Cover

1

Greta Simmern wurde immer aufgeregter. Es war mittlerweile schon nach 9 Uhr und Bräutigam Karl v. Waldenbronn war bisher nicht aufgetaucht. Zum bestimmt schon drittenmal jammerte Gretas Mutter ihr "Ach Gott, ach Gott!" und wischte wiederholt imaginäre Fussel vom Tisch. Der alte Simmern betrat den Salon und schüttelte den Kopf. "Tut mir leid, aber er ist immer noch nicht da."

"Papa, tu etwas, irgendwas!" Nervös knetete Greta Simmern ein Taschentuch zwischen ihren schlanken Fingern. Eigentlich hatte Karl schon vor einer halben Stunde da sein sollen.

"Liebes, was soll ich denn tun? Er hat sich sicher nur verspätet. Lass uns noch ein wenig abwarten." Tatsächlich war der alte Simmern genauso nervös und unruhig, wie die beiden Damen des Hauses.

"Und wenn er gar nicht kommt? Wenn er mich hier einfach sitzen lässt?"

Erneut war das "Ach Gott, ach Gott!" von Muttern Simmern zu hören.

Der alte Simmern goss sich einen Cognac ein, was ihm einen missbilligenden Blick seiner Frau eintrug, aber es störte ihn nicht. Er brauchte jetzt einen Schnaps. Greta hatte recht. Was, wenn der Schwiegersohn in spe nicht auftauchte? 

Der alte Simmern hatte es bis zum Kommerzienrat geschafft. Er hatte einen sehr gut gehenden Handel mit Gewürzen aus der ganzen Welt und anderen teuren Waren, die sich nur die reichen Berliner leisten konnten. Sein Grossvater war noch mit einem Bauchladen von Wohnung zu Wohnung gelaufen und hatte Kämme, Bürsten, Gummibänder, Schnürsenkel und Seife verscherbelt. Aber sein Fleiss und der der nachfolgenden Simmern hatte schliesslich zu Wohlstand geführt. Vor einigen Jahren hatte sich der alte Simmern dann endlich die Villa im Tiergarten leisten können und von da an zur feinen Berliner  Gesellschaft gehört. Wie gut es ihm und seiner Familie ging, sah man nicht nur an seinem Wohlstandsbauch, der sich unter dem eleganten Smoking wölbte, sondern auch an der erlesenen, teuren Einrichtung der Villa und dem ebenso teuren Automobil draussen vor dem Haus, einem 6000 Goldtaler teuren "Horch".

Das grösste Glück wäre jetzt dieser Schwiegersohn. Pommerscher Adel, kleines, aber feines Vermögen und die Greta eine Gräfin. 

Überhaupt Greta - es war ein grosses Glück, dass er sie noch unter die Haube brachte. Sie war das, was man ein spätes Mädchen nennt. Mittlerweile über dreissig, hatte sie sich schwer getan den passenden Ehemann zu finden. Nunja, sie war nicht gerade das, was man eine Aphrodite nannte, wahrscheinlich hatte sie deshalb bisher keinen Kerl gefunden, der sie behalten wollte und nun sogar ein Graf - obwohl, der schien sie jetzt tatsächlich zu versetzen - gar nicht auszudenken, was das bedeuten würde.

Nein, eine Schönheit war Greta Simmern nicht, aber auch nicht wirklich hässlich. Ihr schmales Gesicht wurde von dunklen Locken umrahmt und ihre Figur war die eines jungen Mädchens. Das Kleid aus hellblauem Organza, das sie für die standesamtliche Trauung hatte anfertigen lassen, unterstrich das Ganze noch. 

Graf v. Waldenbronn tauchte tatsächlich nicht auf. Um Punkt 11 Uhr sollte die kirchliche Trauung in der Tiergartenvilla stattfinden, aber der Graf, der schon zur standesamtlichen Trauung um halb zehn nicht aufgetaucht war, glänzte auch jetzt durch Abwesenheit.

Leider hatte es zeitlich nicht mehr gepasst den Gästen noch abzusagen, weshalb jetzt auch alle erwartungsvoll durch die unteren Räume der Simmerschen Villa streiften, während die Herren immer mal wieder verstohlen auf ihre Taschenuhren blickten, obgleich es bis 11 noch ein wenig hin war.

Die beiden Damen Simmern hatten sich in ihre Räumlichkeiten in die oberen Etagen verzogen. Die alte Simmern leise jammernd, ob dieser Schande, Greta heulend. Wenn sie heute nicht heiratete, dann sicher nie.

Das weisse Brautkleid aus Atlasseide hing unbeachtet am Kleiderschrank.

Der alte Simmern atmete erleichtert auf, als der Bruder des zukünftigen Schwiegersohnes aus einer Autodroschke stieg und die wenigen Stufen zur Haustür hoch kam.

"Nun, ist mein Herr Bruder schon sehr aufgeregt, man heiratet ja nicht jeden Tag."

Der alte Simmern zog den Grafen in einen kleinen Raum neben dem Windfang, in dem eigentlich Putzutensilien gelagert wurden. 

"Was wird denn das, Simmern?" Ein wenig befremdlich sah sich der Graf in dem Raum um, der ihm nicht besonders zusagte und ganz sicher auch nicht seinem Stand entsprach.

"Es ist etwas furchtbares geschehen, er ist nicht da."

"Wer ist nicht da?" Der Graf sah sein Gegenüber ziemlich verständnislos an.

"Ihr Herr Bruder ist nicht da."

"Was? Ja, aber wo ist er denn?"

"Seh´ ich so aus, als wüsste ich das? Er ist zur standesamtlichen Trauung nicht erschienen und auch jetzt ist er noch nicht hier!"

"Das verstehe ich nicht. Waren Sie bei ihm zu Hause und haben mal nachgefragt? "

"Ich kann doch hier nicht weg. Die Gäste... Und mit meiner Frau und meiner Tochter ist auch nichts anzufangen - aber vielleicht könnten Sie ja...? Ich stelle Ihnen auch gerne meinen Wagen und den Chauffeur zur Verfügung."

Der Graf willigte ein und Simmern atmete erleichtert auf. Jetzt musste er nur noch die Hochzeitsgäste loswerden und das so diplomatisch wie irgendwie möglich, aber er hatte bei dem Anblick seines Autos eine Idee...

Im Salon bat er um Aufmerksamkeit und als Ruhe eingekehrt war, erklärte er, die Hochzeit müsse leider um ein bis zwei Wochen verschoben werden, denn der arme Bräutigam hätte am Morgen einen Unfall erlitten und sei aus Krankheitsgründen nicht in der Lage am heutigen Tage zu heiraten. Die Damen des Hauses befänden sich derzeit in den oberen Räumen beim Schwiegersohn, um diesen zu pflegen. Er lud die Gäste zu einem leichten Mittagessen ein und bat gleichzeitig um Verständnis, wenn er sie dann bitten musste zu gehen. Der Graf brauche dringend Ruhe.

Die Gäste versicherten ihr Mitgefühl und zur Erleichterung von Simmern brachen die meisten sofort auf. Als der Bruder des Grafen zurückkehrte, waren fast alle Gäste bereits fort.

Der Graf berichtete, das ihm die Haushälterin seines Bruders, eine gewisse Frau Schliemann, die bereits die Gräfin, die Mutter der beiden Brüder versorgt hatte, mitgeteilt habe, das sein Bruder gegen halb neun mit einer Droschke Richtung Tiergarten aufgebrochen wäre. Nur - er war nie in der simmerschen Villa  angekommen.

"Glauben Sie, ihr Bruder ist vor der Ehe geflohen?"

"Ausgerechnet mein Bruder? Nein, der ist die die Zuverlässigkeit in Person. Das glaube ich niemals. Eher hat man ihn entführt."

Damit hatte der Graf sicher nicht unrecht. Sein Bruder war eine graue Erscheinung, die einem preussischen Beamten gleichkam. Er wirkte so unscheinbar und zurückhaltend, dass man sich nicht mehr an ihn erinnerte, wenn er ausser Sichtweite geriet, aber selbst Gespräche, die man mit ihm geführt hatte, blieben grundsätzlich nicht im Gedächtnis haften. Und doch war er die Zuverlässigkeit in Person. Man konnte sich hundertprozentig auf ihn verlassen,weshalb er von seiner Familie auch immer gebeten wurde, unliebsame Besuche zu übernehmen - ganz besonders Beerdigungen, weshalb man ihm den etwas unschönen Beinamen "Buddelgraf" gegeben hatte. Wenn man dem Grafen genaue Anweisung erteilte, was er erledigen sollte, klappte das ohne Probleme, sollte er allerdings selbst etwas in die Hand nehmen, konnte es schwierig werden. Mit vielen Sachen tat er sich schwer, deshalb war es so unvorstellbar, das der Graf das Weite gesucht haben sollte.

"Aber was sollen wir denn jetzt tun?"

"Ich habe keine Ahnung, was man in einem solchen Fall unternimmt."

"Die Polizei?"

"Damit es morgen in der Presse steht?! Was haben Sie denn eigentlich den Gästen gesagt?"

Simmern gab einen kurzen Bericht ab.

"Sehr geschickt, aber genau deshalb können wir noch weniger die Polizei einschalten. Was macht das für einen Eindruck, wenn herauskommt, das Sie die Gäste schamlos belogen haben?"

 

2

Graf v. Waldenbronn eilte in das Bürohaus, vor dem ihn gerade die Autodroschke abgesetzt hatte. Nach  langem diskutieren mit Simmern hatten sie sich schliesslich entschieden, die Detektei Findeisen einzuschalten. Die Privatdetektei war weit über die Grenzen Berlins hinaus bekannt für ihre diskrete Vorgehensweise und wurde deshalb gerne von Klientel aus hohen und höchsten Kreisen genutzt. Wenn jemand diskret und ohne Wissen der Presse ermitteln konnte, dann war es Findeisen. Doch der Graf wurde bitter enttäuscht, denn Findeisen lehnte ab - und zwar mit Nachdruck.

"Und Sie sind sich wirklich ganz sicher, dass Ihr Herr Bruder nicht das Weite gesucht hat?" Findeisen betrachtete sein Gegenüber prüfend. 

"Aber nein, wenn Sie meinen Bruder kennen würden, würden Sie nicht so fragen. Mein Bruder ist die Zuverlässigkeit in Person. Er hat sich nie die kleinste Entgleisung zu schulden kommen lassen. Weder irgendwelche Frauengeschichten, noch Alkoholexzesse gehen auf sein Konto. Er hat hervorragende Manieren, die es niemals zulassen würden, seiner Braut eine derartige Schmach anzutun. Abgesehen davon wäre das Ganze ja auch eine Peinlichkeit für unsere eigene Familie." 

"Für meine Begriffe ist das erst Recht ein Grund die Polizei einzuschalten, Graf."

"Findeisen, glauben Sie mir. Das geht nicht! Nicht auszudenken, was die Presse daraus machen würde, wenn ich meinen Bruder als vermisst melde. Es ist ja noch nicht einmal sicher, was eigentlich geschehen ist."

"Ich verstehe Sie ja, aber die Polizei wäre hier sicher besser."

Findeisen betrachtete nachdenklich sein Gegenüber. Dabei schoss ihm durch den Kopf, dass der Graf Ähnlichkeit mit dem Anwalt Erich Frey hatte, wie er da so nervös mit seinem Monokel herumspielte, das an einer goldenen Kette an ihm herunterhing. Auch die vornehme Erscheinung, das silbergraue Haar und die Art, die Augenbrauen hochzuziehen, erinnerten ihn an Frey. Frey war der Staranwalt in Berlin, viele grosse Prozesse in denen er eine Rolle als Strafverteidiger gespielt hatte, waren weit über Deutschland hinaus bekannt geworden. Der Graf hatte wiklich eine grosse Ähnlichkeit mit Frey.

Findeisen seufzte und meinte schliesslich:" Ich kenne den Polizeipräsidenten persönlich. Wenn Sie gestatten, rufe ich ihn an und wir versuchen so diskret wie möglich an die Sache zu gehen. Wenn Ihrem Herrn Bruder tatsächlich etwas zugestossen ist, müssen Sie ohnehin die Polizei einschalten."

Baron v. Waldenbronn stand von seinem Stuhl auf und sah aus dem Fenster, als könnte er dort draussen eine Antwort finden. Schliesslich drehte er sich zu Findeisen um und nickte zustimmend... 

3

Die beiden Kriminalbeamten Manteuffel und Liebermann waren in einem Auto unterwegs zum Savignyplatz, der Wohnadresse des verschwunden Grafen. Von ganz oben hatten sie die Order erhalten, diskret und mit Taktgefühl die Ermittlungen aufzunehmen.

"Warum machen die eigentlich so ein Theater um diesen Kerl?" Manteuffel sah Liebermann fragend an, denn der hatte in der Chefetage die nötigen Anweisungen erhalten.

"Der Bruder des verschwundenen Grafen ist ein ganz hohes Tier. Beamter im Innenministerium, Kammerherr beim Kaiser und Johanniterritter mit den unglaublichsten Verbindungen und Kontakten. Überhaupt ist die ganze Familie hoch angesehen und die wollen natürlich keinen Skandal. Wenn ein Bräutigam ausgerechnet am Tage der Hochzeit verschwindet, könnte man ihm leicht unterstellen, er hätte kalte Füsse bekommen. Ausserdem war die Familie wohl ohnehin nicht sehr erbaut über die Eheschliessung mit einer Bürgerlichen. Ein Teil der Familie ist deshalb gar nicht erst zur Feier erschienen."

"Wer ist denn die unglückliche Braut?"

"Greta Simmern."

"Was, das alte Mädchen vom Kommerzienrat?! Das kann ja was werden."

"Sie sagen, es mein Lieber."

Mittlerweile waren die beiden vor dem Haus des verschwundenen Bräutigams angekommen. Vor der Tür stand ein Herr, der ihnen erwartungsvoll entgegen sah.

"Gestatten, Graf v. Waldenbronn!", stellte sich der Graf vor. Auch Liebermann dachte bei dem Anblick des Grafen sofort an den Anwalt Erich Frey.

"Kommissar Liebermann, mein Kollege Manteuffel!" Liebermann lüftete kurz seinen Hut und Manteuffel tat es ihm nach.

"Also, ich habe schon mehrfach geklingelt und geklopft, aber es öffnet niemand, obwohl Frau Schliemann eigentlich da sein müsste. Das ist die Hausdame meines Bruders. Frau Schliemann hat schon unsere selige Frau Mutter betreut."

Graf v. Waldenbronn berichtete kurz von seinem Gespräch mit der Schliemann vom Vormittag. Ihr Gesicht habe er nicht sehen können, im Vorflur sei es sehr dunkel gewesen, aber sie hätte ehrlich erschrocken geklungen, erklärte er auf weitere Nachfrage.

Nach einigem Hin und Her hatte man sich schliesslich entschieden, die Tür zur Wohnung zu öffnen. Da niemand einen Ersatzschlüsel hatte, holte Liebermann den Schutzpolizisten Richter ran. Der hatte, bevor er bei der Polizei landete, Schlosser gelernt und schaffte so ziemlich jedes Schloss. Das Schloss an der Wohnungstür zur gräflichen Wohnung war allerdings keine echte Herausforderung.

Die Wohnung war leer. Offenbar hatte die Schliemann Hals über Kopf dieselbige verlassen. Darauf deuteten die offenen Schranktüren und aufgezogenen Schubladen in ihrem Zimmer hin. Aber auch im Schlaf- und Ankleidezimmer des Grafen sah es nach überstürzter Flucht aus. Auch hier offene Schranktüren und herausgezogene Schubladen.

Plötzlich machte Manteuffel eine merkwürdige Entdeckung. Unter dem Bett des Grafen lag, völlig zusammengeknautscht, dessen Hochzeitsfrack, nebst Hemd und Unterwäsche mit eindeutigen Spuren darauf.

"Was ist denn da passiert?" Angewidert blickte der Graf auf die Bekleidungsstücke seines Bruders.

"Nun, ich will ja nicht vorgreifen, aber ich denke, das sieht nach verdorbenem Magen aus. Wir werden die Sachen mitnehmen und ins Kriminallabor bringen."

"Glauben Sie mein Bruder wurde vergiftet?!" v. Waldenbronn sah entsetzt in das Gesicht von Liebermann.

"Oder betäubt... Wir werden versuchen es herauszufinden. Sagen Sie Graf, hat die Schliemann Verwandtschaft in der Nähe? "

"Ja, einen Bruder in Köpenick. Soviel ich weiss, ist der gute Mann Pastor."

"Nun, dann werden wir diskret einmal nachfragen, ob er seine Schwester in letzter Zeit zu Gesicht bekommen hat. Ah ja, und wir werden versuchen, den Droschkenkutscher zu finden, mit dem Ihr Bruder heute morgen Richtung Tiergarten aufgebrochen ist. Vielleicht können wir so auch noch etwas herausfinden. Kommen Sie, Manteuffel. Wir haben alle Hände voll zu tun."

4

Manteuffel war es tatsächlich gelungen, den Droschkenkutscher aufzutreiben, der den Grafen am Morgen zum Tiergarten hatte fahren sollen. 

Eigentlich war es gar nicht so schwer gewesen, den Kutscher zu finden, denn die Kutscher hatten, wie auch die Fahrer der neumodischen Autodroschken, ihre festen Plätze. Manteuffel musste also nur die Kutscher in der näheren Umgebung abfragen und wurde sehr bald fündig.

Droschkenkutscher Werhahn war der sechste Kutscher gewesen, den Manteuffel ansprach und der konnte sich an seinen Fahrgast sehr gut erinnern.

"Der ist bei mich injestiejen. Seine Olle hat mir ranjewunken."

"Das war seine Hausdame."

"Is mir ooch recht."

"Und - haben Sie ihn zum Tiergarten gefahren?"

"Ne, det nu jerade nich."

"Warum denn nicht?"

"Naja, der is also injestiejen im allerfeinsten Zwirn und denn hat er´s sich so richtich jemütlich jemacht, so mittenmang in die Polster und denn hat er man plötzlich jemeint, icke soll mal sofort umdrehn und wieder zurückfahren, wa. Kann man sich ditte vorstelln?"

"Ja, und dann?"

"Ja, denn ha ick ihn zurückkutschiert, watt denn sonste. Wenn´s der Kunde so will."

"Haben Sie ihn zu Hause wieder abgesetzt?"

"Na sicher doch, direktemang vor die Türe und da isser denn ausjestiejen und seine Olle, wat ja seine Hausdame is, wie Sie sajen, hat ihm die Türe ufjemacht. Ick jlobe ja, dem jing es jar nicht jut."

"Wie kommen Sie denn darauf?"

"Weil er so koddrich in´t Jesichte war un jeschwitzt hatter wie im Dampfbad, wa."

"Das ist ja ein Ding!"

"Ja, und denne ha ick ihn zum Dokter jefahrn."

"Was?!"

"Ja, er hat jesacht, icke soll man uf ihn warten, er wär gleich wieder zurücke. War er ooch, aber nich mehr in dem feinen Zwirn, wa. Denne hab ick ihn zum Dokter uffem Kudamm jefahren, da isser denn ausjestiejen und denn ha ick ihn ooch nich mehr jesehen. Und Trinkjeld hatter och nich jejeben."

"Wissen Sie noch was er getragen hat?"

"´Nen Koffer!"

"Er hatte einen Koffer dabei?"

"Jawollja, so wahr icke hier uffem Bock sitze, wa!"

"Können Sie mir die Kleidung beschreiben, die der Herr trug?"

"Vorher oder nachher?"

"Wie, vorher oder nachher?"

"Na - vor oder nachem Umpellen."

"Nachher natürlich."

"Schwarze Hosen und ´nen grauen Überrock, aber och vom feinsten. Und denne keen Trinkjeld."

"Und der Koffer, wie sah der aus?"

"Feinstes Kalbsleder - teuer, wa. Damit kenn ick mir aus, Herr Kriminaler."

"Vielen Dank, Sie haben mir sehr geholfen. Ach, sagen Sie, wissen Sie zufällig, bei welchem Arzt der Mann auf dem Kudamm war?" 

"Jotte doch, watt Sie aber och allet wissen wolln. Bei Dr. Stresemann, ´nen Dokter für die Reichen. Und nich eenen Pfennich Trinkjeld."

Manteuffel drückte dem Kutscher ein Geldstück in die Hand und beide trennten sich sehr zufrieden voneinander.

Manteuffel war gespannt, was Liebermann zu diesen Neuigkeiten sagen würde.

 

5

Liebermann war nicht so erfolgreich gewesen, wie Kollege Manteuffel. Er hatte sich auf den Weg nach Köpenick gemacht zum Bruder der Schliemann. Und siehe da, die Gute weilte tatsächlich im Pfarrhaus; allerdings verweigerte Pastor Schliemann ihm den Zutritt zu seiner Schwester. Die Arme sei erkrankt, deshalb auch zu ihm geeilt, denn alleine könne sie sich momentan nicht versorgen. Er hätte auch sofort einen Arzt geholt und der hätte seiner Schwester absolute Ruhe verordnet. Dafür müsse der Herr Kommissar doch wohl Verständnis haben.

Auf die Frage, was der Schliemann denn gesundheitlich fehle, schwadronierte der Pastor irgendetwas von Gott habe sie verwirrt und Ohnmacht und noch mehr Merkwürdigkeiten, aus denen Liebermann letztendlich schlussfolgerte, dass die Schliemann offenbar einen Nervenzusammenbruch erlitten hatte. Warum und weshalb blieb ihm aber ziemlich rätselhaft.

Nein, zum Grafen könne er ihm nichts erzählen, den kenne er ja gar nicht. Er wüsste nur, dass es sich dabei um den Arbeitgeber seiner Schwester handelte, aber sonst... Nein, weitere Angaben könne er nicht machen. 

Vielleicht könnte der Herr Kommissar es ja noch einmal in den nächsten Tagen probieren, wenn es seiner Schwester wieder etwas besser ginge. Weglaufen würde sie sicher nicht und wer weiss, möglicherweise sei der Herr Graf dann ja längst wieder aufgetaucht.

Ein bisschen unzufrieden gab Liebermann sich geschlagen. Der Pastor hatte aber insoweit recht, dass ihnen die Schliemann wohl wiklich nicht weglaufen würde.

Liebermann beschloss daher, sich in der Nachbarschaft des Grafen ein wenig umzuhören.Möglicherweise  konnte er da noch einiges herausfinden. Es kam auf einen Versuch an. Also machte Liebermann sich wieder auf den Weg zum Savignyplatz, um dort die Nachbarn der gräflichen Wohnung abzuklappern.

Leider brachte ihn das auch nicht wirklich weiter. Wie sich herausstellte hatte der Graf sehr zurückgezogen gelebt. Nicht die kleinste Kleinigkeit, nicht den Hauch eines Gerüchtes konnte ihm irgendeiner der Hausbewohner über den Grafen und seine Hausdame erzählen. Es war fast so, als existierten die beiden gar nicht.

Liebermann hatte erst Glück, als ihm ein Dienstmädchen, welches unter dem Dach des Hauses ein Zimmer innehatte, erzählte, dass die Schliemann ganz in der Nähe eine Freundin wohnen hatte: Die Putzmacherin Hanne Markowitz, die in einer Querstrasse einen kleinen Laden hatte, hinter dem sie auch wohnte. 

Also machte Liebermann sich auf den Weg zu diesem laden, der sich als ein typischer Berliner Kellergeschäft herausstellte, wie es sie zu hunderten in Berlin gab. Die meisten von ihnen verfügten über gerade mal einen, maximal zwei Räume. Der Laden der Markowitz hatte allerdings mehrer Räume, die zum einen als Werkstatt dienten und zum anderen als Wohnung. Überhaupt zeigte der Laden eine gewisse Eleganz, was für einen Kellerladen eher untypisch war. Kellerläden kosteten nicht viel Miete und waren daher gerade bei den kleinen Händlern und Handwerkern sehr beliebt.

Nachdem Liebermann der Ladeninhaberin klar gemacht hatte, um was es ging, schloss sie kurzerhand die Ladentür ab und bat Liebermann in ihr kleines Wohnzimmer hinter dem Laden. Auch hier war alles geschmackvoll und durchaus elegant - klein aber fein.

Impressum

Texte: Kerstin Borger
Tag der Veröffentlichung: 10.10.2021

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /