbst wird soeben ein Krug Wein hereingetragen, der süß und würzig duftet.
»Wie gefällt es dir?« Nár ist neben den König getreten und macht eine allumfassende Handbewegung, die das geschürte Feuer im Kamin ebenso einschließt wie das bereitgelegte Buch.
Thrór sieht sich demonstrativ um, dreht sich sogar im Kreis, die Unterlippe grübelnd vorgeschoben. »Nun, mein Lieber«, sagt er schließlich und reibt sich begeistert die Hände. »Du hast dich wieder selbst übertroffen. Der Raum ist heimelig und einladend. Der Wein duftet würzig und das Gebäck sieht so appetitlich aus, dass ich es sofort selbst verspeisen will.« Der König neigt das Haupt vor seinem Liebsten.
»Ich werde dein Lob an die Backstube und unsere guten Geister weitergeben. Ich selbst habe es nicht verdient. Die Zwerge des Berges sind die wahren Empfänger deiner Anerkennung. Ohne ihre Tatkraft und Hilfe müssten wir die Zwerglinge vertrösten und ihre Tränen trocknen.«
Der König stößt einen tiefen Seufzer aus. »Es tut mir leid, mein Herz. Wenn ich bedenke, was meine Ignoranz dir und den Kindern angetan an ...«
»Nun ist es aber gut!«, wird er von Nár unterbrochen. »Du suhlst in Selbstbeschuldigungen und dabei solltest du dich vorbereiten. Deine Enkelkinder werden bald hier sein, wenn sie nicht sogar schon auf dem Weg zu uns sind.«
Als hätte das Schicksal nur auf diese Worte gewartet, klopft es vernehmlich an der Tür.
»Das werden sie sein!« Nervös streicht Nár über sein besticktes Wams und den Bart und zupft auch noch einen Fussel vom Hemdsärmel des Königs. Dabei wirkt er verzückt wie ein verliebter Jungzwerg, der seiner Liebsten Blumen schenken will und nicht weiß, ob er die richtige Wahl getroffen hat. »Ich hoffe nur, ich habe nichts vergessen.«
»Selbstverständlich sind sie es und mach dir nicht so viele Gedanken. Wie immer, wird es perfekt sein«, brummt Thrór und schreitet zur Tür, um sie eigenhändig zu öffnen.
»Großvater!«, ruft Dís und springt ihm regelrecht in die Arme. Erwachsener folgen Frerin und Thorín in die Stube und der Älteste der Geschwister fasst die summende Ungeduld mit einer einzigen Frage zusammen: »Welches Märchen hast du ausgesucht?«
Der König lächelt verschmitzt. »Das mein lieber Thorín werde ich verraten, wenn jeder seinen Platz eingenommen hat.« Einladend deutet er auf den Kissenberg und die bereitgestellten Köstlichkeiten.
Wie ein einziger Wirbelwind stürmen die Gäste auf die Kissen und Decken zu. Thorin lässt sich in die eine Flanke fallen, Frerín mit ausgebreiteten Armen in die andere und Dís bereitet dicht unterm Gipfel ihr Nest. Begeistert scheinen dabei ihre Zöpfe zu wippen und kriegen sich gar nicht mehr ein, als ihr von Frerín ein Becher mit heißer Schokolade und von Thorin eine Schale mit Gebäck gereicht werden. Wie eine Göttin mit lebendigem Haar sitzt sie nun in den Kissen, in der einen Hand das Gebäck, in der anderen der Becher, und jammert, weil ihr zwei Hände zu wenig sind. »Wo soll ich das alles nur abstellen?«
»Mach dir nen Kopp«, brummt Thorin, der an einem Becher nippt, dessen Inhalt verdächtig nach Wein aussieht. »Wer oben sitzt, hat es bequem, aber die vielen kleinen Annehmlichkeiten fehlen.«
Ganz Königin rümpft Dís die Nase. »Und die da wären?«
»Den Becher abstellen zu können, um sich etwas von diesem überaus köstlichen Gebäck zu nehmen.« Demonstrativ schiebt sich Thorin einen Keks in den Mund.
»Wir könnten dich füttern«, schlägt Frerín vor und erhält dafür einen bitterbösen Blick von seiner Schwester.
Thrór verbirgt seine Belustigung, indem er in dem Buch blättert und sich jede Seite dabei beguckt.
Das Buch. Es ist groß und schwer und alt. Der Buchrücken ist abgegriffen, die Ecken gestoßen und der Goldschnitt schimmert schwarz. Ein Holzwurm hatte hier einst ein Zuhause gefunden und nur die Löcher zeugen noch davon. Ein Buchwurm, denkt der König amüsiert.
»Also, Großvater, wir sitzen und warten darauf endlich zu wissen, welches Märchen du uns antun willst.« Als würde ihn die Antwort auf seine Frage kein Bisschen interessieren, knabbert er einem Keksstern die Zacken ab. Ganz ordentlich, bis er rund ist.
Thrór blickt einmal in die Runde. »Haben es alle gemütlich?«, fragt er und schlägt das Buch genau an der richtigen Stelle auf. Dort, wo das unscheinbare Lesezeichen die Seiten markiert. »Nun. Das Märchen, das ich euch erzählen will, heißt: Der kleine Meermann oder von Fischen und Menschen.«
»Das ist nicht dein Ernst!«, stellt Nár fest und wirkt keineswegs erfreut. »Das willst du uns nicht antun. Das ist ein Scherz! Das muss ein Scherz sein. Oder willst du, dass dieses Jahr als das Tränenreichste in den Analen der Erebor-Historie eingehen soll?«
»Wir werden Taschentücher brauchen«, stellt Frerin fest. »Viele.«
Thorin nickt zustimmend. »Wir müssen in der Wäscherei Bescheid geben, dass es eine Tuchflut geben wird.«
Von Dís ist nur ein leises Zischen zu vernehmen und dann ein Räuspern und dann: »Da wird doch der Warg in der Pfanne verrückt! Ihr macht die Ziegenböcke scheu, noch ehe Großvater überhaupt einen Pieps gesagt hat. Woher wollt ihr wissen, dass das Märchen zum Heulen wird? Vielleicht wird es ja lustig. Und wenn nicht: dann eben nicht. Ist halt so.«
»Hört, hört!«, murmelt der König. »Unsere kleine Prinzessin hat gesprochen und es war weise.«
Das müssen sogar ihre Brüder zugeben, wenn auch widerwillig.
Weit draußen im Meer ist das Wasser so blau wie die Blätter der schönsten Kornblumen und so klar wie das reinste Glas. Aber es ist tief, tiefer als irgendein Ankertau jemals reichen wird und in diesen Tiefen lebt das Meervolk. Sie leben wie wir in Häusern, deren Wände aus Korallen bestehen, die Dächer aus Muschelschalen und die Fenster aus klarem Bernstein. In den Gärten wachsen Seeanemonen in allen Größen und Farben und zwischen ihren Armen huschen kleine Fische wie hier die Vögel hindurch. Seegras wächst auf den Feldern und Wälder aus Tang beherbergen die Dunkelheit.
Eine solche Wasserwelt existiert nicht nur im großen Meer, sondern auch direkt vor unserer Haustür. Im langen See. Wenn ein Sturm das Wasser aufwühlt und zugleich die Sonne durch die Wolken bricht, könnt ihr mit viel Glück einen Blick auf einen Palast erhaschen, der dort verborgen ist. Im Wind hört man eine leise Melodie und Lachen, wenn die Meermenschen über ihre Wiesen tanzen und die Sonne bricht sich im Perlmutt der Muschelschalendächer.
»O, wie schön«, flüstert Dís so verhalten, dass sie kaum über das Knistern des Kaminfeuers zu vernehmen ist. »Hast du den Palast schon gesehen, Großvater?«
Auch Frerin wirkt neugierig. Nur um Thorins Lippen zuckt es amüsiert.
»Nein, gesehen habe ich ihn nicht. Aber ich habe ganz leises Lachen gehört und eine seltsame Melodie.« Der König beginnt eine Melodie zu summe, der die Schwere und der stampfende Takt der Zwergenmusik fehlt.
»Das hast du dir gerade ausgedacht!« Thorin ist nun nicht mehr belustigt, sondern skeptisch und Thrór hätte sich am liebsten die Hände gerieben. Was gibt es für einen Erzähler Schöneres, als die Zuhörer zu fesseln und sie sich fragen zu lassen, ob die Geschichte der Wahrheit entspricht.
»Habe ich das wirklich?«, fragt er daher nur mit einem geheimnisvollen Lächeln, ehe er sich der Geschichte wieder zuwendet:
In diesem wunderschönen Palast lebte einst ein junger Prinz. Sein Vater war der König über die Tiefen des langen Sees, seine Mutter die Königin und er war ihr Augenstern. Er war schlank von Gestalt, edel vom Gesicht und wie jeder Vertreter des Meervolkes besaß er weder Füße noch Beine, sondern war zur Hälfte ein Fisch. Seine Schuppen schimmerten wie das Perlmutt der Muscheln. Sein Haar war so dunkel wie der Tangwald an der dichtesten Stelle und so fein wie der Faden der Wasserspinne. Aber das schönste am Prinzen war seine Stimme. Sie war die sanfteste, die man je gehört hatte. Wenn er etwas sagte, lauschte man ihm und war hingerissen. Wenn er etwas verlangte, kam man seinem Wunsch umgehend nach. Wenn er um etwas bat, wollte man ihm die Welt zu Füßen legen. Jeder Mann und jede Frau wollten sein Lächeln sehen und man war glücklich, nur weil man es hatte erblicken dürfen.
Eines Tages geschah es, dass ein schwerer Sturm die Wasser des Sees bis zum Dachfirst des Palasts aufwühlte. Der König beobachtete es mit Sorge. »Bleib im Schloss, solange der Sturm tobt«, wies er den Prinzen an. »Das Wasser brodelt und heute gehen Schiffe der Oberwelt zu Bruch. Deren Teile könnten dich verletzen, wenn sie herabsinken.«
Der Prinz versprach, den Worten seines Vaters zu folgen und nur vom Fenster aus den aufgewühlten See zu beobachten. Der König gab sich damit zufrieden und wandte sich wieder seinen Geschäften zu, wusste er doch seinen Spross gut und sicher aufgehoben.
Aber der Prinz dachte nicht daran, die Stunden in der Sicherheit seiner Gemächer zu verbringen. Zu viele Schätze gab es zu entdecken und den anderen Meermenschen vor der Nase wegzuschnappen, die sie ebenfalls haben wollten. Gegenstände, die von den Schiffen – wie sein Vater die seltsamen Gefährte nannte – stammten, mussten gefunden werden, ehe sie im weichen Sand des Meeresgrundes versanken. Und wie man weiß, ist ein Versprechen nicht bindend, wenn man die Finger dabei überkreuzt. Dummerweise hatte der König ihm jedoch zwei Wachen zur Seite gestellt, die nun vor seiner Tür patrouillierten. Daher öffnete er eines der Bernsteinfenster und schlüpfte hinaus.
Das Buch wird mit einem lauten Klappen zu geschlagen und das Geräusch lässt die Zuhörer zusammenzucken.
»Das ist nicht dein Ernst!«, mokiert sich Dís aus der Höhe ihres Kissenbergnests. »Warum machst du das Buch zu, wenn es gerade richtig losgeht? Und überhaupt ...«
»Wie heißt der Prinz?«, wird sie von Thorin unterbrochen. »Hast du schon einen Namen?«
»Du musst einen Namen haben, weil du ihn beschrieben hast«, wirft Frerin ein und tippt sich nachdenklich an die Nase. »Schwarze Haar, schlank, schöne Stimme ...«
»Erestor«, schlägt Dís vor.
Frerin verzieht das Gesicht. »Hast du ihn sprechen hören? Dem will man ganz bestimmt nicht die Welt zu Füßen legen.«
Thrór nutzt die nachdenkliche Stille und greift nach seinem Becher, nimmt einen Schluck und verzieht wie Frerin zuvor das Gesicht. Sofort wird ihm der Becher aus der Hand genommen und durch einen anderen ersetzt, der sich auch gleich wesentlich wärmer anfühlt. Tatsächlich ist auch der Geschmack wesentlich angenehmer.
»Thorin«, wagt Dís einen weiteren Vorschlag. »Schwarze Haare hat er«, stellt sie fest und zupft an einer Strähne. »Und für eine Zwerg ist er schlank und singen kann er auch ganz gut.«
Frerin prustet. »Ja, wenn er einen Becher Wein zu viel getrunken hat.«
Prompt nimmt Thorins Gesicht eine rote Gesichtsfarbe an und ertappt weicht er den fragenden Blicken Thrórs und dessen Gefährten aus. »So, so. Dann werde ich ...«
Was Nár tun wird, ist leider - oder auch Glück – nicht mehr verständlich, da Dís die Frage aller Fragen stellt: »Wenn es nicht Erestor oder Thorin sind, wer ist dann der Prinz, Großvater?«
»Sauron.«
Thrór und sein Gefährte sitzen sich wie immer am Tisch gegenüber. Die Schale mit dem Winterobst und den Nüssen ist weit zur Seite geschoben, um ausreichend Platz für den Schinkenbraten, die Käseplatte, einen Korb mit Brot sowie eine weitere Platte mit verschiedenen Wurst- und Fleischaufschnitten zu schaffen. Daneben sind mehrere Schälchen mit verschiedenen Aufstrichen und eingelegtes Gemüse aufgetischt, die der Tafel ein buntes, ansprechendes aber vor allem einladendes Aussehen geben.
Zufrieden mustert der König den Tisch und reibt sich die Hände, während die dienstbaren Zwerge im Hintergrund still und verhalten alles für den Abend und die jungen Gäste vorbereiten.
»Sag mal, mein Lieber, was hast du dir eigentlich dabei gedacht?«
Die Frage seines Geliebten reißt Thrór aus seiner Begeisterung für all die Köstlichkeiten und die Vorfreude auf die Märchenzeit. »Gedacht? Wobei?«
Eine Augenbraue seines Gegenübers wandert nach oben. Eine Geste, die gleichermaßen skeptisch, wie auch spöttisch ist. »Sauron«, bringt Nár den vergangenen Abend in Erinnerung.
Thrór lehnt sich zurück. Das Abendmahl ist vergessen. Zumindest für den Augenblick und ebenso lange zieht er in Erwägung zuzugeben, dass er sich überhaupt nichts bei der Wahl des Namens für den Märchenprinzen gedacht hat. »Er erschien mir passend für das, was ich mir gedacht habe.« Unbestimmt zuckt er mit den Schultern und angelt eine Scheibe Brot aus dem Korb.
»Du hast dir also überhaupt nichts dabei gedacht«, stellt Nár zielsicher fest und wirkt äußerst unzufrieden. »Und warum ausgerechnet dieses Märchen? Es ist traurig und herzlich wenig dazu geeignet, einen gemütlichen Abend zu verbringen. Wie die Zwerglinge schon sagten: Wir werden haufenweise Schnupftücher benötigen und Rotz und Wasser heulen.«
Seltsamerweise guckt der König nach diesem Geständnis ganz verträumt. »Hach!«, macht er und: »Wenn es wirklich so sein sollte, dann wäre es das aller, aller größte Lob für meine Erzählkunst, das ich mir wünschen könnte. Aber ich gebe zu, dass ich mir noch nicht ganz sicher bin, ob es wirklich so tränenreich sein wird.«
»Du haderst?«
Betrübt nickt Thrór. Dass er nebenher das Brot auseinanderzupft, nimmt er kaum wahr. »Schon die Tage, als Dís mich aufgesucht und geweint hat, hat es mir schier das Herz zerrissen. Wie also soll ich eine Geschichte erzählen, mit der ich sie und euch zum Weinen bringe? Lob ist schön und gut, aber ein Lachen ist ein Ausdruck von Glücklichsein. Tränen dagegen ...«
»O, mein Liebster!«, ruft Nár aus, schiebt seinen Stuhl zurück und kommt eilig um den Tisch herum. Neben dem König sinkt er auf die Knie und ergreift seine Hand. »Wie schlecht du doch manche Gefühlsäußerungen verstehst. Wenn jemand Tränen vergießt, muss es nicht aus Trauer und Schmerz sein. Es kann auch von lauterem Glück sein, weil auch Glücklichsein schmerzen kann. Es kommt auf die Situation an.«
»Ist es so?«, fragt Thrór und streicht seinem Gefährten über die Wange. »Schmerzt mir deswegen das Herz und treibt mir die Tränen in die Augen, weil Aule mich damit beschenkt, dass ich meine liebsten Zwerge so heimelig miteinander umgehen sehen darf? Dass ich meinen Gefährten über alles liebe und es ihm jeden Tag aufs Neue beweisen darf?« Tatsächlich schimmern Tränen in seinen Augen und auch in denen von Nár.
Dieser muss sich räuspern, um einen geraden Ton herauszubringen. »Sag du es mir. Wenn du die Frage mit einem klaren Ja beantworten kannst, dann ist es Glück, das dein Herz schmerzen lässt.« Mit einem Ächzen erhebt sich Nár und nimmt nur zu gern die Hand des Königs und dessen Stuhllehne als Aufstehhilfe in Anspruch. »Es könnte natürlich auch nur das Alter sein, mein geliebter Zausel«, setzt er mit einem frechen Zwinkern hinzu, ehe er zu seinem Stuhl zurückkehrt.
Nachdenklich schiebt Thrór die Unterlippe vor. »Ja«, sagt er nach einiger Zeit und mit einem vernehmlichen Seufzen. »Wir Zwerge stellen die Familie über alles. Sie steht an erster Stelle und jeder Zwerg darf sich glücklich schätzen, mit einer solchen von Aule gesegnet zu sein.« Er ergreift seinen Becher und hebt ihn seinem Liebsten entgegen. »Ich trinke auf meinen klugen, liebenswerten und herzensguten Gefährten. Möge dir Aule ein langes Leben gewähren und mir die Gnade, es mit dir teilen zu dürfen.«
»Hört, hört!«, murmelt Nár und nimmt einen Schluck aus seinem eigenen Becher. »Ich werde dich daran erinnern, wenn du mich das nächste Mal wegen meiner Rechthaberei verfluchst.«
Thrór kichert ganz unköniglich. »Ja, mach das, mein Lieber, mach das. Du weißt, wie vergesslich ich bin.«
»Muss ich dich vielleicht auch daran erinnern, dass bald die Zwerglinge hier sein werden?«, hakt Nár amüsiert nach. »Wenn du dich nicht bald ranhältst und dir etwas von den Speisen nimmst, wirst du hungrig dein Märchen erzählen müssen.«
»Wie immer hast du Recht, mein Lieber«, gibt Thrór großmütig zu.
Noch sitzen die beiden Herrschaften am Tisch, genießen die letzten Bissen, die auf ihren Tellern liegen, als es an der Tür klopft. Ohne darauf zu warten, ob ihnen jemand öffnet, treten die Zwerglinge ein. Voran hüpft Dís, heute in einem dunkelroten Kleid mit besticktem Kragen. Die Bänder in ihren Zöpfen sind in der gleichen Farbe und Perlen setzen funkelnd-schimmernde Akzente. »Sieh mal, Großvater!«, ruft sie und hält ihm eine Zopfspitze entgegen. »Die Perlen schimmern wie das Perlmutt der Palastdächer.«
Frerin verdreht die Augen, jedoch erst nachdem er den König und des Gefährten begrüßt hatte. »Perlen sind aus Perlmutt«, erklärt er seiner Schwester, ganz der große Bruder, der alles besser weiß. »Deswegen heißen Perlen auch Perlen.«
Fragend sieht Dís erst Thrór an, dann Nár und schließlich Thorin. Da alle Frerins Behauptung mit einem Nicken bestätigen, streckt sie ihrem Bruder die Zunge heraus, stapft zum Kissenberg und lässt sich hineinplumpsen. Geradewegs in das Nest vom vorherigen Abend. »Ich warte!«, verkündet die kleine Hoheit etwas ungnädig.
Frerin verdreht ein weiteres Mal die Augen, sagt jedoch nichts weiter, sondern folgt dem Beispiel seiner Schwester. Auch Thorin sitzt oder eher liegt in den Kissen, hat wieder alles in bequemer Reichweite.
»Keine Zeit für Trödeleien!«, spornt Nár den König an und winkt die Bediensteten heran, dass sie sich dem Tisch und den verbliebenen Resten des Abendmahls annehmen. Nach wenigen Minuten ist alles abgeräumt und der Duft von gewürztem Wein überdeckt den des Bratens. Heiße Schokolade wird gereicht und Winterobst, das in Stücke geschnitten, in die süße Flüssigkeit getaucht werden kann.
»Hmmm - das ist so lecker!«, schwärmt Dís und schiebt sich ein Apfelstück in den Mund.
»Nun denn«, erhebt der König unter dem Berg das Wort und schlägt das Buch auf.
Der Prinz genoss das Gefühl des aufgewühlten Wassers auf seiner Haut und wie es sein Haar umspülte. Hier unten, so dich am Seegrund war die Strömung lau und erst etwas höher, dort wo die Seegraswiesen waren, wurde es etwas stürmischer. Aber nicht so, dass er herumgewirbelt worden wäre. Er musste ...
»Sauron«, wirft Thorin ein. »Du sagst nur immer Prinz. Wenn du ihn dir schon ausgesucht hast, solltest du ihn nutzen.«
Nun ist es an Thrór, die Augen zu verdrehen. Ja, er hat sich den Namen und somit auch den Charakter Sauron ausgesucht. Aber irgendwie ... es ist halt etwas anderes, einen Bösewicht in einen lieben Charakter zu zwängen, als würde man ihm einen zu eng geschnittenen Mantel überziehen wollen. Er passt vorn und hinten nicht und man hat den Eindruck, als würde das Böse aus jeder geplatzten Naht quellen.
Aber Thorin hat Recht. Selbstverständlich. Und unwillkürlich fragt sich der König, seit wann alle um ihn herum so klug sind und nur er sich dumm fühlt.
Sauron musste sich nur etwas stärker gegen die Strömung stemmen, die hier unwägbar war. Mal kam sie direkt von vorn, mal von hinten, ein anderes Mal von der Seite. Aber, da er Schätze sammeln wollte, musste er es aushalten. Und tatsächlich sanken die ersten Gegenstände zu Boden. Manche schneller, andere langsamer. Sogar Menschen waren dabei, seltsam anzusehen mit ihren zweigeteilten Schwänzen, aber leblos, sobald ihre Körper in den Wiesen anlangten. »Sie benötigen Luft, um zu leben«, hatte der König einst Sauron erklärt. »Das gibt es jenseits der Grenze, dort, wo die Fische absonderlich aussehen. Im Wasser können sie nur eine sehr kurze Zeit überleben und manchmal gelingt es ihnen, dem Tod zu entkommen, indem sie schwimmen, ähnlich wie wir es tun. Aber hüte dich, ihnen zu nahe zu kommen, solange sie noch nicht tot sind. Sie dürfen unsereins nicht sehen.«
»Was passiert, wenn sie uns doch sehen sollten?«, hatte Sauron in seiner Kindlichkeit gefragt.
»Menschen sind gierig. Mit ihren Netzen plündern sie die Meere und die Seen. Sie fangen die Fische, die unsere Welt bevölkern, ohne uns etwas Gleichwertiges zu geben. Wenn sie wüssten, dass es unser Volk gibt, würde es auch uns schlecht ergehen. Sie würden Möglichkeiten ersinnen, unsere Städte zu zerstören. Sie sind einfallsreich und gewitzt.«
Damals hatte Sauron nicht geglaubt, was sein Vater ihm sagte. Er hatte gedacht, dass er übertrieb. Aber heute hob er ein Messer aus dem Seegras, das man aufklappen konnte und welches so scharf war, dass er sich bei der leichtesten Berührung geritzt hatte. Wenn ein so kleiner Gegenstand bereits Schaden anrichten konnte, was konnten die Menschen sonst noch ersinnen?
Sauron blickte in die aufgewühlte See über sich, beobachtete die fernen Wellenbewegungen und dunklen Schatten. Er wusste, dass dies Bruchstücke waren, die von der Oberwelt noch nicht freigegeben wurden und auf der Grenze tanzten. Aber da war etwas, was sich aus den Schatten löste und seine Aufmerksamkeit fesselte. Ein Gegenstand, eckig, eindeutig von Menschenhand gefertigt. Zuerst noch langsam, sank er dann schneller herab, setzte hart im hohen Gras auf und hätte Sauron dessen Bahn nicht mit den Augen verfolgt, wäre er ihm entgangen.
Es war eine Kiste aus Holz, stellte er fest, als er näher kam. Vielleicht so lang und tief wie sein Arm, aber nicht mehr. Auf einer Seite war sie gesplittert und gab den Blick in das Innere frei.
Erschrocken wich Sauron zurück und verfluchte seine Neugier, aber sein Interesse war geweckt. Es waren Augen, die er gesehen hatte, denen eines Meermenschen gleich, doch waren sie weiß und tot.
Sich Mut zusprechend näherte er sich langsam und vorsichtig wieder der Kiste, versuchte, aus einem anderen Winkel hineinzusehen. Gerade Nase, Wangen, Stirn. Es war ein Kopf und soweit Sauron erkennen konnte, war er aus Stein gefertigt. Erleichtert atmete er auf, denn solche Kunstwerke kannte er. Von ihnen gab es mehrere im Königspalast ausgestellt im großen Ballsaal, wo Gäste sie besichtigen und bewundern konnten. Büsten wurden solche Köpfe genannt, wie sein Lehrer ihm erklärt hatte, und stellten verstorbene Menschen dar. So wurde ihnen gehuldigt und man erinnerte sich an sie. Ein seltsames Ritual, dachte Sauron. In seiner Welt wurden Geschichten erzählt und von Generation zu Generation mündlich weitergegeben. So gedachte und ehrte man große Herrscher und mutige Helden. Ihr Leben und ihre Leistungen wurden nie vergessen, ganz im Gegensatz zu jenen, die ohne ein Vermächtnis starben. Was und überhaupt ob man sich einst über Sauron erzählen wird, war ihm einerlei. Das Hier und jetzt war wichtig und die Kiste mit ihrem kostbaren Inhalt.
»Öde!«
Der leise langgezogene Ausruf lässt Thrór aufblicken und somit direkt in Frerins gelangweiltes Gesicht. Der wird seinerseits von seinen Geschwistern mit bösen Blicken erdolcht.
»Klappe«, murrt Thorin zusätzlich und Dís bewirft ihren Bruder mit einem mit Zuckerguss überzogenen Keks.
»Na, stimmt doch!«, rechtfertigt sich Frerin und fegt mit der Hand die Krümel von der Schulter. »Das klingt wie ein Geschichtsunterricht bei Balin. Fehlen nur noch die Zeitalter und die Jahreszahlen.«
Dís schnauft. »Willst du etwa behaupten, Balins Unterricht wäre langweilig?« Jeder Zwerg im Erebor und darüber hinaus weiß, dass Balin der geborene Lehrmeister ist und mit Zwerglingen besser umgehen kann als die Pferdemenschen aus Rohan mit ihren Reittieren. Von denen heißt es, dass sie statt Muttermilch die Milch von Stuten bekommen hätten und dass ihre Geschwister die Pferde wären, die zur gleichen Stunde geboren worden waren, wie sie selbst. Ein Band existiert zwischen ihnen, das nur der Tod lösen kann. So zumindest wird die Geschichte über die Pferdemenschen im Berg erzählt und wie Balin im Unterricht der Sprache und der Schrift erklärt hatte: Es ist ein Gleichnis.
Thorin kann sich noch gut an diese Stunde erinnern, denn danach hatte Thraín ihm eine andere Variante erzählt, in der Mensch und Pferd ... nun, ein neues Leben zeugten. Bei seinen Ausführungen hatte sein Vater kein Blatt vor den Mund genommen und war auch sehr anschaulich in seinen Beschreibungen. Allein die Erinnerung daran jagt Thorin Wärme in den Wangen und dann in den Ohrspitzen und sobald ihm das bewusst wird, scheint sein ganzer Körper zu glühen.
»Geht es dir nicht gut, Junge?«, erkundigt sich Nár mitfühlend.
»Nein, nein, alles gut«, wiegelt Thorin die Sorge ab. »Ich habe wohl nur zu schnell den heißen ...« Prompt steigt ihm noch mehr heiße Röte ins Gesicht. »Schokolade getrunken.«
Frerin klatscht in die Hände und nickt zufrieden. »Gut gerettet, Bruder. Das war wirklich gekonnt. Du solltest Diplomat werden.«
Thrór hebt eine Augenbraue und auch Nár blickt skeptisch oder wohl eher unzufrieden, wie der König feststellt. »Das gäbe Krieg. An allen Fronten.«
»Ich gebe dir einen Rat, mein Junge«, sagt Nár mit aller Ernsthaftigkeit, zu der er in diesem Moment fähig ist. »Zum Diplomaten bist du nicht geboren. Höre auf das, was Balin dir sagt, lerne von ihm und – ignoriere alles, was der Frechdachs hier von sich gibt.« Dabei wedelt er mit der freien Hand in Richtung Frerin.
»Können wir nun weitermachen?« Dís Zöpfe beben erbost. »Ich will wissen, wie es weitergeht!«
Der König unter dem Berg neigt vor der Herrscherin über den Kissenberg das Haupt. »Wie Ihr wünscht.«
Welch ein Fund! Sein eigener Kopf. Der Prinz war ganz aufgeregt und kicherte nervös, als er sich abmühte, die unhandliche Kiste in sein Versteck zu tragen. Niemand würde sie dort finden und hier hatte er Möglichkeiten, das Holz zu öffnen.
Das Versteck war sein Zufluchtsort, eine Korallenhöhle nahe den Seetangwäldern, eine Gegend, zu der sich nur wenige Meermenschen verirrten. Es hieß, dass hier ein Zauberer hausen solle, jemand, der gegen Bezahlung Wunder wirken kann. Aber niemand hatte Sauron dazu näheres erzählen können, denn jeder, der in den Wald ging, war nie wieder gesehen. Und nur Hörensagen war ihm nicht von Interesse. Daher gab er wenig auf Geschichten. Selbst jene, die von hohen Königen und mutigen Helden berichteten, waren nichts weiter als Geschwätz in seinen Ohren. Einzig zur Belustigung und Unterhaltung wurden sie erzählt.
In der Höhle angelangt, versuchte er erst mit den Händen, das Holz auseinanderzubrechen. Als ihm das nicht gelang, griff er nach einem Stein und anschließen nach einer Axt, deren hölzerner Stiel sich bereits aufgelöst hatte und nur noch der Kopf vorhanden war. Aber das war einerlei, denn Sauron nutzte den Axtkopf als Hebel, um das Holz zu spalten.
Endlich hatte er es geschafft und er hob eine Büste aus der Kiste, deren Anblick ihn seltsam berührte. Vorsichtig stellte er sie auf einen Felsvorsprung, um sie besser betrachten zu können und er war von seinem Anblick gefangen. Das Mienenspiel wirkte lebendig. Ein feines Lächeln lag auf den Lippen, eine Augenbraue war leicht erhoben und das Haar war zu einem straffen Zopf gebunden. Nur eine einzelne Strähne hing ihm in die Stirn, die Sauron zu gern zurückgestrichen hätte. Tatsächlich versuchte er es, aber sie rührte sich nicht. Mit den Fingerspitzen zeichnete er die Form der Ohren nach, verharrte dabei kurzzeitig an dessen Spitze, um dann bis hinunter zu der Stelle zu streichen, wo der Hals in die Schultern überging. Diese gaben eine Ahnung von einer Breite, wie sie unter Meermenschen nicht verbreitet war. Diese waren eher schmal und elegant gebaut, wo diese hier vor Kraft zu strotzen schienen.
»Wer bist du?«, fragte er, erhielt jedoch keine Antwort. Wie denn auch? Seit wann kann Stein reden? So musste sich Prinz Sauron mit dem Betrachten der Büste zufriedengeben. An die hatte er sein Herz vergeben. Jeden Tag fand er sich nun in seinem Zufluchtsort ein und mit jedem Augenblick verfiel er immer mehr dem schönen Antlitz, das leblos war. Genauso tot wie der Mensch, die es darstellte.
In dem Moment, in dem Thrór das Buch schließt, beginnt irgendwo in den Tiefen des Erebors eine Glocke zu tönen. »Es ist an der Zeit, dass ihr eure Zimmer aufsucht und zu Bett geht.«
Mehrstimmiges Gemaule und Gemurre folgen seinen Worten. Doch keiner der Zwerglinge beschwert sich über das Ende des Abends. Sogar der freche Frerin bleibt still. Fast wird dem König das Herz schwer, so stumm seine Enkelkinder zu erleben. Aber dann verneigen sie sich zum Abschied vor ihm und seinem Gefährten, und als sie sich wieder aufrichten, tanzen lustige Funken in ihren Augen und um ihre Lippen. Bei Dís scheinen sogar die Zöpfe zu tanzen.
»Ihr Schlingel!«, ruft Thrór aus. »Ich hatte tatsächlich ein schlechtes Gewissen, euch gehen zu lassen!«
Hell lacht Frerin. »So einfach ist das bei dir? Nár hat da ein dickeres Fell.«
»Ich weiß nicht, ich weiß nicht, ich weiß nicht«, murmelt der König. Er hat es sich bereits im Sessel gemütlich gemacht und blättert durch die Seiten des Märchenbuchs. Ohne auf der Suche nach einer bestimmten Geschichte. Einfach nur, um die Finger zu beschäftigen und ohne darüber nachdenken zu müssen, weil er ein so großes Problem zu begrübeln hat, das alles andere in den Hintergrund drängt. »Das Märchen funktioniert nicht«, verkündet er schließlich und zur Bekräftigung seiner Behauptung, schlägt er mit der Faust auf die gepolsterte Armlehne. Der dumpfe Ton klingt genauso unbefriedigend, wie er sich fühlt.
»Das hast du im letzten Jahr auch gesagt«, sagt Nár vom Tisch her, wo er den bediensteten Zwergen leise Anweisungen gegeben hat, die noch vor der Ankunft der Zwerglinge zu erledigen sind. Nun kommt er zum König herüber und legt ihm eine Hand auf die Schulter. Sanft drückt er sie. »Du zweifelst schon wieder, mein Lieber. Das hast du die anderen Jahre bereits und denke nur daran zurück, wie die Märchen geworden sind. Die Kinder lieben sie und ich auch.«
Trotz seiner gedrückten Stimmung muss Thrór lachen. »Ja, insbesondere die besonderen Kapitel, die für kleine Zwerglinge nicht gedacht sind.«
»Ach, tatsächlich?« Nár tut ganz erstaunt. »Ich dachte, es ging um Liebe.«
»Sag es ruhig«, wird er von seinem Gefährten aufgefordert. »Sag ruhig, dass es um das Liebe machen ging, um die körperliche Vereinigung, um das Versinken und sich Fallenlassen.«
Nárs Wangen glühen. Das spürt er sogar in den Händen, mit denen er sie verdeckt. »Du machst mich ganz verlegen.«
Thrór betrachtet seinen Liebsten und er ist ihm nie schöner erschienen. »Schämst du dich meiner Worte?«
Nár lässt die Hände sinken und stemmt sie stattdessen auf die Hüften. »Ich schäme für die Worte eines liebestollen Greises, der glaubt, noch immer wie im Frühling seines Lebens über die Wiesen springen zu können.«
»Ich hätte dich gern in meinem Frühling gekannt.« Neckend neigt der König den Kopf zur Seite und zwinkert verschmitzt zu einem Liebsten auf. »Ich kann dir versichern, dass ich dann nicht über die Wiesen gesprungen wäre. Es gibt besseres, was man im weichen Frühlingsgras machen kann.«
Belustigt funkelt es in Nárs Augen und nur mühsam kann er sein Lachen unterdrücken. »Willst du etwa behaupten, dass du dann mein Blümchen gepflückt hättest? Sei dir gesagt: Ganz Erebor hätte dir dann zusehen können, weil das erste Grün kaum Handbreit hoch ist. Dein Volk würde glauben, dass am helllichten Tag der Mond aufgeht.«
Nun sind es die Wangen des Königs, die rot wie Winteräpfel leuchten. »O je. Ist das wirklich so? Also ich meine das Gras. Im Herbst ist es doch noch so hoch.«
»Willst du jetzt mit mir das Wachstum von Grünzeug erörtern?«
»Das müssen wir leider auf später verschieben«, sagt Thrór augenscheinlich betrübt. »Ich glaube, ich höre die Zwerglinge. Sie werden gleich hier sein.«
Tatsächlich wird Augenblicke später die Tür aufgedrückt und Thorin sowie seine jüngeren Geschwister betreten das Zimmer. »Wir sind schon dahaaa!«, trällert Dís und versinkt in einem eleganten Knicks. »Und wie ich sehe, erwartest du uns bereits.«
Einladend deutet er auf den Kissenberg und die bereitgestellten Schalen und Krüge. »Nehmt Platz, macht es euch gemütlich, dann können wir sogleich beginnen.«
Die Zwerglinge lassen sich das kein zweites Mal sagen. Eilig nehmen sie ihre Plätze wieder ein und Gebäck wird herumgereicht.
Der Herbst begann, wie der Sommer endete: Mit einem berauschenden Farbenspiel in den Wäldern um den langen See bis hin zu den Hängen des Erebors. Die Herbststürme waren noch fern und der Winter nichts als eine Erinnerung. Dies war die Zeit, in der in Thal der alljährliche Jahrmarkt abgehalten wurde. Von nah und Fern kamen die Kaufleute nach Thal. Sie brachten Waren, Nachrichten aus den Landen und hatten die Hoffnung auf gute Verhandlungen. Schwer beladen an Waren, Geldbeuteln und Absprachen für zukünftige Geschäfte reisten sie wieder ab, um Platz für weitere Händler zu machen.
Das Besondere in diesem Jahr war, dass der Fürst von Thal zu einem Fest lud. Mit diesem wollte er die Freundschaft der Völker am und auf dem langen See festigen sowie mit denen aus ferneren Regionen. Dazu hatte er die Elben aus Bruchtal, Lothlorien und dem nahen Düsterwald eingeladen. Die Zwerge aus den Eisenbergen und dem Erebor ebenso wie aus Moria. Der König von Rohan war geladen sowie der Truchsess von Gondor und all die Herrscher der anderen Völker, die mit Thal, Esgaroth und dem Erebor Handel trieben oder es gern wollten. Sogar ein König
Es war ein geschäftiges Treiben auf dem See, das selbst Sauron nicht verborgen blieb und hin und wieder schwamm er zur Wasseroberfläche. Dann beobachtete er die Menschen durch den dünnen Schleier, den das Wasser bildete, doch achtete er stets darauf, von ihnen nicht gesehen zu werden..
Zu dieser Zeit war es, dass Elrond aus Bruchtal mit seinem Gefolge anreiste. Er selbst führte eine Karawane den Weg am Ufer des Sees entlang. Der Großteil der Waren jedoch war auf Flöße und Boote geladen worden, um sie nach Thal zu verschiffen, und es waren derer so viele, dass es am Grund des Sees dunkel wurde.
Neugierig, was dem Meeresvolk das Licht genommen hatte, eilte Sauron an die Wasseroberfläche. Doch wo die Sonne durch das Wasser schimmern sollte, sah er nur die vielen Kiele der Schiffe. Zwischen ihnen war kaum genug Raum für die Ruder, die manche Boote benötigten. Trotzdem versuchte er immer wieder, einen Blick auf die Menschen zu erhaschen.
Und dann entdeckte er ihn. Sauron erkannte ihn sofort und das Herz wollte ihm versagen. Wunderschön war er, wie er im Bug des ersten Schiffes stand. Die Haare waren auch jetzt zu einem Zopf zusammengenommen, doch hatte der Wind Strähnen herausgelöst, die nun so golden wie das Sonnenlicht gleißten. Seine Wangen waren gerötet, die Augen so blau wie der Himmel und von den Lippen klang ein Lachen, das Sauron dazu verleiten wollte mit einzustimmen. Der Mann dort oben auf dem Boot war so lebendig, wie Sauron sich in dem Moment fühlte.
Gerade wendete er den Kopf, rief den Menschen hinter ihm etwas zu, bevor er nach vorn deutete. Dorthin, wohin die Schiffe sie trugen. »Dort oben, in der Festung über Thal werden wir bald tanzen!«, rief er. »In drei Tagen werden wir dort musizieren und die alten Lieder singen.«
»Und ein Lied auf dich, edler Glorfindel, und den guten roten Wein«, setzte ein Mann gutgelaunt hinzu. »Aber bis dahin ist es noch lang hin. Zuerst müssen Waren in Esgaroth gelöscht werden. «
Wieder lachte der Mann mit den goldfarbenen Haaren. Glorfindel, verbesserte sich Sauron, und unwillkürlich lachte auch er. Welch ein schöner Name!
Aber ... Er gestattete es sich nicht, weiterzudenken. Dieser Mann wird ein Traum bleiben. Hoffnung war hier vergebens.
Langsam ließ sich Sauron in die Tiefen des Sees zurücksinken, während die Schiffe und Boote über ihm vorbeizogen. Trauer füllte sein Herz, wo zuvor nur Freude war und das Erstaunen darüber, dass es diesen Mann gab. »Glorfindel«, flüsterte er, spürte das Wort auf der Zunge. Mit einem Seufzen wehte es davon.
»Das hast du schön gesagt«, flüstert Dís. Sie scheint ganz hingerissen, lehnt in ihrem Nest und guckt verträumt.
Sauron kehrte in sein Versteck zurück. Er berührte die Büste und fühlte sich enttäuscht. Nun, wo er das lebendige Exemplar gesehen hatte, konnte er sich mit dem Abbild nicht zufriedengeben. »Ach, hätte ich dich doch nie gefunden!«, rief er aus und schlug gegen die Büste. Mit Schrecken beobachtete er, wie sie von ihrem Sockel stürzte. Tatenlos musste er mit ansehen, wie sie auf einem Korallenvorsprung aufkam. Unter einer Wolke aus Korallenstaub sank sie schließlich in den Sand hinab.
Sauron wartete, bis sich der Staub gesetzt hatte, bevor er zur Büste eilte und mit Verzweiflung feststellen musste, dass sich der Kopf gelöst hatte. An der schmalsten Stelle, dem Hals, war sie auseinandergebrochen.
Hilflos sah er auf das Desaster. Was sollte er nun tun?
»Zusammenkleben«, wirft Frerin wenig hilfreich ein.
»Im Wasser hält kein Birkenpech oder was man dazu nimmt. Es löst sich auf und das Teil fällt wieder auseinander.«
»Woher willst du wissen, dass sich Birkenpech auflöst? Und ich glaube nicht, dass er ein schwarzes Zeug auf Marmor geschmiert hätte.«
Thrór verdreht die Augen. Seine beiden Besserwisser. Er liebt sie, aber manchmal sind sie anstrengender als ein gewisser Elbenkönig.
Saurons Blick fiel auf den Tangwald. Dunkel und drohend erhob er sich unweit seines Versteckes. Die alten Geschichten kamen ihm wieder in den Sinn und er fragte sich, ob in ihnen vielleicht doch ein Körnchen Wahrheit verborgen sein könnte. Womöglich könnte der Zauberer ihm mit einem Trank die Erinnerung an Glorfindel nehmen und damit auch das schmerzende Herz und die unerfüllbare Hoffnung, den Mann wiederzusehen.
Nach einem letzten Blick auf das steinerne Antlitz näherte sich Sauron dem Wald, glitt an den dicken Stämmen vorbei, in deren Blattwerk schwarze Seeigel hingen. Immer tiefer drang er vor und immer mehr schwand die Helligkeit, bis es nur noch ein schwacher Schimmer war.
Er wusste nicht, wie lange er unterwegs war, als er glaubte, zwischen dem Tang ein Licht zu erkennen. Eilig hielt er darauf zu. Tatsächlich wurde es dort heller und schließlich gelangte er auf eine Lichtung, in deren Mitte sich ein Haus erhob. Die Wände waren aus dem weißen Skelett von Korallen, das Dach aus schwarzen Muscheln. Ein Zaun aus Treibholz umgab das Haus und den kleinen Garten, der davor angelegt worden war.
»Seid herzlich willkommen, Prinz Sauron«, wurde er begrüßt.
»Ihr kennt mich?«, fragte er und schwamm langsam näher. Dabei betrachtete er den Meermann, der soeben vor den Eingang schwamm. Dessen weißes Haar umfloss seinen Körper wie eine Toga und reichte ihm bis auf die Rückenflosse hinab. Seine Augen lagen tief in den Höhlen und sein Erscheinen wirkte schmal, ja, geradezu ausgemergelt. Aber Sauron ließ sich davon nicht täuschen, denn seine Augen sahen ihm aufmerksam und wachsam entgegen.
Der Alte lachte und es klang höhnisch. »Wer kennt nicht den jungen Prinzen Sauron? Gehütet vom König und der Königin wie ein Augapfel. Das Herzallerliebste des Seevolkes. Was führt Euch her? Was ist Euer Begehr?«
»Man erzählt sich von einem Zauberer, der im Tangwald leben soll. Seid Ihr dieser Zauberer?«
»Wenn ich es wäre?« Unbestimmt hob der Alte die Schultern. »Wenn ich es nicht wäre? Was wäre Euer Wunsch an den Zauberer und was könnte ich als einfacher Meermann für Euch tun?«
»Ich benötige einen Trank, der mir eine Erinnerung nimmt«, sagte Sauron nach einem kurzen Zögern. »Wärt Ihr dazu in der Lage? Als Zauberer oder einfacher Mann ist mir einerlei.«
Nachdenklich betrachtete der Alte den jungen Prinzen und kam näher. »Was habt Ihr für einen Handel anzubieten?«
»Schätze, ein Fürstentum ... Ich kann Euch in den Adelsstand erheben«, zählte Sauron auf. »Wenn ich König bin, wärt Ihr mein erster Berater.«
Wieder lachte der Alte. »Was brauch ich Schätze und ein Fürstentum, wenn ich hier alles habe, was ich benötige? Wozu ein Adelstitel, wenn es hier niemanden schert? Und als Berater, wenn Ihr König seid! Seht mich an, Prinz! Ich bin alt. Euer Herr Vater ist gegen mich ein Jungspund. Wenn Ihr König seid, werden nur bleiche Knochen von mir übrig sein.«
»Was verlangt Ihr für diesen Trank?«, wollte Sauron nun seinerseits wissen. »Könnt Ihr ihn überhaupt brauen? Und wie ist eigentlich Euer Name?«
Thrór hebt den Blick und sieht in erwartungsvolle Gesichter. Sogar Nár hat sich etwas vorgeneigt. Und für einen Moment zieht der König in Erwägung, den Abend zu beenden, nur um die bestimmt sehr interessanten Mienenspiele beobachten zu können: Von begierig zu fassungslos und enttäuscht. Aber dann verwirft er den Gedanken eilig wieder, da er nicht gemein sein will. Außerdem möchte er noch einige gemütliche Stunden mit seinem Liebsten verbringen und diese wären hinfällig, sollte Nár unzufrieden mit ihm sein. Nein, ein solches Risiko will Thrór nicht eingehen.
»So viele Fragen auf einmal!«, erwiderte der Alte und kicherte. »Nennt mich Saruman. Und selbstverständlich kann ich den Trank, wenn Ihr es wünscht. Aber wollt Ihr es wirklich? Erinnerungen sind schwierig zu tilgen. Viel ist dabei zu beachten. Angefangen von der Zeit, die Ihr vermissen werdet, bis hin zu den Personen, die Ihr nicht mehr erkennt, die Euch aber gestern noch vorgestellt worden sind. Ihr werdet an Euch zweifeln und alles hinterfragen, was Euch unstimmig erscheint. Und irgendwann werdet Ihr wieder den Weg zu mir finden.«
»Ihr kennt Euch aus«, stellte Sauron fest und sein Entschluss geriet ins Wanken. So vieles hatte er nicht bedacht. »Was würdet Ihr mir raten?«
Einladend deutete Saruman auf den Eingang zur Hütte. »Erzählt mir in Ruhe von Eurem Beweggrund. Erst dann kann ich Euch eine Empfehlung geben.«
Gern nahm Sauron die Einladung an, hoffte er doch nach dem langen Weg auf eine Erfrischung und dass er sich etwas ausruhen kann.
In der Hütte wurde er von einer angenehmen Kühle empfangen. Diwane und große Kissen luden Gäste zum Verweilen ein und auf einem niedrigen Tischchen stand Gebäck bereit.
»Durchgeweichte Kekse?«, fragt Dís leise und schüttelt sich. »Das ist doch dann nur noch ein Brei.«
Still hörte Saruman zu, nickte hin und wieder verstehend und schwieg auch einige Zeit, nachdem Sauron verstummt war.
»Wenn Ihr es wünscht, Prinz, könntet Ihr dem Mann von Auge zu Auge begegnen«, sagte er schließlich. Dabei schien er jedes Wort abzuwägen, so bedacht sprach er.
»Wie sollte das möglich sein?«, verlangte Sauron zu wissen. »Es ist dem Meervolk verboten, sich den Menschen zu zeigen.«
Nachsichtig lächelte Saruman. »Ihr dürft Euch ihm nicht als Angehöriger des Meervolks zu erkennen geben.«
Sauron war verwirrt. »Wie sollte das möglich sein? Er würde kaum mehr als mein Gesicht sehen, bestenfalls noch die Schultern, weil ich die Kiemen verbergen muss.« Dabei strich er über die drei Kiemenschlitze auf beiden Seiten seines Körpers. »Er wüsste sofort, dass ich etwas vor ihm verberge und würde versuchen, mich zu fangen.«
»Ihr könntet ihn beim Fest aufsuchen und mit ihm tanzen.« Sarumans Stimme war weich und lockend. Sie sprach von Verlockungen, ohne sie in Worte zu fassen.
»Tanzen«, flüsterte Sauron. »Dazu bräuchte man Beine und Füße mit ...« Er konnte sich an das Wort nicht erinnern.
»Zehen«, half Saruman aus. »Ihr würdet auf zwei Beinen und auf Füßen zu dem Fest gehen können und tanzen.«
Welch ein berauschender Gedanke! Sauron war hin und her gerissen. Er hatte seine Zweifel, dass der Mann es ehrlich mit ihm meinte. »Wenn Ihr dazu in der Lage seid, warum lebt Ihr dann nicht selbst dort oben?«
Ein weiteres Mal lachte Saruman. »Tatsächlich tue ich das zu manchen Zeiten. Aber meine Heimat ist hier. Ein Fisch kann halt nicht lange auf dem Trockenen überleben.«
Das stimmte wohl, wie Sauron zustimmen musste. »Was verlangt Ihr für einen solchen Zauber?«
»Das, Prinz, sage ich Euch, wenn Ihr meinen Dienst in Anspruch zu nehmen wünscht.« Saruman wirkte zufrieden, wie er sich auf seinem Diwan zurücklehnte. »Nun kehrt nach Haus zurück, aber Ihr dürft niemandem von unserem Treffen berichten. Wenn Ihr es doch tut, wird Euch und Euren Lieben ein Unglück ereilen, das Ihr Euch nicht ausmalen möchtet. Zudem würdet Ihr den Weg zu mir und mich selbst nicht wiederfinden.«
Sauron versprach es, denn so, wie er zuvor nicht an die Geschichten über den Zauberer im Tangwald geglaubt hatte, so sehr vertraute und fürchtete er nun dessen Zauber.
Innerhalb weniger Augenblicke fand er sich vor seinem Versteck wieder und das Zusammentreffen mit Saruman fühlte sich an wie ein Traum. Aber er wusste, dass es das nicht war.
Vor der zerborstenen Büste setzte er sich in den weichen Sand, berührte den unnachgiebigen Stein und legte sogar seinen Mund auf die harten Lippen, die so weich wirkten. Zu gern hätte er die echten geküsst und nun mit dem verlockenden Angebot, wäre es ihm möglich. Aber er hegte tiefe Zweifel und die wollten sich nicht so einfach abschütteln, wie er es sich erhoffte.
Es war schwierig, eine Entscheidung zu finden, und daher wollte er einen weiteren Blick auf Glorfindel werfen. Ihn zu sehen, sollte ihm entweder genügen oder das Angebot annehmen lassen. So dachte Sauron. Aber als er sich auf den Weg zur Oberfläche machte, bemerkte er, dass der See aufgewühlt war. Ein Sturm peitschte das Wasser, warf hohe Wellen auf und schuf tiefe Täler. Sollte das etwa bereits einer der gefürchteten Herbststürme sein? So früh im Jahr?
Trümmer eines Schiffes kamen Sauron entgegen und sogar ein Mensch, der gekleidet war wie Glorfindel und Sorge schnürte seinen Hals zusammen. Nein, es war nicht der Goldhaarige, sondern der gutgelaunte Mann, der ein Lied auf ihn singen wollte. Nun konnte er es nicht mehr und auch keinen Wein trinken. Aber es musste Glorfindels Schiff sein, das verunglückt war.
Eilig schwamm Sauron weiter, durchbrach die Wasserfläche und atmete plötzlich Luft. Ein seltsames und unangenehmes Gefühl, als wären seine Kiemen verklebt. Trotzdem nahm er sich die Zeit, sich umzusehen. Holz wurde vom Wind an ihm vorbeigetrieben, verfehlte ihn nur knapp. Männer saßen in einem Boot, das im Sturm mehr einer Nusschale glich, und ruderten auf etwas zu, das in einem Wellental verschwand. Gleich darauf wurde es angehoben und Sauron erkannte Glorfindel, der leblos auf dem Wasser trieb. Aber vor seinen Augen versank er dann wirklich. Erschrocken riefen die Männer nach ihm, doch wagte es keiner, in die aufgewühlten Fluten zu springen.
Aber Sauron tat es und tauchte Glorfindel hinterher.
In den Tiefen des Erebors verkündet der Glockenschlag einer Uhr, dass es für Zwerglinge an der Zeit ist, ihre Zimmer aufzusuchen und sich schlafen zu legen. Für einige Sekunden hält Thrór tatsächlich die Luft an und auch seine jungen Gäste. Erwartung liegt in der Luft. Er kann sie spüren, die Fragen und die Hoffnung. »Wird er etwas sagen? Hat er die Glocke gehört? Wird er einfach weiterlesen oder das Buch schließen? Was wird geschehen?« Und dann geht ein Seufzen durch den Raum, als er sich räuspert und erzählt.
Sauron packte Glorfindel unter den Armen, hatte das schöne Gesicht dicht vor Augen und durfte es sich doch nicht besehen. Auch wenn der Mann tot war, wollte er ihn nicht den Tiefen überlassen. Dort oben, wo der Wind tobte, war seine Welt. Dorthin gehörte er und seine Liebsten sollten dort um ihn trauern. Er selbst sah sich nur als minderwertigen Ersatz, das Leben eines Fremden zu besingen. Und er befürchtete, wenn er ihn nun zu lange hielt, würde er ihn nicht zurückbringen können.
Doch plötzlich ging ein Beben durch den Körper in seinen Armen. Schmerzhaft krallten sich Hände in sein Fleisch, als wollten sie es ihm von den Knochen reißen. Luftblasen glitten an ihm vorbei und als er den Blick senkte, sah er in weit aufgerissene Augen.
Trotz der Schmerzen verstärkte Sauron seine Anstrengungen. Seine Flossen ließen eine Bahn aus Wirbeln entstehen. Er musste aber auch den Trümmern ausweichen und den sich windenden Körper halten. Ein schwieriges Unterfangen.
Endlich hatte er die Wasseroberfläche wieder erreicht und nach einem kurzen Blick entdeckte er ein großes Stück Holz. An gezackten Planken und gebrochenen Sparren vorbei hievte er den Menschen hoch. Nach einem weiteren Blick setzte er sich neben ihm und prüfte, ob Leben in ihm war. Nichts. Plötzlich krümmte sich Glorfindel, rollte auf die Seite und Sauron musste ihn halten, damit er nicht wieder ins Wasser stürzt. Husten erschütterte den Körper und keuchend versuchte er, Luft einzuatmen, nur um wiederum zu husten. Eine gefühlte Unendlichkeit saß Sauron auf dem rissigen Holz, hatte selbst mit seinem Atem zu kämpfen, aber litt mit Glorfindel mit. Jede krampfartige Erschütterung der breiten Schultern schmerzte ihn und er fühlte sich hilflos.
Dann endlich konnte Glorfindel leichter atmen und er sah zu Sauron auf. »Ich danke dir«, flüsterte er heiser und erschöpft. »Du hast mir das Leben gerettet.« Seine Lider sanken herab und Sauron erkannte, dass er schlief.
Nun schließt Thrór das Buch. Ganz leise und trotzdem zucken seine Gäste überrascht zusammen. »Es ist an der Zeit«, sagt er. »Die Amme wird gleich vor der Tür stehen und mir die Ohren langziehen, weil ihr so lange munter seid.«
Thorin rutscht eine Augenbraue nach oben. Thrór sieht es deutlich und auch den Spott, mit dem er seine Geschwister bedenkt. »Du brauchst Dís und Frín gar nicht so ansehen, kleiner Prinz. Glaubst du etwa, du wärst der Fürsorge der Amme entwachsen?«, wird er vom König zurechtgewiesen, während Frerín sich streckt und Dís hinter vorgehaltener Hand gähnt.
»Nun eilt euch«, werden sie auch von Nár angetrieben. »Sonst dürft ihr morgen nicht mehr kommen.«
So schnell waren die Zwerglinge noch nie aus der Tür hinaus, wie an diesem Abend.
Die Zwerglinge haben es eilig und bereits ihre Plätze auf dem Kissenberg eingenommen. Thorin schiebt sich noch ein Kissen in den Nacken und langt nach einer Gebäckschale, die ihm von einem Bediensteten gereicht wird. Mit einem breiten Grinsen, das keineswegs dazu geeignet ist, seine Zufriedenheit zu verbergen, nimmt er sie entgegen. Dass er vor lauter Glücklichsein den Dank vergisst, scheint der dienstbare Zwerg ihm zu verzeihen. Ist doch das Lachen des jungen Zwergs so ansteckend, dass sich niemand dem entziehen kann.
Tatsächlich niemand? Nun, zumindest kaum jemand. Nár wirft ihm einen scharfen Blick zu, woraufhin Thorin ertappt seinen senkt und ein leises Danke murmelt.
Der Gefährte des Königs unter dem Berg lächelt und wendet sich den beiden Zwergen zu, die nur wenige Winter älter sein können als Thorin. »Habt Dank für eure Hilfe. Ohne euch wären unsere Abende nicht das, was sie sind.«
»Wir müssten dann alles selbst machen!«, ruft Frerín und trotz vollem Mund und Kekskrümel grinst er breit.
Während Thrór die vorlaute Frechheit des blonden Zwergenprinzen überhört und den gewürzten Wein genießt, kann es Nár nicht. Ein weiterer scharfer Blick trifft auf einen, der beschämt gesenkt wird und ein genuscheltes »Verzeiht« folgt.
Mit dem Erfolg der stummen Interaktion zufrieden, wendet sich Nár den Zwergen wieder zu, die keineswegs den Anschein machen, als würden sie das Gemach verlassen wollen.
»Verzeiht, Herr Nár«, beginnt der eine, den Nár als Goran kennt, nach einer höflichen Verbeugung. »Wir hätten eine Bitte an Euch und den König und die Hoheiten.«
Nun hat er das Interesse aller Angesprochenen und es ist deutlich zu merken, wie sich sein Mut, den Gefährten des Königs anzusprechen, wie Morgennebel im Sonnenschein aufgelöst hat.
»Nun?« Thrór hat den Becher zur Seite gestellt und erhebt sich aus dem Sessel mit einem unköniglichen Ächzen. »Was wünscht ihr, Herr Goran und Herr Boran aus dem Hause Ran? «
Unwillkürlich sind die Zwerge einen Schritt zurückgewichen. »Ihr kennt uns, Herr?«, fragt Goran ganz überrascht und erfreut und scheint sein Anliegen vergessen zu haben.
»Wer kennt nicht Ran? In den Hallen spricht man nur mit Wohlwollen und Hochachtung von ihm und wir bedauern, dass Aule ihn zu sich befohlen hat. Jeden Morgen war er der erste auf den Beinen und hatte die Feuer geschürt. Egal, ob nun im Herd oder der alten Esse, an der die besten Schmiede des Berges arbeiten. Auch ich habe von dem guten Ran profitiert. Sobald ich den Thronsaal betrat, war es angenehm und ich fror nicht mehr an diesem vermaledeiten Steinstuhl fest.«
»Thrór!«, wird er von Nár sanft zurechtgewiesen.
Der König schüttelt das Haupt. »Na ist doch wahr! Meine Ahnen hatten entweder einen Glutkessel unterm Thron versteckt oder ihre Är...Allerwertesten waren so gut gepolstert, dass sie die Kälte nicht spürten.«
Dís kichert. »Du könntest dir ein Kissen geben lassen.«
»Das könnte ich durchaus«, gab Thrór nach kurzem Zögern zu. »Aber dann würde ich nicht Ran so sehr vermissen, wie ich es zur Zeit tue. Der Berg ist verflucht eisig diesen Winter.«
Nár sieht ihn mit erhobener Augenbraue an. »Wenn du nichts sagst, kann ich dich nicht daran erinnern. Und hinterhertragen werde ich dir ein Kissen ganz bestimmt nicht.«
»Ich ...«, beginnt der König. Aber dann ist ein leiser Ton zu vernehmen, der nicht aus der Richtung des Kissenbergs kommt und verdächtig wie ein unterdrücktes Kichern klingt. »Nun?«, fragt Thrór ein weiteres Mal und lenkt seine Aufmerksamkeit wieder auf die beiden Zwerge. Jetzt ist er wieder ganz der König, auch wenn er Hausmantel und Pantoffeln trägt. »Was ist euer Wunsch oder Bitte oder ... wie auch immer.«
Goran verneigt sich ein weiteres Mal und Boran folgt seinem Beispiel. »Herr, wir hatten in den vergangenen Jahren hin und wieder einige kurze Einblicke in Eure Märchenabende erleben dürfen und die Geschichten, die Ihr erzählt habt, haben uns tief berührt.« Als müsste ich sich der Anwesenheit und des Rückhalts seines Bruders versichern, blickt er über die Schulter zu ihm. Nur kurz, aber lange genug, um den Mut aufzubringen, den Damm einzureißen, der seine Bitte bisher zurückgehalten hat. »Gestattet uns, dem heutigen Abend beizuwohnen und Ihnen zu lauschen.«
»Wir würden uns in die hinterste Ecke setzen, dorthin, wo kein Feuerschein fällt. Ihr würdet uns überhaupt nicht bemerken«, setzt Boran eilig hinzu.
»Nun.« Nachdenklich schiebt Thrór die Unterlippe vor, die Stirn grüblerisch gekraust. Er blickt zu Nár, der ihn gespannt beobachtet, dann zu den Zwerglingen, die ganz still sind, und schließlich zu den dienstbaren Zwergen. »Ich fürchte, ihr habt Pech, Söhne von Ran. Ich lasse nicht zu, dass uns irgendwer in dunklen Ecken belauscht«, sagt er. Hinter ihm ist ein erschrockener Laut zu hören und Nár neben ihm grummelt etwas von einem halsstarrigen und verbohrten Zwerg. »Ihr habt es nicht anders verdient, als ...«
»Thrór!«, ruft Nár nun aus und auch die Zwerge sehen ihn erschrocken an.
»... mit uns am Feuer zu sitzen.«
Atemlose Stille. Nur das Knacken der brennenden Scheite und das Schlagen der Feuerzungen im Luftzug des Kamins sind zu hören.
»Du alter Trottel!« Ein harter Schlag trifft den Arm des Königs. »Wie kannst du uns so einen Schrecken einjagen? Sieh dir nur an, was du angerichtet hast!« Dabei deutet er auf Goran und Boran und auf die Zwerglinge. Frerín und Thorin wirken, als wüssten sie nicht, was nun Scherz und was Ernst ist und Dís Wangen glänzen nass von Tränen.
Leise schnieft sie und wischt sich über das Gesicht. Sofort ist Thrór bei ihr, schließt sie in die Arme, murmelt beruhigende Worte. »Das war doch nur ein Scherz, meine kleine Dís. Ich würde doch niemanden vor die Tür setzen, wenn er Märchen mag und so herzensgute Zwerge Erstrecht nicht.« Dabei streichelt er ihr über den Kopf, ihre Schultern und auch über die traurig herabhängenden Zöpfe.
»Du hast mir Angst gemacht«, flüstert sie in seinen weichen Fellkragen. »So kenne ich dich nicht und will dich auch nie wieder so reden hören.«
»Wie mein Schatz befiehlt«, sagt er und blickt zu den Prinzen. Um Thorins Lippen zuckt es verräterisch, als wüsste er nicht, ob er lachen soll, weil der Scherz so gut gelungen ist. Trotzdem ist ihm die Erschütterung anzusehen, aber mehr noch bei Frerín. »Versprichst du es?«, hakt er nach, muss sich dessen versichern.
Thrór streicht ihm durch die Locken, die noch immer so weich wie die eines kleinen Zwerglings sind. »Ich verspreche es.«
»Das ist auch gut so!«, schimpft Nár und packt mit an, um zwei weitere schwere Stühle zum Kamin zu tragen, wo sie den Halbkreis um den Berg vervollständigen. »Mach nochmal so einen Blödsinn und wir sind geschiedene Leute. König hin, König her.« Dann sieht er die Bediensteten an und hebt einen Zeigefinger. »Bedenkt: Was hier gesprochen wird, bleibt in diesen Räumen.« Eiliges Nicken folgt seiner Ermahnung und zufrieden blickt er in die Runde. »Wenn nun alles bereit ist, können wir beginnen.«
Sauron hatte den bewusstlosen Glorfindel auf dem Holz in Sicherheit gebracht. Dorthin, wo er Menschen wusste, die ihn am Strand würden finden können. Soweit es ihm möglich war, hatte er ihn auf den Sand geschoben, der sich seltsam hart anfühlte. Nicht so weich, wie am Meeresgrund. Das Atmen fiel ihm unsagbar schwer und auch sein Körper fühlte sich bleiern und ungelenk an. Trotzdem blieb Sauron lange dort sitzen. So lange der Sturm tobte, würde sich kein Mensch an das Wasser wagen. Das ahnte er. So hatte er Zeit, den Bewusstlosen zu betrachten, und schließlich wagte er es sogar, einen Kuss auf die Lippen zu hauchen. Sie waren kalt wie der Stein, aber weich und ihnen entkam ein warmer Hauch, der ihn nach mehr verlangen ließ. Schon wollte er sich einen weiteren Kuss stehlen, als er in blaue Augen sah, die ruhig seinem Blick begegneten.
»Wer bist du?«, hörte Sauron Glorfindel fragen. Aber da war noch etwas anderes, was er über das Rauschen und Brausen von Wind und Wasser vernahm. Es waren Stimmen, die sich näherten.
Er sah in die Richtung, aus der sie kamen, konnte jedoch niemanden entdecken.
»Sag mir, wer du bist?«, forderte Glorfindel und als Sauron den Blick zu ihm senkte, sah er mehr in dem Blau der Augen. Faszination und Interesse. »Du bist schön, geheimnisvoller Mann. Mein Retter. Wie kann ich dir danken?«
Sauron versuchte, auf die Fragen zu antworten, doch brachte er keinen Ton heraus. Seine Kehle war für das Sprechen in der Luft nicht gemacht und verzweifelt schüttelte er den Kopf.
Inzwischen klangen die Stimmen näher oder es war der Wind, der sie zu Sauron trug. Aber sie mahnten ihn zur Eile, doch wollte er den Menschen nicht einfach so zurücklassen. Gern wollte er ihm etwas geben. Zur Erinnerung. In erster Linie jedoch für sich selbst. Daher nutzte er die Gunst des Augenblicks und stahl sich einen weiteren Kuss. Zumindest wollte er es, aber war seine Absicht hinfällig, als er die Lippen des Mannes berührte. Warm und voller Leben waren sie nun und der Atem kraftvoll, der auf seine Haut traf. Er konnte sich dem nicht entziehen und spürte kaum die Hand, die in sein Haar griff. Erst, als sich eine Zunge in seinen Mund ...
»Ihhh!«, macht Frerín und verzieht das Gesicht. »Können wir nicht den ganzen Schmalz überspringen? Er verliebt sich unsterblich – richtig märchenmäßig ...«
Dís winkt in Freríns Richtung ab. »Lass dich von ihm nicht zurückhalten, Großvater. Frin hat keine Ahnung, was Romantik ist.«
Sauron wurde in einen Strudel gerissen. Sein Herz war angefüllt mit einem Gefühl der Wärme und der Aussicht auf die Erfüllung vieler Versprechen. Wie gern hätte er dem zugestimmt! Doch die Stimmen waren nun nah und wie ihm immer wieder gesagt worden war, darf er sich den Menschen nicht zeigen. Nach einem letzten Blick auf Glorfindel, der sich den Rufen zugewandt hatte, glitt Sauron in das Wasser zurück. Fort von dem Menschen, der schon jetzt sein Herz in den Händen hielt, ohne es zu wissen.
Er verbarg sich hinter einem Felsen, der aus dem Wasser ragte und beobachtete die Männer, die auf Glorfindel zueilten. »Was ist geschehen?«, hörte er. »Wir glaubten Euch auf dem Schiff.«
Glorfindel war in Sicherheit. Dessen hatte sich Sauron versichern wollen. Der Mensch würde leben und mehr musste Sauron nicht wissen. Er wandte sich ab und ließ sich in die Tiefen sinken. Aber da war ein Gedanke, der ihm kam. Zuerst nur wie ein Funke, loderte er bald hoch wie ein Feuer und setzte ihn in Brand.
»Schon wieder zurück, Prinzchen?«, wurde er wenig später von Saruman begrüßt.
»Macht, dass ich laufen kann«, forderte Sauron.
Für einige Augenblicke sah Saruman ihn nur an. »Es hat seinen Preis«, erinnerte er ihn.
»Der Preis ist mir einerlei. Ich zahle ihn, egal wie hoch er ist. Auch wenn Ihr mein Leben verlangen solltet«, erwiderte Sauron.
»Euer Leben, Prinz. Ein hoher Preis. Aber ob er gezahlt werden muss, entscheidet Ihr selbst.«
Langsam kam Saruman auf Sauron zu und unwillkürlich wollte er zurückweichen. Da war etwas in diesen Augen, das ihm einen eisigen Schauer bereitete. Etwas Lauerndes. Aber er nahm all seinen Mut zusammen und sagte: »Ich will morgen tanzen. Ich will an Glorfindels Seite stehen. Sagt mir nur, was Ihr dafür verlangt, es soll Euch gehören.«
Aus der Tasche an seiner Seite zog Saruman ein Pergament heraus und entfaltete es, während er sprach: »Der Zauber ist kostbar, aber ich verlange nicht viel für ihn. Wenn Ihr die Abmachung einhaltet, ist sie für Euch sogar kostenlos.«
»Zeigt her!«, rief Sauron und streckte die Hand nach dem Pergament aus. »Lasst mich die Bedingungen sehen.«
Saruman jedoch barg es an seiner Brust, wie eine Kostbarkeit. »Ich benötige etwas von Euch als Pfand, das nur Euch gehört. Ihr werdet es zurück erhaltet, sobald die Sonne ihren Weg vollendet hat. Einen ganzen Tag, an dem Ihr mit Eurem Angebeteten schäkern und tanzen könnt, wie es Euch gefällt.«
Ein ganzer Tag! Welch eine Verführung! Die Erfüllung all seiner Wünsche hielt der weißhaarige Meermann in den Händen. Trotzdem zögerte Sauron. »An was habt Ihr als Pfand gedacht?«
Saruman streckte eine Hand aus und berührte eine einzelne Strähne von Saurons Haar. »Euer Haar ist so schwarz wie meines weiß. Ein Zeichen der Jugend, das ich gern tragen würde, vor allem, da es so wunderbar weich ist. Dazu Eure süße Stimme.«
Sauron erinnerte sich daran, dass er über dem Wasser keinen Ton hatte herausbringen können. Es wäre kein allzu großes Opfer, darauf verzichten zu müssen. Aber sein Haar ... »Ich kann nicht haarlos vor ihn treten!«, wandte er ein.
Thorín schnauft amüsiert. »Typisch Elb. Egal, welchen Weg sie einschlagen, auf ihre Haarpracht werden sie wohl nie verzichten.«
Von Nár und Frerín ist leises Lachen zu hören.
»Ich möchte auch nicht auf meine Haarpracht verzichten«, erklärt Dís und nickt bedeutungsvoll. »Ihr Männer kommt mit einer Glatze zurecht«, sagt sie und blickt in die Runde, »aber für mich wäre es ein Schicksal, schlimmer als der Tod.«
So auf die Vergänglichkeit der fülligen Haartracht angesprochen, schwindet schnell die Heiterkeit, und der König fühlt sich genötigt, ein gutes Wort einzulegen: »Wir können uns glücklich schätzen, dass in unserem Hause ein solches Leiden nicht zu finden ist.«
»Hört, hört«, murmelt Nár, während Thorin und Frerín über die Aussicht, ihre Lockenpracht nicht zu verlieren, erleichtert wirken.
»Ihr müsst Euch wohl mit meinem Haar begnügen müssen«, sagte Saruman entschuldigend, aber es lag keine Abbitte in seinem Blick. »Wenn am Morgen der erste Sonnenstrahl auf das Wasser trifft, beginnt unser Pakt und endet mit dem Ausklingen der Nacht. In diesem Augenblick werdet Ihr zurückerhalten, was Euer ist – vorausgesetzt, Ihr seid im See. Seid Ihr das nicht, werdet ihr sterben.« Mit diesen Worten reichte er Sauron das Pergament, der die Zeilen überflog. Auch nach mehrmaligem Lesen fand er keinen Fehler darin.
»Er soll keine Fehler suchen«, grummelt Frerín. »Er soll gucken, ob der A...Zauberer ihn übers Ohr haut.«
»Unterzeichnet das Schreiben«, drängte Saruman, »und der Zauber gehört Euch.«
»So einfach?«, wunderte sich Sauron und hielt nach einer Feder Ausschau. Doch entdeckte er nichts, womit er hätte sein Zeichen machen können. Plötzlich verspürte er im Finger einen brennenden Schmerz und erschrocken sah er auf das Blut, das Schlieren im Wasser zog.
»Unterzeichnet mit Eurem Blut, Prinz Sauron«, flüsterte Saruman.
Ohne weiteres Zögern presste Sauron den blutenden Finger auf das Pergament und es war, als ginge ein Schauer durch seinen Körper.
»Findet Euch mit dem ersten Sonnenstrahl am Strand ein, dort, wo Ihr Euren Angebeteten verlassen habt«, wies Saruman ihn an. »Und kommt dorthin, wenn es Zeit ist, zurückzukehren. Wenn nicht, wird es Euer Tod sein.«
»Wie wird der Zauber vollendet?«, verlangte Sauron zu wissen. »Gebt Ihr mir einen Trank oder ein Amulett?«
Saruman faltete das Dokument und schob es wieder in seine Tasche. »Es ist nichts davon von Nöten. Noch heute werde ich den Zauber wirken und am Morgen wird er seine Kraft entfalten. Auch ein weiteres Treffen ist nicht notwendig.«
Unsicher, wie er sich verhalten sollte, neigte er den Kopf. »Habt Dank, Herr Saruman«, sagte er steif und formell, »ich werde pünktlich am Strand sein.«
Der König unter dem Berg schlägt das Märchenbuch zu – und Stille herrscht. Für einige Augenblicke.
»Das ist nicht akzeptabel!«, ruft Dís. »Wie kannst du nur?«
»Du willst uns nun bis Morgen hängen lassen?«, will Frerín wissen.
Thorín bleibt ruhig und verdreht die Augen. »Ihr kennt das Märchen und wisst, wie es ausgeht«, erinnert er seine Geschwister, woraufhin Dís unglücklich eine Schnute zieht.
»Ja. Tod und Verderben.«
Frerín nickt bekräftigend und wirkt genauso betrübt.
Prüfend blickt Thorín den König an. Dann zuckt er mit einer Schulter und nimmt einen Schluck aus seinem Becher. »Ich lass mich überraschen. Und falls ihr es noch nicht mitbekommen habt: Wir haben gerade erst die Hälfte des Märchens erreicht«, setzt er mit einem Augenzwinkern hinzu.
Daraufhin geht ein Leuchten über die Gesichter der beiden Zwerglinge, die, wie Thrór feststellt, heller strahlen als das Feuer im Kamin.
»Ich hoffe, ihr seid morgen wieder zur Märchenstunde hier, Goran und Boran«, wendet er sich an die beiden dienstbaren Zwerge. Die hatten soeben Anstalten gemacht, die schweren Stühle an ihre Plätze zu bringen. Nun rückten sie sie freudestrahlend wieder zurecht.
»Sehr gern, Herr«, sagte Boran geradezu ehrfürchtig.
»Thrór, mein Liebster! Das Frühjahr ist vorbei. Bald beginnt die Erntezeit«, sagt Nár und klopft mit den Fingerspitzen seiner Hand auf der Tischplatte, während er sich mit der anderen den Bierkrug an die Lippen hebt. Kühl und angenehm perlt es über seine Zunge.
Der König unter dem Berg, Erbe von Durins Thron und Herrscher über das Zwergenreich des Erebors verzieht den Mund unwillig. »Was willst du mir damit sagen? Dass das Jahr voranschreitet und bald wieder Winter sein wird? Dass das Märchen noch nicht zu Ende ist? Das weiß ich selbst.«
Der Krug wird hart abgesetzt und etwas von der goldfarbenen Flüssigkeit schwappt über den Rand. »Giftzwerg«, zischt Nár. »Die Zwerglinge gehen dir aus dem Weg, weil sie wissen, dass du viel zu tun hast. Sie wollen dich nicht drängen. Aber du brauchst auch einige Abende Ruhe und ich weiß, wie sehr dich das Erzählen entspannt.« Nár ergreift die Hand seines Liebsten, hält sie fest. »Denk einmal auch an dich und nicht nur an andere.«
Ein freudloses Lächeln huscht um Thrórs Lippen. »In einem Moment mahnst du mich zum Erzählen und im nächsten, an mich zu denken ...«
Nár verstärkt den Griff um Thrors Hand. »Es geht um dich. Um dich allein.«
Thrór entzieht Nár seine Hand, schiebt seinen Stuhl zurück und erhebt sich. Er rafft den Hausmantel über seiner Brust zusammen, als wäre ihm kalt und schreitet zum Kamin hinüber, in dem ein Feuer lodert. Mit einem leisen Seufzen streckt er seine Hände der Wärme entgegen.
Diese simple Geste verrät viel und fordert Nárs Besorgnis.
Ja, im Berg herrscht immer eine gewisse Kälte, die nur im Sommer etwas zurückgedrängt wird. Jedoch vergeht sie nie ganz. Aber ein Zwerg ist Steineskälte gewohnt. Er ist wie der Fels, aus dem Aule das Volk erschaffen hatte und in dem er seine Heimat hat.
Und Ja: Zwerge verehren Kostbarkeiten. Dazu gehören wunderbare Pelze und feine Stoffe, die jeden, der sich in sie kleidet, in Wärme badet, auch wenn er diese nicht benötigt.
Dass die kleine Geste davon zeugt, dass der König friert, macht Nár Angst. Sie kündet von Erschöpfung und – Aule möge seinen Liebsten davor bewahren – von Krankheit.
»Tritt kürzer«, ermahnt Nár den König unter dem Berg. »Lass Geschäfte Geschäfte sein und genieße den Sommer.«
»Das würde ich so gern!« Thrór seufzt tief. »Aber wenn ich tue, was du vorschlägst, wird mich bei meiner Rückkehr ein Chaos erwarten. Thraín wird sich mit den Elben in den Haaren liegen. Die Handelshäuser von Thal und Esgaroth würden unsere Lager für Spottpreise leerkaufen und sie mit unnützem Plunder füllen.«
Nun ist es an Nár, tief zu seufzen. »Du kannst nicht alle Probleme am langen See allein schultern. Gib Pflichten ab.«
»An wen?«
»Balin«, schlägt Nár vor. Doch Thrór winkt ab.
»Er ist nur ein Lehrmeister, wenn auch ein guter. Wie sollte er sich mit den täglichen Pflichten eines Königs auskennen?«
»Nur?« Nár ist verärgert. »An wen kannst du dich immer wenden, wenn es Probleme gibt? Wer hat immer einen Rat, wenn du nicht weiter weißt? Balin war der Lehrmeister deines Sohnes und ist der deiner Enkelkinder. Er hat in Allem Einblick und weiß, wie er mit den Hitzköpfen umzugehen hat.«
»Aber ...«
Nár winkt den Einwurf ab und schreitet zur Tür. Er öffnet sie und blickt auf den Flur hinaus. »Goran, mein Lieber!«, ruft er den dienstbaren Zwerg heran. »Eile und hole Balin. Der König will ihn sehen.«
»Was wird mit den Zwerglingen?«, fragt Thrór, als Nár sich ihm wieder zuwendet. »Wenn Balin sich der Geschäfte widmet, wird er keine Zeit dafür haben, sie zu unterrichten.« Aber seine Augenbrauen heben sich und ein Lächeln, auf das Nár bereits viel zu lange hatte verzichten müssen, erhellt das Gesicht des Zwergenkönigs. »Bestimmt hast du dafür auch eine Lösung.«
»Wie weit noch, Großvater?« Dís schmerzt der Po vom Sattel und ihr Magen verlangt grummelnd nach einer Mahlzeit. Auch die Wiesenblumen, die sie ihrem Pony bei der letzten Rast in die Mähne geflochten hat, können sie nicht ablenken. Ihre Laune wird immer schlechter, je höher die Sonne steigt und je weiter sie den Berg hinaufreiten. Dabei ist es ein bequemer Pfad, den sie nutzen. Zu beiden Seiten stehen hohe Tannen Spalier und Buchen und Eichen beschatten den Weg. Er ist so breit, dass Frerín neben ihr reiten kann, ohne sie anzurempeln. Und wenn doch, dann tut er es mit Absicht. Woher Dís das weiß? Weil seine Augen ganz vergnügt funkeln, wenn sie deswegen mit ihm schimpft. Aber eigentlich will er nur angeben. Wie der König, Nár und Thorin reitet auch er einen Ziegenbock mit gedrehten Hörnern. Wie ein erwachsener Zwerg. Doch im Gegensatz zu den anderen, ist seiner geduldig und versucht nur hin und wieder, vorwärts zu stürmen. Er ist ein prachtvoller Bock, betont Frerín immer wieder und lobt ihn bei jeder Gelegenheit für seinen Sanftmut. Darüber verdreht Dís die Augen. Das Tier ist alt, lahm und will sich nur nicht mehr so richtig bewegen, ist ihre Meinung. Deswegen hatten Großvater und Nár den Bock als Reittier für Frerín ausgewählt.
»Großvater«, ruft sie ein weiteres Mal. »Wie lange noch?«
Wie die anderen Male zuvor, kommt von Nár ein gutmütiges: »Es ist nicht mehr weit.«
»Das sagst du bereits sein Stunden«, meldet sich nun der König selbst zu Wort und dreht sich im Sattel zu seinem Liebsten um. »Wenn wir noch weiter den Berg hinauf reiten, werden wir zum Abendmahl nicht mehr rechtzeitig zurück sein.«
»Ich habe Hunger«, meldet sich nun auch noch Frerín zu Wort und greift in seine Satteltasche. Triumphierend hält er einen Apfel in die Höhe.
»Heb ihn dir lieber für das Abendessen auf«, schlägt Thorin vor. »Du weißt nicht, ob es heute noch etwas zu essen gibt. Oder willst du hungrig schlafen gehen?«
Nár lacht, schüttelt den Kopf und treibt seinen Bock an, um sich an die Spitze der kleinen Reisegruppe zu setzen, die bisher Thrór eingenommen hatte. »Wenn wir weiterhin so herumtrödeln, wird es so sein. Ich bin jedenfalls auch hungrig und das Ziel ist nicht mehr fern. Also hurtig!« Damit treibt er sein Reittier an. Dís folgt ihm. Nur Frerín hat einige Schwierigkeiten, seinen Ziegenbock vom saftigen Gras loszureißen, während er selbst den Apfel isst. Den Schluss der Prozession bilden Thorin und Thrór.
Die Sonne hat den Zenit bereits überschritten, als sie aus dem Wald reiten. Vor ihnen erstreckt sich eine Wiese im Sonnenschein, die sich zur einen Seite erhebt und an einer Felswand endet. Auf der anderen Seite neigt sie sich sanft und öffnet einen Ausblick auf den langen See sowie auf die Stadt Thal und das Felsentor, dem Zugang zum Zwergenreich des Erebors.
Doch vor ihnen, inmitten der sommerlichen Blumenwiese, stehen vier Zelte im Halbkreis. Zwergenzelte, wie die Runen auf den gewachsten Stoffbahnen ihnen verraten. Einladend sind die Eingänge der beiden größeren Zelte geöffnet und geben den Blick auf weiche Felle und Kissen frei, die Dís an jene vor dem königlichen Kamin erinnern.
Auf das nächstgelegene Zelt hält Nár zu, neben dem ein einfacher Holztisch und zwei schlichte Bänke stehen sowie ein Kessel an einem Dreibein über einem kleinen Feuer hängt. Hier zügelt er seinen Ziegenbock.
»Wir sind da!«, ruft er und lässt sich aus dem Sattel gleiten. »Goran! Boran! Wo habt ihr euch versteckt?«
Geklapper von Töpfen und Geschirr ist aus dem Zelt zu vernehmen, im nächsten Moment wird die Plane zurückgeschlagen und Boran tritt heraus. Er wischt sich die Hände an einem Tuch ab, während er grüßend den Kopf neigt. »Herr! Wir haben noch nicht mit Eurer Ankunft gerechnet. Goran ist noch mit einigen Vorbereitungen beschäftigt.« Dabei deutet er auf den Waldrand, wo soeben der Genannte mit einem Arm voll Holz zu sehen ist. »Der Pferch für das Pony und die Böcke steht weiter oben am Hang. Dort ist gutes Gras und eine kleine Quelle entspringt am Fuß der Klippe. Ein kleiner Unterstand ist auch errichtet worden.«
»Das klingt alles sehr zufriedenstellend, mein Lieber.« Nár reibt sich vergnügt die Hände und wirft einen bedeutungsvollen Blick auf die Zwerge, die inzwischen herangekommen waren. »Noch wissen sie nicht, was sie erwartet, aber ich denke, nun ist es an der Zeit, es ihnen zu verraten.«
»Was hast du schon wieder ausgeheckt, Nár?«, verlangt der König unter dem Berg in einem Ton zu wissen, der andere einschüchtert. Aber nicht Nár. Er lässt sich von diesem Brummbären nicht beeindrucken, sondern beobachtet gelassen, wie Thrór und die Zwerglinge von ihren Reittieren absteigen und sich umsehen. Zumindest Dís scheint glücklich, auch wenn es nur wegen der vielen Blumen auf der Wiese ist.
»Ich habe dich, mein Lieber, und deine Enkel aus dem Berg herausgeholt. Nur für einige Tage. Aber diese kannst du genießen und dich ausruhen.«
Freríns Gesicht leuchtet geradezu vor Begeisterung. »Keine Lehrstunden bei Balin!«
Gutmütig schüttelt Nár den Kopf. »Es gibt Aufgaben und Pflichten, die ihr zu erfüllen habt. Wir haben zwar Goran und Boran hier, aber sie werden nicht alles machen können. Ihr werdet sie unterstützen.«
»Arbeiten?« Nun zieht Frerín eine Schnute, die deutlich macht, wie jung der Zwergling noch ist. Tröstend legt Thorin ihm eine Hand auf die Schulter und lächelt ihm aufmunternd zu. »Das wird schon. Besser hier, als in der Studierstube.«
Flaum auf Lippe und Kinn macht aus einem Zwergling noch keinen Zwerg, sagt sich Nár. Und mancher weißhaarige Zwerg ist verspielt wie ein junger. Bei dem Gedanken sieht er seinen Liebsten an, dem das Entzücken ins bärtige Gesicht geschrieben steht.
»Welch ein Vergnügen!«, ruft dieser aus und ergreift seinen Gefährten. Mit ihm im Arm dreht er sich, sodass der schwere Mantel sich hebt und Nár sich kaum noch auf den Beinen halten kann. Atemlos und lachend fallen sie schließlich ins weiche Gras, wo Thorin und Frerín ihnen wieder aufhelfen müssen.
Kichernd klopft sich der König Grashalme vom Mantel. Einen zieht er sich aus dem dichten Bart. »Das erinnert mich an unsere Abende im Heu. Weißt du noch, Liebster, wie es war?«
»Nur zu gut«, erwidert Nár und hofft, dass der König keine Einzelheiten erzählt, die für die Ohren von Zwerglingen nicht geeignet sind. »Goran zeigt Frerín und Thorin wohin sie die Tiere bringen können und wie sie versorgt werden«, setzt er daher eilig hinzu. »Thrór inspiziert die Zelte und kümmert sich um die Satteltaschen und Dís und ich gehen Boran zur Hand.«
Alle scheinen mit Nárs Entscheidung zufrieden, nur Frerín wirkt unzufrieden. Aber er sagt nichts, sondern hilft still, die Tiere von den Taschen und Sätteln zu befreien und sie den Hang hinauf zu führen. Der König unter dem Berg trägt die Satteltaschen in die Zelte und Dís folgt Boran.
Einzig Nár bleibt für einen Moment stehen, lauscht dem Meckern eines Ziegenbocks und Dís leiser Stimme, bevor er sich zu ihr und Boran gesellt.
Hoch flammt das Lagerfeuer. Funken sprühen in den Nachthimmel wie Glühwürmchen. Tanzen in der Luft, bevor sie verglühen.
Satt und zufrieden von einem köstlichen Abendmahl, das Boran mit Hilfe von Dís und Nár bereitet hatte, lehnen sie in den Kissen oder liegen einfach nur bequem auf den Fellen und Decken. Schalen mit kandierten Früchten stehen bereit und auch süßes Gebäck wurde nicht vergessen.
»Dís-Schwesterherz, du solltest immer in der Küche arbeiten«, verkündet Frerín und streichelt seinen Bauch. »Das Abendmahl, das du zubereitet hast, war unübertroffen. So gut habe ich noch nie gegessen.«
Dís zieht die Augenbrauen hoch und reckt ihr Näschen in die Höhe. »Lieb, dass du meine Arbeit zur Kenntnis nimmst. Aber ich habe das Wenigste getan. Das Lob gebührt Boran und Großvater. Und was die Küchenarbeit betrifft: Ich mache sie, wenn du dafür täglich die Ställe ausmistest.«
Sofort hebt der junge Zwergenprinz die Hände. »Das gilt nicht! Die Arbeit in den Ställen ist viel schwerer als die in der Küche! Da muss man Mist schleppen ...«
»Mit Schubkarren«, wirft Thorin keineswegs hilfreich für Frerín ein.
»Und es stinkt wie die Pest.«
Dís verdreht die Augen und winkt ab. »Das Leben eines Stallknechts ist voller Leiden – wie das eines Prinzen. Nur duftet dieser nach Rosen und edlen Seifen aus den großen Handelshäusern ...«
Frerín springt auf und baut sich kämpferisch vor seiner Schwester auf. »Willst du mich veräppeln? Als Prinz trägt man Verantwortung.«
»Als Prinzessin nicht?«, verlangt Dís zu wissen und steht ihrem Bruder in nichts nach. »Ich repräsentiere das Königshaus genau wie du, du Dödel!«
»Ich bin ein Dödel?«
Dís nickt. Kurz und hart. »Du bist ein Dumpfdödel, weil du nicht begreifst, dass jeder seine Arbeit zu machen hat und jede Arbeit ist auf ihre eigene Art wichtig und anspruchsvoll. Ohne sie ist das Ganze nichts.«
Frerín macht einen Schritt zurück, die Augenbrauen nachdenklich zusammengezogen. »Was meinst du damit?«
Frustriert stampft die junge Zwergin auf. »Was ich damit meine? Dass ein Königreich nichts ist, ohne einen Stalljungen.«
Lachend lässt sich Frerín in die Kissen fallen. »Wie soll das gehen? Befehligt ein Stalljunge etwa die Armeen? Handelt er Verträge aus?«
Obwohl Dís die jüngste und zierlichste in der Runde ist, strahlt sie in diesem Moment die Würde eines ganzen Zwergenlebens aus. »Wie willst du Kriege gewinnen und Handel treiben, wenn du weder Pony noch Ziegenbock hast, um die Kämpfer zu tragen und die Karren zu ziehen? Wer sorgt für die Gesundheit der Tiere? Achtet auf ihre Hufe und pflegt sie, wenn sie krank sind? Denk darüber nach, du Dumpfdödel.« Anmutig lässt sie sich auf die Kissen sinken und wirkt dabei äußerst zufrieden. Als wäre nichts weiter geschehen, sieht sie den König an. »Ich sehe ein großes Feuer, Kissen, Felle und Gebäck. Aber was ich nicht sehe, ist das Märchenbuch.«
Statt wie die Jugend, haben es sich Nár und Thrór auf Stühlen bequem gemacht. Weich gepolstert mit Kissen und Fellen, die die hölzernen Lehnen bedecken. Nun sieht er seine Enkeltochter fragend an. »Dumpfdödel, Mädchen? Wo hast du nur solche Worte gehört?« Ein leiser Tadel schwingt mit.
Verlegen senkt die junge Zwergin den Blick. »In den Ställen und in der Küche«, gibt sie zu. Geradezu kleinlaut und verschämt wirkt sie nun. Ein Anblick, der selten ist, aber auch einer, der zu Dís nicht passt und den der König nicht an ihr sehen will.
»Ich würde dich niemals dafür tadeln, woher du solche Worte hast, auch wenn es gerade so geklungen haben mag. Ich tadel dich dafür, dass du sie benutzt. Bedenke, dass du damit jemanden verletzen kannst.«
Frerín schnaubt und schnieft, eindeutig übertrieben, und wischt sich über das Gesicht. »Du hast mich zutiefst verletzt.«
Nun wendet sich der König dem vorlauten Zwerg zu und ein verschmitztes Lächeln lässt seine Augen funkeln. »Hat sie das wirklich? Ich glaube nicht. Aber ich denke, dass ihr beiden eine Strafe verdient, sobald wir wieder im Berg sind. Hier will ich mich nicht damit befassen.«
»Eine Strafe? Aber warum? Ich wurde beleidigt. Sie hat mich verletzt!«, widersprich Frerín. »Ich bin das Opfer, das leiden muss!«
»Du hast die Situation für dich ausnutzen wollen«, schaltet sich nun Thorín ein, der bisher geschwiegen hat, »und das ist falsch. Als Prinz musst du gerecht sein und Schwächere unterstützen. Dazu gehört deine kleine Schwester, die, wie ich zugeben muss, schlauer ist, als du es bist.«
Frustriert stößt Frerín die Luft aus. »Hat sich alle Welt gegen mich verschworen?«, klagt er und zieht die große Gebäckschale zu sich heran. »Warum sind wir nun hier? Nur, um mich zu verspotten?«
»Nein, keineswegs«, erwidert Nár und winkt Boran und Goran zu, die sich im Hintergrund gehalten haben. Nun kommen sie langsam näher und es wird deutlich, was sie in den Händen halten.
Nár geht ihnen einige Schritte entgegen und nimmt Boran den Folianten ab, dessen von der Zeit geschwärzter Goldschnitt im flackernden Schein des Feuers schimmert. Goran hingegen trägt einige Fackeln, von denen er zwei am Lagerfeuer entzündet und sie mit Borans Hilfe zu beiden Seiten des Königs in den Boden rammt.
Auf einen weiteren Wink von Nár hin, rücken die Geschwister auf den Kissen und Decken dichter zusammen, um Platz für die beiden dienstbaren Zwerge zu schaffen. Diese zögern nur kurz, ehe sie es sich bequem machen und sich auch von den Früchten und dem Gebäck nehmen.
Sauron hatte nicht schlafen können und fand sich lange vor dem ersten Sonnenstrahl am Strand ein. Hier saß er auf einem Felsen, auch wenn ihm das Atmen unsagbar schwerfiel, und sah auf den Sand, der von unermüdlichen Wellen überspült wurde. Vereinzelt lag dort Strandgut und grauer Schaum, Überbleibsel des vergangenen Sturmes, der das Wasser des Sees aufgewühlt hatte.
Bald tauchte die aufgehende Sonne den Himmel in warme Farben und als der erste Strahl auf Sauron fiel, fühlte er ein Brennen und Schneiden unter seiner Haut und in seiner Brust. Er glaubte, sich entzweigerissen, als es wieder nachließ und er seinen ersten tiefen Atemzug nahm. Er war so unsagbar leicht, wie Sauron es sich nie hätte vorstellen können. Dann sah er auf seine Beine hinab, auf seine Füße und seine Zehen. Er bewegte sie und beugte die Knie und strich mit den Händen über die Haut. Wo ihn zuvor Schuppen bedeckten und Flossen waren, war nun glatte, empfindliche Haut. Was für ein seltsames Gefühl! Nur kurz verspürte er Trauer, als er die weißen Strähnen bemerkte, die ihm bis auf die Hüften fielen. Sie waren dünn und brüchig, nicht so weich und glatt wie sein eigenes Haar. Aber bald werde ich sie zurückerhalten, sagte er sich. Jetzt war es an der Zeit, seinen Traum wahr werden zu lassen.
Vorsichtig stieg Sauron vom Felsen herab, machte seine ersten Schritte. Wackelig waren sie und es war schwer, das Gleichgewicht zu halten. Mehr als ein Mal stürzte er und rappelte sich mühsam wieder auf. Wie soll ich nur zu Glorfindel gelangen?, fragte er sich, als er ein weiteres Mal strauchelte. Dann erinnerte er sich daran, dass er Menschen gesehen hatte, die sich beim Gehen auf einen Stock stützten. Wenn er so einen finden könnte, wäre ihm geholfen. Dann könnte er dem Weg folgen, auf dem am Tag zuvor die Menschen gekommen waren, um nach Glorfindel zu suchen.
Nun, mit dem Ziel vor Augen, sich selbst Hilfe zu verschaffen, wanderte Sauron langsam am Strand entlang und tatsächlich wurde er schnell fündig. Ein schlanker Stecken aus glattem Holz, fast so groß wie er selbst, war angespült worden. Er war seine Stütze, als er den Weg in das Landesinnere nahm.
»Wann trifft er nun endlich auf Glorfindel?«, verlangt Dís zu wissen. »Musst du wirklich jede Kleinigkeit erzählen?«
Bevor er antwortet, nimmt Thrór einen Schluck aus seinem Becher und seufzt zufrieden. Sein dankbarer Blick fällt auf Nár. »Wie mir mein lieber Gefährte erzählte, werden wir einige Tage hier verbringen. Wie lange, hängt vom Märchen ab. Demnach habt ihr die Wahl: Entweder ich erzähle kurz und knapp oder so ausführlich wie möglich.«
Thorin lehnt sich interessiert vor. »Das heißt, wir könnten einen ganzen Monat hierbleiben?«
»Kein Unterricht!« Frerín klingt selig.
»Es tut mir leid, die Nachricht zu überbringen, aber es werden wohl nur höchstens fünf Tage sein«, sagt Nár. »Sollten wir doch länger hierbleiben, würde Balín uns Aufgaben für euch zukommen lassen. So ist es abgesprochen.«
Nachdenklich neigt Frerín den Kopf und folgt mit den Augen dem Flug der Funken. »Aber wie will Balín davon erfahren? Wir sind hier und er dort.« Dabei deutet er in die Richtung des Tores, dem Eingang in die Zwergenwelt des Erebors.
»Boran und Goran waren nicht die Einzigen, die alles hierher geschafft haben«, gibt Nár zu bedenken. »Es gab viele hilfreiche Hände, die zugegriffen haben und dies werden sie auch die nächsten Tage tun. So werden wir mit allen notwendigen Sachen versorgt. Am frühen Morgen werden sie angeliefert und so können wir wichtige Nachrichten mitgeben.«
»Ich glaube nicht, dass fehlende Aufgaben zu den wichtigen Mitteilungen gehören«, murmelt Frerín vor sich hin.
Thorín knufft seinem Bruder in die Seite. »Wenn aus dir kein Dumpfdödel werden soll, sind die Aufgaben wichtig.«
Zornig funkelt Frerín Thorín an, doch kommt kein Wort über seine Lippen. Mit Erstaunen nimmt Nár dies zur Kenntnis. Ist doch der junge Zwerg oft der Erste, der seine Gedanken und Emotionen freizügig mit anderen teilt. Dass er nun so still ist, gibt dem Zwerg zu denken. Aber womöglich findet Frerín einen Weg, ruhiger und gelassener zu werden.
Bald traf Sauron auf einen breiteren Weg, auf dem Reisende unterwegs waren. Manche saßen auf seltsamen Tieren oder in Booten, die von diesen gezogen wurden und andere benutzten ihre Füße. Doch alle starrten ihn an, als wüssten sie, dass er erst vor Kurzem das Laufen gelernt hatte. Die Blicke ängstigten und verunsicherten ihn und er verfluchte sich für seine Sehnsucht nach Glorfindel. Schon machte er einen Schritt zurück. Zurück auf den Pfad, der ihn hierher geführt hatte, als ein Mann auf ihn zukam. Sein Lächeln war gütig und sanft und sein Haar so dunkel, wie Saurons jetzt hell war.
»Elrond«, flüstert Dís. »Das kann niemand anderer sein als Herr Elrond. Er hatte den Weg entlang dem Ufer des langen Sees genommen.«
Beifällig nickt der König.
»Mein Name ist Elrond von Bruchtal«, stellte er sich freundlich und mit sanfter Stimme vor. »Und ich vermute, du kommst aus einem Land, in dem man unsere Sitten und Gebräuche nicht kennt.« Auf eine leichte Bewegung seiner Hand hin, wurde ihm etwas gereicht. Es war lang und schien in Saurons Augen weich, wie es sich an Elronds Arm schmiegte. »Hier sind die Tage und besonders die Nächte kalt«, erzählte er weiter und entfaltete den Umhang. Denn der war ihm gereicht worden. Mit geübter Geste legte er ihn um Saurons Schultern, der sich augenblicklich in der Wärme geborgen fühlte. »Ich lade dich ein, mit mir zu kommen. Wärme dich auf, erzähle mir, woher du kommst und was dein Ziel ist.«
Sauron öffnete die Lippen, wollte sich bedanken, doch keinen Ton brachte er heraus. Daher nickte er nur zustimmend.
Wenig später fand er sich in einem der Boote wieder, das sich sanft schwankend in Bewegung setzte, und wurde in ein Gewand gehüllt, ähnlich dem, wie Elrond es trug.
Die Sonne stand im Zenit, als die Reisegesellschaft im Schlosshof des Fürsten von Thal hielt.
»Ist Schloss nicht etwas übertrieben?«, fragt Thorín skeptisch, eine Augenbraue erhoben und den Blick auf die Auswahl in der Gebäckschale vor ihm gerichtet. »Es ist doch eigentlich mehr ein größeres Haus.«
Frerín lacht. »Eine Hütte oder eher eine windschiefe Kate!«
Von Boran ist ein leises Glucksen zu hören, das sofort verstummt, sobald Nárs scharfer Blick ihn trifft. »Ihr vergesst wohl, dass es ein Märchen ist«, sagt er mahnend. »Vieles, was hier erzählt wird, gibt es nicht. Aber es wäre schön, wenn es es gäbe. So auch ein Schloss und ein Palast auf dem Grunde des Sees.«
»Oder ein nackiger Elb«, schlägt Dís mit roten Wangen vor, die auch von der Nähe und Hitze des Lagerfeuers herrühren könnten. »Kann ich mir gar nicht vorstellen, dass es sowas gibt.«
Aus der Gebäckschale wählt Thorín einen Keks mit Zuckerguss, der so rot ist, wie das Gesicht seiner Schwester. Geradezu andächtig betrachtet er das Funkeln der Zuckerkristalle im Feuerschein, bevor er ihn in den Mund schiebt.
Nár beschleicht der Verdacht, dass der junge Zwerg etwas hatte sagen wollen. Ob nun zur Größe der Behausung des Fürsten von Thal oder zum Fehlen der Bekleidung von Elben ist fraglich. Beides ist möglich, wobei letzteres Fragen aufwirft, deren Antwort Nár interessieren könnte. Bei Aule! Es wurmt ihn, Thorín nicht einfach fragen zu können, an was er gedacht hat.
»Wer möchte sowas schon sehen? Vermutlich gehen die in Klamotten baden.« Freríns Murmeln ist kaum über das Knistern des brennenden Holzes zu vernehmen und geht auch zu einem guten Teil im »Kann ich nun endlich weitermachen?« des Königs unter.
Sie wurden freundlich vom Fürsten empfangen und auch Sauron wurde als Gast begrüßt, nachdem Herr Elrond vom Zusammentreffen berichtete. Dass er nicht sprach oder dessen nicht mächtig war, hatte man bereits bemerkt. Aber gerade dies machte den Fremden so interessant und zum Hauptthema des abendlichen Balls. Neugierig wurde er beäugt, wie er in den edlen Gewändern, die ihm vom Herrn des Hauses zur Verfügung gestellt worden waren, den Saal betrat. Seine Schritte waren nun sicher, sein Gang aufrecht und ohne die Hilfe einer Stütze. Das weiße Haar war zu einem dicken Zopf geflochten und eine sanfte Röte lag auf seinen Wangen, als er neben Elrond auf den Gastgeber zuschritt.
An der Seite des Fürsten stand Glorfindel und sah ihnen entgegen. Ein sanftes Lächeln lag auf seinen Lippen, doch weiteten sich seine Augen vor Überraschung, als sein Blick auf Sauron fiel.
Leise und bedächtig schließt Thrór das Buch und blickt in die Runde. Es dauert einige Momente, bis es wie ein tiefes Seufzen durch die Anwesenden geht und sie zu erwachen scheinen.
»Es war ein langer Tag«, sagt der König unter dem Berg, »und es muss noch einiges für Morgen vorbereitet werden.« Dabei fällt sein Blick auf Boran und Goran, die sofort aufspringen. »Nachdem ihr beiden alles so hervorragend vorbereitet hattet, finde ich es nur Recht und billig, dass eure letzten Handlungen für heute das Löschen der Fackeln und das Wegbringen des Buches sind. Es gibt andere, die die Kissen und Decken wegräumen können.« Nun sieht er zu den Zwerglingen, von denen keiner sonderlich begeistert wirkt. Insbesondere Frerín nicht.
»Können die nicht hier liegen bleiben?«, fragt er und blickt in den sternenklaren Himmel hinauf. »Es sieht nicht nach Regen aus.«
»Das kann sich jederzeit ändern«, wirft Nár ein. »Das Wetter ändert sich schnell auf dem Berg. Und gegen Morgen legt sich Tau auf die Gräser und würde auch die Kissen durchfeuchten. Die Felle würden anfangen zu stinken und Käfer und Ameisen könnten annehmen, wir hätten sie in ein neues Heim eingeladen.« Selbstverständlich weiß Nár nicht alles. So auch nicht, ob Felle gammelig werden können. Aber möglich wäre es und das scheint auch Frerín einzusehen. Oder es ist schlicht die Aussicht, sich die Decken mit Krabbeltieren teilen zu müssen, dass er eilig aufspringt und sich mehrere Kissen unter die Arme klemmt.
Nach dem Morgenmahl spannen Thorín und Frerín unter Gorans Anleitung zwei Böcke vor einen Karren und führen sie eine Waldschneise entlang. Fahrrinnen sind im Gras zu entdecken, aber noch nicht ausgeprägt genug, um den nackten Sand zu zeigen.
»Das wird eure Aufgabe sein, Herr Thorín und Herr Frerín: Ihr werdet jeden Morgen mit dem Karren zur nächsten Lichtung fahren und dort das abholen, was dort zu finden sein wird«, trägt er ihnen auf.
Frerín schnauft und nörgelt: »Nár sagte, dass es eine Zeit der Erholung sein soll. Nicht, die der Arbeit. Das hat er verschwiegen.«
»Du vergisst dich, Bruder«, murmelt Thorín und zieht am Halfter des störrischen Ziegenbocks. Dabei wirft er Frerín einen missmutigen Blick zu. »Die Erholung soll für Großvater sein. Er soll Abstand zu seinen Geschäften halten und sich ausspannen.«
»Und dafür werden wir eingespannt«, grummelt der jüngere Zwerg. »Als wären Regierungsgeschäfte so anstrengend. Ein Erlass hier, ein Gespräch dort ...«
»Und jeden Tag eine Audienz mit Bittstellern, bei denen er abwägen muss, was für alle Seiten das Beste ist. Korrespondenzen erledigen mit den hohen Häusern«, wirft Thorín ein.
Frerín bleibt stehen, nur für einige Sekunden, aber lang genug, dass der Karren an ihm vorbei rumpelt und er sich beeilen muss, den Anschluss nicht zu verlieren. »Er hat Schreiberlinge und Ratgeber, die ihm solche Arbeiten abnehmen – wobei es eigentlich keine Arbeiten sind. Das in den Mienen, ja, das ist Arbeit. Hart und dreckig und man kommt ziemlich ins Schwitzen.«
»Du klingst wie Vater.« Thorín schüttelt den Kopf. »Er glaubt auch, dass man stinken muss, um zu beweisen, dass man etwas geschafft hat.« Nun ist er es, der stehen bleibt, während der Ziegenbock mit dem Karren hinter sich an ihm vorbei zuckelt. Immer Goran und dessen Wagen hinterher. »Weißt du eigentlich, warum Vater so schwer schuftet? Warum er lieber in den Mienen ist, als hier mit uns auf dem Berg?«
»Weil er es liebt, mit den Händen zu arbeiten«, erwidert Frerín und breitet die Arme aus. »Er mag die Enge der Schächte und nicht die Weite des Himmels und des Bergs. Kein Zwerg sollte gezwungen sein, sich einer Unendlichkeit aussetzen zu müssen.«
»Großvater hat dich nicht gezwungen«, gibt Thorín zu bedenken. »Aber was ich eigentlich sagen will, ist, dass Vater sich in den Mienen versteckt. Er säuft lieber nach getaner Arbeit in der Schenke, als mit uns zu Abend zu essen. Er kriecht lieber durch schmale Gänge, als mit uns zusammen Zeit zu verbringen. Das schlechte Gewissen treibt ihn fort von uns«, setzt er mit einem leisen Seufzen hinzu. »Er weiß, dass er versagt hat. Bei Großvater. Bei uns. Er war uns nie der Vater und für Großvater nie der Sohn und Erbe, der er hätte sein sollen. Insbesondere seit Mutters Tod. Sie war der Anker, der ihn bei uns hielt.«
»Ich habe mal einen Bediensteten sagen hören, dass Dís Mutter gleicht. Sie sagten, dass Vater sie sehr geliebt hat und es ihn schmerzt. Dass er an den Erinnerungen zerbricht.«
»Ausflüchte. Erklärungen. Ausreden«, murmelt Thorín. »Wenn er sie wirklich so sehr geliebt hat, sollte er uns nicht verlieren wollen, weil in jedem von uns ein Teil von ihr weiterlebt. Aber er legt alles darauf an.«
Tränen schimmern in Freríns Augen. Eilig wendet er sich ab und wischt sich über das Gesicht, als hätte sich eine Spinnwebe auf seine Haut gelegt.
»Kommt ihr Prinzen nun oder nicht?«, ist Gorans Ruf zu hören. »Die Wagen beladen sich nicht von selbst. Bis zum Abend haben wir noch Einiges zu tun und der Tag schreitet voran. Wenn ihr nach dem Abendmahl am Feuer sitzt, könnt ihr euch weiterstreiten.«
»Ganz bestimmt nicht«, grummelt Frerín und Thorin nickt zustimmend.
»Nichts ist besser als Großvaters Geschichten. Da gebe ich gern klein bei.«
Lachend machen sie sich an die Erledigung ihrer Aufgaben, was das Aufschichten des Holzes für das Lagerfeuer mit einschließt. Und sobald die ersten Sterne auf dem schwarzen Samt des Himmelszelts funkeln, erhalten beide Zwerglinge die Erlaubnis, das Feuer zu entzünden.
Schnell lodern die Flammen hoch, senden Funken zu den Sternen. Für einige Augenblicke scheint die kleine Welt im flackernden Lichtschein des Feuers zu verharren, bis ein Seufzen sie umschmeichelt und von Behaglichkeit kündet.
Der König unter dem Berg greift zum Märchenbuch, das neben ihm auf einem Schemel ruht, schlägt es auf und beginnt zu erzählen:
Glorfindel war von dem Mann mit dem silbernen Haar verzaubert. Seine Haut wirkte wie feinster Marmor und die Augen wie der reinste Obsidian. Wenn er lächelte, schimmerten seine Zähne wie Perlmutt und die Lippen glichen Rosenknospen in der Morgensonne. Samtig und zart, dass Glorfindel sich versucht fühlte, den Morgentau von ihnen zu küssen.
Vom ersten Sehen an, fühlte er sich zu diesem Unbekannten hingezogen. Etwas war an ihm, das Glorfindel berührte, als müsse er diesen Mann kennen. Aber er konnte sich nicht erinnern, denn von einer Begegnung wüsste er. Sie wäre ihm unauslöschlich Gedächtnis geblieben. Vielleicht, wenn er seine Stimme hören könnte, würde er die Zusammenhänge erkennen, warum ihm dieser Mann so vertraut erschien. Aber das war unmöglich, brachte er doch keinen Ton heraus. Solche Überlegungen waren ihm alsbald einerlei, weil er von seinem Anblick gefangen war. Für den Abend wich er nicht mehr von der Seite des schönen Unbekannten. Er berührte ihn, sooft es noch dem Anstand entsprach und so lange, wie es sich für unversprochene Gefährten geziemte.
»Kein Geknutsche in dunklen Ecken?«, fragt Frerín geradezu entsetzt. »Wie langweilig!«
Thorín zwinkert ihm zu. »Großvater erzählt nicht alles. Manches musst du dir dazu denken.«
Goran und Boran wechseln einen Blick und auch Nárs Wangen röten sich. Nur der König und Dís bleiben von dem kleinen Wortwechsel unbeeindruckt. Umso aufmerksamer sieht sich Frerín um. »Was ist mir entgangen?«, fragt er, sieht erst Boran und Goran an, bevor sein Blick auf Nár hängen bleibt. »Was verschweigt ihr?« Schließlich wendet er sich seinem Bruder zu. »Ist das ein Komplott?«
Der zuckt mit den Schultern und greift in die Schale mit dem Zuckergebäck. »An die Ohren von kleinen Zwerglingen dringt nur, was sie hören dürfen.«
»Thorín!«, donnert in dem Moment der König.
»Das war mehr als unhöflich«, setzt Nár ruhig hinzu. »Wen willst du mit dieser Bemerkung eigentlich beleidigen? Deine Geschwister? Aber im Grunde trifft es dich selbst, da du an keiner dieser ... delikaten Märchenstunden teilnehmen durftest.«
Nur das Knacken der brennenden Holzscheite und das Schlagen der Flammen im Luftzug ist zu hören. »Du hast Recht, Nár. Das war unangebracht und unhöflich von mir«, gibt Thorin nach einigen Sekunden zu. »Vergebt mir.« Er blickt in die Runde und einer nach dem anderen nimmt mit einem leichten Nicken oder Neigen des Kopfes die Entschuldigung an.
»Du beweist Größe, mein Lieber«, sagt schließlich der König und Anerkennung und Lob klingen daraus hervor. »Einen Fehler einräumen, kann nicht jeder, ebenso wenig, wie um Verzeihung zu bitten.«
»Könntest du nun bitte endlich weitererzählen?« Bittend ringt Dís die Hände. »Palavern könnt ihr morgen früh auch noch. Nun aber ist das Märchen wichtiger.«
»Recht hast du, Kind.« Zustimmend nickt Nár.
Sauron genoss die Gunst und die Aufmerksamkeiten, die Glorfindel ihm zukommen ließ. All die Blicke voller Bewunderung und die sanften Berührungen. Von Respekt sprachen sie und von Zuneigung. Nichts, was Sauron aufgeben wollte und doch musste er gehen. Schon bald. Aber noch durfte er sich mit ihm zu einer Musik bewegen, die so ganz anders war, als die, die er kannte. »Tanzen« hatte Glorfindel es genannt und Sauron dabei im Arm gehalten.
Ganz schwindelig wurde es Sauron, aber er war selig. Glücklicher, als er jemals war. Er wollte lachen und doch spürte er, wie ihm Wasser über das Gesicht perlten.
»Warum weinst du?«, fragte Glorfindel erschrocken. Eilig führte er ihn von der Tanzfläche und hinaus auf einen Balkon. »Fühlst du dich nicht wohl? Hast du Schmerzen?« Besorgt sah Glorfindel ihn an.
Sauron öffnete die Lippen und schloss sie wieder. Wie gern hätte er Glorfindel gesagt, wie er sich fühlte. Tief, in seinem Herzen, wo ein seltsamer Schmerz pochte. Aber das war ihm nicht möglich. Stattdessen konnte er nur den Kopf schütteln. Eine unzureichende Geste, die Fragen zu beantworten, und die seine Unzufriedenheit schürte. Ebenso wie das Voranschreiten der Zeit.
Aber Glorfindel trat näher, zog Sauron in seine Arme. So nah, bis er den Kopf auf die Schulter des hochgewachsenen Mannes lehnen konnte.
Thorín räuspert sich leise und vermutlich wäre das Geräusch im Prasseln des Feuers und den nächtlichen Tönen des Waldes untergegangen, wenn nicht gerade in diesem Moment die Welt den Atem angehalten hätte. Zumindest erscheint es allen so, denn die Flammen sacken für Augenblicke in sich zusammen und hüllen alles jenseits ihrer kleinen Runde in Dunkelheit.
»Was ist, mein Lieber?«, fragt der König. »Was stört dich an meiner Geschichte?«
»Du erzählst, als wären es Menschen. Du unterscheidest nicht nach Rassen«, fasst Thorín seine Beobachtung zusammen. »Dadurch habe ich immer einen Menschen vor Augen, statt einen Elben. Ich meine, es ist kein großer Unterschied zwischen ihnen zu sehen. Bis auf die Ohren und das Tölpelhafte und das Schleichende.«
Frerín kichert. »Ich bin ja der Meinung, dass die Ohren der einzige Unterschied ist. Von der Größe her überragen uns sowieso alle. Wie will man da Vergleiche anstellen können?«
»Aus der Entfernung, Dösel«, brummt Thorin. »Man sollte alles mit Abstand betrachten.«
Übertrieben erstaunt zieht Frerín die Augenbrauen hoch. »Du beobachtest sie? Hast du keine bessere Beschäftigung? Lass das nicht Balin hören. Er wird dir schon die passenden Aufgaben finden.«
»Balin weiß es«, wirft Thrór ein. »Er hatte schon eurem Vater die Aufgabe gestellt. Aber statt daraus zu lernen, wie man andere anhand von Gesten und Mimik lesen kann, verbrachte er die Stunden lieber in den Schächten auf der Suche nach Kostbarkeiten.«
»Was ist daran verwerflich?« Fragend blickt Frerín sich um. »Ich verstehe ihn. Wir Zwerge sind bodenständig. Nicht hochnäsig wie die Elben und denken nicht, wir wären etwas Besseres, wie es die Menschen tun.«
»Du klingst wie Vater«, stellt Thorin fest. »Dir fehlt nur noch der Humpen Bier in der einen Hand und die Pfeife mit dem guten Kraut in der anderen. Und falls du es vergessen haben solltest: Beides kommt von den Kurzlebigen.«
Dís, die zwischen den beiden Streithähnen auf einem großen Kissen sitzt, blickt zwischen ihnen hin und her. »Seid ihr nun endlich fertig? Ich will wissen, wie die Geschichte weitergeht. Aber eure Zankerei hält Großvater vom Erzählen ab. Sie ermüdet mich. Ihr beide seid nicht besser als zwei kläffende Hunde.«
»Hunde?«, grollen sowohl Thorín als auch Frerín.
Aber bevor sie sich verbal auf ihre Schwester stürzen können, werden sie von einem lauten Klatschen aufgehalten. Nár lässt die Hände sinken und verschränkt sie auf seinem Bauch. Er wirkt zufrieden, aber sein Blick ist spöttisch. »Habe ich nun eure Aufmerksamkeit, ihr jungen Zwergenprinzen? Erstaunlich, wie einig ihr euch sein könnt, wenn ihr glaubt, einen gemeinsamen Feind gefunden zu haben.«
»Nicht Feind«, beginnt Frerín, wird jedoch von seinem Bruder unterbrochen.
»Es ist gut, Bruder«, sagt Thorin leise und über seine Schwester hinweg, berührt er Frerín an der Schulter. »Wir kläffen uns tatsächlich an.«
»Wau wau!«, gibt Frerín von sich und wackelt auf seinem Kissen mit dem Hintern. Thorín tut es ihm gleich und nur Augenblicke später rinnen ihnen vor Lachen Tränen über die Wangen.
»Können wir nun weitermachen?«, fragt Dís ganz hoheitsvoll und schüttelt über ihre dummen Brüder den Kopf. »Sie werden wohl nie erwachsen.«
»Wenn du reden könntest, würdest du mir sagen, was dich bedrückt«, sagte Glorfindel. »So, bleibt mir nur, dir in die Augen zu blicken und in ihnen zu lesen.«
Das tat er dann auch und entdeckte eine Traurigkeit, die sein Herz berührte, ein Leid, das es zu brechen drohte, und unter allem schwelte eine Glückseligkeit, die es in Tausend Stücke zu zerspringen versprach.
»Das hast du schön gesagt«, flüstert Dís und nickt beifällig.
Sauron wurde zu einer Bank geführt und zum Setzen genötigt. Auf einen Wink Glorfindels hin brachte ein Diener Wein in Kelchen, dessen Kristall so rein war, wie die Wasser der Gebirgsbäche, die in den langen See mündeten.
»Du wirkst, als müsstest du uns schon bald wieder verlassen«, flüsterte Glorfindel. »Mich verlassen.«
Sauron senkte den Blick auf das Glas in seinen Händen, wagte nicht, sein Gegenüber anzusehen und ihm die Wahrheit zu zeigen. Er musste gehen, sonst wäre es sein Tod. Aber ein anderer Gedanke reifte in ihm und Hoffnung brodelte unter seiner Haut. Er musste nur rechtzeitig am Strand sein. Dies schien in seinen Augen das eigentliche Problem. Da er ahnte, dass Glorfindel ihn nicht so einfach gehen lassen würde, wollte Sauron sich davonmachen, sobald er nicht aufpasste. Doch der Mann blieb bei ihm auf dem Balkon, hielt ihn an der Hand und beschrieb ihm eine Aussicht, die für Sauron wie ein Traum klang. Er wollte ihn in sein Heim mitnehmen, mit ihm zusammen leben. Er wollte ihn lieben und mit ihm alt werden. Er versprach ihm eine gemeinsame Zukunft, die außerhalb Saurons Möglichkeiten lag. Oder doch nicht?
Der König klappt das Buch zu und reicht es Goran, der es zurück ins Zelt trägt.
»Morgen hören wir mehr«, versprach Nár den jungen Zwergen. »Aber nun helft ihr Boran und Goran, das Feuer zu löschen und die Kissen und Decken in die Zelte zu bringen, damit der Tau sie nicht durchnässt.«
»Dann fangen sie an zu stinken«, erzählt Dís. Sie rümpft die Nase und knufft Frerín in die Seite. »Genauso wie du, wenn du dich nicht gewaschen hast.«
Sein böser Blick trifft sie. »Zwerge und Wasser vertragen sich nicht.«
Anklagend sieht Nár seinen Gefährten an, mit einem Finger tippt er sich nachdenklich ans Kinn. »Von wem er wohl diese Weisheit hat?«
Den ganzen Tag war der Himmel bedeckt, doch jetzt, als die Funken zu ihm hinaufgetragen werden, erstrahlt er in einem Kaleidoskop an Rot- und Violetttönen. Dem einen oder anderen Betrachter hätte der Anblick den Atem verschlagen, wenn er beachtet worden wäre. Aber das wurde er nicht und blieb daher unbemerkt. So erging es auch dem Zwielicht, das von satten Farben zu spröden Grau und schließlich in Schwärze wandelte.
Viel wichtiger als das Sehen war den Anwesenden das Spüren, das Fühlen, das Wissen um die Geborgenheit des Augenblicks, das Versprechen von Wärme auf der Haut und im Herzen. Dass mit wenigen Worten eine Pforte zu einer Welt geöffnet wird, in der sie sich verlieren können, in der Leiden und Lieben ganz nah beieinander liegen und Hass und Angst keine Option sind.
Es muss nur das Buch aufgeschlagen werden und die Stimme erklingen, die allen wohlvertraut ist, um sie dorthin mitzunehmen.
Sauron gelang die Flucht aus dem Schloss des Fürsten von Thal. Er eilte die Straße entlang, die er im Gefolge des Herrn von Bruchtal zurückgelegt hatte und fand schließlich den Pfad, der ihm zum Ufer des Sees brachte. Dort entledigte er sich seiner Kleidung, verbarg sie in einem hohlen Baum und als die ersten Sonnenstrahlen ihn berührten, stand er bereits bis zur Hüfte im Wasser.
Wieder durchzuckte ihn ein scharfer Schmerz, als sich aus seinen Beinen wieder der Fischschwanz und Flossen formten und Kiemen ihre Arbeit aufnahmen. Sauron schwamm zur Oberfläche hinauf. Mit schwerem Atem und hinter einem Felsen verborgen, sah er auf den Strand, wo noch immer seine eigenen Fußspuren zu entdecken waren. Er wusste, bald waren sie verschwunden. Von Wind und Wellen verwischt. Nichts würde mehr daran erinnern, dass er dort gestanden und gegangen war und einzig in Glorfindels Erinnerung würde er existieren. Bei dem Gedanken wollte ihm das Herz brechen und wie gern hätte er einige Tränen darüber vergossen. Aber das hieße, er würde sein Schicksal als Prinz des Sees annehmen und die Welt hinter sich lassen. Das war nichts, was er für sich wünschte.
Mit neuer Entschlossenheit ließ Sauron die Oberfläche hinter sich, tauchte in den Seegraswald hinab, in dem der Zauberer seine Hütte hatte. Saruman erwartete ihn bereits und nur nebenbei bemerkte Sauron, dass er genauso aussah wie bei ihrem ersten Aufeinandertreffen..
»Wie ich sehe, bist du zurückgekehrt«, sagte der Zauberer und strich dabei durch seine Haare. »Ich gebe zu, dass ich dein schönes Haar bereits vermisse und auch deine Stimme. Sie ist wirklich liebreizend. Nun hat wieder jeder das, was sein ist. Der Handel ist abgeschlossen.«
»Ich ...«, begann Sauron und verstummte. Er war gelinde gesagt erstaunt, dass er einen Ton formen konnte. Etwas, worauf er den vergangenen Tag hatte verzichten müssen. Es überraschte ihn aber auch, dass der Zauberer wirklich sein Wort gehalten hatte. Er hatte daran gezweifelt. Das hielt ihn jedoch nicht davon ab, den Gedanken auszusprechen, der ihm am Abend zuvor gekommen war und der ihn hergetrieben hatte. »Ich will einen weiteren Handel.«
Saruman hatte sich bereits abgewandt, verharrte jedoch und wartete.
»Ich will einen weiteren Handel. In der gleichen Art. Gleiche Prämissen«, präzisierte Sauron.
Der Zauberer schien zu zögern und Sauron befürchtete, er würde ablehnen. Aber dann nickte er zustimmend. »Die gleichen Bedingungen. Von Sonnenaufgang bis Sonnenaufgang. Sei wieder rechtzeitig am Strand.« Damit dreht er sich um und schloss die Hüttentür hinter sich.
Lange vor dem ersten Sonnenstrahl machte sich Sauron auf den Weg zum Strand. Wie bei seinem ersten Mal, wartete er dort auf einem Felsen und träumte von all dem, was Glorfindel ihm erzählt hatte. Als ihn dann der Schmerz der Verwandlung durchfuhr, schrie er gequält auf. Der Ton hing noch in der Morgenluft, als Sauron stumm auf den Sand sank.
Nur wenige Augenblicke gab er sich, um aufzustehen, die Kleidung aus dem hohlen Baumstamm zu holen und sich anzukleiden. Dann machte er sich auf den Weg zum Schloss, wo er bereits am Tor von Glorfindel erwartet wurde.
»Wie soll das denn gehen?«, murmelt Frerín und stibitzt einige Apfelstücke aus der Obstschale, die Dís auf dem Schoß hält. Auch Thorín versucht es, bekommt jedoch einen Klaps auf die Hand.
»Man sieht schon von Weitem, wenn sich jemand dem Tor nähert. Ist halt so gebaut«, erklärt Boran, aber erst nach einem Blick zum König. »Die Wachen werden den Auftrag erhalten haben, ihn zu benachrichtigen, sobald Sauron zu sehen ist.«
Frerín schiebt sich ein weiteres Stück Apfel in den Mund und kaut. Schließlich meint er: »Das scheint plausibel.«
»Danke«, sagt der König und erzählt weiter:
Sofort zog Glorfindel ihn in seine Arme, bestürmte ihn mit Fragen, die Sauron nur mit Kopfschütteln beantworten konnte. Zu viel war, was auf ihn einstürmte. Insbesondere Glorfindels Sorge und die Freude, ihn wiederzusehen, erwärmten ihm das Herz.
»Du bleibst heute bei mir«, bestimmte er ausgelassen und führte Sauron umgehend in sein Gemach, wo ein großes Feuer im Kamin loderte und Wärme verbreitete. Ein Bett lud zum Ruhen ein und große Fenster eröffneten den Blick auf die Stadt, den See und Wald und Berge. Sauron konnte sich nicht sattsehen, zugleich schmerzte es ihm, die Familie in einer Welt zu wissen.
»Wenn du bei mir bleibst, kannst du jeden Tag eine solche Aussicht genießen«, lockte Glorfindel. »Die Menschen werden dich lieben und die Elben werden dich verehren. Schon jetzt hältst du mein Herz in deinen Händen. Ohne dich war ich leblos. Ich konnte weder essen noch schlafen. Die Stunden war ich unterwegs, habe dich gesucht und nicht gefunden.« Schwer seufzte Glorfindel und trat ganz dich an Sauron heran. Mit den Fingerspitzen strich er ihm über die Wange. Immer wieder. Als müsse er sich dessen vergewissern, dass Sauron vor ihm stand. »Aber nun bis du hier. Ganz unverhofft und doch sehnlichst gewünscht. Wenn du mich verlässt, ist es mein Tod.«
Wenn ich es nicht tue, ist es meiner, wollte Sauron ihm sagen, doch nichts kam über seine Lippen.
»Ohne dich ist das Leben nicht lebenswert«, flüsterte Glorfindel und im nächsten Augenblick küsste er ihn. Sie sanken auf das Bett nieder und bald genoss Sauron die ungezügelte Leidenschaft, die Glorfindel ihm zeigte. Haut an Haut ...
Dís seufzt. Ungehalten. »Großvater. Du weißt schon, dass ich hier sitze?« Dabei hebt sie eine Hand und winkt ihm zu. »Und Frín bekommt schon rote Ohren. Willst du es ihm wirklich zumuten? Also, auf mich musst du keine Rücksicht nehmen. Ich verkrafte es. Aber um ihn mache ich mir Sorgen.«
Abschätzend betrachtet der König sie. »Ich denke, ihr beiden seid groß und auch alt genug, um zu wissen, wie und warum man Liebe macht. Und nur, weil jemand rote Ohren bekommt, muss es nicht heißen, dass er nicht dafür geeignet ist, Geschichten darüber zu hören.« Grübelnd tippt er sich an die Nase, bevor er die beiden jüngsten Zwerge neckend ansieht. »Das kann jedem Zwerg passieren, aber besonders jenen, die dafür besonders empfänglich sind und sich gern ihren Fantasien hingeben.«
Freríns Hände fliegen zu seinen Ohren. »Wirklich? Aber ich fantasiere nicht! Nie!«
In dem Moment prustet Thorín lachend los, was den jungen Zwerg stutzen lässt. »Ihr veräppelt mich.« Noch ist es eine Vermutung, aber als nach dem König auch Nár nicht mehr das Lachen unterdrücken kann, ist er sich sicher. Einzig Dís bleibt still. Nur hin und wieder zuckt ein Lächeln um ihre Lippen. Aber das ist wohl der Heiterkeit des Augenblicks geschuldet.
»Kann es nun bitte eeendlich weitergehen?«, verlangt Frerín zu wissen. Aber eigentlich will er nur von sich selbst ablenken. Das wissen alle. »Ich möchte sehr gern wissen, wie es eeeendlich mit den beiden Spitzohren weitergeht.«
Sauron wusste nicht, wie ihm geschah, als er so nackt, wie zu dem Zeitpunkt, als er aus dem See gestiegen war, auf den weichen Decken lag. Neben ihm war Glorfindel, betrachtete ihn andächtig, bevor er sich über ihn beugte und seine Hände über seinen Körper gleiten ließ.
Sauron wollte es ihm gleichtun, aber zögerte, den wie in Gold getauchten Körper zu berühren. Als er es dann tat, war er mehr als angetan von der Wärme, die er ausstrahlte, und von Glorfindels Reaktion, die gleichzeitig etwas in ihm selbst auslöste. Schon ging ihrer beider Atem schnell. Seufzen war zu hören und immer wieder Glorfindels Worte, mit denen er die Schönheit von Sauron pries.
Aber das war Sauron nicht genug. Er wollte Glorfindel spüren, Haut an Haut. Hitze an Hitze, bis Glut durch seinen Körper rollte und ihn schlussendlich mitriss. Er glaubte, sich zerschmettert am Fuße eines Berges wiederzufinden. Aber es waren Glorfindels Arme, die ihn hielten und seine Augen, die ihn so voller Staunen betrachteten, wie er sich fühlte.
Wenn sich so das Leben eines Menschen anfühlte, wollte Sauron gern einer sein. Es war berauschend und obwohl er erschöpft war, wollte er all die unbeschreiblichen Emotionen wieder spüren.
Über diesen Gedanken schlief er ein und als er erwachte, war Glorfindel wieder neben ihm. »Der Tag neigt sich bereits zum Abend«, sagte er. »Du musst erschöpft gewesen sein, dass ich dich nicht wecken wollte. Du hast den Schlaf gebraucht. Und wir haben noch ein ganzes Leben vor uns, um uns zu lieben.«
Erschrocken sprang Sauron auf, sammelte seine Sachen zusammen und kleidete sich eilig an. Dabei schüttelte er heftig mit dem Kopf, verzweifelt darüber, so wenig Zeit mit seinem Liebsten verbracht, kostbare Zeit mit Schlafen vertan zu haben. Dringlichkeit brannte unter seiner Haut, machte ihm das Atmen schwer. Wie am Morgen, als er allein auf dem Felsen saß und sehnsüchtig auf den Strand geblickt hatte.
Hilflos stand Glorfindel neben ihm, wusste nicht, was Sauron zur Eile antrieb und wohin es ihn führen würde. Aber das wusste auch Sauron nicht. Erst, als sein Liebster nach ihm griff, ihn in seine Arme zog und ihn küsste, fand er Ruhe.
Dankbar sah Sauron ihn an und in dem Moment begriff Glorfindel, dass Sauron auch in dieser Nacht gehen würde. Nicht, weil er wollte, sondern weil er musste.
Dís seufzt. Schon wieder.
Neugierig sieht Thrór seine Enkelin an, interessiert, was sie dieses Mal anzumerken hätte. Aber sie lächelt nur – selig.
»Weißt du, Großvater, du schaffst es, dass ich Elben mag. Die sind irgendwie liebenswert. Besonders Sauron. Falls ich mal auf ihn treffen sollte, hoffe ich, dass er wirklich so ist.«
»Glorfindel ist übrigens wirklich so«, gibt Thorín sein Wissen preis. »Ich habe ihn mal gesehen. Er wirkt, als wäre er in einen Goldbrunnen gefallen.«
Thrór weiß nicht, ob er neugierig, überrascht, erschrocken oder erstaunt und schockiert sein soll. Entsprechend schwanken seine Augenbrauen wie ein kleines Fischerboot auf stürmischer See. »Wo?«, fragt er.
»Na überall«, wird er von Thorín informiert, der erst seinen Fehler begreift, als Frerín lachend von seinem Kissen fällt. »O!«, sagt er mit hochrotem Kopf. »Letzten Sommer hatte er bei der Reparatur des Wehrs zum Waldlandfluss geholfen. Er war mit den Menschen ins Wasser gestiegen, während wir von innen die Spundwände mit Bruchsteinen und Schotter aufgefüllt hatten.«
»Ich kann mich nicht erinnern, dass ich dich zu dem Trupp gegeben hätte.«
»Ähm ... naja ... Vater war dabei und Dwalin«, stottert Thorín. »Aber müssen wir jetzt darüber diskutieren? Das ist lange her und du willst die Geschichte erzählen.«
Thrór hebt die Hände zum Zeichen seiner Unschuld. »Ich habe damit nicht angefangen. Das warst du. Ich war nur neugierig, warum du dort warst, obwohl ich deinem Vater verboten hatte, dich in deinem Alter zu solchen Arbeiten mitzunehmen.«
Nun ist es Thorín, der tief seufzt und dann zugibt: »Ich hatte Vater dazu überredet, weil ich nicht einsehen wollte, dass Dwalin dabei ist, aber ich nicht.«
Der König will darauf etwas sagen, aber Nár legt ihm eine Hand auf den Arm. »Lass es gut sein«, flüstert er. »Kläre es im Berg. Hier kannst du nichts bewirken. Erzähle lieber weiter.«
Wieder hatte sich Sauron davonstehlen können, aber Glorfindel folgte ihm. Hinter einer Düne verborgen beobachtete er, wie sich Glorfindel entkleidete, die Sachen in einem hohlen Baum versteckte und sich dem See zuwandte. Die ersten Wellen berührten bereits seine Füße, als er sich noch einmal umdrehte und sehnsüchtig in die Richtung sah, in der Thal lag. Dann schritt er voran in den See und als der erste Sonnenstrahl das weiße Haar berührte, versank er im Wasser. Nur Augenblicke später erschien an der gleichen Stelle ein dunkler Schopf, und die Flosse eines sehr großen Fisches schlug auf die Oberfläche, dass es nach allen Seiten spritzte. Dann war alles still und nichts erinnerte mehr an den Anblick.
Glorfindel schritt zum Strand hinunter, dorthin, wo Sauron gestanden war. Schon wurden seine Fußspuren von Wellen überspült.
Ganz leise klappt Thrór das Buch zu. »An dieser Stelle verlassen wir unsere beiden Helden«, sagte er ebenso leise. »Morgen geht es weiter mit ihnen und wenn ihr fleißig sein, können wir vielleicht schon mit dem Erzählen beginnen, wenn die Sonne scheint.«
Nár brummt. »Es wundert mich sowieso, dass du in deinem Alter bei diesem Geflacker der Fackeln und des Lagerfeuers noch etwas erkennen kannst. Bewundernswert.«
Der König zwinkert ihm zu. »Man ist nur so alt, wie man sich fühlt.« Aber er ächzt und stöhnt, als er sich aus dem Sessel erhebt.
Tag der Veröffentlichung: 07.01.2023
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