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Feiertagswahn

Wie in jedem Jahr, ist auch dieses Mal der Winter viel zu früh herein gebrochen. Fast über Nacht sind die Temperaturen drastisch gefallen und unter den harten Stiefelabsätzen knirscht der Frost. Mit einer weißen kristallinen vergänglichen Schicht hat er die Häuser von Esgaroth überzogen und selbstverständlich die hölzernen Bohlen nicht vergessen, die als Weg und Steg über die Wasser des Langen Sees dienen. Dicht werden sie nun von den Einwohnern der Seestadt regelrecht bevölkert, die sich in die eine oder andere Richtung bewegen.

Und in all dem Gedränge und Geschiebe steckt Bard fest und kann sich selbst kaum vor oder zurück bewegen, weil er unter einem Arm einen Korb mit Fisch umklammert hält, während unter dem anderen ein Paket klemmt, welches er fest an den Körper presst. Durch einen schmalen Seitensteg versucht er sich aus der Masse der Menschen zu lösen, muss jedoch feststellen, dass sich auch dort die Seestädter tummeln. 'Wo kommen sie nur aller her?', fragt er sich zum wiederholten Mal.

Genervt schnaubt er. Die halbe Nacht war er auf dem See unterwegs gewesen und hat die leeren Fässer der Waldelben aus dem kalten Wasser gefischt. Danach konnte er erst die eigenen Netze und Reusen kontrollieren, die er ausgelegt hatte und war zu guter Letzt noch eine gute Stunde zusätzlich im Kontor aufgehalten worden. Entsprechend fühlt er sich ausgelaugt und hat das Gefühl, als würde jeder einzelne Bürger der Seestadt mit Absicht auf seinen Nerven herum tanzen. Selbst sein grimmiges Gesicht kann die Menschen nicht davon abhalten, ihn mit ihren spitzen Ellenbogen und überlauten Stimmen zu traktieren.

Von irgendwo hinter ihm wird sein Name gerufen und im Umwenden kann er eine Hand aus der Menge herausragen sehen, die aufgeregt winkt. Bei den vielen Ringen, die an wohl jedem einzelnen Finger blinken und glitzern, weiß er augenblicklich, wer nach ihm gerufen hatte.

„Ahhh, unser werter Meister“, murmelt er zu sich selbst. „Die Götter sind heute ungnädig zu mir!“

Kurz zögert Bard, ob er auf den dicken Mann warten soll, um zu hören, was er ihm mal wieder vorzuwerfen hat. Bestimmt werden es nur wieder Nichtigkeiten und Ungehöriges und Beschwerden sein. Aber Nein!, das will und kann sich Bard an diesem Morgen nicht antun! Das Einzige, was er sich in eben diesem Moment wünscht ist etwas Ruhe und dass man ihm dieser nicht beraubt!

Korb und Paket noch fester an den Körper gepresst, strebt er seinem Ziel zu, das weitere Rufen des Meisters der Seestadt missachtend.

„Wo bist du nur so lange gewesen?!“ Liebevoll tadelnd klingen die Worte seiner älteren Tochter, mit denen Bard empfangen wird, kaum dass er durch die Tür getreten ist. „Wir haben uns Sorgen gemacht und uns gefragt, ob Alfrid dich mal wieder in den Karzer hat stecken lassen!“

Eilig dreht er sich so, dass das Paket von seinem Körper verdeckt wird. „Das kleine Wiesel soll sich hüten, mir in den nächsten Tagen unter die Augen zu kommen!“, antwortet er Sigrid brummig und lässt sich von ihr den Korb abnehmen.

Eilig bringt sie diesen in die kleine Kochecke und Bard hört sie dort hantieren. „Was hat er denn schon wieder angestellt?“, hört er sie über das Klappern von Töpfern fragen.

„Er ist daran Schuld, dass ich jetzt erst hier bin“, erzählt er, während er aus einer schmalen Truhe hinter der Tür ein weiteres Päckchen hervorzieht und es sich unter die Jacke schiebt. Dabei wirft er immer wieder einen Blick in Richtung Sigrids. „Er war der Meinung, dass ich in leeren Fässern etwas schmuggeln würde! Stell dir das mal vor! Jedes einzelne Fass musste ich öffnen, damit er einen Blick hineinwerfen konnte!“ Auch das andere Paket schiebt er unter seine Jacke. Die Hände tief in den Taschen vergraben, unter dessen Stoff er das Einpackpapier fühlen kann, tritt er zu Sigrid. Diese scheint gerade in ein Papier vertieft, das auf dem Küchentisch liegt.

Stirnrunzelnd tritt Bard nun näher, um einen kurzen Blick über ihre Schulter darauf werfen zu können. „Was liest du da?“

Seufzend schiebt Sigrid ihm das Blatt zu. „Das hat die Nachbarin vorhin gebracht. Anscheinend ist unser Herr Bürgermeister auf eine neue Idee verfallen.“

„... Um unsere mittwinterliche Sonnenwendfeier entsprechend seiner Wichtigkeit für die Bürger der Stadt Esgaroth sowie um dem ihm zustehenden großen Rahmen begehen zu können, ordnen Wir, die Stadträte der Stadt Esgaroth an, dass zusätzlich zum Mittwintertag auch die beiden nachfolgenden Tage für jedweden Handel geschlossen sind.“ Bard lässt das Papier sinken. „Das heißt, dass wir nur noch drei Tage zur Verfügung haben, um alles Notwendige zu erstehen, womit wir über die Zeit kommen und zudem muss ich auch noch immer wieder auf den See hinaus!“ An die ganzen Dinge, die mit dieser Feier zusammenhängen, will er erst gar nicht denken! „Ich weiß gar nicht, wann ich das alles schaffen soll!“

Sigrid nickt mitfühlend. „Und zudem ist auch noch der Sonntag bei, an welchem die Läden sowieso geschlossen sind!“

Kopfschüttelnd lässt sich Bard auf die Bank nieder. „Was mag sich der Meister nur bei solch einer Verrücktheit gedacht haben?“

„Vielleicht braucht er so viel Zeit, um sein Geld in Ruhe zählen zu können?“, schlägt die junge Frau augenzwinkernd vor, wird dann aber sofort wieder ernst. „Ich habe bereits angefangen, eine Liste zu schreiben, was alles benötigt wird.“

Nachdenklich blickt Bard auf den Zettel, den seine Tochter ihm über den Tisch zugeschoben hat und wieder einmal wird ihm bewusst, wie erwachsen sie geworden ist. In den Jahren zuvor war es seine Gemahlin, die sich um all diese Dinge gekümmert hat, nun ist es Sigrid

Mit einem leisen Seufzen erhebt sich Bard wieder. „Ich werde mich nachher darum kümmern. Nun habe ich noch etwas zu erledigen.“

Erstaunen zeichnet Sigrids Gesicht. „Du bist soeben erst nach Haus gekommen und willst nun schon wieder los?“

„Es wird nicht lang dauern“, antwortet Bard ausweichend.

Der erste Weg Bards führt ihn einige Häuser weiter zur Schneiderin. Kaum, dass er die Tür öffnet, hört er schon die zeternden Stimmen zweier älterer Damen. Mit hochgezogener Augenbraue folgt er ihrem Disput, welche denn nun als erste bedient würde.

Zu seinem Glück hat die Schneiderin sein Eintreten bemerkt und winkt ihn an den beiden Streithühnern vorbei. Eilig zieht er die beiden Pakete unter der Jacke hervor. „In dem einen ist das, was du gewünscht hast, in dem anderen sind die Stoffe. Wann kann ich es abholen?“

„Oho! Da hat es aber jemand eilig!“, bekommt er von der Dame des Hauses zur Antwort. „Ich musste heute morgen erst zwei weitere Näherinnen anstellen, so groß ist die Nachfrage so kurz vor dem Feiertag nach meinen Künsten!“

Ungeduldig zieht Bard die Stirn kraus. Er ist sich nur allzu bewusst, dass die Schneiderin um die Arbeit feilscht, doch hat er gerade dazu keinen Nerv. „Du bekommst einen Taler mehr, wenn ich wieder komme und es fertig ist.“
„Drei Taler!“, ist sofort die Reaktion seines Gegenübers.

„Zwei – nicht mehr – und auch nur, wenn es rechtzeitig fertig ist.“

Zufrieden lächelt die Schneiderin. „Selbstverständlich!“ Und zu allem erklingt der Streit der beiden Frauen, die sich noch immer nicht über die Reihenfolge einig werden konnten.

Kaum steht Bard wieder vor der Tür, wird er auch schon unsanft angerempelt. „Was steht Ihr hier so mitten im Weg, dass man Mühe hat, an Euch vorbeizukommen?“, wird er von einer älteren Frau angefahren, die mit mehreren Körben beladen versucht, sich an ihm vorbeizuschieben. Sofort will er höflich einen Schritt zur Seite machen, bekommt jedoch einen heftigen Schubs in die Kniekehle. „Könnt Ihr nicht aufpassen, wohin Ihr tretet?“ Ein Mann mit Schubkarre, beladen wohl mit Mist - dem Geruch nach zu urteilen – blickt Bard wütend an und eilt sofort weiter, als der Weg für ihn frei ist.

Kopfschüttelnd über diese Unhöflichkeiten zieht sich Bard von den Stegen hinter die nächste Hausecke zurück. Kurz wirft er noch einmal einen Blick zurück und erst jetzt wird ihm bewusst, wie überaus belebt es nun auf den Wegen zugeht. Auch die schmalen Kanäle zwischen den Häusern sind dicht bevölkert und dabei ist heute noch nicht einmal Markttag!

Die ganze Stadt scheint wie ein Wespennest zu summen, als hätte jemand mit einem Stock darin herum gestochert. Nervosität, Ungeduld und Unruhe hängen so dick in der Luft, wie der Geruch nach fauligem Fisch an windstillen Sommertagen.

Ein kräftiger Schlag auf die Schulter lässt Bard zusammenzucken. „Was versteckst du dich hier?“, erklingt daraufhin sofort die Stimme Bragas, dem Hauptmann der Stadtwache. Über Bards Schulter hinweg schielt er auf die Menschen, die hin und her hasten, ohne Gruß oder wenigstens freundlichem Blick einander schenkend. Mit verbissener Miene eilen sie aneinander vorbei.

„Was ist nur heute los?“, murmelt der Hauptmann kopfschüttelnd. „Die Leute benehmen sich, als wären sie Maschinen. Ohne Sinn und Verstand scheinen sie durch die Gegend zu hasten.“

„Ich fürchte, daran ist unser werter Herr Bürgermeister schuld!“, gibt ihm Bard Bescheid. „Er kam auf die glorreiche Idee, an den Mittwintertag noch zwei weitere Feiertage zu hängen, an denen die Läden geschlossen bleiben sollen.“

Braga schnaubt. „Und nun versuchen alle, noch ihre Besorgungen zu machen?“, überlegt er mit gerunzelter Stirn. „Aber es sind doch noch einige Tage hin, also ausreichend Zeit, es in Ruhe zu erledigen!“

Kurz zuckt Bard mit der Schulter. „Ich weiß, aber vergiss nicht, dass es mehrere Tage sind, an denen sie ihr Geld nicht zum Händler tragen können. Zudem will ich nicht wissen, was in den Köpfen anderer vor sich geht. Das einzige, das ich weiß ist, dass ich noch zum Bogenmacher muss und in zwei Tagen wieder zur Schneiderin und Sigrids Einkaufsliste wird bestimmt immer länger während ich hier stehe und mit dir erzähle.“

Braga lacht und dessen Hand landet ein weiteres Mal auf Bards Schulter. „Wie ich sehe, hat deine Tochter dich wirklich im festen Griff! Aber ehrlich: Ich möchte mal wissen, was den Meister geritten haben mag, auf solch eine verrückte Idee zu kommen!“

„Oder wer!“, wirft Bard ein. Kurz blicken sich beide Männer an, bevor sie in schallendes Gelächter ausbrechen.

„Alfrid!“, meint der Hauptmann, sich die Lachtränen aus den Augen wischend.

„Ja, der könnte es gewesen sein!“, lacht Bard. „Sigrid meinte, dass er die zusätzlichen Tage benötigt, um sein Geld zählen zu können.“

„Kluges Mädchen!“, murmelt Braga zustimmend. „Doch ich glaube, dass er in der kommenden Woche noch mehr Geld umstapeln muss. Hast du noch nicht gehört, dass die Gasthäuser die einzigen sind, die geöffnet bleiben? Er hat es wohl damit begründet, dass auswärtige Händler und auch Reisende versorgt werden müssen!“

„Welch ein Zufall, dass ausgerechnet er die Häuser mit Wein beliefert!“, antwortet Bard.

„Ja, der Herr hat alles sehr gut durchdacht!“, stimmt Barga ihm zu.

„Aber nun muss ich weiter“, seufzt Bard. „Ich habe die Nacht auf dem See verbracht und nun haben wir schon fast die Mittagsstunde, ohne dass ich mich für kurze Zeit ausruhen konnte.“ Müde wischt er über sein Gesicht. „Wenn es nicht für Bain und die Mädchen wäre, würde ich alle Feierlichkeiten und dem, was damit zusammenhängt, einfach sausen lassen und mich die Tage ins Bett verkriechen. Allein schon der Wahn dieser Leute hier, Dinge kaufen zu müssen, als würde es erst in drei Monaten wieder dieses zu erstehen sein, kann ich nicht nachvollziehen und macht mich regelrecht meschugge!“

Braga lacht gutmütig. „Ja, das ist die Freude und das Leid des Familienlebens, welches an mir vorbei gegangen ist.“

„Ich weiß nicht, ob ich dich dafür beglückwünschen oder dich darum beneiden soll“, schmunzelt Bard und zieht den Hauptmann in eine freundschaftliche Umarmung.

Nur wenige Tage später sitzt Bard an einem festlich gedeckten Tisch. Sigrid hat ein wahres Festmahl gezaubert und auch Tilda und Bain waren nicht untätig gewesen. Gemeinsam hatten sie das kleine Häuschen geradezu auf Hochglanz gewienert und von irgendwoher ein Paar weißer Kerzen geholt, welche nun im goldfarbenen Kerzenschein mit dem ebenso weißen Tischtuch um die Wette leuchteten.

Auf einem Schemel nahe dem schmalen Kamin liegen die drei Geschenke, welche er gestern noch in aller Eile geholt hatte. Nun sind sie zwar etwas knitterig in Papier eingeschlagen und besonders bei dem längeren kann man schon erahnen, was darin verborgen ist, doch tut es der Aufregung am Tisch keinen Abbruch. Immer wieder wandern die Blicke der Kinder dorthin, wie magisch angezogen.

Leise seufzt Bard. Der Wahn der vergangenen Tage hat sich wohl gelohnt, wenn er sich so umschaut und auch in sich selbst kann er eine ihm bisher unbekannte Zufriedenheit verspüren.

Endlich hat er ein Gefühl der Ruhe und der Stille, in die selbst die Welt mit tanzenden Flocken zu versinken scheint.

 


Ich wünsche allen ein besinnliches und geruhsames Weihnachtsfest!

Eure
Anni

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 18.12.2016

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