Cover

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Epilog

Über die Autorin

Weitere Werke der Autorin

Vorwort

Liebe Leserin, lieber Leser,

 

vielen Dank, dass Sie den vierten Band meiner Kanzleireihe gekauft haben und damit meine Tätigkeit als Autorin unterstützen.

 

An „HerzensAsche“ habe ich nun tatsächlich ein halbes Jahr gearbeitet. Ich ging dabei durch viele Höhen und Tiefen, habe mit Fanny gelitten, Oskar verflucht und mich in Hobbs neu verliebt. Ich wünsche Ihnen, dass Sie ebenfalls all diese Emotionen erleben und viel Spaß bei der Lektüre dieser Fortsetzung haben.

 

Kleine Warnung! Es geht natürlich so grausam weiter wie Band 3 geendet hat. Also hier haben Sie noch die Möglichkeit, sich ein anderes Buch zu suchen. Wenn nicht, lesen Sie das Buch auf eigene Gefahr.

 

An dieser Stelle möchte ich mich ganz herzlich bei Aileana Blair und Monika Schoppenhorst bedanken, die mich bei der Fertigstellung des Buches tatkräftig unterstützt haben. Außerdem bedanke ich mich bei Team der Snipsl App, die es uns Autoren ermöglicht, den Lesern Einblicke in das Buch zu gewähren, lange bevor es veröffentlicht wird. Und last but not least gilt mein Dank dem Team von BookRix, die mich seit Jahren unterstützen. <3

 

Ich freue mich natürlich über Feedback jeglicher Art, sei es als Rezension in einem der Shops, auf einem Buchblog, als E-Mail direkt an mich oder auf Facebook.

Und nun hab ich genug gelabbert. Viel Spaß mit Die Kanzlei HerzensAsche.

 

Alles Liebe

H. J. White

 

 

Alle Rechte vorbehalten, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form.

 

Dies ist eine fiktive Geschichte, alle Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

 

Bücher der Reihe:

 

Band 1 - Die Kanzlei Geheime Macht

Band 2 - Die Kanzlei BlutErbe

Band 3 - Die Kanzlei Gefährliches Vertrauen

Band 4 - Die Kanzlei HerzensAsche

Band 5 - Die Kanzlei Bittere Rache

Band 6 - Die Kanzlei LiebesBlut wird im Herbst 2021 erscheinen!

 

Prolog

Die Sonne zeigte endlich Gnade und war gerade dabei unterzugehen, damit sich die Erde von der Sommerhitze erholen konnte. In diesen viel zu heißen Junitagen begrüßte jeder Erdenbewohner die wohltuende Kühle der Nacht. Gleichzeitig bedeutete das Ende des Tages, dass Erebos Dienstschluss hatte – allerdings nicht heute. Stolz strich er sich über die schwarze Jacke seiner Galauniform und marschierte wie befohlen auf den Palast des Königs zu. Obwohl gerade frisch geduscht und rasiert, floss bereits nach wenigen Metern der Schweiß in Strömen über seinen Rücken hinab. Unangenehm sicherlich, doch Erebos war Soldat, ein Profi, der seine Befehle ausführte, egal unter welchen Umständen, bis zum bitteren Ende.

Nicht umsonst wurde ihm heute die Ehre zuteil, die Geburtstagsfeier der Kronprinzessin Oriana Rowan zu sichern. Der König befürchtete, seine Feinde könnten die Feierlichkeiten als Anreiz für einen neuen Angriff nehmen. Ein Gedanke, der für Erebos nicht ganz abwegig war. Denn wäre er der Befehlshaber der Gegenseite, würde er immer dann angreifen, wenn der König am verletzlichsten war – an einem Tag wie heute.

Da er noch nicht lange in der Armee des Königs diente, wusste er nicht, was auf ihn zu kam. Seine Kameraden rissen bereits den ganzen Tag schon Witze über die Hysterie des Königs und die getroffenen Sicherheitsvorkehrungen. „Völlig übertrieben.“ „Die Rowans leiden an extremer Paranoia.“ „Wir machen uns einen lässigen Abend.“ „Zeitverschwendung – wenigstens stimmt die Bezahlung und ich kann einen Blick auf die Kronprinzessin werfen, damit ich später eine Wichsvorlage habe.“ Die Männer waren allesamt in laut dröhnendes Gelächter ausgebrochen. Erebos hatte schweigend in einer Ecke gestanden und schweigend beobachtet. Natürlich hatte er schon einiges über die Schönheit von Oriana gehört, doch so wirklich hatte ihn dieses Gerede nie interessiert. Sie war die Kronprinzessin, die Tochter des Königs, des Oberbefehlshabers der Armee in der er diente – Punkt.

Knurrend schob er die Gedanken beiseite und konzentrierte sich auf seine Aufgabe. In Gedanken ging er sämtliche gelernten Kampftaktiken durch. Bereit sein war alles. Seine Schritte beschleunigten sich und innerhalb kürzester Zeit hatte er den Weg von der Kaserne zum Palast zurückgelegt. Sein Puls legte einen Gang zu, als er die lange Treppe zur Eingangshalle hochlief. Als er durch die gläsernen Flügeltüren in das helle Foyer trat, raubte ihm der Anblick von Gold, bunten Mosaikfenstern und weißem Marmor den Atem.

Langsam drehte er sich einmal um die eigene Achse, um die ganze Schönheit des Bauwerks in sich aufzunehmen. Tief saugte er den Geruch nach Reichtum und Macht ein. In diesem Moment entfachte sich in seiner Brust ein Feuer, eine Sehnsucht, eines Tages ein Herrscher zu sein. Erebos war klar, dass es ein absurder Gedanke war, da er nicht dem Adelsstand angehörte. Er war nur ein kleiner, junger Soldat, ohne Familie und dennoch sagte etwas in seinem Kopf, dass, wenn er nur hart genug arbeiten würde, er alles erreichen konnte. Leise über sich selbst lachend, versuchte er, den Gedanken zu verdrängen. „Wenn ich mich nicht beeile, werde ich nicht mal mehr eine Soldatenlaufbahn vor mir haben“, murmelte er zu sich selbst und setzte seinen Weg zum Ballsaal fort.

Er erreichte die Tür und hörte ein lautes Gewirr von Stimmen und dezente Musik im Hintergrund. Die ersten Gäste waren bereits da. Er zwang sich zur Ruhe, zu einem professionellen Auftreten und schritt zielstrebig auf die Tür zu. In diesem Moment öffnete sie sich unerwartet, wie durch Zauberhand. Völlig überrumpelt blieb Erebos stehen und starrte die Kronprinzessin an, die gerade auf ihn zuschwebte.

Ihr hüftlanges schwarzes, seidigglänzendes Haar und ihr Geruch erinnerten ihn an Zartbitterschokolade. Ihre grünen Augen waren von einem blauen Schimmer durchsetzt und ließen ihren Blick kühl und distanziert wirken. Orianas elegante, große Gestalt überragte ihn ein kleines Stück und ihre vollen Lippen glänzten wie ein roter Apfel. Sein Blick blieb an den hohen Wangenknochen hängen, die ihrem Gesicht eine graziöse Erhabenheit verliehen. Das goldene Seidenkleid flatterte bei jeder Bewegung und der Stoff umschmeichelte ihre Weiblichkeit. Oriana Rowan glich einer Göttin. Gefangen von ihrem Anblick wusste er, dass er diese Frau wollte. Er wollte ihren verschwitzten nackten Körper unter seinem spüren und sie in den Wahnsinn der Lust treiben. Er wollte sie lieben, sie besitzen. Er wollte zu ihrem Gott werden.

Sie glitt lautlos an ihm vorbei und für einen kurzen Augenblick sahen sie sich direkt an. Tief drang Oriana Rowans Blick unter Erebos harte Schale. Sein vor Jahren erkaltetes Herz schien plötzlich aus seiner Starre zu erwachen. Von einer Sekunde auf die andere spürte er, wie das Leben mit jedem Schlag durch seine Adern floss und dass er mit dieser Frau an seiner Seite alles erreichen konnte.

Kapitel 1

- Fanny -

 

Gefangen in einer Art Bergwerk, befand ich mich nun viele Kilometer unterhalb der Erdoberfläche. Dieses dunkle Grab diente den Monrachs als Müllhalde, so hatte es Roman Brakov, der russische Vampirkönig, bezeichnet. Es war ein Ort, an dem sie ihre Feinde lebendig entsorgten. Vampire, die sie als Verräter bezeichneten, und mich. Tief gruben sich meine Finger in die Wand aus Lehm und Stein. Ich versuchte, mich festzuhalten, stark zu sein.

Das kann nicht das Ende sein. Es muss einen Ausweg geben. „Er ist nicht so grausam“, flüsterte ich verzweifelt in die einsame Finsternis und durchbrach die Totenstille. Obwohl es unmöglich war, hoffte ich, dass sich die Tür wieder öffnete und Oskar Monrach mir eine weitere Chance gewährte. Eine Allerletzte. Nie wieder werde ich mich ihm widersetzen. Egal was er will, ich werde es tun. Verzweifelt schloss ich die Augen.

Ich konnte ihn, das Echo seiner Emotionen, wie immer tief in meiner Seele spüren, seine Wut auf mich, die ich mehr als verdient hatte. Erwarte keine Gnade von mir, hallte die Erinnerung an seine Stimme durch meine Ohren und gleichzeitig brach eine riesige Welle seines abgrundtiefen Hasses über mir zusammen. Es gibt keine weitere Chance für mich. Tränen bahnten sich ihren Weg über mein Gesicht, meine Seele brach. Ich rutschte an der Wand entlang zu Boden, auf dem ich mich zusammenrollte, hoffte, dass die Erde Mitleid mit mir hatte und mich verschlang, damit diese Hölle endete, bevor sie begann.

Steh auf, dröhnte es irgendwann durch meinen Verstand. Hier zu liegen hilft dir nicht. Wie auf Kommando knurrte mein Magen und meine Kehle brannte vor Durst. Der natürliche Überlebensinstinkt erwachte, mein Körper schrie nach der Befriedigung seiner Bedürfnisse. „Warum erst jetzt? Warum nicht schon, als ich mich dazu entschieden hatte, Patrick zu helfen?“, schrie ich los. „Warum hast du mich nicht gewarnt?“ Hilflos vor Verzweiflung schlug ich mit der Faust auf den Boden, bis mir die Kraft ausging. Anschließend rollte ich mich erschöpft auf den Rücken und starrte auf die Decke meiner Grabstätte. „Wozu noch weiterkämpfen?“, flüsterte ich. Damit du das hier überlebst. „Diese Hölle kann man nicht überleben! Es ist vorbei. Endstation.“ Steh auf! Steh auf! STEH AUF!

 

Die Stimme donnerte die Worte unablässig durch meine Gedanken bis ich gehorchte. Mit brennenden Augen und letzter Kraft rappelte ich mich hoch und setzte mich in Bewegung. Wankend stolperte ich wie blind mit nackten Füßen durch das dunkle, verwinkelte Labyrinth aus endlosen Gängen, mit großen und kleinen Höhlen. Dabei musste ich mich immer wieder an der rauen, erdigen Wand abstützen und entlangtasten, um nicht hinzufallen. Ein scheinbar endloser Gang führte in den nächsten, ohne das sich die Umgebung sichtlich änderte. War ich hier nicht schon? Auch nach einer gefühlten Ewigkeit gab es nichts außer weiteren Abzweigungen, die in weitere dunkle Gänge oder Höhlen führten. Es war ein Irrgarten aus Lehm und Stein, nichts zu essen, nichts zu trinken. Nichts. Die stickige Luft roch nach Moder und Tod, wodurch mir das Atmen zunehmend schwerer fiel.

Neben Hunger, Durst und Atemnot quälten mich bald meine Erinnerungen. Wie konnte ich nur so dumm sein? Ich schloss die Augen und spürte die Umarmung meines Bruders in dem Transporter auf dem Weg zum Flughafen, seine Wärme, seine Stärke, seine Zuneigung. Es hatte sich echt angefühlt. Je länger ich über Patrick nachdachte, desto stärker wurde das Gefühl zu ersticken. Daher musste ich stehen bleiben, um meine Atmung wieder in den Griff zu bekommen. Ein großer Druck lastete auf meiner Brust, als würde ein tonnenschwerer Stein auf mir liegen. Daher bückte ich mich und legte die Hände auf die Knie. Ihr habt genug Zeit euch kennenzulernen, hallte Brakovs Stimme höhnisch in meinen Gedanken wider. Er hatte mich freundlich angelächelt, als er das sagte. Alles Lüge. Es war alles nur eine Lüge, die mich letztendlich hierher gebracht hatte. Als wollte mein Verstand mir endgültig den Rest geben, zeigte er mir Nithard, seinen eiskalten, grausamen Blick als er mich einschloss und damit mein Schicksal besiegelte. Mein Herz schmerzte, als ob tausend Glassplitter es durchbohrten, während meinen Körper die Kräfte verließen und ich hilflos auf den Boden plumpste. Dabei bildete ich mir ein, die schweren Arme meines Bruders auf meinen Schultern zu spüren, die mich nun gnadenlos immer tiefer in den Dreck drückten. Erneut wurde ich von einem Weinkrampf durchgeschüttelt, bis ich das Bewusstsein verlor und in die finstere Leere glitt.

 

- Oskar -

 

22. August, später Nachmittag

 

Die letzten vierundzwanzig Stunden hatte ich damit zugebracht, teuren Bourbon zu trinken, und meine neue Assistentin, Lauren Crownblow, auf dem Schreibtisch in meinem offiziellen Büro in der Kanzlei zu vögeln. Gerade rekelte sich ihr nackter Körper unter meinem und ihre samtene Haut glänzte im Sonnenlicht. Winzige Schweißperlen kullerten über ihre Brüste und ich fing sie mit meiner Zunge an ihren spitzen Nippeln auf. Ich reizte sie gekonnt und brachte sie an den Rand des Orgasmus, nach dem sie sichtlich bettelte. Den Kopf in den Nacken gelegt, stöhnte sie vor Lust und der Laut ließ meinen Penis in heißer Erwartung pulsieren.

Doch egal wie erregend die Frau unter mir auch war. Egal, wie weit sie mich in die Ekstase trieb, sobald ich meine Augen schloss, sah ich Fanny vor mir. Ängstlich sah sie mich an. Ein vertrauter Blick aus den blaugrünen Tiefen ihrer Augen. Je länger ich an ihrem Bild in meinen Gedanken festhielt, desto deutlicher spürte ich das Echo ihrer Angst und ihrer Verzweiflung in mir. Es war nur ein schwacher Abklatsch von dem, was ich kennenlernen durfte, eine fast unwirklich scheinende Facette dessen, was wir zusammen sein konnten und waren. Sie ist die zweite Hälfte meiner Seele. Der Gedanke drückte schwer in meiner Brust und bevor ich mich vollkommen darin und in Fannys Emotionen verlor, riss ich die Augen auf.

Sie war weg – unwiderruflich. Ich bin hier und ficke gerade eine verdammt heiße Vampirin. Ich habe Fanny besiegt, bevor sie mich zu Fall bringen konnte. Ich habe gewonnen. Unbewusst wurden meine Bewegungen schneller und mein Puls beschleunigte sich. Nun war ich der, der um die Erlösung bettelte. Ich drehte Lauren abrupt auf den Bauch, weshalb diese leise ächzte. Doch das war mir egal, ich heftete meinen Blick auf ihren göttlichen Arsch. Hart und schnell drang ich mehrmals hintereinander in sie ein. Die befreiende Welle nahte heran.

Nur dumpf drang ein Pochen an meine Ohren, dessen Ursprung ich nicht ausmachen konnte. Daher ignorierte ich es und konzentrierte mich auf das, was ich jetzt am nötigsten brauchte. Doch im letzten Moment blieb mir die Erlösung verwehrt.

Die Tür zu meinem Büro wurde jäh aufgestoßen und plötzlich stand Dominik Baylon mitten im Raum. Lauren schrie entsetzt auf und zappelte wild auf dem Schreibtisch. In der gleichen Sekunde stieß ich mich von ihr ab, zog hastig meine Hose hoch und knöpfte sie zu. Ungalant kam Lauren neben mir auf die Beine und fingerte hektisch an ihrem grauen Kostüm herum.

Dominik stand fassungslos da und sein Blick schoss mir all die Vorwürfe entgegen, die er sich nicht traute auszusprechen. Seit er aus Wien zurück war, hatte er mich, soweit es ging, gemieden und auch unsere Unterhaltungen beschränkten sich lediglich auf das Tagesgeschäft. Er wirkte mehr als angepisst und es lag eine körperlich spürbare Anspannung zwischen uns. Das war nicht gut.

Mein Penis protestierte schmerzhaft gegen das abrupte Ende und ich sah Lauren dabei zu, wie sie peinlich berührt, mit hoch rotem Kopf aus dem Büro verschwand. Erneut begegnete ich Dominiks unerbittlichem Blick und tiefe Scham stieg in mir hoch. Dieses Gefühl musste ich schnellstens überspielen. „Fünf Minuten Verspätung und wir hätten uns die Peinlichkeit sparen können“, maulte ich ihn an, griff nach dem halb vollen Glas Bourbon, das erstaunlicherweise noch seitlich auf meinem Schreibtisch stand, und leerte es auf ex. „Wenn du mal Notstand hast, kann ich dir Miss Crownblow wärmstens empfehlen.“ Ich schickte ein kumpelhaftes Lachen hinterher, um die Stimmung aufzulockern – ohne Erfolg. Bedauerlicherweise setzte nun auch wieder der Schmerz in meinem Inneren ein, in einer Intensität, die es mir schwermachte, ihn zu ignorieren.

Der Vampir vor mir schnaubte leise und verächtlich. „Danke, aber kein Bedarf. Sie wollten mich sprechen, Herr“, lenkte er das Gespräch auf den Grund seiner Anwesenheit.

Der kühle Unterton in seiner Stimme sagte mir, dass die Zeit für Nettigkeiten vorbei war. Fest presste ich die Kiefer zusammen und bemühte mich, die aufsteigende Wut über seine Respektlosigkeit zu zügeln. „Ja. Dominik, ich denke wir sollten reden“, begann ich, um einen neutralen Ton bemüht.

„Herr?“, fragend und gleichzeitig überrascht hob er die Augenbrauen an, den Blick direkt auf mich gerichtet. „Worüber wollen Sie denn reden?“

„Über das, was dich beschäftigt“, begann ich und fühlte mich plötzlich hilflos wie ein Kind. „Es ist offensichtlich, dass du über irgendetwas verärgert bist seit deiner Rückkehr aus Wien.“

Völlig unpassend begann Dominik zu lachen. Ein hilfloses, schier verzweifeltes Lachen, das mir die Nackenhaare zu Berge stehen ließ. Ein dicker Kloß bildete sich schlagartig in meinem Hals. „Herr, ich bin nicht verärgert, sondern tief traurig, enttäuscht.“ Eine längere Pause entstand, in der er mit sich kämpfte. Doch schließlich fuhr er fort. „Was immer Fanny getan hat, dieses Ende hat sie nicht verdient. Und wenn ich sehe, wie sie nun diese Schlampe vögeln, möchte ich kotzen. Sie wissen, dass Lauren Crownblow für ihren Vater arbeitet, ihn über jeden Ihrer Schritte auf dem Laufenden hält?“

Es geht um Fanny – natürlich. Seine Offenheit verschlug mir die Sprache. Mehr noch, die Wahrheit war, dass mich seine direkten Worte trafen, wie ein Schlag mit der Faust mitten ins Gesicht. Von Anfang an hatte Dominik sie ins Herz geschlossen, daher schmerzte ihr Verlust ihn ebenfalls. Doch würde er die Wahrheit kennen, würde er meine Entscheidung verstehen. Sie hat mich betrogen und verraten. Sie hat diesen dreckigen Köter befreit. Doch es auszusprechen, es ihm zu erklären, würde meine Schande nur noch größer machen. Daher schwieg ich. Was Lauren anging, so ahnte ich, dass die Vampirin etwas verschwieg. Doch wenn ich ehrlich war, interessierte es mich auch nicht, da sie mir ihren Körper freiwillig anbot. Freiwillig, ohne Angst oder Geld von mir dafür zu verlangen. Noch nie hatte eine Frau das getan. Nun weiß ich warum: Sie steckt mit Vater unter einer Decke. Erebos bezahlt sie dafür. Nur mühsam konnte ich die Wut kontrollieren, die sich in einem Knurren melden wollte. „Ich bin kein Idiot, Dominik“, log ich schließlich heiser.

„Oh Herr, das bezweifle ich“, Dominiks Blick wurde tadelnd. „Das bezweifle ich sogar sehr. Sie haben die letzte Überlebende der königlichen Blutlinie auf der Müllhalde entsorgt. Die letzte Chance, das alte, gebrochene Versprechen einzulösen, die Geschlechter untereinander auszusöhnen, damit das Volk in eine bessere Zukunft geführt werden kann. Mit ihr hätten Sie den Widerstand auf Ihre Seite ziehen können. Sie haben die Frau, einen Menschen, lebendig begraben. Sie wissen genauso gut wie ich, dass Fanny Ihre Rettung gewesen wäre. Doch nun ist alles verloren.“

Er weiß es. Er kennt Fannys Wahrheit. Woher? Ohne es kontrollieren zu können, begannen meine Hände zu beben, die Wut gewann gegen meine Beherrschung und ließ meine Halsschlagader bedrohlich pochen. „Was redest du da für einen Blödsinn, Dominik“, herrschte ich ihn an.

„So, Blödsinn? Wenn ich mir Ihre Körpersprache ansehe, weiß ich, dass ich richtig liege, Sir.“

Das war´s, ich stürzte mich auf ihn. Dominik war völlig überrumpelt von meinem Angriff, sodass ich ihn ohne viel Kraftaufwand von den Beinen werfen konnte und er rücklings auf den Boden fiel. „An deiner Stelle würde ich mir nun gut überlegen, was ich sage.“, knurrte ich drohend über ihm.

Er starrte mich fassungslos an. „Sie drohen mir?“

Ich beugte mich über ihn und packte ihn am Kragen. „Wenn du es so nennen willst, ja. Ich habe alles getan, um die, die du liebst, vor deiner Familie zu schützen. Ich habe ihnen alle Annehmlichkeiten zukommen lassen. Doch wenn du denkst, du kannst respektlos werden, mich gar herausfordern, dann werde ich nicht zögern, dir alles zu nehmen, was dir wichtig ist, Dominik Baylon. Ich werde dich zerstören, also lege dich nicht mit mir an.“ Dominik schluckte hörbar und seine Augen spiegelten seine Urangst um seine geheime Familie wider. Angewidert stieß ich ihn nun von mir und ging zurück zu meinem Schreibtisch. Er sollte seine Lektion gelernt haben.

Zögernd kam er wieder auf die Beine und stand nun mit hängenden Schultern vor mir. „Das ist alles, was Sie können, nicht? Angst und Schrecken verbreiten, Loyalität mit Drohungen erpressen. Am Ende wird jedoch alles und jeder zerstört.“ Tränen ließen die braunen Augen des großgewachsenen Vampirs glänzen. „Ich denke, es wurde alles gesagt und ich habe es verstanden, Sir. Kann ich nun gehen?“

Wortlos nickte ich. Ohne Zeit zu verlieren, machte er auf dem Absatz kehrt und stürmte aus dem Büro. Ich hatte ihm erfolgreich seine Grenzen gezeigt, und dennoch fühlte es sich an, als hätte ich verloren.

 

Kapitel 2

30 Jahre früher

 

Bereits vor der Tür konnte der Vampirlykaner Gabriella Clarretts sich überschlagende und schrill klingende Stimme hören. Der Tod ihres Gefährten Daniel Glay vor wenigen Tagen ließ sie den Verstand verlieren. Der Mann, den sie alle Hobbs nannten, hatte versucht, ihm zu erklären, warum das so war. „Daniel war Gabriellas zweite Hälfte“, hatte er ihm gesagt. „Deshalb ist sein Verlust für sie so unerträglich. Es scheint fast, als würde sie selbst an ihrer Trauer sterben.“ Doch mit dieser Erklärung konnte Patrick nichts anfangen. Er selbst vermisste seinen Vater auch, obwohl er Daniel nie Vater hatte nennen dürfen, obwohl es genetisch gesehen sogar der Richtigkeit entsprach. Andererseits vermisste er auch all seine Brüder, die in dem Kampf gegen die Monrachs täglich geopfert wurden. Von daher hatte er sich an das Gefühl der Trauer bereits gewöhnt und konnte sich sein Leben ohne dieses Gefühl gar nicht vorstellen. Er hatte, um sie zu ehren, heimlich eine Liste mit all ihren Namen angefertigt, die er in seiner Jackentasche versteckte und somit immer bei sich trug. Denn es schien, als würden die Vampire nicht um die Toten trauern. Er hatte sich dies so erklärt, dass die Vampire diese Emotion gar nicht empfinden konnten. Daher war er von Gabriellas plötzlichem impulsiven und emotionsgeladenen Verhalten nach Daniels Tod sehr überrascht.

„Wo ist Zacharias?“, hörte er Gabriellas Stimme durch die geschlossene Tür.

„Meine Königin, das weißt du doch“, erkannte er Hobbs ruhige Stimme. „Der Arzt hat das sinkende Schiff verlassen und die Seiten gewechselt. Er kriecht Erebos vermutlich gerade in den Arsch. Wenn ich ihn das nächste Mal sehe, töte ich ihn. Darauf kannst du dich verlassen.“

„Zacharias hat die Seiten gewechselt?“, fragte sie mit tränenerstickter Stimme nach. „Nein … niemals“, schrie sie im nächsten Moment und man hörte Stühle umfallen.

Tief sog Patrick die Luft in seine Lungen und erinnerte sich an seinen Auftrag. Er durfte nicht länger Zeit verlieren. Daher ging er zielstrebig auf die Tür zu, klopfte und trat, ohne auf die Erlaubnis zu warten, ein. Er sah die Königin, seine genetische Mutter, mit zerzausten, wirr abstehenden Haaren, dicken, fast schwarzen Ringen unter den blaugrünen Augen, aus denen ihm der Wahnsinn entgegenblickte. Sie war kreidebleich im Gesicht, welches vor Schmerz verzerrt war. Mit ihren Händen hielt sie den Stuhl hoch und stürmte damit auf Hobbs zu. Der Vampir stand ruhig da und es wirkte, als würde sich dieser gegen den kommenden Schmerz wappnen. Der Söldner verwirrte Patrick, er hätte Gabriellas Angriff ohne große Mühe stoppen können, doch er tat es nicht. Er ließ es zu, dass sie sich in ihrem Schmerz an ihm austobte. Er ließ zu, dass sie ihn verletzte. Es war verstörend. Patrick räusperte sich laut, um die Aufmerksamkeit der beiden auf sich zu ziehen und seine Gedanken zu sammeln. „Entschuldigt die Störung, doch …“, begann er.

„Wie kannst du es wagen“, schrie Gabriella ihn hasserfüllt an und wählte ihn nun als neues Ziel aus. In der nächsten Sekunde flog der Stuhl auf Patrick zu. Doch er duckte sich geschickt, sodass der Stuhl ihn um Haaresbreite verfehlte und an der Wand zerbrach. Ihr Blick schoss ihm ihre Verachtung entgegen. „Du elendiges Monster“, zischte Gabriella weiter und wollte auf ihn zustürzen. Fieberhaft überlegte Patrick was er tun sollte. Sein Instinkt wollte, dass er sich gegen seine Mutter verteidigte, doch wäre das das Richtige?

Noch bevor er sich entschieden hatte, schritt Hobbs ein. „Königin. Halt!“ Er fing sie nun ein und schlang seine Arme um sie. Sie kreischte wie eine Krähe, die gerade bei lebendigem Leibe verbrannt wurde. „Was gibt es, Patrick?“, fragte Hobbs gelassen über das Gekreische hinweg.

„Monrachs Armee wird in wenigen Minuten hier eintreffen. Die Männer sind alle auf ihren Verteidigungsposten. Doch wir sind geschwächt.“ Er richtete nun den Blick auf seine Mutter und das Herz in seiner Brust wurde schlagartig schwer. „Wir können nicht für ihre Sicherheit garantieren und müssen sie auffordern zu gehen. Sofort.“ Das war sein Auftrag, er musste seine Mutter davon überzeugen zu fliehen.

„Dieser Bastard soll nur kommen“, lachte Gabriella hysterisch und begann erneut gegen Hobbs zu kämpfen. „Ich werde ihm das Gleiche antun, was er Daniel angetan hat.“

Hobbs atmete tief durch und schloss für einen Moment die Augen. „Meine Königin“, begann er und Patrick konnte nicht verstehen, dass er noch immer die Ruhe in Person war. „Du wirst deine Rache bekommen, das verspreche ich dir. Du weißt, dass ich meine Versprechen immer halte. Doch heute ist nicht die Zeit dafür. Du musst an dich denken, an deine eigene Sicherheit. Daniel hätte nicht gewollt, dass du ihm in den Tod folgst.“ Er lächelte sie warm an. „Zumindest nicht bevor die Monrachs vernichtet wurden. Wir müssen an unsere Mission denken, an das Volk. An dein Volk, das dich braucht, das du befreien musst. Das ist deine Aufgabe, Königin.“

Unbewusst begann Patrick zu nicken. Hobbs hatte recht, bleibt sie, würde sie sterben, und damit auch ihre Mission. Dies war der einzige Grund, weshalb er am Leben war. „Bitte geh, Mutter.“ Zum ersten Mal in seinem Leben sprach er das Wort aus. „An dir hängt alles. Mit dir steht und fällt unsere Mission. Du musst leben, damit wir am Ende siegen und die Monrachs für ihre Taten und Vaters Tod bestrafen können.“

Gabriella riss entsetzt die Augen auf. „Ich bin nicht deine Mutter“, spie sie ihm entgegen, „und Daniel nicht dein Vater. Du bist nur eine Waffe. Eine Waffe, die nicht zu gebrauchen ist. Hättest du funktioniert, dann wäre Daniel noch am Leben und die Monrachs längst tot. Du bist schuld an allem.“

Patrick schluckte schwer. „Dann lass mich meine Fehlfunktion gut machen. Ich halte sie auf, damit du fliehen kannst.“

Gabriella brach in Tränen aus und stürzte sich an Hobbs Brust. Dieser nickte Patrick zu. „Ich kümmere mich um sie und bringe sie hier raus.“

„Ich verschaffe euch die Zeit, die ihr benötigt“, wie gelernt salutierte er zum Abschied und wusste, dass er seine Mutter zum letzten Mal gesprochen und gesehen hatte.

 

21. August

In Brakovs Flugzeug über den Wolken auf dem Weg nach Moskau

 

„Wo ist Fanny?“, Patricks Brüllen schien die Wände des Flugzeugs vibrieren zu lassen und wie zum Beweis seines Zornes erhellte draußen vor dem Fenster ein Blitz die Nacht. Die Hände schmerzhaft zur Faust geballt versuchte sein Verstand, die Wirklichkeit zu leugnen. Doch der Schmerz des Verlustes breitete sich bereits kalt in seinem Herzen aus.

Roman Brakov, der russische Vampirkönig, sah verwirrt und entsetzt zwischen seinen Begleitern hin und her. Offenbar versuchte auch er, die Dinge zu verstehen und die Realität zu leugnen.

„Patrick beruhige dich“, hörte er Julitta säuseln, während sie sich an seine Rückseite drückte.

Wie konnte sie das von ihm verlangen? Verstand sie nicht, dass es um seine Schwester ging, sein Blut? Fanny hatte ihn gerettet! Mit einer wilden Bewegung mit seinem Arm schubste er Julitta grob von sich.

Nithard Monrach stand etwas abseits von ihnen, nervös trat er von einem Bein auf das andere, darum bemüht die Situation zu erklären. „Ich musste sie zurücklassen, ansonsten hätte Oskar uns alle erwischt und getötet“, wiederholte er nun schon zum x-ten Male, doch wurde er immer leiser dabei.

Monrachs Selbstsicherheit bröckelte und Patrick konnte den Gestank von Angst und Lüge an ihm riechen. „Du lügst“, fauchte er Nithard an und hechtete sich auf ihn. Julitta schrie auf und unter dem knackenden Geräusch brechender Knochen landete die Faust des Vampirlykaners mitten im Gesicht des Vampirs. „Du dreckiges Arschloch. Du hast sie ihm absichtlich überlassen. Nach allem was sie getan hat, hast du sie deinem bestialischen Bruder überlassen.“ Nur am Rande bemerkte Patrick, dass sich seine Stimme vor Hass, Verachtung und Verzweiflung überschlug. Er spürte die Angst und Sorge um Fanny in jeder Zelle seines Körpers. Wer wusste schon, was Oskar Monrach in seinem Zorn mit ihr tat. In seinen Augen brannten Tränen, zum ersten Mal in seinem Leben. „Sie ist ein Mensch und ihm völlig schutzlos ausgeliefert. Sie ist schutzlos.“ Diese Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag in den Bauch, ihm wurde übel und er musste kotzen. Ohne anders zu können, beugte er sich vornüber, stützte seine Hände auf den Knien ab und kotzte sich die Seele aus dem Leib, direkt auf Nithards Schuhe.

Zitternd, mit Tränen in den Augen, drehte sich Julitta angewidert von Patrick weg. Auch bei ihr konnte er das schlechte Gewissen in ihren grauen Augen sehen. Sie hatte ebenfalls etwas damit zu tun.

„Patrick“, begann Brakov und holte ihn aus seinen Gedanken. Sein Freund seufzte, fuhr sich mit beiden Händen über das Gesicht, wagte es jedoch nicht, sich ihm zu nähern. „Sobald wir in Moskau gelandet sind, werde ich unseren Informanten kontaktieren und vielleicht können wir herausfinden, wo Oskar Fanny hat hinbringen lassen.“

Schwer atmend erhob sich Patrick und richtete sich zu seiner vollen Größe von über zwei Metern auf. „Du weißt genau, dass er sie entsorgen wird“, brüllte Patrick los. „Wir kehren auf der Stelle um.“ Der Ernst in seiner Stimme ließ die Luft im Flugzeug scheinbar zu Eis gefrieren.

Julitta japste erschrocken und schüttelte den Kopf. „Wir können nicht zurück, Patrick.“

Auch Nithard wurde kreidebleich. „Julitta hat recht, wir können nicht zurück. … Mein Vater und Oskar werden uns alle töten.“

Patricks Blick ging voller Verachtung zwischen Julitta und Nithard hin und her. Hart. Ohne Mitgefühl. „Und wen interessiert das? Wir fliegen zurück.“

Nun schaltete sich Brakov ein. „Patrick sei kein Narr. Das wäre Selbstmord. Außerdem würde Erebos mir den Krieg erklären und das kann und werde ich nicht zulassen.“ Mit einer dominant wirkenden Ruhe ging er auf den Vampirlykaner zu und legte ihm seine Hand in den Nacken, was diesen sofort zu beruhigen schien. „Wir werden nicht umkehren, hast du mich verstanden?“ Die Männer sahen sich eindringlich in die Augen. Schließlich nickte Patrick matt, fügte sich geschlagen dem Willen seines Freundes. Ein erleichtertes Lächeln überzog Brakovs Lippen für einen kurzen Augenblick. „Deine Schwester ist die zweite Hälfte von Oskars Seele, er wird sich sehr gut überlegen, ob er sie entsorgt. Wir haben genug Zeit und wir werden eine Möglichkeit finden, Fanny von Oskar zu befreien. Das verspreche ich dir, mein Freund.“

Kapitel 3

- Oskar -

 

26. August

 

Mit Angst in den Augen stand Fanny vor mir. Ein Anblick, von dem ich wohl nie genug bekommen würde. Ihre blonden Locken glänzten in der Sonne und ihr Herz schlug einen schnellen Beat, der ihre Unsicherheit widerspiegelte. Ja, sie war nicht in der Lage, meine Stimmungen exakt einzuschätzen, und immer hing ihre Sorge einen Fehler zu machen wie ein Damoklesschwert über ihr. Ob es je anders werden würde? Ich hoffte nicht. Laut lachte ich zufrieden und ging auf sie zu. Doch in der nächsten Sekunde war sie weg. Ausgelöscht in einem Nebel aus Asche.

 

Mein Schädel fühlte sich an, als hätte ich ihn als Abrissbirne benutzt und ein Gebäude damit eingerissen. Nur schwer konnte ich meine Gedanken sammeln und wieder in eine strukturierte Ordnung bringen. Die Glieder waren irgendwie taub, während die unsichtbare Wunde auf meiner Brust immer größer wurde und der Schmerz sie heiß brennend pochen ließ. Doch das Schlimmste jedoch war, dass ich all dem mittlerweile völlig machtlos gegenüberstand. Egal, was ich versuchte, Alkohol, Sex oder Gewalt, die Betäubung wirkte nur noch einen flüchtigen Augenblick und viel zu schnell kam dieser Schmerz in doppelter Intensität zurück.

Stöhnend rieb ich mir mit beiden Händen über das unrasierte Gesicht und atmete tief ein. Allerdings ließ mich die abgestandene stickige Luft, die mehr nach einer Schnapsbrennerei als nach Büro roch, würgen. Meine Sicht war verschwommen und es dauerte, bis sie sich scharfstellte. Schlampig lümmelte ich mich auf meinem Bürosessel und mit dieser Erkenntnis spürte ich einen starken Stich im Nacken. Ich knurrte leise. Der gesamte Raum war in ein düsteres Licht getaucht. Nach einer Weile sah ich durch das Fenster. Dicke, dunkelgraue Wolken hingen am Himmel und gewährten der Sonne keine Chance, ihre Strahlen zur Erde zu schicken. Wettertechnisch sah es mehr nach einem trostlosen November als nach Ende August aus.

Ich schüttelte meinen Kopf und dann fiel mein Blick auf den Schreibtisch. Unzählige Blätter lagen lose verteilt darauf und darunter zeichnete sich eine umgefallene Flasche Bourbon ab. Ein zu einem Viertel gefülltes Glas stand daneben und wartete vermutlich seit Stunden darauf, dass ich es austrank.

Wie viele Tage sind vergangen? Vier oder fünf? Fünf. Heiser knurrte ich erneut und griff ganz automatisch nach dem Glas, damit ich die Wunde wieder betäuben konnte. Ich setzte es an und schloss die Augen. Ein Fehler. Da ist sie. Fanny, ihre Todesangst und das Grauen, in das ich sie geschickt habe. Sie sollte doch längst tot sein! Brüllend warf ich das Glas an die Wand, es zersplitterte in tausend Teile. „Weshalb straft ihr Götter mich so sehr?“, keuchte ich vor Anstrengung. „Weshalb seid ihr so grausam?“ Mit letzter Kraft musste ich meinen Oberkörper mit den Händen auf dem Tisch abstützen.

Schier alles fühlte sich seit Tagen so unendlich schwer und unerträglich an. Unbewusst ballte ich meine Hände zu Fäusten und in der nächsten Sekunde hämmerte ich auf die Tischplatte ein. Immer wieder, immer stärker, bis mir die Fingerknöchel schmerzten und die Haut darüber aufplatzte. Ein Schmerz gegen den anderen.

 

Keuchend und triefend vor Schweiß kam ich wieder zu mir und stand vor den Trümmern meines Schreibtisches. Ich drehte mich einmal um die eigene Achse und sah, dass ich nicht nur den Schreibtisch, sondern die gesamte Büroeinrichtung zerlegt hatte. Ich starrte auf die Wände und plötzlich war es, als bewegten sich diese auf mich zu, als wollten sie mich zerquetschen. Der großzügige Raum schien mit jedem meiner Atemzüge kleiner zu werden. Ich muss hier raus!

Getrieben von der Beklommenheit stürmte ich aus dem Büro. Es war noch sehr früh, sodass ich den leeren Flur entlang lief. Meine Beine bewegten sich so schnell sie konnten und doch hatte ich den Eindruck, dass ich nicht von der Stelle kam. Ich nahm die Bilder an der Wand, die dekorativen Blumenvasen auf den vereinzelt an den Wänden stehenden kleinen Tischen wahr und am liebsten hätte ich alles ebenfalls kurz und klein geschlagen. Doch ich versuchte, den Zerstörungsdrang zu kontrollieren. Was relativ gut funktionierte, bis ich am Empfang vorbei zu den Aufzügen kam, die hinunter in die Lobby führten. In diesem Moment öffneten sich die Türen des linken Lifts und ein Mann Mitte dreißig in einem grauen Anzug kam heraus. Ein Mensch. Der Geruch seines Blutes reizte meine Kehle. Es war Tage her, seit ich mich zum letzten Mal an Fanny genährt hatte, sieben um genau zu sein. Wie hat sich alles in diesen sieben Tagen verändert.

Überrascht riss er seine Augen auf, unter denen sich dunkle Ringe abzeichneten. Er wirkte gestresst. „Guten Morgen, Sir“, begrüßte er mich etwas stammelnd, doch schnell hatte er sich gefangen. „Gut, dass ich Sie sehe. Hätten Sie kurz Zeit, sich den Fall Lee anzusehen? Der richterliche Beschluss bereitet mir starkes Kopfzerbrechen.“

Ich hörte seine Worte, obwohl ich es nicht wollte. Ihn ignorierend stürmte ich daher in an ihm vorbei in Richtung des unscheinbaren Aufzugs, der mich in den Bereich der Vampirgesellschaft bringen sollte. Leider ließ er sich nicht abschütteln, redete einfach weiter auf mich ein. Schnell begann seine Stimme an meinen Nerven zu zerren, wie quietschende Kreide auf einer Tafel drangen seine Worte in mein Gehirn. Tief atmete ich ein und knurrend wieder aus. Ich versuchte, mich auf etwas anderes zu konzentrieren als auf diesen armseligen Kerl.

Unweigerlich landete ich wieder bei ihr. Fannys Panik durchdrang mich augenblicklich und und färbte meine Sicht in tiefes, dunkles Rot. Diese Frau, ihre Emotionen werden mich quälen, solange sie lebt. Es muss enden! Jetzt. Ich wirbelte herum, dabei hielt ich gedanklich Fannys Emotion fest. Der Typ löste sich in Luft auf und plötzlich stand sie vor mir. Brüllend griff ich nach ihr, packte grob ihre Oberarme. Sie schrie und wehrte sich kräftiger als jemals zuvor. „Verfluchte Schlampe!“, fauchte ich und schüttelte ihre hagere Gestalt. Dann drückte ich zu und spürte, wie die Knochen in meinen Händen brachen. Tränen liefen über ihr Gesicht und verzerrten es. Ihre Schreie wurden immer lauter, immer unerträglicher, wie quietschende Kreide auf einer Tafel. Das Geräusch schien die Nervenbahnen in meinem Gehirn zu verätzen, die Folge war ein Kurzschluss. Meine Hände und Muskeln verkrampften sich. Es muss enden! Mit einem Ruck zerriss ich ihren Körper. Endlich Ruhe. Sie ist weg.

Atemlos, bis auf die Haut durchgeschwitzt, stand ich im Flur der Chefetage und wartete darauf, dass sich meine Sicht klärte. Nur schemenhaft konnte ich den See aus Blut erkennen, der Geruch jedoch war unverkennbar. Allerdings war es nicht Fannys Blut, das ich vergossen hatte. Es dauerte eine Minute oder zwei, bis ich die männliche, zerstückelte Leiche vor mir erkannte. Es war nur eine Halluzination.

„Oskar“, donnerte Erebos Stimme plötzlich hinter mir und traf spürbar meinen Rücken. „Was geht hier vor? Bei allen Göttern, was hast du getan?“

Langsam drehte ich mich zu meinem Vater um und mein Anblick ließ ihn augenblicklich erstarren. Verständlich, ich war über und über mit Blut besudelt, meine Hände, meine Kleidung, mein Gesicht. „Geh mir aus dem Weg“, zischte ich drohend.

Für einen Moment taxierte er mich mit eisigem Blick, rührte sich keinen Millimeter von der Stelle. Will er es wirklich auf einen Kampf ankommen lassen? Nur zu. Meine Lippen verzogen sich zu einem teuflischen Grinsen und durch meine Adern schoss die Vorfreude, ihn zu töten. Die Sekunden zogen sich hin zu Minuten, Minuten zu gefühlten Stunden. Es schien, als hätte die Welt angehalten und alles Leben eingefroren. Mein gesamter Körper begann zu beben. Viel fehlte nicht mehr, und ich hätte mich auf ihn gestürzt. Doch plötzlich brach er den Blickkontakt ab und trat zur Seite.

Bedrohlich knurrend setzte ich meinen Weg fort. Mein Ziel: meine privaten Gemächer in der Monrachresidenz.

 

Laut ließ ich die Türen hinter mir zufallen. Alle, die sich noch in der Residenz befanden, sollten wissen, dass ich da war und dass es besser war, mir aus dem Weg zugehen. Mein privates Arbeitszimmer war, wie ich es verlassen hatte an dem Abend von Erebos Galadinner mit dem russischen Vampirkönig Brakov und anderen wichtigen Einflussnehmern der Vampirgesellschaft. Ich hasste es, hier zu sein – mehr als jemals zuvor. Mein Blick ging automatisch zum Ledersofa und es war, als konnte man noch Fannys Körperwärme spüren, die sie abgesondert hatte, als sie dort saß. Eine weitere Erinnerung, die einer Folter glich. Schnell durchquerte ich den Raum und öffnete die versteckte Tür zu meinem persönlichen Reich.

Doch kaum hatte ich das getan, traf mich Fannys Geruch. Alles hier roch so intensiv nach ihr, als wäre sie noch da. Ein schlechter Scherz. Ihr Duft war in den vergangenen Tagen hier konserviert worden. Er traf mich unvorbereitet und hart. Meine Brust fühlte sich an, als würde die unsichtbare, blutende Wunde ein noch größeres Loch in mich hineinbrennen. Mir stockte der Atem.

Kopflos stürzte ich ins Bad und riss mir die Kleidung vom Leib, während ich das Wasser anstellte. Die losen Fetzen warf ich achtlos zu Boden und stieg unter den heißen Wasserstrahl. Meine Muskeln spannten sich automatisch an. Ich duschte so heiß wie es ging und doch nicht heiß genug. Das Blut des Menschen war schnell weg, doch der Schmerz blieb. Die Wut blieb. Der Drang zu zerstören blieb. Die Sehnsucht nach Fanny blieb.

Diese Sehnsucht wurde übermächtig, raubte mir erneut den Atem und die Kraft, die Macht. Ich musste meinen Oberkörper mit beiden Händen an der Wand abstützen und kämpfte nun gegen mich selbst. Ich brauchte einen klaren Verstand und durfte meine Pläne jetzt nicht durch mein Temperament gefährden. „Reiß dich zusammen“, mahnte ich mich selbst und zwang mich zur Selbstbeherrschung. Mit Erfolg.

Schließlich ging ich rasiert und mit einem Badetuch um die Hüfte geschlungen zu meinem begehbaren Kleiderschrank, damit ich mir etwas Frisches anziehen konnte. Dabei fiel mein Blick auf meine Zeichenmappe. Fanny hatte sie kürzlich wiedergefunden. Sie war fasziniert gewesen von den Bildern, allesamt gesammelte Erinnerungen, die mich quälten. Besonders angetan hatte es ihr das Bild von meiner Mutter. Ich starrte auf die Mappe und glaubte, das Schicksal lauthals lachen zu hören. Zwei Frauen, die ich ins Verderben stürzte. Wobei es eine von ihnen verdient hatte.

Überall in diesem Gebäude waren Erinnerungen, die mich nachts nicht schlafen ließen. Die meinen Hass schürten, mich nach noch mehr Vergeltung und Tod trachten ließen, als es für mein Leben gut war. Es war an der Zeit, diesen Ort zu verlassen, zumindest zeitweilig und Erebos sollte dies ebenfalls zu spüren bekommen. „Ich erkläre dir hiermit den Krieg“, fauchte ich.

Hasserfüllt griff ich nach einem Koffer, der oben im Regal verstaut war und begann einige Anzüge und Hemden, Unterwäsche und Socken hineinzugeben. Obenauf warf ich die Zeichenmappe. Alles andere, was nicht hineinpasste, zerfetzte ich. Ich schlug die Wohnung kurz und klein. Das Bett, das nach Fanny roch, die Couch. Die Küche mit dem kleinen Essbereich und das Badezimmer. Am Ende erreichte ich den Korb, in dem ihre Kleidung lag. Ich stand eine lange Zeit davor und starrte wie gebannt darauf. Schließlich zündete ich ihn an.

Es war befriedigend zu sehen, wie sich die Flammen durch die Stoffe fraßen und Fannys Geruch auszulöschen begannen. Beruhigend legte sich die Hitze über mich. Dies war genau die richtige Nachricht für meinen Vater. Am Ende dieses Krieges würden er und all seine Ergebenen ebenfalls lichterloh brennen.

Lächelnd drehte ich mich um und ging. Ich schloss wie gewohnt die Tür hinter mir. Im Arbeitszimmer nahm ich mir noch das Wichtigste, wie meinen Laptop und einige persönliche Unterlagen, mit und das war's. Ich fuhr zu meinem Stützpunkt, meinem neuen Zuhause.

 

- Fanny -

 

… Monrachs Hass verfolgte mich, zerrte mich aus der erholsamen Leere in einen weiteren Albtraum hinein. Er verbreitete den Tod und ließ mich in einem Meer aus Blut untergehen. Immer tiefer wurde ich hinabgezogen und nun war es nicht mehr weit, bis die Hölle mich wieder einholte. …

 

Ein Brummen aus weiter Entfernung gemischt mit der Vorahnung in Gefahr zu sein, holte mich aus dem Schlaf. Ich riss die Augen auf und konzentrierte mich auf die Geräusche in der Finsternis. Tatsächlich, das Brummen war ein Gewirr aus verschiedenen männlichen Stimmen, verachtendem Lachen und qualerfüllten Schreien, welches sich rasch näherte. Mein Überlebensinstinkt übernahm die Kontrolle. Rasend pumpte mein Herz das mit Adrenalin angereicherte Blut durch meinen Körper, trieb mich an, auf die Beine zu kommen. Ich muss leben, damit Monrach mir verzeihen kann. So lautlos wie möglich bewegte ich mich weiter. Fort von den Stimmen, fort von der möglichen Bedrohung. Was völlig unsinnig war, denn ich wusste, dass sie mich riechen und meinen Herzschlag hören konnten. Früher oder später würden sie mich erwischen. Trotzdem brachte ich es nicht über mich, aufzugeben. Ich muss leben, damit er mir verzeihen kann. Kalter Schweiß floss in Strömen über meinen Rücken hinab und ließ mich unaufhörlich zittern. Hastig tastete ich mich an der Wand entlang. Schließlich entdeckte ich eine kleine Höhle, die tief in die Wand führte. Ich drückte mich auf allen vieren hinein und krabbelte bis an deren Ende.

Die Schreie wurden deutlicher. Fest drückte ich die Hände auf meine Ohren, um das Geräusch auszuschalten. „Das gefällt dir doch“, dröhnte es trotzdem noch dumpf zu mir, während es sich mit lusterfülltem Stöhnen und nur noch verzweifeltem Wimmern vermischte. Oh Gott! Soweit es irgendwie möglich war, drückte ich mich tiefer in das Loch, in das ich mich verkrochen hatte. In meinem Kopf entstanden die schaurigsten Bilder, die vermutlich nicht sehr weit von der Wirklichkeit entfernt waren. Unwillkürlich hielt ich den Atem an, während ich gegen die Hoffnungslosigkeit meiner ausweglosen Situation ankämpfte. Ich bin verloren. Ich muss leben, damit er mir verzeihen kann.

 

Nach einer gefühlten Ewigkeit wurde es still. Das Wimmern erstarb, die Stimmen verschwanden. Nur meine lähmende Angst blieb. Starr wartete ich noch einige Zeit ab, doch zum Glück blieb es weiterhin totenstill. „Okay“, atmete ich tief durch und streckte die Glieder, bevor ich es wagte, die schützende Höhle zu verlassen. Doch was sich vor mir schemenhaft in der Dunkelheit ausbreitete, ließ mich für einen Moment die Nerven verlieren. Es roch nach Blut und Tod.

Nur wenige Meter von mir entfernt lag eine Frau regungslos am Boden. Erst als ich mich ihr vorsichtig näherte, erkannte ich, dass ihr Stofffetzen vom Körper hingen und sie überall blutete, am stärksten jedoch an ihrem Unterleib. Die Vampirin war eine klassische Schönheit gewesen, und das Leben hier unten hatte ihr nicht viel von dieser genommen. In ihren weit aufgerissenen, leblosen Augen stand blankes Entsetzen und Schmerz. Mich zur Ruhe zwingend, griff ich nach ihrem Handgelenk und versuchte ihren Puls zu fühlen. Nichts. Es gab auch keinen Hinweis auf eine Atmung. Sie ist tot. Geschockt ließ ich sie abrupt los.

Schlagartig wurde mir bewusst, dass, während ich mich versteckt hatte, um mich, den erbärmlichen Rest meines Lebens, zu schützen, dieser Frau das ihre genommen worden war. Schnell drehte ich mich von der Leiche weg und übergab mich, kotzte schmerzhaft das letzte übrig gebliebene Bisschen aus meinem Magen heraus. Ich fühlte mich mies, mehr als mies. Langsam wandte ich mich ihr wieder zu und das hinterhältige Gefühl von Schuld machte sich in meinem Herzen breit. Die Art von indirekter Schuld, die man durch Nichtstun auf sich lud. „Ich hatte keine Wahl“, stammelte ich entschuldigend. Doch stimmt das? Vielleicht, wenn ich mich bemerkbar gemacht hätte, hätten sie von ihr abgelassen. Vielleicht auch nicht. Vielleicht wären wir beide tot. Vielleicht auch nur ich. Ich muss leben, damit Monrach mir verzeihen kann. „Es tut mir leid, ich hatte einfach Angst und ich muss überleben“, flüsterte ich, ließ mich neben ihr nieder und trauerte um sie.

 

Ob es der Überlebensinstinkt oder bloße Hilflosigkeit war, kann ich nicht sagen, jedenfalls eins von beiden trieb mich nach einer Weile weiter, weg von der Leiche der Vampirin, tiefer in diese Hölle hinein. Rastlos, panisch. Hunger und Durst hatten ihre messbaren Intensitäten bereits längst überschritten. Ich wusste, beide Bedürfnisse waren noch da, doch spürte ich sie nicht mehr. Ich hatte Dinge getan, die den Ekel vor mir selbst unerträglich werden ließen. Doch ich muss leben, damit Monrach mir verzeihen kann und mich rettet. Er wird mich hier rausholen, wenn ich genug gelitten habe.

Plötzlich tauchte in der Ferne ein Licht auf. Halluzination oder echt? Wankend blieb ich stehen und lauschte. Die Umgebung war still. Vorsichtig ging ich auf dieses Licht zu und gelangte in eine kleine Höhle, an deren Wänden sich zwei flackernde Lampen befanden. In deren Mitte gab es eine Quelle, die mit kantigen Steinen eingerahmt war. Deutlich konnte ich das Wasser plätschern hören. Ungläubig blinzelte ich gegen das Licht an, das mich blendete. Ist der Ort real oder doch eine Halluzination? Unsicher berührte ich mit der flachen ausgestreckten Hand die Wand, fühlte den mit Erde überdeckten, harten Stein. Es ist echt.

Wie zum Beweis kam schlagartig das Durstgefühl zurück. Unerträglich und übermächtig. Ich stürzte alles vergessend auf die Quelle zu und kniete mich an deren Rand. Mit bebender Hand berührte ich das Wasser. Es ist tatsächlich echt. Vor Freude begann ich hysterisch, schrill zu lachen. Ein unkontrollierter Ausbruch an Emotionen, den ich im nächsten Moment bereits bereute.

„Wen haben wir denn da?“, brummte es dunkel lachend hinter mir.

Panik überrollte mich, ließ mich erstarren und trieb mir den Schweiß auf die Stirn, während das Herz sich überschlug. Bitte geht weiter. Bitte geht weiter. Unfähig mich umzudrehen, starrte ich gebannt auf das Wasser.

„Du bist neu hier unten. Nicht? Seit Tagen lockt uns dein Geruch bereits, Babe“, raunte eine zweite fremde, kratzig klingende Stimme amüsiert, während ich spürte, dass sie mich umrundeten.

Ich saß in der Falle – mal wieder. Ruhigbleiben, ermahnte ich mich und kämpfte gegen den Impuls an, aufzustehen und wegzulaufen. Ich wusste, dass meine Chancen damit Erfolg zu haben bei null standen. „Ich will nur etwas trinken“, erklärte ich heiser und mein Hals begann zu schmerzen.

Gellend lachten sie auf. „Schätzchen, wie kommst du darauf, dass Wasser umsonst ist. Nichts im Leben ist kostenlos.“

„Hier unten schon zweimal nicht, Babe.“

War ja klar. Ich sah an mir herab: Der braune Jutesack war durchgeschwitzt und hatte bereits einige Flecken bekommen. Unangenehm klebte der raue Stoff auf meiner Haut. Darunter war ich nackt. Mit aller Macht weigerte ich mich, an die tote Frau zu denken und daran, was sie mit ihr gemacht hatten. Bleib ruhig, ermahnte mich mein Verstand erneut. Bleib ruhig. Ich muss überleben. Mit angehaltenem Atem sah ich die Männer an, die mich unverhohlen gierig musterten. Sie waren

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: H. J. White
Bildmaterialien: Fotolia.com, olly, africa studio, dima_pic, Subbotina Anna, partyvector
Cover: HerzschlagWerke
Lektorat: Aileana Blair und Monika Schoppenhorst
Satz: Heike Weiß
Tag der Veröffentlichung: 05.06.2018
ISBN: 978-3-7438-7141-0

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