Cover

Prolog


Es war eine dunkle, wolkenverhangene Nacht. Ohne das Licht der Sterne sahen die Palais unglaublich einladend aus. Doch Nicolas lies ihr keine Chance und zog sie unnachgiebig weiter. Er hatte ihr nicht einmal gesagt wohin sie gingen. Außer seinem Namen hatte er ihr eigentlich überhaupt nichts gesagt.
Etwas kaltes tropfte auf ihre Nase. Es begann zu schneien.
Sie musste schon fast rennen um mit Nikolaus mitzuhalten. Mit seinen langen Beinen machte er schlichtweg viel größere Schritte als sie selbst. Sie prallte gegen ihn, als er plötzlich stehen blieb. Anscheinend hatten sie ihr Ziel erreicht.Sie hob den Kopf um zu sehne wo sie waren.
Sie standen vor einem prachtvollen Palais, dessen Mittelbau von Säulenreihen gesäumt war, die sich an den Seitenflügeln harmonisch weiterführten. Das Dach wurde von Steinbalustraden und zahlreichen Skulpturen geschmückt. Es war größer als die umliegenden Häuser und schien mehr Palast denn Palais zu sein.
Bewundernd riss sie die blauen Augen auf. Es war wunderschön! Wie verzaubert trat sie an das schwarze Tor. Als sie sich dagegen lehnte öffnete es sich mit einem leisen Klicken. Sie sties es auf und trat vorsichtig einen Schritt auf den Kiesweg. Nicolas lies sie gewähren, machte aber keinerlei Anstalten ihr zu folgen. Angestrengt starrte er auf den Eingang des Hauses, als würde er auf ein Zeichen warten.
Was sollte das bloß? Erst schleppte er sie ohne jegliche Erklärung von zu Hause weg und dann wartete er einfach stumpfsinnig vor einem Tor! Das war doch nicht auszuhalten. Sie wäre jetzt viel lieber wieder bei ihrer Mutter. Sie überlegte schon wegzurennen, als sich das Portal des Palais öffnete, und eine Gestalt heraustrat. Sie konnte selbst aus dieser Entfernung erkennen, dass der Mann wirklich schön war. Er war groß und dunkle Haare und Augen. Geschmeidig lief er ihnen, den Schnee völlig ignorierend, entgegen. Sie ging schnell wieder zu Nikolaus. Der hatte sich immer noch nicht bewegt, nicht einmal mit der Wimper gezuckt, doch bei ihm fühlte sie sich sicherer. Der Mann, der nur noch wenige Meter von ihnen entfernt war, schien ihr viel angsteinflösender.
Als er vor ihnen stand, zog sie den Kopf ein. Er war wirklich groß. Doch anstatt sie anzugreifen, was sie als allererstes von ihm erwartet hätte, ging er vor ihr in die Hocke und lächelte freundlich. Mit einem Mal schien er nur noch halb so bedrohlich.
„Na meine Kleine? Du bist also Annabelle? Wie fändest du es, wenn wir rein gehen? Da ist es doch viel gemütlicher. Du bist ja schon ganz durchweicht!“
Verwundert sah sie den Mann an. Rein gehen? Sie war überrascht wir nett er war. Zögerlich nickte sie. Sie war sich noch nicht sicher was sie davon halten sollte. Der fremde Mann nahm ganz vorsichtig, als hätte er Angst er könnte ihr wehtun, ihre Hand und führte sie den Weg hinauf. Nicolas lies er einfach stehen.
„Ich bin übrigens Lukas.“ Er merkte wie sie sich nach Nicolas umdrehte. „Nicolas? Worauf wartest du denn. Komm mit!“ Sie sah zu dem Mann namens Lukas hoch. Er schien wirklich mächtig. Immerhin folgte ihnen Nicolas nun lautlos.
Als sie vor den Portalen des Palais stand wirkte das Haus noch eindrucksvoller auf sie. Es war wie ein wunderbarer Traum. Innen waren die Räume hell erleuchtet. Lukas führte sie direkt in den ersten Stock in einen Salon, der , wie Lukas ihr erklärte, der blaue Salon genannt wurde.
Ehrfürchtig setzte sich auf eines der mit Samt bezogenen Sessel und nahm von Lukas einen Becher an. Sie fragte sich zwar, wie er ihn so schnell hatte beschaffen konnte, doch als sie einen Schluck des noch warmen Getränks nahm, schien ihr die Frage unnötig.
„Was ist den bitte so wichtig Nicolas?“, hörte sie eine keifende Stimme aus dem Gang. Erst jetzt bemerkte sie, dass er sie nicht bis in den Raum begleitet hatte. Nun erschien er mit einer Frau. Sie konnte es nicht lassen einen bewundernden Blick auf das Kleid zu werfen, dass die Frau trug. Es war in tiefen Rot gehalten und mit lauter gelben Schleifen besetzt. An den Säumen schimmerte schwarze Spitze. Die Erscheinung der Frau selbst war jedoch noch viel schöner. Sie hatte genau wie Lukas dunkle Augen, und braune Haare, die sie zu einem Kunstwerk hochgesteckt hatte. Es war der Traum jedes Mädchens so auszusehen wie sie.
„Und?“, fragte sie ungeduldig. Sie verzog den Mund und sorgte so dafür das der Schein der Perfektion, der sie umgab, ein wenig getrübt wurde.
Nicolas verbeugte sich. „Verehrte Baroness. Dies hier ist Annabelle. Sie ist die Tochter Julias.“
Erstaunt schaute sie zu Annabelle. Diese senkte den Blick. Die Baroness ging nun auf sie zu und musterte sie eingehend.
„Das soll die Tochter Julias sein? Sie soll eine von uns sein? Ein Vampir?“ Vampir? Hatte sie richtig gehört? Aber das würde ja bedeuten......
„Nicht ganz Herrin“, fuhr Nicolas fort, „Sie ist nur zu Hälfte ein Vampir. Ihr Vater war ein Mensch.“
Erstaunt sah die Baroness ihr in die Augen.
„Ein Halbvampir?“ Sie klang sehr ungläubig.
„Ja. Doch nicht einfach ein Halbvampir. Sie hat eine Gabe. Sie ist eine Rose der Zeit.“
„Eine Rose der Zeit“, flüsterte die Baroness. Sie schaute zu ihr herunter als sei sieh ein wildes Tier im Zoo.
„Weshalb hast du sie hergebracht Nicolas?“ Annabelle richtete nun ebenfalls ihre Aufmerksamkeit auf Nikolaus. Schließlich wollte sie wissen weshalb sie überhaupt hier war.
„Also das ist so“, begann er zögernd. „Ich dachte mir, dass sie es hier bestimmt besser hat, als bei ihrer Mutter. Außerdem muss man ihr doch beibringen wie sie mit ihren Kräften umgeht. Man könnte sie doch mit Franz Leopold gemeinsam als Geschwister aufziehen. Er ist doch auch gerade Fünf Jahre alt geworden. Sie hat doch alle Merkmale einer Dracas, und immerhin ist sie das auch zur Hälfte.“ Annabelle riss die Augen auf. Sie wollten sie von ihrer Mutter trennen!
Wieder wurde sie von der Baroness begutachtet. Sie nahm ihr Gesicht und drehte es hin und her um es genauer betrachten zu können.
„Wahrlich, sie sieht aus wie eine von aus. Bloß die Augen unterscheiden sich von den unseren. Aber was macht das schon groß?“ Sie schien zu überlegen. „Ich werde mit dem Baron darüber sprechen. Rufe Franz Leopold. Er soll dafür sorgen, dass sie etwas ordentliches zum anziehen bekommt und ein Zimmer. Um den Rest kümmere ich mich später.“
Nicolas verbeugte sich ein weiteres Mal. Mit rauschenden Röcken lief die Baroness aus dem Raum und lies die verschreckte Annabelle zurück.
Ihr liefen die Tränen über die Wangen. Sie wollte nicht hierbleiben. Sie wollte zurück zu ihrer Mutter. Da wo sie hingehörte!
„Ach wein doch nicht meine Kleine! Du solltest dich freuen! Hier wird es dir viel besser gehen als vorher. Und mir Franz Leopold wirst du dich bestimmt auch verstehen. Du wirst sehen. Schon bald wirst du keinen Gedanken an dein altes Leben verschwenden.“ Annabelle wollte Lukas Worte nicht glauben. Trotzdem wischte sie sich die Tränen weg und versuchte tapfer Neue zu unterdrücken.
Sie brauchten nicht lange zu warten, dann kam Franz Leopold auch schon. Auch er war sehr schön, auch wenn sie fand, dass er in dem Frack ein wenig lächerlich aussah. Sie fand ihn einfach noch zu jung dafür.
Sie sahen sich stumm an. Sie dachten wohl gerade das selbe: Und wir sollen Geschwister werden?
„Komm mit“, sagte er. Nicht grob. Aber auch nicht sehr freundlich. Stumm folgte sie ihm durch die vielen Gänge. An einer goldbeschlagenen Tür hielten sie an.
„So das hier ist dein Zimmer.“ Er öffnete die Tür und trat ein. Was sie dort erblickte war einfach unglaublich. Das Zimmer, dass von nun an ihr gehören sollten, sah aus wie das einer Prinzessin! Es stand ein riesiges Himmelbett darin, ein Schreibtisch und ein langer Schrank. Jauchzend lies sie sich auf die Matratze ihres Bettes fallen.
„Pass auf! Das Kleid“, rief Franz Leopold. Erschrocken sprang sie auf. Auf dem Kleid hatte ein blaues Kleid gelegen.
„Entschuldigung“, murmelte sie verlegen. Das hatte sie nicht gewollt.
„Macht doch nichts“, sagte er leichthin. Er schien doch netter zu sein, als sie gedacht hätte.
„Jetzt zieh aber erst mal den nassen Kram aus und das Kleid an.“ Er half ihr sich erst aus Mantel und Kleid zu schälen und dann dass Neue anzuziehen. Sie hätte nicht gedacht wie kompliziert es sein konnte ein Kleid anzuziehen. Als sie fertig waren, verstanden sie sich schon viel besser.
Annabelle dachte erst gar nicht daran nach einem Spiegel zu fragen. Sie konnte sich sowieso kaum darin erkennen.
Sie versuchte sich auf ihr Bett zu setzten, wobei schlagartig ihre Röcke nach oben klappten. Franz Leopold fing schallend zu lachen an. Als er sich wieder beruhigt hatte half ihr er ihr dabei alles wieder zu richten und setzte sich neben sie.
„So und wie hast du vor zu heißen?“
„Was?“ Sie hieß doch Annabelle! Wie sollte sie denn sonst heißen? War irgendetwas mit dem Namen nicht in Ordnung?
„Na ja, einfach nur Annabelle? Keinen Zweitnamen?“ Sie überlegte. Ein Zweitname wäre ja eigentlich gar keine schlechte Idee. Aber wie sollte sie sich nur nennen? Ihr vielen die Worte der Baroness wieder ein. Eine Rose der Zeit.
„Wie wäre es mit Rosalie?“
„Annabelle Rosalie de Dracas. Ja. Hört sich gar nicht schlecht an.“
„Also abgemacht! Ab sofort bin ich Annabelle Rosalie de Dracas!“, rief sie feierlich und fing an ihr neues Leben zu mögen.

Der Palais am Kurpark


Es waren gerade erst die letzten Sonnenstrahlen am Horizont verschwunden, als Annabelle die Augen aufschlug. Gähnend erhob sie sich und schlug die schweren Decken von sich.
Sie hörte das vertraute Klicken ihrer Tür, dass ihr verriet, dass Erika kam. Erika war ihre Servientin, die ihr seit ihrem 5 Lebensjahr diente. Im Gegensatz zu ihr selbst veränderte Erika nicht, sonder blieb für immer so wie an dem Tag an dem sie zu einem Vampir wurde. Sie hatte sich über all die Jahre an ihre hellen Haare und die blauen Augen gewöhnt, die in diesem Haus so eine Rarität waren. Sie mochte Erika sehr.
„Einen schönen Abend wünsche ich dir.“
„Ihnen auch.“ Das sie immer so förmlich sein musste! Wartend stellte sie sich vor ihren großen Kleiderschrank und besah die Kleider die ihr Erika zeigte. Sie entschloss sich für ein grünes Kleid mit weitem Reifrock und bestickten Ärmeln. Lächelnd dachte sie daran, welche Probleme sie damals noch mit dieser Art von Kleidern gehabt hatte, als sie sich von Erika beim Anziehen helfen lies.
Als sie dies hinter sich hatte, lief sie in die ehemalige Küche, die nun nur noch dafür benutzt wurde, den Erben ihr alltägliches Blut zu reichen. Als sie dort ankam, wurde ihr wortlos ein Becher von einem Servienten in Uniform gereicht. Schnell stürzte sie den Inhalt herunter. Selbst als Halbvampir quälte sie jeden Abend der Blutdurst und sie war froh, wenn sie das unangenehme Stechen in Unterkiefer beseitigt hatte. Sie wusste das sie den Hunger nicht so empfand wie die restlichen Vampire, doch sie war froh darüber.
Obwohl sie eigentlich nie viel Zeit in der Küche zubrachte, lehnte sie sich an eine Anrichte und verschränkte die Arme um eine einigermaßen angenehme Stellung zum Warten zu haben.
Zu ihrem Glück lies ihr Bruder nicht lange auf sich warten und kam kurze Zeit nach ihr in die Küche gelaufen.
„Morgen! Hast du auch schön geschlafen?“
„Ha, ha, sehr witzig“, gab sie zurück. Als würde sie während ihrer Todes starre irgendetwas spüren. Sie sah ihm zu wie er seinen Becher austrank. Obwohl allen Dracas eine gewisse Schönheit anhaftete, war Franz Leopold besonders schön. Sie würde sagen, sogar der schönste aller Dracas.
Er hatte einen ebenmäßigen Wuchs und edel Gesichtszüge. Seine Haare und Augen waren von einem hellen Braun. Dem gleichen Braun das auch ihre Haare besaßen. Das einzige was seinen Anblick ein wenig trübte, war wenn er sein verächtliches Lächeln aufsetzte, was Annabelles Meinung nach viel zu oft passierte. Doch in Momenten wie diesen, in denen sie sich freudig anlächelten, schien er förmlich zu strahlen.
„Pass doch auf!“, hörten sie eine keifende Stimme aus dem Gang. Ihre Cousine Anna Christina nahte.
„Komm, Bruderherz. Lass uns verschwinden, bevor unsere geliebte Cousine uns noch verspeist!“ Gemeinsam liefen sie zurück ins erste Stockwerk. Annabelle wusste, dass Franz Leopold nicht ihr leiblicher Bruder war. Doch sie hatten acht Jahre als Geschwister gelebt. Da fühlten sie sich einfach als solche. Das erste was ihr hier beigebracht wurde, war, dass wenn sie irgendjemand fragen sollte, sich als Zwillinge ausgeben sollten. Das war nie schwer umzusetzen gewesen. Das einzige was dabei immer gestört hatte, war die Farbe ihrer Augen, denn im Gegensatz zu allen anderen Dracas waren ihre von einem hellen Blau.
Sie kamen nicht weit. „Mein Herr!“ Sie drehten sich um und erblickten Matthias, den Schatten von Franz Leopold.
„Was ist?“ Wie immer, wenn er mit seinem Servienten sprach, klang Franz Leopold unglaublich überheblich. Das war in diesem Haus aber keine Ungewöhnlichkeit.
„Baron Maximilian wünscht alle Erben im blauen Salon zu sehen. Es soll etwas wichtiges zu besprechen geben.“
„Schon wieder? Hatten wir nicht erst letzte Woche ein Fest?“
„Vielleicht geht es auch gar nicht um ein neues Fest im Palais. Sie waren doch jetzt verreist. Vielleicht ist dabei etwas passiert?“, warf sie ein.
„Schon möglich“, gab er zu.
„Na also, geht doch. Und jetzt komm, du weißt doch wie der Baron auf Verspätungen reagiert.“ Mit einem Lächeln reichte er ihr den Arm. Zusammen schlenderten sie zum blauen Saloon, ihre Schatten immer ein paar Schritte hinter sich. Es wunderte Annabelle nicht, dass Erika so plötzlich aufgetaucht war. Sie war schnell.
„Aber eins ist sicher, Schwesterherz. Egal was auch der Grund für diese Besprechung sein wird, der Baron wird bestimmt wieder...“
„Eine unglaublich langweilige Rede ansetzten, die uns, würde unser Herz noch schlagen, sicher zu Tode langweilen würde!“ Sie begannen zu lachen. Es kam in letzter Zeit öfter vor, dass sie ihre Sätze ergänzten.
Ihnen schwand ihre gute Laune, als sie sahen,wer ihnen entgegen kam.
Obwohl Annabelle mit ihren beiden Cousinen und ihrem Vetter Karl Philipp aufgewachsen war, und sich eigentlich gut mit ihnen verstand, hatte sie schon lange damit aufgehört in ihrer Anwesenheit zu lachen.
Anna Christina war wie alle Dracas eine wahre Schönheit. Sie war mit ihren 16 Jahren die Älteste der Erben. Trotzdem war sie nur einen halben Kopf größer als Annabelle. Ihre Größe beeinträchtigte jedoch nicht ihre kreischende Stimme, wenn etwas nicht zu ihrer Zufriedenheit war. In den wenigen Momenten, in denen sie glücklich war, war sie eine beeindruckende Persönlichkeit mit der sie gerne Zeit verbrachte.
Karl Philipp war zwar ein Jahr älter als sie und ihr Bruder, jedoch in allem nur ein schwacher Abklatsch von Franz Leopold. Er nutzte seine Kräfte gerne gegenüber Schwächeren, und Annabelle war froh nicht mehr zu dieser Gruppe zu gehören.
Auch Marie Luise besaß die dunkle Lockenpracht und die braunen Augen die jeder weiblichen Dracas zu eigen waren. Leider war das einzige was sie wirklich konnte, ihrer älteren Cousine alles gleichzutun. Sie war wie ein nerviger Papagei. Zudem war sie die einzige, die Annabelle nicht akzeptierte, Sie machte ihr immer wieder bewusst, dass sie keine vollwertige Dracas war.Ob sie wirklich Cousinen und Cousins waren, konnte niemand sagen. Man nannte sie so, da sie auf jeden Fall mit einander verwandt sein mussten.
„Warum haben sie uns denn gerufen? Was soll den bitte so wichtig sein?“, fragte Karl Philipp genervt. Was war dem denn über die Leber gelaufen, dachte sie sich leicht amüsiert.
„Und warum lassen sie uns noch nicht rein?“, meckerte Marie Luise. Konnte sie nicht einmal eine Minute schaffen zu warten. Alle Anderen konnten es ja auch.
Ein Schmerz durchzuckte ihren Kopf.Ihre Umgebung verschwand vor ihren Augen und wich einer einzigen Zahl. Ihr Blick klarte wieder auf. Sie begann laut zu zählen.
„5, 4, 3, 2, 1, 0.“ Die Tür öffnete sich und ein Gesicht lugte hervor.
„Sie dürfen nun eintreten.“ Mit spöttischem Blick in Richtung ihrer Cousine, ging sie mit hoch erhobenen Kopf in den Salon.
Im Laufe der Jahre hatte sie gelernt mit ihrer Gabe, so nannten es zu mindestens die alle Anderen, umzugehen. Leider wusste sie nie, in welcher Form, geschweige denn wann sich diese äußerte. Es konnte ein Bild sein, wie eben, dass sie deuten musste oder gar eine ganze Szene die sich vor ihrem inneren Auge abspielte. Der einzige Nachtteil war, dass sie in diesen Momenten völlig ungeschützt war. Annabelle wünschte sich sehnsüchtigst, das ihr das nicht einmal zum Verhängnis werden würde.
Im Salon wurden sie bereits von Baron Maximilian und Baroness Antonia erwartet. Alle beeilten sich schleunigst in eine Reihe zu stellen und einigermaßen interessiert zu wirken. Das hatte sich bei den Geschwistern schon immer bewährt. Doch Annabelle hatte das durchdringende Gefühl, dass es diesmal absolut nicht um einen weiteres Fest im Palais Coburg ging. Die beiden hatten bei solchen immer ein feierliches Gesicht aufgesetzt gehabt. Nun schien die Baroness ziemlich gequält und der Baron ziemlich mürrisch. Da war doch was im Busch.
„Ich freue mich, dass ihr so schnell kommen konntet“, begann der Baron seine Rede.
„Denn ab dem heutigen Tag wird sich euer und unser aller Leben sehr verändern, da wir mit den andern Vampirclans Frieden geschlossen haben!“
„Was?!“, riefen sie alle wie aus einem Mund. Das war noch nie vorgekommen.
„Weshalb haben sie das gemacht? Das ist doch völliger Schwachsinn!“, rief Karl Philipp erbost. Sofort verzog er schmerzerfüllt das Gesicht. Die Dracas wussten wie man jemanden bestrafte.
„Denkst du mir ist diese Entscheidung leicht gefallen? Doch ich habe entschieden, dass es so besser ist. Das ist auch der Grund, weshalb ihr mit den anderen erben der Clans eine Akademie für junge Vampire besuchen werdet!“
„Das kann doch nicht ihr Ernst sein!“, rief nun Franz Leopold.
„So etwas können sie uns nicht antun!“, gab Anna Christina dazu.
„Das ist unserer nicht würdig!“, setzte Marie Luise noch einen drauf. Annabelle schwieg. Für sie schien das alles vollkommen unwirklich.
„An meiner Entscheidung gibt es nichts zu rütteln!“, sagte der Baron entschlossen. „Solange ihr noch kein vollwertiges Mitglied des Clans seid, werdet ihr an jedem Akademiejahr teilnehmen. Und nun geht, packt eure Sachen. Wir werden Morgen mit dem Zug nach Rom aufbrechen!“ Mit diesen Worten drehte er sich um und verschwand durch eine Tür hinter ihm. Seine Schwester folgte ihm wortlos.
Sie hörte, wie sich die Anderen aus dem Raum bewegten. Ihr ärgerliches Gemurmel schien ihr meilenweit entfernt. Sie spürte eine Hand auf ihrer Schulter. Erstaunt wendete sie den Kopf.
„Lukas!“, rief sie freudig. Mit einem schelmischen Lächeln blickte er auf sie herab. Seit dem Tag vor 8 Jahren hatte sie sich gut verstanden. Er war nicht wie die anderen Dracas. Er war so viel lebensfreudiger. Erst Später hatte sie erfahren, dass er der Sohn des damaligen Clanführers gewesen war. Baron Maximilian war erst seit drei Jahren an der Macht.

„Na, so geschockt?“
„Nein, nein. Keine Sorge.“ Sie schüttelte den Kopf um wieder völlig klar zu werden. „Es ist bloß so unglaublich! Wir werden wirklich mit Erben der anderen Clans auf eine Akademie gehen? Und das auch noch in Rom?“ Erst als sie es selbst aussprach bemerkte sie wie fantastisch es klang.“
„Ja, das werdet ihr.“
„Du Lukas?“
„Hmmhh?“
„Kannst du mir etwas über die Clans erzählen? Außer der Tatsache, dass sie existieren, weiß ich nämlich überhaupt nichts über sie.“
„Ja, meine Kleine, das kann ich. Setzt dich. Ich werde das Ganze für dich ein bisschen verkürzen. Du hast ja noch zu packen und ich weiß ja wie schwer es dir fällt dich zu entscheiden.“ Sie sah auf den Boden. Das war eben das Problem wenn man sich so lange kannte.
„Na komm!“, meinte Lukas amüsiert. Sie folgte ihm zu einer Gruppe Stühlen, setzte sich und sah ihn gespannt an.
„Insgesamt gibt es 6 Clans. Die Vamalia aus Hamburg, die Vyrad aus London, die Pyras aus Paris, die Lycaner aus Irland, die Nosferas aus Rom und Wir. Die Dracas aus Wien. Jeder Clan besitzt eine besondere magische Fähigkeit. Wir zum Beispiel sind in der Lage die Gedanken anderer Lebewesen zu lesen und zu kontrollieren. Ob sie wirklich alle Kräfte besitzen, kann ich dir nicht sagen. Mir und den Vampiren vor euch wurde beigebracht, dass alle anderen Clans böse sind. Ich wette, dass ist auch bei den anderen Clans passiert. Eigentlich ist es unbegründeter Hass, den wir nun beigelegt haben. Den Geschichten die die Altehrwürdigen erzählen, darfst du nicht glauben. Verhalte dich gegenüber den Erben genauso wie du möchtest dass sie dich behandeln. Versuche Freunde zu gewinnen. Mehr kann ich dir nicht raten.“ Annabelle verzog das Gesicht. Das hörte sich nicht gerade leicht an. Lukas begann zu lachen.
„Mach doch nicht so ein Gesicht! Du wirst sehen, dass ist alles viel einfacher als es sich anhört.“ Sie war sich da nicht so sicher. Trotzdem bedankte sie sich bei ihm und lief schleunigst in ihr Zimmer. Denn was die Sache mit dem Packen anging, hatte Lukas recht.
Als sie eintrat war Erika schon anwesend. Manchmal machte Annabelle das eifersüchtig, dass sie es schaffte immer zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein.
„Was wünschen sie mitzunehmen Herrin?“ Sie lies sich aufs Bett fallen.
„Genau das weiß ich doch nicht!“, maulte sie. Seufzend setzte sie sich wieder auf.
„Wie viel Platzt zum verstauen habe ich denn?“

*
Nach 2 Stunden hatte sie es geschafft sich zu entscheiden, was sie als Gepäck alles mitnehmen wollte. Erika verstaute gerade die letzten Kleidungsstücke, als jemand an ihre Tür klopfte.
„Herein!“ Sie war erstaunt die Baroness eintreten zu sehen.
„Baroness Antonia!“ Artig knickte sie. „Was kann ich für sie tun?“
„Erika. Lass uns bitte allein.“ Die Servientin ging schweigend aus dem Raum. Was sollte das? Was konnte so wichtig sein, dass sie nicht vor Erika darüber reden konnten?
„Setze dich.“, forderte sie die Baroness auf. Immer noch verwirrt setzte sie sich an auf den Stuhl an ihrem Schreibtisch. Die Baroness selbst blieb stehen.
„Ich muss mit dir dringend über die Akademie sprechen.“ Was? Nun war sie vollends verwirrt.
„Marie Luise hat mich auf die Probleme, die durch deine Anwesenheit entstehen könnten, angesprochen. Immerhin ist die Akademie für die Erben reinen Blutes gedacht, zu denen du ja nur zur Hälfte gehörst.“ Sie zeigte keine Reaktion, doch innerlich kochte sie. Dieses Miststück! Wenn sie wegen ihr als einzige hier bleiben müsste, würde sie dafür büßen müssen!
„Weshalb ich für dich ein paar extra Regeln geltend mache. Niemand darf bemerken, dass du anders bist als die Anderen! Verstanden?“ Sie nickte. Da hatte Marie Luise noch mal Glück gehabt! Sie fragte sich wie man mit 12 Jahren so nervtötend sein konnte.
„Du darfst nicht erröten, nicht weinen, keine Mahlzeit versäumen, nichts anderes außer Blut zu dir nehmen und nicht länger auf bleiben, als das die Sonne am Horizont erscheint. Und auf gar keinen Fall, darf jemand etwas von deiner Gabe erfahren!“ Sie ging alle Punkte noch einmal in Kopf durch und nickte abermals.
„Ich habe mit Franz Leopold gesprochen. Er wird dich dabei so gut wie nur möglich unterstützen. Nicht vergessen, ihr seid ein Zwillingspaar. Niemand darf etwas anderes glauben! Doch dir muss klar sein, sobald jemand erfährt wer du in Wirklichkeit bist, kannst du nicht mehr auf die Akademie gehen.“
„Verstanden.“ Die Baroness seufzte.
„Das hoffe ich. Falls diese Sache auffliegt wirft das ein schlechtes Licht auf den ganzen Clan!“ Sie seufzte erneut und lies sie alleine zurück. Verdutzt sah ihr Annabelle nach. Das würde ein spannendes Jahr werden!
Sie dachte noch einmal an das Kommende. Ab Morgen würde sich ihr Leben völlig verändern.Sie würde immer auf der Hut sein müssen und konnte niemanden außer ihrer Familie völlig vertrauen. Und dann auch noch Unterricht! Sie würde viel zu tun haben. Ob sie auch in den magischen Fähigkeiten des Clans unterrichtet werden würden? Annabelle glaubte sich erinnern zu können, das die Nosferas in Rom zu Hause waren. Wie es dort wohl sein würde?
Und Heute war auch ihr letzter Tag in Wien, überlegte sie sich. Den musste sie doch eigentlich noch für etwas Schönes nutzen!
Entschlossen stand sie auf und lief den Gang hinunter zum Zimmer ihre Bruders. Ohne anzuklopfen trat sie ein. Innen erblickte sie Franz Leopold, der es sich in einem Stuhl gemütlich gemacht hatte, und ein Buch las. Als er sie bemerkte, sah er sie nur fragend an.
„Leg das Buch weg Leo! Wir werden uns jetzt amüsieren gehen! Heute is doch unser letzter Tag in Wien. Den sollten wir noch einmal ausnutzen, bevor wir für ein Jahr in Rom festsitzen!“ Bei dem Klang seines Spitznamens begann er zu lächeln. Als sie noch kleiner gewesen waren, hatte sie damit angefangen ihn so zu nennen, da sie Franz Leopold einfach für zu lang gehalten hatte. Er nannte sie ja auch nur Anna.
„Na gut. Damit wir noch etwas Kultur genießen können, bevor wir mit lauter Tölpeln die Schulbank drücken müssen.“
In völligem Einklang liefen sie nebeneinander die Korridore entlang und schwebten die Treppe herunter. Sie trugen beide ein Lächeln auf den Lippen, als sie durch das Portal schritten. Hinaus in die laue Sommernacht!

Die Reise nach Rom


Als sie erwachte, wurde sie von Dunkelheit umhüllt. Sie brauchte einen Moment um sich wieder daran zu errinern wo sie war. Sie fuhr mit den Finger über das Holz, dass sie umgab. Ja es stimmte. Sie waren im Zug nach Rom. Sie spürte das Rattern der Räder, dass sie schon letzte Nacht so gelangweilt hatte.
Tief sog sie die Luft ein, um etwas über ihre Umgebung zu erfahren. Die Luft war kalt und klar. Sie roch Zedern und Harz. Sie schienen schon beim Gebirgspass zu sein.
Sie versuchte sich die Landschaft im Geiste zu malen, doch es misslang. Wie sehr sie jetzt doch die Nacht in einem Abteil des Personenzuges verbringen würde.
Eine Idee formte sich in ihrem Kopf. Ob sie es wagen sollte?
Sie tastete mit ihrem Geist nach ihrer Familie. Sie stellte zufrieden fest das alles wie vorher war. Sie dachte daran, wie eine Kurve sie am gestrigen Tag von ihrer Familie getrennt hatte. Sie w war einfach ans andere Ende des Wagons gerutscht. Wer hätte gedacht, dass dieser kleine Faux Pas ihr Heute nützlich sein würde?
Sie überprüfte die den Deckel mit dem Rest der Kiste verbanden. Das könnte klappen! Mit aller kraft zog sie das Knie an und drückte es gegen den Deckel. Etwas unterhalb der Mitte begannen sich ein paar Nägel zu lockern. Sie drückte noch einmal mit den Händen und den Füßen gegen das Holz, dann waren alle Nägel gelockert. Mit dem Absatz ihres Schuhes hebelt sie nun ein paar Nägel an den wichtigsten Stellen heraus. Wie froh war sie, dass sie ihre stabilen Schuhe angezogen hatte. Sie leisteten wirklich gute Dienste.
Sie stemmte den Deckel hoch und legte ihn Boden. vorsichtig darauf bedacht kein Geräusch zu verursachen. Vampire hatten gute Ohren!
Bevor sie aus ihrer Kiste stieg zog sie noch ihre so praktischen Schuhe aus. Sie waren viel zu laut. Barfuß, ihre Schuhe in der Hand haltend, lief sie zu der Tür, die das Gepäckabteill vom Personenzug trennte. Bis hier war es einfach gewesen.
Sie überlegte. Es gab 2 Tatsachen denen sie sich bewusst war. Zum einen, dass es fast unmöglich war, die massive Eisentür lautlos zu öffnen. Zum anderen, dass außen, auf der Übergangsbrücke ein Tosenden Wind herschte. Sollte sie es also wirklich wagen? Sie konnte immer noch zurückgehen.
Aber sie würde sich nicht davon abhalten lassen, dass sie erwischt werden könnte. Was sollte denn groß passieren, wenn man sie bemerkte? Eine Dracas gibt ihre Ziele nicht so einfach auf!
Entschlossen zog sie die Tür, schlüpfte in Windeseile durch und zog sie wieder zu. Der Wind draußen war bombastisch! Er zog an ihrem Kleid und an ihrer so kunstvoll,hochgesteckten Frisur. Er gab ihr das Gefühl zu Leben! Doch sie wollte keine Zeit verlieren. Schnell durchquerte sie auch die andere Tür. Als die Tür sich schloss, stockte sie.
Die Luft war erfüllt vom süßen Duft menschlichen Blutes. Sie hielt die Luft an. Im Gegensatz zu vollwertigen Vampiren, konnte sie zwar nicht einfach aufhören zu atmen, aber sie konnte die Luft knappe 10 Minuten anhalten. Für einen Menschen völlig unmöglich.
Mit hocherhobenen Kopf schritt sie durch den Gang, und versuchte erst gar nicht die Person auszumachen, die sich verletzt hatte. Die bewundernden Blicke der Fahrgäste halfen ihre dabei. Am Ende des Wagons fand sie ein leeres Abteil, in dessen Lederbänke sie sich fallen lies. Verträumt blickte sie aus dem Fenster. Es war eine wunderschöne Gebirgslandschaft mit lauter Bäumen. Sogar ein paar Gämsen konnte sie in der Ferne ausmachen. Es war wie ein Traum, auch wenn sie es als befremdlich empfand, den vielen Schnee zu sehen, wenn sie doch wusste, dass es Sommer war.
Sie hörte das Zufallen einer schweren Tür. Eine weitere Person nahte vom Gepäckwagen. Alles wurde dunkel, als sie in einen Tunnel fuhren. Ein paar Leute schrien auf. Annabelle blieb ruhig. Sie konnte immer noch genug sehen. Sie hörte Schritte näher kommen. ihr kleiner Ausflug würde wohl doch schneller zu Ende gehen, als gedacht.
Mit dem Verlassen des Tunnels, trat Erika ein. Sie setzte sich ihr gegenüber und sah sie an.
„Herrin.“
„Erika“ Sie versuchte es so lange wie möglich heraus zu zögern.
„Wenn ihr nun zurückkehrt, droht euch keine Strafe. Es ist doch auch nicht mehr für lange Zeit. In ein paar Stunden erreichen wir Rom!“ Annabelle schaute noch einmal nach draußen. Die Umgebung begann sich zu verändern. Es begann flacher zu werden und der Schnee nahm auch ab. Sie könnte recht haben. Sie seufzte.
„Meinetwegen.“ Sie folgte Erika zurück in den Frachtraum.Dort steckte sie ihr noch einmal die Frisur auf und schickte sie wieder in ihre Kiste. Mit der Bitte sich nicht wieder nach draußen zu begeben, schloss Erika den Deckel.
Die nächsten Stunden kamen Annabelle wie eine Ewigkeit vor. Sie langweilte sich fürchterlich in ihrer Kiste. Die ganze Fahrt über spielte sie mit dem Gedanken wieder nach draußen zu gehen. Doch sie hatte aus dem einen Ausflug gelernt.
Als sie endlich in den Bahnhof einrollten, hätte sie fast gejubelt.
Doch sie hatte sich zu früh gefreut. Selbst nachdem alle Passagiere ausgestiegen waren und das Gepäck entladen wurde, durften sie ihre Kisten noch nicht verlassen. Sie sie wurden auf Kutschen verladen und als die Pferde antrabten, schnaubte sie wütend. Wieso wurden sie weiter wie ein Stück Gepäck transportiert. Sie sollte nun in der Kutsche sitzen und sich bis zum Sitz der Nosferas so fortbewegen wie es einer Dracas würdig ist!
Als sie auf den Boden abgesetzt wurde, fing sie an mit ihren Fingernägeln auf dem Holz zu trippeln. Sie wollte endlich hier raus! Doch auch nun durften sie ihr kleines Gefängnis nicht verlassen. Sie wurden wieder hochgehoben.
Annabelle spürte wie sie nach unten transportiert wurden. Die Luft begann muffig zu werden. Die Nosferas schienen in einem Gebäude unter der Erde zu wohnen. Etwa in einer Krypta?
„Na endlich!“, stöhnte sie, als ihr Deckel hochgehoben wurde und Erika ihr beim Aussteigen half. Sie sah sich um. Sie standen in einem steinernen Gang. Die Erklärung mit der Krypta schien ihr nun sehr wahrscheinlich. Sie hoffte, dass es hier noch etwas anderes als diese Gänge hier gab.
Ihre Familie war ebenfalls aus ihren Särgen gestiegen. Allen wurde von ihren Schatten die Kleidung wieder gerichtet.
„Na? Ist dein kleiner Ausflug schön gewesen?“, fragte Franz Leopold neckisch. Es war also nicht nur Erika aufgefallen, dass sie verschwunden war.
Zusammen schritten sie den Gang entlang. Woher der Baron und die Baroness wussten wohin sie gehen mussten war ihr nicht bewusst. Nach kurzer Zeit sah sie ein Licht. Der Ausgang war in Sicht. mit gewisser Aufregung sah sie dem Ende des Gangs entgegen. Sie wusste wenn sie dort hindurchgetreten war, würde sich alles ändern. Hier und jetzt konnte sie immer noch nach Wien gehen. Sie bräuchte niemanden etwas vorzuspielen. Konnte sie selbst sein. Doch sie wusste dass das Quatsch war. Wollte sie etwas sehen, wie die anderen mit lauter neuen Kräften und tollen Erzählungen sie jedes Jahr für ein paar Wochen wieder besuchten? Sicher nicht!
Sie atmete noch einmal tief durch. Dann trat sie in das Gold des Lichtes.

Die Domus Aurea


Ganz im Gegensatz zu den steinernen Gängen mutete die goldene Halle an. Alle ihre acht Wände waren voller goldener Verzierungen und Emblemen. Innerlich staunte sie ein wenig. Dies schien den Dracas schon eher eine angemessene Unterkunft zu sein.
Begrüßt wurden sie von ein paar Altehrwürdigen und dem Clanführer, der sich als Conte Claudio vorstellte. Sie bemerkte schnell, dass das durchdringenste Merkmal dieses Clans ihre Korpulentheit zu sein schien. Annabelle fragte sich wie man als Vampir so unansehnlich sein konnte.
Der Reihe nach verbeugten oder knicksten sie vor dem Clanführer. Franz Leopold war jedoch der einzige der die Geistesgegenwart besaß sich vorzustellen. Sie brauchte nicht die Gedanken der Nosferas zu lesen um zu wissen was sie dachten. Ein charmanter, wunderhübscher Vampir mit ausgezeichneten Manieren.
Ein Aufstöhnen lies sie aus ihren Gedanken aufschrecken. Sie richtete den Blick in die Richtung aus der sie das Geräusch vernommen hatte und erblickte zwei junge Vampire. Sie schienen in ihrem Alter und wiesen sich anhand ihrer beleibten Körper als Nosferas aus. Das Mädchen schaffte es jedoch jedes ihrer Pfunde vorteilhaft zur Geltung zu bringen. Sie war es warscheinlich auch gewesen die so unsittlich aufgestöhnt hatte. Mindestens traute sie dem Jungen an ihrer Seite diese Tat nicht zu. Und Annabelle blieb nicht lange verborgen was das Mädchen zu diesem Fauxpas getrieben hatte. Ihre verzückten Blicke die sie Franz Leopold zu warf sagten mehr als 1000 Worte. Annabelle konnte sie jedoch gut verstehen. Der Junge neben ihr warf ihrem Bruder neidvolle Blicke zu. Auch ihn konnte sie verstehen. Sein kurzes, wild abstehendes Haar und sein dicker Bauch liesen ihn nicht gerade sehr ansehnlich wirken.
Die beiden fremden Vampire unterhielten sich kurz, dann drückte der Junge entschlossen die Schultern durch und kam mit ausgestreckter Hand auf sie zu. Oder eher gesagt auf ihren Bruder. Erst jetzt bemerkte sie, dass er sich etwas abseits von ihnen stand.
„Sei gegrüßt Franz Leopold mein Name ist Luciano und das ist Chiara. Willkommen in...“ Er verstummte. Leo hatte sich zu ihnen umgedreht. An dem Gesicht des Jungen, diesem Luciano, erkannte sie den Grund für sein Verstummen. Leo’s perfekte Miene der Abscheu.
„Bei allen Dämonen, seid ihr denn alle so hässlich und fett? Ihr scheint wohl nichts anderes zu tun alls zu fressen? Kein Wunder, dass man sagt die ewige Stadt sei schon längst untergegangen! Weshalb der Rat wohl beschlossen hat euch vor dem Untergang zu bewahren? Ob sich das lohnt?“ Annabelle hob eine Augenbraue. Noch direkter hätte er es ja wirklich nicht sagen können.
Franz Leopold schaute kurz zum Baron und richtete dann seinen Blick wieder auf den armen Jungen. Sie wusste was er vorhatte. Er wollte Luciano den Rest geben, indem er ihn mit seinen eigenen Gedanken blamierte. Wollte er es wirklich so auf die Spitze treiben? Sie waren keine Stunde hier und schon musste er sich Feinde schaffen! Hatten sie nicht gerade erst das Kriegsbeil begraben? Dachte er überhaupt daran, dass sich sein Verhalten schlecht auf das Ansehen aller Dracas auswirkte?
Leo wollte schon mit seinen Beschimpfungen anfangen, als sie auf die Beiden zu lief. Sie versuchte so freundlich wie möglich zu wirken.
„Hallo! Du bist doch Luciano, richtig? Ich bin Annabelle Rosalie de Dracas. Aber Annabelle reicht völlig. Freut mich dich kennen zu lernen!“ Perplex sahen sie die Jungen an.
Sie konnte in den Gedanken des Römers die Bewunderung ihr gegenüber lesen. Er brauchte einen Moment bis er sich vor ihr Verbeugte und einen Kuss auf ihre Hand hauchte. Er wirkte dabei recht plump und sie konnte es nicht unterdrücken Mitleid für ihn zu empfinden.
„Die Freude liegt ganz auf meiner Seite.“ Schüchtern lächelte er sie an und Annabelle begann so etwas wie Sympathie für ihn zu empfinden. Doch auch Franz Leopold hatte seine Gedanken gelesen. Sie sah wie er das Gesicht verzog.
„Das ist je widerlich! Allein deine Gedanken beschmutzen meine arme Schwester!“ Er fasste sie am Arm und zog sie an sich, so als ob Luciano irgendeine gefährliche Kreatur wäre.
„Du solltest in nächster Zeit aufpassen was du denkst. Und ich sage dir eins. Rühre meine Schwester an und du bist ein Haufen Asche!“ Luciano zuckte zusammen. Er schien die Drohung ernst zu nehmen. Leo benahm sich wirklich wie ein Idiot! Ihn himmelten doch dauernd jemand an! Und wenn ein Junge sie einmal bewunderte, dann musste er den großen Beschützer spielen! Als würde Luciano ihr etwas antun! Und selbst wenn, könnte sie sich gut selbst wehren! Außerdem schien Luciano doch nett! Mit säuerlichem Blick zog sie ihm mit sich.
„Komm gehen wir, bevor du noch jedem männlichen Wesen in deinem Umfeld mit dem Tod drohst!“ Sie rief Luciano noch einmal über die Schulter zu: „Wir sehen uns!“
Als sie einigermaßen außer Hörweite waren begann sie ärgerlich.
„Was sollte dass denn? Wir sind gerade erst ankommen und schon musst du auf jemanden losgehen!“ Er schnaubte.
„Was heißt hier ’auf jemanden losgehen’? Außerdem, hasst du gehört was er gedacht hat?“
„Ja, habe ich! Und das gibt dir nicht das Recht ihn solche Angst einzujagen!“
„Scherst du dich etwa um die Zuneigung eines fetten, ängstlichen Nosferas?“
„Was? Nein! Wie kommst du denn auf so was? Aber ich habe keine Lust mir gleich am ersten Tag Feinde machen! Immerhin werden wir ein paar Jahre mit diesen Vampiren gemeinsam den Unterricht besuchen.“
„Ja, und das wird die reinste Tortur!“ Annabelle schwieg. Einerseits war sie ebenfalls seiner Meinung. Sie konnte sich nur schwer vorstellen, mit solchen den Unterricht zu besuchen, oder gar befreundet zu sein. Aber sie schienen gar nicht so schlecht wie sie sich vorgestellt hatte. Sie schienen eigentlich recht nett. Und etwas Irgendetwas in ihr sträubte sich dagegen sie einfach als Dreck zu behandeln. Trotzdem nickte sie.
„Ja da hast du wohl recht. Aber wir müssen eben das Beste daraus machen.“ Er lächelte. Er schien beruhigt.
„So kenne ich dich!“
„Hey ihr Beiden! Kommt rüber es gibt endlich Blut!“, rief ihnen Karl Phillip zu. So gesellten sie sich wieder zu ihrer Verwandtschaft.

_________>
Leider ist die Zeit etwas knapp, weshalb ich nicht das komplette Kapitel reinstellen kann, aber ihr bekommt den zweiten teil Morgen.
hab euch lieb!
l.g
Eure Gwyn

->->->->->->->->->->->->->->->->->->->->->->->->->->->->->->->->->


Und schon geht es weiter
Enjoy!
____________________>
Nach dem Mahl bekamen sie von einem Familienmitglied eine Führung durch die Domus Aurea. Annabelle hörte nur mit halben Ohr zu. Sie bekam zwar mit, dass dies der ehemalige Palast Neros gewesen war, doch das konnte ihre Stimmug nicht wirklich heben. Denn sie musste leider feststellen, dass nur die Zimmer der hohen Familienmitglieder und die große Halle in so prachtvollem Zustand waren. In den Teilen die die Servienten bewohnten war der Verfall besonders gut zu sehen. Doch was machte ihr das schon groß? Sie musste sich ja nicht gerade dort aufhalten.
Erst zum Ende der Führung richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihren Führer, der sie nun in den letzten Raum führte. Den Saal der Käuzchen.
„Hier, oder in den alten Galerien können sich die Schüler aufhalten, wenn gerade kein Unterricht herscht. In den Kammern rechts schlafen die Jungen, in denen links die Mädchen. Eure Diener werden mit unseren Servienten untergebracht. Heute Abend werden wir beginnen. Denkt daran, die Sonne geht bald auf.“ Es klang so, als würde er diese Ansprache jeden Tag von sich geben.
Als sie sich mit ihren Cousinen jedoch zum Schlafsaal der Mädchen aufmachte folgte er ihnen.
„Da wäre noch etwas meine Damen.“ Erstaunt drehten sie sich um.
„Was denn?“, fragte Anna Christina genervt. Falls ihn ihr Tonfall störte, zeigte er es zumindest nicht.
„Da in den Räumen eine feste, unveränderliche Anzahl an Särgen steht, und wir auf die Vorlieben aller Clans achten müssen...“
„Jetzt kommen sie schon zum Punkt!“, beschwerte sich Marie Luise.
„Also es ist so, dass wir eine der Damen bitten müssen sich von ihrer Verwandtschaft zu trennen und in einem anderen Schlafsaal zu Ruhen.“
„Wie bitte?“, riefen ihre Cousinen. Für die Beiden schien das eine Sache der Unmöglichkeit zu sein.
„Ich werde in dem anderen Saal schlafen“, seufzte Annabelle. Ihr war klar, dass zum einen keiner ihrer beiden geliebten Cousinen das über sich bringen würde, und zum anderen, wollte sie nicht schon wieder einen Streit haben.
Entsetzt sahen sie die Beiden an. Oh ja, es würde ihr herzlich wenig ausmachen weniger Zeit mit ihrer Verwandtschaft zu verbringen. Außerdem könnte sie dann auch ein paar der anderen Erben kennenlernen.
„Macht euch keine Sorge. Das geht schon in Ordnung.“
„Wenn du meinst.“ Sie verabschiedeten sich knapp und gingen dann in ihre jeweiligen Schlafsäle.
Als sie in ihr steinernes Gemach trat musste sie seufzen. An den Wänden hingen nur noch Reste der einztigen Wandbemalungen und herabrinnendes Wasser hatte weiße Kalkspuren hinterlassen. Nur die 4 Steinsärge die an der Wand standen, schienen unverwüstlich. Sie setzte sich auf den Deckel des Sarges vor dem ihr Gepäck stand. Mit wem sie sich wohl das Zimmer teilte? Wo war Erika überhaupt?
Sie suchte mit ihrem Geist die Umgebung ab und bemerkte das sich ihre Servientin schon auf dem Weg zu ihr befand. Als sie durch die Tür trat fragte sie wie gewohnt völlig monoton: „Kann ich etwas für sie tun, Herrin?“ Annabelle fragte sich wie oft sie diesen Satz wohl schon zu ihr gesagt hatte.
„Nein, danke. Im Moment nicht. Aber später wirst du mir wohl mit dem Sarg helfen müssen. Er sieht ziemlich schwer aus. Ehrlich gesagt gefällt es mir nicht wirklich mich nicht selbständig aus meinem Sarg befreien zu können.“ Erika nickte nur knapp. Sie war noch nie die gesprächigste gewesen. Das waren alle ihre Servienten nicht. So wurde es von ihnen verlangt.
Sie vernahm Geräusche aus dem Flur, die sich nach den Absätzen hoher Schuhe anhörten. Ein Mädchen mit dunklen Locken, gefolgt von ihrer Servientin kam in den Raum. Sie stutzten, als sie sich wiedererkannten. Es war die Vampirin von vorhin. Wie versteinert blieb sie stehen. Was hatte sie denn?
„Du...“, flüsterte sie. Oh. Es schien als wäre das fremde Mädchen nicht sonderlich erfreut sie zu sehen. Aber das konnte man ja vielleicht noch ändern. Wie auch schon zu ihrem Verwandten ging sie mit ausgestreckter Hand und einem Lächeln zu.
„Ich bin Annabelle. Und du heißt Chiara, richtig?“ Sie war stolz auf sich, dass sie sich den Namen des Mädchens gemerkt hatte. Diese schüttelte den Kopf als müsste sie erst wieder einen klaren Gedanken fassen.
„Ja, genau Chiara. Tut mir leid, aber ich bin überrascht wie freundlich du bist. Die anderen sind alle so überheblich und hätten mich bestimmt sofort angekeift.“ Chiara kicherte. „Ich bin froh, dass es mindestens eine nette Dracas gibt. Bei eurer Schönheit wäre das ja eine Schande!“ Sie blickte zu Boden als sie bemerkte was sie soeben von sich gegeben hatte. Annabelle lächelte herzlich. Sie war wirklich allerliebst.
„Es ehrt mich, dass du so etwas denkst.“ Versuchte sie die Situation zu retten. Chiara lächelte schwach.
„Wirklich?“ Sie wollte gerade noch etwas hinzufügen, als ein weiteres Mädchen den Raum betrat. Sie war von burschikosem Körperbau und hatte blonde Haare. Bei genauerem Hinsehen erkannte man darin sogar einen Kupferton. Das Kleid das sie trug, war von dem selben Blau wie ihre Augen und das freundliche Lächeln in ihrem offenen Gesicht machte sie Annabelle sofort sympatisch.
„Hallo ihr Beiden! Ich bin Alisa de Vamalia Schön euch kennenzulernen! So wie es aussieht sind wir wohl Zimmergenossinen.“ Es war erstaunlich wie jemand solch eine Freunde in ein paar Worte legen konnte.
„Ich bin Chiara und das ist Annabelle. Komm such dir deinen Sarg und dann lernen wir uns etwas besser kennen!“ Sie tat wie ihr geheißen. Doch Annabelle sah, wie Alisa ihnen unauffällige Blicke zuwarf. Als sich alle auf ihre Särge gesetzt hatten konnte sie es sich nicht mehr verkneifen ihre Gedanken zu lesen.
>Die Beiden sind wirklich unglaublich! Chiara sieht trotz ihres Übergewichtes fantastisch aus und diese Annabelle erst! Sie scheint mir so perfekt! Sie sie ist wie ein Engel!< Sie war überrascht solche Gedanken bei ihr vorzufinden. Alisa schien nicht so oberflächlich. Neugierig hörte sie weiter, während sie alle begannen über sich zu erzählen. >Die Beiden sind wirklich nett. Ich werde mich bestimmt gut mit ihnen verstehen. hoffentlich sind alle hier so nett< Mit einem unguten Gefühl dachte sie an ihre Familie. Sie würden den anderen Erben das Leben wirklich schwer machen. Und sie würden von ihr erwarten, dass sie genau das gleiche tat.
Im Laufe des Gespräches erfuhr Annabelle, das Alisa aus Deutschland kam und ebenfalls einen Bruder hatte. Zudem war sie sehr an menschlichen Erfindungen interessiert. Chiara hingegen liebte Mode über alles und konnte von Dramen in Operetten gar nicht genug bekommen. Sie waren alle ziemlich unterschiedlich, und trotzdem verstanden sie sich.
Annabelle dachte zurück an ihre Zeit in Wien. Nein, dort hätte sie nie gedacht dass die Vampire der anderen Clans so nett sein konnten. Noch immer fiel es ihr schwer das zu glauben.
Als die Sprache gerade auf sie kam fiel ihnen Erika ins Wort.
„Herrin, die Sonne geht bald auf. Sie sollten sich nun alle zur Ruhe legen.“ Alle gemeinsam stöhnten sie auf. Trotzdem fügten sie sich und liesen sich von ihren Servienten in ihre Särge helfen.
Alisa wollte zuerst in ihrer Kiste schlafen, da es ihr genauso missfiel sich nicht selbst aus ihrem Sarg erheben zu können, wie ihr. Aber gegen ihre Servientin kam sie nicht an.
Annabelle überlegte, ob sie nicht noch ein wenig wach bleiben sollte, wie früher auch schon. Doch sie errinerte sich wieder an die Worte der Baronesse. So übergab sie ihren Körper der Todesstarre, als die Sonne am Horizont erschien.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 18.10.2011

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für mein Paulinchen, das mich immmer so wunderbar unterstützt!

Nächste Seite
Seite 1 /