Cover

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Epilog

Über die Autorin

Leseprobe

Veronika

Aaron

Vorwort

Liebe Leserin, lieber Leser,

 

vielen Dank, für die Geduld und dass ihr mich über die Jahre begleitet. Bittere Rache ist der 5. und vorletzte Band der Reihe.

 

Ich freue mich natürlich über Feedback jeglicher Art, sei es als Rezension in einem der Shops, auf einem Buchblog, als E-Mail direkt an mich oder auf Facebook.

Nun viel Spaß.

 

Alles Liebe

H. J. White

 

 

Alle Rechte vorbehalten, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form.

 

Dies ist eine fiktive Geschichte, alle Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

 

Bücher der Reihe:

 

Band 1 - Die Kanzlei Geheime Macht

Band 2 - Die Kanzlei BlutErbe

Band 3 - Die Kanzlei Gefährliches Vertrauen

Band 4 - Die Kanzlei HerzensAsche

Band 5 - Die Kanzlei Bittere Rache

Band 6 - LiebesBlut (wird im Herbst 2021 erscheinen!)

 

Prolog

600 Jahre früher

 

Der Morgen war bereits weit fortgeschritten. In der Nacht hatte es geschneit und die Welt lag unter einer dicken, weißen Decke begraben. Der zehnjährige Andrew liebte den Winter, die frostige Kälte draußen, die einem gnadenlos in die Kochen zog. Aber dennoch wusste er die wohlige Wärme des Kaminfeuers im Inneren des Hauses zu schätzen. Er verbrachte Stunden damit, die zischend züngelnden Flammen, die sich langsam durch das Holz fraßen, zu beobachten, mit einer Faszination, wie sie nur den Kindern gegeben ist.

An diesem Morgen jedoch herrschte selbst im Wohnzimmer vor dem Feuer eine eisige Kälte. Sein Vater, ein großer und stattlich gebauter Vampir, dessen Präsenz wie ein Magnet auf die Umwelt wirkte und alles und jeden anzog und verschlang, stand am Fenster und stierte nach Mord lüsternd in den grauen Tag hinaus. Die Hände zu Fäusten geballt.

Unwillkürlich bekam er ein schlechtes Gewissen, überlegte fieberhaft, was er angestellt haben könnte, dass den Zorn seines Vaters erweckte. Jedoch fiel ihm nichts ein. Ruhe bewahren, ermahnte er sich still und versuchte so unauffällig wie möglich vor dem Feuer zu sitzen.

Sein Herz überschlug sich, als abrupt die Tür aufgerissen wurde und sein Onkel, Nathan Sage, das Oberhaupt ihres Clans, mit schwer stampfenden Schritten ins Zimmer polterte. „Damian, wie kannst du die Frechheit besitzen und mich zu dir bestellen. Ich bin dir keine Rechenschaft schuldig. Immerhin bin ich der Führer unseres Clans“, keifte der schwer übergewichtige und untersetzte Mann los.

Andrew sah mit geweiteten Augen zwischen den Vampiren hin und her. Er schauderte, als sein Vater hörbar mit seinen Zähnen knirschte.

„Ja, das bist du.“ In Zeitlupe drehte Damian sich um. „Doch du vergisst, geliebter Bruder, dass nach deinem Tod ich oder mein Sohn, die Führerschaft des Clans übernehmen werden, nachdem du nur eine Tochter gezeugt hast. Und das bedeutet, dass du nicht so mächtig bist, wie du denkst.“

Nathan schluckte hart und im Schein des Kaminfeuers glänzten einige Schweißperlen auf seiner Stirn. Sein Bruder fixierte ihn mit vernichtendem Blick und trat einen Schritt nach vorne. „Wie kannst du dich nur im Spiegel betrachten?“, brüllte er voller Zorn los.

Automatisch zuckte Andrew zusammen. Er wusste, dass es für die eigene Sicherheit besser war, seinem erbosten Vater aus dem Weg zugehen. Hektisch flog sein Blick zu Nathan. Das Oberhaupt ihres Clans schien im Angesicht der vor Wut rasenden Gestalt des jüngeren Bruders regelrecht zu schrumpfen und sich wie ein Nebel allmählich zu verflüchtigen. Der Junge hielt den Atem an und in seinen Eingeweiden breitete sich eine tiefe Abscheu gegenüber seinem Onkel aus.

Es war eine Schande.

Dieser ganze Vampir war eine Schande für den Clan.

„Glaubst du nicht, dass Julitta etwas Besseres verdient hätte? Bruder, wie konntest du dein eigen Fleisch und Blut, an die verfluchten Monrachs verkaufen, als wäre sie ein Stück Vieh?“

„Ich wiederhole“, Nathan kämpfte sichtlich darum seine Stimme fest klingen zu lassen, „noch führe ich den Clan an. Und die Vermählung zwischen Julitta und Oskar Monrach wird die Zukunft des Sage Clans sichern, unsere Macht und die Stellung gegenüber den anderen Clans stärken. Außerdem konnten wir so beweisen, dass unsere Loyalität dem Vampikönig gehört.“

Andrew’s Magen verkrampfte sich.

Die Monrachs waren der Feind.

Ein Feind, der vernichtet werden musste.

Sein Vater begann lauthals zu lachen. Ein düsteres und tiefes Lachen, welches den Boden unter Andrew’s Füßen erbeben ließ. „Wenn du daran wirklich glaubst, Bruder, dann bist du ein größerer Idiot als ich dachte. Oskar hat bereits begonnen unsere Armee zu übernehmen.“ Angewidert spuckte er vor dem Familienoberhaupt aus. „Ich hatte bereits alles arrangiert. Der Hopeton Clan hätte unsere Sache unterstützt und wir hätten weitere zehntausend Soldaten für unsere Armee bekommen. Es hätte nur noch wenige Monate gedauert, bis… “

„Bis was, Damian?“ Der fettleibige Körper begann zu zittern. Tief atmete Nathan durch, um Beherrschung ringend. „Die Hopetons versuchen seit Jahrhunderten uns zu stürzen. Du kannst diesen hinterhältigen Kanaillen nicht trauen. Abgesehen davon hätte deine Sache nur zu einem Krieg geführt. Einen Krieg, den wir niemals gewonnen hätten. Zigtausende Unschuldige wären gestorben, ohne daß sich etwas geändert hätte.“

„Du sprichst wie ein wahrer Feigling.“

„Es reicht“, brüllte sein Onkel und schlug sich im nächsten Moment die Hand vor den Mund. Er war kaum noch Herr der Lage. Tief atmete er durch. „Die Würfel sind gefallen. Julitta ist nun eine Monrach, mit einer echten Chance einmal die Königin der Vampire zu werden. Und damit gehört nun auch der Sage Clan zur königlichen Familie.“

„Königlich? Das ich nicht lache. Erebos hat die königliche Blutlinie vernichtet und sich den Thron wider dem Willen der Götter und gegen jedes geltende Recht unter den Nagel gerissen. Die Monrachs sind nichts weiter als Verbrecher und eines Tages werden sie mit ihrem Blut für all ihre Sünden büßen.“ Die Stimme seines Vaters, jedes einzelne Wort, hallte in den Ohren des Jungen nach.

Jede Silbe brannte sich in Andrew`s Verstand ein und er spürte in seinem Herzen, dass sein Vater die Wahrheit sprach.

„Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Tatsache ist jedoch, dass wir Sage zukünftig loyal an der Seite der Monrachs stehen werden. Und das ist mein letztes Wort.“ Entschlossen wandte sich sein Onkel von seinem Vater ab.

Wie konnte er es wagen?

Wut schoss durch Andrew’s Adern, er ballte seine Hände zu Fäusten, sprang auf die Beine und überwand die wenigen Meter zu seinem Vater.

„Du wirst mit den Tyrannen untergehen. Doch ich werde nicht zulassen, dass unser Clan dein Schicksal und das deiner Brut teilt.“

Kalt lächelte Nathan, bevor er wortlos den Raum verließ. Gemeinsam starrten Vater und Sohn, Seite an Seite, seinem Onkel hinterher. Erst als die Haustür krachend ins Schloss fiel, atmete sein Vater aus. Andrew fühlte sich, als würde er jeden Moment explodieren. Seine Gedanken rasten durch seinen Kopf, dass ihm schwindlig wurde.

Plötzlich spürte er die schwere Hand von Damian auf seiner rechten Schulter. Er sah zu ihm auf. In den Augen loderte unversöhnlicher Zorn, das kantige Gesicht seines Vaters war zu einer Teufelsmaske verzerrt. „Vergesse diesen Abend nie, mein Sohn. Hörst du, niemals! Denn heute hat dein Onkel unseren Clan verraten und sich auf die Seite der Verbrecher gestellt. Jedoch werden wir ihn damit nicht davonkommen lassen.“ Er drückte dem Jungen einen schmerzhaften Kuss auf die Stirn.

Andrew glaubte, dass die Lippen seines Vaters ihm die Haut mitten auf der Stirn wegätzen würde. Jedoch wagte er es nicht, sich zu bewegen.

Knurrend ließ Damian von ihm ab. „Er und seine verlogene Tochter, werden teuer für diesen Verrat bezahlen. Glaube fest an dich, mein Sohn. Die Götter lieben dich. Du bist der Auserwählte. Der Erbe. Die Sage werden die Monrachs stürzen. Hörst du? Du bist Andrew Martin Sage und die Zeit ist auf deiner Seite. Am Ende wird die Welt vor dir und unserem Clan niederknien.“

 

Der Nachthimmel wurde grell erleuchtet, ohrenbetäubender Krach ließ die Erde erbeben. Jäh wurde Andrew aus seinem Schlaf gerissen. Verwirrt sah er sich in seinem im dunklen liegenden Zimmer um. Er hörte angsterfülltes Geschrei, wimmerndes Schluchzen. Aus dem Gewirr der Stimmen brachen deutlich die seiner Schwestern hervor, um nur wenige Sekunden später vom tosenden Gebrüll verschluckt zu werden.

Die Tür des angrenzenden Badezimmers glitt leise auf. Ein Schatten bewegte sich auf ihn zu. „Andrew, komm schnell“, forderte seine Mutter ihn zittrig auf und sie umfasste sein Handgelenk. Geschockt starrte er sie an. „Du musst dich verstecken, schnell“, flehte sie ihn mit Tränen in den Augen an.

„Warum? Was ist los, Mama?“, stammelte er und seine Stimme klang blechern und schwach. Er erkannte sich selbst kaum darin wieder.

Ohne zu Antworten zerrte seine Mutter ihn aus dem Bett, am Fenster vorbei. Sein Blick glitt hinaus und er sah eine große Gruppe von Männern in Rüstungen, die sich vor dem Haus aufreihten.

Soldaten.

In der nächsten Sekunde stürmten sie auf ihr Haus zu. Der Anblick raubte ihm die Luft und eine eisige Hand legte sich um sein Herz, während seine Augen zu brennen begannen. Schnell blinzelte er die Tränen weg, die seine Sicht trübten. Da sah er das Wappen auf ihren Brustharnischen.

Monrachs Soldaten.

„Schnell Schatz“, drängte ihn seine Mutter flüsternd zur Eile. Überdeutlich spürte er, dass sie zitterte vor Angst.

Sie hetzten durch das Obergeschoss die Treppe nach unten, gefolgt von qualerfüllten Schreien. Atemlos durchquerten Mutter und Sohn das Foyer in Richtung Küche und stoppten erst, als sie die Holztür zum Keller erreichten. Eilig stieß die Vampirin die Tür auf und schubste ihn auf den Absatz der Kellertreppe, hinein in die Dunkelheit. „Verliere keine Zeit. Lauf und versteck dich. Gib keinen Laut von dir.“

Bevor er irgendetwas antworten konnte, hatte sie die Tür verschlossen. Es sollte für immer sein.

Atemlos stand er da und sein Körper schlotterte vor Angst. Der Krach stieg an, immer lauter, immer bedrohlicher, und näherte sich ihm gnadenlos. Erneut hallte ein kehliger Schrei durch das Haus und diesmal gehörte dieser seiner Mutter. Einige Zeit verging, dann wurde es still. Weinend sackte Andrew zu Boden, begleitet von einem dumpfen Schlag auf der anderen Seite die Tür.

Die Schreie verstummten. Flüssigkeit sickerte durch das Holz und ein deutlich metallischer Geruch, der augenblicklich seine Kehle lichterloh in Flammen stehen ließ, hing plötzlich in der Luft.

Blut.

Mama.

Nach dem Krach, dem Geschrei, dem Weinen, folgte Stille. Minutenlang herrschte Totenstille. Danach kamen dicke Rauchwolken, die ihn nicht mehr atmen ließen und unerträgliche Hitze, die seine Haut versengte.

Er schloss die Augen und dachte an seine Familie.

Vater.

Mutter.

Seine Schwestern.

Andrew wusste, dass sie alle tot waren und wollte ebenfalls sterben. Er wollte mit ihnen zusammen vor die Götter treten und nicht allein in dieser Welt zurückbleiben.

Du bist der Auserwählte.

Die Götter lieben dich.

Gebannt starrte er die Wand aus Rauch und Hitze an, die gnadenlos auf ihn zu rollte. Seine Lungen brannten, seine Haut schmerzte.

Überleben.

Todesangst ergriff ihn. Mechanisch begann er sich rückwärts zu bewegen, robbte die Treppe hinab. Erst vorsichtig, dann immer schneller, immer panischer. Die verbliebene Kühle im Keller linderte seinen Schmerz, doch er wusste, dass das nicht mehr lange so bleiben würde. Er würde sterben heute Nacht. Allein in diesem dunklen, kaltfeuchten Raum unterhalb des Hauses.

Getrieben von Angst kroch er weiter den Boden entlang. Sein Blick sah durch das einzige Fenster, die Nacht war unnatürlich hell und der Lichtschein tanzte am Himmel und fraß sich erbarmungslos durch die Dunkelheit. Der Geruch von verbranntem Fleisch und Tod schwängerte die Luft. Hilflos verkroch er sich in die hinterste Ecke, unter mehreren übereinandergelegten, alten Decken, die über irgendetwas geworfen worden waren.

Andrew stieß mit Beinen und Schultern gegen Schachteln. Viele unterschiedlich große Kartons, eingewickelt in bunten Stoff. Er entdeckte ein Geschenk auf dem sein Name stand und erkannte die Handschrift seines Vaters.

Seine Kehle schnürte sich zu und eine Träne stahl sich aus seinem Auge. Lange starrte er das Geschenk an. Doch anstatt morgen zusammen mit seiner Familie Weihnachten zu feiern, fanden sie alle den Tod.

Kapitel 1

 

- Dan Franko -

 

22. Mai

 

Nachdem Monrach ihn einige Straßen vor der Kanzlei abgesetzt hatte, beschleunigte sich sein Herzschlag und pumpte das Adrenalin durch seinen Körper. Die Anweisungen waren klar: Fanny finden und sie aus dem Gebäude schaffen, währenddessen der Herr sich persönlich um seinen Vater kümmert.

Die Gedanken fuhren in Dans Kopf Achterbahn. Monrach war mittlerweile so paranoid, dass er keinem in der Armee mehr vertraute außer ihm. Daher waren sie auf dieser Mission nur zu zweit.

Verbissen fokussierte sich Dan auf seine Aufgabe, ging sämtliche Möglichkeiten durch, welchen Verlauf der Einsatz nehmen könnte. Mehr als deutlich war ihm bewusst, dass zwei Männer einer Hundertschaft von Erebos Soldaten gegenüberstanden. Dan war ein außerordentlich guter Kämpfer, nicht ohne Grund hatte Oskar Monrach ihn zum Kommandanten seiner Armee ernannt. Dieser selbst war ein Berserker in der Schlacht und das Blut von Fanny machte ihn noch mächtiger, schier unbesiegbar. Und dennoch hegte Dan nun Zweifel am erfolgreichen Ausgang ihrer Mission.

Sie waren nur zu zweit, verdammt.

Fest presste er seine Kiefer zusammen. Er war sicher, dass sich Erebos Männer auf Monrach konzentrieren würden, denn der Tyrann setzte alles daran seinen Sohn im Heilsanatorium unterzubringen, damit die Ärzte was auch immer Taten, um ihn wieder zu einer Marionette und Erebos Waffe zu machen. Nicht auszudenken wenn dem selbsternannten König von Amerika und Europa dies gelingen würde.

Schnell schob er den Gedanken beiseite und konzentrierte sich auf seine Aufgabe: Fanny sicher aus dem Gebäude eskortieren.

„Ich befehle Ihnen Fanny aus dem Gebäude von Monrach Inc. zu bringen. Egal was passiert“, dröhnten Monrachs Worte durch seinen Kopf und die Zweifel hindurch.

Es hörte sich leicht an, doch Dan besaß genug Kampferfahrung, um zu wissen, dass dies ein Kraftakt werden würde. Fannys Blut war kostbar, Erebos wusste dies mittlerweile und mit Sicherheit ließ er sie wie einen Schatz bewachen.

Seine nächsten Gedanken drifteten zu den Anhängern der Sage Familie, die die Truppen der Monrachs unterwandert hatten. Alles was er darüber sicher wusste war, dass diese Bastarde den Streit zwischen Vater und Sohn für sich nutzten.

Doch wer führte sie an? Welches Ziel verfolgten sie, außer die Monrachs zu stürzen? Wäre es nicht besser für sein Volk, für die gesamte Welt, wenn Erebos Tyrannei ein Ende gesetzt werden würde? Würde dann kein Blut mehr sinnlos vergossen werden? Wären sie alle endlich frei?

Zu vieles lag im Dunkeln.

Verbissen schüttelte Dan den Kopf und in seiner Brust stieg ein ungutes Gefühl auf. Ein Gefühl, dass ihm sagte, dass es besser gewesen wäre, an der Seite seines Herrn zu bleiben.

 

Schnell hatte er den Weg zurückgelegt. Wachsam sah er sich über die Schulter und suchte die Umgebung ab. Alles ruhig. Die Passanten, die an ihm vorbeikamen, nahmen keine Notiz von ihm.

Statt den Haupteingang steuerte er den rückseitig gelegenen Notausgang an, welcher im Notfall aus der Tiefgarage herausführte. Dazu musste er das Gebäude von Monrach Inc. umrunden. Er achtete darauf seine Geschwindigkeit zeitlich an den Intervall der Bewegungen der Überwachungskameras anzupassen, um nicht auf den Videos aufzutauchen. Zielstrebig hielt er sich an die Mauer des riesigen Komplexes gedrückt. Fast hatte er den Ausgang erreicht, die Tür war durch ein Zahlenschloss gesichert. Stumm betete er zu den Göttern, dass niemand daran dachte, den Zahlencode zu ändern.

Der Wind frischte auf, ein beißender Geruch stieg ihm in die Nase und das ungute Gefühl, welches ihn den ganzen Weg quälte, verstärkte sich. Nur noch zehn Meter. Tief atmete er durch. In der nächsten Sekunde stockte ihm der Atem, als er sah, dass das Zahlenschloss gesprengt worden war und die Tür des Notausgangs weit offen stand.

Verdammt.

Er stoppte abrupt und erstarrte. Monrach und Dan waren nicht die Einzigen, die heute ungesehen in das Gebäude gelangen wollten.

Nicht gut, gar nicht gut.

Wie Donnerschläge ertönte hinter ihm das erderschütternde Stampfen schwerer Boots auf dem Asphalt. Schmerzhaft spannten sich seine Muskeln an. Alles schien sich von einer Sekunde auf die andere zu verlangsamen. Sein Herzschlag, die Umgebung, der Lärm des Verkehrs traten in weite Ferne. Leise stieß er einen Fluch aus und drehte sich um. Eine große dunkle Mauer hatte sich hinter ihm errichtet. Tiefschwarze Augen sprühten ihm puren Hass entgegen und das verzerrte Grinsen entblößte scharfe Zähne.

Dan blinzelte. Je länger er den Mann ihm gegenüber betrachtete, desto mehr glaubte er, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Das Gesicht mit der markanten Kieferpartie und der breiten Stirn, kannte er in- und auswendig. Auch wenn es nun durch eine tiefe Narbe in zwei Hälften geteilt wurde, es war dasselbe. „Jasper?“, stieß er entsetzt aus.

„Hallo Dan. Lange nicht gesehen“, knurrte die vertraute Stimme, die aus irgendwelchen Gründen einen kratzenden Unterton angenommen hatte.

Eisige Schauer jagten seinen Rücken hinab und in seinem Gedächtnis stiegen die Erinnerungen an die schlimmste Schlacht, die er erlebt hatte, auf. Die Bilder die ihn bis heute in seinen Albträumen verfolgen.

Seite an Seite hatten Jasper Moon und er für Oskar Monrach gekämpft. Sie schützten einander, trieben sich die Feinde zu und hinter ihnen säumten die Toten ihren Weg. Sie waren ein Team und mehr als das. In seinen Ohren hallte der Krach der Explosion nach, welche sie auseinandergerissen hatte. Die Wucht der Detonation schleuderte Jaspers Körper von ihm fort und dunkler Rauch legte sich über das Chaos. Als er ihn wieder fand, war es zu spät gewesen.

Oh ihr Götter.

Ihm schwindelte, das Herz in seiner Brust wurde tonnenschwer, fassungslos schüttelte Dan seinen Kopf. „Das ist unmöglich. Du bist tot. Ich habe dich sterben sehen.“

Jasper lachte, dunkel und kalt, ohne jegliches Gefühl. „Ich war fast tot. Du und Monrach habt mich und die anderen zum Sterben zurückgelassen, wie wertloses Vieh.“

Das entsprach nicht der Wahrheit.

Dan blinzelte und in der nächsten Sekunde stürzte Jasper sich auf ihn. Mit aller Kraft trat er ihm mit dem Fuß in den Bauch und schickte ihn zu Boden. Hart schlug Dan auf, rutschte durch die Heftigkeit des Stoßes auf dem Asphalt entlang und prallte gegen die Mauer. Seine Schulter durchzog ein stechender Schmerz. Doch sein totgeglaubter Freund ließ ihm keine Zeit sich zu erholen, aus den Augenwinkeln sah Dan eine geballte Faust auf sich niedersausen und sein Kinn wurde mit einer Kraft wie von einem Vorschlaghammer getroffen. Sterne tanzten vor seinen Augen und im nächsten Augenblick zog die Dunkelheit ihn fort.

 

 

- Hobbs -

 

Gnadenlos brannte die Sonne auf diesen Teil der Erde. Der Schweiß ließ das Hemd auf Hobbs’ Haut kleben. Es ist zu heiß, zu hell und die Umgebung scheint hier viel zu bunt. „Ich versteh nicht wie du es in den Favelas aushältst?“

Dominik lachte auf und zuckte mit den Achseln. „Man gewöhnt sich daran. Es ist als verschwinde man im Ozean sobald man das Gebiet betritt. Unauffindbar für Verfolger. Hier lebt man nach eigenen Regeln, jeder kümmert sich um seinen eigenen Kram. Es werden keine Fragen gestellt und niemand redet. Außerdem ist dieses Drecksloch besser, als jede Woche an einem anderen Ort aufzuwachen.“ Er lachte, doch ein bitterer Ausdruck huschte durch seine Augen. Sie saßen im Freien vor dem zu einem Haus umgebauten Container. Beherzt griff er nach seiner Bierflasche die vor ihm auf dem Tisch stand.

„Bereust du es?“

Dominik stockte, den Rand der Bierflasche an seinen Lippen. Kurz starrten sich die beiden in die Augen. Dann schüttelte Baylon entschieden den Kopf. „Nein. Merkwürdigerweise war ich noch nie so glücklich und mit mir im Reinen wie jetzt.“

Gut so mein Freund.

Hobbs nickte verstehend und wandte seinen Blick ab. Fest presste er seine Kiefer aufeinander und wünschte, er könnte dasselbe von sich behaupten.

„Du machst dir Sorgen um Fanny, hm?“, fragte Dominik in seine Gedanken hinein.

„Ist es so offensichtlich?“

Dominik begann zu lachen, blickte kurz über seine Schulter und betrachtete durchs Fenster die schlafende Manuela, die ihre Arme um ihren jüngsten Sohn geschlungen hatte. „Selbst ein Blinder kann das sehen, Hobbs.“

„Ich hab sie zurückgelassen in diesem Irrsinn - allein und schutzlos.“ Hart schluckte er gegen den bitteren Geschmack an, der seine Kehle hochgekrochen kam.

Stille legte sich über die Männer und beide hingen ihren Gedanken nach, während sie dem Zirpen der Grillen und dem Brummen der Mücken und Fliegen lauschten.

 

Kurze Zeit später durchbrach das penetrante Surren von Hobbs Handy die nächtliche Ruhe. Nach einem kurzen Blick auf das kleine Display warf er seinem Freund einen warnenden Blick zu und legte zur Verstärkung den Zeigefinger an die Lippen, damit er keinen Laut mehr von sich gab. Nachdem Dominik nickte, nahm er den Anruf an. „Erebos, was gibt’s?“, fragte er mit lässigem Ton.

„Hobbs schön, dass du dich noch ans Handy bequemt hast, ich hoffe ich störe nicht“, giftete der alte Tyrann.

„Natürlich nicht, Sir.“ Nur mit Mühe konnte Hobbs sich einen ironischen Unterton verkneifen.

Erebos knurrte am anderen Ende der Leitung. „Wie dem auch sei, ich wollte dich darüber in Kenntnis setzen, dass Oskar heute planmäßig festgesetzt wurde.“ Freude und Stolz schwang in den Worten mit.

Hobbs richtete sich auf.

Erebos hat Oskar.

Verdammte Scheiße.

Er glaubte, sein Herz setzte aus. Angestrengt stieß er seinen Atem aus. „Was ist mit Fanny, geht es ihr gut?“, fragte er schärfer als gewollt.

Was, wenn ihr etwas passiert war?

Erebos ließ einen verärgerten Laut vernehmen, bevor er antwortete. „Selbstverständlich. Sie ist unverletzt und erholt sich gerade. Wie weit bist du mit den Nachforschungen?“

Rumpelnd nahm sein Herz wieder die Arbeit auf und erleichtert atmet er aus. Schwer spürte er Dominiks Blick auf sich ruhen. „Ich brauche noch ein paar Tage, um einer neuen Spur nachzugehen.“

„Welcher?“

„Das sollten wir nicht am Telefon besprechen, Sir. Man weiß nie wer alles zuhört.“

Erebos lachte. „Da gebe ich dir recht, Söldner. Ich erwarte dich dann in ein paar Tagen.“ Kaum waren die letzten Silben verklungen, hatte Erebos die Verbindung unterbrochen.

Dominik starrte ihn lange schweigend an und sah zu, wie er das Handy in seinen Fingern drehte. „Was musst du für den Drecksack tun?“

Wie in Zeitlupe hob Hobbs seine Augenbrauen und sah seinen Freund wieder an. „Es hat sich neben Oskar eine weitere Macht gebildet, die es auf Erebos abgesehen hat.“

„Du sprichst von dem Attentäter, welcher Erebos und dich nach unserer Verhandlung angegriffen hat.“

Hobbs nickte. „Für die Freiheit. Für das Volk“, wiederholte er die Worte, die der Vampir vor seinem Angriff aussprach.

„Der Widerstand, eindeutig.“

Hobbs schüttelte den Kopf. „Dachte ich auch zuerst, doch so einfach ist es nicht.“

„Wie meinst du das?“

Gedankenverloren spielte Hobbs mit dem Handy. „Es hat sich etwas Neues formiert, das nichts mehr mit der Widerstandsgruppe der Königin zu tun hat.“

Dominik schüttelte noch immer verständnislos den Kopf. „Na und? Die Leute wehren sich endlich gegen die Tyrannei der Monrachs. Das ist doch das, was wir alle seit einer Ewigkeit wollen.“

Hobbs lachte bitter. „Wir wollten dem Volk endlich die Freiheit zurückgegeben. Stimmt, mein Freund, doch die Macht, die sich im Verborgenen gebildet hat, könnte sich am Ende als ein größeres Übel als die Monrachs herausstellen.“

Dominik erstarrte und schluckte schwer. „Kein Lebewesen kann schlimmer als die Monrachs sein“, antwortete er bitter.

Hobbs schwieg und hoffte, dass sein Freund recht behalten würde und er sich irrte. Doch er bezweifelte es.

 

 

- Erebos -

 

Die herablassende Respektlosigkeit gegenüber seines Königs, die dem Söldner grundsätzlich anhaftete, brachte Erebos bereits einige Male zur Weißglut. Daher knirschte er mit den Zähnen, als er das Telefonat unterbrach. Das Wissen, dass Hobbs an der Sache dran war, hatte jedoch eine beruhigende Wirkung auf ihn. Denn trotz allem wusste er, dass er sich auf den Vampir und auf dessen Loyalität verlassen konnte - denn er hatte Fanny und Hobbs würde alles für die Prinzessin tun.

Tief atmete er durch und machte sich bewusst, dass er sein Ziel erreicht hatte. Oskar war wieder in seiner Hand und bald würde sein Sohn wieder vollständig ihm gehören. Er konnte mit sich und der Welt zufrieden sein. Langsam ließ er den Blick durch das dekadent eingerichtete Büro von Dr. James schweifen. Der Arzt hatte es ihm mit unterwürfigem Gehabe für einige Minuten zur Verfügung gestellt. Schwerer Schreibtisch aus dunklem Holz, dahinter ein lederner Drehstuhl mit hoher Rückenlehne, der ihn an einen Thron erinnerte.

Der Anblick machte ihm wieder bewusst, dass der Arzt hochgesteckte Ambitionen auf dem Gebiet der medizinischen Wissenschaft hatte, auch wenn manche seiner Methoden fragwürdig erschienen. Mit seinem Wissen im Bereich der Genetik stellte er sogar Zacharias Baylon in den Schatten. Es war nicht zu leugnen, unter den Ärzten war Dr. James ein König und dieser hervorragende Mann stand unter seinem Befehl.

 

Zielstrebig ging er zurück in das Zimmer, dass in nächster Zeit Oskars Folterkammer sein würde. Sobald er einen Fuß über die Türschwelle gesetzt hatte, konnte er sich nicht gegen das Deja-vu Gefühl wehren.

An diesem Punkt waren wir schon einmal.

Dr. James stand neben seinem bewusstlosen Sohn, um dessen Hand- und Fußgelenke silbernglänzende Manschetten angelegt worden waren, welche ihm nicht viel Bewegungsfreiheit ließen.

Nur zur Sicherheit.

Der Mediziner untersuchte gerade Oskars Augen, während dessen Körperfunktionen, Herzschlag, Puls an mehreren Monitoren überwacht wurden. „Majestät, es sieht alles gut aus - sehr gut sogar. Oskar ist in körperlich guter, ich wage sogar zu behaupten, in der besten Verfassung seines Lebens. Es ist unglaublich und kein Vergleich zu damals.“

„Dann wird sofort mit der Therapie begonnen?“

„Aber selbstverständlich, ich bin schon dabei.“ Der Arzt wandte sich ab und deutete aufgeregt wie ein Kind auf die Anzeige eines kleinen rechteckigen Gerätes, mit dem – soweit Erebos wusste – die Gehirnströme aufgezeichnet werden konnten. „Hier, dieser Bereich seines Gehirns ist enorm aktiv. Aktiver, als er sein sollte. Ich gehe davon aus, dass hier die Verbindung zwischen ihm und dem Blutbastard besteht.“

Blutbastard.

Der respektlose Tonfall des Vampirs gefiel Erebos gar nicht. Sein Ärger lud sich in sekundenschnelle wieder auf. „Sprechen Sie nicht so abfällig von ihr“, platzte es herrisch und unkontrolliert aus ihm heraus. Er räusperte sich und Rang sich einen ruhigeren Ton ab. „Fanny ist zwar was sie ist, doch wir dürfen nicht vergessen, dass wir ohne sie, ohne diese Verbindung, Oskar niemals hätten aufhalten können. Sie verdient unseren Dank.“

Der Vampir ihm gegenüber stockte, seine Miene erstarrte und für einen Wimpernschlag musterte er ihn mit nicht zu deutendem Blick. „Bitte verzeih mir“, unterbrach er schließlich das Schweigen und neigte demütig den Kopf. „Ich habe nicht nachgedacht. Natürlich habt Ihr recht. Wenn es erlaubt ist, würde ich gerne ebenfalls bei ihr ein EEG machen. Vielleicht kann durch die beiden auch das Geheimnis der zwei Hälften einer Seele auf den Grund gegangen werden.“

Erebos sah ihn nachdenklich an. „Das Lüften des Geheimnisses um die zwei Seelen die zueinander gehören hat keine Priorität“, warf er scharf ein.

Dr. James schluckte und verbiss sich seine erste Antwort. Kurze Zeit später sagte er schließlich, „Gewiss, Majestät. Oskars Heilung steht im Vordergrund. Doch wenn ich die Verbindung zwischen der menschlichen Frau und ihm besser verstehen würde, könnte ich die Therapie dahingehend beeinflussen und vielleicht kämen wir schneller zu den ersten Erfolgen.“

Erebos ließ sich die Worte durch den Kopf gehen, seinen Blick nun unentwegt auf Oskar gerichtet. Er dachte an den Attentäter und an die Sache an der Hobbs dran war. Irgendetwas braute sich gegen ihn zusammen, er brauchte Oskar, als Waffe an seiner Seite. Daher begann er zu nicken. „Also gut. Aber ich warne Sie, James, Fanny darf nichts geschehen. Sie ist zu Wichtig - im Moment jedenfalls noch.“

Freudig verzerrten sich die Lippen des Arztes zu einem breiten Lächeln. „Habt keine Sorge. Für Fanny wird es absolut schmerzfrei sein.“

 

 

- Patrick Wolfram -

 

Die Abenddämmerung ließ dunkle Schatten über die Wälder aufziehen. Der große Vampirlykaner hatte sich tief ins Gebüsch gedrückt, damit er von den Abtrünnigen nicht entdeckt wurde, die vor der Holzhütte bei einstelligen Minustemperaturen mit nackten Oberkörpern ihr Kampftraining durchzogen. Mit stummer Faszination verfolgte er ihre exakten, kraftvollen und dennoch geschmeidigen Bewegungen. Er musste neidlos zugeben, dass sich die Männer im Verlauf ihrer Flucht körperlich verbessert hatten. Ihre Muskeln traten deutlich hervor. Jeder ausgeführte Fausthieb zeugte von enormer Kraft.

Kopfschüttelnd schloss er für eine Sekunde die Augen und erinnerte sich an den Tag, als sie spurlos verschwanden. Keiner in ihrer Gruppe war ein bedeutsamer Kämpfer. Die Männer hatten eine große Klappe, aber nicht den Mumm ihren Sprüchen Taten folgen zu lassen. Daher bedauerte er es im Grunde nicht wirklich, als die Idioten verschwunden waren.

Brakov hatte darauf bestanden, dass man sich auf die Suche nach ihnen machte. „Sie sind eine potentielle Gefahr, die wir nicht ignorieren dürfen.“ Und nun, nach monatelanger Suche, hatte er sie endlich gefunden. Hier am Ende der Welt, inmitten des Nirgendwo, am kältesten Ort der Erde.

Wut jagte durch ihn hindurch und leise knirschten seine Zähne, während er im Dickicht wartete, damit er sich der Hütte nähern und die Lage sondieren konnte. Schnee und Eis hatten sich in seinen Haaren gefangen. Die Kälte spürte er schon seit Stunden nicht mehr. Es schien, als wären seine Glieder bereits abgestorben.

 

23. Mai

 

Kurz nach Mitternacht tat sich etwas. Eine Gruppe näherte sich der Hütte. Patrick kniff seine Augen zusammen, in der Dunkelheit konnte er nur Schemen erkennen. Erst als sich die Tür zu der Holzbaracke öffnete konnte er im herausfallenden Lichtschein Sam Bray erkennen, seines Zeichens Anführer des amerikanischen Widerstandes.

Scharf sog er die Luft ein, viele Gerüchte über den Vampir kamen ihm bereits zu Ohren. Geschichten, die selbst ihn schaudern ließen. „Was machst du hier?“, murmelte er zu sich selbst.

Die Frage beantwortete sich kurze Zeit später, als Bray mit Nithard Monrach lachend aus der Hütte kam. Patrick erstarrte und blinzelte ungläubig.

Das kann nicht wahr sein!

Dieser Wichser hatte sich die ganze Zeit hier bei den Abtrünnigen versteckt.

Hass loderte in seinen Eingeweiden auf. Doch über seine Wut auf Monrach hinaus kam ihm ein anderer Gedanke. Einer, der ihn bis ins Mark erschütterte.

Seine Brüder, auch wenn sie Verräter waren, beschützten Monrach.

Nur weshalb?

Sein Blick blieb an Bray hängen, dem skrupellosen Geschäftsmann aus New York City.

Wegen ihm.

Dem Vampirlykaner drehte sich der Magen um.

Sollte an all den obskuren Gerüchten doch etwas Wahres dran sein?

Brakov hatte ihn ausgelacht, allzu deutlich hörte er das dröhnende Lachen des russischen Vampirkönigs in seinen Ohren. „Du siehst Gespenster.“

Falls sich jedoch die Gerüchte bestätigen sollten, würde seinem Freund bald das Lachen im Halse stecken bleiben. Denn dann würde der Welt etwas Schlimmeres bevorstehen, als die Tyrannei der Monrachs.

Sein Blick blieb auf den Vampiren haften, sie stiegen in eine nachtschwarze Limousine und so wie sich der Wagen in Bewegungen setzte, stand er steif auf, streckte die Glieder und nahm die Verfolgung auf.

Kapitel 2

 

- Oskar -

 

Jäh tauchte ich aus dem tosenden Schmerz wieder auf, der mich mit eisigen Krallen in der Dunkelheit gefangen hielt. Die allumfassende Stille wurde von einem stetigen Piepen direkt neben mir abgelöst. Der hohe Ton schrillte qualvoll in den Ohren und zerrte nach kurzer Zeit an meinen Nerven. Die Schwärze wich grellweißem Licht, welches mich gnadenlos von oben herab blendete, und ich hatte keine Möglichkeit zu entkommen.

Schließ doch einfach die Augen, Idiot.

Mach sie zu.

Warum kann ich meine Augenlider nicht schließen?

Die Stärke, die Fannys Blut mir verlieh, pulsierte nach wie vor durch meinen Leib, ich spürte die Energie in jeder einzelnen Zelle und dennoch war ich unfähig mich zu bewegen. Arme und Beine gehorchten mir nicht, egal wie sehr ich mich anstrengte. Ich konnte weder den Kopf zur Seite drehen noch die Augen steuern, geschweige denn sie schließen. Alles was ich sah, war ein greller Lichtschein, hinter dem sich weiteres Weiß verbarg.

Purer Irrsinn.

Zorn beschleunigte meinen Herzschlag und das nervige Piepen neben mir veränderte seinen Rhythmus in eine schnell wiederkehrende Abfolge kreischender Töne, die in meinem Schädel detonierten. Ein schwacher Luftzug streifte über meine Beine. So leicht, dass ich ihn eigentlich durch den Stoff der Hose nicht hätte spüren können.

Verdammt.

Erst jetzt registrierte ich das kalte Metall unter mir auf dem ich der Länge nach ausgestreckt lag.

Metall auf Haut.

Ich bin nackt.

Zwar konnte ich mich nicht davon überzeugen, doch ich wusste es instinktiv. Schaudernd nahm ich wahr, dass die Tür zu diesem Raum geöffnet wurde, da die Unterseite auf dem Boden entlang kratzte. Schritte folgten, dröhnten um mich herum, doch ich war nicht in der Lage zu sehen, wem sie gehörten. Hektisch sog ich die Luft in meine Lungen.

Wo verflucht nochmal bin ich?

Was war passiert?

In Wahrheit allerdings graute mir vor der Antwort, denn das Gefühl, dass mein Innerstes erfasste, verkündete Unheil. Meine Gedanken überschlugen sich. Erinnerungen stiegen auf.

Ich habe gekämpft und dabei viel Blut vergossen.

Plötzlich sah ich in meiner Erinnerung Fanny vor mir, wie sie mich entsetzt und voller Angst anstarrte, bevor ich den Richterrat vernichtete. Den Nachhall ihrer Panik spürte ich bis tief in meine Knochen.

Für sie bin ich ein Monster.

Angestrengt entließ ich die Luft aus den Lungen und konzentrierte mich auf sie. Dabei bildete ich mir ein, Fannys Blut noch auf meinen Lippen, der Zunge, in meiner Kehle schmecken zu können, obwohl bereits mehrere Stunden vergangen waren, seit ich von ihr getrunken hatte.

Wo ist sie?

Alles was ich von ihr als Echo auffing, war die Tatsache, dass sie lebte. Sonst nichts.

Verflucht, weshalb spüre ich ihre Emotionen nicht?

Sie lebt.

Ich versuchte mich auf diese Tatsache zu konzentrieren und mich damit zu beruhigen.

Fanny lebt, doch weshalb kann ich sie nicht orten?

Sie konnte überall auf diesem verschissenen Planeten sein.

Dan Franko.

Er hat seine Aufgabe erfüllt und sie außer Landes geschafft.

Das ist es.

Das muss es sein!

Fanny ist in Sicherheit.

Dieser Gedanke ließ mich leichter atmen, das Piepen wurde leiser, ein wenig langsamer und dennoch krallte sich das unheilvolle Gefühl in meinen Eingeweiden fest.

Weshalb hatte ich mein Eigentum gestern nicht einfach mitgenommen?

Es war ein Fehler!

Die Wahrheit war, wir könnten jetzt am anderen Ende der Welt sein, stattdessen war ich nun hier, bewegungsunfähig und ausgeliefert. Erneut zappten die Geschehnisse durch meine Erinnerung. Ich musste mir eingestehen, dass ich mich in Erebos Gewalt befand.

Er hat mich besiegt.

Heilsanatorium.

Das Wort schoss mir wie ein heißer Blitz durchs Gehirn und meine Kehle wurde eng. Schweißtropfen bildeten sich auf meiner Stirn. Das Piepen wurde wieder lauter und der Rhythmus beschleunigte sich erneut. Mein Puls raste, das Herz hämmerte schmerzhaft gegen meine Rippen. Das Atmen fiel mir zunehmend schwerer.

Ich bin ihm ausgeliefert.

Wie auf Kommando tauchte eine Gestalt über mir auf. Zunächst sah ich nur einen bedrohlichen schwarzen Schatten, doch schnell, viel zu schnell, schärfte sich meine Sicht und ich erkannte Dr. Cameron James, dessen Gesicht zu einer fies grinsenden Maske verzogen war. Panik und Zorn verschmolzen miteinander und brachen in einer riesigen Welle über mich zusammen. Ich wollte brüllen und brachte keinen Ton heraus. Ich wollte ihm mit bloßen Händen die Kehle aufreißen und konnte keinen Finger bewegen.

 

Leises Lachen drang an mein Ohr. „Hallo Oskar.“ James Stimme ging mir bis ins Mark und all die über Jahrhunderte verdrängten Ängste krochen aus der hintersten Ecke meines Seins hervor. Der Arzt wurde ernst, er machte eine unnötige und unerträgliche Pause, blieb in meinem Sichtfeld, während sein Blick über mein Gesicht, meinen Körper wanderte. Er begutachtete mich wie ein Stück Fleisch. Es schien, als scannte er jeden Zentimeter meiner Haut. In seine Augen trat ein höchst zufriedener Ausdruck.

Als er seine Musterung beendet hatte, legte er seine linke Hand auf meine Schulter und ein erneutes Grinsen zerrte seine Lippen auseinander, so dass ich die perlweißen Zähne betrachten konnte. „Du bist in außergewöhnlich guter Form, Oskar. Hast im Laufe des letzten Jahrhunderts viel trainiert, nehme ich an.“ Mit seiner Hand begann er ehrfürchtig über meinen Oberarmmuskel zu streichen. Die Berührung ließ mich schaudern.

„Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr ich mich auf unsere gemeinsame Zeit freue“, sinnierte er gedankenverloren. „Seit unserer letzten Zusammenarbeit habe ich einige sehr vielversprechende Therapiemethoden entwickelt und du kannst es sicher nachvollziehen, dass ich darauf brenne sie alle an dir auszuprobieren. Ich erinnere mich noch gut an unsere gemeinsame Zeit. Daher weiß ich, dass du ein stures, zähes Kerlchen bist und es einige Zeit dauern wird, bis wir die passende Therapie für dich gefunden haben.“ Seine Hand stoppte abrupt. „Allerdings bevor wir damit beginnen können, musst du mir helfen die Verbindung zwischen dir und dem Blutbastard zu verstehen.“ Fest packte er nun mit seiner rechten Hand meinen Penis, der allein durch die Erwähnung ihres Namens zu zucken begann.

Ich bin nackt.

Ich bin ihm ausgeliefert.

Heiß flutete Scham meine Venen.

„Sie ist schon ein unglaublich süßes Ding und deine Schwachstelle. Nur mit ihrer Hilfe konnten wir dich in letzter Minute ausschalten.“ Er verstärkte den Druck seiner Faust.

Wenn du ihr etwas antust, werde ich dich töten.

Seine Augen scannten erneut mein Gesicht. „Du trinkst ihr Blut, dass wusste ich. Und es ist erstaunlich wie nahrhaft ihr Lebenssaft ist, welche Kraft er dir verleiht. Ihr Blut macht dich zu einer fast unbesiegbaren Ein-Mann-Armee, wäre da nicht eure Verbindung. Ich habe mir erlaubt, ein paar Proben von ihr zu nehmen.“

Die letzten Worte stürzten mich in den Abgrund der Verzweiflung.

Er hat Fanny ebenfalls in seiner Gewalt.

Dan Franko hat versagt.

Oder mich verraten.

Ich kann sie nicht retten.

Hass ließ bittere Galle meine Kehle emporsteigen. Ich spürte, wie sich das Herz, welches mich am Leben hielt, sich in meiner Brust überschlug. In meinen Ohren begann es zu rauschen. Höllischer Schmerz feuerte durch die Muskeln meines Körpers.

„Ganz ruhig, Großer. Fanny geht es im Moment noch gut. Sie freut sich, dass sie eine Atempause von dir bekommt. Im Moment schläft sie. Ich bin ehrlich gesagt überrascht, dass dir so viel an ihr liegt. Sie ist nur ein Mensch - nur ein wertloser Blutbastard.“ Er legte eine weitere Pause ein und dachte nach, ohne mich aus seinem Blick zu entlassen. „Entschuldige, ich vergaß, sie ist nicht irgendeines dieser erbärmlichen Geschöpfe, sondern die Tochter von Gabriella Clarret.“ Nun driftete sein Blick in die Vergangenheit. „Es war beeindruckend, wie du dem störrischen Weib die Haut abgezogen hast. Live vor den Augen unser Welt.“ Er lachte abermals auf und ich schauderte.

Zu deutlich flackerten die Bilder an die Tat vor meinem inneren Auge auf.

Ja, ich hatte Fannys Mutter getötet.

Sie hat mich abgelehnt, weil sie mich verabscheute.

Die Schuld, die deshalb im Unterbewussten auf mir lastete, grub sich wie so vieles aus der Verdrängung empor und drückte im nächsten Augenblick schwer auf meine Brust.

„Es ist ein bitterer Zug des Schicksal, welches die Frucht ihres Verbrechens und dich auf diese tiefe emotionale Weise miteinander verbunden hat. Findest du nicht?“ Stille trat zwischen uns und er ließ von meinem Gemächt ab. Langsam richtete er sich auf, ohne mich aus den Augen zu lassen. „In deinen Augen tobt gerade unbändiger Zorn, wenn du könntest würdest du mich in der Luft zerreißen. Ich kann es sehen. Aber gleichzeitig plagt dich die Sorge um Fanny. Liebst du sie?“

Liebst du sie, hallte seine Frage durch meinen Verstand.

Fanny ist mein Eigentum.

Wir gehören zusammen.

Wir sind eins.

Ich hatte lange gebraucht, diese Tatsache zu verinnerlichen. Als ich sie in meiner Wut und Enttäuschung über ihren Verrat entsorgt und schließlich aufgegeben hatte, hat es mich um meinen Verstand gebracht. Ich wurde blind für die Vorgänge um mich herum.

„Das wäre mehr als pervers, selbst für dich, denkst du nicht? Jedoch befürchte ich, dass du selbst nicht genau weißt, was du von dieser Frau willst, außer ihrem Blut. Ich verspreche dir, daran werden wir unter anderem arbeiten. Doch dafür haben wir genug Zeit. Dein Vater hat mir freie Hand gegeben.“ Ein dämonischer Laut entkam seiner Kehle. „Erebos ist sehr vertrauenselig, das wird er noch bitter bereuen. Denn wir beide werden eine neue Zeitrechnung einleiten und die Evolution voranbringen. Die Zeit der Monrachs ist abgelaufen, doch dein Vater sieht es noch nicht. Er ist blind für die Zeichen. Es ist fast, als würde man einem Kind seinen Lutscher klauen.“

Er gehört zu den Verrätern, welche unsere Armeen unterwandert haben.

Der Mistkerl will uns vernichten und mein Vater hat keine Ahnung.

Der Arzt verschwand aus meinem Sichtfeld und in der nächsten Sekunde breitete sich eine brennende Kälte in meinem Körper aus, die bis in mein Gehirn drang. Einen Atemzug später konnte ich nicht mehr klar denken, vor meinen Augen waberte dichter Nebel, der sich in ein buntes Farbenspiel verwandelte.

„Entspanne dich fürs Erste“, echote die Stimme von Dr. James, durch jede meiner Zellen. „Genieße den ersten Trip. Ich garantiere dir, dass dieser der Angenehmste von allen weiteren sein wird. Oh, wir werden viel Spaß haben.“ Die Wörter verschmolzen zu einem boshaften Lachen, welches in meinem Kopf explodierte.

 

 

- Fanny -

 

… Blutüberströmt stand Monrach vor mir und starrte mich mit seinen dunklen Augen an, die sich in einen Abgrund der Hölle verwandelt hatten. Chaos und Tod herrschte um uns herum. Er tötete gnadenlos. In seinem Herzen loderte der Hass und dieser drohte mein Ich zu verschlingen. Er hatte längst die Kontrolle über sich selbst verloren.

Monrach ist der Tod.

Er wird alle töten und mich zu sich holen.

Sie haben recht, er hat den Verstand verloren.

Er ist ein unberechenbares, abscheuliches Monster, dem ich niemals entkommen werde.

Die Erkenntnis drehte mir den Magen von innen nach außen und in der nächsten Sekunde explodierte der Schmerz in jeder Faser meines Körpers und riss mich ins luftleere Nichts. …

 

Japsend schreckte ich aus dem Albtraum hoch, setzte mich ruckartig auf und sog gierig die Luft in meine Lungen. Schweiß durchtränkte meine Kleidung und mein Körper zitterte wie Espenlaub. Orientierungslos sah ich mich im Raum um. Die weißen Wände wurden durch anthrazitfarbene Flächen unterbrochen. Der Boden war mit einem hellen Parkett ausgelegt. Ich saß auf einem U-förmigen schwarzen Luxusledersofa. An der Wand gegenüber hing ein langer rechteckiger Spiegel, in dem mir mein aschfahles Gesicht mit grauenerfülltem Blick entgegensah. In der nächsten Sekunde stürzten die Erinnerungen auf mich ein.

Es ist nicht nur ein Albtraum, es ist tatsächlich passiert.

Im Steinsaal.

Der Richterrat.

Zehn Männer, die er brutal ermordet hat.

Und Lauren Crownblow.

Allerdings waren das nicht seine einzigen Opfer an diesem Tag. „Oh mein Gott“, schluchzte ich und vergrub das Gesicht in beiden Händen.

Ich hatte die Aussage verweigert.

Weshalb?

Er ist ein Mörder.

Ein Monster.

Er sollte für seine Taten bestraft werden.

Doch ich gehöre ihm.

Doch auch ohne mich hatte der Richterrat ihn für unzurechnungsfähig erklärt, damit konnte Erebos ihn nun gefangen nehmen lassen.

Heilsanatorium.

Was immer das für Monrach bedeutete, es machte ihm Angst und dieses Gefühl konnte er nicht vor mir verbergen. Hilflos schloss ich die Augen und erinnerte mich an seine Emotionen, als er mit den Richtern fertig war. Er wollte noch mehr Blut vergießen und Erebos töten.

Er wollte sich endgültig von seinem Vater befreien.

Er war seinem Ziel sehr nah. Im letzten Moment tauchte plötzlich dieser Arzt, Dr. James, hinter mir auf, mit seinen schmierigen Fingern hielt er mich fest und spritzte mir irgendetwas direkt in meinen Nacken. Der Schmerz lähmte mich, ich schrie und verlor das Bewusstsein. Monrachs Sorge flutete mich in diesem Moment, bevor ich ins Nichts weg driftete. Das Ziel des außer Kontrolle geratenen Mörders veränderte sich innerhalb eines flüchtigen Augenblicks.

Er wollte mich retten.

Hart riss ich die Lider wieder auf, es war vorbei.

 

Hinter mir öffnete sich eine Tür, doch ich drehte mich nicht um. Ein lautes Gewirr an Stimmen, Gelächter und Musik drang zu mir herein.

„Fanny, du bist wach. Endlich.“

Ich sah nicht auf, doch ich erkannte die Stimme von Katharina Baylon. Erleichtert stieß sie den Atem aus, schloss die Tür und bewegte sich beinah lautlos auf mich zu.

Sie trug einen schicken, grauen Rock kombiniert mit einer lachsfarbenen Seidenbluse. Elegant ließ sie sich neben mir nieder. „Erebos war schon in Sorge und hat mich gebeten nach dir zu sehen. Da draußen ist die Hölle los.“ Sie lächelte schmal. „Wie fühlst du dich?“

Verwirrt blinzelte ich und sah sie an. Die blonde Vampirin war Dominik Baylons ungeliebte Ehefrau. Erebos hatte ihn gezwungen zu ihr, in ihre Ehe zurückzukehren. Hätte Dominik sich geweigert, hätte Erebos ihn ins Gefängnis geworfen, weil er Hobbs geholfen hatte, mich von der Müllhalde zurückzuholen. Katharina war überglücklich.

Doch Dominik nicht, er liebte Katharina nicht.

Vor Jahren hatte er sich in Manuela verliebt und mit ihr zusammen eine Familie gegründet. Monrach hatte ihm in all den Jahren geholfen sein Geheimnis zu bewahren und seine geheime Familie beschützt. Bis Dominik sich wegen mir gegen ihn stellte. Monrach hatte Manuela und die Jungs entführt und beinahe wäre der älteste Sohn gestorben. Seine Verletzungen konnten mit meinem Blut geheilt werden. Daher hatte Dominik sich entschlossen sein gesichertes Leben bei Monrach Inc. und innerhalb der Vampirgesellschaft aufzugeben und ist vor sechs Tagen mit Manuela und den Kindern verschwunden.

Er hat sie verlassen.

Nun saß ich neben der blonden Frau, die immer freundlich und hilfsbereit zu mir war, und fühlte mich schlagartig mies, wie eine Verräterin.

Ob sie es schon weiß?

Ihr verständnisvoller Blick ruhte schwer auf mir und sie lächelte mich an. „Willst du lieber allein sein? Soll ich gehen?“

„Nein“, platzte es aus mir heraus. „Bitte bleib. Wo sind wir?“

„In der Monrach Residenz. Erebos hat der gesamten Gesellschaft befohlen, hier Schutz zu suchen, solange die Schlacht noch andauert.“

Eine Schlacht?

Heiß und kalt lief es meinen Rücken hinab und verzweifelt schloss ich die Augen. Automatisch konzentrierte ich mich auf Monrach.

Nichts.

Er ist weg.

Atemlos riss ich die Lider wieder auf und starrte entsetzt in das herzförmige Gesicht der blonden Vampirin. „Was hast du?“, fragte sie mich besorgt.

Doch bevor ich meine Gedanken in Worte fassen konnte, wurde erneut die Tür aufgerissen, der Lärm schwappte wie eine Welle über mir zusammen und ich ging darin unter. Julitta kam siegestrunken mit einem Champagnerglas in der Hand auf uns zu getorkelt. Sie grinste boshaft und taxierte mich mit giftigem Blick.

Es war das erste Mal, dass wir uns so nah und ohne Erebos begegneten, seit Nithard Monrach mich in der Toilette des Flughafens zurückgelassen hatte. Sie hatte ein Verhältnis mit Patrick Wolfram, dem Vampirlykaner, meinem Halbbruder. Zusammen waren sie mit Hilfe von Roman Brakov nach Russland geflohen und ich wusste nicht, weshalb die Vampirin überhaupt nach New York zurückgekehrt war.

„Es ist vorbei, Fanny“, säuselte sie und in ihren grauen Augen blitzte es auf. „Wir sind beide befreit von Oskar. Das Scheusal ist keine Gefahr mehr. Nun beginnt ein neues Leben, eine neue Zeitrechnung und der Arsch bekommt endlich was er verdient. Ich hoffe er wird leiden.“ Mit der letzten Silbe brach sie in ein hysterisches, gehässiges Gelächter aus.

Befreit.

Nur schwer konnte ich den Sinn in ihren Worten begreifen. Ich fühlte mich nicht im Mindesten befreit. Im Gegenteil.

„Julitta, meine Liebe, ich glaube du solltest zurück zur Gesellschaft gehen“, intervenierte Katharina und ich spürte ihren besorgen Blick brennend auf meiner Haut.

„Sag du mir nicht was ich tun soll, Katharina“, fauchte Julitta und warf ihre rote wellige Mähne zurück. Katharina zuckte zusammen, als hätte sie ihr einen Schlag verpasst. „Sie hat ihren Zweck erfüllt, Oskar ist nun endgültig besiegt und ich bezweifle, das Erebos noch weiter Verwendung für sie haben wird. Immerhin ist sie nur ein Mensch.“ Sie legte all ihre Verachtung, die sie für mich empfand, in ihre Worte.

Es stach unweigerlich in meiner Brust, denn umso deutlicher wurde mir bewusst, dass sie, Nithard, Patrick sowie der russische Vampirkönig mich damals eiskalt benutzt hatten.

Ich hatte ihnen vertraut und Patrick befreit.

Monrach hat mir diesen Verrat niemals verziehen und mich als Strafe entsorgt.

Er ist weg.

Mir wurde schwindlig. „Stimmt es?“, stammelte ich und der verzweifelte, dünne Klang meiner Stimme erschreckte mich selbst.

Katharina nickte. „Ja. Oskars Männer kämpfen noch, doch Erebos Soldaten werden am Ende die Schlacht gewinnen und so lange werden wir hier warten.“

Ich hörte ihr nur mit halbem Ohr zu.

Seine Männer?

Das ergab keinen Sinn. Heftig schüttelte ich meinen Kopf und suchte in meiner Erinnerung nach seinen Gefühlen als er das Gebäude betreten hatte.

Nein.

Falsch.

Er kam heute allein hierher.

Erneut stieg der Lärm an und riss meine Gedanken mit sich. Meine Hände begannen zu zittern.

„Es geht ihr nicht gut. Sie ist verwirrt, ich glaube sie steht unter Schock“, hörte ich Katharinas Stimme. Vorsichtig erhob sie sich und machte einem Mann platz.

Ich sah zwischen ihnen hin und her und erkannte Dr. James. Er stand direkt vor mir und bedachte mich mit einem undeutbaren Blick, während er etwas aus seiner Tasche zog. „Fanny, ich weiß das heute ist zuviel für dich gewesen. Du brauchst Ruhe. Ich gebe dir etwas zur Entspannung.“

Beherzt griff er nach meinem Oberarm und Sekunden später spürte ich einen Stich. Kurz darauf legte sich ein dumpfes Gefühl wie eine Decke über meinen Verstand und all meine Gedanken verschwammen ineinander.

 

Die Zeit schien still zu stehen. Irgendwann endeten die Kämpfe. Als Erstes erstarb der Lärm hinter der Tür. Die Vampire verließen die Sicherheit der Residenz und kehrten in ihr Zuhause zurück. Nur ich blieb an Ort und Stelle. Wie gebannt saß ich auf dem Ledersofa und starrte ins Leere. Eine Hand hatte ich auf meinen Hals gelegt, auf die Bisswunde, die Monrach mir gestern Abend zugefügt hatte.

Es fühlte sich richtig an, als er von mir getrunken hatte.

Und nun?

Ist er weg.

Aus den Augenwinkeln registrierte ich, dass Erebos sich neben mich setzte und seine ineinander verschlungenen Hände in seinen Schoß legte. „Fanny, geht es dir gut? Du bist so still.“

Mechanisch sah ich auf und in die eisig grauen Augen. „Was passiert nun?“

Zuerst sah er mich fragend an, zwischen seinen Augenbrauen bildete sich ein V, doch dann begann er väterlich zu lächeln. „Ich verstehe. Die ganze Situation ist neu für dich, für uns alle. Doch ich versichere dir, dass du dich ab jetzt nicht mehr zu sorgen braucht. Du bist sicher vor Oskar und kannst dein Leben ohne Angst weiterleben. So wie wir alle. Endlich.“

Hart schluckte ich und ließ seine Wörter in mein Bewusstsein sacken. „Ist er tot?“ Ich flüsterte und brachte die Frage dennoch kaum über die Lippen.

Was, wenn Monrach tatsächlich tot ist?

Mein Herz überschlug sich und allein der Gedanke schmerzte.

„Du machst dir wirklich Sorgen um Oskar, nach allem was er getan hat. Sehr erstaunlich.“ Nachdenklich schüttelte er den Kopf. „Zu deiner Beruhigung: Nein, er ist nicht tot. Er ist im Heilsanatorium, damit er wieder gesund werden kann.“ In seinen Augen funkelte es bedrohlich auf.

Damit er wieder unter deiner Kontrolle steht.

Der Gedanke schoss durch mein Innerstes und ließ mich schaudern. Ich wollte mir gar nicht vorstellen, wie Monrach sein würde, wenn er wieder die Befehle seines Vaters ausführt.

„Es besteht kein Anlass zur Sorge. Ich vermute, dass du ihn nie wieder sehen wirst. Letztes Mal hat es zweihundert Jahre gedauert, bis er geheilt war.“

Letztes Mal, wiederholte ich stumm.

Zweihundert Jahre.

Ja, ich wusste, dass ich mich freuen sollte. Monrach stellte nun keine Bedrohung mehr da und ich würde meine Ruhe vor ihm haben. Doch in Wirklichkeit verängstigte es mich. Das Monster war die perverse Konstante in meinem Leben hier in New York. Die Aussicht, dass ich den Rest davon ohne Kontakt zu ihm verbringen sollte, fühlte sich entsetzlich falsch an und schnürte mir die Kehle zu.

Heilsanatorium.

Ich habe die Aussage verweigert, um ihn davor zu bewahren.

Nickend unterbrach ich den Blickkontakt zu Erebos. Ich wollte vermeiden, dass er meinen inneren Aufruhr sah. Lange atmete ich aus und schloss kurz die Augen.

Wenn er lebt, weshalb fühle ich ihn nicht?

Mit welchen Maßnahmen werden sie ihn heilen?

Mit aller Kraft zwang ich mich zu einem Lächeln, obwohl sich ein ungutes Gefühl in meinem Herzen ausbreitete. Was immer Erebos mit ihm vorhatte, es war nichts Angenehmes.

Heilen.

Erebos Blick streifte mich und mir wurde bewusst, dass es dem Vampirkönig nicht darum ging, seinem Sohn zu helfen. Er wollte Monrach brechen und wieder gefügig machen. Mit allen Mitteln.

Ich werde ihn nie wieder sehen.

Kapitel 3

 

- Fanny -

 

27. Mai

 

Übelkeit hatte sich in meinem Magen festgekrallt. Der sterile, spartanisch eingerichtete, weiße Raum wirbelte um mich herum. Hilflos schloss ich die Augen, unterdrückte ein Würgen und presste mich auf die Behandlungsliege. Die Nadel, welche in meiner Vene der rechten Ellenbeuge steckte, schmerzte und der gesamte Arm fühlte sich taub an. In meinen Kopf surrte es. Angestrengt öffnete ich die Lider wieder, hob den Kopf an und lugte zu dem fast vollen Blutspendebeutel hinab.

Wie lange noch?

Verdammt.

Der Schwindel verstärkte sich, so dass ich nichts erkennen konnte.

Zischend atmete ich aus. Es hätte mich nicht überraschen dürfen, als Erebos gestern Abend beschlossen hatte, dass ich ab sofort regelmäßig bei Monrach Inc. zum Blutspenden erscheinen musste. Dr. Baylons Bedenken bezüglich der Tatsache, dass Monrach erst vor wenigen Tagen von mir getrunken hatte, schob der Vampirkönig mit einer abfälligen Geste beiseite.

Die Heilkraft ihres Blutes ist zu wichtig für die Gesellschaft und es wurde bereits genug davon verschwendet, hallte seine strenge Stimme durch meine Gedanken.

Mein Blut ist der Grund, weshalb ich noch lebe.

Der Grund, weshalb ich in diesem Albtraum für den Rest meines Lebens gefangen bin.

Ich fragte mich unwillkürlich, ob der Vampirkönig tatsächlich vorhatte, aus meinem Blut eine Art Medizin für alle herzustellen, oder er es allein für sich selbst beanspruchte.

Monrach wird durchdrehen.

Fast bildete ich mir ein, seinen unbändigen Zorn zu spüren. Was Unsinn war, denn seit sie ihn gefangen genommen hatten, spürte ich nichts mehr von ihm. „Hör auf an ihn zu denken. Du siehst ihn nie wieder“, schimpfte ich mich selbst, schluckte hart und zwang mich tief durchzuatmen.

 

Just in dem Moment kam Dr. Baylon zurück, die Tür ließ er offen stehen und eilte auf mich zu. Seine Kiefer hatte er fest zusammengepresst. In seinem Blick lag Verbitterung und Hoffnungslosigkeit. Flüchtig prüfte er den gefüllten Kunststoffbeutel und nickte zufrieden. „Sehr gut.“ Mit flinken Fingern befreite er mich von der qualvollen Nadel. Sofort begannen meine Nervenzellen zu kribbeln. „Du bist fertig für heute, Fanny. Vergiss nicht genügend zu trinken im Laufe des Tages, um den Flüssigkeitsmangel auszugleichen und schone dich die nächsten Tage. Dein Körper ist geschwächt.“ Sein durchdringender Blick fixierte mich. „Das meine ich ernst.“

Ich nickte müde. „Keine Sorge, ich habe nicht vor, für den nächsten Marathon zu trainieren.“

Meine Antwort entlockte ihm ein schmales Lächeln, während er erneut meinen Puls fühlte. Wachsam musterte er mich. Tiefe Falten hatten sich um die Augen des Vampirs gebildet.

Ob er trauert?

Als ich den privaten Bereich der Vampirgesellschaft betreten hatte, hörte ich zwei Vampirinnen miteinander tuscheln.

„Hast du gehört, Dominik Baylon ist verschwunden. Es wird gemunkelt, dass er von Oskar Monrach ermordet wurde.“

„Nein wirklich?“

„Ja.“

„Aber es gibt doch keine Leiche.“

„Na und? Ich hoffe, dieses Scheusal bekommt endlich was er verdient.“ Kaum hatte sie das letzte Wort ausgesprochen, bemerkte sie mich. Die beiden Frauen sahen mich an, als wenn ich eine Außerirdische mit grüner Haut und riesigen Augen wäre. Schnell wandten sie mir den Rücken zu. „Was tut die noch hier?“

Ja, was?

Blutspenden.

Dr. Baylon erhob sich langsam. „Ruh dich bitte noch ein Weilchen aus, bevor du aufstehst.“

Ehrlich gesagt, war sein Hinweis überflüssig, da ich daran zweifelte, dass meine Beine mich tragen würden. Nickend schloss ich die Augen und lehnte mich zurück, während ich mich auf seine Schritte konzentrierte die sich entfernten.

 

… Keuchend rang ich nach Luft, meine Lungen brannten. Das mich umgebende gleißend weiße Licht brannte sich durch meine Augen in meine Seele hinein und entfachte einen Schmerz, der alles auszulöschen begann. …

 

„Nein“, schrie ich und setzte mich zitternd mit einem Ruck auf. Unruhig flirrte mein Blick durch den Raum, der in graues Tageslicht getaucht war. Seit zwei Tagen hingen dunkle Wolken über der Stadt. Der Schmerz echote durch meinen Körper.

Ich bin eingedöst.

Nur ein Traum.

Wie oft hatte ich diesen Satz schon zu mir gesagt?

Gefühlt hunderttausend Mal.

Es ist nur ein Traum.

Langsam sollte ich es eigentlich besser wissen. Oder?

Monrach.

Ich hielt inne, doch nach wie vor konnte ich ihn nicht spüren. Den Gedanken an ihn ignorierend, stand ich wankend auf. Kalter Schweiß perlte über mein Gesicht.

Mist.

Mein Kreislauf rebellierte sofort. Tief atmete ich durch und rang um Selbstbeherrschung. Ich wusste, wenn ich jetzt zusammenbrach, würde Erebos mich nicht mehr zurück ins Loft lassen und unter keinen Umständen wollte ich länger als nötig in diesem Gebäude bleiben.

Reiß dich zusammen.

Mit zusammengekniffenen Augen hielt ich mich an der Behandlungsliege fest, konzentrierte mich auf eine gleichmäßige Atmung und versuchte mit aller Kraft die Übelkeit zu bezwingen. Nach einer gefühlten Ewigkeit wagte ich es, ließ das kühle Leder los und machte einen ersten Schritt. Dabei konzentrierte ich mich auf jede einzelne Bewegung. Der Schlag meines Herzens dröhnte in meinen Ohren, als ich unsicher in den Flur hinaus trat.

Zwei Soldaten betraten gerade die Krankenstation, zwischen ihren Körpern trugen sie die Kiste, die Monrach in seinem Büro auf dessen privaten Armeestützpunkt aufbewahrte. Ich erstarrte in der Bewegung und schauderte.

Die Knochen meiner leiblichen Mutter.

Ihnen folgte ein weiterer Mann der Monrachs Laptop in den Händen trug, als sei es ein heiliges Relikt. In meinem Kopf glaubte ich Monrachs zorniges Brüllen zu hören.

Sie vergreifen sich an seinen Sachen.

Ich muss raus hier.

Hektisch drehte ich mich in Richtung Ausgang, allerdings zu spät, denn Erebos kam freudig grinsend auf mich zu. „Ah Fanny, gut dass ich dich noch antreffe.“ Er deutete mir zu warten. „Bringt die Sachen gleich ins Labor“, befahl er gebieterisch den Soldaten und wandte sich Dr. Baylon zu, der aus dem Nichts aufgetaucht war. „Zacharias, wie lange denkst du werden die Analysen der Gebeine dauern.“

Sie haben die Kiste geöffnet.

„Wie ich bereits sagte, kommt das auf den Verwesungszustand der Knochen an und ob das Opfer in unserer Datenbank ist.“

„Ich will keine Ausreden hören, Zacharias. Ich will wissen, wer das

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: H. J. White
Bildmaterialien: Bildmaterialien: Adobestock.com © Zdenka Darula © dima_pics © vanderon
Cover: HerzschlagWerke
Lektorat: Aileana Blair
Tag der Veröffentlichung: 05.10.2020
ISBN: 978-3-7487-5970-6

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /