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Am ersten Abend

 

»Großvater!« Dís helle Kleinmädchenzwergenstimme hallt durch die nur spärlich beleuchteten und kalten Flure Erebors. Nur untermalt von den eiligen Getrippel kleiner Zwergenmädchenfüße und einem weinerlichen Schniefen. »Großvater! Frerin ist gemein zu mir!«

Am Ende des Ganges wird in dem Moment eine Tür geöffnet. Goldfarbenes Licht fällt auf die steinernen Fliesen der Flures, vertreibt innerhalb eines Augenblicks die kalte Dunkelheit und gibt ein Versprechen von Wärme und Geborgenheit.

»Na na na!«, tönt es beruhigend von dort und gleich darauf erscheint ein Schatten in der Tür. »So schlimm wird es doch nicht sein!«

Mit einem Schritt tritt der König unter dem Berg, Erbe von Durins Thron, Herrscher über das Zwergenreich Erebors auf den Flur hinaus und streckt die Arme nach dem Mädchen aus, das sich ihm an die Brust wirft.

»Doooch!«, schnieft Dís und schlingt ihre Ärmchen fest um den Hals Thrors und vergräbt ihr Gesicht im breiten Pelzkragen der königlichen Robe. »Ich mag ihn nie nie nie mehr wieder sehen!«

Der König zieht die kleine Gestalt an seinen Körper, tätschelt ihr dabei beruhigend den Rücken. »Das ist aber eine schrecklich lange Zeit«, wendet er ein. Die Arme fest um Dís geschlossen, kehrt er in den hell erleuchteten Raum zurück, wo er sie auf ihre Füßchen stellt.. »Nach einem Becher heißer Schokolade sieht die Welt bestimmt wieder besser aus«, sagt er mit einem gutmütigen Lächeln, wie es so mancher Zwerg, Eldar oder Mensch einem Kind schenken mag von dem er denkt, dass es etwas wichtiger nimmt, als es tatsächlich ist. Gleichzeitig winkt er mit der Hand, an welcher der schwere Ring Durins glänzt, einen Bediensteten herbei, den er nach der Schokolade für Dís und sich schickt.

Mit einem lustigen Zwinkern seiner klugen alten Augen, zupft Thror am Kragen seiner Robe. »Sobald ich endlich dieses ganze schwere Zeug ausgezogen habe und die Schokolade gebracht wurde, machen wir es uns vor dem Kamin bequem und dann kannst du mir in aller Ruhe erzählen, was der böse Frerin angestellt hat.« Kaum, dass der König mit seinen Worten endete, sind schon zwei Bedienstete damit beschäftigt, ihn von der schweren Robe zu befreien. Ein weiterer Zwerg hebt mit gewichtiger Mine die Krone von Thrors grauem Haar und legt sie auf einem Kissen von schwarzem Samt ab. Danach widmet er sich allem weiteren Schmuck, angefangen vom Bartschmuck mit seinen vielen Gold- und Silbergliedern bis hin zu den Ringen, die er an jedem einzelnen Finger trägt und den ledernen Arm- und Beinschienen, die überreich mit kostbarsten Metallschuppen verziert sind.

 

Dís hat einige Kissen zusammengetragen und sie auf den Fellen vor dem Kamin ausgebreitet, in welchem das Feuer lustig flackert und wohlige Wärme verbreitet. Wie in einem Nest thront sie nun zwischen ihnen. Dabei wippt sie ungeduldig mit einem Fuß, während sie auf den König und die versprochene Schokolade wartet.

Endlich wird die Tür geöffnet. Doch nicht der erhoffte Bedienstete kommt herein, sondern Frerin lugt durch den Spalt. Sofort wird er vom König entdeckt, der gerade in seinen königlichen Hausmantel schlüpft. »Stänkerst du schon wieder mit deiner kleinen Schwester?«, fragt Thror und droht dem mittleren Spross seines Sohnes mit dem erhobenen Zeigefinger. »Sollst du das?«

Die Hände auf dem Rücken ineinander verschlungen sowie betreten auf den Boden blickend, steht Frerin vor seinem Großvater. »Nein, Herr!«, bringt der junge Zwerg leise hervor.

»Und nun?«, bohrt der König. »Was soll nun geschehen?«

Über die Schulter wirft Frerin seiner Schwester einen bösen Blick zu, bevor er sich Thror wieder zuwendet und mit einem tiefen, ergebenen Seufzen sagt: »Ich soll mich entschuldigen.« Thror nickt zustimmend, ist überaus stolz auf die Einsicht des jungen Zwergs. Dieser hat kurz die Augen geschlossen, bevor er »Entschuldiung, Dís, ich werde dich nie mehr ärgern« hervor stößt, als würde sich alles in ihm dagegen sträuben.

Das Verhalten von Frerin verrät dem König, was es ihm gekostet haben mag, die Worte hervorzubringen. Er weiß auch, dass er sie im Moment so meint, wie er sie sagte. Morgen jedoch, kann es schon wieder ganz anders aussehen.

Trotzdem lässt er es nun auf sich beruhen, denn glücklicherweise nickt das Zwergenmädchen zustimmend und huldvoll, als Zeichen, dass sie die Entschuldigung akzeptiert. Stattdessen bedeutet der König Frerin, sich neben seine Schwester zu setzen, die nun die Augen verdreht. »Großvater!«, beschwert sie sich. »Ich will ihn nicht hier haben!«

Thror zieht ungehalten die buschigen Augenbrauen zusammen. »Wir trinken nun zusammen die warme Schokolade und dann erzählt ihr beiden mir, warum ihr im Berg so laut herum schreien müsst, dass sich sogar die Echos verkriechen und die Mauern der ewigen Schmiede Aules beben.« Mit einer Handbewegung schneidet er Frerin das Wort ab, gerade als dieser zu sprechen ansetzen will. Auch Dís richtet sich auf, als wolle sie zu einem Widerspruch ansetzen. »Mir ist es egal, wer von euch beiden mit dem Streit begonnen hat, aber zusammen kann er beendet werden. Habt ihr Streithühnchen mich verstanden?«

»Ja, Herr!«, murmelt Frerin, nachdem er einen bitterbösen Blick mit Dís gewechselt hat. Diese stimmt gleichzeitig mit einem »Ja, Großvater!« zu.

Mit leisem Seufzen lässt sich der König endlich in den hochlehnigen Sessel sinken. Sofort ist ein Bediensteter an seiner Seite, um ihm einen Schemel für die Füße zurecht zu rücken. Ein weiterer reicht ihm einen Becher mit dem warmen Getränk und auch die Kinder werden versorgt.

»Beim Barte Durins!«, murmelt Thror nach einigen Minuten der geradezu behaglichen Stille. »Bei einem solchen Gesöff kann man glatt vergessen, wie anstrengend der Tag war.«

»Was war denn geschehen, Großvater?«, erkundigt sich Dís neugierig.

»Musstest du einen Krieg gewinnen oder hast du jemanden zum Oberhaupt eines neuen Clans bestellt?«, setzt Frerin die Frage fort, beugt sich sogar interessiert vor. Auf das verneinende Kopfschütteln Thrors hin, huscht Enttäuschung über das Jungengesicht.

»Nein«, erklärt der König mit leichtem Bedauern. »So lustig war es leider nicht. Stattdessen haben sich Girion und Thranduil heute gestritten.«

Von Frerin tönt ein leises Lachen. »Ich glaube, dass sich Thranduil wohl mit jedem Lebewesen streitet, wenn es nur eine Zunge zum Reden hat.«

Thror versucht, seine Heiterkeit über die Worte des Zwergs hinter seinem Becher zu verbergen. »Da magst du Recht haben, mein Junge«, stimmt er ihm noch zu, bevor er einen tiefen Schluck nimmt und den Becher dann zur Seite stellt. »Nun erzählt mir, warum ihr euch gestritten habt.

»Frerin hat gesagt, dass du dein Versprechen vom vergangenen Jahr vergessen hast!«, erklärt Dís mit der Überzeugung eines sechsjährigen Zwergenmädchens, dass ihr Großvater dieses niemals vergessen würde.

Thror blickt überrascht auf die beiden Zwerglinge. ›Welches Versprechen?‹, will er fragen.

»Aber selbstverständlich wird das niemals geschehen, weil Könige niemals ein Versprechen vergessen, das sie einmal gegeben haben«, plappert Dís weiter, wobei ihre Zöpfe bestätigend auf und ab wippen.

»Ein dummes Märchen ist nichts! Nichts, was so wichtig ist, dass man es im Gedächtnis halten muss«, erklärt Frerin mit der naseweisen Klugheit eines Zwerges zwischen Kindheit und dem Erwachsenwerden. »Geschäfte sind viel wichtiger, als kleinen Zwerglingen etwas vorzulesen.«

Hoffnungsvoll blickt Dís zu ihrem Großvater auf, dem nun so langsam bewusst wird, dass der Streit der Kinder ihn selbst betraf sowie etwas, was er bereits verdrängt hat. »Sag Frerin, dass du dein Versprechen halten wirst!«, fordert Dís. Dabei wischt sie sich eine kleine vorwitzige Träne von der Wange, die Frerins Worte hervorgerufen haben.

»Selbstverständlich halte ich mein Versprechen! Ein König hat immer zu seinen Worten zu stehen, sonst denken noch die Leute, dass er unglaubwürdig wäre«, bekundet Thror mit brummiger Stimme. Dabei lächelt er Dís verschmitzt an, die nun über das ganze Gesichtchen strahlt. Dann wendet er sich ihrem Bruder zu. »Und zu dir, mein lieber Frerin, muss ich sagen, dass du Unrecht hast. Märchen, Sagen und andere Erzählungen sind sogar sehr wichtig. Sieh dir unser altes Buch an, welches wirklich schon sehr zerlesen und abgegriffen ist! Manche der Geschichten in ihnen sind so alt wie das Geschlecht der Durins, also noch aus einer Zeit, als wir Zwerge noch nicht die Schrift erfunden haben, um sie aufzuschreiben.« Tatsächlich wandern die Blicke beider Zwerglinge sofort zum hohen Regal hin, auf dessen unterstem Regalbrett ein in Leder gebundenes Buch steht. Mit dem abgegriffenen Rücken und der verblassten Schrift wirkt es zwischen den anderen Büchern etwas fehl am Platz. Eilig läuft Dís hinüber, berührt zögern das Leder, das bereits etwas brüchig wirkt.

»Du hast dein Versprechen wirklich nicht vergessen, Großvater?«, fragt sie und blickt über die Schulter zu ihm hin.

»Ich habe es nicht vergessen, mein Kind«, sagt Thror und hofft, dass ihm diese kleine Notlüge nicht den Weg in die Hallen Mandos verwehrt. »Aber ist es denn schon so weit? Mir kommt es vor, als hätte ich euch erst vor drei Monden die Geschichte von den Schwänen erzählt.«

Mit dem dicken Buch steht Dís vor dem Sessel. »Es ist genau ein Jahr her, als du sie uns erzähltest, Großvater.« Zustimmung heischend wendet sie sich Frerin zu, der zustimmend nickt.

»Aber habt ihr euch denn schon überlegt, welches ihr nun hören wollt?«, erkundigt sich der König neugierig. Dieses Mal erhält er jedoch von beiden Zwergen ein Kopfschütteln und auch ein unbestimmtes Schulterzucken.

»Und was ist mit Thorin? Er möchte doch sicher auch die Geschichte hören?«

Frerin winkt nur mit einer Hand ab. »Er hat erst gestern gesagt, dass er für Kinderkram zu alt ist.«

Gutmütig schnaubt Thror. »Dann wäre ich ja erst recht zu alt dafür!«

»Nein, nein, nein!«, erklären Dís und Frerin wie aus einem Munde.

»Wenn man alt ist, darf man sie wieder lesen«, erklärt der Jungzwerg, dem gleich darauf bewusst wird, was er gesagt hat. Darf man denn von einem König erzählen, dass er alt ist?

Der lacht jedoch nur gutmütig und nimmt dann Dís das schwere Buch ab. Fast liebevoll fährt er mit den Fingerspitzen über den verblassenden Goldschnitt der Blätter und den Buchdeckel. »Wir werden es so machen«, bestimmt Thror schließlich, »wir beginnen mit der ersten Geschichte in diesem Buch. Aber nicht mehr heute, sondern erst morgen und dann wird auch Thorin mit dabei sein.«

Die Enttäuschung ist in den Gesichert der Zwerglinge nicht zu übersehen, geradezu traurig geben sie ihre Zustimmung und erheben sich schließlich von den Kissen. Mit einer kurzen Umarmung verabschieden sie sich vom Großvater, wünschen eine ›Gute Nacht!‹.

An der Tür dreht sich Dís noch einmal kurz um. »Welche Geschichte wirst du uns denn erzählen? Da haben wir noch gar nicht nachgeschaut!«

Thror wirft einen Blick in das Buch und dann zum Mädchen:

 

»Allerleirauh.«

Am zweiten Abend

 

Äußerst unmajestätisch eilt Thror aus dem Thronsaal und die Flure und Treppen hinauf in seine Gemächer. Mit wehender Robe und einer Hand an der schweren Krone, damit sie ihm nicht vom Kopf rutscht, erreicht er seine Räume. Im Stillen verwünscht er den hochtrabenden Thranduil, der wohl mal wieder nur den Streit sucht, weil ihm langweilig ist. Es ist aber auch ein Kreuz mit diesem Elben! Man kann schon die Uhr danach stellen: Immer zum Beginn der Winterzeit, kurz vor Mittwinter, sobald Schnee und Eis den Norden Mittelerdes fest in seinen Klauen hält und die Völker um den Langen See regelrecht von der Außenwelt abschneidet, fängt er mit irgendwelchem Gezänk an.

Im vergangenen Jahr hatte er sich mit dem Meister von Esgaroth und dem Handelskonsortium der Seestadt in den Haaren und in diesem Jahr hat er es auf Girion, dem Fürsten von Thal, abgesehen. Das Schlimme ist aber eigentlich, dass der König des Waldelbenvolkes die Streitereien nicht in seinen eigenen Mauern oder denen des anderen austrägt, sondern immer im Erebor! Und dabei geht es stets nur um Nichtigkeiten. So auch heute. Thranduil streitet ganz einfach wegen einer fehlenden Papierlieferung!

Angeblich hätten die Papiermacher von Thal zu wenig an die Elben geliefert. Da stellt sich Thror die seltsame Frage, was die Eldar damit machen. Wenn man bedenkt, dass sie fast ewig leben und über Erinnerungen verfügen, die annähernd bis zu den Ainulindalen zurückreichen, wundert man sich tatsächlich, warum sie überhaupt etwas schriftlich festhalten.

Selbstverständlich fehlte keine einzige Lieferung, was Girion lückenlos belegen konnte. Zudem wird Tag und Nacht in den Papiermühlen von Thal gearbeitet und so, wie der Fürst sagte, lägen die Arbeiten gut in der Zeit. Der nächste Transport wird planmäßig zum geforderten Termin vonstatten gehen.

Für Thranduil muss das Papier wirklich wichtig sein, denn umsonst würde dieser nicht ein solches Drama veranstalten. Aber andererseits: Welcher Zwerg wird jemals verstehen können, was im Kopf eines Elben vor sich geht?

 

In seinen Räumen wird Thror schon von den Bediensteten empfangen, die ihn mit einem Becher warmen und köstlich gewürzten Weins begrüßen. Während er den Becher bis zur Hälfte leert, blickt er sich im Zimmer um und muss feststellen, dass bereits alles für den Abend vorbereitet ist: Im Kamin lodert ein hohes Feuer, dessen Flammenspitzen in der Esse fast verschwinden und an die Hitze eines Feuerdrachens erinnern. Davor sind Kissen zusammengetragen sowie zu einem flachen Berg aufgeschichtet worden. Zwei Schüsseln mit verschiedenen Leckereien und Gebäck sowie Becher und eine Kanne, aus der es warm dampft, stehen auf einem nahen Tischchen für die Gäste des Königs bereit.

Er selbst wird, wie an jedem anderen Abend auch, von seiner schweren Robe und dem Schmuck befreit. Alles geschieht ohne viele Worte, jeder Zwerg weiß, was der König wünscht, wie etwas zu tun ist. Sobald der Zwerg in seinen Hausmantel schlüpft, ist er nur noch Thror, der sich zum abendlichen Mahl an den Tisch setzt und dann auf den Besuch seiner Enkelkinder wartet.

 

Vor wenigen Minuten erst hat Thror die dienstbaren Zwerge für die Nacht entlassen, als es leise an der Tür klopft. Gleich darauf öffnet sich diese und Dís, gefolgt von Frerin und Thorin, treten ein. Im Gegensatz zu den beiden jüngeren, die den Großvater mit einer herzlichen Umarmung begrüßen, neigt der schwarzhaarige Thorin nur respektvoll den Kopf.

»Guten Abend, Großvater«, sagt er mit einer Stimme, die kaum noch etwas kindliches in sich hat. »Dís und Frin sagten, dass du wieder eine Geschichte erzählen möchtest.«

Thror glaubt, Freude aber auch Unglauben aus Thorins Worten heraushören zu können. Mit einem Lächeln nickt er zustimmend und deutet auf Tischchen und Kissenberg. »Wie du siehst, ist bereits alles für euch vorbereitet - wie im vergangenen Jahr auch.«

Thorin wirft einen nachdenklichen Blick auf die Kissen, auf denen es sich seine jüngeren Geschwister bequem gemacht haben. Frerin hat sich eine der Gebäckschalen herangeholt und auch Dís knabbert bereits an einem bunten Keks.

Der König glaubt zu sehen, wie sein Enkel mit sich selbst ringt und wohl innerlich hofft, dass er mit seinen sechzehn Sommern noch nicht zu alt für Märchen sein mag.

Um ihm die Entscheidung zu erleichtern, deutet Thror auf das Regal: »Reich mir bitte das alte Märchenbuch her und dann können wir auch schon beginnen, sobald du dich zu deinen Geschwistern gesetzt hast.«

Nur wenige Augenblicke später hält Thror II, König unter dem Berg, das Buch in den Händen, streichelt mit den Fingerspitzen geradezu liebevoll über Buchdeckel und Rücken sowie über die goldfarbenen Schnittkanten.

Fast geht es wie ein leises Seufzen durch den heimeligen Raum, als er das Buch endlich aufschlägt.

»Allerleirauh«, beginnt der König mit seiner warmen Stimme vorzulesen und selbst das hell prasselnde Feuer scheint nun ruhiger zu lodern, als wolle es der Geschichte lauschen.

 

Es war einmal ein Herrscher. Der hatte eine Gemahlin mit goldenen Haaren, und sie war so schön, dass sich ihresgleichen nicht mehr in Mittelerde fand.

Nun geschah es, dass die Frau erkrankte. Als sie fühlte, dass sie bald sterben würde, rief sie ihren Gemahl zu sich und sprach: »Wenn du nach meinem Tod dich wieder vermählen willst, so nimm niemanden an meiner Statt, die nicht ebenso schön ist und ebenso goldene Haare hat, wie ich sie habe. Das musst du mir versprechen.«

In seiner Not und weil sie ihn so sehr darum bat, gab der König ihr sein Wort, woraufhin seine Gemahlin ihre Augen schloss und starb.

Über eine lange Zeit trauerte der Herrscher. Bald an die sieben Jahre trug er schwarz und ließ auch die stolze Stadt in Flor hüllen.

 

Hier stockt Thror und blickt auf seine Gäste hinab. »Von welcher Stadt soll der König der Herrscher sein?«

Ratlos blicken sich Frerin und Dís an: Die eine, weil sie nicht weiß, welche Stadt man nennen könnte, die märchenhaft genug ist, um sie zu erwähnen. Der andere, weil er die letzten Lektionen in der Kunde Mittelerdes bei Balin verträumt hat.

»Minas Tirith«, sagt Thorin in die Stille hinein. »Die weiße Stadt der Menschen in Gondor.«

»Du weißt aber auch, dass Gondor keinen König hat, sondern nur einen Truchsess?« Fragend zieht Thror eine Augenbraue hoch.

Zur Antwort erhält er ein Schulterzucken. »Es ist doch nur ein Märchen«, erklärt der junge Durinerbe, während er sich einen Keks mit besonders buntem Zuckerguß aus der Gebäckschale aussucht. »Es gibt ja auch keine Zauberer, genausowenig wie Hobbitse existieren«, erklärt er mit der Sicherheit der Jugend, die nur mit eigenen Augen vom Gegenteil überzeugt werden können, denn für sie gilt nur sehen heißt glauben.

Thror schmunzelt in seinen dichten Bart und wendet sich dem Buch wieder zu.

 

An die sieben Jahre waren die Mauern von Minas Tirith mit schwarzem Flor verhangen. Wo einst das Weiß der siebenstufigen Stadt bis weit in den Pelennor hinaus erstrahlte, versank nun das Reich Gondors in Trauer. Selbst Musik und Tanz zu Hochzeiten war bei Strafe untersagt. So weit man vom höchsten Punkt der Stadt blicken konnte, so weit lag die Trauer auf dem Land. Wie ein Tuch, ein Leichentuch.

Nach dieser Zeit drangen die Räte in den Herrn von Minas Tirith, sich wieder zu vermählen, denn so war auch der Wunsch der verstorbenen Gemahlin. Eingedenk ihrer letzten Worte ließ der Truchsess im ganzen Reich nach einer Braut suchen, die in Schönheit seiner Frau gleichkam und ebenso schönes Haar hatte.

Nach einem Jahr kehrten die Boten zurück. In jeder Ecke Gondors und sogar über dessen Grenzen hinweg, haben sie die Kunde von der Brautschau getragen. Sie suchten selbst in den amseligsten Hütten, fanden jedoch keine Braut, die der Schönheit der verstorbenen Herrscherin gleichkam.

Eines Tages geschah es, dass der Truchsess in einer einsamen Stunde auf den Zinnen seiner schwarz verhangenen Fest spazieren ging, als er ...

 

Lautes Murren wird unter den drei jungen Zwergen laut.

»Willst du gerade jetzt für heute Schluss machen?«, fragt Dís, die Stirn erbost in Falten gelegt. Sogar ihre Zöpfe wippen zornig und auch Thorin und Frerin blicken den König ungehalten an.

»Nein, nein, das will ich nicht.« Begütigend hebt er eine Hand. »Ich benötige nur wieder eure Hilfe: In dieser Geschichte geht es ja um ein Kind des Königs. Nun weiß ich nicht, wie das Kind heißen soll.«

»Frerin und Thorin!« So schnell wie ein Pfeil, der von der Bogensehne schnellt, erklingt von Dís die Antwort.

Thorin gibt ein brummiges »Nicht schon wieder mein Name!« von sich und auch Frerin ist nicht sehr begeistert vom Vorschlag seiner kleinen Schwester.

»Es müssen nicht zwei Namen sein, denn einer ist vollkommen ausreichend«, erklärt Thror nachdenklich. »Ich denke jedoch, dass es trotzdem machbar sein könnte ...«

»Aber, bitte, nicht schon wieder mit meinem Namen!«, fleht Thorin nun mit erhobener Stimme.

Frerin nickt heftig: »Meinen auch nicht!«

»Spielverderber!« Dís rümpft ihre kleine Nase und blickt hilfesuchend den Großvater an. Dieser zuckt nun wie Thorin zuvor mit einer Schulter, entschuldigend.

»Das Einfachste wäre wohl, wenn ihr euch Namen ausdenkt«, schlägt Thror nun vor, stibitzt aus der Gebäckschale einen Keks, den er geradezu genüsslich knabbert, während die Kinder über seine Worte grübeln.

»Peregrin und Frodo!«, erklärt Frerin schließlich kauend.

»Bei Durins Barte! Wo hast du denn solche Namen hergenommen, Frin?«, fragt Thorin und auch Dís lässt ihre Zöpfche ablehnend wippen. »Die hören sich nicht an, als würden sie zu Prinzen passen.«

Beleidigt lehnt sich der blonde Jungzwerg zurück. »Macht doch bessere Vorschläge!«

Stille - nur von leisem Keksknuspern unterbrochen.

»Faramir und Boromir.« Geradezu zögernd und fragend klingt Dís’ Kleinzwergenmädchenstimme. Unsicher blickt sie ihre Brüder an.

»Besser als Frins Vorschlag sind sie allemal!«, erklärt Thorin, zustimmend nickend.

Zufrieden, dass diese Hürde nun endlich überwunden ist, wendet sich der König dem Märchen wieder zu.

 

Eines Tages geschah es, dass der Truchsess in einer einsamen Stunde auf den Zinnen seiner schwarz verhangenen Feste spazieren ging und den Erinnerungen an seine verstorbene Gemahlin nachhing. Sein Blick fiel dabei auf den Garten, welcher direkt unterhalb der Burg angelegt war. In gerade diesem Augenblick kam die Sonne hinter einer Wolke hervor, ließ ihre warmen Strahlen über allerlei Blumen und Sträucher tanzen und fiel auch auf seine Söhne, die sich dort aufhielten.

Stolz erfüllte ihn beim Anblick der beiden jungen Männer. Edel und stark waren sie, aufrecht gewachsen, blickten mit wachen Augen ihren Mitmenschen offen in das Angesicht. Der ältere der Brüder, Boromir, stand dem Herzen des Truchsess am nächsten, denn er würde eines Tages dessen Amt übernehmen.

Obwohl der Truchsess fast täglich seiner Söhne ansichtig wurde, berührte ihn doch in gerade diesem Moment der Anblick seines Jüngsten besonders. Dieser war schlanker und graziler als Boromir. Das Haar leuchtete golden im Sonnenschein und erinnerte den Vater unwillkürlich an die verstorbene Gemahlin. Es fiel ihm wie Schuppen von den Augen, dass sich der jüngere Sohn, Faramir, von Ansicht und Schönheit mit der seiner Frau messen kann, ja, sogar diese übertrumpfen könne. Heiß fuhr es ihm in die Lenden und er entbrante in Liebe zu ihm.

Noch in der gleichen Stunde ließ der Truchsess die Räte kommen. »Lasst die Farben der Trauer verschwinden!«, rief er ihnen zu, als sie seine Räume betraten. »Ich will Hochzeit halten!«

Sofort fragten sie, welche Braut sein Herz gewonnen habe.

»Keine Braut«, lachte der Truchsess und freute sich geradezu diebisch über die erstaunten Gesichter der Räte. »Es gibt niemanden auf der Welt, welcher der Schönheit meiner Gemahlin ähnlicher sein kann, als ein Kind von ihr selbst.«

»Ja, Herr, aber Ihr habt keine Tochter, die Ihr ehelichen könntet!« Gaben die Räte zu bedenken. Sie widersprachen dem Wunsch des Truchsess, war es doch verpönt, das eigene Kind zur Frau zu nehmen.

Als sie dann vernahmen, dass er gedenke, seinen eigenen Sohn zu ehelichen, gerieten sie geradezu in Verzweiflung. Welcher Mensch habe jemals Ähnliches gehört? Mit aller Überredungskunst versuchten sie, es ihm auszureden. »Ihr werdet keine Kinder zeugen können«, wandten sie ein, wurden jedoch vom Herrn zum Schweigen gebracht.

»Was brauch ich weitere Kinder? Ich habe Boromir als Erbe meines Amtes und sollte es ihm nicht möglich sein, oder Krankheit, Gebrechen oder gar Tod es ihm nicht ermöglichen, so kann Faramir als Zweitgeborener Truchsess werden.«

Dem können die Räte wenig entgegensetzen, schien es doch, als habe der Herr alles wohl durchdacht.

 

Faramir raufte sich die Haare, als er von dem Wunsch und den Worten seines Vaters erfuhr. »Wie kann man nur auf eine solch schreckliche Idee verfallen?«, fragte er seinen Bruder immer wieder, der nicht minder entsetzt war.

»Das muss ein Irrtum sein«, versuchte Boromir seinen Bruder zu beruhigen. »Wir lassen nach einen Heilkunden schicken. Vielleicht ist Vater von einer schlimmen Krankheit befallen, die ihn das Hirn zerfrisst?« So und ähnlich war sein Bestreben.

»Du kennst ihn«, antwortete Faramir, fuhr sich ein weiteres Mal aufgebracht durch die golden schimmernden Locken. »Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat, wird er es auch wahr machen!«

Dem konnte Boromir nichts entgegensetzen. Zu wahr waren die Worte. »Dann bleibt dir nur die Flucht.«

Der Jüngere lehnte den Vorschlag vehement ab. »Der Truchsess würde alle Hebel in Bewegung setzen, um meiner habhaft zu werden. Nur mit List kann ich mich ihm entziehen.«

In dieser Sache vertraute Boromir seinem Bruder, der höchstpersönlich von Gandalf, dem grauen Zauberer unterricht worden war.

 

Ein leises Schnauben unterbricht den König, fordert seine Aufmerksamkeit. Thorin blickt ihn unwirsch an. »Warum müssen alle Leute, die mit diesen komischen ›Zauberern‹ zu tun haben, hochgebildet sein?«

Die Frage macht Thror für einen Augenblick sprachlos, weil zu viel Verärgerung in ihr mitschwingt. Schließlich sagt er bedächtig: »Vielleicht ist ja Wissen ansteckend oder färbt zumindest etwas ab?«

 

Noch am gleichen Tag ließ der Truchsess Faramir zu sich rufen.

Dieser blickte seinen Vater offen an und hoffte, trotz seiner Worte zu Boromir, dass er diesen dazu bewegen könnte, den Entschluss fallen zu lassen. Doch kein Weg führte zur Einsicht des Truchsess.

Zum Schluss blieb ihn nur noch ein Weg, ihn von seinem Vorhaben abzubringen. »Ehe ich Euren Wunsch erfülle, lasst mir drei Gewänder anfertigen. Das erste eine Rüstung, hell wie die Morgensonne und leicht wie der Nebel, der über die Felder des Pelennor weht. Das zweite Gewand soll sein wie das junge Frühjahr, das über die Ebene streicht und das dritte wie eine sternenklare Sommernacht über Minas Tirith. Ferner verlange ich einen Mantel von tausenderlei Rauh- und Pelzwerk, vernäht mit Garn aus Stroh.«

»Solche Gewänder anzuschaffen ist ganz unmöglich«, sagte Faramir später hoffnungsvoll zu seinen Bruder. »Und vielleicht bringe ich den Vater damit von seinen Gedanken ab.«

Leider sollte es nicht sein: Die besten Schmiede wurden beauftragt, sich der Rüstung anzunehmen und die geschicktesten Jungfrauen des Reiches mussten die Stoffe für die Gewänder weben und diese anfertigen. Für den Mantel wurden die Jäger ausgesandt, von jedem Tier ein Stück Pelz zu bringen und bestes Stroh wurde so lange bearbeitet, dass es wie gesponnenes Gold aussah.

In der siebenten Woche nach welcher Faramir seine Wünsch geäußert hatte, wurde er in die Halle des Truchsessen gerufen, wo ihm die Gewänder und die Rüstung präsentiert wurden. Mit Schrecken und auch Bewunderung betrachtete er die silbernfarbene Rüstung, die im Fackelschein so schillerte, als würde die Morgensonne am Horizont aufgehen. Das zweite Gewand war aus grünem Samt gefertigt, der mal hell und mal dunkel schimmerte und über welchem ein Hauch wie goldene Sonnenstrahlen lag. Zum Schluss berührte er das Gewand aus nachtblauem Stoff mit silberner Borte und Diamantsplittern, die wie Sterne auf dem Dunkel glänzten.

Höchstselbst breitete der König schließlich den Mantel zu Faramirs Füßen aus und sprach: »Morgen soll die Hochzeit sein!«

 

Mit einem lauten Ton wird das Buch geschlossen und lässt die drei Zwerglinge zusammenzucken. »So, meine Lieben! Das war es für heute!«, erklärt Thror.

Enttäuschtes Murmeln wird laut. Sogar Thorin brummt etwas ungnädig. »Du bist kein lieber Großvater, Herr König!«, beklagt er sich, doch blitzen seine Augen dabei spitzbübisch. »Und ich hoffe sehr, dass du uns am morgigen Abend die Geschichte weiter erzählen wirst.«

»Aber selbstverständlich, ihr Lieben!«, beton Thror gutmütig und deutet auf die geleerten Schalen. »Aber erst müssen meine dienstbaren Geister wieder alles auffüllen.«

»Dienstbare Geister!«, kichert Dís, woraufhin Frerin ein heulendes »Huhuuuu!« von sich gibt und bedrohlich die Hände über seine kleine Schwester hebt.

Thorin kann über die Kindereien seiner Geschwister nur den Kopf schütteln. Lächelnd beugt er sich zu seinen Großvater hinab, umarmt ihn kurz zum Abschied. »Morgen, zur gleichen Stunde?«, fragt er, woraufhin Thror zustimmend nickt.

»Selbst ein Herr Thranduil kann mich nicht davon abhalten, zur gewünschten Stunde auf euch zu warten.«

Kurze Zeit später schließt sich die Tür hinter den jungen Zwergen - doch nicht ganz. Dís blickt noch einmal durch den Türspalt zurück und sagt mit freudiger Erwartung: »Bis Morgen, Herr König Großvater!«

Am ditten Abend

Der heutige Abend beginnt weit ruhiger als jene zuvor. Schon zeitig hat sich der König unter dem Berg in seine Räume zurückziehen können. Keine Hatz, keine Eile, kein Geschrei und Gezeter. Nur geradezu gemütliche Geruhsamkeit herrscht in seinen Gemächern und erfüllt sogar ihn selbst, als er sich mit einem leisen Seufzen in seinen Sessel sinken lässt. Zwar hatte Thror den halben Tag wieder mit dem Fürsten von Thal und dem König des Waldlandreiches zubringen müssen, doch war es dieses Mal nicht allzu anstrengend und zermürbend gewesen.

Möglicherweise mag es auch daran gelegen haben, dass der Zwergenkönig immer wieder mit Gedanken beschäftigt war, die nichts mit Papier und irgendwelchen Lieferungen zu schaffen hatten. Einmal hatte Girion sogar geklagt, dass er, Thror, überhaupt nicht zuhören würde und als Schlichter somit ungeeignet wäre!

Unwillkürlich muss der König schmunzeln, als er an den Moment denkt. Beide, Thranduil und Girion blickten gleichermaßen entsetzt und fassungslos auf ihn herab und waren sich in der Sekunde so ähnlich, wie es wohl nur enge Verwandte sein können. Vielleicht ...

Thror schüttelt über den abwegigen Gedanken den Kopf, muss sich jedoch daran erinnern, dass des Fürsten Mutter in ihrer Jugend eine sehr schöne Frau war. Aber nein, Thranduil würde sich niemals mit einer Kurzlebigen einlassen. Andererseits jedoch ...  

Bevor er den Gedanken weiter verfolgen kann, wird die Tür ohne Ankündigung aufgestoßen und Dís kommt in den Raum gestürmt. Wie ein Wirbelwind fegt sie zum Regal, aus welchem sie das dicke Märchenbuch greift und es nur Augenblicke später auf Thrors Schoß legt. »Bitteschön, Großvater«, sagt sie freudestrahlend, um ihn gleich darauf stürmisch zu umarmen. »Und einen Guten Abend wünsche ich.«

Frerin und Thorin betreten weit ruhiger das Zimmer, grüßen gleichermaßen den König mit einer kurzen Umarmung. Die zurückhaltende Art des jüngeren Zwergs erstaunt den König, ist er doch anderes von ihm gewohnt. Es geht sogar so weit, dass Frerin über die überschäumende Freude des Zwergenmädchens die Augen verdreht.

»Stört dich etwas, Frin?«, fragt er ihn deshalb, aber auch, weil es ihn tatsächlich interessiert, welche Laus dem blonden Zwerg über die Leber gelaufen sein mag.

Dieser zuckt nur unbestimmt mit einer Schulter.

»Vermutlich ist er nur mit dem falschen Fuß aus dem Bett gestiegen«, sagt Thorin an Stelle seines Bruders.

»Habt ihr beiden euch wieder gestritten?«, hakt Thror nach und blickt zwischen Dís und Frerin aufmerksam hin und her. Dass sich das Mädchen wie ertappt auf die Lippe beißt sowie betreten in das hell lodernde Feuer schaut und Frerin, der sich eilig einen Keks in den Mund schiebt, als könne er so einer Antwort entgehen, sagt dem Großvater mehr als genug. »Sollt ihr euch denn streiten?«, fragt er daher geradeheraus und erhält von beiden ein zögerndes Kopfschütteln. »Vertragt euch wieder, sonst kann ich die Geschichte nicht weiterlesen.«

Betreten blicken sich Frerin und Dís an. Nur zögernd strecken sich ihre Hände über den Berg aus Kissen entgegen, bis sie sich endlich berühren und leises entschuldigendes Gemurmel zu hören ist.

Zufrieden lehnt sich Thror in seinem Sessel zurück und schlägt das Buch auf. »Wenn ihr Kinder es euch nun endlich gemütlich gemacht habt, kann es mit der Geschichte weiter gehen.« Prüfend blickt er die Zwerglinge an, die vor dem Kamin auf dem Kissenberg thronen.

Als Faramir sah, dass keine Hoffnung mehr bestand, seines Vaters Herz umzuwenden, so fasste er den Entschluss, zu fliehen. In der Nacht, während alles schlief, stand er auf. In eine magische Tasche, die er einst von Gandalf, dem grauen Zauberer geschenkt erhalten hatte, tat er die beiden Gewänder und auch die strahlende Rüstung. Von seinen Habseligkeiten nahm er nur sein Schwert sowie eine Spange für den Umhang, welche er ebenfalls in die Tasche tat. In den Mantel aus allerlei Rauhwerk kleidete er sich und zog die Kapuze über das goldfarbene Haar.

Von Boromir, der ahnte, dass sein Bruder sich nun doch durch Flucht in Sicherheit bringen wollte, erhielt er einen Ring mit dem Zeichen des Reiches Gondor zum Andenken. Anschließend geleitete er seinen Bruder durch die sieben Pforten der Stadt, verabschiedete sich mit Tränen in den Augen.

»Wende dich nach Bruchtal«, riet er Faramir. »Vater hält nicht viel von den Elben, deshalb wird er dich dort nicht behelligen. Jedoch wird Herr Elrond sicherlich Rat wissen. Bei ihm wirst du Hilfe und Unterkunft finden. Sollte sich Vater anders besinnen, lasse ich dir eine Botschaft zukommen. Und wenn nicht, dann sehen wir uns dort wieder.«

Lange wanderte Faramir gen Norden, durchschritt Rohan, das Reich der Pferdeherren und folgte dem Verlauf des Anduin stromaufwärts.

»Ging er durch das Delta des Entwassers, bevor der in den Anduin fließt oder ist Faramir auf die östliche Seite gewechselt?«, fragt Thorin, dabei an einem Keks knabbernd.

Insgeheim freut es Thror, dass sein Enkel so aufmerksam der Geschichte folgt, trotzdem bringt ihn die Frage etwas aus dem Konzept. Nachdenklich kratzt er sich an der Nase. »Durch das Delta zu wandern könnte etwas anstrengend sein, wobei die Durchquerung des Flusses auch nicht ungefährlich ist ...«, überlegt er laut.

Ungeduldig und auch etwas ungehalten wedelt Frerin mit einer Hand, als würde er den König vorantreiben wollen, weiter zu lesen. »Es ist doch egal, wie und wo und ob er überhaupt das Ufer wechselte - oder doch?«

»Es geht ums Prinzip«, erklärt Thorin. »Wenn eine Geschichte erzählt wird, soll sie auch logisch klingen.«
Der blonde Zwergenprinz grinst seinen Bruder mit funkelnden Augen an. »Ich erinnere mich noch gut an das Märchen vom vergangenen Jahr, in welchem dein Ehegesponns ein Kind erwartete, obwohl er ein Mann war.«

Eine tiefe Röte zeichnet Thorins Hals bis in die Wangen hinauf. »Das war etwas anderes und außerdem ein Märchen. Und er war nicht mein Mann!«

»Aha!«, macht Frerin gedehnt. »Also ...«

»Nun streitet euch doch nicht, Kinder!«, sagt Thror mit erhobener Stimme. »Wir einigen uns einfach darauf, dass Faramir dem Flusslauf folgte.«

Dís, die bisher den Worten stumm gelauscht hatte, nickt zustimmend. »Und nun mach einfach weiter, Großvater«, bestimmt sie mit wippenden Zöpfen.

Faramir hatte die goldenen Wälder von Lothloríen bereits weit hinter sich gelassen, als sich Orks auf seine Fährte setzten und ihn jagten. Sie versperrten ihm den Weg, so dass ihm nur noch die Flucht gen Osten blieb. Dort aber lag ein tiefer, dunkler Wald, bewohnt von Kreaturen, die aus der schwarzen Festung von Dol Guldur krochen und das Land mit ihrem Atem verpesteten.

Amüsiert bemerkt Thror wie sich Frerin und Dís schütteln, als würden Schauer des Ekels oder Angst durch ihre Glieder rinnen.

Verborgen unter dem dichten Blätterdach und so der Sicht auf die Sonne beraubt, konnte sich Faramir nur schwerlich orientieren. Jedoch schritt er so sicher und tapfer es ihm möglich war aus. Tatsächlich schien er sich von der Festung zu entfernen, denn immer seltener musste er sich vor den dunklen Kreaturen verbergen und Hoffnung erfüllte ihn, bald auf die Alte Waldstraße zu stoßen, die ihn aus dem Wald herausführen würde. Nahrung und trinkbares Wasser fand er nur selten und so geschah es, dass er sich eines abends vollkommen entkräftet im Stamm eines hohlen Baumes zum Schlafen legte.

Da trug es sich zu, dass der König, dem dieser Wald gehörte, darin jagte. Als seine Hunde zu dem Baum kamen, schnupperten sie, liefen rings herum und bellten. »Seht zu, was dort für ein Wild sich verstecken mag«, sagte er zu den Jägern.

Diese gingen hin und berichteten dann: »In dem hohlen Baum liegt ein wunderliches Tier, das wir nicht kennen und wie wir noch niemals eins gesehen haben. An seiner Haut ist tausenderlei Pelz und es liegt aber und schläft.«
Die Worte der Jäger machten den König neugierig auf das Tier und er wollte es sich von Nahem besehen. »Seht zu ob ihr es lebendig fangen könnt. Dann bindet es auf den Wagen und nehmt es mit!«

Als die Jäger Faramir anpackten, erwachte er, erschrak und wehrte sich. »Ich bin kein Tier, das ihr fangen und in einen Käfig sperren könnt!«, rief er voller Verzweiflung.

»Wir könnten dich mitnehmen, Rauhtier«, sprachen sie und zupften an dem Umhang. »Du könntest in den Ställen arbeiten oder als Narr vor dem König auftreten.«

So kam es, dass Faramir auf einen Wagen klettern durfte und die Jäger in das Reich des Königs begleitete. Dort erhielt er einen Platz zum Schlafen in den Ställen zugewiesen und Essen durfte er sich in der königlichen Küche holen.

»Großvater! Du hast etwas vergessen!« Dís hat sich vorgeneigt und von der Aufregung oder der Wärme des Kaminfeuers sind ihre Wangen gerötet.

»Was habe ich denn übersehen?«

Geradezu triumphierend wirft sie einen kurzen Blick auf ihre Brüder, denen nicht aufgefallen ist, was sie entdeckt hat: »Wer ist der König?«

Frerin erinnert gerade an einen Karpfen auf dem Trockenen und Thorin zuckt wie schon am Vorabend nur mit einer Schulter. »Es ist doch wohl offensichtlich, wer der König sein könnte: Thranduil.«

»Nein - bei Aules Schmiedehammer! Nicht der Elb!«, fordert Frerin gleich darauf laut und Dís zieht eine beleidigte Schnute.

»Ich wollte es sagen!«, beschwert sie sich beim älteren Bruder und streckt ihm ihre kleine rosige Zunge raus. »Du bist gemein, Thorin!«

»Nun reicht es aber!«, fährt Thror dazwischen und schlägt zur Bekräftigung mit der Faust auf die Armlehne. Zwar war es nicht so eindrucksvoll, als würde er mit der Faust auf den Tisch hämmern, verfehlt aber trotzdem nicht seine Wirkung. Sofort hatte er die Aufmerksamkeit der Zwerglinge wieder auf sich gezogen. »Wir können an dieser Stelle  Schluss machen, wenn ihr euch lieber streiten wollt!«

Selbstverständlich waren die Zwerge absolut nicht damit einverstanden.

Tagein und tagaus musste Faramir das Vieh des Königs versorgen, hatte dafür als Lohn einen Platz zum Schlafen und täglich eine warme Mahlzeit. Seinen Umhang legte er selbst dann nicht ab, wenn er sich zur Ruhe begab und wenn er von jemandem angesprochen wurde, brummte er häufig nur zur Antwort. Daher rief man ihn nur noch Rauhtier.

Unter seiner Hand gedieh das Vieh. Egal ob es das Federvieh war, die Schweine oder die Pferde. Selbst Tiere, die so erkrankt waren, dass man sie von ihren Qualen erlösen wollte, erholten sich alsbald wieder.

Dies wurde auch dem König Thranduil zugetragen, der Faramir vor sich treten ließ. Interessiert und neugierig zugleich betrachtete er das seltsame Wesen mit dem tausenderlei Umhang, welcher keinen Blick auf das Gesicht des Menschen zuließ und auch die hochgewachsene Gestalt verbarg. »Du bist also das Rauhtier, welches wir im Wald aufgelesen haben und das solche heilenden Hände hat, dass das Vieh wieder gesundet, obwohl es erst vor Kurzem noch dem Tode näher als dem Leben war.«

»Ich gebe ihnen zu essen und ich gebe ihnen zu saufen sowie einige Worte des Trostes. Nicht mehr und nicht weniger. Ich weiß nicht, ob meine Hände heilend sind«, sprach Faramir respektvoll, jedoch mit verstellter brummiger Stimme, die mehr an die eines Bären erinnerte.

Darauf wusste der König nichts zu sagen und entließ Faramir wieder zu seinen Pflichten.

In der darauf folgenden Zeit geschah es immer häufiger, dass Thranduil der seltsame Mensch unter die Augen kam. Oft begegnete er ihm auf dem Sattelplatz, wenn die Reittiere für einen Ausritt oder die Jagd vorbereitet wurden. Manchmal konnte er ihn auch auf der Wiese entdecken, die direkt unter seinem Fenster lag. Dorthin kamen häufig die Hirsche des Königs, prächtig anzusehen, mit ausladendem Geweih und stolzem Gang.

Als der König das Rauhtier dort zum ersten Mal sah, wollte er die Wachen aussenden, dass sie ihn von dort vertrieben. Doch sah er, wie zutraulich die scheuen Tiere auf den Menschen reagierten. Auch die anderen Male kamen sie ohne Zögern auf ihn zu, rieben ihre weichen Nüstern an seiner Schulter, als würden sie um seine Zuneigung bitten.

Aus unerfindlichen Gründen begann der König, sich für den Menschen zu interessieren. Etwas Seltsames ging von ihm aus, was er nicht beschreiben konnte und ihn bei Tag und Nacht beschäftigte. Er konnte kaum noch ein Auge schließen oder einen Moment der Ruhe finden, ohne dass sich seine Gedanken sofort auf das Rauhtier richteten.
Seine Räte bemerkten die Unruhe des Königs und schoben es darauf, dass er bereits seit Jahrhunderten ohne Gemahlin war. »Ihr müsst wieder heiraten!«, rieten sie ihm. »Veranstaltet einen Ball mit allerlei Unterhaltung bei welchem Ihr eine Braut finden könnt. Ladet die schönsten Töchter der Eldar ein!«

Thranduil war sehr angetan von dem Vorschlag seiner Räte, versprachen sie doch Abwechslung und Vergessen von diesem wunderlichen Wesen, das inzwischen nicht nur seine Gedanken beherrschte, sondern auch ein seltsames Sehnen in ihm hervorrief und das sich fast wie ein Fieber in seinem Blut anfühlte.

»Er hat sich verliebt!« Begeistert klatsch Dís in ihre Händen, wogegen Thorin und Frerin nur genervt die Augen verdrehen.

»Wie kann man sich in jemanden verlieben, wenn man weder Gestalt, noch die wahre Stimme oder das Gesicht kennt?«, mokiert sich Frerin und blickt seine Schwester strafend an.

»Es ist doch eh nur ein Märchen.« Thorins Erklärung wird von einem abgrundtiefen Seufzen begleitet, welches nur verdeutlicht, dass er solche Streitereinen bereits zu oft hat hören müssen.

Der Abend des großen Balles näherte sich rasch und aus allen Elbenreichen waren die schönsten Frauen angereist und hofften, dass das Auge des edlen Thranduil mit Wohlwollen auf sie fiele.

Faramir hatte bereits in den Tagen zuvor viel zu tun, denn in den Ställen und auf den Weiden standen die Reit- und Kutschentiere der Gäste und wollten von ihm versorgt sein. Doch an diesem Abend zog er sich in seine kleine Nische zurück, die ihm zum Schlafen zugewiesen war, reinigte sich und holte aus den Tiefen der verzauberten Tasche das grüngoldene Gewand hervor, welches an einen Frühlingstag erinnerte. Eilig kleidete er sich an und verschloss zum Schluss seinen Umhang mit der fein gearbeiteten Nadel.

Nur für eine halbe Stunde wollte er den Ball besuchen und sich an der Musik erfreuen. Zudem hoffte er, dass er einen kurzen Blick auf den König werfen könne, wenn dieser ohne politische und herrschaftliche Zwänge sich mit anderen Elben unterhalten würde. Dass Thranduil mit ihm selbst wie mit einem Gleichgestellten und Ebenbürtigen reden würde, wagte er nicht zu hoffen. Zudem hatte er aus verschiedenen Reden erfahren, dass Thranduil eine Gefährtin suchte. Doch hoffte er von ganzem Herzen, dass der König ihn beachten möge.

Die Luft im Ballsaal schien vom vielen Gold und Silber geradezu zu flirren, welches nicht nur in den Farben der Gewänder und als Schmuck zu finden war, sondern auch im langen glänzenden Haar. Wie farbenprächtige Schmetterlinge wirkten zwischen ihnen die Schönen aus Thranduils eigenem Reich. Mit ihrem dunklen Haar und naturfarbenen Kleidern stachen die Waldelben wie Farbtupfer aus dem Gleißen der angereisten Gäste heraus.

Faramir fühlte sich von dem Anblick überwältigt, als er den Ballsaal betrat, wodurch  ihm entging, mit welchen Blicken er von den Anwesenden betrachtet wurde.

»Wer ist der goldhaarige Mensch?«, wurde leise gefragt.

»Vermutlich ein Prinz aus dem fernen Süden«, wurde gemunkelt und es war erstaunlich, wie nah Gerüchte der Wahrheit kommen können.

Kurzum: Die Elben tuschelten, munkelten, vermuteten, doch den schönen Prinzen in dem grünen Gewand und den goldfarbenen Locken wagte niemand zu fragen.

Faramir war es nicht gewohnt, ein solches Aufsehen zu erregen, was ihm unangenehm war und zu gern hätte er sich wieder zurückgezogen. Jedoch war er gekommen, um sich zu unterhalten und von daher lächelte er höflich und nickte freundlich grüßend den Anwesenden zu.

Thranduil wurde alsbald des Ankömmlings ansichtig, wunderte er sich doch über das Getuschel und Gerede im Saal. Neugierde bewog ihn, sich dem Goldhaarigen zu nähern und ihn persönlich zu begrüßen.

»Seid herzlich Willkommen!«, sagte er zu Faramir mit einem leichten Neigen seines edlen Hauptes. »Ich habe Euch noch nicht begrüßen dürfen. Sagt mir doch wie Euer Name ist, damit er auch allen  Anwesenden verkündet werden kann.«

Artig verneigte sich Faramir, dem die Freundlichkeit des Königs sehr zu Herzen ging und dessen Lächeln unwillkürlich das Blut erhitzte. »Mein Herr, ich bin nur ein Diener Eures Reiches«, antwortete er mit seiner warmen Stimme, welche schon seinen Vater zum Träumen verleitete.

Auch Thranduil war vom Antlitz und den Worten sehr angetan. Aber etwas war an diesem Menschen, das ihn an ein anderes Wesen erinnerte. Jedoch erschien es ihm zu abwegig, um das zu erkennen, was er direkt vor Augen hatte.

»Also, ein typischer blinder Elb!«, erklärt Frerin mit dem Brustton der Überzeugung.

Von Dís ist ein leises »Trottel« zu hören und lauter: »Wie soll er Faramir erkennen, wenn der ständig seinen Umhang trägt, seine Stimme verstellt und vielleicht auch noch gebeugt läuft, um nicht weiter aufzufallen?«, fragt sie naseweis.

Nun ist es an Frerin, der leise »Besserwisser« murmelt.

Noch die folgende Stunde blieb der König an Faramirs Seite, der immer unruhier wurde und sich im Stillen fragte, was dieser von ihm wolle. Es waren übermäßig viele schöne Elbinen im Saal, die seine Aufmerksamkeit verlangten. Trotzdem tat ihm die Gegenwart Thranduils wohl. Seine Stimme sandte Schauer durch seinen Körper und seine Augen schienen ihm bis ins Herz blicken zu können. Einmal berührte der König Faramir durch Zufall an der Hand, welche ihm wie ein Blitzschlag in die Gedärme fuhr.

Trotzdem genoss er seine Begleitung durch den Ballsaal und auch die Versuche, mit ihm in ein Gespräch zu kommen. Aber bis auf die wenigen Wort zum Beginn blieb Faramir stumm, da diese ihm schon als zu viel erschienen.

»Es muss doch echt nervig sein, wenn ein Elb jemandem so am Stiefelabsatz klebt«, murmelt nun Thorin leise.

»Wenn ihr weiterhin an meiner Geschichte herummosert, mache ich hier Schluss«, sagt Thror leicht grollend, denn diese ständigen Unterbrechungen sind anstrengend und lenken ihn von der Erzählung ab.

»Liest du morgen weiter?«, fragt sofort Frerin nach und Dís schiebt ein bettelndes »Bitte!« hinterher.

Thorin nickt nur zustimmen und gähnt hinter der vorgehaltenen Hand. »Es ist ein langer Tag gewesen und das macht manche von uns etwas reizbar.«

Daraufhin erhält er einige böse Blicke seiner Geschwister, jedoch widersprechen sie nicht und verabschieden sich von ihrem Großvater mit einer festen Umarmung.

»Gute Nacht, Kinder, schlaft gut!«, wünscht er ihnen und legt das dicke Märchenbuch zur Seite.  

Am vierten Abend

 Das Märchen lässt Thorin einfach keine Ruhe. Sogar im Unterricht bei Balin, der es meisterhaft versteht, selbst staubtrockenen Zahlenreihen etwas Interessantes abzugewinnen, muss er an die Geschichte denken. So ganz bekommt er nicht mehr zusammen, wie sie richtig war. Und das wurmt ihn, weil sich Großvaters Erzählung zu plausibel anhört. Es klingt, als würde er von einer Begebenheit berichten, die erst vor Kurzem geschehen ist und nicht etwas, bei dem die Kinder die Stichworte und Namen genannt haben.

Langsam drückt Thorin die Klinke hinunter und schiebt die Tür zu den Gemächern des Königs einen Spalt auf. Ein kurzer Blick versichert ihm, dass weder der Großvater noch einer der Bediensteten im Raum sind, weswegen er eilig hinein schlüpft.

Nur wenige Minuten später tritt Thorin auf den Flur hinaus und zieht die Tür leise hinter sich ins Schloss. Eher unbewusst ist seine sonst jugendlich glatte Stirn nachdenklich gerunzelt. Was er von dem Märchen und dem, was sein Großvater erzählt hat, halten soll, weiß er nicht. Beides sind gleichermaßen schöne Geschichten. Es ist halt nur so, dass ...

»Nanu, was treibt dich denn schon so zeitig her, Junge?« Die schwere Zwergenkrone in der Hand und das Zepter nachlässig hinter den breiten Gürtel geschoben, tritt der König unter dem Berg mit fragendem Blick auf Thorin zu. »Beschäftigt dich etwas oder ist etwas mit Thrain? Ich weiß, dass er in die Mienen wollte, um den Vortrieb der neuen Stollen zu begutachten. Ist dort etwas vorgefallen?« Unruhe und Sorge zeichnen nun Thrors Mine.

Beruhigend legt Thorin dem Großvater die Hand auf den Arm. »Nein, dort geht alles seinen Gang, zumindest ist uns bis vorhin keine andere Nachricht gebracht worden.«

»Ach, Junge«, brummt der König, während er die Tür zu seinen Gemächern öffnet. »Du darfst mich alten Zwerg nicht so erschrecken! Mein Herz ist nicht mehr das kräftigste und verträgt solche Sorgen nicht!« Mit außerordentlich ernsten Augen sieht er seinen Enkel an. »Die Angst, das eigene Kind in die Grüfte legen zu müssen, würde ich nicht verkraften.«

»Tut mir leid, wenn ich dir Sorgen bereitet habe«, murmelt Thorin betreten.

Reichlich unköniglich legt Thror Krone und Zepter auf den großen Tisch ab und in Ermangelung der stets anwesenden Bediensteten wirft er die schwere Robe über eine Stuhllehne. »Willst du mir nun erzählen, was dich hergetrieben hat?«

Auch wenn es sich albern anfühlt, weil es eigentlich nur eine Nichtigkeit ist, sträubt sich alles in Thorin, dem Großvater die Wahrheit zu sagen. Gleichzeitig ist er sich durchaus bewusst, dass er sich erst diesem prüfenden Blick entziehen kann, wenn er eine Erklärung gibt. Egal, ob es nun die Wahrheit ist oder etwas, was sich noch plausibler als diese anhört.

»Ich hab mir das Märchen noch einmal in aller Ruhe durchgelesen«, sagt er schließlich mit einem tiefen Seufzen.

Thror ist an den Kamin herangetreten, in welchem das Feuer lustig prasselt. Die Hände streckt er der Wärme entgegen, reibt die Finger, als wolle er Kälte aus steifen Gliedern hinaustreiben. »Und welche Geschichte gefällt dir nun besser?« Über die Schulter wirft er einen Blick auf Thorin, zwinkert ihm sogar lustig mit einem Auge zu.
»Ja, also ...«, beginnt der schwarzhaarige junge Zwerg gedehnt. In dem Moment wird die Tür schwungvoll aufgestoßen.

»Großvater, Großvater! Der Thorin ist ...« Mit wehenden Röcken stürzt Dís in das Zimmer und bleibt schwer atmend und mit weit aufgerissenen Augen vor ihrem Bruder stehen. »Oh!«, haucht sie atemlos. Gleich darauf stützt sie ihre kleinen Hände in die Seiten und blickt anklagend zu Thorin auf. »Ich und Frin suchen dich schon überall!«
»Frin und ich«, verbessert Thorin automatisch, was ihm ein weiteres erzürntes Augenfunkeln einbringt.

»Nun hast du ihn ja gefunden, meine Kleine«, erklärt Thror lächelnd. »Und warum hast du ihn gesucht? Solltest du ihm etwas ausrichten?«

An ihre Pflicht erinnert, wirft sich das Zwergenmädchen wie eine kleine Botin in Positur und sagt: »Du sollst zum Abendessen kommen.«

»Anweisung von Vater?«, hakt Thorin nach, der sich nicht von seiner kleinen Schwester herumkommandieren lassen will.

»Nein, von der Amme.«

Genervt verdreht Thorin die Augen. »Geh schon vor, ich komme gleich. Ich muss noch etwas mit Großvater besprechen.«

Skeptisch blickt Dís zu ihm auf und gibt nur ein leises »Aha!« von sich, das mehr als alle Worte sagt, dass sie ihm nicht glaubt.

»Lauf zur Amme und sage ihr, dass ihr drei mit mir zusammen zu Abend essen werdet«, erklärt Thror in dem Moment und wird von einem vor Freude quietschenden Begeisterungssturm überrollt.

»Danke, danke, danke, Großvater!«, jubelt Dís, während sie Thror die Arme fest um den Hals schlingt, um gleich darauf fröhlich aus dem Zimmer zu hüpfen.

»Und du Thorin, sagst in der Küche Bescheid, dass ihr mit mir zusammen speisen werdet«, weist Thror seinen Enkel an. »Möglicherweise sind schon die Diener mit meinem Mahl auf dem Weg.«

Erfreut, dass sie ausnahmsweise mit dem König speisen werden, obwohl er dabei seine manchmal an den Nerven zerrenden Geschwistern ertragen muss, eilt Thorin Dís hinterher, schlägt jedoch den Weg ein, der ihn zu den Wirtschaftsräumen bringt.

Bedienstete haben das Feuer geschürt und die Kissen wieder zu einem Berg zusammengetragen. Knabbereien fehlen ebenso wenig wie eine Kanne mit Tee.

Sobald das Mahl beendet ist und die Geschwister vom Tisch zu ihrem Platz vor dem Kamin wechseln, werden die Reste auch schon von den dienstbaren Geistern abgeräumt. Das Buch wird dem König, der seinen Platz in dem hochlehnigen Sessel eingenommen hat, auf den Schoß gelegt, während die bediensteten Zwerge noch die letzten Handgriffe tun, bevor sie für die Nacht entlassen werden.

Sobald sich die erste Gelegenheit ergab, zog sich Faramir zurück.

Ungesehen gelangte er in den Stall, wo er das Gewand in die Tasche tat, sich in seinen Mantel hüllte und so wieder zum Rauhtier wurde.

Voller Verzweiflung darüber, dass der goldhaarige Menschen, von dem ihm nichts weiter als sein Aussehen bekannt war, verlassen hatte, sah Thranduil sich im Ballsaal um. Er fragte die Anwesenden, wohin der Fremde verschwunden sei, doch niemand konnte es ihm sagen. Sogar die Wachen ließ er rufen, die vor dem Schloss standen und auch sie konnten ihm keine andere Nachricht geben.

In der Nacht fand König Thranduil keine Ruhe, wand sich im Bett von einer Seite auf die andere. Stets hatte er das Bild des goldhaarigen Mannes vor Augen, der ihm das Blut in die Lenden trieb. Erst als die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne den Himmel im Osten färbte, schlief er mit der Hoffnung ein, dass ihn die Jagd am folgenden Morgen auf andere Gedanken bringen könnte.

Der Morgen war bereits weit vorangeschritten, als der König auf den Sattelplatz hinaustrat. Dort tänzelte sein Reittier, ein Hirsch mit mächtigem Geweih, unruhig und wirbelte den feinen Staub des Platzes auf. Sobald er jedoch bemerkte, dass sein Herr sich ihm näherte, neigte das Tier erwartungsvoll den schlanken Kopf, beugte den anmutig geschwungenen Hals. Auch die Meute, die bisher laut ihre Aufregung wegen der bevorstehenden Jagd kund getan hatte, wurde still, als wüssten die Tiere, dass sie in wenigen Minuten durch den nahen Wald jagen würden.

Gerade, als sich Thranduil in den Sattel seines Hirschs schwingen wollte, erregte etwas am Boden seine Aufmerksamkeit. Es war etwas Glänzendes, das nahe der Stalltür in der Sonne glitzerte und gleißte. Zögernd trat er näher und hob es schließlich auf. Es war eine Brosche aus grünem Stein, geschliffen in der Form eines Blattes. Nadel und Spange war aus feinem Gold gefertigt und es wirkte so lebendig, als würde Saft durch die grünen Adern fließen.

Nachdenklich wog der König das Kleinod in der Hand.  Er hatte die Brosche bereits gesehen und zwar am Umhang des schönen Mannes. Doch warum liegt sie hier im Staub, direkt vor dem Stalltor? Entschlossen schob er das Tor weiter auf, so dass das Licht der Morgensonne das Halbdunkel erhellen konnte. Im hintersten Winkel des Stalles entdeckte er eine gebeugte Gestalt im weiten Mantel.

»Hey da, Rauhtier!«, rief der König. »Hast du am Abend einen Menschen mit goldenen Locken und einem grünen Gewand gesehen, das an einen Tag im Frühjahr erinnert? Möglicherweise war er an deinem Stall vorbei gekommen oder war gar hier?«

»Nein, hoher Herr!«, bekam Thranduil mit brummiger Stimme zur Antwort. »Mir ist keine Menschenseele begegnet!

Mit dieser Antwort musste sich der König zufrieden geben und wandte sich der Jagdgesellschaft zu.

In jener Zeit hatten sich die dunklen Monster aus Dol Guldur weit bis in den Norden des Düsterwaldes gewagt und Thranduil beabsichtigte, diese mit seiner Jagd zurückzutreiben.

Bald flohen die großen Spinnen in heilloser Flucht vor den Jägern und ihrer Meute, doch fielen trotzdem viele dieser Kreaturen unter den Pfeilen, Speeren und Schwertstreichen.

Thranduil war so sehr von der Jagd gefesselt, dass er nicht bemerkte, wie die Monster den König in immer tiefere Gefilde des Waldes lockten. Bald war er mit seiner Meute von der Gesellschaft getrennt und fand weder Weg noch Steg, die ihn zur Gesellschaft zurückbringen würden. In dem Augenblick stürzten sich die Spinnen auf die kläffende Meute, töteten jedes einzelne Tier und wandten sich gerade dem Hirsch zu, um auch diesen zu Fall zu bringen. Nur mit Mühe konnte Thranduil verhindern, dass sein geliebtes Reittier verletzt wird. Schon griffen Spinnenklauen nach dem König, Giftstachel zielten nach ihm, als ein seltsames Licht durch das Unterholz brach.

Nur Augenblicke später galoppierte ein Streitross auf die kleine Lichtung, auf die sich der König hat retten können und von den Spinnen umringt war. Doch das Leuchten schien von dem Reiter auszugehen, dessen Rüstung hell wie die Morgensonne strahlte und die Geliebten der Dunkelheit dorthin zurücktrieb, wohin sie gehörten.

»Wie langweilig!«, grummelt Frerin und schiebt sich einen von den bunten Keksen in den Mund. »Kein ordentlicher Kampf?«, murmelt er.

Thror wirft ihm nur einen kurzen Blick zu.

»Hör auf zu meckern, Grummelkopf!« Mit dem Ellenbogen knufft Dís ihren Bruder in die Seite, lächelt jedoch lieb, als Thrors strafender Blick sie trifft.

Thranduil konnte die strahlende Gestalt nur betrachten und bewunderte ihn dafür, wie leicht und mit welcher Präzision der Ritter das Schwert führte, um auch den letzten Spinnen den Garaus zu machen, die nicht rechtzeitig die Flucht ergriffen hatten.

»Ich danke Euch für Eure Hilfe«, sagte er schließlich zu dem unbekannten Reiter. »Ihr kamt wahrlich in höchster Not!«

Irritiert musste er zur Kenntnis nehmen, dass der andere nicht sein Visier öffnete wie es die Höflichkeit verlangte und um sich ihm vorzustellen. Wie sollte er ihm nun in gebührendem Maße danken, wenn er seinen Namen nicht kannte? Auch ein Wappen oder Farben, die auf die Herkunft schließen ließen, waren weder auf der strahlenden Rüstung noch auf der Satteldecke des Pferdes zu finden. »Zeigt mir Euer Antlitz und sagt mir Euren Namen, damit ich Euch gebührend mit Land und Gut danken kann.«

»Euren Dank verlange ich nicht, denn es ist eine Pflicht zur Hilfe zu eilen, wenn jemand diese bedarf«, antwortete Faramir, denn niemand anderes war der strahlende Ritter. »Land und Gut benötige ich nicht, doch schenkt mir etwas, was Euch gehört.«

Thranduil zögerte, kam ihm doch die Stimme bekannt vor. Zwar hatte er sie bisher nur kurz vernommen, doch hatte sie sich in  sein Herz geschlichen, welches er dem anderen schenken möchte. Das wäre jedoch zu gewagt.

»Großvater - nein, nein, nein - wie kann man nur so geschwollen und schwülstig reden?« Nun ist es Dís, die sich mokiert.

»So sprechen halt die Spitzohren«, antwortet Frerin an Thrors statt und nickt dem König huldvoll zu, dass dieser Weiterlesen solle.

Eilig überlegte Thranduil, was er als Zeichen seiner Huld schenken solle und überreichte schließlich ein weißes Tuch mit dem Wappen seines Hauses.

»Ihh!«, macht Dís und rümpft die kleine Nase.

»Seit wann wird eine Rotzfahne verschenkt?«, meckert Frerin und schüttelt verständnislos den Kopf.

»Vielleicht war es auch ein Halstuch, dass Thranduil verschenkte?«, gibt Thorin zu bedenken, erhält jedoch dafür nur verständnislose Blicke.

»Du meinst diese Schweißtücher, die die Männer in der Schmiede oder im Stollen tragen? Die sind doch vollkommen versifft und stinken nach Schweiß!« Ratlos blickt Frerin nun zum König.

»Thranduil ist ein Elb«, erklärt Thorin nun mit seiner gewohnt ruhigen Stimme.

»Ach, und du meinst, dass die nicht schwitzen?«, unterbricht Frerin ihn aufgebracht, als müsste er die Ehre aller Zwerge schützen. »Sind Zwerge etwa die einzigen in Mittelerde, die nach Schweiß stinken?«

Abschätzend blickt Thorin seinen Bruder an. »Frin, hast du schon mal erlebt, dass Elben arbeiten?«

»Ich würde Euch gern mehr als diesen kleinen Fetzen Stoff schenken. Die ganze Welt würde ich Euch zu Füßen legen, wenn Ihr es wolltet, mein Herr Ritter.«

Auf König Thranduils wohlgesetzte Worte hin schüttelte Faramir den Kopf. »So viel verlange ich nicht, König der Elben. Ich nehme nur den Fetzen, wie Ihr ihn nanntet, und gebe mich damit zufrieden.« Mit diesen Worten griff er mit der geharnischten Hand nach dem weißen Stoff, in dessen Ecke das hochherrschaftliche Wappen des Königs prangte. Soweit es ihm in der Rüstung möglich war, verneigte er sich grüßend und wendete das Ross.

Noch bevor Thranduil ein Wort des Abschieds sagen konnte, verschwand der Ritter in der strahlenden Rüstung zwischen den Bäumen und nahm das Leuchten des Morgens mit sich.

Bevor Faramir den Palast des Elbenkönigs erreichte, verbarg er seine Rüstung unter dem schäbigen Mantel, sattelte das Pferd ab und versteckte den Sattel am Waldrand. Da es zu seinen täglichen Pflichten gehörte, die Reittiere auch außerhalb der Schlossmauern zu bewegen, fiel es den Wachen am hohen Tor nicht auf, als er das Schlossgelände betrat.

Im Stall entledigte er sich schnell der Rüstung und legte sie in die Tasche zurück, aus der er sie genommen hatte. Das weiße Tuch jedoch, welches das Geschenk Thranduils war, schob er unter sein Wams.

Gerade hatte er sein Schwert auch in die bodenlose Tasche legen wollen, als durch eine helle Fanfare die Rückkehr des Königs signalisiert wurde. In seiner Hast, seinen Pflichten nachzukommen, schob er die Waffe unter einen Haufen Heu.

Auf dem Sattelplatz war ein heilloses Durcheinander. Aufregung herrschte unter den Meuteführern, weil ein großer Teil der Hunde fehlte, welcher von den Spinnentieren getötet worden war. Auch unter den elbischen Teilnehmern gab es einige wenige Verletzte, die nun von den Heilern versorgt wurden.

Gleich einer edlen Statue saß der König auf seinem Hirsch, blickte still auf das Geschehen um sich herum und schien doch meilenweit mit seinen Gedanken entfernt.

Faramir erschien Thranduil in dem Moment schöner als das Sternenlicht selbst, welches von den Eldar als rein und kostbar besungen wurde. Unter dem verborgenen Tuch auf seiner Brust spürte er sein Herz heftig pochen, als versuche es, mit wilden Flügelschlägen dem König entgegenzufliegen. Noch immer hatte er den Blick vor Augen, den dieser ihm geschenkt, als er ihm das Tuch gereicht hatte. Es war, als hätte er ihm die ganze Welt zu Füßen legen wollen.

Dís seufzt ein leises »Hach, wie schön!« woraufhin Frerin die Augen verdreht.

Schnellen Schrittes und mit gesenktem Haupt, damit der König keinen Blick unter die Pelzkapuze des Umhanges werfen konnte, trat Faramir auf ihn zu. Er ergriff das Halfter des Tieres und wartete, bis Thranduil sich aus dem Sattel gleiten ließ, um den Hirsch in den Stall zu führen.

»Mein Tier hat heute seine Treue bewiesen und mich aus einer schrecklichen Gefahr getragen, der ich nur mit fremder Hilfe entfliehen konnte. Sorge daher gut für ihn«, sagte Thranduil nachdenklich und leise, als würde er zu sich selbst sprechen. Dabei streichelte er den geschwungenen Hals und lächelte versonnen.

Faramir hätte in diesem Augenblick alles getan, um den König berühren zu können, stattdessen führte er den treuen Hirsch in den Stall, um ihn dort abzusatteln.

Gerade wollte er damit beginnen das Tier zu versorgen, als Thranduil den Stall betrat. »Du wirst heute viel zu tun haben, Rauhtier«, sagte er an Faramir gewandt. »Da will ich dir gern helfen und dich zumindest von einer Pflicht befreien.« Mit geübten Handgriffen begann nun der König selbst, den Hirsch zu versorgen.

Faramir nahm dies mit Erstaunen zur Kenntnis und nahm nach einigen Augenblicken, seine Pflichten gegenüber den anderen Tieren wahr.

»Was ist das?«, erscholl nach einiger Zeit die erhobene Stimme des Königs durch das dämmerige Gebäude. Gleich darauf kam er auf Faramir zu, in der Hand das Schwert, welches dieser als Ritter geführt hatte. »Wo hast du dieses Schwert her? Wie kam es in deinen Besitz?«, verlangte Thranduil zu wissen. »Wie kann es geschehen, dass ich dieses Schwert im Heu und Stroh deines Stalles finde? War ein Ritter hier und hat es womöglich vergessen?«

»Ich weiß es nicht, mein Herr«, erklärte Faramir mit der rauen Stimme des Rauhtiers. »Ich weiß weder, wie es hierher gelangte, noch, wer es hier vergessen haben könnte. Ich bin nur ein Knecht Eures Hauses. Was sollte ich über etwas so Wertvolles sagen können?«

Ein weiteres Mal musste sich Thranduil mit einer unbefriedigenden Antwort zufrieden geben. Mit dem Schwert in der Hand wandte er sich zum Gehen. Aus einem Impuls heraus blieb er jedoch im Tor stehen und sagt: »Nach dem heutigen Ball werden die Festivitäten beendet sein und dann wird auch hier wieder Ruhe einkehren.«

Faramir fragte sich, wie er die Worte des Königs auffassen sollte. Ob er vermutete, dass er der Prinz mit den goldfarbenen Locken war oder der Ritter im Düsterwald? Waren seine Worte eine Einladung oder waren sie nur ein Hinweis, dass bald wieder Ruhe im Palast einkehren würde?

Am Abend, als alle Gäste in den festlich hergerichteten Ballsaal strömten, reinigte sich Faramir und zog das Gewand aus der Tasche, welches an eine Sommernacht über Minas Tirith erinnerte. An den Finger tat er den Ring, welchen er von Boromir zum Abschied erhalten hatte und das weiße Tuch schlang er sich um den Hals. Sodann eilte er durch den beleuchteten Garten des Palastes zum Ballsaal hin. Durch die offenen Türen drang sanfte Musik zu ihm und zog ihn magisch in seinen Bann. Unbemerkt betrat er den Saal, beobachtete die Gäste, die sich zur Musik bewegten oder in Gesprächen vertieft am Rand der Tanzfläche standen.

Sobald Thranduil den goldhaarigen Mann bemerkte, schritt er ihm entgegen, um ihn zu begrüßen. Dabei fiel sein Blick auf das Tuch am Hals seines Gastes und erkannte es sofort als sein eigenes. Die pure Freude über diese Entdeckung ließ sein elbisches Herz in der Brust rasen und sein Lächeln überstrahlte selbst das Licht der vielen hundert Kerzen im Saal.

»Mein Herr Ritter, ich habe geahnt, dass Ihr es ward, der mir in höchster Not zu Hilfe kamt«, begann der König zu sprechen. »Doch nun beseelt ich die Gewissheit, dass Ihr es tatsächlich ward!« Mit diesen Worten zog der König die Finger Faramirs an die Lippen, um einen Kuss darauf zu hauchen und ...

»Ach bitte, Großvater! Können wir das nicht einfach überspringen?« In einer peinlich berührten Geste reibt sich Frerin den Nacken. »Das ist mir zu kitschig.«
Thorin äußert sich dazu nicht, doch sind seine Wangen gerötet, was möglicherweise auch am hell lodernden Kaminfeuer liegen mag und Dís lässt ihre Zöpfe ablehnend wippen.
»Es gehört mit zur Geschichte!«, erklärt sie mit leicht gerümpfter Nase und schiebt noch ein leises »Banause!« hinterher.

Faramir war von den Aufmerksamkeiten des Königs mehr als überwältigt und gleichermaßen angetan. Es gefiel ihm, so von Thranduil hofiert zu werden. Auch als er von ihm um einen Tanz gebeten wurde, konnte Faramir die Bitte nicht abschlagen. Jedoch war es ihm ungewohnt, sich in dieser Weise mit einem anderen Mann zu bewegen. Eine ungebührliche Hitze durchströmte seinen Körper, jedoch konnte er nicht sagen, ob es an Thranduils geschmeidigen Bewegungen lag oder weil er fürchtete, dass die Gäste die Bemühungen des Königs falsch verstehen könnten. Nach einiger Zeit entspannte er sich jedoch, da ihm nur mit freundlichem und interessiertem Blick begegnet wurde.

Den ganzen Abend wich der König nicht mehr von Faramirs Seite, er unterhielt ihn und führte ihn immer wieder zum Tanz. Häufig berührte er ihn, um ihm zu zeigen, in welchem Maße er angetan von ihm war. Dabei bemerkte er auch den Ring an Faramirs Finger.

Je weiter die Stunden voran eilten und die Mitternachtsstunde bereits lange überschritten war, wurde Faramir unruhiger. Im Osten war der erste Hauch des nahen Morgens zu ahnen, als er sich doch endlich wegstehlen konnte.

Thranduil jedoch hatte die Unruhe des anderen bemerkt und überlegte, was er ihm unbemerkt zustecken könnte. Beim Tanz tauschte er Faramirs Ring gegen seinen eigenen.

Wohlweißlich hatte er seine Wachen angewiesen, dem unbekannten zu folgen, sobald er den Ballsaal verlassen würde. Als dies nun geschah, eilten sie ihm unbemerkt hinterher und konnten dem König berichten, dass der goldhaarige Mann in den Ställen verschwunden sei. Dort habe man nur das Rauhtier aufgefunden, welcher auf seinem Haufen aus Stroh und Heu tief und fest geschlafen habe.

»Bringt das Rauhtier sofort zu mir!«, forderte der König die Wachen auf und nur Minuten später wurde der arme Faramir vor Thranduil geführt.

Dieser saß auf seinem Thron, noch immer angetan mit der Robe, die er zum Tanz getragen hatte. Aufmerksam betrachtete er die seltsame Gestalt, die gebeugt und mit geneigtem Haupt vor ihm stand. Der Mantel ließ nur erahnen, dass sich unter ihm ein menschliches Wesen verbarg.

»Vor zwei Tagen sagtest du, dass dir niemand begegnet sei, als ich dich nach einer bestimmten Person fragte«, sprach der König.

»So ist es gewesen«, antwortete das Rauhtier mit brummiger Stimme.

»Gestern fragte ich dich, ob du wüsstest, wie das Schwert in den Stall gelangt wäre und du sagtest, dass es dir nicht bekannt wäre.«

Das Rauhtier nickte. »Ich bin nur ein Knecht Eures Hauses und tu meine mir auferlegte Pflichten.«

»Möglicherweise erledigst du auch mehr als das?«, sprach der König leise, mehr zu sich selbst. Im nächsten Moment hielt er den Ring in das Licht, so dass Faramir ihn gut erkennen konnte, ohne den Kopf zu weiten heben zu müssen. »Möglicherweise kannst du mir sagen, wie ein Siegelring mit dem Zeichen Gondors, vom Haus des Truchsessen, in meinen Palast gelangen konnte.«

Faramir zuckte unter dem Umhang zusammen, spürte jedoch die Schwere eines Rings an seinem Finger, getraute sich aber nicht zu schauen, ob es sein eigener wäre. »Ich bin nur ein Knecht Eures Hauses«, antwortete er ein weiteres Mal brummig. »Fragt denjenigen, von dem der Ring stammen könnte.«

In dem Augenblick erhob sich Thranduil von seinem Thron, stieg die Stufen zum Rauhtier hinab. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, griff er nach Faramirs Hand, die unter dem langen Mantel verborgen war, schlug den Ärmel zurück und entblößte eine schlanke Hand, an dessen Finger der Ring des Elben glänzte. »Ich frage Euch, mein Herr!«, antwortete Thranduil mit warmer Stimme und tiefe Freude erfüllte ihn, als er seine Vermutung bestätigt sah. »Sagt mir Euren Namen, damit ich weiß, wen ich an meiner Seite weiß.«

Da nun seine Identität nicht mehr verborgen sein musste, schlug Faramir die Kapuze seines Umhanges zurück und blickte offen sein Gegenüber an. »Mein Name ist Faramir, jüngster Sohn Denethors, des Truchsessen von Gondor.«

Thranduil tat einen weiteren Schritt auf Faramir zu und stand nun so dicht vor ihm, dass sich ihre Lippen ...

Ein ungehaltenes Schnauben erklingt, welches gleichzeitig von einem tiefen Seufzen begleitet wird.

»So, ich denke, dass dies nun nichts für eure Ohren ist«, erklärt Thror und blickt auf seine Gäste, deren Minen zwischen Enttäuschung und Erleichterung schwanken.

In dem Moment ein leises Klopfen an der Tür, die gleich darauf geöffnet wird. Eine Zwergin mit ergrautem Haar blickt herein. »Guten Abend, Hoheit!«, murmelt sie entschuldigend. »Dís und Frerin brauchen ihren Schlaf und ich fürchte, dass ich die beiden am Morgen kaum aus den Federn bekomme, wenn sie nicht bald die Augen schließen.«

Verständnisvoll nickt Thror. »Ja, das wäre durchaus möglich! Wie gut, dass ich nun mit dem Märchen fertig bin.«

»Nein, Großvater, das bist du nicht!«, beschwert sich Dís.

»Doch, mein Kind«, sagt Thror und streckt die Arme nach ihr aus, dass sie sich für die Nacht von ihm verabschiedet. Auch Frerin und Thorin erheben sich von den Kissen, wobei der jüngere ein herzhaftes Gähnen hinter der Hand zu verstecken sucht.

»Wenn du wieder ein Märchen mit Elben erzählst, dann rede bitte nicht mehr so geschwollen, Großvater«, bittet Frerin ihn, als er die Arme um Thrors Hals schlingt. »Das ist so schrecklich anstrengend.«

»Gute Nacht, Kinder! Schlaft gut und träumt etwas Schönes! Ich verspreche euch, dass ich euch im nächsten Winter wieder eine Geschichte erzählen werde.«


Der Besucher

  Sobald sich die Tür hinter den Kindern geschlossen hat, wird leise eine andere geöffnet, welche zu einem Nebengemach führt. Schritte nähern sich dem König unter dem Berg und eine Hand legt sich sachte auf seine Schulter.

»Wie hat dir die Geschichte gefallen, mein Lieber«, fragt Thror und umschließt mit seinen Fingern die Hand, bevor sie zurückgezogen werden kann.

»Du weißt genau, dass ich deine Märchen liebe«, erklärt Nár mit ruhiger Stimme. Nur für einen Moment neigt er sich nieder, um seine Stirn gegen das Haupt des Königs zu lehnen. »Aber, wie wird die Geschichte zu Ende gehen?«

Leise lacht Thror, drückt warm die Hand des anderen. »Wir sind wohl schon zu lange zusammen auf dieser Welt unterwegs, mein lieber Nár, da ich genau wusste, dass du mich dies fragen wirst.« Lachfältchen tanzen um die Augen des Königs, als er nun zu Nár hochblickt. »Genauso, wie mir bekannt war, dass du uns im Nebenzimmer belauschst.«

Dunkle Zwergenaugen blicken Thror geradezu liebevoll aus einem Gesicht entgegen, welches von ergrautem Haar umrahmt und das ihm ebenso vertraut wie sein eigenes ist.

»Da ich zur kleinen königlichen Märchenstunde nicht eingeladen war, musste ich mir anders behelfen«, grummelt Nár und entzieht Thror mit einer ruppig wirkenden Bewegung die Hand. »Also ist es ganz allein deine Schuld, dass ich der Lauscher an der Tür war.«

Als würde er um Entschuldigung bitten, blickt Thror den anderen an. »Verzeih mir, mein Herz.« Mit der Hand deutet er auf das Buch, das noch immer auf seinem Schoß ruht. »Wenn du dich jedoch noch etwas zu mir setzt, mache ich meine Verfehlung wieder gut.«

Als müsse er es sich gründlich überlegen, wiegt Nár sein greises Haupt. »Du weißt, dass ich immer etwas grummelig werde, wenn ich nicht ausreichend Schlaf bekomme«, gibt er zu bedenken.

»Es ist nur noch ein kleiner Absatz«, sagt Thror und zwinkert dem anderen zu.

»Wirklich nur ein ganz kurzer?«, versichert sich Nár interessiert, greift jedoch bereits nach einigen Kissen, die vor dem Kamin liegen und die er nun zu Füßen des Königs platziert. Auf Thrors zustimmendes Lächeln hin, lässt er sich auf die Kissen nieder, so dass er sich mit dem Rücken gegen den Sessel und den Kopf gegen das Bein des Königs lehnen kann.

Thranduil tat einen weiteren Schritt auf Faramir zu und stand nun so dicht vor ihm, dass sich ihre Lippen  fast berührten.

»Seid Mein, Faramir aus dem Hause Denethors«, flüsterte Thranduil lockend. »Werdet mein Gemahl.«

Faramir zögerte auf die Verlockung einzugehen. »Ich weiß nicht, wie ich einen anderen Mann lieben kann«, begann er leise. »Ich weiß nicht, wie ich Euch berühren darf.«

Statt einer Antwort schob Thranduil den Mantel aus allerlei Rauhwerk von Faramirs Schultern, unter dem das dunkle Gewand zum Vorschein kam. Sanft legte er seine schlanke Hand auf den Stoff, gerade auf jene Stelle, unter der Faramir Herz heftig pochte. »Berührt mich so, wie Ihr berührt werden möchtet.«

Im ersten Moment war Faramir erstaunt über die Worte Thranduils und wie sehr er unter seiner Hand erschauerte. Es war das erste Mal, dass er in dieser Art und Weise von einem anderen Mann berührt wurde, so dass ihm Hitze durch den Körper rann. Glühend schoss das Begehren durch seine Venen, ließ ihn bis ins Innerste erbeben.

»Ich bin nur ein Mensch, hoher Herr«, gab Faramir zu bedenken. »Im Vergleich zu Euch lebe ich nur einen Wimpernschlag. Ihr werdet mich vergehen sehen und nichts dagegen unternehmen können. Hilflos werdet Ihr dem beiwohnen müssen.«

Mit beiden Händen umfasste Thranduil das Gesicht des goldhaarigen Menschen. »Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als bis zum Ende Eurer Tage an Eurer Seite bleiben zu dürfen und wenn es soweit ist, möchte ich Euch auf Eurer letzten Reise begleiten. Ohne Euch ist das schönste und längste Leben nicht mehr lebenswert.« Zart legte er seine Lippen auf Faramirs und spürte das Seufzen aus dessen Mund in seinem.

»Ich gehöre Euch, mein König«, antwortete er mit einem leisen Lächeln und zittrigen Lippen. »Ich will Euch spüren.«

Noch vor der Mittagsstunde wurde im Thronsaal eine kleine Zeremonie vor den höchsten Würdenträgern des Waldelbenreiches abgehalten und noch in der gleichen Stunde führte Thranduil seinen Gemahl in die Gemächer.

Dort war vor den hohen Fenstern ein Festmahl aufgetischt, wie Faramir es bisher noch nicht gesehen hatte. Wein funkelte rot wie Blut in edlen kristallenen Pokalen, Obst leuchtete verführerisch auf silbernen Platten. Eine Seite des Raumes nahm eine kleine elegante Sitzgruppe vor dem Kamin ein, in welchem ein Feuer loderte. Ihm gegenüber stand ein breites Bett, das das Zimmer beherrschte.

Jedoch mehr als der prunkvolle Raum nahm der Elb seine Aufmerksamkeit in Anspruch, der dicht hinter ihm stand. Warme Finger lösten das weiße Tuch, welches Faramir am Hals trug, streichelten über die freigelegte Haut. »Du bist nun Mein«, hörte er den König rau flüstern, bevor sich Lippen auf die weiche Haut unterhalb seines Ohres pressten.

Faramir gab sich mit einem Seufzen der Berührung hin, genoss die Hitze, die sie in seinem Körper erzeugte und ihn zum Beben brachte. Halt suchend lehnte er sich gegen den Mann in seinem Rücken, während Finger nun über seine Brust strichen, Rock und Beinkleider öffneten, um seinen Körper freizulegen.

Lippen strichen über die Haut und fanden schließlich seine. Gefangen in einem alles versengenden Kuss, ließ sich Faramir fallen. Er berührte den König wie er selbst berührt werden wollte. Seine Hände beraubten Thranduils Körper seiner Kleidung, erkundeten und streichelten über die glatte Haut. Finger verflochten sich mit dem langen Haar des Elben, gruben sich in das Fleisch, als würden sie die Gefühle intensivieren wollen.

Geflüstert wurden Worte der Begierde, der Hitze, die pulsierend durch die Venen rann. Rau und heiser klangen sie im stillen Raum, manches Mal kaum mehr als ein Stöhnen.

Leise keuchte Faramir auf, als kühle Laken seine Haut berührten. Finger streichelten über seinen Körper, erkundeten jedes Fleckchen. Lippen folgten ihrer Bahn, hinterließen eine feuchte Spur, eine Zunge drang in Nischen und Spalten vor, in welche Lippen nicht gelangen konnten.

Gefangen unter dem Körper Thranduils wand sich Faramir, wollte den Berührungen entfliehen und sich ihnen gleichzeitig entgegenstürzen. Es verwirrte ihn, wie sehr er auf den anderen reagierte und machte ihn atemlos. Mit fahrigen und unsicheren Händen zog er Thranduil an sich, rieb sein pulsierendes Gemächt an dessen Körper und spürte gleichermaßen seine Härte an seinen Lenden.

»Ich gehöre dir!«, flüsterte er immer wieder mit bebenden Lippen zwischen tiefen Küssen. Aus einem Impuls heraus schlang er die Beine um die Hüfte des anderen, rieb sich an dessen Körper. Gleichzeitig pressten sich Finger gegen seinen Eingang, massierten und streichelten ihn. Sie verteilten warme Feuchtigkeit bis der Muskel weich nachgab.

Stöhnend und wimmernd bog sich Faramir den streichelnden Fingern entgegen. Bettelnd verlangte er nach intensiveren Berührung als sich Thranduil zurückzog und stattdessen sein Geschlecht in den anderen gleiten ließ.

Unter der Berührung schrie Faramir gequält auf. Ob es wegen dem ungewohnten Gefühl des Ausgefülltseins oder der schnell verklingenden Schmerzen war, konnte er nicht sagen. Zurück blieb ein drängendes Gefühl und Hitze, sobald sich der König in ihm bewegte. Eine Hand schloss sich um seine Härte, die schmerzhaft pulsierte.

Im Gleichklang der Bewegungen trieb Thranduil Faramir in eine Explosion tausender Sterne. Mit einem heiseren Stöhnen ergoss er sich über dessen Hand und spürte, wie nun der König auch seine Erfüllung fand.

Erschöpft sank dieser neben Faramir auf das Laken, um in der gleichen Bewegung, diesen an seine Brust zu ziehen. Mit einer Hand zog er ein weiteres Laken über ihre ineinander verschlungenen Glieder. »Du bist Mein«, flüsterte Thranduil ein weiteres Mal, bevor sie beide in einen traumlosen Schlaf fielen.

Das laute Zuklappen des Buches lässt Nár leicht zusammenzucken, bevor er sich gähnend streckt und die alten Gelenke und Knochen knacken lässt. »Ich sollte nicht mehr zu deinen Füßen hocken«, beschwert er sich bei niemandem im besonderen. »Aber der kleine Frerin hatte eindeutig Recht: Wenn du eine Geschichte mit Elben erzählst wirst du zu umständlich«, grummelt er weiter.

»Ah, ich merke schon die Auswirkungen deines Schlafmangels.« Amüsiert zwinkert Thror dem anderen zu, um gleich darauf mit einer Schulter zu zucken. »Was soll ich wegen der Erzählweise unternehmen? Sie gehört in gewisser Weise dazu und ich denke nicht, dass manche Wörter in einer solchen Geschichte auftauchen müssen.«

Nachdenklich neigt Nár das Haupt zur Seite. »Da magst du recht haben«, stimmt er ihm schließlich zu und zwinkert amüsiert. »Trotz dem ganzen Gesietze und Geeuche habe ich Lust bekommen.« Demonstrativ zupft er am Band seiner Beinkleider, dessen Stoff eine ansehnliche Beule gebildet hat. »Kommst du mit, mein Lieber? Schließlich bist du Schuld an meinem Zustand und in dem Fall wäre es nur gerecht, wenn du dafür gerade stehen musst.« Leicht anzüglich grinst er den König an. »Oder soll ich etwa selbst Hand anlegen?«

Übertrieben gelassen legt Thror das Märchenbuch auf der Armlehne seines Sessels ab. »Du weißt, dass du am Morgen wieder sehr brummig sein wirst, wenn dir der Schlaf fehlt«, gibt er zu bedenken.

Als wäre er über die Bemerkung genervt, verdreht Nár die Augen. »Das lass nur meine Sorge sein«, erklärt er und drückt dem König einen schmatzenden Kuss auf die Lippen.


Ende

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Tag der Veröffentlichung: 06.12.2016

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