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Eine neue Welt


von Aaron Kunz


Kapitel 1

Es schüttete Liter um Liter Wasser aus dunklen Wolken, als schwarze Reiter auf ihren Rappen, die mehr tot als lebendig schienen, die Hügel hinab auf die stille Stadt Andophú zuritten.
Der Regen prasselte wie tausende von Schläge auf die Rüstungen und machte zusammen mit dem Schnauben und Schnaufen der Reiter und der Tiere ein grausiges Geräusch.
Leise wie Schatten waren die Reiter; niemand bemerkte sie, auch nicht, als sie vor dem Fluss, welcher die Stadt vor den gefährlichen Hügeln im Norden schützen sollte, angekommen waren. Der Führer der Reiter sprach einige rasche Befehle zu seinen Untergebenen und zeigte auf das Tor, welches der einzige Eingang zu der von Mauern umgebenen Stadt war.
Die Stadtwache an der Winde für die Zugbrücke schlief, als einer der schwarzen Soldaten die Mauer an einem Seilhaken hinaufkletterte. Dieser lachte heiser und stieß sein gezacktes Schwert tief in die Brust der schlafenden Wache. Nur kurz zuckte die Wache, versuchte zu begreifen, was gerade mit ihr passierte, verlor das Bewusstsein und starb im nächsten Moment.
Der Soldat bewegte sich still im Schatten der Wand, an welcher die Kette für die Brücke festgemacht war. Er ließ sie in Windeseile hinab und seine Gefährten stieben schon nach wenigen Momenten durch die Gassen der Stadt, wie eine Seuche, die sich in alle Ecken ausbreitete.
Vergebens versuchten ein paar wenige Einwohner sich schlaftrunken zu wehren. Doch sie alle wurden auf bestialische Art und Weise umgebracht. Überall brandschatzten, mordeten und stahlen die schwarzen Gestalten. Schreie hallten durch die kleine Stadt, überall plärrten Kleinkinder und mehrere Häuser brannten lichterloh.
Die Stadt hatte sich in trügerischem Frieden gewiegt und bekam nun, nach mehr als zwölf Jahrzehnten die Strafe dafür. Alle Männer, die versuchten hatten sich zu wehren, wurden getötet; Frauen und Kinder mitgezerrt und versklavt. Nun hatte das Übel auch sie erreicht und sie konnten es nicht mehr abwenden.

Nicht weit entfernt, auf einer großen, grünen Grasfläche südlich der Stadt hatten drei junge Leute ihr Zelt aufgeschlagen und erzählten sich nun im Kerzenlicht die bekanntesten Schauergeschichten.
Zwei Jungen und ein Mädchen waren es; allesamt siebzehn Jahre alt. Sie saßen auf ihren Matten, eingewickelt in ihre Decken. Der größere der beiden Jungen – er hieß eigentlich Galdior, doch da es bei seinem Volk üblich war, Namen auf die drei ersten Buchstaben abzukürzen, wurde er von allen nur Gal genannt – war gerade mitten in einer Geschichte, als er innehielt und horchte. Die zwei anderen taten es ihm gleich. Zuerst hörten sie nur den Wind heulen, doch wurden mit dem Wind auf einmal leise, herzzerreißende Schreie mitgetragen. Alle drei erstarrten.
"Was hat das zu bedeuten?", wisperte das Mädchen, welches Tinira hieß, jedoch, wie bereits vermutet, Tin genannt wurde. Die Jungen schüttelten den Kopf. Der dritte Junge, Bolmar, auch Bol, machte die Schnalle, die den Zelteingang zusammenhielt, auf und lief ins Freie.
Der Anblick war ein einziger Albtraum. Anzusehen wie ihre Stadt in Flammen stand, schien Bol extrem unwirklich. Tinira und Galdior traten hinter ihn und er hörte wie sie anfing zu weinen und Galdior scharf die Luft einsog. Bolmar hingegen starrte einfach nur auf das bizarre Bild, das sich ihnen bot. Nach einigen Sekunden wurde ihnen klar, dass sie etwas tun mussten und sie rannten wie drei Wahnsinnige auf die Stadt zu.
In einem dichten Gebüsch, etwa zwei Steinwürfe von der Zugbrücke entfernt, blieben sie liegen und sahen zu wie Reihe um Reihe der Reiter wieder aus der Stadt marschierten in Begleitung der Gefangen. Die Gefangen schritten in Dreierreihen, an Händen und Füßen gekettet, aus der Stadt. Das Erobern der Stadt hatte nicht lange gedauert. Schon bald waren die Reiter wieder in der Dunkelheit verschwunden.
Weinend und unter Schock liefen die drei Freunde auf die Stadt zu, unter der Brücke hindurch und in das Stadtzentrum. Auf dem großen Platz in der Stadtmitte machten sie Halt und beobachteten schluchzend das Chaos und die Verwüstung. Der Geruch von verbranntem Fleisch hing in der Luft und der Rauch biss ihnen in den Augen. Keiner sagte ein Wort. Immer noch nicht begreifend, was eben passiert war, liefen sie zu ihren Elternhäusern, von denen glücklicherweise keines abgebrannt war, wo sie aber wieder nur Zerstörung vorfanden. Sich an den Händen haltend gingen sie wieder auf die Straße als Tinira ein kleiner Schrei entfuhr. Vor ihnen lag ihre Großmutter mit blutverschmierter Brust auf dem Pflaster. Sofort sprang Tinira zu ihr. „Oma, was ist mit dir? Was ist passiert?“, fragte sie unter Tränen.
„Tin“, antwortete die Großmutter. Ihr Atem ging flach und schnell, doch sie sprach weiter: „Wie schön, du lebst. Du musst fliehen. Du musst sie warnen ... das nächste Dorf. Schnell ... geh!“
Ihre Augenlider schlossen sie sich und ihr letzter Atemzug liess sie in Form eines langen tiefen Seufzers raus. Tinira vergrub ihr Gesicht in den immer noch warmen Händen ihrer Großmutter und weinte. Galdior, der alles mitangehört hatte, kniete neben sie und legte ihr den Arm um die Schulter.
„Wir sollten ihren letzten Wunsch erfüllen und das nächste Dorf warnen. Sie werden uns dort sicher helfen“, sprach Galdior beruhigend und mit einer Sicherheit auf sie ein, die ihn selbst überraschte.
"Aber die ist weit entfernt. Wie wollen wir dort hinkommen?", warf Tinira mit Tränen überströmten Gesicht ein.
„Wir müssen sehen, dass wir irgendwo Pferde bekommen, dann können wir es schaffen“, antwortete er.
Nach kurzem Suchen fanden sie im Stall von Bolmars Vater drei völlig aufgeschreckte Pferde. Sie beruhigten sie so gut es eben ging, sattelten sie und stiegen auf. Aus einem Grund, den er später nicht mehr wusste, sagte Galdior, dass sie noch Waffen und Verpflegung bräuchten. Die anderen nickten zustimmend. Schnell beschlossen sie sich aufzuteilen. Jeder sollte zu sich nach Hause gehen und Verpflegung und Waffen suchen.
Als sie sich wieder trafen, hatten alle das, was sie brauchten. Tinira hatte den Bogen ihres Vaters gefunden, der normalerweise nur über dem Kamin hing, mit welchem sie aber sehr gut umgehen konnte; Bolmar hatte das mächtige Schwert mitgenommen, das er von seinem Großvater vererbt bekommen hatte und Galdior die Lanze seiner Ahnen, die unterhalb der Metallspitze ein eingearbeiteter Kristall hatte. Früher hatte er sie nicht anfassen dürfen, geschweige denn benutzen. Jetzt musste er unter Umständen beides. Jeder von ihnen hatte noch Verpflegung zusammengesucht.
Nun ritten sie im Galopp durch die Straßen und über die Felder in Richtung Nachbarstadt.
Unterwegs fragte Galdior seine Freunde: "Was glaubt ihr machen sie mit unseren Familien?"
"Ich weiß es nicht... Vielleicht werden sie irgendwo in eine Arena geschickt, um ihnen als Belustigung zu dienen, oder womöglich werden sie in Minen gebracht, wo sie schuften müssen und wie Tiere gehalten werden“, antwortete Tinira mit einer für sie seltsam monotonen Stimme.
"Wer sind diese Reiter überhaupt?", fragte Bolmar, "Ich fühle mich so hilflos."
Schweigend ritten sie die Stecke über flaches Gelände. Während sie so dahinritten, erwachte die Natur von ihrem Schlaf. Vögel fingen an zu singen und langsam machte die Dämmerung den Strahlen der Sonne Platz. Niemand ahnte etwas vom Schicksal, das die Stadt Andophù ereilt hatte.
Kurz vor Mittag sahen sie die Stadt schon und nur eine Weile später schritten sie durch das Tor in die Stadt hinein.
Von allen Seiten wurden sie angestarrt, als wären sie Monster. Doch ihnen war es egal. Sie waren müde, hatten Hunger und der Schock stand ihnen aufs Gesicht geschrieben. Neben dem Rathaus sahen sie sich um und beschlossen, erst einmal den Senator zu unterrichten. Hungrig und erschöpft banden sie die Pferde an und stolperten zum Rathaus hinüber.


Kapitel 2

"So sieht es also aus...", der Senator schloss die Augen und atmete laut aus. Sie saßen alle zusammen im Arbeitszimmer des Senators. Ausgelaugt und zutiefst gebeutelt von der Reise und dem Verlust ihrer Familie hockten die Drei auf unbequemen Stühlen, währenddessen der Senator hinter seinem Schreibtisch Platz nahm.
"Gut, ich werde mich mit den anderen Senatoren beraten. Nun zu euch; ihr habt dieser Stadt einen gewaltigen Dienst erwiesen, indem ihr uns gewarnt habt und wir sind euch von ganzem Herzen dankbar. Ihr könnt euch zur Schenke auf der anderen Straßenseite begeben. Dort wartet eine warme Suppe und Tee auf euch."
Beim Aufstehen seufzte der Senator und sagte mitleidig: "Es tut mir Leid was mit eurer Stadt und euren Familien passiert ist. Wir werden alles in unserer Macht stehende tun, um sie aus den Klauen des Bösen zu befreien. Ich kann euch allerdings nichts versprechen."
Auf der gegenüberliegenden Straßenseite traten sie in die Schenke ein und konnten wie versprochen ihr Mahl zu sich nehmen. Während dem Essen sah sie der Wirt mitleidig an.
"Wenn ihr wüsstet wie Leid ihr mir tut. Sagt, falls ihr irgend etwas braucht."
"Danke", flüsterte Tinira. "Können wir hier übernachten?"
"Natürlich könnt ihr."
Sie bedankten sich und gingen auf ihre Zimmer, welche gemütlich, mit einem Kamin in der Ecke und einem bequem aussehenden Bett, bestückt waren. Nachdem sie sich eingerichtet hatten, saßen sie im Zimmer von Tinira um den Kamin und wärmten sich am knisternden Feuer. Draussen wurde es bereits dunkel. Sie hatten zuvor nicht gleich zum Senator gekonnt, da dieser mit auswärtigen Geschäften beschäftigt war. Man hatte sie nicht vorgelassen, obwohl sie ihr „Problem“ mehrmals vorgebracht hatten.
Bolmar sprach das aus, was alle schon seit der Ankunft in der Schenke beschäftigte: "Was glaubt ihr, wird der Senator tun?"
"Ich denke“, begann Galdior, den Blick auf seine Lanze gerichtet. „Er wird die Alten und Kinder in Sicherheit bringen und mit dem Heer hier bleiben, um auf die Reiter zu warten. Obwohl ich mich nach wie vor frage, woher er die Sicherheit hat, dass sie überhaupt dieses Dorf angreifen werden.“ Und als ein seltsamer Ausdruck sein Gesicht verzerrte, fügte er hinzu: „Ich würde zu gern wissen, ob die Lanze meiner Ahnen noch was taugt."
"Glaubst du etwa, er lässt dich mit dem Heer hier bleiben?", fragte Bolmar, der den Gesichtsausdruck richtig gedeutet hatte.
"Ich hoffe es. Ich will Rache üben." Ein zorniger Gesichtsausdruck machte sich auf Galdiors Gesicht breit. Nun sahen alle in die Ecke des Zimmern wo sie ihre Waffen abgelegt hatten. In der Spiegelung der Metallklingen und -spitzen wurde der tanzende Schein des Feuers reflektiert. Da beschlich sie alle eine dunkle Vorahnung, doch sprach keiner ein Wort darüber.
Sie diskutierten noch eine Weile, bis sie sich in verschiedenen Zimmer zur Ruhe legten.


Kapitel 3

Sie trafen sich wie abgemacht bei Sonnenaufgang unten in der Schenke zum Frühstück. Der Wirt tischte ihnen ein karges, jedoch nahrhaftes Essen auf. Sie bedankten sich für das Essen und liefen zum Rathaus hinüber. Dort erwartete sie ein nervöser Senator, der auf dem flauschigen Teppich vor seinem Schreibtisch hin und her lief.
"Endlich, seid ihr da! Ich habe ein paar wichtige Mitteilungen für euch." Der Senator wollte gerade Luft holen, um seinen Redeschwall fortzusetzen, als Bolmar ihm ins Wort fiel: "Dürfen wir mit dem Heer warten?"
Der Senator schaute sie verdutzt an: "Wieso ... ? Auf gar keinen Fall! Ihr begleitet die Wehrlosen zu den Höhlen und Grotten westlich der Stadt", antwortete der Senator prompt und schüttelt den Kopf, als er ihre missmutigen Gesichter sah. "Ich will keine Widerrede hören, es wäre verantwortungslos euch hier bleiben zu lassen und ausserdem würdet ihr nur im Wege stehen."
Alles Flehen half nichts, der Senator stellte sich stur. Ihre Aufgabe war, mit der Schar Frauen, Kinder und Greisen noch am selben Tag aufzubrechen, mit den übrigen Wächtern auf sie aufzupassen und dann in den Höhlen nördlich der Stadt Schutz zu suchen.
Mit geneigten Köpfen schlurften sie wieder zur Schenke hinüber. Sie bemerkten nicht einmal, wie die ganze Stadt in Aufruhr war und alle Vorbereitungen jeglicher Art traf. Der Wirt war bereits unterrichtet worden und hatte ihre Pferde satteln und Proviant sowie ihr sonstiges Gepäck bereit machen lassen. Recht herzlich verabschiedeten sie sich von ihm und bedankten sich noch einmal.
Auf dem großen Platz vor dem Tor hatten sich die Alten, Frauen und Kinder versammelt. Nach vielen Vorbereitungen, Glückwünschen und Verabschiedungen setzte sich der Zug endlich in Bewegung. Bolmar, Tinira und Galdior ritten mit einem enttäuschten Gesicht am Ende des Zuges. Sie kamen kaum vorwärts, weil immer wieder Pausen eingelegt werden mussten. Nach einem halben Tag erreichte der Zug die Hügel, die zu den Grotten und Höhlen führten und am frühen Abend des selben Tages konnten sie bereits ihr Lager in den Höhlen aufschlagen.
Die drei Freunde schlugen ihre Zelte jedoch, außerhalb der Hügel auf einer Anhöhe auf. Ihnen wurde ziemlich bald schrecklich langweilig. Die Zeit vertrieben sie sich mit Gedächtnisspielen – die unter anderem den Zweck hatten, dass sie sich von den Gedanken an die vorletzte Nacht ablenken konnten – bis Galdior die anderen fragte, ob sie Lust hätten noch ein Spaziergang in die Hügel zu machen. Die Reaktion der beiden anderen war ziemlich klar: Sie schauten sich an, nickten und Bolmar meinte: "Vielleicht können wir von weiter oben bis zur Stadt sehen."
Tinira sah ihn an und dann dorthin wo sie die Stadt vermutete. "Gut, gehen wir."
Sie machten sich auf den Weg und zuerst ging es nur leicht bergan, schon bald aber wurde es steiler und steiniger. Nachdem sie gerade ein sehr steiles Stück hinter sich gebracht hatten, hielten sie an, verschnauften und sahen sich um. Galdior zeigte mit der Hand auf die Spitze des Berges und sagte: "Von dort sehen wir sicher etwas." Bolmar, der schon schwer schwitzte und laut keuchte vor Anstrengung, warf die Hände in die Höhe, murrte und schritt weiter.
Nach kurzer Zeit zogen dunkle Wolken heran und plötzlich goss es vom Himmel hinab. Schnell suchten sie sich einen Unterschlupf und stolperten völlig durchnässt in eine riesige Höhle. Staunend betrachteten sie die steinigen Wände und Steine, die alle wunderschön natürliche Formen hatten.
"Wollen wir diese Höhle ein bisschen erkunden?", fragte Tinira.
"Wieso nicht ... Raus können wir ja doch nicht, solange es regnet."
Durch viele Ritzen und Löcher in der Decke und in den Wänden, der Höhle fiel Wasser und ein wenig Licht, gerade genug um sich zu orientieren. Die feuchten Wände glitzerten und funkelten im Licht.
Lange durchwanderten sie die riesigen Höhlen, bis sie in einen Raum gelangten, der alles vorhergegangene, übertraf. Die Decke lag weit über ihren Köpfen und der Raum hatte einen Durchmesser von vierzig bis fünfzig grossen Schritten.
Während sie hierher gekommen waren, hatte es aufgehört zu regnen und die restlichen Strahlen der lauen Abendsonne schienen durch eine einzelne Ritze über ihnen auf die gegenüberliegende Wand. Genau dort, wo die Strahlen auftraten, glitzerte etwas. Nicht ein Glitzern wie das der feuchten Steine im Tageslicht, nein ein Glitzern, das aussah, als wäre die Wand mit Diamanten gespickt. Das Glitzern zog sie auf eine unheimliche Weise an. Langsam gingen sie darauf zu. Zwei Schritte davor blieben sie stehen. Es waren Schriftzeichen, die wunderschön in den Stein gemeißelt worden waren.
"Kannst du entziffern, was da steht?", fragte Galdior Tinira, welche sich in alten Sprachen sehr gut auskannte.
Sie nickte: "Ich kann es versuchen."


Kapitel 4

Eine ganze Weile standen sie einfach da; das einzige, was man hörte war das abwechselnde, gleichmäßig Atmen. Die zwei Jungen sahen Tinira an und diese starrte auf die Inschrift.
"Ich bin mir nicht sicher, ob ich es richtig deute, doch so würde ich es übersetzen:

Von der Weissagung wird erzählt, dass in einem Zeitalter, wo
Das Dunkle die Überhand gewinnt, und finstere Gestalten
Die ehemals schönen Straßen von Ium durchstreifen,
Vier Menschen kommen werden, um die Welt vom Übel
Zu befreien.
Drei von ihnen werden hier stehen und diese Zeilen lesen
Eine Kraft und ein Zauber wird über sie kommen,
Der sie zu dem macht, was sie sein sollten. Sie werden das
Übel aus den Straßen treiben, so dass der Frühling blühen kann,
Ium wieder frei wird und in Frieden ruhen darf."

Nach diesen Worten flüsterte sie: "Wer ist wohl gemeint? O seht mal, die nächsten Zeilen sind in der allgemeinen Sprache geschrieben:

Der eine Junge schwingt die Lanze seiner Ahnen,
Sein Licht erstrahlt in der Finsternis.
Das Mädchen, die Intelligente, Pfeil und Bogen sind ihre Waffen.
Der Phönix selbst wird ihr Köcher beleben.
Der andere Junge, mächtig ist sein Schwert;
Aus Erde ist die Klinge geschmiedet, und diese beherrscht er.
Die Vierte, die Sanftmütige, die Stachel gürtet sie.
Ihr Wind versiegt nie.

Mit offenen Mäulern standen sie vor der Wand, auf der das Glitzern langsam verblasste. Eine kurze Zeit sprachen sie nichts. Dann aber fand als erster Galdior seine Stimme wieder: "Was hat das zu bedeuten? Sind wir etwa gemeint?"
"Keine Ahnung, sieht aber irgendwie schon so aus", stammelte Bolmar.
"Aber wer ist dann die vierte Person?", meldete sich Tinira.
Die anderen schwiegen.
In diesem Moment versank die Sonne hinter dem Horizont, die Schrift verblasste und die drei wurden nur noch vom spärlichen Mondlicht, welches immer wieder von dunklen Wolken durchbrochen wurde, erhellt. Scheinbar eine Ewigkeit standen sie vor der Wand, auf der nun keinerlei Schriftzeichen mehr zu erkennen waren.
"Wir sollten uns wieder auf den Weg machen", sagte Tinira, die als erste wieder aus der Starre erwachte.
Die zwei Jungen nickten schweigend und sie machten sich daran im Dämmerlicht den Ausgang zu finden. Nach viel Herumgetaste, waren sie wieder an der frischen Luft und machten sich an den Abstieg. Bis sie bei ihrem Lager waren, sprachen sie kein Wort.
Galdior warf frisches Holz in die Asche und schürte das Feuer. Bolmar wiegte sein wirklich schweres Schwert in den Händen. Tinira lag auf dem nassen Boden und starrte in den bewölkten Himmel. Ihr schien es gleichgültig, ob sie nun schmutzig wurde oder nicht.
"Wisst ihr, wenn wir tatsächlich für etwas bestimmt sein sollten, dann müssen wir uns schon Morgen auf den Weg machen. Sonst verpassen wir womöglich ... den Einstieg. Seid ihr dabei?", fragte er herausfordernd. Seine Stimme hatte eine Nervosität angenommen, die zwar ängstlich klang, aber ansteckend wirkte.
Langes Schweigen folgte, bis Galdior langsam seinen Kopf hob und im gleichen Tonfall Antwort gab: "Ja, ich bin dabei."
Schließlich setzte sich auch Tinira auf. Ihr schulterlanges, braunes und nun leicht verschmutztes Haar unterstrich die Intensität ihrer dunklen Augen. Einen kurzen Moment schien sie zu überlegen, dann schniefte sie mit der Nase, wobei sich niedliche Grübchen bildeten und sagte: "Ich auch."


Kapitel 5

Galdior stand unter dem bewölkten Himmel, auf einer einsamen Wiese. Die Grashalme reichten ihm bis zu den Hüften. Die Farben waren bleich – einfach alles, Blumen, Gräser, der Himmel, die Hügel, welche den Horizont schmückten, ja, selbst die Wolken schienen mit einem bleichenden Vorhang überzogen worden zu sein, ein unheimliches Spiel von Schwarz- und Weißtönen. Alles schien unecht.
Nachdem er an sich herunter gesehen hatte, wusste er, wieso er sich so schwer fühlte. Er trug eine schwarz glänzende Rüstung; er war zudem auch viel größer. An seinem Schatten bemerkte er, dass er noch etwas langes auf dem Rücken hatte. Er griff nach hinten und zog seine Lanze hervor.
Immer noch verblüfft, hörte er von fern Hufschlag. Er blickte um sich und entdeckte etwa hundert Schritte linker Hand einen dichten Nadelwald. Aus diesem kamen immer schneller werdend, schwarze Flecken. Schon bald erkannte er, dass es die selben Reiter waren, die auch Andophù angegriffen hatten. Sie rasten mit einem unglaublichen Tempo auf ihn zu. Angstschweiß drang aus all seinen Poren und eine Furcht ergriff sein Herz; er wollte wegrennen doch es ging einfach nicht, er schien wie angewurzelt.
Die Reiter waren nur noch wenig entfernt, da ließ er vor Angst seine Lanze fallen, hob schützend die Hände vor den Kopf und schrie irgendetwas in einer ihm unbekannten Sprache. Die Worte bewirkten etwas, denn plötzlich wurde alles hell. Er war geblendet von dem Weiß, welches sie nun alle umgab. Die Helligkeit saugte jeglichen Schwarzton auf, als hätte jemand von oben einen gewaltigen Eimer mit weißer Farbe über sie ergossen.
Schnell schloss er die Augen und er spürte, wie er zu Boden sank. Nach ein paar Sekunden hob er seine Lider und erhob sich.
Unnatürliche Flecken tanzten vor seinen Auge, doch die waren ihm egal. Vor ihm lagen die schwarzen Reiter allesamt am Boden. Sie waren tot, vollkommen verkohlt.Ihre Leichen rauchten und sie waren noch schwarzer als zuvor.
Es war ein gänzlich schrecklicher Anblick.
Plötzlich schreckte Galdior hoch. Sein Körper war nass vor Schweiß. Doch alles war wieder beim Alten. Die Farben waren wieder voller Leben. Seine Freunde lagen links und rechts von ihm in der relativen Sicherheit des Zeltes.
Er atmete ein paar Mal tief durch, stand dann auf und lief nach draußen. Um ihn herum war nichts als Dunkelheit, jedoch wusste er, dass hinter seinem Rücken irgendwo die Höhlen mit den Flüchtlingen waren.
Nachdem er ein paar Schritte in die Dunkelheit gemacht hatte, hörte er ein leises Stöhnen. Schnell hastete er zurück zum Zelt. Warum ihn ein Seufzer, der eigentlich im Schlaf nichts ungewöhnliches war, so erschreckte, wusste er nicht. Tinira wälzte sich hin und her. Man konnte sehen, wie sich unter ihren Augenlider die Pupillen bewegten. Auch sie schwitzte und plötzlich, schwer atmend, öffnete sie die Augen.
"Tin, alles in Ordnung?", fragte Galdior.
"Ja, ich habe wohl nur schlecht geträumt, aber es schien so real."
Galdior wollte gerade Antworten und sie beruhigen, da meldete sich Bolmar aus dem Schlaf: "Nicht ... nein, verschwindet!"
Er schrie, verpasste Galdior beinahe eine Ohrfeige mit seiner Hand und wachte auf. Mit großen, starren Augen sah er seine Freunde auf.
"Was –?", fing Galdior an, doch sogleich wurde er von sich näherndem Hufschlag unterbrochen.
Sie standen auf, verließen das Zelt und starrten in die Dunkelheit. Ein Reiter des Heeres aus dem Dorf kam auf sie zu. Schlaff wie eine Puppe aus Stroh sass er im Sattel, den Kopf gesenkt. Die Hände hielten sich verkrampft an der Mähne des Pferdes fest. Als er fast bei ihnen war, fiel er wie in Zeitlupe vom Pferd. Schnell rannten sie zu ihm hin und sanken neben ihm auf die Knie.
"Er hat einen Pfeil in die Seite bekommen.", flüsterte Tinira, als sie seine blutende Seite betrachtete, worin noch der abgebrochene Schaft eines Pfeils steckte.
Der Mann stöhnte, packte Galdior am Kragen, zog ihn zu sich hinab und sprach mit heiserer Stimme: "Flieht, sie haben uns überrannt... waren zu zahlreich... Geht weg von hier!" Im nächsten Moment wurde seine Hand schlaff und seine Augen verloren an Ausdruck. Galdior schluckte. Er legte dem Mann seine Hände auf die Brust und schloss ihm die Augen.
"Bol, renn zu den Höhlen und benachrichtige die Wachen! Tin und ich werden unsere Sachen packen und die Pferde bereit machen."
Bolmar rannte so schnell wie er nur konnte zu den Höhlen. In der Zwischenzeit machten sich Tinira und Galdior bereit. Sie warteten schon ungeduldig, als Bolmar keuchend zurückkam.
"Die Wachen sagten, sie werden sich in den Höhlen verstecken. Sie würden nicht gefunden werden." Er stieg auf sein Pferd, "Ich riet ihnen ab, aber sie hörten nicht auf mich."
Galdior nickte: "Sollen sie doch, wir reiten."
"Und wohin?", fragte Tinira.
"In Richtung Osten, zu den Bergen hin. Wir reiten dem Waldrand entlang."
Aus der Richtung, wo die Stadt lag, wurde das Donnern von beschlagenen Hufen lauter und lauter.
"Sie kommen!"


Kapitel 6

Zwei Tage ritten sie nun schon in Richtung der aufgehenden Sonne. Gegen Mittag des dritten Tages rasteten sie bei einer großen Eiche in der nähe des großen Waldes. Der Himmel über ihnen war Grösstenteils blau und mit gelegentlichen Wolkenfetzen versehen. Sie ließen die erschöpften Pferde weiden und setzten sich in den Schatten des Baumes.
Mit einem traurigen Blick in ihre Nahrungstasche sagte Tinira: "Wir haben noch etwa für drei Tage essen. Wir sollten es besser einteilen."
"Wird nicht nötig sein. Morgen Abend sollten wir die kleine Siedlung Bamrú erreicht haben. Dort werden wir Nahrung aufnehmen können", entgegnete Galdior fast ein bisschen hochnäsig. "Lasst uns jetzt essen."
Tinira nahm einen halben Leib Brot aus der Tasche und Scheiben getrockneten Fleisches.
Eine halbe Stunde lang machten sie nichts anderes, als kauen und schlucken.
Die vollen Magen, die angenehme Wärme sowie der liebliche Anblick der Landschaft, welcher sich ihnen bot, führte unweigerlich dazu, dass einer nach dem anderen einschlief und bald hörte man nur noch gleichmäßiges Atmen.
Etwas Feuchtes berührte Galdiors Nase. Er machte die Augen auf und schaute in das lange Gesicht seines Pferdes. Erschrocken sprang er auf. Die Sonne hatte ihre tägliche Bahn schon fast beendet und die Schatten waren schon sehr lang. Doch dann lenkte etwas anderes seinen Blick auf sich. Von Osten kamen Reiter. Er hörte bereits ihr lautes Gejohle. So schnell es ihm seine müden Beine erlaubten, rannte er zu den anderen und schüttelte sie wach.
"Schnell in den Wald, da kommen Reiter", sprach er hastig. Die anderen brauchten sich nicht erst selbst zu vergewissern – auch sie hörten die Reiter. Sie sprangen auf, packten ihre Waffen und Taschen und rannten in den Wald.
In einem dichten Gebüsch, in Hörweite ihres Lagers, hielten sie sich versteckt. Die Reiter galoppierten genau zu ihrem Lager. Sie glichen Piraten, nur eben auf Pferden. Bis auf die Zähne bewaffnet und ganz klar ersichtlich ungepflegt, standen sie nun neben der Eiche und sahen sich genau um. Obwohl sie an der frischen Luft waren und zwischen den Räubern und Tinira mindestens einen Steinwurf Abstand war, konnte sie den Geruch von Schweiß und Alkoholausdünstungen wahrnehmen.
"Die sind sicher in den Wald geflüchtet", sprach einer, der sich wie der Anführer benahm und ganz nebenbei auch noch der Hässlichste und Grobschlächtigste war. "Ihr zwei bewacht unsere und ihre Pferde, ihr zwei geht von Osten in den Wald, ihr zwei von Westen und wir drei gehen gleich hier hinein“, wies er seine Leute an.
Seine Reiter führten aus, was er befohlen hatte und schon bald befanden sich die drei Freunde wieder auf der Flucht. Sie rannten wie aufgeschreckte Hasen, die von Jägern und ihren Hunden verfolgt wurden. immer Haken schlagend davon. Äste und Zweigen schlugen ihnen ins Gesicht, Dornen schürften ihre Beine auf. Überall, rechts, links und von hinten hörten sie Geschrei.
Plötzlich stolperte Bolmar über eine Wurzel und fiel in den Dreck. Galdior drehte um und rannte zurück, um seinen Freund zu Hilfe zu eilen. Er war gerade über ihm und wollte ihm aufhelfen, als einer der Männer eine Keule schwingend auf sie zu gestürmt kam. Ein Sirren erklang und im nächsten Moment hatte der Räuber einen Pfeil, der nur ganz knapp an Galdiors Kopf vorbei geflogen war im Oberschenkel. Jener fragte sich erst gar nicht wie Tinira so schnell ihren Bogen spannen und einen Pfeil schießen konnte. Er griff Bolmar unter die Arme, half ihm auf und sie rannten weiter.
Der Wald wurde immer dichter und schon bald war Rennen unmöglich. Bolmar und Galdior kämpften sich gerade durch ein paar dichte Büsche, als von oben eine Stimme kam: "Hier rauf schnell!"
Sie sahen nach oben und erkannten Tinira, die auf einem Ast saß. So schnell sie konnten, stiegen sie auf den Baum. Nur eine halbe Minute später kam der erste Verfolger angekeucht und lief tatsächlich unter ihnen hindurch. Ein paar weitere folgten.
Eine gute halbe Stunde, in der sie immer das Gefühl hatten jeden Moment entdeckt zu werden, warteten sie. Schließlich verstummte das Geschrei der Männer.
"Danke, für vorhin", flüsterte Bolmar Galdior zu. "Keine Ursache", antwortete dieser. "Aber du solltest eher Tinira danken. Hätte sie den Mann nicht aufgehalten, wären wir jetzt beide tot."
Die beiden Jungen schauten sie an. Sie schaute ihren Bogen an: "Ich weiß auch nicht... es ging sehr schnell. Ich wusste gar nicht, dass ich mit diesem Bogen so gut umgehen konnte. Es ging wie von alleine."
Eine Weile warteten sie noch still in ihren unbequemen Position und blieben, wo sie waren. Doch als es allmählich kälter wurde, machten sie sich auf den Weg. Schon bald fragte Galdior an Bolmar gewandt: "Verflucht, wo ist die Tasche mit der Nahrung?"
"Ich habe keine Ahnung. Ich dachte, du hättest sie", antwortete Bolmar, mit einem für ihn unpassenden, „Leck-mich-doch!“-Blick.
"Ich hab sie aber nicht!", schnauzte Galdior zurück. "Wir müssen noch einmal zurück zum Baum!" Schleunigst eilten sie zurück zum Baum, fanden ihn jedoch nicht mehr. Schließlich wollten sie umdrehen und zurück zu ihrer Ausgangspostion, fanden diese aber genau so wenig wieder. Sie hatten sich bereits heillos verirrt.


Kapitel 7

"Ich hab solch einen Hunger", murrte Bolmar. Alle drei lagen auf dem Bauch hinter ein paar Büschen, um auf ihr Essen zu warten und starrten auf die kleine Lichtung vor ihnen. Seit einem halben Tag waren sie in diesem einsamen Wald.
"Sei still, da kommt unser Essen!", zischte Tinira und spannte ihren Bogen. Ihr Arm zitterte stark unter der enormen Kraft, die sie aufwenden musste. Die Hirschkuh schien sie irgendwie zu wittern und machte bereits Anstalten davon zu rennen. Tinira schoss und traf sie in den rechten Hinterlauf, was sie aber nicht davon abhielt, in einem unglaublichen Tempo davon zu rennen. Sie rannten ihr hinterher so gut es eben ging.
Nach einer kurzen Jagd kamen sie auf einer weiteren Lichtung schlitternd zum stehen. Vor ihnen stand ein Fremder.
Er war groß, sehr groß, gut fünf oder sechs Ellen. Er war sehr athletisch gebaut, hatte blondes, schulterlanges Haar. Seine Augen waren azurblau. Er hatte schmale Lippen und eine spitze Hakennase. Seine Ohren standen in einem seltsamen Winkel ab und sein Hals war schon fast übernatürlich lang, genauso wie seine Beine.
"Wer, um alles in der Welt, hat euch Rotznasen erlaubt, in meinem Wald zu jagen?", fragte er mit einer tiefen, dröhnigen Stimme, die so gar nicht zu ihm passte. In seiner Hand lag der Hals der nun toten Hirschkuh. Der Mann machte einen angsteinflößenden Eindruck.
"Wir wurden von Räubern durch den Wald verfolgt, dann haben wir uns versteckt und konnten sie abschütteln, doch wir verirrten uns und –", platzte der zutrauliche Bolmar heraus, bis er von Galdior einen Klaps auf den Hinterkopf bekam. Darauf machte der Mann zwei Schritte auf sie zu, worauf die drei Freunde automatisch zwei Schritte zurück wichen.
Da sagte der Mann: "So so... und da dachtet ihr, ihr könntet doch einfach ein bisschen Wild in meinem Wald jagen?"
Die drei Freunde zitterten vor Angst, doch plötzlich, als hätte jemand einen Schalter umgelegt, wechselte der Gesichtsausdruck des Mannes und er sagte: "Nun gut, ihr müsst müde sein, folgt mir!"
Und die drei folgten ihm, ohne ein Widerwort. Dieser Fremde, obwohl er ihnen so barsch begegnet war, hatte etwas an sich, das die drei nicht erklären konnten und auch nicht wollten. Der Mann ging voraus und bewegte seine Beine in solch einem Tempo, dass die Freunde ihre Mühe hatten, mit ihm Schritt zu halten. Auch bewegte sich der Mann in diesem Wald, als ob er jeden Winkel davon kennen würde.
Bevor sie kurz davor waren vor Erschöpfung zusammenzubrechen, kamen sie am Ziel an. Was sich vor ihnen Augen auf tat war wahrhaftig unglaublich, fast noch unglaublicher, als alles, was bisher auf ihrer kurzen Reise passiert war.
Da war einen liebliches Holzhäuschen mit Gardinen an den Fenstern, rechts davon ein großer Garten mit allen möglichen Arten von Blumen, Gemüse und Kräutern, welche in allen Farben blühten und links davon eine Art Anbau ganz aus rotem Stein mit einem sehr hohen Kamin. Das ganze befand sich auf einem grasigen Hügel ... mitten im Wald. Doch das war bei weitem noch nicht alles. Am Ansatz des Hügels war ein Graben ausgehoben worden, gute fünf Schritte breit und er begab sich, so weit sie sahen, um den ganzen Hügel. Innerhalb des Grabens befanden sich Holzpfähle mit einer metallenen Spitze. Eine Miniaturausgabe einer Zugbrücke schien der einzige Weg über den Graben zu sein. An einem Pfosten war eine Glocke befestigt. Das Licht des untergehendes Mondes machte das ganze noch viel unwirklicher und bizarrer. Der Mann lief zur Glocke und klingelte. Der Klang war hell und schön und auf einen sonderbare Weise bezaubernd.
Gleich darauf wurde einer der Gardinen beiseite geschoben und ein wunderschönes Gesicht schaute hinaus, das gleich darauf wieder verschwand. Das Echo der Glocke war noch nicht verstummt, da kam ein Mädchen in Nachtkleid aus der Tür getreten und lief die Strecke zur Brücke hinab. Auf halbem Weg stockte sie, als sie die drei Freunde sah.
"Paps, wer sind die?", fragte sie unsicher. Ihre Stimme war, was gar nicht zu ihr passte, rauh und trotzdem hatte sie eine gewisse Eleganz und Anmut. Ihre Augen waren genau so blau wie die ihres Vaters und auch genau so durchdringend. Ihr Haar war ebenfalls strohblond und reichte ihr bis zur Hüfte. Ihre Lippen waren voll und sie hatte eine kleine Nase. Rein äußerlich schien sie im gleichen Alter wie Galdior zu sein, und doch strahlte sie etwas aus, was sie älter und weiser erschienen lies. Sie schaute die drei Freunde an.
"Du musst keine Angst haben, sie sind keine Feinde. Ich habe sie ihm Wald aufgelesen", erwiderte ihr Vater.
Sie lief bis zum Graben und lies die Brücke hinunter. Der Vater dieses prächtigen Wesens überquerte das Brückchen und als er bemerkte, dass die Freunde stehen geblieben waren, drehte er sich um und sagte: "Nun kommt doch!", mit einem amüsierten Ausdruck auf dem Gesicht fügte er noch hinzu: "Ich heiße euch auf meiner „Burg“ Baldar willkommen!"


Kapitel 8

Für Randar und seine Familie schien es nichts ungewöhnliches zu sein, mitten in der Nacht aufzustehen, das Feuer im Kamin zu heizen und ein Mahl zuzubereiten.
Nun, Galdior, Tinira und Bolmar war das nur recht. Ihre Bäuche fühlten sich wie ewige Abgründe an, die endlich gefüllt werden mussten. Den Anblick, den die Hirschkuh über dem knisternden Feuer bot, war sowohl köstlich wie auch seltsam. Vor einer halben Stunde war sie ihnen noch davongerannt; Galdior lief es kalt den Rücken runter. Er saß mit seinen Freunden auf einer Holzbank an einem großen, hervorragend gezimmerten Holztisch.
Ihnen gegenüber saß der Mann, der sich zuvor als Randar vorgestellt hatte. Seine Frau Lira, die bis auf die Augenfarbe und ihrer Größe ihrem Mann sehr ähnlich sah, hörte man in der Küche herumwerkeln. Ihre Tochter, die Reba hieß, war daran den Tisch zu decken. Ihre Bewegungen waren graziös und elegant, als ob das Tisch decken ein Tanz wäre.
"Also, ihr macht auf mich nicht den Eindruck, als wären die Räuber euer größtes Problem. Ich würde gern erfahren, was drei Kinder so weit weg von jeglicher Zivilisation machen", forderte Randar sie auf und seine Augen stachen unter den Augenbrauen hervor. Galdior, der seine Augen, die wie Leim an Reba klebten, auf Randar richten musste, überhörte das sarkastische „Kinder“, fing an zu reden und erzählte was ihnen passiert war. Ihm war es egal, ob es gescheiter gewesen wäre nichts zu sagen. Dieser Mann, der ihm gegenüber saß, konnte nicht böse sein. Immer wieder fügten Bolmar und Tinira Bemerkungen hinzu. Bei der Passage in der Höhle, schien Randar ganz genau zuzuhören. Als Galdior geendet hatte, stand Randar auf und lief zum Feuer hinüber. Eine Weile stocherte er in die Glut.
Er sagte kein Wort und eine bedrückende Stille legte sich über den Raum. Die drei Freunde schauten sich an. Schließlich sprach Randar doch noch und sagte: "Nun, die Hirschkuh ist gut, lasst uns essen."
Ihnen wurde ein schon fast fürstliches Mal aufgetragen. Zuerst bekamen sie eine Pilzsuppe aufgetischt, danach ging es zur Hirschkuh über, und als sie eigentlich schon längst satt waren, brachte Lira kleine Erdbeertörtchen herein. Schließlich saßen sie alle da mit vollen Magen und tranken heißen Kräutertee. Der Tisch war übersät mit allem möglichen Geschirr.
Ein paar schweigende Augenblicke vergingen, wo man nur das Schlürfen des Tees hörte, da sagte Randar zu seiner Tochter, dass sie doch schnell die Waffen der Freunde holen solle.
"Was ist denn mit unseren Waffen?", fragte Tinira, der es gar nicht gefiel, dass jemand Fremdes ihre Waffen in die Hand nahm.
"Das wirst du gleich selber sehen", antwortete Randar.
Reba lief ins Nebenzimmer und holte die Waffen. Sie hielt nicht nur die Waffen der anderen, nein, sie hatte sich auch zwei kleine Schwerter umgelegt, eines auf jeder Seite. Auf dem Rückweg strauchelte sie, als sich die Lanze zwischen ihre Beine hackte. Sie flog direkt auf die Schneide von Bolmars Schwert zu, doch während sie fiel, passierte etwas höchst Ungewöhnliches.
Ihre Hände verschwammen, schienen auf einmal weg. Dann kam ein Sturm auf... im Esszimmer. Der Wind war so stark, dass der Tisch fast umkippte, mehrere Töpfe auf den Boden fielen und zu Bruch gingen. Doch das war bei weitem noch nicht alles; der kleine Orkan schien sich genau auf Reba zu konzentrieren und er sammelte sich unter ihr. Sie fiel nicht mehr, sie schwebte auf dem Wind und langsam richtete dieser sie wieder auf.
Sobald sie wieder stand verschwand der Wind so schnell wie er gekommen war. Langsam senkten die anderen ihre Arme wieder, die sie erhoben hatten, um sich von den umher wirbelnden Porzellanstückchen der Töpfe zu schützen.
Die drei Freunde starrten Reba mit offenen Mündern an. Sie war rot geworden und in ihren Händen hielt sie die kleinen Schwerter, die bevor sie gestürzt war, noch in ihren Scheiden gelegen hatten. Bolmar hatte eine klaffende Schnittwunde über die ganze Wange, er hatte seine Arme zu wenig schnell nach oben gezogen. Doch er schien es nicht einmal zu bemerken. Er versuchte, wie die beiden anderen zu begreifen, was eben geschehen war.
"Ich habe dir schon tausendmal gesagt, du sollst es nicht im Haus benutzen!", schimpfte Randar, was die drei Münder noch ein bisschen weiter öffnete.
"Aber Paps, ich wäre fast auf die Klinge gefallen! Die hätte mich halbiert!", verteidigte sich Reba.
Randar raunte irgend etwas Unverständliches und sprach darauf lauter: "Nun gut ... aber du räumst die Schweinerei auf!"
Reba nahm die Waffen wieder auf und brachte sie mit einem missmutigem Gesicht ihrem Vater. Sie lief in die Küche, holte einen Besen und machte sich daran die Scherben zu beseitigen. Ihre Mutter half ihr. Der Vater sah die drei Freunde an, die immer noch fassungslos und völlig verwirrt da saßen.
"Was habt ihr denn für ein Problem?", fragte Randar und machte dabei ein ziemlich genervtes Gesicht. Galdior schluckte schwer: "Was wir für ein Problem haben? Was hat sie für ein Problem?"
Der Geschichtsausdruck Randars änderte sich von genervt zu zornig: "Bursche, sie hat kein Problem, sie hat eine Fähigkeit, kapiert?"
Er ließ sie erst gar nicht antworten, sondern sprach gleich weiter:
"Gut, dass ihr nicht in die Hände der Räuber gefallen seid."
Galdior fragte nach dem Grund.
"Weil sie dann nie mehr zu Räubern brauchen. So ist das."
Galdior setzte ein fragende Miene auf.
„Die Waffen sind wahrscheinlich mehr wert, als die ganze Stadt, aus der ihr kommt. Ich kannte sogar die Leute, die diese Waffen geschmiedet hatten."
"Sie kannten unsere Vorfahren?", fragte Tinira.
Randar machte ein abschätziges Gesicht und sagte: "Mein Ururgroßvater und sein Bruder eure Vorfahren?, dass ich nicht lache!"


Kapitel 9

"Ihr... Ihr Ururgroßvater und sein Bruder?", stammelte Galdior, der immer mehr glaubte, dass er in einem Traum festsitzt
"Ihr habt wirklich keine Ahnung, was? Haben euch, denn eure Eltern nichts erzählt?" Die Gesichter der Freunde verfinsterten sich beim Gedanken an ihre Eltern.
"Oh, tut mir Leid, das war keine Absicht. Nun, ich werde euch eine kleine Lektion in Geschichte geben", entschuldigte sich Randar und sprach weiter: "Vor etwa 170 Jahren kamen meine Vorfahren über die Berge, um sich in diesem Land anzusiedeln.
Eure Vorfahren nahmen uns sehr freundlich auf und als Geschenk gaben meine Vorfahren ihnen diese Waffen. Sie waren sehr dankbar dafür, dass sie hier bleiben konnten, denn östlich der Berge gab es damals viele üble Kreaturen und das Land war brach.
Meine Vorfahren waren ausgezeichnete Schmiede, die es verstanden aus verschiedenen Metallen, Rüstungen, Waffen und Haushaltsgeräte herzustellen.
Mein Ururgroßvater und sein Bruder waren die Ältesten unseres Volkes. Einige Jahre lang lebten sie in Frieden hier, westlich der Berge, stellten viele unglaubliche Rüstungen und Waffen her. Jede war besser als die vorherige. Und dieses Land wurde ein Land des Friedens, da keine Macht stark genug war, um es mit unseren Waffen und Rüstungen aufzunehmen und da unser Volk sehr gerecht war. Doch dann geschah etwas, was nicht hätte geschehen dürfen." Sein Gesicht verfinsterte sich. "Mein Ururgroßvater schuf mit Hilfe eines Zaubers eine mächtige Waffe, Trabuk, die alles vorhergegangene übertraf. Sein Gemüt verfinsterte sich, denn der Zauber beherrschte nicht nur die Waffe, sondern auch deren Träger. Er wollte die Alleinherrschaft über unser Volk. Natürlich ist klar, was nun kommt. Es bildeten sich zwei Parteien. Die meines Ururgroßvaters und die seines Bruders.
Mein Ururgroßvater wurde völlig wahnsinnig und zettelte einen Bürgerkrieg an. Immer wieder gab es Auseinandersetzungen. Bald wurde daraus ein richtiger Krieg. Fünfzig Jahre nachdem mein Volk hierher kam, gab es eine Schlacht. Die Schriften von damals erzählen, dass die Erde zitterte unter den Schritten von tausenden Soldaten. Die Luft war schwer vom Staub der aufgewirbelt wurde. Der Klang der Schwerter, die aufeinander trafen, soll so Laut gewesen sein, dass sich ganze Felsbrocken von den Bergen lösten und hinunterdonnerten. Schließlich vernichteten die Soldaten meines Ururgroßvaters die seines Bruders.
Tausende waren gefallen. Auch auf der Seite meines Ururgroßvaters war der grösste Teil der Soldaten gefallen. Als sich die Soldaten meines Ururgroßvater an der Beute ihrer gefallen Brüder machen wollten, kriegten sie sich selbst in die Haare und reduzierten sich nochmals um ein Drittel.
Doch das genügte meinem Ururgroßvater immer noch nicht. Er lies jedes Kind, jede Frau und jeder Greis hinrichten, der sich zu seinem Bruder bekannte hatte. Mit dem Rest, der übrig blieb, wanderte er, soviel ich weiß, zurück über die Berge und ward nie mehr gesehen." Randar hatte wässrige Augen bekommen.
"Ich und meine Frau sind von den wenigen, die das ganze überlebt haben. Wir waren damals beide noch Kinder. Ihr fragt euch vielleicht, wie das ganze zeitlich aufgeht, aber zur Zeit dieses Krieges war mein Ururgroßvater 150 Jahre alt. Ich stamme aus einem langlebigen Volk, müsst ihr wissen."
Sie saßen eine Weile alle schweigend da. Auch Reba hatte sich unterdessen gesetzt und mit ihren zerzausten Haaren und dem leicht schmutzigen Gesicht sah sich noch viel besser aus, fand Galdior.
"Hmm... Also theoretisch müssten doch dort, wo die Schlacht statt gefunden hat, tausende Waffen und Rüstungen herumliegen? Oder täusche ich mich?", fragte Tinira.
"Nun, nicht ganz. Jede Rüstung und jede Waffe war, mit einem Zauber belegt, der sie zu Asche werden lässt, sobald sein Träger starb. Das sollte verhindern, dass jemand mehr als nötig Waffen besaß. Darum nennt man diesen Ort auch, Aschental", antwortete Randar.
"Nun, aber in dem Fall müssten doch unsere Waffen auch längst zu Staub verfallen sein", meinte Bolmar.
"Wieder muss ich widersprechen. Eure Waffen sind etwas Besonderes. Nicht nur von der Machart her, sondern auch von ihrem Zauber. Von der Machart sind sie ähnlich wie Trabuk, jedoch schwächer. Ihr Zauber jedoch ist unvergleichlich. Die Waffen können nur von bestimmten Personen gebraucht werden, und zwar von denen, die dafür bestimmt sind. Es gibt nur noch eine Waffe, die von solcher Machart ist und die befindet sich an der Hüfte meiner Tochter." Die drei Freunde schauten zuerst sie sich an und dann auf Rebas Hüfte.
Sie hingegen starrte aus dem Fenster in die Nacht hinaus.


Kapitel 10

"Die vierte Person...", flüsterte Bolmar.
"Ganz genau. Das erklärt dann wohl auch die Sache mit dem Wind. Ich hätte da aber noch eine Frage ... Was habt ihr nun vor?", fragte Randar.
Galdior antwortete für alle drei, als er sagte: "Nun, wir werden versuchen, die schwarzen Reiter zu finden und unser Familien und unser Volk zu retten."
Randar lachte auf diese Worte hin so laut, dass alle anderen heftig erschraken.
Er lachte sie eine ganze Weile aus. Die drei Freunde sahen ihn beleidigt an. Er hörte so abrupt auf wie er angefangen hatte.
"Das ist doch hoffentlich ein Witz, oder? Ihr wisst nicht einmal, wie mächtig eure Waffen sind und ihr wollt sie bereits benutzen? Ihr wollt allen Ernstes in ein Lager voller dunkler, schwarzer Reiter, von denen jeder Anfänger euch töten könnte, hinein und so ganz ohne Probleme euer Volk und eure Familien retten?", sagte er schmunzelnd. Die drei Freunde sahen sich beschämt an.
"Was sollen wir denn sonst machen? Wir haben kein Zuhause und nichts ... nur noch diese ... Zauberwaffen", murmelte Bolmar und schaute mit einem fast angewiderten Blick auf ihre Waffen.
"Nun ihr könntet euch im Umgang mit euren Waffen üben, dann könnte euer ursprünglicher Plan vielleicht sogar Realität werden", antwortete Randar. "Und ich hätte auch eine Lösung für das Problem mit eurem Zuhause. Dieses Haus ist größer als ihr denkt. Ihr könntet hier bleiben, lernen zu kämpfen und die Macht eurer Waffen kennenlernen; lernen zu jagen und notdürftige Reparaturen an euren Waffen vorzunehmen. Wie fändet ihr das?"
Galdior schüttelte abweisend den Kopf. "Ich will meiner Familie nicht die Treue brechen, hier bleiben, essen, schlafen währenddessen sie womöglich schuftet und gefoltert und gequält wird. Das würde mir das Herz brechen", entgegnete Galdior.
"Soll ich dir einmal sagen, was sie dir alles brechen werden, wenn du einfach so ihr Lager stürmst und sie dich erwischen?", meinte Randar. "Und was fände deine Familie wohl besser, zusehen wie du gefoltert wirst, oder wissen, dass du in Sicherheit bist?"
Galdior schwieg. Seine Augen wurden feucht und er schluckte schwer: "Ich will .. ich ...- " Er stütze die Ellbogen auf dem Tisch ab, legte das Gesicht in die Hände und fing hemmungslos an zu schluchzen.
Dies konnte doch nur ein Traum sein? Oft hatte er Geschichten gelesen, die genau von solchen Dingen handelten: Zauberwaffen, böse schwarze Reiter, Familien,die verschleppt werden. Aber er hätte sich nie träumen lassen, dass er selbst einmal Teil einer solchen Geschichte werden würde.
Sein Körper bebte. Auch Tinira liefen die Tränen das Gesicht hinab. Bolmar blickte mit einem höchst seltsamen Gesichtsausdruck ein Loch in die Wand.
Reba und Lira hatten das Zimmer während des Gespräches bereits verlassen. Randar schaute sie nach einander an und sagte: "Es ist spät, lasst uns zu Bett gehen. Wir können morgen weiter reden. Lira hat euch ein Zimmer eingerichtet. Doch bevor ihr euch Schlafen legt, solltet ihr euch noch waschen. Es stehen Badewannen im Zimmer nebenan bereit." Mit diesen Worten stand er auf, warf sich seine Jacke um und verließ das Haus.
Die drei Freunde taten wie ihnen geheißen wurde. Zuerst badete Tinira, dann die beiden Jungen. Nach gut einer Stunde lagen sie in ihren Betten. Schon nach ein paar Minuten hörte man Bolmar schnarchen und auch Tinira's regelmäßiger Atem war zu hören. Galdior lag auf dem Rücken und fixierte einen Punkt an der Decke. Ein Gedanken jagte den anderen. Er lag da und dachte nach bis spät in die Nacht, erst spät fand er endlich Schlaf, dieser jedoch war nicht sonderlich erholsam.
Am Morgen erwachte er vor allen anderen. Er fühlte sich wie gerädert. Rasch zog er sich an und lief die Treppe hinunter. Bei jedem Schritt knarrte die alte Holztreppe gefährlich laut und Galdior hatte Mühe damit keinen all zu großen Lärm zu machen.
Es war noch dunkel im Esszimmer und auch in den anliegenden Zimmern war niemand zu sehen. Möglichst ohne ein Geräusch zu machen, öffnete er die Haustüre und trat in die Dunkelheit. Ein frischer Wind schlug ihm entgegen. Ein Moment lang orientierte er sich in seiner Umgebung, dann lief er zu einem hohen Felsen, der sich an der höchsten Stelle des Hügels befand und kletterte hinauf. Er saß da, dachte nach und sah in Richtung der aufgehenden Sonne.
Seine Gedanken wanderten zurück in seine Kindheit, als er mit seiner Mutter fangen gespielt hatte und wanderten seine ganze Reise, von seinem Dorf zu ihrer Ankunft bei Randar, und zum Gespräch vom gestrigen Abend. Was sollte er nur tun?
Langsam wurde es heller. Von seiner erhöhten Position hatte er einen hervorragenden Blick über das ganze Land bis zu den Bergen im Osten. Die Sonne ging weit südöstlich auf und die wenigen Wolken, die wie Fetzen den Himmel bedeckten, färbten sich blutrot. Um ihn fingen Vögel an ihre Lieder zu pfeifen; das ganze Land erwachte. Der Anblick versetzte ihn in eine Art Trance. Auch die Natur schien den wundervollen Anblick zu genießen.
Er dachte an seine Familie und an seine Freunde. Die Sonne war bereits zur Hälfte aufgegangen. Die Luft roch angenehm nach Tau. Ein Adler flog weit über ihm durch sein Blickfeld. Er beachtete weiterhin nur die Sonne und fällte seinen Entscheid.


Kapitel 11

Bolmar roch frisches Brot und Orangensaft. Er rieb sich seine Augen, stand auf, ging ein paar wacklige Schritte und knallte geradewegs in einen Türpfosten. Er grunzte, öffnete seine Augen zur Gänze und lief die Treppe hinab. Eigentlich würde er lieber schlafen, doch dieser himmlische Geruch, der ihm in die Nase stieg, zwang ihn förmlich dazu ins Esszimmer zu gehen.
Unten traf er Galdior und Randar an, die in einem Gespräch vertieft waren. Lira stand in der Küche. Als Galdior ihn bemerkte, hob er den Kopf und sagte: "Na, guten Morgen. Gut geschlafen?"
"Wie ein Stein", antwortete Bolmar und sah Galdior genauer an. "So wie's aussieht, du dafür nicht, hm?"
Galdior schnaubte: "Bei deinem Geschnarche war das auch nicht möglich."
Bolmar nickte, er war zu müde, um etwas Fieses zu erwidern. Er setzte sich auf einen Stuhl und legte den Kopf auf die Tischplatte.
Gleich darauf hörte man ihn wieder regelmäßig atmen.
"Das glaubt man erst, wenn man es sieht. Der Junge schläft auf einer Tischplatte. Lira, bringst du mir doch, bitte, schnell mein Pulver", sprach Randar. Gleich darauf kam Lira in das Esszimmer und schüttelte den Kopf, als sie Bolmar sah. Sie reichte Randar ein Rundes Schächtelchen. Dieser öffnete es und nahm sich eine Brise auf den Zeigefinger. Das Pulver war rötlich und roch erbärmlich. Galdior musste sich die Nase zu halten, um nicht erbrechen zu müssen. Randar hielt dem schlafenden Bolmar den Zeigefinger unter die Nase. Dieser atmete einen großen Teil ein.
Draußen am Waldrand rannte ein Fuchs vorbei und schaute exakt in diesem Moment zum Haus hinauf, als Bolmar wie ein Wildgewordener aus der Tür gerannt kam. Er schrie wie am Spieß, rannte blindlings in den Wald hinein und tauchte seinen Kopf in den nächsten Bach. Hinter ihm kam Randar gemächlichen Schrittes zur Tür hinaus, während man Galdior im Haus schallend lachen hörte.
Bolmar hob prustend den Kopf aus dem Wasser, setzte sich auf seinen Hosenboden und verschnaufte. Sein Kopf war hochrot, einer Tomate nicht unähnlich.
Randar lief zu ihm hin und sagte: "Na, bist du jetzt wach? Das ist mein Mittel, um aufzuwachen. Toll nicht?" Bolmar schaute ihn mit einem missbilligenden Blick an.
Nachdem er seinen Kopf noch ein weiteres Mal in den kalten Bach gehalten hatte, stand er auf und lief zurück ins Haus. Innen lag Galdior auf der Bank und kugelte sich immer noch vor lachen.
Bolmar setzte sich auf den Hocker und Lira brachte ihm ein Glas Wasser. Er trank es in einem Zug runter. Galdior setzte sich wieder hin. "Ha ha, Junge, Junge, du hättest dein Gesicht sehen sollen!", sagte er immer noch lachend.
Tinira kam die Treppe hinunter gerannt: "Was ist los? Ist etwas passiert?" Galdior schüttelte es vor lachen und auch Bolmar stimmte mit ein. Tinira sah an sich herunter. Die Hose war falsch herum angezogen und die Bluse falsch zugeknöpft. Sie wurde rot und rannte die Treppe wieder hinauf.
Nun kam auch Reba aus dem Nebenzimmer. Ihr Anblick entlockte den Jungs mehr erstaunen als lachen. Sie war eine wirkliche Spassbremse, jedoch nicht im negativen Sinne. Man sah ihr an nichts an, dass sie eben gerade eine Nacht geschlafen hatte. Sie war noch genau so bezaubernd wie am Abend zuvor.
"Hast du wieder jemanden von deinem Pulver probieren lassen?", lächelte sie ihren Vater an. "Wer war denn diesmal das Opfer?"
Bolmar hob die Hand. Reba lachte: "Mach dir nichts daraus, das musste kommen."
Unterdessen kam auch Tinira wieder die Treppe hinunter. Sie setzten sich alle an den Tisch. Randar ergriff das Wort: "Nun, ich hab mit Galdior heute Morgen noch einmal das Thema von gestern Abend aufgegriffen und er wäre jetzt auch dafür, dass ihr hier bleibt und übt. Was meint ihr dazu?"
Er sah Tinira und Bolmar an. Sie stimmten beide zu. Randar machte ein erfreutes Gesicht, als er weiter fuhr: "Sehr schön, dann fangen wir gleich heute an. Doch zuerst nehmen wir das Frühstück zu uns."
Nachdem sie gefrühstückt hatten, führte Randar sie hinaus. Die Sonne stand unterdessen ganz am Himmel und erwärmte die Luft um sie. Es war ein herrlicher Morgen.
Nach dem Stand der Sonne musste es bestimmt schon etwa zehn Uhr sein. Randar ging zum Anbau hinüber. Die anderen folgten ihm. Der größte Teil des Anbaus nahm eine Art großer Offen ein. Daneben stand ein Amboss und eine Zange. In der Ecke lehnte ein großer Vorschlaghammer. "Das ist meine Schmiede, hier geh ich dem Erben meiner Ahnen nach", sagte Randar.
"Woher nimmst du das Metall?", fragte Galdior.
"Auf der Westseite dieses Hügels, hat es einen zweiten Weg in den Wald, der direkt zu ein paar Stollen führt, wo ich der größte Teil meines Metalls hernehme. Manchmal kaufe ich aber auch Metall von umherziehenden Händlern", antwortete Randar.
Sie gingen wieder nach draußen.
"Wartet hier, ich hole eure Waffen", sprach Randar. Ein paar Minuten kam er wieder hinaus mit ihren Waffen.
"Tinira, hinter der Schmiede hat es eine Zielscheibe, die du gebrauchen kannst", wies Randar sie an. Sie holte die Zielscheibe und stellte sie auf. Gleich darauf fingen sie an. Randar brachte ihnen alles bei was er wusste und es war gleich klar, dass Reba bereits geübt war im Umgang mit Waffen, ganz im Gegensatz zu den anderen.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 30.03.2010

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