Struppi passte stets wachsam und für niemanden zu überhören auf Haus und Hof auf. Dieser laute Kleffer war sicher auch nicht teuer, haben wir ihn doch von Privatleuten „gebraucht“ gekauft. Warum die den wohl los werden wollten? Laut und billig waren jedoch ideale Voraussetzungen für meinen alten Herrn, dieses Tierchen zu kaufen. Der Hund war absolut nervig, weder als Kuscheltier noch als Spielkamerad zu gebrauchen, was ich mir doch so von Herzen gewünscht hätte. Ich weiß nicht einmal, ob mein Vater diesen hyperaktiven Rehpinscher, überhaupt mochte, denn er hat sich nie sonderlich um ihn gekümmert. Jegliche Sorge für ihn oblag meiner Mutter. Vielleicht ist es auch egal, was für ein Hund es gewesen wäre, mir scheint allen Hunden ist eine gleichermaßen devote Haltung zum Besitzer zu eigen. Für einen stetig gefüllten Fressnapf machen sie wohl alles, als sei es ihr zentraler Lebensinhalt. Auch wenn sie Herrchens Haus, Hof und Frauchen beschützen, so beschützen sie damit in erster Linie ihren Fressnapf und dessen stete Füllung. Aber dieses Devote macht auch alles so einfach. Wenns nicht gerade ein Rehpinscher ist, hat man jederzeit ein Kuscheltier und Spielkameraden, mein Vater einen Aufpasser, Mutter etwas zum bemuttern und alles zum Preise eines gefüllten Fressnapfes. Übel wird es eigentlich nur, wenn sich so ein Tierchen langweilt und am Mobiliar zu schaffen macht. Unser Exemplar hatte sich das Zerlegen der Gardinen zu eigen gemacht. Wahrscheinlich der Grund, warum die Vorbesitzer ihn loswerden wollten. Alles oberhalb eines Cents war sicher purer Gewinn für die Besitzer. Mein Vater versuchte ihm dies auszutreiben, indem er mit einer zusammen gerollten Zeitung hinter ihm her hechtete, sobald sich dieser den gerade erneuerten Goldkanten-Gardinen auch nur im Geiste näherte. Nur war er dazu viel zu langsam oder der Hund viel zu schnell, vielleicht auch beides. Wie auch immer, er traf nicht, der Hund verstand es als Spiel und spielte tagelang mit. Irgendwann traf er dann endlich mehrmals hintereinander richtig und Struppi hatte seine Lektion erstaunlich schnell begriffen.
Ich möchte keinen Hund, zum einen ist mir alles Devote irgendwie zuwider, zum andern mag ich ihm meine latente Abwesenheit nicht antun, auch zum Wohle meines Mobiliars. Aber als Kuscheltier und Spielkamerad sind manche Hunde durchaus zu gebrauchen, wenn es nicht gerade Rehpinscher sind. Ein richtiger Hütehund hätte damals das Zeug gehabt, mein Liebling zu werden, hatte ich mir doch so sehr den Bootsmann aus „Ferien auf Saltkrokan“ gewünscht. Heute suchen Hunde und Katzen meistens mich aus, warum auch immer, es hat mich mein ganzes Leben begleitet. Solange ich mich nicht um die Tierchen kümmern brauchte, fand ich das auch nicht unangenehm. Vor etlichen Jahren hatte mein Chef einen kleinen, wirklich niedlichen Hund. Gerade dem Welpenalter entwachsen, stromerte dieser ständig durch die Büros. Irgendwann landete er dann bei mir, sprang jeden Morgen auf meinen Schoß und lies sich endlos durch kraulen. Bald kannte ich jede Stelle an ihm, die ihm gefielt. Manchmal lag er fast apathisch da und knurrte, wenn er nur schon den Verdacht hatte, ich könnte mit der Behandlung aufhören. Zu vermeiden war das natürlich nicht, schließlich musste ich arbeiten. Festus sah total knuffig aus, ein süßes Wollknäuel mit Handteller-großen Pfoten und ein echtes Kuscheltier - ja, so einen Hund hätte ich als Kind richtig gern gehabt.
Viele Jahre später lud mich mein früherer Chef zu Angebotsverhandlungen ein. Die Firma, ein alter „volkseigener Betrieb“ aus DDR-Zeiten, befand sich in der Sanierung durch ein Westunternehmen. Das Gebäude war gebaut wie ein Amt, endlos lange Flure mit zig Zimmern. Hier müssen früher unzählig mehr Leute gearbeitet haben als heute. Das Gebäude war zwar komplett renoviert, aber die Büros nicht vollständig eingerichtet. Nur wenige Räume wurden überhaupt genutzt. Ich musste ins Zimmer am Ende des Flures. Der Raum war riesig, aber fast leer. In türnähe stand ein Tisch, umrundet von einigen billigen Roll-Bürostühlen. Dort ließen wir uns zur Beratung nieder und hoben in stundenlanger Diskussion ein neues Projekt aus der Taufe. Ich saß so, das ich direkt zur angelehnten Tür sehen konnte. Irgendwann lehnte ich mich zurück, schränkte meine Arme hinterm Kopf und grübelte über etwas nach. In diesem Moment flog die Tür auf und ein riesiger "Bär" sprang mit einem Satz auf meinen Schoß. Wir schleuderten quer durch den Raum. Erst ein dicker Teppich, an dem wir mit den Bürostuhl stolperten, machte der Fahrt ein Ende. Wir fielen auf den Boden, er lag auf mir und schleckte genüsslich mein Gesicht ab ... von fern hörte ich nur noch jemanden rufen:
" F E E E E E S T U U U U S S S S !!!"
Mein "kleiner süßer" Bernersennen hatte mich wieder, ein ausgewachsenes, riesengroßes Wollknäuel. In den folgenden 3 Wochen, ging der Hund nicht mehr von der Seite, war ohne mich kaum von der Stelle zu bewegen, sehr zum Unmut seines Besitzers. Anscheinend gibt es für so einen Hund doch noch etwas oberhalb eines gefüllten Fressnapfes.
Tag der Veröffentlichung: 08.08.2010
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