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1. Abend

»Nár!« Der König unter dem Berg, Erbe von Durins Thron und Herrscher über das Zwergenvolk Erebors ist aufgebracht. Anders kann man es nicht beschreiben, denn in einem Wirbel aus schweren Stoffen, fellbesetzten Säumen, Gold und Silber stürmt er in seine Gemächer. Dabei bringt er einen Schwall kalter Luft mit herein, ehe die schwere Eichentür mit einem mächtigen »Rumms!«, der durch die Flure der Zwergenfestung erschüttert, ins Schloss fällt..
»Was hat dich so aufgebracht, mein Liebster?« Nár ist die Ruhe in Person und winkt die dienstbaren Zwerge herbei, damit sie dem König zur Hand gehen, um ihn aus der schweren Robe zu befreien. Er selbst nimmt dem König die schwere Krone ab, die sich Thror nachlässig unter den Arm geklemmt hatte. »Hat dich Thranduil schon wieder geärgert? Oder der Meister von Esgaroth?«
»Es war Thraín!« Das Schnaufen, das der Zwergenkönig ausstößt, gleicht dem eines wütenden Stiers. Die Hörner zum Angriff gesenkt, und ebenso stapft er durch das Gemach.
»Was ist geschehen?«, hakt Nár nach und reicht dem Bediensteten das Zeichen der Herrschaft über das Reich unter dem Berg, bevor er dem König wieder seine ganze Aufmerksamkeit schenkt. »Hattest du heute einen Termin mit ihm? Ich wüsste nicht ...«
Thror schnauft. »Er platzte in das Gespräch mit Thranduil und dessen nichtsnutzigen Sohn hinein und verlangte von mir zu wissen, wann ich gedenke, wieder den Kindern ein Märchen zu erzählen! Ich bin kein Märchenerzähler! Ich bin ein König! Und ich werde mich ganz bestimmt nicht hinsetzen und diesen eitlen Pfauen von Elben Geschichten erzählen!« Aufgebracht reißt Thror die Arme in die Höhe, um dem Ausmaß seiner Verärgerung Ausdruck zu verleihen, und hätte dabei dem Diener, der ihm den breiten Gürtel abnehmen wollte, fast eine Maulschelle verpasst.
»Nun, nun«, erwidert Nár begütigend und streicht Thror über den Arm. »Ich denke nicht, dass Thranduil an Geschichten für Kinder interessiert ist. Zumindest vermittelte er nie diesen Eindruck.«
»Er hat es mir gesagt. So, wie du jetzt vor mir stehst, so stand der eitle Geck vor mir.« Die Lippen gespitzt, die buschigen Augenbrauen in einer geziert wirkenden Geste erhoben, neigte Thror leicht den Kopf huldvoll zur Seite. »Ich wäre zu gern Gast in Eurer elitären Runde.«
»Thranduil!« Nár lacht schallend, schlägt sich auf die Schenkel und wischt sich Lachtränen aus den Augenwinkeln. »Ich liebe es, wenn du ihn nachahmst!«
»Das ist nicht lustig«, erwidert der König und schlüpft in seinen Morgenmantel, der ihm von einem Diener gehalten wird. »Ich weiß, dass ich dieses Jahr extrem spät bin. Und dass die Kinder noch nicht gefragt haben mag daran liegen, weil Balin sie mit Aufgaben beschäftigt, für die selbst ich zu beschränkt bin. Aber das soll nicht heißen, dass ich mich darauf ausruhen will, weil meine Enkel noch nicht nachgefragt haben. Ich habe mir sogar schon ein Märchen ausgesucht«, erzählt Thror mit einem ordentlichen Quäntchen Stolz und ignoriert dabei Nárs erstaunten Ausruf. »Und es würde mir unglaublich viel Freude bereiten, sie mit den Vorschlägen der Kinder aufzuhübschen. Aber wenn der feine Herr und sein Spross zuhören wollen ...« Der König überlässt es seinem Liebsten, den Satz für sich selbst zu beenden.
»Es gibt eine Lösung«, erwidert Nár zuversichtlich. »Es gibt für alles eine Lösung und dafür auch. Sie hat sich nur noch nicht gezeigt und möglicherweise ist so Manches zu beachten, damit sich der Elbenkönig nicht auf den Umhang getreten fühlt.«
Mit einem tiefen Seufzen lässt sich Thror in einen der beiden Sessel vor dem Kamin sinken. »Ich bin für jeden sinnvollen Vorschlag zu haben.«
Auf einen Wink Nárs hin wird von den dienstbaren Geistern ein Tischchen vor dem König aufgestellt, Speisen aufgetragen und auch schäumendes Bier darf nicht fehlen. »Nun stärke dich. Mit vollem Magen denkt es sich leichter.«
Thror greift nach dem Humpen, doch bevor er einen Schluck vom Gerstensaft nimmt, sieht er seinen Liebsten an. »Ich möchte ungern den Kindern den Spaß an den Märchenabenden nehmen. Ich habe auch meinen Spaß daran – Beorn und Legolas – Wer kommt denn sonst auf die Idee, diese beiden in ein Bett zu stecken?« Die Augen des Königs glänzen in der Erinnerung an die Geschichte. Doch das vergeht schnell, als ein Hauch von Trübsal seinen Blick verdunkelt. »Aber wenn es nicht anders geht, werde ich mich an die Vorlagen halten müssen, damit der Friede am Langen See keine Risse bekommt. Er ist so zerbrechlich und spröde wie Eis in der Frühlingssonne.«
»Ich liebe dich für deine Weitsicht«, erwidert Nár mit einem sanften Lächeln, erfreut, dass sich die Traurigkeit vom Antlitz Thrors schnell verflüchtigt. »Und für deine Herzensgüte. Aber nun sorge dich mehr um dein Leibeswohl, damit du uns lange erhalten bleibst.«
»Leibeswohl!« Der König lacht glucksend. »Du denkst nur an dein eigenes Leibeswohl!«, unterstellt er seinem Gefährten, der trotz seines Alters knabenhaft errötet.
»Das ist einerlei!«, tut Nár mit einem Schulterzucken ab. »Das Reich braucht dich.«
Mit einem zufriedenen Schnaufen wischt sich der König den Bierschaum aus dem Schnauzer. »Und du brauchst mich auch.«
»Ich weiß, worauf das hinauslaufen wird!«, klagt Nár den Erben von Durins Thron an: »Du willst, dass ich zugebe, wie gut du mein Bett warm hältst. Aber das werde ich nicht zugeben, weil es nichts zuzugeben gibt.«
»Ha!« Erfreut lacht Thror auf und wenn er nicht den Krug in der Hand gehalten hätte, hätte er mit beiden Händen nach seinem Liebsten gegriffen, um ihn für einen Kuss an sich zu ziehen. So muss er sich damit zufriedengeben, Nár breit anzugrinsen. »Du hast gerade zugegeben, dass du mich gern in deinem Bett hast.«
»Och, du! Jagst Komplimenten hinterher!«, poltert Nár, fühlt sich geliebt und gleichzeitig beschämt, weil er sich gerade nicht in der Lage fühlt zu zeigen, wie sehr er die Gefühle erwidert. »Nun iss endlich! Und danach überlegen wir uns, wie wir aus diesem Märchenschlamassel herauskommen.«
Während sich Thror dem Abendessen widmet, sieht Nár nach dem Rechten und gibt den Dienern wie an jedem Abend Anweisungen, welches königliche Gewand für die Audienz am nächsten Morgen bereitgelegt und welche Preziosen aus den Schmuckschatullen herausgesucht werden müssen. Schließlich kann er die Bediensteten für die Nacht entlassen und gesellt sich zu seinem Liebsten.
»Mir will einfach nicht einfallen, was zu tun ist«, klagt Thror und langt nach einem Hähnchenschlegel. »Ganz abgesehen davon, dass ich herzlich wenig Lust habe, dem Elbengockel und seinem Küken etwas zu erzählen. Hat der Kerl keine eigenen Märchenerzähler?«
»Vielleicht ist seiner ganz mies«, vermutet Nár, stibitzt einen rotwangigen Apfel aus dem Obstkörbchen. »Oder er lässt sie enthaupten, wenn sie ihn nicht amüsieren.«
Unwillkürlich hebt Thror eine Hand an seinen Hals. »Sollte ich mir Sorgen um meinen schönen Kopf machen? Da schlummern herrliche und wunderbare Gedanken drin!«
Amüsiert kichert Nár. »Dann beweise diese wunderbaren Gedanken: Beeindrucke den hochherrschaftlichen Pfau.«
»Das könnte schwierig werden«, wendet der König ein. »Er hat viel gesehen und gleichzeitig viel zu wenig. Er ist fast das genaue Gegenteil von Thrain. Der Junge hat zu wenig gesehen. Er hat drei zauberhafte Kinder – aber was hat er sonst geschaffen?«
Nachdenklich lehnt sich Nár im weichen Polster seines Sessels zurück, überlässt den König seinen eigenen Gedanken und der Beendigung des Nachtmahls. Das Kaminfeuer lodert hoch, aber bei weitem nicht so lebhaft, wie an den Abenden, wenn die Kinder sie besuchen.
Schließlich neigt sich Nár wieder vor, ergreift Thrors Hand und drückt sie. »Ich möchte, dass du dich nicht von der Gegenwart der Elben beeinflussen lässt. Erzähle das Märchen so, wie die Kinder es wollen. Mach von Anfang an klar, dass sie die Richtung der Geschichte bestimmen. Ohne Arg, ohne Hintergedanken.«
»Der Friede ist brüchig«, gibt der König zu bedenken. »Und du weißt selbst, wie zickig der Kerl sein kann.«
»Du suchst nach Ausreden.« Die rechte Augenbraue von Nár rutscht im Erstaunen ganz weit nach oben. »Mein Vorschlag wäre: Lade deine Enkelkinder ein. Schreibe aber auch eine Einladung an Thranduil und Legolas. Aber formuliere es so, dass sie begreifen, dass es eine Gunst ist, zuhören zu dürfen. Schließlich ist es ein familiärer Abend. Nur für die Kinder und für dich. Und dem, was die Kinder sich wünschen, musst du dich beugen. Und alle anderen ebenfalls.«
»Du willst, dass ich mich hinter Thorin, Frerin und Dís verstecke«, fasst Thror Nárs Gedanken zusammen.
»Nein. Keineswegs. Du erzählst nicht, um Thranduil oder jemanden anderen damit zu unterhalten, sondern du beschenkst deine Enkelkinder. Jeder andere, der dabei sein darf, muss das wissen. Genauso, wie du nicht jeden in deine Räume einlädst.«
»Ja. Da ist was dran«, stimmt Thror nachdenklich zu. »Aber ich möchte den Geck nicht hier haben.«
Nachdenklich wiegt Nár den Kopf von der einen auf die andere Seite. »Da will mir keine Lösung einfallen. Aber bekanntlich ist der Morgen klüger als der Abend. Lass uns darüber schlafen und vielleicht fällt uns etwas im Schlaf ein.«
»Wie immer hast du die besten Ideen, mein Lieber.« Mit einem warmen Lächeln greift Thror nach Nárs Hand. »Und du bist überhaupt nicht neugierig, welches Märchen ich ausgesucht habe?«
Nár will erst den Kopf schütteln, seine Neugier zu geben, aber dann neigt er dann doch ertappt das Haupt. »Welches? Verrätst du es mir oder muss ich darum betteln, mein liebster Gefährte?«
»Das klingt sehr verführerisch, Geliebter.« Thror hebt dessen Hand an seine Lippen, haucht einen Kuss auf die Haut. »Aber das ist eine Überraschung.«
»Du Geheimniskrämer!«, schimpft Nár, aber es klingt bei weitem nicht wie eine Zurechtweisung. Womöglich wird er in dieser Nacht einen Weg finden, um das Geheimnis zu lüften?

2. Abend

 »Großvater! Warum lädst du die verdammten Elben ein? Sie haben nichts bei den Märchenstunden zu suchen.« Ohne höflich anzuklopfen, war Thorin in das Gemach gestürmt. Geradezu zornbebend stapft er nun vor dem Kamin wie ein Bär im Käfig auf und ab, als wüsste er nicht, wohin mit seiner Wut. Dabei muss er dem Berg aus Kissen und Decken ausweichen, der genauso einladend und weich wie in den vergangenen Jahren aussieht. Dabei rennt er fast einen Diener um, der den Kamin mit Holzscheiten versorgt, damit die Flammen wieder hoch lodern.
Thror verzieht über so viel ungestümes Verhalten den Mund. »Es war meine Entscheidung und ich werde nicht davon abweichen.« Mit einer herrischen Handbewegung wischt er Thorins aufkommenden Einspruch zur Seite. »Der Elb würde uns des Hochverrates bezichtigen, wenn er nur den leisesten Hauch eines Verdachts hätte. Und da er durch deinen geschwätzigen Vater – meinem hirnlosen Sohn – davon erfahren hat, wiegt es schwerer. Nur ein Wort hier oder dort davon, dass wir Legolas mit Beorn in ein Bett gesteckt haben oder ihn und einen Menschen, könnte zum Krieg führen. Er würde es als Rufmord erachten ...«
»Was durchaus möglich wäre, wenn es bekannt werden würde«, wirft Nár ein und legt seinem Gefährten eine Hand auf die Schulter. »Dein Großvater hat sich richtig entschieden, mein Herr Thorin«, sagt der Zwerg und nutzt die offizielle Anrede. »Seine Entscheidung ist wohldurchdacht und unumstößlich. Außerdem drängt langsam die Zeit. Es ist zu spät, um eine andere Lösung zu finden, und wir möchten ungern die enttäuschten Gesichter deine Geschwister sehen. Nun lauf und hole sie und lass deine schlechte Laune in deinem Gemach. An einem geselligen Abend ist sie fehl am Platze.«
Die Röte auf den Wangen des Zwergenprinzen vertieft sich und ohne ein weiteres Wort wendet er sich um. Nur wenige Augenblicke später schlägt die Tür hinter ihm ins Schloss.
»Naja, so ganz wohldurchdacht war das nicht«, gibt Thror mit einem Schnaufen zu.
»Der Junge muss es nicht wissen.« In einer zuversichtlichen Geste drückt Nár die Schulter des Königs. »Und wenn der Zauber des Märchens wirkt, wird er seinen Zorn vergessen.«
»Du bist ein Optimist.«
Nár nimmt die Anklage mit einem Wackeln seiner Augenbrauen hin. »Und du bist ein Skeptiker. Das gleicht sich wieder aus.«
Aufmerksam sieht sich Thror im Gemach um. Alles ist wie im vergangenen Jahr vorbereitet. Doch statt zweier Lehnsessel stehen nun vier vor dem Kamin. Dazwischen jeweils ein Tischchen mit einem Korb mit rotwangigen Äpfeln und Nüssen sowie eine Schale mit Gebäck. Des weiteren stehen zwei Schüsseln mit Gebäck und Zuckerwerk vor dem Kissen- und Deckenberg, der mehr dem Nest eines riesigen Vogels gleicht, und der Duft warmer Schokolade und gewürzten Weins erfüllt den Raum. »Es ist alles bereit, wie mir scheint.«
»Nur noch das Märchenbuch fehlt. Und selbstverständlich die Gäste«, fasst Nár das Fehlende zusammen, und noch ehe er an das hohe Bücherregal treten kann, um aus einem der unteren Fächer den Folianten herauszuziehen, klopft es an der Tür. Sofort eilt er, um sie zu öffnen.
»Guten Abend, mein lieber Nár!«, flötet Dís, ganz die hochherrschaftliche kleine Dame, die sie sein möchte und deutet vor dem König einen Knicks an. »Und vielen Dank für die Einladung, Großvater.«
Frerin folgt seiner jüngeren Schwester und verdreht die Augen. Seine Geste zeugt von zu wenig Geduld mit Dís, mit der Situation und überhaupt. Trotzdem muss er sich die Zeit nehmen, um sich vor dem Gastgeber zu verneigen. Allein die Höflichkeit und auch die Gegenwart seines großen Bruders zwingen ihn dazu. »Ich grüße Euch, mein König und bedanke mich für die Einladung.«
Thror kann es nicht verhindern, dass über so viel formvollendete Artigkeit erstaunt eine buschige Augenbraue hochrutscht. Aber er wäre nicht der König, wenn er nicht wüsste, wie er darauf reagieren sollte: »Seid herzlich willkommen«, sagt er und breitet einladend die Arme aus. »Wie ihr seht, ist für euch schon alles vorbereitet.«
»Stimmt es, dass die Waldranzen auch kommen?« Das Flüstern von Frerin ist leise, aber gleichzeitig viel zu laut. Besonders, da es gerade in dem Moment ein weiteres Mal an der Tür klopft. Gemessene Schläge, wie die einer Turmuhr. Seine eigene Frage beantwortet der junge Prinz mit einem tiefen Seufzen. »Also doch.«
Thorin war bisher stumm gewesen und auch, als er seinem Bruder einen beredten Blick zuwirft, bleibt er still. Aber zumindest scheint sich seine Verärgerung zum Großteil gelegt zu haben.
Es ist tatsächlich der Waldelbenkönig Thranduil, der mit eigener Hand an die Tür zu den Gemächern des Königs des Zwergenreiches gepocht hatte. Nach einer Aufforderungen Thrors betritt er die privaten Räume. Die feingeschwungenen Augenbrauen leicht erhoben, was seinen Blick etwas Erstauntes gibt, sieht er sich um. Wogegen die Augenbrauen des Elbenprinzen Legolas in Unwillen sich zusammenziehen.
»Seid herzlich willkommen!«, werden sie von Thror ebenfalls begrüßt, der mit einer einladenden Geste auf die Sessel und den Kissenberg deutet. »Macht es Euch gemütlich: Die Kissen und Decken für die Jugend, die Sessel für die fortgeschrittene Generation.«
»Ihr habt es hier sehr heimelig«, erwidert Thranduil und es ist ihm deutlich anzumerken, welche Mühe er sich gibt, um dieses so liebenswürdig wie möglich herauszubringen, ohne zu gönnerhaft zu klingen. Nur leider gelingt es ihm nur leidlich und auch das wird noch vom ungnädigen Schnauben des Elbenprinzen zunichtegemacht. Glücklicherweise wird er nicht weiter beachtet. Weder von Thror, noch von Thranduil selbst. Nur Thorin wirft einen giftigen Blick in Richtung des silberhaarigen Eindringlings, der ihn seinerseits ebenso erwidert.
Nár bleibt dieser kleine Schlagabtausch nicht verborgen und weil er sich nicht gerade anders zu helfen weiß, schiebt er seinen massigen Zwergenkörper zwischen die beiden Prinzen. »Lasst uns den gemütlichen Abend beginnen!«, murmelt er und weist auf den Deckenberg.
»Wir warten nur noch auf meinen Sohn Thráin«, erzählt Thror, der bereits in einem Sessel platzgenommen hat und einem Bediensteten winkt, den gewürzten Wein und die warme Schokolade aufzutragen.
Thranduil war dem Beispiel des Zwergenkönigs gefolgt und scheint sich durchaus wohl zu fühlen, wie er die Beine übereinanderschlug und sich im Sessel bequem zurückgelehnt hat. »Wie wird der Abend nun ablaufen?«, erkundigt er sich und nimmt sich einen der Becher, aus denen es verführerisch duftet. »Was hat es mit diesen besonderen Märchen auf sich? Euer Sohn hat ja ein großes Aufhebens deswegen gemacht.«
»Nun«, beginnt Thror. Er zögert, nur für einen Moment, aber Nár bleibt es nicht verborgen. »Es sind altbekannte Märchen, die die Kinder lieben. Aber statt ...«
Nach einem kurzen Anklopfen und ohne die Aufforderung des Gastgebers abzuwarten, stürmt Thráin in das Gemach. »Verzeih meine Verspätung«, bittet er den Zwergenkönig und erst mit Verzögerung begrüßt er auch den anderen König sowie alle anderen. »Ich habe die Zeit in den Stollen vergessen. Die Männer haben einen neuen Vortrieb gewagt und es sieht sehr vielversprechend aus. Mondsteine!« Seine Augen leuchten regelrecht, zeugen von der Begeisterung, die den Zwerg durchströmt, und obwohl er sich gerade in den letzten freien Sessel fallen lässt und mit einem dankbaren Nicken den mit warmen Wein gefüllten Becher entgegennimmt, ist die Unruhe nicht zu übersehen. Fast ist es, als würde er sofort wieder aufspringen wollen, um hinunter in die Stollen eilen zu können.
»Was wolltet Ihr soeben sagen?«, erkundigt sich Thranduil an Thror gewandt, ignoriert dabei Thráin, der sich mit einem wohligen Geräusch in das Sesselpolster lehnt.
»Ich wollte Euch das Märchen erklären, aber es wird besser sein, wenn Ihr es selbst hört«, erwidert der Zwergenkönig und winkt Dís, die sofort vom Kissenberg aufspringt, auf dem sie es sich so bequem wie möglich gemacht hatte und trotzdem noch so elegant wie möglich aussieht. Aber auf dem Fingerzeig ihres Großvaters zum Regal hin ist sämtliche Damenhaftigkeit vergessen. Augenblicke später liegt der schwere Foliant auf dem Schoß des Königs und seine Finger streichen über den Buchdeckel und den dunkel verfärbten Goldschnitt, der über die Jahre hinweg schon fast schwarz geworden ist.
»Wenn es sich alle gemütlich gemacht haben, kann ich beginnen«, sagt der König unter dem Berg, Herrscher über das Zwergenreich des Erebors, Erbe von Durins Thron und sieht dabei den jungen Elbenprinzen an, der so steif auf einem Kissen sitzt, dass es Thror schon vom Sehen im Rücken zieht. Gemütlichkeit sieht anders aus, aber wer ist er schon, um dies seinem Gast explizit unter die Nase reiben zu müssen?
Fast fühlt es sich wie ein Nachhausekommen an, als Thror das Buch aufschlägt. Die Seiten rascheln, als sie übereinandergleiten und dabei das Knistern und Knacken der brennenden Scheite im Kamin übertönen. Atemlose Stille von den Kindern. Nár neigt sich leicht vor. Nur Thráin und Thranduil bleiben entspannt sitzen.

Es war einmal ...

»Ähm!«, meldet sich Frerin ungewöhnlich zögernd zu Wort. »Willst du nicht verraten, für welches Märchen du dich entschieden hast? Und was ist mit den Namen und Personen? Warum ...?« Im nächsten Moment schnauft er, weil ihn ein Ellenbogen in die Seite knufft.
»Alles der Reihe nach!«, zischt Thorin und schafft es beim Reden, nicht die Lippen zu bewegen und Dís zischt ebenfalls, aber nur, um die beiden Streithähne zur Ordnung zu rufen.

Goldherz

Es war einmal ein Müller. Der war arm, seine Frau war schon früh verstorben und das einzige, das sein Herz Tag für Tag erwärmte, war sein einziges Kind. Es war schön von Gestalt mit einem zauberhaften Gesicht und dessen Name war ...

»Legolas!«, ruft Dís, vollkommen undamenhaft mit dem Mund voller Kekskrümel.
»Wie bitte?«, meldet sich der Genannte hörbar pikiert.
Thror kann nur schwerlich ein Grinsen verbergen, aber das versteckt er schnell hinter dem Weinbecher, aus dem einen Schluck nimmt. Interessanter ist dagegen Thranduils Reaktion. Thror glaubt ein leises »Ah!« Vom Elben zu hören und dass er sein Haupt leicht neigt, als würde er sich mehr auf das Gehörte konzentrieren wollen. Aber es könnte auch nur Einbildung sein und als solche schiebt der König es zur Seite.

Nun traf es sich, dass der König des Reiches eine Reise durch das Land machte und dabei auch zum Müller kam. Durstig verlangte König ...«

»Thráin!«
Erstaunt blickt Thror vom Buch auf und direkt in die lachenden Augen des Elbenkönigs. Von Thráin selbst ist nur ein dröhnendes Lachen zu hören und ein »Das Märchen gefällt mir jetzt schon!«
»Erzählt weiter, mein lieber Thror!«, wird er von Thranduil aufgefordert. »Ich denke, dass ich weiß, was das Geheimnis der Märchen ist und es interessiert mich, was Ihr daraus machen werdet. Es ist wie ein Tanz bei dem man nicht weiß, wie der nächste Schritt ausfallen wird.«
Nachdenklich kratzt sich der Zwergenkönig an der Nase, ehe er dem Elben die Hand entgegenstreckt. »Versprecht mir hier und jetzt in die Hand, dass Ihr nicht nachtragend wegen dem sein werdet, was hier gesprochen wird. Und das Gleiche fordere ich von Eurem Sohn. Es soll die Beziehungen zwischen unseren Reichen nicht beeinflussen.«
Ohne Zögern schlägt Thranduil ein und Legolas tut es ihm gleich, auch wenn er dabei schon wieder die Augenbrauen ungnädig zusammenzieht.

Durstig verlangte König Thráin nach Wasser, welches ihm vom Müller sofort gebracht wurde und um sich ein Ansehen zu geben, sagte er zum König: »Ich habe einen Sohn, der Stroh zu Gold spinnen kann.«

»Angeber!« Das Murmeln klingt eindeutig nach Legolas. Doch hat er gerade den Mund so voll mit Zuckerwerk, dass es genausogut Einbildung sein könnte. Vielleicht war ein Scheit im Kamin zur Seite gerutscht und hat dabei diesen seltsamen Ton verursacht? Oder ist Thror der Einzige, der das Wort gehört hat? Vermutlich.

»Das ist eine Kunst, die mir gefällt«, erwiderte König Thráin. »Wenn er wirklich so geschickt ist, wie du sagst, so bringe ihn zu mir ins Schloss. Ich will ihn auf die Probe stellen.«
Legolas schimpfte mit seinem Vater, als er davon hörte. »Geh hin und gestehe dem König, dass du gelogen hast«, forderte er.
Doch wollte der Müller davon nichts hören. »Ich flehe dich an, mein Sohn: Gehe hin und zeige, was du kannst. Auch wenn es kein Gold ist, spinnst du doch den feinsten Faden. Wenn ich gestehe, dass ich ein Lügner bin, wird es mir den Kopf kosten und das willst du dir bestimmt nicht auf die Seele lasten.« So und ähnlich sprach der Müller. Er flehte, bettelte und versprach Legolas, nie wieder solche Behauptungen aufzustellen, wenn er nur dieses eine Mal zum König ginge. »Mit deinem schönen Haar, das wie gesponnene Seide glänzt und deiner feinen Haut, die viel zu schade für ein Leben als Müller oder Bauer ist, wird er dich bestimmt bei Hofe behalten wollen.«
So sprach er und am nächsten Morgen machte sich der Müllerssohn auf den Weg ins Schloss.

Mit einem lauten Knall schlägt Thror das Buch zu. Erschrocken zucken seine Gäste zusammen, was ihm zeigt, wie sehr er sie mit der Geschichte mit auf die Reise genommen hat.
»Ihr wollt jetzt schon Schluss machen?«, erkundigt sich Legolas und stibitzt sich einen besonders schön dekorierten Keks aus der Schüssel. »Das Märchen kann doch noch nicht zu Ende sein.«
»Morgen geht es weiter«, verkündet Dís, ganz wieder eine kleine, feine Dame, die ihre Röcke glatt streicht, ehe sie vom Kissenberg herunterhüpft.
»Werdet Ihr Morgen wieder daran teilnehmen?« Thorins Blick ist geradezu lauernd auf Legolas gerichtet.
»Sagt mir wann. Ich werde da sein.« Der Elbenprinz begegnet ihm auf der gleichen Weise und die Wahl seiner Worte fordert ein aufmerksames Auge vom Zwergenkönig. Es klingt ihm zu sehr nach einer offenen Herausforderung.
»Morgen, zur gleichen Stunde«, erwidert Throrin und seltsamerweise huscht nun ein leichtes Lächeln um seine Lippen, das Thror mehr Sorgen bereitet als sämtliche Zwistigkeiten.

3. Abend

 
Lachen hallt durch die langen Flure des Erebors, scheint sogar die tiefsten Stollen des Berges mit dem klaren Klang füllen zu wollen. Es ist Dís, die lachend vor Frerin flieht, ihm ausweicht und sich ein ums andere Mal darüber freut, ihm entwischt zu sein.
»Du kriegst mich nicht! Du kriegst mich nicht!«, singt sie und hüpft wenig damenhaft über den Flur.
»Du wirst schon sehen!«, verspricht Frerin. Aber auch er giggelt, aber wesentlich leiser. Eben: so ernst wie ein männlicher Zwerg.
Doch plötzlich ist alles still. Dís bleibt mitten im Flur stehen, huscht dann zur nächsten Ecke und presst sich dort an die Wand. Inzwischen muss sich Frerin eine Hand auf den Mund pressen, weil er ahnt, was nur wenige Schritte von ihm entfernt passiert oder passieren wird: Dís hat ein Opfer entdeckt. In der Regel ist es ein Zwerg, der in Gedanken versunken seinen Weg durch die Flure nimmt. Das sind ihr die liebsten Opfer – und Frerin ebenfalls. Sie erschrecken immer so herrlich! Sie kreischen erschrocken auf, wobei egal ist, ob es sein Zwerg oder eine Zwergin ist. Aber das Beste ist, wenn sie die Sachen fallen lassen, die sie in den Händen halten. Dann segeln Pergamentseiten durch die Luft, schlittern über die glatten Steinplatten der Flure und werden möglicherweise erst Jahre später wiedergefunden. Oder feingeschliffene Diamanten kullern über den Flurboden und glitzern dabei wie Abermillionen Tränentropfen. Manches Mal scheppert es im gesamten Berg heftig, weil ein schreckhafter Zwerg das Tablett mit Zinnbechern hat fallen lassen. Nur Bedienstete, die mit etwas beschäftigt sind, das zerbrechlich ist, dürfen die Zwerglinge nicht »überfallen«. Anweisung vom Großvater. Zu viele der feingeschliffenen Kristallpokale waren zu Bruch gegangen.
Aber nun winkt Dís ihren Bruder näher und bedeutet ihm, dabei leise zu sein. Gemeinsam schauen sie um die Ecke den Flur hinunter, der zu den Gemächern führt, die hochrangigen Gästen zur Verfügung gestellt werden. Im Gegensatz zu den anderen Fluren ist dieser mit Fackeln gut ausgeleuchtet und deswegen sind die beiden hochgewachsenen Personen nicht zu übersehen, die langsam auf die Zwerglinge zukommen.
»Müssen wir heute wirklich wieder hin?« Legolas Stimme klingt quengelig und Dís muss sich wie zuvor ihr Bruder den Mund zuhalten, um nicht laut loslachen zu müssen. »Ich mag mir keine Märchen anhören. Ich verstehe sowieso nicht warum. Unser Erbe ist voll mit alten Geschichten und die der Zwerge bestimmt auch, die tausendmal interessanter wären, als etwas Ausgedachtes. - Und dann auch noch mit meinem Namen«, setzt er mit einem Schnaufen hinzu.
»Ich liebe Geschichten und besonders Märchen«, erwidert Thranduil ruhig, »und der alte Thror ist ein guter Erzähler. Das kannst du nicht abstreiten. Auch wenn er gestern nur wenige Minuten erzählt hat, hat er mich schon in seinen Bann gezogen und ich bin gern bereit für einige gemütliche Abende Zwistigkeiten außen vor zu lassen.«
»Ich bin auch gern dazu bereit«, beeilt sich Legolas zu sagen, woraufhin Frerin die Augen verdreht. Für seinen Geschmack war es zu eilig, als würde der Elbenprinz seinem Vater nach dem Munde reden. Aber bei dessen nächsten Worten zieht er die Augenbrauen zusammen:  »Aber ich muss es nicht hinnehmen, wenn man mich mit einem Zwergen verbandeln würde. Ja, ich habe nachgelesen, um welches Märchen es geht und darin heiratet die Müllerstochter den König. Das werde ich ganz bestimmt nicht! Das ist demütigend!«
»Im Namen Ilúvaters!«, flucht Thranduil wenig königlich. »Das ist ein Märchen! Du wirst nicht mit Thráin ins Bett steigen müssen, nur weil Thror es erzählt!«
»Es ist trotzdem erniedrigend, so in einer Geschichte ... verhunzt zu werden«, wendet Legolas eindeutig beleidigt ein.
Er sagt noch mehr, aber das können die Zwerglinge nicht mehr verstehen, da sie ihren Horchposten aufgeben müssen, ehe sie entdeckt werden. Still und schnell huschen sie den Gang zurück und schlüpfen in eine Kammer, die zur Zeit nicht genutzt wird. »Dieser eitle Gockel!«, zischt Frerin. »Der sollte es als Ehre ansehen, dass er am Märchenabend dabei sein darf. Stattdessen scheint er sich davor zu ekeln. Er weiß doch gar nicht ...«
»Wir können froh sein, wenn er nicht weiß, was Großvater im vergangenen Jahr erzählt hat. Und der König war ja wohl auch mal mit einem Menschen verbandelt«, ruft Dís ihrem Bruder in Erinnerung. »Dass sich Thrandi auf den Abend einlässt ist keine Selbstverständlichkeit. Er hat Vorurteile, genauso wie sein Sohn – und du auch und bestimmt auch Thorin. Den anderen kann ich es nicht sagen, aber dir: Mach die Augen auf und sehe die Welt so, wie Großvater sie sieht. Er mag seine Fehler haben, aber daraus lernt man und er hat seine Vorurteile zur Seite geschoben. Zumindest für diese Zeit..«
Frerin will darauf etwas sagen, doch schließt er den Mund. Schließlich legt er einen Arm um die schmalen Schultern seiner Schwester. »Der Älteste und die Jüngste zeigen uns, wie die Welt zu sein hat«, sagt er leise, drückt Dís einen Kuss auf die Wange. »Es ist erstaunlich, wie viel Weisheit in dein kleines Köpfchen passt.«
Dís knufft ihrem Bruder in die Seite. »Lass uns zu Großvater und Nár gehen«, sagt sie, statt auf Frerins Feststellung einzugehen. »Die Zeit wird schon heran sein.« Tatsächlich wird ein Glockenschlag laut, der durch die Flure hallt.
»Vielleicht hat er noch etwas vom Abendessen übrig«, erwidert Frerin hoffnungsvoll. »Ich hab schon wieder Hunger.«
Dís kichert. »Den hast du doch immer!«

Das Märchenbuch liegt bereits aufgeschlagen auf dem Schoß des Königs unter dem Berg. »Nun gut«, murmelt er zufrieden, während Dís einen Knicks macht und dabei anmutig ihren Kopf neigt und Frerin sich verneigt. Nicht nur vor dem einen König, sondern auch vor dem anderen. Nachdem sie der Höflichkeit genug Aufmerksamkeit haben zukommen lassen, lassen sie sich auf und in den Kissenberg sinken, direkt in die Mitte, weil die äußeren Seiten von Thorin und Legolas eingenommen worden sind.
Dís und Frerin sehen sich nur an und kichern hinter vorgehaltener Hand, weil sie mehr wissen, als die Anderen.

Kaum, dass Legolas im Schloss angekommen war, wurde er in eine Kammer geführt, die bis an die Decke mit Stroh gefüllt war. Der König gab ihm ein Spinnrad und die Haspel und sprach: »Mach dich an die Arbeit und wenn du bis zum Morgen nicht das Stroh zu Gold gesponnen hast, so musst du sterben.« So sprach der König und schloss selbst die Kammer zu.
Da saß nun der arme Müllersohn und wusste um sein Leben keinen Rat. Er verstand gar nichts davon, wie man Stroh zu Gold spinnen konnte. Außerdem sollte er irgendwann die Mühle übernehmen, weswegen er nur wusste, was es mit Korn auf sich hatte. Angefangen vom Wachsen auf dem Halm bis hin zum feinsten Mehl, das für das weiße Brot des Königs verwendet wurde. Mit dem Spinnrad hatte er nie etwas zu tun und wusste gar nicht, wie er das Rad antreiben oder das Garn zu einem Faden drehen musste. Er war am Verzweifeln und seine Angst wurde immer größer. Schließlich war sie so groß, dass er zu weinen anfing. Da ging auf einmal die Tür auf, die der König so sorgfältig verschlossen hatte und ...

Mit einem spitzbübischen Grinsen kratzt sich Thror an der Nase. »Na? Wer könnte es sein?«, fragte er, hob aber einhaltgebietend die Hand. »Ich möchte keinen Namen hören. Nur die Beschreibung.« Auffordernd sieht er den Elbenprinzen an. »Habt Ihr eine Idee?«
»Ein Maia«, platzt es geradezu aus Legolas heraus. »Schön von Gestalt und Gesicht. Hochgewachsen, schwarzes Haar, Augen wie der Himmel und ein Lächeln, das die Vögel zum Singen bringt.«
»Ich glaube, dass ich denjenigen kennen müsste.« Nachdenklich zieht Thror die Augenbrauen zusammen. »Ich komme nur gerade nicht auf den Namen und es macht mich neugierig. Ich freue mich auf die Auflösung des Rätsels.«

Und ein hochgewachsener Mann betrat die Kammer.
»Guten Abend, Müllerssohn«, sprach er. »Warum weinst du so sehr?«
»Ach«, antwortete Legolas, »ich soll Stroh zu Gold spinnen und verstehe nicht, wie ich das machen soll.«
»Was gibst du mir, wenn ich dir das Stroh spinne?«
»Mein Halsband«, sagte der Müllerssohn und löste es schon von seinem Hals, wo es unter seinem Hemd verborgen lag. »Es ist ein Andenken von meiner toten Mutter, das sie von ihrer Mutter erhalten hatte.«
Der Mann nahm das Halsband, stopfte es in die Tasche seines Wamses und setzte sich an das Spinnrad. Es ging schnurr, schnurr, schnurr. Dreimal gezogen, dann war die erste Spule voll. Er steckte die zweite auf, schnurr, schnurr, dreimal gezogen, war auch die nächste voll. So ging es fort bis zum Morgen. Als der Hahn am Morgen zum ersten Mal krähte, war das Stroh versponnen und alle Spulen waren voller Gold.

Thorin schnauft unzufrieden. »Wie soll Gold auf Spulen passen? Das müsste hauchfein gezogen werden und dann würde es bei der kleinsten Berührung brechen. Es müsste mit anderen Metallen veredelt werden, um es geschmeidig zu machen.«
Legolas schnauft ebenfalls. »Das ist ein Märchen und keine wissenschaftliche Abhandlung.«
Thror wirft Thranduil einen nachdenklichen Blick zu. Doch dieser bemerkt es nicht, da er gerade aus der Gebäckschale einen Keks auswählt. Aber Nár bleibt er nicht verborgen.

Der König war sehr erstaunt und freute sich über die Spulen voller Gold. Aber sein Herz wurde gierig und all das gute Zureden seiner Berater ließen ihn nicht von seinem Vorhaben abbringen: Am Abend desselben Tages ließ er den jungen Müllerssohn in eine andere Kammer voll Stroh bringen, die noch viel größer war als die erste und befahl ihm, auch dieses zu Gold zu spinnen. »Wenn du es nicht bis zum Morgen versponnen hast, musst du sterben!« Wieder verschloss König Thráin die Tür und sobald seine Schritte verhallt waren, gab sich Legolas der Verzweiflung hin. Wie sollte er die Aufgabe schaffen, wenn er schon die erste nicht hatte lösen können? Er war des Todes. Dessen war er sich so sicher, wie am Morgen die Sonne aufgeht.
Da ging abermals die Türe auf und der Maia trat ein. »Was gibst du mir, wenn ich dir das Stroh zu Gold spinne?«
Der Müllerssohn überlegte und sagte schließlich: »Den Ring von meinem Finger. Es ist ein Erbe von meiner Mutter. Mein Vater hatte ihn ihr zur Hochzeit geschenkt und es ist das Wertvollste, das ich besitze. Mehr habe ich nicht, was Mein ist.«
Der Mann nahm den Ring, schob ihn auf seinen eigenen Finger und nur Augenblicke später schnurrte das Spinnrad. Spule um Spule wurde gefüllt und als am Morgen wieder der Hahn die Sonne begrüßte, war alles Stroh zu Gold gesponnen.
Dem König ging das Herz auf bei dem Anblick, der sich ihm bot, als er die Tür öffnete, aber sein Hunger war noch nicht gestillt. Er wollte viel mehr Gold. Wieder versuchten ihn die Berater dazu zu überreden, sich mit dem zufriedenzugeben, was er hatte. Aber er wollte davon nichts hören. Noch am gleichen Abend ließ er Legolas in die größte Kammer führen, die er jemals gesehen hatte. Sie musste sogar größer als der Thronsaal gewesen sein, in den er gelugt hatte, als er im Schloss angekommen war.
»Wenn es dir gelingt, auch dieses Stroh bis zum Morgen zu Gold zu verspinnen, sollst du ...«

»Meinen Sohn heiraten und mit ihm die Hälfte meines Reichen regieren!« Frerin ist sehr zufrieden mit dem Einwurf. Ebenso wie Dís, die still an einem Keks knabbert. Dagegen wirken sowohl Thorin als auch Legolas mehr als erstaunt über die Wendung der Geschichte.
»Seinen Sohn?«, hakt der Zwergenprinz verdattert nach. »Das wäre ja ich! – mit dem Elben?«
»Der Zwerg und ich?«, beginnt der Elbenprinz gleichzeitig zu meckern und würden Thorins Geschwister nicht zwischen den beiden sitzen, hätten sie sich mit Blicken massakriert. So können sie ihren Unmut nur laut Luft machen. Aber Thror beachtet sie nicht. Thranduil nippt von seinem gewürzten Wein, während Thráin und Nár sich vom Gebäck nehmen.

»... meinen Sohn heiraten«, sagte der König. »Oder du bist des Todes.«
»Ich bin aber ein Mann«, wandte der Müllerssohn hilflos ein. »Wie soll ich dann Euren Sohn heiraten sollen?«
»Er wird eines Tages das Reich regieren. Mit dir an seiner Seite wird er der mächtigste Regent in ganz Mittelerde sein. Du kannst aus Nichts Gold machen. Quasi.«
»Und was ist mit Erben?«, hakte Legolas nach. »Es wird keine geben und Ihr werdet doch sicherlich ...«
Der Zwergenkönig schnitt ihm mit einer herrischen Handbewegung das Wort ab. »Du musst nur so viel wissen: Die Erbfolge ist gesichert.«
Weder die Heirat noch der Tod waren erstrebenswerte Ziele, die vor Legolas lagen, doch wählte er das kleine Übel und setzte sich an das Spinnrad. Doch sobald der König die Tür abgeschlossen hatte, begann er herzzerreißend zu jammern.
»Was gibst du mir, wenn ich dir auch heute das ganze Stroh zu Gold spinne?« Unbemerkt war der Mann in der Kammer erschienen.
»Ich habe nichts mehr, das ich geben könnte. Ihr habt bereits alles, was mir kostbar war«, antwortete der Müllerssohn.
»So versprich mir, wenn du den Zwergenprinzen heiratest, dein erstes Kind.«
Da Legolas wusst, dass er niemals selbst oder sein Gemahl ein Kind bekommen könnte, schlug er in den Handel ein. »Was könnte mir schon Schlimmes geschehen, als dass mir der Kopf genommen wird«, dachte er bei sich. Zugleich war er sich vollkommen sicher, dass dies nicht geschehen würde, da bereits das Spinnrad fröhlich schnurrte.
Als König Thráin am Morden kam und alles so fand, wie er es erhofft und gewünscht hatte, so ließ er alles für die Hochzeit vorbereiten, die noch am gleichen Tag abgehalten wurde.

Mit einem zufriedenen Lächeln schließt Thror das Buch, genießt das ungehaltene Seufzen der Zuhörer.
»Warum macht Ihr gerade jetzt Schluss?«, verlangt Legolas zu wissen. »Es würde mich interessieren, ob er nun ein Kind bekommt oder nicht und ob da ein Zauberer seine Hand im Spiel hat.«
»Das verrate ich morgen Abend«, erwidert der Zwergenkönig. »So lange werdet Ihr Euch gedulden müssen, junger Prinz.«
Über die Anrede zieht Legolas die Augenbrauen unwillig zusammen. Insgesamt wirkt er überhaupt sehr missgestimmt und das verstärkt sich noch, als Thror den Elbenkönig daran hindert, sich aus seinem Sessel zu erheben.
»Ich habe mit Euch noch etwas zu besprechen, Herr Thranduil«, sagt er und langt nach seinem Weinbecher. »Lasst die Jugend gehen und wir Alten genießen die Ruhe.«
Thranduils Augenbrauen heben sich erstaunt, doch lehnt er sich wortlos wieder in die Polster zurück. Deutlich kann Thror die unausgesprochene Frage in dem feingeschnittenen Gesicht lesen. Auch Thorin sieht ihn fragend an und Dís wirkt eindeutig neugierig. Jedoch sagen sie nichts, sondern verabschieden sich von den Königen und von Nár. Frerin und Legolas folgen ihrem Beispiel und wenig später sind die drei Männer unter sich.
»Was habt Ihr mit mir zu besprechen?« Thranduil neigt sich interessiert vor und sieht Nár verwirrt an, als dieser kichert.
»Nun gehen wir zum geselligen Abend über«, erklärt der Geliebte des Zwergenkönigs.


3. Abend - hinter verschlossenen Türen

 Auf einen Wink Nárs hin werden noch einmal die Becher der Könige mit süßem, schwerem Wein aufgefüllt. Dessen Duft erfüllt die Luft und bringt Erinnerungen von vergangenen Abenden mit sich: Von Gemütlichkeit vor dem Kamin, gesellige Runden beim Karten- oder Würfelspiel und der Gewissheit, dass es immer wieder solche Augenblicke geben wird. Nur muss man sich von ihnen überraschen lassen, weil keine Planung, keine wohl durchdachten Vorbereitungen diese heraufbeschwören können. Sie sind wie Schatten der Vergangenheit. Jedoch sind sie nicht dunkel und harsch, sondern leuchtend und weich. Man fühlt sich wohl, geborgen und geliebt. Sie sind die Verheißung der dunklen Zeit.
»Was wollt Ihr mit mir besprechen?«, erkundigt sich Thranduil. Er lehnt bequem im Sessel, das eine Bein über das andere geschlagen und wippt mit dem Fuß. In der einen Hand hält er den Becher als wäre es ein Pokal aus klarstem Bergkristall, während er mit der anderen aus einer Gebäckschale einen Keks nimmt. »Ich hoffe, dass mein Sohn nicht mit seiner Art angeeckt ist. Ich habe ihm ins Gewissen geredet, nur liegen ihm Geschichten aus der Historie mehr, als Märchen, Sagen und Legenden.«
»Legenden werden aus der fernen Historie geboren«, erwidert Thror und beobachtet Nár, der eigenhändig das Feuer schürt, sodass die Flammen Funken in die Esse jagen. »Und in Sagen ist immer ein Hauch Wahrheit.«
»Ihr seid ein gelehrter Mann«, gesteht Thranduil ihm zu, woraufhin Nár leise kichert.
»Hört, hört!«
Thror verdreht darüber die Augen, aber ihm ist deutlich die Unbekümmertheit des Moments anzumerken. »Mein lieber Gefährte wird Euch sicherlich vom Gegenteil erzählen wollen.«
»Das ist eine Unterstellung!«, mokiert sich im gespielten Ärger Thrors Geliebter. »Ich würde niemals erzählen, wie dumm du dich manchmal benimmst. Was hinter geschlossenen Türen geschieht und gesagt wird, bleibt auch dort.«
Zustimmendes Nicken erhält er dafür von beiden Königen. »So sollte es stets gehalten werden«, betont Thranduil. Eine seltsame Unruhe huscht über seine sonst so gelassen wirkenden Züge. »Sollte ich mir über das Sorgen machen, was Ihr mit mir bereden wollt?«
»Nein, keineswegs!« Vehement schüttelt Thror den Kopf und auch Nár wiegelt diese Annahme mit einer rigorosen Handbewegung ab. »Ihr sollt nur nicht zu ernst nehmen, was ich in der nächsten Stunde erzählen werde.«
»Ihr erzählt ein Märchen«, erinnert ihn der Elbenkönig. »Da würde ich nichts für bare Münze nehmen.«
»Es sollte nur noch einmal ins Gedächtnis gerufen werden«, sagt Nár und lässt sich in den Sessel sinken.
»Das habt Ihr zur Genüge getan!« Tatsächlich wirkt Thranduil nun etwas ungeduldig, wenn nicht sogar ungehalten. Aber der Eindruck vergeht schnell, als Thror das Märchenbuch wieder aufschlägt und ein verschmitztes Lächeln über die alten Züge huscht.

»Ich werde diesen Müllerssohn keineswegs heiraten!«, beschwerte sich Prinz Thorin, sobald er vom Vorhaben des Königs hörte.
»Sieh ihn doch erstmal an!« König Thráin rang die Hände. »Er kann Stroh zu Gold spinnen. Haben wir ihn an unserer Seite müssen wir uns nie mehr Gedanken um Geld machen. Die Steuern müssen nicht erhöht werden, wenn die Kassen leer sind und der Feind an unserer Grenze steht. Wir müssen nicht auf die Ausgaben achten, solange unserer Scheunen mit Stroh gefüllt sind. Und außerdem: Auf seine eigene Art sieht der Müllerssohn sogar gut aus.«
Den Argumenten konnte sich Thorin nicht entziehen, nur hatte er Legolas noch nicht kennengelernt, um auch diesen Punkt bestätigen zu können. Er musste sich bereits zum Teil geschlagen geben, aber innerlich verdrehte er die Augen. »Und was ist mit einem Erben, Vater?«
Entgegen dem, was Thráin Legolas erzählt hatte, war die Erbfolge keinesfalls gesichert und das wusste Thorin. Gerade in dem Augenblick wurde Thráin an die Lüge erinnert. »Zeuge einen Bastard«, schlug er seinem Sohn vor. »Damit kommst du deiner Verpflichtung gegenüber dem Königshaus nach. Aber erst wirst du den Müllerssohn ehelichen und zu ihm ins Bett steigen.«
»Er kann tatsächlich Gold aus Stroh machen?« Der Zwergenprinz war noch immer mehr als skeptisch, weil alles zu phantastisch klang. Das war ebenso unwahrscheinlich, wie eine Heirat zwischen zwei Personen des gleichen Geschlechts.
»Ich habe es gesehen!«, bestätigte der König und schlug sich bekräftigend gegen die Brust. »Am Abend hatte ich ihn in die Kammer gesperrt und am Morgen war alles Stroh zu Gold geworden. Ich habe auch die Wachen im Hof und auf den Zinnen befragt. Sie hatten nichts bemerkt, was beweisen würde, dass das Stroh aus dem Schloss geschafft worden war«
»Also keine Möglichkeit, dass man dich an der Nase herumgeführt haben könnte?«
Thráin reagierte auf diese Annahme gekränkt, doch verzieh er es schnell seinem Sohn, als sich dieser zu einem ersten Treffen mit dem Bräutigam bereit erklärte.
Noch in derselben Stunde standen sie sich gegenüber und Thorin war regelrecht verzaubert von der Schönheit des Müllerssohnes. »Seine Haut schimmert wie Seide, seine Augen gleichen Saphiren, seine Zähne sind weiß wie Perlen und das Haar erinnert mich an den Glanz der Mondsteine«, schwärmte er dem König vor.
Der Müllerssohn war seinerseits mehr als beeindruckt vom Zwergenprinzen und fand den Gedanken nicht mehr zu abwegig, einen Mann zu ehelichen. »Er mag zwar ein Zwerg sein, aber seine Augen blicken gütig«, stellte er für sich selbst fest, während er in edle Gewänder gehüllt wurde, deren Weichheit er noch nie zuvor gespürt hatte.
Noch am Abend wurde Hochzeit gehalten und bei Einbruch der Nacht wurde das Paar in die Räume des Prinzen geführt. Vor den Augen der Hochzeitsgäste wurden sie entkleidet und mussten sich zwischen die Laken legen. Mit den besten Wünschen für die Nacht und ein langes gemeinsames Leben wurden sie daraufhin allein gelassen. Nur eine einzelne Kerze brannte auf dem Nachtschrank des Prinzen.
»Nun, mein Herr Prinz«, begann Legolas nach einer Weile zu sprechen, in der sich weder er noch sein Gemahl zu rühren wagten. »Nun liegen wir hier, sind miteinander vermählt und wie es scheint, wird jeder so unberührt am Morgen aufwachen, wie wir ins Bett gestiegen sind.«
Thorin musste sich räuspern. Ihm war keinesfalls die Weichheit von Legolas Haut entgangen, von der er zuvor schon geschwärmt hatte. Er wollte sie berühren und sich selbst von der Glätte überzeugen. »Habt Ihr denn Erfahrung in Liebesdingen mit einem Mann?«

»Das habt Ihr sehr ... elegant ausgedrückt«, murmelt Thranduil mit einem schelmischen Lächeln.
Thror zwinkert. »Ich bin immer elegant in Liebesdingen.«
»Hört! Hört!«, sagt der Dritte in der Runde zum wiederholten Mal an diesem Abend.

Röte färbte die Wangen von Legolas und waren dem Prinzen Antwort genug. »Habt Ihr denn überhaupt Erfahrung in Liebesdingen?«, hakte er nach und versuchte dabei seine Stimme so weich zu halten wie Seide.
Die Röte auf Legolas Wangen vertiefte sich. »Ich habe keinerlei Erfahrung. Mir ist nur bekannt, dass das Gemächt in ein ... Loch muss.«

Thranduil lacht glucksend. Aber Thror ignoriert ihn, vermutlich, weil er sich denken kann, was den unerwarteten Heiterkeitsausbruch heraufbeschworen hat.

»Habt Ihr denn Erfahrung?«, erkundigte sich der ehemalige Müllerssohn und fühlte sich beschämt, in einer dieser Situation solche Themen erörtern zu müssen.
Thorins Mund wurde trocken. »Ja.«
»Würdet Ihr mich ... aufklären?«
»Wenn Ihr es wünscht, würde ich es gern versuchen.«
»Ich wünsche es.« Legolas neigte leicht den Kopf. »Ich hoffe, dass es nicht zu große Unterschiede zwischen Eurer Art und meiner gibt, was es ... erschwert.«
»Der Unterschied liegt in meiner körperlichen Größe«, erwiderte Thorin. »Und darin, dass meine Haut nicht so wunderbar glatt ist wie Eure. Ansonsten werdet Ihr keinen weiteren finden. Und wenn wir uns lieben, werdet Ihr auch das vergessen.«
»Wenn wir uns lieben«, sinnierte Legolas. »Werden wir das? Oder ist es nur das Begehren des Augenblicks?«
Thorin wandte sich seinem Gatten zu. »Ihr begehrt mich?«
Erstaunt hob Legolas die Augenbrauen. »Wir liegen nackt in einem Bett in Eurer Kammer, Prinz Thorin. Wie viel Beweis benötigt Ihr noch, dass ich Euch begehre.«
»Mein Titel könnte Euch gelockt haben.«
Zögernd streckte Legolas die Hand aus und legte sie auf die Brust seines Gemahls. »Mich lockte viel mehr das Blau Eurer Augen, Prinz Thorin.«

Thranduil würde zu gern unruhig in seinem Sessel herumrutschen, aber das lässt sein Stand als König nicht zu. Und zudem: Ein Elb ist niemals unruhig oder angespannt. Fasziniert vielleicht. Und vor allem ist er niemals erregt. Er hat immer auf seine Stellung zu achten, sogar in einer solch privaten Umgebung.
Er wirft einen Blick zu Nár, der die Beine über die Armlehne geschwungen und sich tief ins Polster seines Sessels gekuschelt hat. Kein Laut ist von ihm zu hören und nur das Glitzern der Augen im Widerschein des Kaminfeuers verrät dem Elben, dass der Zwerg seinem König andächtig lauscht.
Dieser hält das Märchenbuch aufgeschlagen auf dem Schoß, doch könnte Thranduil nicht sagen, ob er eine Seite umgeschlagen hätte. Sein Blick scheint in eine andere Welt zu reichen, die jenseits des flackernden Lichts liegt. Irgendwo in den Schatten um sie herum.

»Nennt mich Thorin«, erwiderte der Prinz und ergriff die Hand, die auf seiner Haut lag, hob sie für einen Kuss an seine Lippen.
»Ich kenne Euch nicht gut genug, um Euch so vertraulich anzureden.« Legolas Stimme bebte, weil ein Schauer durch seinen Körper rann.
Thorins Lachen spürte er an seinen Fingern. »Wir liegen in einem Bett, mein Gemahl. Der beste Ort, um Vertrautheit zu erzeugen und das Kennenlernen zu vertiefen. Wenn Ihr es denn wollt.«
Ein weiteres Beben erschütterte den Prinzgemahl, als sein Finger zwischen den Lippen Thorins verschwand. Warm und feucht war der Mund, der ihn umschlossen hielt. Das Gefühl war intensiv und raubte ihm die Möglichkeit, seine Gedanken in Worte zu fassen. So zog er mit einem Stöhnen seine Hand zurück, um die geschickten Lippen mit seinen eigenen berühren zu können.
Ein Feuerwerk explodierte in seinem Leib, als Haut auf Haut traf. Lust schlug wie Wellen über ihm hinweg und das Blut war wie Meeresrauschen in seinen Ohren. Hitze breitete sich überall dort aus, wo Thorin ihn berührte. Es war wie ein Wirbelsturm, der ihn von den Kissen hob und er nur noch die Hände, Lippen und sogar die Zunge des Zwergen spürte. Jeden Winkel seines Körpers erkundeten sie. Warm und weich waren die Berührungen und zugleich rau und fordernd. Sie verführten Legolas, luden ihn ein, sich zu ergeben und er ließ es zu. Er hörte die Worte Thorins, der ihm und seinem Körper huldigte, ihn anbetete. »Du bist so wunderschön«, flüsterte er. »Du hast mich verzaubert, hast mich gefangen genommen. Lass mich ein Teil von dir sein.«

Ein Seufzen reißt Thranduil aus den Bildern, die sich in seinen Gedanken geformt hatten, lässt ihn regelrecht zusammenzucken, bis er schließlich bemerkt, dass er selbst den leisen Ton von sich gegeben hatte.

»Komm zu mir, mein Prinz«, flüsterte Legolas sehnsuchtsvoll. Die Arme um Thorin geschlungen, öffnete er sich ihm und spürte das Gemächt, das Einlass begehrte.
Der Zwergenprinz nahm, was ihm angeboten wurde und gab gleichfalls, was er zu geben hatte.

»Sehr schön umschrieben«, murmelt Nár und nickt zustimmend. »Wenn Euch die Beschreibung zu obszön sein sollte, so sagt es ruhig.«
»Nein, nein!« Thranduil schüttelt den Kopf so heftig, dass ihm schwindlig wird. »Ihr habt eine hervorragende Art der bildhaften Beschreibung«, sagt er an König Thror gerichtet, der sich mit einem leichten Neigen des Hauptes für das Lob bedankt.
»Es verwirrt manchmal, weil man die Namen mit den realen Personen in Verbindung bringt.«
Erstaunt hebt der Elb die feingeschnittenen Augenbrauen. »Das war mir gar nicht in den Sinn gekommen. Aber nun, wo Ihr es sagt: Ja, das könnte zu Verwirrung führen und Emotionen implizieren und Bilder erzeugen, die nicht sein werden, weil die Unterschiede einfach zu groß sind.«
In einer grübelnden Geste streicht sich Thror über die Nase. »Sind die Unterschiede wirklich so groß?«
»Lasst uns das zu einem späteren Zeitpunkt diskutieren!«, fordert Nár. »Wir sind hier, um den Abend mit Genuss ausklingen zu lassen.« Prostend hebt er seinen Becher den beiden Königen entgegen.
»Ja, mit Genuss«, stimmt Thranduil zu, »aber sagt mir eines: Die Geschichte wird heute nicht zu Ende erzählt werden. Wie wird es morgen sein? Mit dem Märchen, meine ich.«
»Was hinter den geschlossenen Türen des Märchenkönigs geschieht, ist nur einem ausgewählten Kreis zugänglich.« Thror blinzelt mal wieder verschmitzt, Nár gibt einen leisen, zufrieden klingenden Ton von sich und König Thranduil versteht, welch ein Geschenk an Vertrauen ihm an diesem Abend gemacht wird.

Das Herz von Legolas quoll über vor Dankbarkeit, weil er mit großer Zärtlichkeit vom Prinzen geliebt wurde. Sanft waren seine Berührungen und auch im Rausch der Leidenschaft waren seine Küsse zart. Gemeinsam flogen sie zu den Sternen, berührten das Firmament und sanken atemlos in die Kissen, als sie wie auf Wolken zurückkehrten.
»Du bist für mich geboren«, flüsterte Thorin und strich über die weiche Haut seines Gatten. »Ich habe dich in den vergangenen Jahren gesucht und nicht geahnt, dass du so nah bist.«
»Du hattest meine Liebe vom ersten Augenblick an.« Legolas wagte es nicht, die Stimme zu erheben, obwohl er sein Glück in die Welt hinausschreien wollte und zugleich wurde es getrübt. »Aber unsere Liebe wird niemals Früchte tragen.«
Thorin erinnerte sich an die Worte seines Vaters, doch war ihm der Vorschlag nun zu abwegig. »Es ist mir egal«, sagte er. »Ebenso wie mir alles Gold einerlei ist, das du aus Stroh machen könntest.«
Bis zum Morgen liebten sie sich, genossen die Gegenwart des anderen, hauchten sich Koseworte entgegen und gaben sich ihrer Lust hin. Die Welt bestand nur aus diesem Bett, dessen Vorhänge geschlossen waren und alles aussperrte. Daher blieb Legolas und Thorin verborgen, dass ein dunkler Geist einen Zauber wob. »Du hast unseren Handel vergessen, aber ich werde es nicht«, sprach der Mann. »In einem Jahr vom heutigen Tag an stehe ich vor deiner Tür.«

Wie schon zuvor gibt es einen dumpfen Knall, als Thror das Märchenbuch schließt. »Morgen geht es weiter!«, verkündet er. »Ich hoffe, dass Euch dieser kleine märchenhafte Ausflug in die privaten Räume des Königs gefallen hat.«
»Er war sehr erquicklich«, erwidert Thranduil, stellt seinen geleerten Becher auf das nahe Tischchen und erhebt sich elbisch elegant. »Es war sehr unterhaltsam und ich gestehe, dass ich mich schon auf den morgigen Abend freue.«

4. Abend

 Thror kann das Verhalten von Legolas schwer einschätzen. Entweder der junge Elb hat sich mit der Gegenwart der Zwerge abgefunden – insbesondere mit der von Thorin, der aus einem unerfindlichen Grund für ihn wie ein rotes Tuch ist - oder Thranduil hat ihm vom gestrigen Abend berichtet. Und sollte es so sein und ihm, Thror, zu Ohren kommen, wird er den Elbenkönig und dessen Anhang von sämtlichen Festivitäten, Aktivitäten und Veranstaltungen, die im privaten Zwergenkreise abgehalten werden, ausschließen. Aber im Moment kann Thror nur den Elbenprinzen beobachten, dessen Wangen und Ohren erstaunlich rot sind. Gerade schaut er fast schon beschämt zum Zwergenprinzen hinüber, der ihn seinerseits links liegen lässt und mit seinem jüngeren Bruder um die Gebäckschale rangelt.
Ist der spitzohrige Kerl vielleicht seinem Enkel zugetan? Stürmische Verliebtheit soll hin und wieder phasenweise unter Elben auftreten, insbesondere, wenn sie noch jüngeren Jahrgangs sind. Manche bezeichnen es auch als Liebestollheit.
Thror selbst hat es noch nicht erlebt und er hofft, es nicht erleben zu müssen. Aber ihm wurde zugetragen, dass es unter den als emotionslos geltenden Elben verbreitet ist, verbunden mit Liebesgesülze und Harfenklänge oder Schalmeiengedudel. Alles für Zwerge kein erbaulicher Ohrenschmaus.
Ein Zwerg und ein Elb. Innerlich verdreht der König die Augen. Auch wenn er offen in den zwischenkreaturlichen Beziehungen Mittelerdes ist, muss er ehrlich zugeben, dass eine solche Konstellation ein Pulverfass ist. Es gibt einfach zu viele Gegensätzlichkeiten sowie Voreingenommenheit und Verbohrtheit. Hinzu kommt die aufsässige und bodenständige Art der einen sowie die hochnäsige und überhebliche der anderen Rasse. Alles zusammen sind Voraussetzungen für Kriege über Generationen. Dass sich die Zwerge Erebors und die Waldlandelben so gut verstehen, gründet einzig auf die Abhängigkeit der Völker voneinander. Politik. Ganz einfach. Der Lange See ist ein Mikrokosmos.
»Großvater!«, ruft Dís, fordert seine Aufmerksamkeit ein, während sie ihre Röcke glattstreicht. »Vater lässt sich entschuldigen. Er ist heute in den Stollen unterwegs. Er muss einen Vortrieb beobachten.«
Thráin war schon immer ein Zwerg gewesen, der mehr in den Schächten und Stollen zu finden war, als am Verhandlungstisch.
Frerin nutzt den Moment, in dem Dís unaufmerksam ist und zieht an einem ihrer Zöpfe, die ihr inzwischen bis auf die Hüfte fallen. Ein lautes Gezeter beginnt, das keinesfalls königlichen Enkelkindern angemessen ist. So denkt vermutlich Thranduil, der über den Lärm die Augenbrauen zusammenzieht, als würde es ihm schmerzen. Nár ruft die Kinder zur Ordnung und nur Thror bemerkt den Blick, den Thorin dem jungen Elben zuwirft. Unwillkürlich entringt sich des Königs Brust ein tiefer Seufzer. ›Gegensätzlichkeiten und Pulverfass! Was wäre hier wohl die Zündschnur?‹
»Wenn nun Ruhe einkehrt, kann ich das Märchen weitererzählen.« Der Ankündigung Thrors folgt kurzzeitig hektisches Rascheln und eilige Bewegungen und von einem Augenblick zum anderen ist es so still, dass man das Blacken des Feuers hören kann und das Knistern des brennenden Holzes.

Über ein Jahr dauerte es, bis Legolas einen gesunden Knaben zur Welt brachte. Die Freude war groß, obwohl man sich dieses Wunder nicht erklären konnte und er selbst dachte gar nicht mehr an den Mann, dem er einst etwas versprochen hatte. Da trat er plötzlich in seine Kammer, als er das Knäblein gerade in die Wiege gelegt hatte.
»Nun gib mir, was du mir versprochen hast«, sagte er und streckte schon die Hände nach dem Kinde aus.

»Warte, warte, warte!« Geradezu panisch hebt Thorin die Hände, um den König beim Reden zu unterbrechen. »Heißt das, dass der Prinzgemahl ein Kind geboren hat? Einfach so? Als wäre er eine Zwergin?«
»Nun. Nicht nur Zwerginnen können Kinder gebären, sondern auch Elbinnen.«
»Ich meine ...« Hilflos deutet der Prinz auf Legolas, der sprachlos über diese Diskussion zu sein scheint. »... Er ist ein Mann! Wie kann er ...?«
Begütigend streckt Thror die Hand nach seinem Enkel aus, der aufgebracht ist. »Lass mich weitererzählen und vielleicht löst sich das Rätsel von selbst auf.«
Skeptisch wiegt Thorin den Kopf, aber gibt schließlich mit einem Schnauben nach und mit einer ruppigen Bewegung schiebt er sich einen Keks in den Mund.

Der Prinz erschrak heftig und obwohl er sich nie hätte vorstellen können, selbst ein Kind zu gebären, wollte er es nun nicht mehr hergeben. Neben seinem Gemahl war es sein ein und alles. »Nimm all meine Schätze!«, bot er ihm an. »Die Schatzkammer ist voll. Nimm soviel du willst und du tragen kannst.«
»Oh. Tragen kann ich durchaus viel. Aber das will ich nicht«, erwiderte der Mann. »Ich will nur das, was du mir versprochen hast.«
Da begann Legolas so sehr zu jammern und zu weinen, dass der Mann Mitleid mit ihm bekam. »Drei Tage will ich dir Zeit lassen«, sprach er. »Wenn du bis dahin meinen Namen weißt, kannst du dein Kind behalten.«
Mit diesen Worten verschwand der Mann, als wäre er nie da gewesen und ließ einen verzweifelten Prinzgemahl zurück. Aber er besann sich schnell, zückte Feder, Pergament und Tinte und schrieb alle Namen auf, die ihm in den Sinn kamen. Noch in der gleichen Stunde schickte er einen Boten los, der sich erkunden sollte, was es sonst noch für Namen gäbe. Egal, wie ausgefallen sie wären.
Als am kommenden Abend der Mann wieder erschien, fing Legolas sofort an, jeden Namen von seiner Liste vorzulesen: »Heißt du vielleicht Kaspar? Melchior? Balthasar?« Und noch viele andere Namen nannte er und jedes Mal sagte der Mann: »Nein, so heiß ich nicht!«
Am nächsten Tag entsandte Legolas drei Boten, die überall herumfragen sollten. Von denen kamen aber abends nur zwei zurück und brachten eine lange Liste der seltsamsten Namen mit und jeder einzelne wurde vorgelesen. »Heißt du etwa Rippenbiest? Hammelwade oder Schnürbein?«
»Nein, so heiße ich nicht!«, war die gängige Antwort. »Morgen komme ich wieder und wenn du mir dann nicht den richtigen Namen nennen kannst, nehme ich dein Kind mit.«

»Der ist aber fies!«, stellt Dís fest und dabei scheinen ihre Zöpfe aufgebracht zu wippen.
»Das ist ein Märchen!« Sie Stimme des Elbenprinzen klingt ungewöhnlich tröstend. »Es geht immer gut aus.«
Überrascht zieht das Zwergenmädchen darüber die Augenbrauen hoch. Die Geste könnte aber genausogut bedeuten, dass sie ganz genau weiß, dass Märchen immer gut enden, weil es nun einmal in der Natur von Märchen liegt. Es gewinnt immer das Gute. Oder sie ist einfach nur erstaunt über die Beschränktheit des jungen Elben.

Legolas hatte Angst und hoffte sehr auf den dritten Boten, der wiederkam, kurz bevor sich die Sonne im Westen dem Horizont zuneigte. »Neue Namen habe ich keinen einzigen gefunden. Aber wie ich auf dem Rückweg mich im Wald verirrte und schließlich auf einen Weg traf, der mich hinaus auf eine weiten Ebene führte, gelangte ich an einen Turm. Ich schlich mich hinein und gelangte in ein Turmzimmer, das mit allerlei Geräten vollgestellt war. Dort sah ich einen Mann, gar hochherrschaftlich, mit edlem Gesicht. Doch seltsam war, dass er eine Wiege für ein Kind vorbereitete mit allerlei Kissen, Decken und Spielzeug. Aber am seltsamsten war, dass er dabei sang!«
»Nun erzähl! Was hat dieser Mann gesungen?«, forderte der Prinzgemahl angespannt.
»Der Mann sang:
Heute back ich und morgen brau ich
Und übermorgen hole ich vom König das Kind!
Ach, wie gut, dass es ist ungewiss,
dass mein Name Sauron ist!«

Thranduil beginnt leise zu kichern, ehe er in schallendes Lachen ausbricht. »Sauron! Warum bin ich nicht selbst darauf gekommen!«
»Bedankt Euch bei Eurem Sohn, Herr Thranduil«, erinnert ihn Thror. »Er hat den Vorschlag gemacht, falls Ihr Euch erinnern möchtet.«

Der Prinzgemahl freute sich ...

»... wie die Laus im Fell eines Köters!«, wirft Frerin ein und wirkt dabei sehr zufrieden über seinen Einwurf.
Legolas dagegen rümpft die feine Nase: »Sehr blumig.«

Der Prinzgemahl freute sich wie die Laus im Fell eines Köters als er den Namen hörte und alsbald danach trat der Mann in die die Kammer. »Nun, Prinz Legolas. Wie heiße ich?«
Grübelnd schritt der Angesprochene hin und her: »Heißt du Kunz?«
»Nein, so heiße ich nicht.«
»Heißt du Franz?«
»Nein, so heiße ich auch nicht!« Der Mann war sich seiner Beute gewiss und schritt schon dichter an die Wiege heran.
»Heißt du vielleicht Sauron?«
Im ersten Moment war es still, ehe es wie ein Donner durch das ganze Schloss scholl. »Woher weißt du das?«, verlangte der Mann zu wissen. Doch wartete er keine Antwort ab, sondern begann, sich im Kreis zu drehen. »Das hat dir Ilúvatar  gesagt! Das hat dir Ilúvatar gesagt!«, schrie der Mann dabei und trat schließlich mit seinem rechten Fuß so heftig auf der Erde auf, dass er bis an den Leib darin versank. Dann ergriff er voller Wut seinen linken Fuß und zog und zerrte so sehr, bis er sich selbst mitten entzwei riss. Zurück blieb ein feuriges Auge, das von einem heftigen Wind erfasst wurde, der durch die Kammer fegte und es mit sich nahm.
Prinz Thorin war von dem ungewöhnlichen Lärm und Getöse alarmiert und stürmte in das Zimmer, doch fand er nur seinen Gatten, der das Kind im Arm hielt. Alles war still und ruhig. Alles war, wie es sonst auch war. Sogar das Loch im Boden, das Sauron in seinem Zorn getreten hatte, war verschwunden.
»Ich liebe dich«, flüsterte Legolas, das Kind fest ein seine Brust gedrückt und glücklich darüber, dass sich sein Gemahl so um ihn sorgte, dass er zu ihm geeilt kam und dass endlich die Bedrohung beseitigt war.
»Und ich liebe dich«, gestand Thorin. »Du hast ein Herz aus Gold. Gütig und liebevoll. Ich kann mir keinen besser Vater und Mann an meiner Seite wünschen.«
Und wenn sie nicht gestorben sind ...

»... dann leben sie noch heute!«, sagen Frerin, Nár und Dís im Chor und klingen dabei mehr als zufrieden.
»Wie kommt der Prinz nun zum Kind?«, verlangt Legolas zu wissen. »Das habt Ihr nicht erklärt.«
Thorin verdreht die Augen, vollkommen genervt. »Es ist ein Märchen. Da ist es doch vollkommen egal, wie es passieren konnte.«
»Nein, nein«, wendet Thror ein, ehe es zum Streit zwischen den beiden Hähnen kommen kann. »Wenn Fragen sind, sollen sie geklärt werden. Nichts ist schlimmer, als wenn man keine Antworten erhalten hat. – Wie jeder weiß, ist Sauron ein Maia. Er ist des Zauberns kundig und hat den Müllerssohn so beeinflusst, dass er ein Kind bekommen kann.«
»Nur ein Kind und danach ist alles wieder ... normal.« Legolas ist skeptisch und Thror kann es ihm nachempfinden.
»Ja, nur dieses eine Kind. Um mehr ging es in diesem Handel nicht.«
Die Augenbrauen leicht zusammengezogen scheint sich Legolas das Gehört durch den Kopf gehen zu lassen. »Das ist logisch«, gibt er schließlich zu.
»Muss für dich alles nachvollziehbar sein?« Thorin klingt verärgert.
»Nun ist aber gut!« Erstaunlich, wie herrisch Nár sein kann und das macht Thror stolz. »Ich will keinen Streit in meiner Stube und solltet ihr beiden euch nicht bändigen können, seid ihr zur Märchenstunde am nächsten Durinstag ausgeschlossen!«
Dís kichert hinter vorgehaltener Hand.
»Dann haben wir mehr Keks für uns«, stellt Frerin fest und wird dafür von seinem Bruder in die Seite geknufft.
Mit einem Seufzen legt Thror das schwere Märchenbuch zur Seite und erhebt sich aus dem Sessel. »Es wird Zeit!«, stellt er nach einem Blick auf die Kaminuhr fest. »König Thranduil und ich sehen uns am Morgen wieder. Frisch und munter wie die jungen Rehe. Und die Kinder haben Unterricht bei Balin. Wir haben alle Termine!«
Nach dieser Aufforderung verabschieden sich alle. Zum Schluss steht Thranduil in der Tür und wendet sich noch einmal um. »Es würde mich freuen, wenn ich im nächsten Jahr wieder Gast in Eurer Runde sein dürfte.«
»Wir werden sehen«, sagt der Gastgeber unbestimmt. »Wir können heute noch nicht sagen, was in einem Jahr sein wird.«
Statt einer Antwort verneigt sich der König der Waldelben hoheitsvoll, ehe er hinter sich die Tür schließt und den Gastgeben und seinen Gefährten allein lässt.
»Eine interessante Runde«, stellt Nár mir einem Gähnen fest. »Aber nun ist wirklich Schluss. Komm, mein Gemahl«, sagt er und ergreift den König an der Hand. »Der Bettzipfel ruft.«
»Nicht nur der«, murmelt Thror mit einem verschmitzten Lächeln.

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Tag der Veröffentlichung: 11.12.2019

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