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Kapitel 12

Galdior stach mit seiner Lanze zu und sprang gleichzeitig nach rechts. Bolmar taumelte immer noch als die Waffe auf ihn zugerast kam. Er machte eine Pirouette nach rechts und lenkte die Lanze ab. Mit der linken Hand packte er die Lanze und zog sie, und somit auch Galdior, näher zu sich heran. Er sprang und stieß beide Füße in Galdiors Brust, der durch den heftigen Schlag nach hinten geworfen wurde.
Bolmar war gerade über ihm und wollte ihm die Schwertspitze an den Hals halten, um seinen Sieg klar zu machen, da klingelte es bei der Brücke.
Bolmar half Galdior auf die Füße und sie liefen zur Brücke hinab. Dort stand Tinira, die einen Hirsch und ein paar Kaninchen über die Schulter geworfen hatte.
"Hast du etwa gerade verloren Galdior?", fragte sie mit einem überraschten, nichtsdestoweniger amüsiertem Geschichtsausdruck. Galdior murmelte etwas Unverständliches und lief wieder den Hügel hinauf, als sie im Wald ein seltsames Geräusch hörten. Er drehte sich um und sah Reba heranrennen.
Sie machte sich nicht die Mühe zur Brücke zu rennen, sondern sprang mit einem riesigen Satz über den Graben ... und landete genau auf einer Holzspitze, von welcher sie wiederum absprang einen Überschlag machte und vor Galdior auf die Füße kamen
"Sie kommen ... etwa vierzig Mann auf Pferden. Ein Dutzend mit Bögen bewaffnet", keuchte sie.
Verdammt, dachte Galdior, sie waren in letzter Zeit vermehrt angegriffen worden, aber noch nie von solch einer Menge.
"Tinira, bringe das Essen rein und gib Randar Bescheid! Bolmar nimm die Brücke rauf! Reba du weißt, was du zu tun hast." Reba nickte und sprintete über die Brücke wieder in den Wald. Bolmar zog die Brücke hinauf und rannte zum Haus hinauf. Galdior folgte ihm.
Innert weniger Sekunden würde das sonst so friedliche Häuschen eine kleine Festung werden. Aus der Schmiede kamen Tinira und Randar bereits mit den Blachen aus festem Leder, das zuvor mit Wasser bespritzt worden war. Sie zogen sie über die Schmiede und über das Häuschen. So war das Anwesen vor Feuerpfeilen geschützt.
Randar rannte wieder in die Schmiede und holte eine Art Schild für Tinira heraus. Diesen postierten sie in der Nähe des Steins. Tinira machte ihre Pfeile bereit und überprüfte die Sehne ihres Bogens. Randar holte noch drei weitere aufstellbare Schilde heraus und stellte sie verteilt auf dem Hügel auf. Bolmar und Galdior nahmen die dicken Stoffhüllen von ihren Waffen, welche sie gebraucht hatten, damit sie sich im Freundschaftskampf nicht verletzten und suchten Deckung hinter einem der Schilde. Randar holte seinen Jagdbogen und begab sich ebenfalls hinter einen Schild.
Nun begann das lange Warten. Keiner sagte ein Wort, es war einfach still. Von fern hörte man sich rasch nährenden Hufschlag und schließlich auch das Gejohle der Räuberbande. Die ersten Pfeil der feindlichen Bogenschützen, die sich in den nahen Büschen versteckt hielten, sirrten durch die Luft. Bolmar wagte einen Blick auf Tinira. Sie spannte ihren Bogen und schoss, der Pfeil flog in einem steilen Winkel in den Himmel. Dieser hatte den höchsten Punkt erreicht, als Tinira etwas Unverständliches murmelte.
Der Pfeil schien zu explodieren und raste in Richtung Wald. Er schien gänzlich zu brennen und an den Seiten bildeten sich Flügel ab. Immer schneller wurde der Pfeil und nahm immer mehr die Form eines brennenden Vogels an. Bald war das Licht, das von dem Feuervogel ausging so grell, dass man nicht mehr hinsehen konnte.
Ein schriller Schrei erfüllte die Luft und brachte das Herz aller Anwesenden für kurze Zeit zum Stillstand. Alle schauten auf den Pfeil der sich jetzt ganz als Vogel entpuppt hat. Dieser schien ein Eigenleben entwickelt zu haben, sobald er den Waldrand erreicht hat, flog er einen Bogen um den ganzen Hügel. Die Luft brannte förmlich.
Der Angriff der Räuber kam ins stocken. Pferde scheuten, stiegen auf die Hinterbeine und warfen ihre Reiter ab. Viele Pferde rannten vor Schreck blindlings in den Graben und in die Holzspitzen und brachten ihren Reitern den Tod.
Der Feuervogel flog noch eine Runde, verflüchtigte sich langsam und sank dann in die Büsche nieder.
Die Reiter hatten sich in der Zwischenzeit neu formiert und rannten wiederum auf den Graben zu. Die ersten Reiter hatten den Graben bereits überquert und nun preschte etwa ein Dutzend Reiter den Hügel aufwärts. Es schossen keine Pfeile mehr auf den Hügel zu; das konnte nur heißen, dass Reba ihre Aufgabe erwartungsgemäß ausgeführt hatte und die Bogenschützen zum Schweigen gebracht hatte.
Galdior kam hinter dem Schild hervor und sprang den Reitern entgegen. Hinter den Reitern kam Reba aus dem Wald gerannt. Die Reiter, obwohl es sechsmal so viele waren, saßen in der Falle. Vom Hügel kam Galdior und vom Wald Reba und von der Seite schoss Randar seine tödlichen Pfeile ab.
Reba sprang mit einem gewaltigen Satz über den Graben. Sie machte einen Schritt und sprang auf das erste Pferd. Sie landete hinter dem Reiter und trieb ihm einer ihrer Dolche in die Seite. Der Reiter sackte zusammen und Reba stieß ihn zur Seite.
Dem Pferd die Füße in die Seiten treibend, ritt sie von hinten auf die Reiter zu. Bevor diese überhaupt merkten, dass sie da war, waren bereits zwei weitere tot.
Ihre blitzartigen Bewegungen ließen die Stachel wie graue Flecken in der Luft verschwimmen. Der Kampf währte nicht mehr besonders lange. Bald lagen alle Reiter tot oder halb tot am Boden.
Galdior nickte Reba und Randar fröhlich und ein wenig stolz zu. Doch das Glücksgefühl dauerte nicht viel länger an, als er merkte, dass am anderen Ende des Hügels Bolmar und Tinira immer noch zu kämpfen schienen.
Galdior und Reba rannten ihnen zu Hilfe. Bolmar stand in mitten von etwa sieben Reitern, völlig am Ende seiner Kräfte. Er parierte Schlag um Schlag und konnte selbst keinen Treffer mehr landen. Galdior wollte ihm gerade zu Hilfe eilen, da geschah etwas Sonderbares, für die Verteidiger jedoch sehr Erfreuliches.
Bolmars Schwert fing in seinen Händen an zu vibrieren. Bolmars Lippen bewegten sich stumm und plötzlich stieß er sein Schwert in die Erde. Galdior ging in die Knie. Der Boden unter seinen Füßen bebte und zitterte. Unter den fünf Reitern tat sich der Boden in einer Wolke aus Staub und Dreck auf und sie fielen ins Nichts. Sie waren wie weggezaubert. Man hörte sie weit unten schreien.
Da füllten sich die Löcher wieder, das Beben hörte ebenfalls auf. Das einzige, was noch daran erinnerte, dass dort einmal ein paar Reiter gestanden hatten, waren leichte Unregelmäßigkeiten auf der Erdoberfläche.


Kapitel 13

Alle schauten auf Bolmar, dieser zog sein Schwert aus der Erde und sah es verblüfft an. Mit einem Ruck drehte er sich zu den restlichen Reitern um. Diese machten keinen Hehl aus ihrer Angst, ließen die Waffen fallen und ergriffen gleich die Flucht. Galdior lief zu Bolmar, welcher immer noch sein Schwert in der Hand drehte und es mit einem Ausdruck entschlossener Grimmigkeit betrachtete.
"Der Zeitpunkt hätte nicht besser sein können", sprach Galdior.
"Das kannst du laut sagen, jetzt bist du der einzige, der seine Fähigkeit noch nicht entdeckt hat." Ein schadenfrohes Grinsen verzog Bolmars Gesicht. "Du hast ja schon immer ein bisschen länger gebraucht."
"Witzbold, komm wir gehen den Hügel räumen."
Eine Weile waren sie damit beschäftigt, alle Leichen auf die übriggebliebenen Pferde zu binden. Sie führten die Pferde in den Wald, von dort aus würden sie nach Hause reiten. Dort würden dann die Räuber ihre toten Kameraden selber bestatten können.
Sie nahmen die Blachen wieder hinunter und verstauten sie, ebenso wie die Schilde. Es war ein Wunder, dass keiner verletzt war. Irgendwie hatten sie den Angriff alle lebend überstanden.
Schließlich rief Randar sie ins Haus und sie setzten sich an den Tisch. Randar ergriff das Wort: "Ich glaube, die Zeit ist gekommen. Ich weiß nicht wie lange ihr hier noch sicher seid. Irgendwann wird es den Räubern gelingen uns zu überwinden. Seit knapp einem Jahr seid ihr nun hier und ich habe euch alles beigebracht, was ich weiß. Nun, liegt es bei euch. Was meint ihr?"
Die vier Freunde sahen sich an. Dann meldete sich Galdior: "Aber allein gegen die Räuber haben du und Lira keine Chance ..."
Randar schüttelte den Kopf: "Die Räuber sind nicht hinter mir her. Als ihr ihnen an dem Tag, als ihr hier ankamt, entkommen seid, waren sie in ihrem Stolz verletzt und darum greifen sie nun dauernd an. Sobald ihr weg seid, werden sie diesen Hügel nicht mehr behelligen."
Tinira schüttelte den Kopf: "Aber ... aber ... das kommt so plötzlich und was ist mit Reba?" Reba betrachtete still die Holzplatte. Randar sah sie an: "Ihr seid nicht die einzigen, die Weissagungen bekommen habt. Als Reba geboren wurde, hatte man mir gesagt, dass sie diejenige wäre, die unser Volk rächen würde. Darum wird sie mit euch gehen. Um ihr Schicksal zu erfüllen."
Sie schwiegen. Randar fuhr fort: "Ihr werdet morgen aufbrechen. Keine Widerrede. Nun geht zu Bett, denn euch erwartet ein langer Tag."
Er stand auf und lief aus dem Haus. Reba seufzte leise, als ginge ihr die Entscheidung ihres Vaters gänzlich gegen den Strich und lief ebenfalls weg, in ihr Zimmer.
"Ich hatte gefürchtet, dass es kommen würde, aber nicht so schnell", sagte Bolmar. Galdior nickte. Er stand auch auf und stapfte die Treppe hinauf. Die beiden anderen folgten ihm.

Scheppernde Geräusche weckten Tinira auf. Sie hockte auf und sah, dass Galdior auch bereits wach war.
"Was passiert da unten?", fragte Tinira schläfrig. Galdior zuckte mit den Schultern. Er schüttelte Bolmar. Dieser drehte sich um und murmelte etwas Unverständliches.
Dann hörte man wie irgend ein Ding, welches unglaublich massig zu sein schien, auf den Boden geworfen wurde. Bolmar schrak unter einem Schwall von Schimpfwörtern auf.
Er runzelte die Stirn. "Macht Randar gerade Frühlingsputz, oder was?", reklamierte er.
"Am Tag unserer Abreise, wohl kaum ... Wir finden es allerdings nicht raus, wenn wir hier bleiben. Gehen wir nachsehen." Sie machten ihr Bett, zogen sich an und stiegen die Treppen nach unten.
Wäre Randar tatsächlich mit dem Frühlingsputz beschäftigt gewesen, wären sie wohl weniger überrascht gewesen, als das was sich nun vor ihnen ausbreitete.
Da lagen vier ganze Rüstungen auf dem Boden ausgebreitet. Es war alles vorhanden, Brust- und Rückenpanzer, Kettenhemd, Helm, Bein- und Armschoner und sogar ein Umhang. Eine Rüstung war ganz schwarz, sie sah aus als wären einfach schwarze Platten über einander gelegt worden. Alles war schwarz außer einem kleinem, weißen Kristall an der Stirnplatte des Helms. Die Rüstung musste wirklich massiv sein, denn die Platten wirkten schwer und auf eine Art unzerstörbar.
Daneben lag eine leichter aussehende Rüstung, die Farbe war nicht wirklich zu definieren, sie schien auf den ersten Blick beige, doch wenn man den Blickwinkel wechselte, schien sie dunkelbraun. Ein Armschoner war dicker und größer als der andere. Der Helm war hoch und nach oben spitzte er sich zu.
Die dritte war von solch strahlendem Gold, dass, wenn die Sonne darauf schien, man fast nicht hinsehen konnte. Auf dem Brustpanzer war ein brennender Vogel abgebildet. Der Helm hatte sogar die Form eines brennenden Vogels.
Die vierte schien auf den ersten Blick, eine simple, wenn auch gleichwohl sehr schön, graue Rüstung. Doch sah man genauer hin, konnte man kratzähnliche Spuren auf den Oberfläche erkennen, die sich über die ganze Rüstung ausbreiteten.


Kapitel 14

"Was zur Hölle ...", begann Galdior.
"Nichts zur Hölle, das sind eure Rüstungen. Ihr werdet sie brauchen. Zieht sie an, sie passen euch", beendete Randar. Reba war auch schon unter dem Türrahmen erschienen. Sie brachte ihr Mund nicht mehr zu.
Randar hatte mit keinem Wort erwähnt, wem welche Rüstung gehörte, doch jeder schien es zu ahnen. Nach einer halben Stunde standen sie da, alle in voller Rüstung. Randar nickte. Es schien im zu gefallen, was er sah.
"Ein paar kurze Erklärungen, fragt nicht danach, woher ich die Rüstungen habe, akzeptiert sie einfach. Bolmar du hast vielleicht schon erkannt, dass dein linker Arm dicker ist. Er soll als Schild dienen. Galdior, der Kristall auf deinem Helm ist der gleiche wie der an deiner Lanze. Zu den beiden anderen Rüstungen sollte eigentlich alles klar sein. Diese Rüstungen sind von gleicher Art wie eure Waffen. Einmalig. Also lasst sie nirgends liegen und tragt sie soviel es geht. Draußen stehen gesattelte Pferde bereit. Ich habe euch Proviant eingepackt. Los geht's." Die vier Freunde starrten ihn mit offenen Mündern an.
"Wollt ihr Wurzeln schlagen?", fragte Randar gereizt und bevor sie sich richtig bewusst waren, was geschah, saßen sie bereits auf ihren Pferden. Randar drückte jedem die Hand. Bei Reba hielt er an. Er drückte ihr einen langen Kuss auf die Stirn.
Eine einzelne Träne rollte sein hartes Gesicht hinab Sein Innerstes schien vor Schmerz verzerrt zu sein. Auch Reba weinte.
Randar versetzte ihrem Pferd einen Klaps und sie setzten sich in Bewegung. Bevor sie überhaupt wussten, was mit ihnen passierte, liefen sie durch das Dickicht des Waldes. Niemand sagte auch nur ein Wort. Da liefen sie, Reba, Galdior, Bolmar und Tinira. Keiner wusste, wohin sie gingen, keiner wusste was sie machen würden, sobald sie aus dem Wald raus waren, keiner wusste, was ihnen widerfahren würde.


Kapitel 15

Sie hatten den nördlichen Waldrand erreicht. Als sie zwischen den Baumreihen hervorschritten und das Dickicht verliessen, schien ihnen die Sonne warm und freundlich ins Gesicht. Galdior drehte sich zu den anderen um.
"Ich schlage vor, wir gehen nach Norden und fragen uns durch. Was meint ihr?", fragte er.
"Gute Idee, nur ... was fragen wir?", erwiderte Tinira.
Galdior zuckte mit den Schultern und ritt weiter nach Norden. Bolmar seufzte und tat es ihm gleich und auch die beiden Frauen setzten sich in Bewegung.
Schier endlos ritten sie den Weg entlang, obwohl dieser Weg eher ein Trampelpfad war. Er zog sich in einer fast geraden Linie nach Nordosten.
Der Himmel war nur leicht bewölkt und bläulich grau. Rechts und links des Weges erstreckte sich eine schier unendliche Graslandschaft. Weit im Osten konnte man das grosse Gebirge erkennen. Weder ein Baum noch ein Strauch war zu sehen, nur kniehohes, grün-gräuliches Gras, das mit dem Wind wiegte.
Die Monotonie der Farben um sie, versetzte alle in eine Art von Trance. Jede Minute schien eine Ewigkeit zu gehen. Anfangs versuchten sie noch, sich mit Spielen zu unterhalten, doch mit der Zeit ritten sie einfach nur schweigend ihren Weg, der genau so unendlich lang schien, wie die Zeit.

Kurz vor Sonnenuntergang des dritten Tages wurde die Landschaft kahler und der Pfad stieg an und zog sich schlängelnd zwischen bizarr aussehenden Felsformationen hindurch. Bei einem grossen Felsen, welcher aussah, als würde er jeden Moment umstürzen, weil er so schräg war, hielten sie an und schwangen sich aus den Sätteln.
Allen schmerzte der Rücken und ganz besonders das Gesäß. Bolmar konnte nur noch auf der Seite liegen. Sie brauchten lang, um ein Feuer zu machen, denn es hatte nur wenige Sträucher in dem felsigen Gelände und diese gaben nicht gerade viel her.
Doch durch die vielen Dinge, die sie bei Randar gelernt hatten; unter anderem auch wie man mit wenig Holz ein schönes Feuerchen hinkriegt, schafften sie es. Nach einer halben Stunde prasselte ein kleines aber feines Feuer in ihrer Mitte. Den Pferden hatten sie das Zaumzeug, den Sattel und die Taschen abgenommen und ließen sie frei herumlaufen.
Sie zogen die Rüstungen zum grössten Teil aus und legten sie neben sich ins Gras. Reba sah sie einen Augenblick an und schüttelte den Kopf.
"Wo hatte er nur diese Rüstungen her ... sie passen so gut zu uns, dass ich mir kaum vorstellen kann, dass er sie nicht gemacht hat", murmelte sie.
"Vielleicht hat er sie ja selbst gemacht?", fragte Bolmar.
"Ich kenne meinen Vater. Er kann Schäden beheben und kleinere Dinge selbst schmieden. Aber das ... Die Rüstungen sind massiv und trotzdem leicht, sie sitzen perfekt und sie sind so wunderschön ... Nein, so etwas kann mein Vater garantiert nicht schmieden."
Galdior nickte. "Das würde dann bedeuten, dass er sie von jemandem bekommen hat, oder dass er sie schon lange hatte und wusste, dass wir kommen ..."
Plötzlich fingen alle an durcheinander zu reden, bis Galdior plötzlich mit für ihn ungewohnter aufbrausender Stimme rief: "Still, seid sofort still!"
Die anderen sahen ihn mit offenen Mündern an. Tinira setzte gerade dazu an, ihn anzuschnauzen, was er sich eigentlich erdreiste, so mit ihnen zu reden, da erhob er sich, lief langsam zu seiner Lanze, die an der Felswand lehnte. Er schien aufmerksam zu lauschen. Plötzlich drehte er sich um und lief zu seiner Rüstung, zog sie an, lief zurück zu seiner Lanze, ergriff sie und sprang aus sein Pferd. Er machte sich nicht einmal die Mühe es zu satteln, sondern hielt sich mit der freien Hand einfach an der Mähne fest. Bolmar sah ihn verwirrt an: "Was-?"
Tinira brachte ihn mit einem schnellen Seitenblick zum schweigen.
Galdior preschte ins Tal hinab. Als er die Felsen zum größten Teil hinter sich gelassen hatte, lenkte er das völlig erschreckte Tier einen Bogenschuss weit ins Gras hinein. Er sprang ab und rannte noch einmal ein paar Schritte, bis er anhielt, seine Lanze mit beiden Händen packte und in die Höhe Streckte.
Sofort erfüllte ein Brausen die Luft. Über seinem Kopf sammelten sich dunkle Wolken. Sie schienen aus dem Nichts zu kommen und verdeckten das Sonnenlicht.
Sein Pferd rannte weg, es schien zu begreifen, dass sich etwas Übles zusammen braute. Die Wolken über Galdiors Kopf waren schwarz, nicht grau oder ein helles schwarz, nein, sie waren pechschwarz, und doch hatten sie einen sonderbaren weissen Schein.
Im nächsten Moment begann sich in den Wolken direkt über Galdior ein Trichter zu bilden. Aus dem Trichter zuckten weiße, gezackte Blitze und endeten in Galdiors Lanze. Der Kristall fing an zu leuchten in einem strahlenden Weiss, dass viel heller war als gewöhnliches Weiss, und dennoch eigentlich so gar nicht beschrieben werden konnte.
Plötzlich senkte Galdior die Lanze, deren Spitze leuchtete wie ein nicht ganz so weit entfernter Stern und zielte auf den Boden in einiger Entfernung. Die Lanze schien sich in einem einzigen gewaltigen Strom aus grellen Lichtblitzen zu entladen.
Die Freunde, die die ganze Szene mit ansahen, mussten die Augen zukneifen, um nicht geblendet zu werden. Als sie diese wieder öffneten, war dort, wo vorher noch Gras war und wo Galdior hinzielte ein kreisrunder Krater von etwa zehn Schritten.
Doch die einmalige Vorstellung war noch nicht zu Ende. Galdior reckte die Lanze ein weiteres Mal in die Luft und wieder schien sie sich aufzuladen. Als es fertig war, machte Galdior jedoch keine Anstalten die Lanze zu senken, sondern richtete sich auf und schien Luft zu holen. Es sah aus, als ob er seine Lanze erdrücken wollte, als wollte er rein durch Konzentration seine Waffe auseinander brechen lassen.
Im nächsten Augenblick schien Galdior, oder besser gesagt, seine Lanze zu explodieren. Die Erschütterung war gewaltig. Die grellweiße Druckwelle breite sich mit unglaublicher Geschwindigkeit in alle Richtungen aus. Der Klang war kaum wahrnehmbar, so laut war er und ständig war die Luft von diesen hohen, zwitschernden Tönen erfüllt, die ebenfalls von der Lanze ausgingen.
Die verdrängte Luft, welche der Welle voraus ging, riss Tinira, Bolmar und Reba von den Füßen und schleuderte sie gegen den Felsen.


Kapitel 16

Bolmar schmeckte Blut, als er wieder zu sich kam. Er öffnete die Augen und sein Blick klärte sich, und doch ... stimmte etwas nicht. Das Bild vor seinen Augen stand auf dem Kopf!
Er lag in einem gefährlich seltsamen Winkel auf seinem Kopf und seinen Schultern. Leicht stieß er sich ab und fiel auf die Seite. Zittrig stand er auf ... zu schnell, wie es schien. In einer Sekunde auf die andere saß er wieder. Ihm war schrecklich schwindlig.
Ein weiteres Mal richtete er sich auf, diesmal langsamer. Er schwankte ein paar Schritte und taste an seinem Kopf herum und fand eine Schnittwunde über der linken Schläfe, welche stark blutete und extrem schmerzte.
Es kümmerte ihn jedoch nicht, denn die Sorge um seinen Freunde war alles, was er in diesem Moment an Gefühlen wahrnahm. In der Nähe lagen Reba und Tinira. Neben ihnen sank er auf die Knie und überprüfte ihre Lebensfunktionen. Beide atmeten noch.
Auch sie hatten jegliche Prellungen und kleinere Wunden. Erleichtert seufzte er auf und fing an Tinira zu schütteln. Als alles Schütteln nichts brachte, holte er die Wasserflasche und spritze ihr ins Gesicht. Sie kam prustend zu sich.
"Was ist passiert?", flüsterte sie nach ein paar Sekunden. Bolmar schüttelte den Kopf. "Kümmere dich um Reba. Ich seh nach Galdior", antwortete er, stand auf und drehte sich um. Nach wenigen Sekunden erstarrte er: Galdior lag mitten auf dem Feld und er rührte sich nicht, doch es war nicht die Tatsache, dass Galdior da lag, sondern worin er lag. Um Galdior herum war in einem Kreis von etwa hundert Schritt Radius alles braun oder schwarz; alles verbrannt. Kein Grashalm war mehr zu erkennen. Alle Steine, die nicht weit genug entfernt gewesen waren, waren zu Staub zerfallen. Der Rest war rußig schwarz.
Bolmar löste sich aus seiner Erstarrung und rannte wie vom Blitz getroffen die Anhöhe hinab.
Die verbrannte Erde war steinhart. Er schnaufte und keuchte, als er bei seinem daliegenden Freund ankam.
Vorsichtig dreht er ihn auf die Seite. Galdiors Gesicht war verkrampft. Nach einer kurzen Inspektion des restlichen Körpers sah er, dass alle Muskeln an Galdiors Körper mehr oder weniger verkrampft waren.
Bolmar bettete den Kopf seines Freundes in seinen Schoss und lauschte. Galdior atmete noch, was Bolmar aufseufzen liess und ihn schwer erleichterte.
Dann sah er zu Galdiors Waffe hinüber; sie sah noch genau so aus, wie frisch aus der Schmiede. Nun wusste er, warum Galdior am längsten gebraucht hatte ... Seine Fähigkeiten waren verheerend.
Hinter ihm kam Tinira auf ihrem Pferd. Das Tier hatte eine blutige Schramme über die linke Seite des Halses. Sie legten Galdior auf das Pferd und gingen zurück.

Etwas Feuchtes, Schweres lag auf seiner Stirn, als Galdior die Augen aufmachte. Er wollte sich an die Stirn fassen, doch er war nicht dazu fähig. Seine Kraft reichte kaum einen Finger zu bewegen.
Die Mondsichel prangte über ihm und die Sterne glitzerten, wie ein Meer aus kleine Glasfragmenten, die Licht reflektierten. Keine Wolke trübte das atemberaubend schöne Bild. Ein Duft von Wind, der Blütenstaub mit sich trug, stieg ihm in die Nase. Die Atmosphäre war so unglaublich schön, dass Galdior unweigerlich seufzen musste und seine Schmerzen für einen kurzen, wunderbaren Moment vergaß.
"Bist du wach?"
Galdior drehte, entgegen aller Schmerzen, überrascht seinen Kopf in die Richtung, aus der die Stimme kam. Die Schönheit der Sterne verblasste im Vergleich dazu, was er sah. Rebas Gesicht schien im Mondlicht zu leuchten.
Er wollte ihr etwas sagen, aber er war dazu nicht fähig. Alles was er herausbrachte war ein hohes Krächzen. Reba schüttelte den Kopf: "Nein, sag nichts. Du musst dich schonen, hier trink." Sie hielt ihm den Wasserbeutel an die Lippen und er trank. Er spürte, wie die kühle Flüssigkeit seinen trockenen Hals hinabfloss. Reba nahm den Beutel wieder weg und legte ihn beiseite.
"Was ... was ist passiert?", flüsterte Galdior mit müder Stimme. Ihr Gesichtsausdruck war schwierig zu deuten. Angst mischte sich mit Unglauben und Bewunderung. „Kannst du dich nicht mehr erinnern? Du bist explodiert", antwortete sie mit einem feinen Lächeln.
Er runzelte die Stirn und sah sie an, dann drehte er seinen Kopf und betrachtete wieder die funkelnden Sterne. Die Eindrücke kurz vor seiner Bewusstlosigkeit zuckten durch seine Gedanken, die unglaubliche Kraft in seinen Armen, das Zittern der Lanze, die Gänsehaut und die explosionsartige Entweichung seiner Kraft in einem blendenden Weiß.
Oder war es die Kraft seiner Lanze und seiner Rüstung gewesen?
"Wie lange war ich bewusstlos?", fragte er.
Reba antwortete nicht gleich, sondern legte sich neben ihm auf den Boden, dann sprach sie: "Keine Ahnung", sie deutete mit dem Finger zu einer gewissen Anordnung von Sternen. "Das sind Tandra und Erdaor. Es heißt, dass Tandra, nachdem sie zu unrecht gehängt worden war durch die Liebe Erdaors wiederbelebt worden sei. Ich erzähle dir ihre Geschichte, damit du ein bisschen von den Schmerzen abgelenkt wirst.
Tandra und Erdaor sollen sich innig geliebt haben, seit sie Kinder gewesen waren. Sie hatten nur Augen für sich und kümmerten sich nicht um andere Leute und deren Angelegenheiten. Ihr ganzes Wesen war nur auf die Liebe zwischen ihnen gerichtet, ihre Körper wurden abhängig. Ihre Liebe sei so stark gewesen, dass die Erde zu blühen begann, verdorrte Bäume wieder Frucht brachten, wenn sie Hand in Hand des Weges kamen und wenn sie zusammen im Fluss schwammen, dann spritze und sprudelte das Wasser um sie herum in riesigen Fontänen, als würde es sich über ihr Glück freuen und der Flussgott selbst kam, um zu schauen.
Auch nach vielen Jahren wurde ihre Liebe nicht schwächer, ganz im Gegenteil, sie wurde von Tag zu Tag stärker. Selbst alles Licht sammelte sich bei ihnen, denn Licht geht immer dorthin, wo die Liebe groß ist. So wurden sie immer heller, jeden Tag freute sich das Licht der Sonne, wenn sie aufstanden und wenn sie zu Bett gingen schauten die Sterne durch die Fenster und wachten über ihnen.
Doch wenn sie in die Stadt gingen, wurden die Leute von ihrer Anwesenheit geblendet. Normale Leute konnten ihnen nicht zu nahe kommen, sonst starben sie, da sie eine Liebe fühlen konnten, welche sie nicht ertrugen. Jedoch, dort wo Liebe ist, ist der Hass genau so.
Die Leute waren so voller Neid über Tandras und Erdaors Glück, dass sie Tandra als Hexe abstempelten und als sie alleine am Fluss war, stellten sie ihr einen Hinterhalt. Denn die Zeit, die Tandra am Fluss verbrachte, war die einzige Zeit des Tages, in der sie getrennt von Erdaor war. Ihre Liebe umgab sie so nur noch minder.
Sie wurde in die Stadt geschleppt und ging mit ihren Peinigern, ohne sich zu wehren. Und als sie schon am Galgen hing, war das einzige, was sie zur Menge sagte, dies: „So soll es denn eben sein. Ich werde nicht nachtragend sein.“
Erdaor sei gerade dabei gewesen, dass Essen zu bereiten, als seine Geliebte starb. In dem Moment, wo das Leben aus Tandra wich, zerbrach auch sein Herz, ein Schrei tief aus seinem Innern entwich ihm. Er rannte wie einer, der von Sinnen ist, in die Stadt, wo er seine tote, hängende Frau vorfand.
Als die Leute ihn sahen, flüchteten sie sich in ihre Häuser, da sie seinen Zorn nicht spüren wollten. Doch Erdaor kümmerte sich nicht um die Leute, sondern rannte direkt auf den Galgen zu. Seine Angst gab ihm die Kraft, den Strick um Tandras Hals mit bloßen Händen zu zereißen.
Er hielt sie in seinen Arme, weinte und schrie vor Schmerz und die Natur trauerte mit. Jede Blume welkte, die Bäume sangen Trauerlieder und die Tiere weinten. Erdaors Tränen fielen auf ihr Gesicht und wurden zu Perlen aus purem Gold. Und er küsste sie, ein letztes Mal, wie er dachte, doch als er dies tat, da durchströmte seine unvergängliche Liebe ihren Körper. Ihr toter Körper erzitterte bei seiner Berührung, seine Lebenskraft verteilte sich in ihrem Körper und ihr Herz wurde erquickt.
Als sie nun ihre Augen öffnete, hatte ihre Liebe ein nie gekanntes Mass erreicht. So präsent, unüberwindbar, wie auch unbesiegbar war sie, dass die Naturgewalten aus den Fugen gerieten. Der Boden erbebte und aus dem Boden, welcher mit Steinplatten belegt worden war, wuchsen aller Arten Blumen, wie es sie später nie geben würde und früher nie gegeben hatte, bis zu hundert Schritte in die Luft. Alle Gewässer traten über ihre Ufer, die Winde gingen in neue Richtungen und wirbelten durcheinander. Die Sterne verließen ihre Plätze und die Planeten und Monde wurden aus ihren Laufbahnen gerissen. Damit die Welt nicht vernichtet wurde, wurden die beiden Liebenden entrückt, in eine unbekannte Sphäre, in der ihre Liebe leben und gedeihen durfte. Das einzige, was noch an sie erinnert, sind die Sterne, die sich um ihrer Gedenken Willen, zu einem Ebenbild der Liebenden geformt haben.“


Kapitel 17

Ein paar Sekunden blieben sie einfach ruhig. Nachdem Reba gesprochen hatte, schienen die Sternen noch mehr zu glimmen und zu glitzern. Ihre Worte hatten ihm gut getan.
Reba hatte die Geschichte so bildlich formuliert, dass Galdior die Tränen kamen.
"Die Geschichte hat mir meine Mutter erzählt, wenn ich nicht schlafen konnte. Zugegeben, sie ist ein wenig kitschig, doch ich bin dann immer sofort eingeschlafen", flüsterte Reba.
Wieder war es einige Momente still, bis eine gigantische Sternschnuppe am Zenit erschien. Reba jauchzte: "Wir dürfen uns etwas wünschen!"
Für einen kurzen Augenblick schlossen beide ihre Augen und wünschten sich etwas. Dann drehte sich Galdior auf die Seite und sah Reba an. Sie tat das selbe. Nun lagen sie da und schauten sich gegenseitig in die Augen. Galdior wusste später nicht mehr wie lange sie dagelegen hatten und sich ihre persönlichen Wünsche und Träume aus den Augen gelesen hatten. Nach einer Ewigkeit, wie es schien seufzte Galdior und drehte sich um. Wiederum betrachtete er die leuchtenden Sterne. "Reba, ich wol-", setzte er an, wurde jedoch von ihrem sanften Atmen unterbrochen. Er lächelte. Sie war eingeschlafen.

Galdior seinerseits hatte nicht viel Schlaf gefunden. Als der erste Streifen Gold über den Bergkuppen erschien, war er bereits emsig dabei das Frühstück zu machen, obwohl er immer noch von Schmerzen geplagt wurde. Als er fertig war, weckte er die anderen. Er hatte das Gefühl, dass sie heute früh los mussten, warum wusste er selber nicht genau. Tinira gähnte: "Geht es dir wieder besser?"
Galdior nickte. Während dem Essen sagte Bolmar: "Galdior, uns fehlt ein Pferd. Das heißt, zwei von uns müssen sich eines teilen." Galdior runzelte die Stirn. "Wieso fehlt uns ein Pferd?", fragte er.
"Es ist davon gerannt, als du explodiert bist. Übrigens, hast du dir die Verwüstung schon angesehen, die du angerichtet hast?", sagte Bolmar. Galdior verneinte. Nach dem Essen gingen Galdior und Bolmar die Anhöhe hinunter. Galdior konnte nicht glauben was er sah.
Diese Zerstörung hatte er angerichtet? Das durfte nicht wahr sein. Er erschauderte.
"Das ist ... Gehen wir wieder zurück", sprach er. Bolmar nickte und belegte seinen Freund mit einem kaum definierbaren Blick.
Zehn Minuten später waren sie wieder alle unterwegs und ritten die felsige Anhöhe bergan. Der Hügel stellte sich als weniger groß heraus, als sie bis zu diesem Augenblick gedacht hatten. Bald ritten sie wieder in ein Tal hinab, über eine kleine Brücke, die über einen sprudelnden Bach führte und auf der anderen Seite wieder hinauf. Das wiederholte sich mehrere Male, bis sie endlich wieder flaches Gelände unter den Füßen hatten.
Als die Sonne bereits tief am Horizont weilte, ritten sie durch ein kleines Wäldchen. Um sie herum pfiffen die Vögel ihre Lieder. Mitten in diesem „ländlichen Frieden“, wie es Bolmar ausdrückte, wollten sie gerade absitzen und etwas essen, als sie von weit her Kampfgeräusch vernahmen.
Ein paar Sekunden herrschte Stille und alle horchten. Langsam ritten sie wieder los und auf die Geräuschquelle zu. Das Bild, das ich ihnen bot, als sie aus dem Wald heraustraten, war schrecklich. Zwei Kutschen standen in mitten von einem Berg aus Leichen. Die Verteidiger, in grün gekleidet, schien nicht mehr all zu lange standhalten zu können. Die Angreifer waren in der Überzahl.
Diese sahen barbarisch aus, jedoch nicht menschlich. Im Durchschnitt waren sie etwa sieben Ellen groß, breit gebaut und hatten Arme, die ihnen fast bis zu den Knien reichte. Sie hatten grobschlächtige, schartige Schwerter und Rüstungen, welche die Bezeichnung fast nicht verdienten. Es waren einfache, übereinander gelegte Metallplatten.
Galdior schrie, um den Schlachtlärm zu übertönen, zu seinen Freunden: „Sollen wir eingreifen? Gegen wen?“
Seine Frage wurde ziemlich rasch beantwortet. Vor ihm lag einer der Verteidiger, dessen linkes Bein unter der Hüfte abgetrennt worden war, der jedoch noch lebte, auch wenn nicht mehr lange.
Galdior musste sich anstrengen, um ihn verstehen zu können. Er sagte: „Helft uns! In einer der Kutschen ist unser König. Helft uns, wenn ihr für Gerechtigkeit kämpft!“
Tinira musste nicht mehr wissen und sprang vom Pferd - sie hatte es sich mit Bolmar geteilt - lief zu einem Baum und kletterte hinauf.
Die drei anderen ritten auf die kleine Schlacht zu und griffen die Riesen von hinten an. Bevor sie ganz dort waren, hatten bereits drei der Giganten einen Pfeil im Hals.
Galdior brüllte, schwang seine Lanze und stieß sie dem Erstbesten zwischen die Schulterblätter. Rebas Arme verschwanden, man sah nur die toten Riesen, die sie hinterließ. Auf der anderen Seite der Kutschen war ein Verteidiger stark in Bedrängnis gekommen. Er schien jemanden mit seinem Leben zu beschützen.
Bolmar ritt um die Kutschen herum und half ihm. Erst jetzt schienen die Riesen ihre Anwesenheit bemerkt zu haben und sie wehrten sich wie sie nur konnten. Bolmar kämpfte gerade gegen einen dieser Riesen und wollte ihm den Todesstoß versetzen, als ein anderer Hüne, der einen ebenfalls hünenhaften Morgenstern schwang, von hinten auf ihn zu kam.
Der Aufprall der Waffe auf Bolmars Rüstung, war heftig. Bolmar wurde aus dem Sattel geschleudert und gegen die Kutschenwand geworfen.
Jede andere Rüstung wäre zerschmettert gewesen, so nicht aber die Bolmars. Nur ein paar leichte Kratzer waren zu sehen. Diese Tatsache schien den Hünen nicht zu stören, er trat auf Bolmar zu und wollte im gerade den Schädel einschlagen, als man eine Sehne sirren hörte und der Riese sogleich einen Pfeil im Hals hatte. Er sackte zusammen und Bolmar wäre unter ihm begraben worden, hätte er sich nicht rechtzeitig zur Seite gerollt. Sogleich stand er auf und kämpfte erbittert weiter.
Galdior und Reba standen Rücken an Rücken und erschlugen so viele, dass sich um sie herum die Leichen türmten. Galdior rammte einem seine Lanze in den Bauch, wollte sie wieder herausziehen und sich dem nächsten zuwenden, der eine seltsame Feder unter dem Helm geklemmt hatte und sich von rechts genähert hatte.
Doch der Riese mit der Lanze im Bauch lachte heiser und bösartig und hielt die Lanze mit beiden Händen fest, sodass Galdior keine Chance hatte sie hinauszuziehen. Er geriet in Panik. Von rechts kam der andere mit der Feder immer näher.
Galdior wusste, dass Tinira ihm keinen Schutz bieten konnte, da er genau in ihrer Schusslinie stand. In einer panischen Attacke ließ er die Lanze los und rannte dem sich nähernden Hünen mit der Feder entgegen. Dieser schien dieses Manöver überhaupt nicht erwartet zu haben. Galdior spürte wie die Luft aus dem Körper des Riesen entwich, als er ihn mit der Schulter genau in den Magen traf.
Der Getroffene stand einen Moment gekrümmt da, vergeblich nach Luft ringend. Galdior holte weit aus und schlug mit aller Kraft in das Gesicht des Giganten. Dieser verzog nicht eine Miene, obwohl Galdiors Handschuh gepanzert war, sondern wurde richtig wütend.
Er lachte Galdior boshaft an. Ihm lief Blut aus dem Mund, trotzdem erhob er sein Schwert, das mehr nach einem einfach Stück Eisen aussah, als nach einem richtigen Schwert und schlug zu. Galdior reagierte blitzschnell, er duckte sich und wich dem Hieb nur um haaresbreite aus.
Der Hüne wurde durch die eigene Wucht seines Schlages und des Gewichts seines monströsen Schwertes nach vorne geworfen.
Galdior nutzte die Gunst der Gelegenheit und kickte dem Riesen sein gepanzertes Schienbein in die Kniekehle. Das wirkte, denn dieser sackte zusammen, ließ jedoch ein weiteres wütendes Knurren hören.
Galdior sprang auf seinen Rücken und umschlang seinen Hals mit seinem Arm. Er versuchte in zu würgen, doch dass schien den Riesen genau so wenig zu beeindrucken, wie der Faustschlag von vorhin. Er bekam Galdior bei den Schulterblättern zu fassen und schleuderte ihn vor sich auf den Boden. Galdior dachte schon, sein letztes Stündchen hätte geschlagen, als der Hüne über ihm stand, das Schwert mit beiden Händen umklammert und kurz davor zuzustossen, doch so weit kam es nie. Reba sprang dazwischen und trieb dem Riesen einer ihrer Stachel in den ungeschützten Hals. Das Opfer fiel nach hinten. Galdior atmete erleichtert auf. Der Kampf war vorüber.


Kapitel 18

Die vier Freunde verneigten sich tief.
Der Mann vor ihnen strahlte solch eine Würde aus, dass man ihnen nicht zu sagen brauchte, dass er ein König war. Er trug eine silberne Rüstung und einen azurblauen Mantel, der seine leuchtenden, weisen Augen unterstrich.
Während des Kampfes war er bei seiner Frau in der Kutsche geblieben. Nichts lieber hätte er getan, als sich im fairen offenen Kampf zu verteidigen, jedoch hatte seine Frau verlangt, dass er bei ihr blieb.
Dieser türmte sich nun vor ihnen auf und sagte: "Kinder, Kinder steht auf! Ihr habt mir und meiner Gemahlin das Leben gerettet, ich weiß nicht, wie ich Euch das danken soll", sprach der König. "Ich bin König Rammud von Sagra. Meine Stadt liegt hinter den Hügeln westlich von hier. Ich würde mich sehr geehrt fühlen, wenn ihr meine Gäste wärt ... und ich akzeptiere kein Nein."
Galdior sah ihn mit offenem Mund an. Ein König bat sie seine Gäste zu sein?
Dem König war sein offener Mund keines Falls entgangen und mit einem müden Lächeln sagte er: "Nun, wenn ihr nicht wollt ..."
Galdior setzte sofort an: "Aber ... aber ... natür-" Tinira versetzte ihm einen derben Stoß in die Seite. Galdior führte sich – das hatte er schon früher bewiesen – in Gegenwart von hohen Persönlichkeiten immer sehr unfähig auf. Und Tinira, die bei allen und jedem immer einen möglichst guten Eindruck hinterlassen wollte, hasste diese Tatsache.
"Natürlich, nehmen wir Eure Einladung an Majestät. Wir fühlen uns zutiefst geehrt", sprach sie zum König. Dieser nickte amüsiert.
Er gab rasche Befehle an seine Männer, die Verwundeten und die Leichen auf die Pferde zu legen und mitzunehmen. Unter grosser Anstrengung wurden die Wagen wieder auf die Räder gestellt und in Betrieb genommen. Nur eine kurze Zeit später ritt Galdior neben dem Wagen des Königs und sprach mit ihm.
"Wir waren gerade auf Reisen, um Staatsgeschäfte abzuschließen, als ich Meldung bekam, dass die Uklugs unsere Grenzen gestürmt hätten, im Land umherstreiften und Leute angriffen. Wir machten uns sofort auf den Weg und hier kurz vor unserem Ziel lauerte eine Gruppe von diesen Kreaturen uns auf und überfiel uns. Wärt ihr nicht gekommen ...", sprach der König.
"Wer sind diese Uklugs, mein König und wieso lebt Ihr in Streit mit ihnen?", fragte Galdior, dessen überschwängliche Ehrfurcht einem gesunden Respekt gewichen war.
"Die Uklugs sind ein barbarisches Volk, wie es im Buche steht. Der Streit zwischen uns besteht, seid es unsere Völker gibt. Wir wissen nicht einmal mehr den Grund, warum wir kämpfen. Bis vor kurzem, waren wir ihnen überlegen, da sie über kein taktisches Geschick verfügten und nur mit ihrer Stärke kämpften.
Doch nun haben sie einen Führer und der Junge ist nicht dumm. Er krempelte das ganze Heer um, baute Schmieden, bildete Offiziere aus, mobilisierte das ganze Heer. Nun sind sie uns nicht nur in ihrer Anzahl und Stärke überlegen, sondern sind auch noch organisiert, wenn auch bei weitem nicht so gut wie unser Heer."
Der König seufzte. Ein Krieger holte zur Kutsche auf und sagte: "Mein König, wir sind gleich da, noch ein Hügel." Der König nickte: "Reite voraus und melde unsere Ankunft. Es sollen vier zusätzlich Zimmer bereit gemacht werden."
Der Reiter preschte los und verschwand hinter dem nächsten Hügel. Der König lächelte Galdior an. "Woher kommt ihr?", fragte er.
"Drei von uns kommen aus der Stadt Andophù im Süden und sie mit der grauen Rüstung kommt aus dem großen Wald im Süden", antwortete Galdior.
"Und was hat euch dazu bewegt auf Reisen zu gehen?"
Galdior starrte gerade aus. Wieder lief die Szene, vor seinem geistigen Auge ab, wie Kolonne um Kolonne der Leute aus der Stadt geschleppt werden.
Er schluckte. "Die Stadt wurde angegriffen, wir befanden uns zu diesem Zeitpunkt nicht der Stadt. Darum geschah uns nichts", sagte er.
Der König sah ihn eine Weile mit einem mitleidigem Gesicht an. Obwohl er viel aus dem, was Galdior eben gesagt hatte, nur erahnen konnte, schien er zu verstehen, was geschehen war. "Es tut mir Leid, das zu hören. Und doch werden wir später auf dieses Thema zurückkommen müssen. Unter Umständen betrifft es auch mein Volk."
Galdior wollte gerade etwas anfügen, als sie hinter dem letzten Hügel hervorkamen und er die Stadt sah.
Er hatte das Meer noch nie gesehen, geschweige denn eine Stadt auf dem Meer. Die Stadt lag auf einer Insel, auf einer Meerzunge, welche sich bis tief ins Land hineinzog. Soweit Galdior sah, gab es drei Brücken die zur Stadt führten.
Doch das, was dem ganzen Bild ein solch bizarres Aussehen gab und Galdior veranlasste mehrmals hinzuschauen, war die Farbe der Stadt. Anfangs zog er noch die Möglichkeit in Betracht, dass das ganze nur auf Grund der Abendsonne so aussah, verwarf jedoch diesen Gedanken ziemlich schnell.
Es musste der Stein sein, woraus ein Grossteil der Stadt und die Mauer gemacht war, der so blutrot leuchtete und die Stadt aussehen liess, als ob jemand einen Bottich mit Blut über ihr ausgeleert hätte.
Weiter befand sich die Stadtmauer nicht etwa auf der Insel, sondern auf dem Land. Die Mauer grenzte die ganze Spitze der Meereszunge ein. Außerhalb der Mauer lagen viele Felder, die durch eine gewaltige Anzahl an Bächen bewässert wurden. Und auf den Feldern waren Bauern, die gerade dabei waren, ihre Ernte zusammenzupacken, um danach in die Stadt zu gehen.
Als sie die königlichen Kutschen sahen, rannten viele von ihnen und die Kinder, die den Nachmittag damit zugebracht hatten auf den Feldern zu spielen, ihnen entgegen, blieben jedoch stehen, als sie sahen, in welcher Verfassung sich der Trupp befand.
Sie sahen verstört zu ihnen hoch, als der Trupp an den Leuten vorbei zog. Man hörte nur selten ein, „Lang lebe, König Rammud“, oder etwas in der Art.
Die Mauer sah von nahe noch viel gewaltiger aus. Sie war ganz aus dem roten Stein und sie musste mindestens zehn Schritte hoch sein.
Die Wehrgänge wurden durch monströse Zinnen geschmückt. Auf dem Tor war eine Flagge aufgehängt worden. Das Fallgitter war noch oben, sodass sie ohne Probleme passieren konnten.
Auf den Mauern patrouillierten Bogenschützen mit hohen Helmen und riesigen Langbögen. Ihre grünlichen Rüstungen hoben sich von den roten Mauern gut ab.
Das, was zuerst wie eine Brücke ausgesehen hatte, war in Wirklichkeit ein Tunnel. Rechts und links maßen die roten Mauern knapp fünf Schritt in die Höhe.
Nur das halbrunde Dach bestand nicht aus dem roten Stein, sondern aus gefärbten Glasfragmenten. Die Abendsonne schien in tausend verschiedenen Farben auf die roten Wände. Hinter der Tunnelbrücke stand noch ein Tor, das wie das erste offen stand. Die vier Freunde trauten ihren Augen nicht, als sie in die Stadt hineintraten.
Für einen kurzen Moment verschwammen die Formen und Umrisse vor ihren Augen. Die Explosion von allerlei knalligen Farben, die sich ihnen öffnete, überlastete ihre so oder so schon müden Augen.
In dieser Stadt war der Begriff „farbig“ anders definiert. Etwas nicht farbiges gab es in den Gassen und Strassen von Sagra nicht. Alles war farbig, die Kleider der Leute, die Märkte, gewisse Hauswände, einfach alles, was nicht gerade aus dem roten Stein gemacht war, und sogar der war zum Teil mit anderer Farbe bedeckt. So viele Farben, und dazu auch noch solch leuchtende, hatte niemand von ihnen je gesehen.
Ihnen wurde beinahe schwindelig.
Während sie durch die Strassen ritten sogen die vier Freunde die Kultur Sagras in sich auf, wie trockene Schwämme Wasser aufsaugen; die alten Männer, die Pfeife rauchend und Tee trinkend zusammensassen, dem König kurz zu nickten und sich dann wieder ihren scheinbar tiefsinnigen Gesprächen zu wandten, Kinder, die schreiend Fangen spielten und von ihren Müttern, welche sich weit zum Fenster herauslehnten, zum Essen gerufen wurden.
Der Palast des Königs war schon von weitem gut sichtbar. Er war nicht nur das höchste Gebäude und am höchsten gelegen, sondern auch das einzige, welches weder farbig war noch aus dem roten Stein bestand. Es war aus festem, weißem Marmor.


Kapitel 19

Vor dem Palast wurden den vier Freunden die Pferde abgenommen und als ihnen der König anbot noch eine Weile mit ihm zusammenzusitzen, und Tee zu trinken, verneinten sie alle einstimmig. Sie sagten, dass seien müde und wollten gleich ins Bett.
Der König führte sie durch den Palast und zeigte ihnen in einem kurzen Rundgang das Innere des Anwesens. Es hatte viele Pflanzen, da waren auch allerlei Atrien und Brunnen.
Man sah selten irgendwelche Diener und diese hielten sich immer dezent zurück, waren jedoch immer bereit auf einen Wink des Königs zur Stelle zu sein.
Während sie staunend alles betrachteten, hallten ihre beschlagenen Stiefel durch den Marmorboden im ganzen Haus.
Ihre Gemächer waren bezaubernd, wenn auch im Vergleich zum restlichen Palast kleinlich. In jedem Zimmer stand ein hohes, bequemes und vor allem großes Bett, der Boden war mit einem flauschigen Teppich ausgelegt. An jedes Zimmer grenzte ein Waschraum, in welchem eine Wanne und Kannen mit heißem und kaltem Wasser bereit standen.
Ihre Zimmer lagen ganz oben im Palast auf der Westseite, wodurch sie alle eine wunderschöne Aussicht auf das Meer hatten. Auch hier waren, jedes Zimmer, jeder Teppich sowie Bett und die Fliesen im Waschraum, nicht farbig, sondern strahlte, wie der ganze Palast, in einem reinlichem weiss.
Tinira zog ihre Ausrüstung aus und fand eine schönes, seidenes Nachthemd auf ihrem Bett vor. Ihr Unterkleid, das sie normalerweise unter der Rüstung trug, zog sie aus und streifte sich das Nachthemd über.
Sie stand ans große Fenster und sah der sinkenden Sonne hinterher. Als diese völlig untergegangen war, schaute sie die nähere Umgebung des Palastes im Lichte der Fackeln und Öllampen, die nun nach und nach angezündet wurden, genauer an.
Auf der Rückseite hatte man einen Park anlegen lassen, in dessen Mitte ein riesiger Springbrunnen stand. Der Weg, der durch den Park führte war mit roten Mosaikplatten ausgelegt, was gut zu den grünen Hecken passte. Direkt hinter dem Park hatte es keine Häuser mehr, es führte nur ein schmaler Weg zu einem großen Hafen hinunter. Auf beiden Seiten des Weges endete die Rückseite der Insel in Klippen, was ein Angriff mit Schiffen völlig unmöglich machte. Tinira fragte sich eine Zeit lang, wie dann der schmale Weg zum Hafen entstanden sein könnte, bis etwas anderes ihre gesamte Aufmerksamkeit forderte.
Ein wenig vom Hafen entfernt schien etwas im Meer zu treiben. Da nur noch spärlich Licht vorhanden war, musste sie sich sehr anstrengen, um etwas zu erkennen.
Sie zuckte mit den Schulten und war gerade im Begriff sich umzudrehen und zu Bett zu gehen, als sie erkannte, dass auf diesem treibenden Ding kleine, leuchtende und flackernde Punkte erschienen. Konnte es sein, dass es Fackeln waren?
Sie sah noch genauer hin, als sie bemerkte, dass immer eine nach der andere ausgehen zu schien und dann wieder zu leuchten begann. Konnte es sein, dass auf dem Meer eine Mauer erbaut wurde? Und wofür eine Mauer, wenn doch die Klippen schon zu Genüge schützten?
"Ich denke, dass die Insel früher größer war und ein Teil davon abgebrochen ist." Tinira zuckte erschrocken zusammen. Sie fuhr herum, Galdior stand nur einen Schritt hinter ihr.
"Was fällt dir ein, mich so zu erschrecken?", zischte Tinira, immer noch zitternd vor Schreck.
Galdior antwortete: "Tut mir Leid, aber die Türe war noch offen und ich wollte eigentlich nur fragen, ob du morgen in der Frühe auch auf die Klippen üben kommst und um danach mit dem König im Park zu frühstücken."
"Ja, ich komme. Aber wo ist dieser abgebrochene Teil, wenn es stimmt was du sagst? An der Mauer vorbei kommt so eine Masse nicht so einfach und sie werden ihn auch unmöglich herausgezogen haben."
"Ganz ehrlich, ich habe keine Ahnung. Am besten wir fragen den König beim Frühstück. Ich für meinen Teil gehe jetzt schlafen. Gute Nacht", sagte Galdior und lief aus dem Zimmer, die Türe leise hinter sich schließend. Tinira schwieg und sah noch ein Weilchen zur Mauer, dann legte sie sich schlafen.

Angenehm warme Sonnenstrahlen kitzelten ihre Nase, als sie gähnend erwachte. Einige Momente noch genoss sie das bequeme Bett, die Ruhe und einfach die Tatsache des langsamen Erwachens.
Sie drehte ihren Kopf und öffnete die Auge, kniff sie aber gleich wieder zu, da die Sonne ihr genau ins Gesicht schien. Voller Elan schwang sie ihre Beine aus dem Bett, rieb sich die Augen und stand auf.
Wie jeden Morgen räkelte sie sich und knackte ihre Halswirbel durch. Die Sonne war erst gerade aufgegangen, also konnte es noch nicht später als halb sieben sein. Nun, bei Tageslicht sah sie ihren Verdacht bestätigt, es war wirklich eine Mauer, und was für ein Prachtstück. Ebendiese war auch aus dem roten Stein und zog sich in einem leichten Bogen durch die ganze Meerenge.
Tinira ging in den Waschraum und wusch sich, dann legte sie die Rüstung an. Sie wollte gerade aus der Tür, als es klopfte; Bolmar – ebenfalls in voller Montur – stand vor der Tür. Die beiden grüßten sich und gingen, dann so leise wie möglich, dass sie auch ja niemanden weckten, aus dem Haus und in den Park.
Die Luft war erfüllt vom Zwitschern der Vögel und dem Plätschern des Springbrunnens. Es war ein allgemein schöner Anblick, wie der Tau auf den Büschen klebte und in der Morgensonne glitzerte.
Die Luft war so frisch, dass man die Reinheit fast spüren konnte. Nach all den Strapazen der vergangenen Tage, schien ihnen dieser friedliche Park wie eine Oase des ewigen Friedens aus dem sie nie wieder weg wollten. Sie liefen bis ans Ende des Parks, als Bolmar plötzlich anhielt und den Zeigefinger an die Lippen presste. Stimmen drangen zu ihnen hinüber. Tinira reckte ihr Kopf hinter der Hecke hervor und runzelte die Stirn.
Galdior und Reba saßen nebeneinander an der Klippen; sie lachten laut. Tinira gab Bolmar ein Zeichen und sie gingen langsam auf die beiden zu.
Bolmar sagte: "Guten Morgen, ihr beiden. Gut geschlafen?"
Er und Tinira setzten sich neben die anderen und sahen auf das ruhige Meer, welches glitzerte und funkelte in den Strahlen der Morgensonne, hinaus. Sie verbrachten einige Momente in Schweigen und genossen im Stillen die Schönheit des weiten Meeres, das sich in weiter Ferne leicht krümmte, bis Galdior in die Hände klatschte und laut sagte: "Fangen wir lieber an, sonst schlafen wir hier noch ein."
Als sie noch bei Randar gewohnt hatten, hatten sie sich einen Trainingsplan gemacht, den sie nun durchzogen: Zuerst: Ausdauer und Muskelaufbau, dann Nahkampf ohne Waffen, dann der Kampf mit Waffen und schließlich Training der Fähigkeiten.
Nach fast einer Stunde und einer halben schwitzten sie unter ihren Rüstungen, die sie zuerst abgezogen und nach dem Nahkampf Training wieder angezogen hatten, wie im Hochsommer. Als sie nun beim Fähigkeiten Training angekommen waren, sagte Galdior schnaufend zu den anderen: "Mir ist letztens eine Idee gekommen. Habt ihr euch schon mal gefragt, ob wir unsere Fähigkeiten irgendwie ... formen können?"
"Wie meinst du das?", fragte Tinira.
"Na, zum Beispiel Reba, du kämpfst manchmal fast rasend und du beherrschst den Wind. Glaubst du nicht, dass das irgendwie zusammenhängt? Ich denke, du könntest vielleicht mal versuchen durch den Wind schneller zu rennen."
Reba sah ihn mit gerunzelter Stirn an. "Ich muss aber zuerst ein bisschen warm werden. Ich finde das Meer so wie so zu ruhig", murmelte sie.
Sie lief sehr nah an die Klippe und hob ihre Stachel. Ein paar ruckartige Bewegungen folgten, die das ganze friedliche Szenario schlagartig änderten.
Der Wind fing an den Klippen zu reiben und erzeugte seltsame Töne. Weit unten sah man wie das Wasser anfing sich zu bewegen.
Durch das Getöse hörte Reba Galdior rufen, sie solle versuchen ein Wirbelsturm zu erzeugen. Zuerst gelang es ihr nicht richtig, doch als sie ihre Waffen in die richtigen Richtungen schwang, erhob sich langsam ein kleiner Wirbelsturm. Ziemlich schnell bemerkte sie, dass er aus den Fugen zu geraten schien, brach die Übung ab und ließ ihre Stachel sinken.
So plötzlich wie er gekommen war, legte sich der Wind wieder und die Wellen wurden ruhiger.
Galdior nickte, als sie sich umdrehte: "Genau so hab ich mir das vorgestellt. Jetzt will ich mal probieren.“
Dunkle Wolken sammelten sich über ihnen und der Stadt. Galdior hob die Lanze in die Luft und wieder zuckten Blitze hinab, diesmal jedoch weniger und in kontrollierbarem Masse. Er schien sie auch nicht gleich wieder loszuwerden, sondern sammelte sie in der Lanze. Gleich darauf schien die Spitze zu glühen und zu wachsen.
Galdior rannte zu einem nahen Stein und hieb ihn ohne große Mühe in einem Streich in zwei Teile. Er nickte und lief zu den anderen zurück, die ihn alle ziemlich erstaunt ansahen.
Tinira schien ein Licht aufgegangen zu sein, denn sie sagte, dass ihr gerade was eingefallen sei.
Sie lief zur Klippe und spannte ihren Bogen. Der Pfeil flog in einem hohen Bogen durch die Luft. Der Pfeil entbrannte und wuchs zu einem kreischenden Feuervogel, ... der sich gleich darauf teilte.
Plötzlich waren es zwei Feuervögel aus einem Pfeil, doch das war noch nicht alles. Die zwei Feuervögel teilten sich wiederum und dann waren es schon vier, dann acht.
Nun schien Tinira aber Schwierigkeiten zu haben, ihre Vögel unter Kontrolle zu halten. Einer schwenkte, schien sich selbständig zu machen und flog auf die drei anderen Freunde zu.
Tinira bemerkte es zu spät, der Vogel war nur noch ein wenig von den anderen entfernt. Sie waren wie fest gewurzelt und die Haut von Bolmar begann bereits Blasen zu werfen von der Hitze des Vogels, doch genau diese Schmerzen holten ihn in die Wirklichkeit zurück. Gleich darauf befanden sich Galdior, Reba und Bolmar im Schatten.
Vor ihnen türmte eine zehn Schritt hohe Mauer aus Erde und Stein. Bolmar sass auf seinen Knien, das Schwert in den Boden gerammt.


Kapitel 20

Tinira kam um den Erdwall herumgerannt und fragte geschockt, ob es den anderen gut ginge. Sie nickten.
Bolmar war gerade dabei das Schwert wieder aus der Erde zu ziehen, als Reba sagte: "Warte noch kurz, Bolmar! Ich will etwas versuchen." Sie nickte ihm zu. "Danke übrigens!"
Bolmar schwieg, ließ das Schwert stecken und zog seinen Helm ab. Seine Haut hatte einen ungesunden rötlichen Farbstich.
Reba rannte zur Mauer und sprang. Zuerst sah es aus als würde sie einfach gegen die Mauer klatschen, doch dann machte sie eine plötzliche Bewegung mit ihren Stachel nach unten, Wind sammelte sich unter ihren Füßen und katapultierte sie direkt auf die Mauer. Einige Momente wankte sie auf der Mauer, konnte sich dann aber stabilisieren.
Galdior rief hinauf: "Und wie kommst du jetzt wieder runter?" Sie deutete ein Zucken mit den Schultern an.
"Lasst mich das regeln!", rief Bolmar. Ein Getöse brach los, als sich die Mauer wieder ins Erdinnere zurück zog. Als sie wieder alle beieinander standen, fragte Galdior was sie nun machen sollten.
"Mir vielleicht erklären, wo ihr das gelernt habt?" Ein fremder Mann schritt würdevoll auf sie zu und durchbohrte sie förmlich mit seinen Blicken.
Sie wussten nicht, wie lange er schon dort gestanden hatte und ihnen zugeschaut hatte. Die Freunde tauschten ein paar Blicke aus, dann nickte Tinira.
"Ich wüsste wirklich nicht, was Sie das anginge", sagte sie in höflichem aber bestimmten Ton. Der Fremde krauste die Stirn. Er hatte eine große bläuliche Axt an seiner Seite. Diese zog er hervor und bewegte sich gemäßigten Schrittes auf die Klippen zu.
Beim vorbeigehen sagte er zu den anderen: „Nun, ihr müsst wissen, ich bin Prinz Karun und das ganze verhält sich so ...“
Plötzlich und ohne Vorwarnung sprang er von den Klippen. Die anderen versuchten ihn noch zurückzuhalten, doch es war schon zu spät. Fassungslos sahen sie ihm nach, wie er in der Tiefe langsam immer kleiner wurde und dann ganz verschwand.
Völlig schockiert wichen die vier Freunde von der Klippe zurück.
„Was ist gerade passiert?“, stammelte Bolmar. Die Antwort auf seine Frage kam in Form einer gewaltigen Welle die Klippen herauf. Ohne Vorwarnung türmte sich plötzlich eine tsunamiähnliche Welle vor ihnen auf. Zu oberst stand oder besser gleitete der Prinz mit seiner Axt in der Hand. Mit einem gewaltigen Satz sprang er wieder an Land und die Welle verschwand hinter den Klippen.
Der Prinz wischte sich das Wasser aus dem Gesicht und sagte: „Hättet ihr nun die Freundlichkeit, mir zu sagen, woher ihr das könnt?“
Galdior nickte und gab eine rasche, wohlüberlegte Antwort. „Das ist eine lange Geschichte ... Prinz. Wir werden sie euch gern beim Frühstück erzählen.“
Mit einem zufriedenen Blick entgegnete der Königssohn: „Das geht in Ordnung. Kommt folgt mir.“
Er packte die Axt wieder an seine Seite und lief los, die Freunde hinterher. Auf dem Weg zum Palast fragte Bolmar Galdior leise: „Traust du ihm etwa?“
„Nun, ich weiß nicht wieso ... aber ja, ich vertraue ihm.“

Nachdem sie ihre Rüstungen ausgezogen hatten, setzen sie sich zum Prinz und dem König an einen Tisch, den sie zuvor übersehen hatten.
Der König klingelte mit einem kleinen, goldenen Glöckchen und bald kamen die Diener hineingeströmt, legten ihnen Geschirr vor, tischten Essen auf und füllten ihre Gläser mit frisch gepresstem Orangensaft. Die Freunde konnten wirklich nur staunen.
Da waren Buttergipfel, frischer Zopf sowie helles und dunkles Brot, Getreideflocken, Kuh- und Ziegenmilch, braun gebratener Speck, gekochte Eier, kalter Schinken und alle Sorten von Aufstrichen.
"Greift zu! Es hat genug für alle", sagte König Rammud fröhlich und öffnete die Arme mit einer einladenden Geste.
Das ließen sich nicht zweimal sagen. Dieses Frühstück war wahrlich eines Königs würdig. Unter Missachtung aller höflichen Formen stopften sie das Essen in sich hinein, waren bald fertig und platzten auch schier aus allen Nähten.
Der König faltete die Hände und sprach, während er auf einem Zahnstocher herumkaute: „Nun, Galdior, ich wäre sehr erfreut, wenn ihr mir erzählen könntet, wieso ihr geflüchtet seid, was ihr erlebt habt und ..."
„ ... und woher ihr diese Fähigkeiten habt“, beendete der Prinz. Dieser erntete gleich einen scheltenden Blick seines Vaters. Um die Spannung zu lockern, stimmte Tinira sofort bei und fing anstatt Galdior an zu erzählen.
Die anderen steuerten hin und wieder etwas bei, doch der König unterbrach sie nie.
Als sie fertig war, schaute der König sie nacheinander genau an. Er atmete tief ein und sagte dann: "Das ist ... kaum zu glauben. Ich hab nur einmal über solche Reiter etwas vernommen, und zwar in meiner Kindheit, bei meinem Geschichtslehrer. Er erzählte mir von dem alten Volk östlich der Berge, das seien auch solch dunkle Reiter, aber dass sie nun schon offen angreifen, hab ich nicht gewusst. Sie müssen mit Schiffen gekommen sein." Er strich sich über den Bart, legte den Kopf nach hinten und sah nachdenklich in den Himmel. "Das ist schlecht ... wir haben Mühe mit einem Krieg, ein Zweifrontenkrieg hätte verheerende Auswirkungen."
"Aber Eure Stadt sieht sehr wehrhaft aus. Sie könnte einer Belagerung bestimmt lange standhalten, oder?", fragte Tinira.
"Das kann schon sein, trotzdem, irgendwann wird jede Stadt eingenommen. Das eine Stadt nie eingenommen wird, gibt es nur in Märchen und Geschichten", antwortete der König, ohne sich über den Gedankensprung zu wundern.
Tinira meldete sich wieder zu Wort: „Wenn ihr die Frage entschuldigt Prinz ... wo habt ihr eure Fähigkeit gelernt? In unserer Weissagung ward von euch kein Wort gesprochen.“
Und so also fing der Prinz an zu erzählen, er holte weit aus, doch unterschied sich sein geschichtlicher Hintergrund wenig von dem, der anderen.
Auch zu ihnen seien Leute des Schmiedevolkes gekommen und hätten mächtige Waffen mitgebracht. Die mächtigste unter diesen sei Torban die Wasseraxt gewesen. Diese nun schenkten sie dem Prinzen, obwohl man damals noch gar nichts von einem Königssohn wusste, denn König Rammud war damals erst zwanzig Jahre alt und noch kinderlos gewesen. Und auch der Prinz erhielt beizeiten eine Weissagung, doch verriet er sie nicht. Als er geendet hatte, trat Schweigen ein und jeder hing seinen Gedanken nach.
Über ihnen pfiffen die Vögel ihr Lied und unter ihnen hörte man das Meer gegen die Klippen klatschen. Als es begann ungemütlich zu werden, brach Tinira das Schweigen.
"Übrigens, ich habe gestern Abend die Mauer auf dem Meer entdeckt. Wenn Ihr mir die Frage erlaubt, zu welchem Nutzen dient sie? Die Klippen sehen doch schon sehr hoch aus ..."
Der König lächelte: "Ich denke, ihr habt es bereits erraten. Als mein Großvater - möge er in Frieden ruhen - hier her kam, konnte er gerade dabei zusehen, wie ein mächtiger, überhängender Teil der Insel im Meer verschwand. Später wurde dieser abgetragen und zum bauen verwendet. So entstand auch die Mauer und viele Gebäude."
"Das rote Gestein ...", murmelte Tinira. "Ich habe noch eine Frage. Haben alle diese Wege zur Insel schon bestanden oder hat Euer Großvater die auch gebaut?"
"Fragt nur, ich antworte gern. Die Nordbrücke hat schon bestanden, die zwei anderen haben wir errichtet."
Eine Weile blieb es still, doch dann fragte Bolmar: "Mein König, woher kommen diese Uklugs?"
Der König machte ein bekümmertes Gesicht und sagte: "Vom nördlichen Ausläufer des Mittelgebirges."
"Wieso hassen sie Euch so?"
"Ich bin mir nicht sicher. Die Uklugs hegen schon sehr lange einen Groll gegen uns, doch seit sie diesen unbekannten Anführer haben, scheinen sie noch wütender zu sein. Mit großer Wahrscheinlichkeit hatte er sie durch anstachelnde Reden für sich gewonnen. Ich –"
Die Vögel flogen kreischend davon, als die Tür zum Palast aufflog und ein Diener hereinstürzte. Der König fuhr auf, stieß dabei seinen Stuhl um und griff dorthin wo normalerweise seine Waffe hing. Jetzt griff er ins Leere.
Der Diener kam angekeucht und sagte: "Mein König, die Uklugs sammeln ein großes Heer auf der Westseite des Lichterwaldes. Sie sind jetzt schon zu viele, um sie zu schätzen und es kommen immer mehr dazu."
Ganz im Gegensatz zu seinem Diener blieb der König ruhig und sprach gelassen: "Nun, ich habe nichts anderes erwartet. Diener, mach mein Pferd und die meiner Gäste bereit! Schickt Boten zu allen umliegenden Dörfern und sammelt das Heer, wir reiten aus!"
Er wandte sich zu den Freunden. "Es geht los, sie greifen uns tatsächlich an. Wollt ihr uns helfen und für das Gute einstehen, so reitet mit mir in die Schlacht", seine Ausdrucksweise unterstrich seine Würde. Sie brauchten sich nicht abzusprechen, sie stimmten zu. Der König nickte: "Sehr gut. Ich wusste, dass ich auf euch zählen kann. Macht euch bereit. Ich erwarte euch vor dem Palast."


Kapitel 21

Bald ritten sie an der Seite des Königs durch die beschäftigte Stadt. Auf der Hinreise hatten sie gar nicht bemerkt, wie groß die Insel war und wie viele Einwohner sie hatte.
Überall liefen Leute herum, Soldaten bellten Befehle, Pferde wurden gesattelt. Die Kriegsvorbereitungen waren in vollem Gange. Die ganze Stadt schien auf Reisen gehen zu wollen.
Galdior schielte zum König herüber, der majestätisch auf seinem Pferd saß und ein mächtiges Schwert an der Seite trug.
Die Waffe war riesig und hatte ein Muster auf dem Griff, genau so wie auf der Klinge, wie ein Feuermeer, überall waren züngelnde Flammen abgebildet. Auch schimmerte die Klinge rötlich, ebenso die Rüstung, die der König trug. Galdior sah keinen Helm, was ihn ein bisschen erstaunte.
Sie hatten unterdessen das nördliche Stadttor erreicht, als aus einer Seitengasse der Prinz geritten kam. Seine Aufmachung glich der seines Vaters, nur trug der Prinz seine bläuliche Axt auf dem Rücken.
Der König sprang vom Pferd und rannte die Stufen hinauf aufs Tor zu. Die Freunde folgten ihm auf Schritt und Tritt. Hinter den großen Zinnen hatte man Holzkisten hingestellt, damit man aufs Land hinaussah. Mehrere Soldaten in grünen Rüstungen standen auf jenen.
Als jedoch der König nahte, machte man ihm und den Freunden ehrfürchtig Platz.
Zuerst sahen sie nur weite Felder, auf denen noch der nächtliche Tau glitzerte und das Funkeln des Flusses in der lauen Morgensonne.
Die Natur schien unberührt wie eh und je, doch als ihre Blicke weiter wanderten, vorbei an dem satten Grün der Bäume und den sanften, im Wind wiegenden Gräser, erblickten sie eine Staubwolke, die das ganze Land hinter dem Wald bedeckte ... und das Glitzern von Waffen und Rüstungen.
Es sah aus als ob, der ganze nordöstliche Horizont in Metallplatten gekleidet sei. Bolmar erschauerte.
"Mein König, wie viele sind es?", fragte er. Der König ließ ihn lange warten, doch sagte er schließlich im Flüsterton: "Unzählbar viele. Wisst ihr, viele Menschen und andere Kreaturen und Lebewesen, die einen klaren Geist besitzen, wollen Macht. Sie wollen Macht, um Macht ausüben zu können. Alle trachten sie nach Macht und dafür schicken sie ihr ganzes Volk in den Krieg. Sie wollen, dass andere für sie sterben, damit sie später einmal herrschen können, damit sie sich später bereichern können. Der Krieg ist ein Machtgeschäft."
Der König sah traurig aus. Man sah ihm an, dass er es im voraus bereute, seine Leute in eine Schlacht zu führen, weil er wusste, dass ein große Zahl von ihnen sterben würde.
Tinira wollte gerade fragen, was der König nun zu tun gedenke, da, als hätte er ihre Gedanken erraten, erläuterte ihnen sein Plan und fügte noch an: „Jeder von uns wird bei einem Heer an vorderster Front sein", er zeigte dabei alle außer Tinira. "Du, Tinria, wirst bei den Schützen bleiben."
Dann sprach er wieder zu allen. "Jeder von euch wird der erste sein, der angegriffen wird und der letzte, der sich zurückzieht. Wenn nun einer von euch Angst hat, soll er sich melden."
Alle vier hoben zögernd die Hand und erwarteten bereits einen Tadel des Königs, doch ganz im Gegenteil nickte dieser und sprach: "Sehr gut. Das hatte ich gehofft. Wenn man vor der Schlacht nicht genug Angst hat, ist man übermotiviert und begeht Fehler, die sich negativ auf sich selber und auf das ganze Heer auswirken. Ihr könnt euch nun noch ausruhen, wenn ihr wollt. Ich werde beizeiten nach euch schicken." Er sah sie nacheinander noch einmal an und sagte dann: "Ich bin froh, dass ich nicht der einzige bin."
Mit diesen verwirrenden Worten ließ er sie allein, um noch weitere Vorbereitungen zu treffen. "Was meint er mit, 'ich bin froh, dass ich nicht der einzige bin'?", fragte Bolmar den Prinzen, der immer noch neben ihnen stand und auf das Feld hinaussah. Dieser zuckte nur belanglos mit den Schulten. Dann drehte er sich um und lief, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, die Treppe hinab.
Galdior blickte ihm Kopf schüttelnd nach und sah ein weiteres Mal zum Wald.
Im Laufe des nächsten Tages kamen immer mehr Krieger, die aus den umliegenden Dörfern stammten, in die Stadt.
Am Mittag bliesen mehrere Männer von den höchsten Dächer der Stadt schmetternd ihre Hörner. Langsam entleerte sich das ganze Heer in die nördliche „Tunnelbrücke“, wie sie Bolmar für sich nannte. Das Heer stellte sich in vier Gruppen auf, genauso wie es der König befohlen hatte und im Gleichschritt bewegte sich das Heer vor den Fluss. Die vier Freunde ritten an vorderster Front mit dem König. Dieser hatte noch immer keinen Helm auf.
Der Hörnerklang ebbte ab und bald waren alle Krieger in Position. Die Schützen waren, wie erwartet, die vordersten.
Das ganze Heer stand ruhig da, niemand sprach ein Wort, alle sahen zum Wald, dessen Anfang nur ein grosser Steinwurf vom Fluss entfernt war.
Dunkle Wolken sammelten sich über der Stadt und bevor dieser Umstand überhaupt von irgend jemandem bemerkt wurde, goss es bereits auf sie herab.
Die Stimmung im Heer war seltsam. Man hörte nur das Trommeln der Regentropfen auf den Rüstungen, das Murmeln des Flusses, der bis zu diesem Zeitpunkt noch ruhig dahin geflossen war, jedoch nur wenig später ein Gemisch aus Blut und Wasser befördern würde, gelegentliches Schniefen einer Nase und das unruhige Stampfen der Hufe.
Es schien ewig zu dauern, bis die ersten gegnerischen Reihen aus dem dichten Wald hervortraten.
Der Boden vibrierte unter dem Gewicht der rennenden Uklugs. Sie sahen aus wie eine einzige Mauer, die nur darauf wartet, dass man versucht, sich gegen sie zu stellen.
Nun entstand auch Unruhe im Heer Sagras. Die Stimmung war plötzlich aufgeregt, als schienen sich alle auf den Kampf zu freuen.
Die Uklugs liefen in offener Formation auf den Fluss zu. Als die ersten von ihnen ihren Fuß in ihn setzten, gab der König einem Untergebenen ein Zeichen. Dieser winkte mit einer Fahne jemandem hinter dem Heer zu. Wieder erklang Hörnerschall und die Schützen spannten ihre gewaltigen Langbögen.
Der König hob die Hand und schlug sie nach unten. Alle Schützen schossen in perfekter Präzision synchron zu einander ihre Pfeile ab. Die Uklugs bewegten sich in der Zeit langsam watend durch den Fluss.
Ihre sonst vorteilhafte Körpergröße erwies sich nun als strategisch unpraktisch, denn sie boten größere Ziele. Für einen kurzen Moment verdunkelte der Pfeilschwarm die Sonne, sauste aber gleich darauf auf die Gegner nieder. Viele Uklugs versanken in den Fluten, andere wiederum schienen die Pfeile nichts auszumachen. Obwohl die Pfeile in ihrer Brust steckten, in ihren Beinen oder sogar in ihren Köpfen, rannten sie weiter auf das Heer zu.
Ein weiteres Mal spannten die Schützen ihre Langbögen und schossen. Das Ergebnis war noch verheerender, als es beim ersten mal gewesen war. Hunderte Uklugs sackten zusammen unter der Wucht der armlangen Pfeile.
Sobald die Uklugs die Pfeile die Reichweite der Langbögen unterlaufen hatten, kamen die Armbrustschützen zum Einsatz. Die erste Reihe der Uklugs wurden durch die dicken Bolzen wie Fliegengewichte von den Füßen gerissen und nach hinten geschleudert. Da die Armbrustschützen zu lange gebraucht hätten, um nachzuladen, ließ der König den Befehl geben, dass sich die Schützen zurückziehen sollen.
Dann, begleitet von den Hörnern auf der Mauer, sprach der König zu seinem Heer: "Die Zeit ist gekommen, dass euer Schwert wieder Blut schmecken darf. Ich gebe euch nun noch die letzten Befehle: Beschützt euer Eigentum; beschützt eure Familie; beschützt eure Freunde; beschützt das, was ihr liebt; beschützt euer Vaterland! Auf ihr tapferen Krieger, zieht eure Schwerter und zieht mit eurem König in den Krieg!"
Der König schwang sein feuerrotes Schwert über den Kopf, gab seinem Pferd die Sporen und rannte wie ein Verrückter den herannahenden Uklugs entgegen und mit ihm das ganze Heer. Der Aufprall zwischen den Kriegern von Sagra mit ihren grünen Rüstungen und den Hünen der Uklugs in den dreckigen, schwarzen und zusammengebastelten Rüstungen war gewaltig. In den ersten paar Momenten wurde gekämpft wie wild.
Die Krieger hackten um sich, obwohl sie in ihrer Hast nichts sahen. Nach wenigen Minuten verbitternden Kampfes erklang heller Hörnerschall. Das war das Zeichen, dass die Schützen ihre Position erreicht hatten und dass sich die Infanterie zurückziehen musste, was sie auch unverzüglich tat. Langsam, so dass man es kaum bemerkte, zogen sich die Truppen von Sagra zurück. Schon nach wenigen Augenblicken flogen die ersten Pfeile über ihre Köpfe.

Galdior hatte einem Riesen den Schädel gespalten und wollte sich gerade dem nächsten zu wenden, als dieser auch schon einen langen Pfeil im Hals hatte. Gleich darauf erklang ein hoher, herzzerreissender Schrei. Galdior musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, was in jenem Moment über seinen Kopf flog. Doch den anderen ging es nicht so. Viele sahen sich um und suchten die Quelle des Geräusches. Dies nutzte Galdior aus und tötete viele, die sich seiner Anwesenheit gar nicht bewusst waren.
Bald flogen drei strahlende Feuervögel durch die Luft und brachten Tod und Verwüstung in den hinteren Reihen der Uklugs. Doch die Verwirrung hielt nicht lange an und bald kämpfte man wieder im gewohnten Muster.
Um Bolmar verschwanden die Geräusche, sein Unterbewusstsein blendete alle Schreie und hässlichen Geräusche aus. Immer mehr hieb er sich in ein stetiges Muster des Tötens. Zuschlagen, blocken, einen Ausfallschritt machen und wieder schlagen. Seine Rüstung war gesprenkelt mit Bluttropfen und um ihn war der Boden mit Leichen übersät. In seinen Ohren hörte er seinen eigenen, rasenden Puls schlagen. Reflexe beherrschten seine Bewegungen.
Lange konnte man nicht sagen, wer gewinnen würde. Nach einer Weile schienen die Truppen von König Rammud die Sache in die Hand zu nehmen, da erklangen von weit her im Süden laute, rasselnde Hörner, welche die von Sagra ohne Mühe übertönen konnten.
Exakt in diesem Moment schlug sich ein Bote zum König durch und sagte ihm Folgendes: "Mein König, die Uklugs sind mit Schiffen vom Meer her eingedrungen. Wir haben sie erst spät bemerkt, als sie bereits den Hafen eingenommen hatte. Die Stadt ist in Gefahr, mein König."
Der König antwortete nicht, sondern blies zwei hohe Töne in sein kleines Horn, das er immer an der Seite trug. Das Signal schien allgemein bekannt zu sein. Sofort zog sich der Teil des Heeres, welches direkt dem König unterstand und ein Teil der Reiter unter Führung des Prinzen, zurück zur Stadt.
Auf diesen Moment schienen die Uklugs nur gewartet zu haben; sie droschen mit neuer Kraft auf ihre Feinde ein und aus dem Wald strömten sie, wie Beinen aus einem Bienenstock. Schon nach kurzer Zeit waren die Truppen Sagras so stark in Bedrängnis, dass sie von drei Seiten eingeschlossen waren. Das Heer war merklich geschrumpft. Bald und ohne, dass es beabsichtigt war, befanden sich Reba, Galdior und Bolmar nah beieinander.
Bolmar schrie zu Galdior hinüber: "Es wird Zeit!"
Galdior nickte. Kurz darauf verdichteten sich die dunkle Wolken am Himmel über ihnen, die Erde fing an zu beben und Reba war bereits nicht mehr zu sehen. Sie raste durch die gegnerischen Reihen, so schnell, dass man sie nicht einmal annähernd erkennen konnte. Man sah nur, wie Uklugs mit aufgeschlitzten Hälsen, schwer blutend in die Knie gingen.
Bolmar kniete auf dem Boden und konzentrierte sich auf sein Schwert. Er trieb die Erde wellenförmig von sich weg, direkt in die Reihen seiner Feinde. Hunderte Uklugs wurden von purer Erdmasse erdrückt.
Galdior rannte durch die gegnerischen Reihen wie ein Pflug durch Erde, die Lanze hatte er von sich gestreckt, strahltend wie eine kleine Sonne. Die verbündeten Truppen fassten wieder neuen Mut und stürmten den verwirrten Feinden entgegen.
Nach einer Weile zog Bolmar sein Schwert aus der Erde und sofort legten sich die Wellen wieder. Gleich darauf kam auch Reba schlitternd neben ihm zum stehen. "Wo ist -", fing sie an, wurde jedoch von Etwas unterbrochen.
Dieses Etwas war nicht ein Ereignis oder sonst etwas Physisches, es war viel mehr ein Gefühl, dass alle auf dem Schlachtfeld zu befallen schien. Langsam ließen alle von einander ab und sahen zum Wald hin, in welchem das seltsame Befinden seinen Ursprung zu haben schien.
In selbigem rührte sich Etwas, der Wald schien langsam kälter zu werden und an den hinteren Baumreihen bildeten sich bereits leichte Eisschichten. Der ganze Wald erlebte einen plötzlichen Kälteeinbruch. Nicht lange darauf sah man auch die Ursache.
Er saß auf einem Schimmel mit weißen Augen, in denen der pure Hass glänzte; zudem machte es den Eindruck, als wäre der Schimmel mehr tot als lebendig.
Die Rüstung des Ritters schimmerte leicht hellbläulich und er trug einen riesigen Morgenstern. Langsam kam er näher geritten, dann hielt er an und rief seinen Truppen, den Uklugs, etwas Unverständliches zu. Diese drehten sich sofort um und fingen wieder an zu kämpfen mit einem Ausdruck von Furcht, gemischt mit Hass in ihren Augen.


Kapitel 22

Galdior war gerade durch die letzte Reihe der Uklugs gebrochen und wäre womöglich in den Fluss gefallen, wäre er nicht vor Schreck sofort still gestanden, als die Gestalt aus dem Wald geritten kam.
Nachdem die eisige Gestalt seinen Männern einen Befehl zu rief, sah sie ihn lange und durchdringend an.
"Wasss tussst du hier? Du wagssst esss mich heraussszufordern, du Narr?", fragte er mit einer kalten und Angst einflössenden Stimme.
Sein Gesicht war nicht zu erkennen, hinter dem Visier schien die Finsternis zu herrschen.
"Ich werde dir zeigen, wasss esss heissst, sssich mit dem Meissster der Kälte einzulasssen." Gemächlich ritt er weiter auf Galdior zu. Dieser stand wie angewurzelt da. Er erwachte erst aus seiner Starre, als der Fluss vor ihm anfing zu zu gefrieren.
Er musste diesen "Meister der Kälte" vom Schlachtfeld weglocken, sonst war die Stadt und alle seine Bürger in Gefahr. Galdior rappelte sich auf, rannte auf den schon fast vollständig vereisten Fluss, sprang auf eine der zahlreichen Eisschollen und kam so ans andere Ufer. Kaum hatte er wieder festen Boden unter den Füßen sprach der Ritter wieder: "Du bissst wirklich ein Tor, Galdior, Galdions Sohn!"
Genau in diesem Augenblick brach hinter ihm eine Getöse los. Galdior drehte sich mit einem Ruck um und sah gerade noch wie riesige Eisberge sich aus dem Fluss auftürmten und in die Höhe schossen, sodass ihm der Zugang zum Schlachtfeld und somit zu seinen Freunden verwehrt blieb.
Langsam drehte er sich wieder um und konnte im letzten Augenblick der gewaltigen Waffe noch ausweichen. Der Morgenstern hatte ein Loch in das Eis geschlagen. Der Ritter kehrte sich wieder in seine Richtung, doch statt nochmals anzugreifen, stieg er gemütlich vom Pferd. Galdior packte seine Lanze fest mit beiden Händen und griff an.
Die Lanze sauste hinab und der Ritter blockte sie mit dem Arm, den er zum Schutz vorübergehend zu Eis hat gefrieren lassen. Der Eisarm hatte die Klinge gebremst wie ein Schild aus massivem Metall.
Mit einer schnellen Bewegung sprang Galdior zurück und brachte sich neu in Position. Schnell hob er die Lanze und lud sie auf, um gleich darauf wieder loszupreschen. Diesmal fegte der Ritter die Lanze mit seinem Morgenstern zur Seite und sie flog aus ihres Trägers Hand.
Der "Meister der Kälte" hob seine freie Hand und auf den Fingern bildeten sich eisige, zugespitzte Enden. Er holte aus und hinterließ auf Galdiors Gesicht fünf lange Kratzer, die sich von der rechten Seite der Stirn diagonal bis zur linken, unteren Seite des Gesichts zogen und stark bluteten. Durch den Schlag wurde Galdior weggeschleudert und er landete auf dem hart gefrorenen Boden.
Nach einer kurzen Zeit der Benommenheit, die der „Meister der Kälte“ eigentlich hervorragend hätte nutzen können, um Galdior zu töten, sie jedoch aus scheinbarer Güte oder Freude am Spiel verstreichen liess, rappelte sich Galdior wieder auf.
Mit zitternden Beinen schleppte er sich zu seiner Waffe und hob sie auf; dieser Kampf musste beendet werden, bevor er zu schwach war, um es zu tun.
Blitze zuckten vom Himmel und luden den weißen Kristall auf, dann richtete Galdior die Waffe auf den Ritter, welcher ruhig da stand und ihn still ansah. Die Blitze entluden sich und hinterliessen einen rauchenden Krater, dort wo der Ritter eben noch gestanden hatte. Vom Ritter war nur noch der Morgenstern zu sehen, der im Krater lag. Galdior atmete auf, er hatte es – "Ich bin hinter dir, mein Freund!"
Galdior drehte sich erschrocken um die eigene Achse, und tatsächlich da stand der Ritter ohne Morgenstern, nichtsdestotrotz unversehrt hinter ihm.
Sofort schlug dieser mit einer Hand ein weiteres Mal die Lanze fort, mit der anderen packte er Galdior beim Hals und hob ihn hoch. Galdior strampelte und versuchte sich aus dem eisigen Griff loszuwinden, doch dieser ließ nicht nach; er schielte zu seiner Lanze die unerreichbar weit weg lag.
Der Ritter folgte seinem Blick und zischte: "Du Narr, deine Fähigkeiten ssstecken nicht in deinen Waffen, sssondern in dir, die Waffe issst nur Mittel zum Zweck. Du bist nur ssso ssstark, wie du deine Fähigkeiten beherrssschssst, Narr."
Der Griff um seinen Hals wurde noch stärker und langsam zogen schwarze Balken in sein Blickfeld und das Bild vor seinen Augen fing an zu verschwimmen. Die Kälte der Hand an seinem Hals verursachte Kälteverbrennungen, und hätte Galdior es gekonnt, so hätte er laut aufgeschrien.
Er sah gezwungenermassen in den schwarzen Himmel und wie in einem Daumenkino ratterten Eindrücke und Bilder durch seinen geistiges Auge. Sein erstes Spielzeug, spielen mit den Eltern, das brennende Andophù, Bolmar, der auf seinem Pferd neben ihm herritt, und sein verhängnisvoller Traum; hier nun stockten seine Gedanken und ihm kam ein Geistesblitz, er packte die Hand seinen Gegners, was diesen allerdings nicht sondern interessierte und es eher als ein Zeichen der Schwäche deutete. Galdior konzentrierte sich auf den Kristall auf seinem Helm und raunte etwas vor sich hin. Sofort begann seine Rüstung sich aufzuladen und der Kristall auf seiner Stirn begann grell zu leuchten.

Bolmar rannte auf die Eiswand zu, da explodierte Galdior. Die Druckwelle warf Bolmar auf den Rücken, genau so wie der Rest der Truppen. Dank der Eisbarrikade wurde aber der größte Teil der Explosion abgehalten und nur eine immense Druckwelle mit feinsten Eispartikeln fegte sie von den Füßen.
Auf der anderen Seite war der größte Teil der Bäume verbrannt und gewisse waren ausgerissen worden.
Als Bolmar wieder zu sich kam und über den Fluss sah, tat sich ihm ein Bild des Schreckens auf. Der Flusslauf war nicht mehr klar zu erkennen, ein riesiger Krater befand sich dort, wo früher der Fluss gewesen war. Der Krater begann sich nun langsam mit dem heranfliessenden Wasser zu füllen. Das Schlimme an der Sache war, dass Galdior mir großer Wahrscheinlichkeit noch bewusstlos im Krater lag.
Bolmar sprintete auf den Krater zu und tatsächlich sah er, als er den Krater erreicht hatte, zuerst Galdiors Lanze und dann noch Teile der Rüstung, die aus dem steigenden Wasser ragten.
Halb strauchelnd rannte Bolmar hinunter, watete ins Wasser und konnte Galdior gerade noch rechtzeitig aus dem Tümpel ziehen. Auf dem Rückweg hinauf nahm er auch noch dessen Lanze mit. Wieder oben legte Bolmar Galdior ab und überprüfte seinen Puls; er war noch da, zwar nur schwach, doch er war noch spüren. Sofort legte er ihn auf die Seite und Galdior spuckte das Wasser aus, das er geschluckt hatte. Dann sah er seinen Freund, der mit besorgtem und Tränen verschmiertem Gesicht über ihm kniete.
"Ist ... ist er ... tot?", fragte Galdior mit leiser, schmerzverzerrter Stimme. Bolmar sah nochmals zum Krater, er hatte zwar nichts gesehen, doch hatte es eindeutig nach verbranntem Fleisch gestunken. Er wendete sich wieder seinem Freund zu und nickte. Galdior lächelte leicht und wurde dann erneut bewusstlos.


Kapitel 23

Bolmar ließ Galdior von zwei Soldaten in die Stadt bringen. Der Kampf mit den übrigen Uklugs war keine große Sache mehr und bald floh der Rest von ihnen in den kleiner gewordenen Wald.
Reba und Bolmar gaben allen Soldaten das Zeichen sich zu sammeln und zur Südseite der Stadt zu marschieren. Das Trüppchen war nur noch ein Bruchteil dessen, was aus der Stadt marschiert war. Trotzdem mussten sie ihrem König zu Hilfe kommen. Die Schützen hatten sich bereits auf den südlichen Teil des Walls zurückgezogen.
An vorderster Stelle des mickrigen Heeres liefen Bolmar und Reba und mutmaßten still, was wohl im Süden vorgefallen war.
Während sie so liefen, wurde der Boden immer sumpfiger und matschiger und bald hatte es richtige Pfützen und kleinere Teiche. Es glich einer Sumpflandschaft ... und doch ... da waren auch abgebrannte Baumstümpfe verkohlte Steine. Reba runzelte die Stirn: "So sah diese Gegend heute Morgen aber noch nicht aus ... was war hier geschehen?"
Bolmar blieb ihr die Antwort schuldig, weil er es genau so wenig wusste wie sie. Von fern hörten sie Kriegslärm und beschleunigten ihren Schritt. Nicht lange mussten sie gehen, bis die ersten Leichen auftauchten, Verbündete wie Feinde.
Viele der Leichen der Uklugs und wenige der Soldaten Sagras sahen aus wie Schwämme völlig vollgesogen mit Wasser und hatten Brandspuren. Nach ein paar weiteren Schritten sahen sie die kleine Schlacht, die einen schrecklichen Anblick bot.
Die beiden Freunde sahen nur Uklugs, die sich um den König und seinen Sohn scharten und versuchten sie klein zu kriegen. Jemand schrie vom Wall, dass nur noch der König und der Prinz und die höchsten Offiziere am Leben waren ... mitten in der Menge und dass ihnen langsam die Kräfte ausgingen.
Bolmar und Reba sprinteten los, ihr kleines Heers mit ihnen. Den Kopf nach hinten legend schrie Bolmar der Truppe zu, sie sollten sich kurz gedulden und ihren Angriff abwarten. Sofort verlangsamten sie fragend ihren Schritt.
Er hingegen beschleunigte und sah nach rechts, dort wo eben noch Reba gerannt war, befanden sich nun nur noch ihre Fußabdrücke. Der matschige Boden schien ihre Geschwindigkeit nur minimal gebremst zu haben, wie der Wind preschte sie durch die feindlichen Reihen.
Verdammt bis ich dort bin ist die Schlacht vorbei, dachte Bolmar mit einem amüsierten Blick auf den Kanal, den Reba in die Feinde getrieben hatte. Sein Schwert steckte bis zum Griff in der weichen Erde. Die Erde hob sich in Wellen mehrere Dutzende Schritte über den Boden, mit Bolmar an der Spitze. Die Erdmasse verdunkelte die Sonne, so gewaltig war sie. Die Uklugs sahen erschrocken nach oben, kurz bevor sie von der riesigen Erdwall erdrückt worden. "König Rammud, kommt!", schrie Bolmar zum König. Dieser und seine Getreuen ließen von ihren Gegnern ab und rannten zu Bolmar.
Gleich darauf erhob sich die Erdmasse wieder in die Höhe, so schnell, dass alle, die sich um Bolmars Schwert versammelt hatten, in die Knie gingen. Reba erhob sich mit einiger Mühe und sah über den Rand nach unten. Die Uklugs waren nur noch winzige Kreaturen, die alle verwirrt nach oben sahen.
Weiter links konnte man in die Stadt hineinsehen und dass Frauen und Kinder zu dem Berg aus Erde und Schlamm hinüberblickten. Reba schwang ihre Stachel über ihrem Kopf. Ihr Schrei ging im Getöse, das um sie herum herrschte, unter, doch die Folgen waren klar erkennbar: Die Luft über den Uklugs begann zu zirkulieren und verwandelte sich einen Tornado.
Auch der Prinz war unterdessen wieder aufgestanden und hob seine Axt. Zuerst sah es aus, als ob die Wirkung, die der König erhoffte hatte, wirklich eintreten würde, doch die wenigen Liter Wasser, die er zu bewegen versuchte, fielen wieder auf die Erde, als ihn seine Kräfte verließen. Doch im Grunde genommen machte das nichts.
Der Tornado erledigte die Uklugs, ohne einen am Leben zu lassen. Langsam senkte sich die Erde unter Bolmars Führung wieder. Unterdessen war dieser gehörig ins Schwitzen gekommen. Sie kamen unten an und erblickten die Verwüstung unter den Uklugs. Tatsächlich war keiner am Leben geblieben.


Kapitel 24

Einer der zwei Wachen versperrte ihm den Weg und fragte barsch: "Was willst du? Der König erwartet niemanden."
Krabur seufzte und streckte der Wache, die ein monströses Schwert an der Seite trug, eine Urkunde hin, die ihn als einen königlichen Boten auswies.
Die Wache sah sich das Dokument nur kurz an und nickte. Sofort schob die zweite Wache die beiden schweren Torflügel auf.
Krabur lief hindurch; die Halle erstreckte sich weit auf alle Seiten. Rechts und links standen dunkle Marmorsäulen, an jeder waren Fackeln befestigt, die den Weg zum Thron des Herrschers führten. Seine Schritte gaben das einzige Geräusch von sich. Kraburs Rüstung war reich verziert mit der Geschichte seiner Vorfahren und das dunkle, harte Metall glänzte im Schein der Fakeln.
Vor den Stufen zum Thron ging er in die Knie und senkte sein Haupt.
"Mein König, ich habe eine dringende Nachricht für Euch. Wollt Ihr sie denn hören, so lasst mich sie Euch vorlesen", sprach er mit leiser Stimme.
Der dunkle König brummte ein paar unverständliche Worte, machte jedoch kein Anzeichen, weder mit der Hand noch mit dem Kopf, dass Krabur sich erheben dürfte.
Dieser nahm langsam den Brief zur Hand und begann vorzulesen. Der König wirkte nachdenklich, als Krabur fertig war.
"Ich habe geahnt, dass er scheitern würde", sagte der König und schien sich der Anwesenheit des Boten nicht mehr wirklich bewusst zu sein.
"Dieser Trottel, von einem Statthalter war nicht einmal fähig genug, um ein Heer barbarischer Uklugs ins Feld zu führen und die Schlacht zu gewinnen. Er dachte wohl er könnte mit seinem, ach so starkem Eis alles und jeden besiegen. Und doch bin ich erstaunt, dass es nicht möglich war diesen Rammud zu überwinden."
Der König stand auf und lief die Treppen hinunter zu Krabur. Mit einer schnellen Bewegung entriss er ihm den Brief und besah ihn genauer. "So sind sie denn gekommen, die vier Kinder, zu nehmen, nach was sie suchen! Ha, sollen sie kommen, ich hege keine Angst!", schrie der dunkle Fürst in seinen finsteren Hallen, die sein Herz spiegelten.
Doch in Wirklichkeit zitterte, als er an die Weissagung dachte, die ihm als Kind gelehrt wurde.


Kapitel 25

In Sagra wurden die Gefallenen nicht beerdigt, sondern in kleine, hölzerne Schiffe mit einem Mast und einem silbernen Segel gelegt und in Richtung Westen zur untergehenden Sonne gestoßen. So würden die Toten mit der Sonne am Ende der Welt niedersinken.
An diesem Tag nach der Schlacht lagen mehr als zehntausend Schiffchen in der Meereszunge vor der Insel. Das ganze Volk stand auf den Klippen und sangen das Lied der Toten, das immer gesungen wurde, wenn ein Schiffchen den Hafen in Richtung Westen verließ.
Einfach und doch herzzerreißend war die Melodie, so traurig und schön, dass kein Auge trocken blieb. Selbst die Tiere gaben keinen Laut von sich, nichts war zu hören, nur dies Lied. Die Wolken weinten über den Verlust der tapferen Soldaten und Tränen vermischten sich mit Regen.
Als das Lied geendet hatte, warf jeder eine weiße Lilie hinab auf das ruhig daliegende Meer. Und von den Schiffchen aus sah es aus, als würden abertausend Schneeflocken fallen. Das Meer war nun nicht mehr tiefblau, sondern von einem weiß, in dem sich nur das braune Holz der Schiffchen abgrenzte.
Der König stieg auf einen Felsen und rief mit lauter, durchdringender Stimme: "Schließ deine Augen stolzes Volk von Sagra, gedenke deiner Toten, ruhmreich gefallen im blutigen Krieg gegen das Böse, um zu schützen, was ihnen lieb war!"
Hier senkten alle ihre Köpfe und schlossen mit Tränen in den Augenwinkeln ihre Lider. Der König wandte sich dem Meer zu und sah in den Himmel. Tränen schossen ihm in die Auge. Neben ihm stand sein Sohn, den Kopf gesenkt und dieser hob seine Axt. Er murmelte die Worte, die so vielen seiner Feinde das Leben genommen hatten.
Das Wasser begann sich zu bewegen und die Schiffe schwammen langsam aus der Bucht hinaus mitsamt den Blumen. Nach wenigen Minuten waren sie schon nur noch braune Punkte, kaum erkennbar von Auge.
König Rammud sprang vom Felsen und bahnte sich schluchzend seinen Weg durch sein Volk. Das ganze Volk weinte nun mit dem König, denn es waren wenige, welchen das Übel verschont geblieben, einen nahen Verwandten verloren zu haben.
Langsam wanderten alle in die Stadt und in ihre Häuser, und an diesem Abend rannte kein Kind lachend durch die Straße, kein Kaufmann pries seine Ware an, keine Eilboten ritten geschwind zum König. Alle trauerten, um die Verstorbenen. Und die Sonne glühte blutrot, als sie hinter den Wolken hinunterkam und ins große Westmeer tauchte.

Am nächsten Morgen ließ der König die vier Freunde zu sich rufen. Als sie in sein Gemach traten, stank es nach abgestandener Luft, als ob seit sehr langer Zeit niemand mehr ein Fenster aufgemacht hätte. Zuerst sahen sie keine Menschenseele, doch dann erklang aus dem Schlafzimmer ein leises Schlottern und eine Stimme sagte: "Kommt ins Schlafzimmer!"
Sie sahen sich mit gerunzelter Stirn an. Als sie den Vorhang, welcher das Gemach des Königs von den übrigen der Wohnung trennte, bei Seite schoben, sahen sie den König, wie er auf dem Bett lag: eine Decke über den Schultern und Zitternd. Sofort eilten sie an seine Seite: "Mein König, was ist geschehen? Seid ihr krank?", fragte Tinira in ehrlicher Sorge.
"Nein, ich hab letzte Nacht in 'das wissende Feuer' geschaut und das zehrt ein bisschen an den Kräften. Doch das ist Nebensache; ihr müsst sofort los. Im Osten braucht man eure Kräfte, dort verschlimmert sich die Lage zunehmend. Der Kampf zwischen Gut und Böse wird immer heftiger."
Die Freunde sagten nichts, was sollten sie auch? Der König fuhr fort: "Reitet geschwind den Bergen entgegnen. Sucht nach einem alten und weisen Mann, er wird euch weiterhelfen. In der Zeit werde ich versuchen, die Uklugs zu einem Bündnis zu bewegen, damit der Westen gesichert werden kann. Meine schnellsten Pferde sollt ihr bekommen."
Ohne noch viel mehr Worte zu verschwenden, geleitete König Rammud sie zum Stall. Die Straßen waren noch immer menschenleer, nur der Wind piff durch die Mauerritzen, als sie wieder einmal zu Pferd aufbrachen.
Sie ritten lange ohne zu rasten unter den dichten Wolken, und bald wurde die Gegend immer mehr hügeliger und so entschwand auch Sagra ihren Blicken. Umso näher sie dem Gebirge kamen, umso schöner dünkte sie die Landschaft.
Lichte Wälder wurden von grasigen Höhen abgelöst, die wiederum in kleine und große Flüsse mündeten. Flüsse waren reich an Fischen, die satt und groß geworden waren.
Mehrere Tage lang war das Wetter klar und schön. An einem wurde es so warm, dass sie in einem Wäldchen rasten mussten, um die Tiere nicht zu überanstrengen. Die ganze Landschaft lag wild und unberührt da, sodass sie manchmal, wenn sie sich eine Zeit lang still verhielten, ein Reh sahen oder sogar einem Bären beim Fischen zuschauen konnten. Auf diese Weise ritten sie die Tage hindurch.
Ziemlich unerwartet trafen sie dann, als die Sonne sich in den Westen aufmachte, auf eine Straße, die einfach so begann ohne ersichtlichen Grund. Sie folgten ihr, obwohl doch sehr misstrauisch.
Nachdem sie gutes Stück Weg geritten waren, sahen sie einen alten, statuenähnlichen Mann seitlich des Weges steif dastehen. Verwundert über das Talent des Künstlers dieses Werkes blieben sie stehen, um es genauer zu betrachten. Nicht wenig erschrocken waren sie, als der Greis plötzlich seine Augen öffnete. Bolmar fiel vor Schreck von seinem Pferd.
Des Greises Stimme war ein wenig krächzend als er sagte: "Da kommt ihr ja endlich, Kinder. Ich warte schon ne ganze Weile auf euch. Bewegung jetzt, vor Sonnenuntergang müssen wir bei meiner Hütte sein." Er ließ ihnen keine Zeit zu fragen, sondern rannte in einem höllischen Tempo los. Galdior seufzte.
"Ich hab das Gefühl, er will, dass wir ihm folgen", sagte er. Tinira seufzte ebenfalls und preschte dann als erste los.
Eine ganze Weile ritten sie im Galopp den Berg hinauf, beständig dem alten Mann nach, welcher es schaffte den Berg gleich schnell hinaufzurennen auf seinen eigenen zwei Beinen, wie die vier Freunde auf ihren Pferden.
Nach einer Weile ließen die Kräfte der Pferde nach, doch es war auch gar nicht mehr von Nöten. Sie hatten ihr Ziel erreicht: Eine kleine friedlich daliegende, ziemlich kaputte Holzhütte. Gleich daneben türmte sich hoher Fels auf, und in diesem hatte es einen Höhleneingang.
Die Freunde stiegen ab und kümmerten sich gleich um ihre Pferde. Dann traten sie in die Holzhütte ein, dort saß auch schon der wartende Greis. Er rauchte eine lange Pfeife und blies Ringe in die Luft. Ewig lange schon schien er auf sie zu warten und alles gerade auf diesen Moment ihrer Ankunft vorbereitet zu haben. Seine Bewegungen und Ausdrucksweisen waren so durchdacht, als hätte er sie schon jahrelang geübt.


Kapitel 26

Mit einer Geste lud der alte Mann sie ein auf den klapprigen Stühlen Platz zu nehmen.
Die Holzhütte war sehr spartanisch eingerichtet. Ein Holztisch, vier kaputte Stühle, die es nicht mehr lange zu machen schienen, ein Lager aus Stroh und Heidekraut und ein kleiner Kamin waren alles, was die Hütte zierte.
Von der Decke hingen noch Pfannen und Töpfe aus Gusseisen, auch die machten den Eindruck, als ob sie schon lange nicht mehr gebraucht worden seien. In jeder, wirklich jeder Ecke hingen Spinnweben, die bereits mehrere Generationen Spinnenfamilien überlebt zu haben schienen. Das Dach knarrte und knirschte bei dem leisesten Anzeichen von Wind und liess diesen durch zahlreiche offene Stellen hineinpfeifen.
"Kinder, was habe ich lange auf euch gewartet. Die Welt verändert sich, vor allem der Osten. Das Dunkle wird größer, die Finsternis wird stärker", sprach der Alte. Er seufzte, betrachtete seine Rauchringe und fuhr mit einem zufriedenen Lächeln fort.
"Aber da ihr nun da seid, gibt es nichts mehr zu befürchten und ich kann in Ruhe schlafen gehen.“
Kauzig beschrieb den Alten nur sehr ungenügend, er war regelrecht psychopathisch, wenn auch nicht zwingend negativ. Seine Haare standen vom Kopf weg und schienen schon eine Weile kein Wasser mehr gesehen zu haben. Die Augen traten ungleichmässig zu den Höhlen heraus und keiner der vier Freunde konnte sagen, ob sein brauner Hautteint von zu viel Sonne oder Schmutz kam.
"Wieso glaubst du das?", fragte Galdior. Ihm war in der Anwesenheit des Mannes sichtlich unbehaglicher geworden. Man brauchte ihm nicht zu sagen, dass dies der Mann war, den sie aufsuchen sollten. Der Alte senkte seine stahlblauen Augen auf Galdior. "Diese Frage ist einfach ... Galdior."
"Wieso kennt ihr meinen Namen? Ich haben ihn euch nicht genannt." Galdior wusste im Nachhinein nicht mehr warum er in Höflichkeitsformen gewechselt hatte. Der Greis wurde immer unheimlicher.
"Glaubst du im Ernst, ich habe vierhundert Jahre gelebt, um danach nichts zu wissen? Die Welt hat auf ihre Retter gewartet, denn sie wird alt und will nicht in Dreck und Schande sterben. Sie windet sich, wenn sie das Übel betrachtet, das die Menschen ihr gebracht haben. Bevor das geschah, war sie wunderschön in Licht gekleidet, eine Stätte der Götter, wo jeder Tag ein Fest war und jedes Fest war schöner und fröhlicher als das Vorherige", sagte der Alte und gestikulierte dabei heftig mit den Händen in der Luft, als würde er eine eingeübte Geschichte erzählen.
"Der Geschickteste unter den Göttern schuf in alten Tagen das Geschlecht der Urmenschen. Primitive Wesen, nicht intelligenter als Schoßhunde. Doch die Götter lehrten sie und als der Tag kam, wo die Allmächtigen wegziehen wollten, um neue Stätten zu finden, um auf ihnen zu feiern, da hinterließen sie den Menschen die Erde, dass sie sie verwalten und pflegen würden. Zu groß schien die Aufgabe und zu klein das Verantwortungsgefühl der Menschen. Als sie unter sich waren, entdeckten sie Urgewalten, stärker und mächtiger als sie selber. Und Kriege entbrannten und die Welt sah nicht mehr aus wie zuvor." Er sah traurig zu Boden. "Was passierte dann?", fragte Tinira leise.
"Fast die ganze Menschheit, die noch nicht sonderlich groß gewesen war, wurde vernichtet. Nur wenige, kleine Gruppen, die sich von Anfang an, versteckt gehalten hatten, um den Kriegen zu entgehen, überlebten. In der mächtigsten gab es berühmte Schmiede und sie kamen in den Westen, um sich eine neue Existenz zu erbauen. Von einem Brüderpaar wurde das Volk geführt und sie kamen mit gewaltigen Gastgeschenken zu den Völkern westlich der Berge, die zwar von Anfang an da gewesen waren, doch zuvor nie wirklich wichtig gewesen waren und nur wenig zur Sprache gekommen waren. Ich weiß nicht welcher kluge Gott voraus geschaut hat und noch ein zweites Geschlecht erschaffen hatte ..."
Er wollte gerade weiter sprechen, als er die wissenden Mienen auf den Gesichtern seiner Zuhörer sah.
"Ich sehe, es ist unnötig weiterzureden. Wem seid ihr begegnet, der die Geschichte des Schmiedevolkes kannte? Es muss denn, einer aus ihrem Geschlecht gewesen sein ..."
"Im großen Wald sind wir Randar begegnet", sagte Galdior, dann deutete er auf Reba. "Sie ist seine Tochter."
Der Alte blieb ruhig, doch seine klaren Augen ruhten nun ganz auf Reba.
"Natürlich, es ist mir gleich aufgefallen, dass Ihr anders seid", sprach er zu Reba. "Doch hatte ich mir nicht erhofft, jemals wieder eine solch hohe Persönlichkeit zu sehen." Reba und die anderen sahen ihn ziemlich verdutzt an, als er sich niederbeugte und ihre Hand küsste. "Wie kommt ihr drauf, dass -", fing Reba an.
"... Ihr sehr wahrscheinlich die letzte wahre Prinzessin des ehrenhaften Volkes seid?", beendete der Greis. "Ganz einfach: die deines Volkes, die immer ehrenhaft und treu zu den Göttern gehalten hatten, waren systematisch verfolgt und vernichtet worden. Die Dunklen Mächte unter Führung des abtrünnigen Bruders wollten schon immer die Alleinherrschaft über die Erde und da sie nicht mehr zu den Mächtigen gezählt werden, ist die Chance sehr groß, dass Ihr die letzte Prinzessin seid. Deswegen werde ich Euch als eine solche ansprechen, denn falls ihr es tatsächlich seid, würde ich in Ungnade fallen, täte ich es nicht."
Eine ganze Weile blieb es ruhig, bis Bolmar leise sagte: "Dann ist Randar ..." Er hielt inne, als er den nickenden Greis ansah. Wahrscheinlich waren sie also, ein ganzes Jahr lang von einem König beherbergt worden, ohne dass sie es gewusst hatten. Alle starrten ganze zwei Minuten lang Löcher in die Luft, versuchend die Neuigkeiten zu verdauen.
Schließlich fasste sich Galdior und fragte den Greis: "Euch umgibt sehr viel Sonderbares, Greis, wieso zum Beispiel wusstet ihr, dass wir kommen würden?"
"Mir bleibt wohl nichts anderes übrig, als euch zu erzählen, wofür ich hierher geschickt wurde", antwortete er seufzend mit einem Gesichtsausdruck, der eine Mischung aus Stolz und Vorfreude darstellte, als hätte er gehofft, dass die Frage käme.
"Als die Götter vor einiger Zeit hierher kamen und sahen, dass sich die Welt nicht zum Guten und Schönen entwickelt, hießen sie mir auf der Erde zu weilen und irgendwann vier Kinder auszuwählen, die die Welt säubern sollten und sie rein machen sollten für ihre Abdankung und die Wiederkunft der Götter. Dann werden diese Gericht halten über die Übeltaten der Menschen und die dunklen Geister aus der Erde austreiben. Doch bis dahin ist noch ein weiter Weg und ihre Ankunft ist noch weit entfernt, darum seid ihr hier. Eure Aufgabe besteht darin das Übel aufzuhalten und es zu beseitigen. Nur aus diesem Grund seid ihr hier und tragt diese Waffen und diese Rüstungen." Ein weiteres Mal blieben die Münder offen.
Tinira schüttelte irritiert den Kopf und sagte: "Aber ... aber wieso wir?"
Nur schüttelte der Greis seinerseits irritiert den Kopf und antwortete: "Hast du mir nicht zugehört? Ich habe euch erwählt, euch diese Rüstungen und Waffen gegeben und euch hierher geführt."
"Aber die Waffen haben wir von unseren Ahnen, die -", fing Bolmar an.
"Kinder, Kinder ihr denkt zu beschränkt, lasst eure Phantasie einmal ein bisschen laufen", unterbrach der Greis Bolmar und machte dabei ein seltsam hönisches Gesicht.
"Dann sind diese geschriebenen Zeilen in der Höhle von euch?", fragte Tinira. Der Greis nickte nur.
"Aber ich meine ... sind wir denn fähig dazu? Wir sind zu viert und ...", stammelte Bolmar.
"Ob ihr fähig dazu seid? Ihr werdet es sein müssen, ihr seid erwählt, ihr werdet euren Auftrag erfüllen. Und glaubt mir, Kinder, ihr seid nicht die einzigen, die gegen das Böse ankämpfen. Jenseits der Berge sind schon viele im Namen des Guten gefallen und noch immer kämpfen viele gegen die Finsternis an", sagte der Alte.
"Das, was ich euch als nächste sage, wird euch sehr wahrscheinlich nicht gefallen, aber sobald wir im Osten angelangt sind, werdet ihr euch trennen müssen", sprach der Greis vorsichtig. Nun sahen ihn alle an. Galdior fragte: "Wieso müssen wir das? Können wir nicht zu viert gehen?"
Der alte schüttelte den Kopf und sagte: "Das wäre nicht besonders gescheit, man braucht euch im ganzen Osten. Und wenn ihr alle an einem Ort kämpfen würdet, wäre das Verschwendung von Stärke und Kraft. Nein, nein, ihr werdet euch aufteilen müssen, jeder in eine Richtung." Mit diesen Worten stand er auf und lief zur Türe. Als er merkte, dass sie ihm nicht folgten, hielt er inne und sagte: "Seid ihr an den Stühlen festgewachsen, oder was? Kommt endlich, wir haben nicht ewig Zeit."
Immer noch verwirrt und ein wenig vor den Kopf gestossen, folgten sie ihm aus der Tür heraus. Draußen schlug ihnen ein scharfer Wind entgegen. Ohne ein weiteres Wort marschierte der alte Mann zum Höhleneingang neben der Hütte.
Galdior sprang schnell an seine Seite und fragte ihn, ob sie nicht die Pferde nehmen wollten. Da sah ihn der Greis an und sagte, dass es nicht nötig sei, da sie auf der anderen Seite bessere Freunde und Weggenossen finden würden und dass die Pferde so oder so nicht in die Höhle kommen würden.
Die Höhle war nicht wirklich eine Höhle, sondern eher ein Tunnel und ganz weit, weit vorne sah man den Ausgang in Form eines Lichtpunkts. Lange liefen sie in der Dunkelheit immer dem Lichtpunkt entgegen. Als ihnen die Beine schwer wie Blei waren und die Rüstungen an jeder nur erdenklichen Stelle drückten, gelangten sie endlich ins Tageslicht.
Obwohl die Sonne trüb hinter den Wolken hervorschien, mussten sie doch die Augen mit den Händen abschirmen, da sie so lange in der Dunkelheit gegangen waren.
Der Tunnel hatte sie geradewegs durch die Berge von der West-Seite zu Ost-Seite geführt. Die Aussicht, die sich ihnen nun darbot, war nicht wirklich berauschend. Zu den Bergen hin war das Land hügelig mit vielen Wäldern und Flüssen, doch umso weiter es in den Osten ging, umso karger und dunkler wurde das Land. Direkt vor ihnen lag ein dichter, ruhiger Wald, in ihn führten vier Wege.
"Nun ist die Zeit gekommen, ich wünsche euch viel Erfolg, meine Aufgabe ist nun erfüllt, ich kehre zu meinen Schöpfern zurück", sprach der Greis mit einem feierlichen Unterton in der Stimme. Die vier Freunde drehten sich zu ihm hin und Galdior sagte: "Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob ich Euch danken oder Euch hassen soll ... darum sag ich einfach Lebewohl. Doch vielleicht wollt ihr mir noch eine Frage beantworteten, wie heißt ihr?"
"Das ist eine berechtigte Frage, gewisse nennen mich 'Diener', andere rufen mich 'Gott', wieder andere heißen mich 'schlechte' oder 'gute Nachricht', und wieder andere sagen mir 'Schicksal'." Mit diesen Worten drehte er sich um und lief in den Tunnel zurück, und bald hörte man seine Schritte nicht mehr.
Lange standen sie dort und schauten in den Tunnel, bis Tinira das Wort ergriff: "Wenn ich meinen momentanen Gemütszustand beschreiben müsste, würde ich sagen: grenzenlos verwirrt."
Zuerst schmunzelten sie, dann fingen sie plötzlich alle schallend an zu lachen und hielten sich ihre Bäuche. Nicht etwa weil sie so fröhlich waren, sondern einfach wegen der Absurdität der ganzen Situation.
"Hätte mir jemand vor zwei Jahren gesagt, was mir alles widerfahren würde, hätte ich ihn mit Bestimmtheit ausgelacht und ihn für verrückt gehalten", meinte Galdior, als sie alle wieder still geworden waren. Dann drehte Reba sich in Richtung Wald um und sagte: "Wir sollten gehen, wenn wir noch länger warten, wird der Abschied noch schwerer."
Die anderen nickten und sie liefen alle auf den Wald zu. Sie hielten an und ohne Worte, nur mit stillen Tränen, umarmten sie sich zum Abschied. Darauf ging jeder seinen Weg, ohne dass sie sich vorher abgesprochen hätten. Keiner drehte sich um, bis die Schritte im Wald verklungen waren.

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Tag der Veröffentlichung: 30.03.2010

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