Gliederung
1. Kommunikation als Verständigungsprozeß
1.1. Ein einfaches Modell des Verständigungsprozesses
1.2. Die Eigenschaften einer Nachricht nach F. Schulz von Thun
2. Das Mißverständnis im Verständigungsprozeß
2.1. Bestimmung und Eingrenzung des Begriffs
2.2. Von den Innerungen zur Nachricht
2.2.1. Der individuelle verbale Zeichenvorrat
2.2.2. Die Selbstoffenbarungsangst
2.3. Von der Nachricht zum Abbild der Innerungen
2.3.1. Die Wahrnehmung der Nachricht
2.3.2. Die Interpretation der Nachricht
2.4. Verdeckte Mißverständnisse
3. Ausblick
1. Kommunikation als Verständigungsprozeß
1.1. Ein einfaches Modell des Verständigungsprozesses
Kommunikation im Sinne eines Verständigungsprozesses zwischen (mindestens) zwei In-dividuen wird üblicherweise und hier sehr vereinfacht als Vermittlung oder Austausch von Äußerungen oder Nachrichten verbaler und nonverbaler Art bezeichnet.
Im Rahmen von menschlicher Interaktion gelten kommunikative Prozesse als deren Grund-lage, denn „...alle Interaktionen sind durch Kommunikation vermittelt.“ (E. Schäfer 1998, S.13). Während Interaktion die zwischenmenschlichen Handlungen im Sinne von gegen-seitiger Beeinflussung meint, bedeutet Kommunikation die Übersetzung dieser Handlun-gen in Zeichen. Kommunikation und Interaktion verbinden sich an der Stelle zu kommuni-kativen Handeln, wo auf eine ausgesendete Nachricht eine Reaktion (Feedback) des Inter-aktionspartners erfolgt.
Kommunikatives Handeln erfolgt letztendlich mit der gegenseitigen Absicht der Interakti-onspartner, sich durch Austausch von Nachrichten in ihren Handlungen zu beeinflussen, d.h. z.B., „... daß eine andere Person einer Aussage zustimmt, eine Meinung übernimmt oder eine Handlung vollzieht bzw. unterläßt.“ (E. Schäfer 1998, S.15). Dieses setzt voraus, daß sich die Partner mit Hilfe verbaler und nonverbaler Zeichen gegenseitig verständlich machen können. Verständigung bedeutet hierbei, daß der Empfänger einer aus Zeichen bestehenden Nachricht auch das aus der Nachricht entnimmt, was der Versender hineinge-legt hat; der eine also genau das versteht, was der andere meint. Der Grad des gegenseiti-gen Verstehens hat somit unmittelbar Auswirkungen auf die beabsichtigten Handlungsbe-einflussungen. Dergestalt nämlich, daß eine vom Empfänger falsch oder nicht verstandene Nachricht die seitens des Senders erwartete oder beabsichtigte Handlungsbeeinflussung von vornherein nicht auslösen kann (oder höchstens nur sehr zufällig) und im Rahmen des Feedbacks dann auch umgekehrt. Das Maß des gegenseitigen Verstehens der wechselseitig vermittelten Nachrichten bestimmt die Qualität der damit verbundenen Handlungsbeein-flussungen hinsichtlich des erwarteten, geplanten und beabsichtigten Feedbacks.
Für den Bereich des Mißverständnisses – womit alle Möglichkeiten der unterschiedlichen Deutung ein und derselben Nachricht oder Äußerung durch zwei Individuen gemeint sein sollen - innerhalb der Kommunikation als Verständigungsprozess sind besonders die Ent-stehung, die Verarbeitung und die Eigenschaften einer Nachricht interessant.
Entstehung
Jede Nachricht, die von einer Person zu einer anderen übermittelt wird, ist das Ergebnis von inneren (intrapersonalen) Aktivitäten. „Kommunikation beginnt beim Subjekt und dessen Empfindungen, Gefühlen und Gedanken, die wir ... als Innerungen bezeichnen.“ (E. Schäfer 1999, S. 19) Diese Innerungen aber sind zuersteinmal nur für die eigene Person erlebbar und nachvollziehbar. Um im Sinne von kommunikativen Handeln sich gegenseitig in den Handlungen beeinflussen zu können, müssen die Interaktionspartner sich gegensei-tig ihre Innerungen im jeweiligen Kontext zugänglich machen.
D.h. eine Nachricht entsteht, indem ein Subjekt seine Gedanken, Bilder und Gefühle be-züglich des jeweils anstehenden Kontextes mit Hilfe des ihm zur Verfügung stehenden verbalen und nonverbalen Zeichenvorrates in einer Art und Weise zu übersetzen versucht, die dem Empfänger verständlich ist.
(in Anlehnung an E. Schäfer 1999, S. 20 Abbildung 2)
Verarbeitung
Im Empfänger (Subjekt 2) einer Nachricht entsteht nun anhand der übermittelten verbalen und nonverbalen Zeichen ein Bild der Innerungen von Subjekt 1, d.h. er übersetzt die emp-fangenen Zeichen zurück in Gedanken, Bilder und Gefühle. Im Rahmen von kommunika-tivem Handeln bewertet er dieses Bild anhand seiner eigenen Innerungen und schickt sei-nerseits eine Nachricht in Form des Feedbacks zurück.
Nach dem WIBR – Modell des Zuhörens von L. K. Steil verläuft dieser Vorgang in vier Phasen (vgl. E. Schäfer 1999, S.20 ff). Zuersteinmal muß er die Zeichen der Nachricht wahrnehmen (W). Dazu benötigt er selbst einen verbalen und nonverbalen Zeichenvorrat, d.h. die übermittelten Zeichen müssen ihm bekannt sein.
Im zweiten und entscheidenden Schritt übersetzt er die wahrgenommenen Zeichen für sich zurück in Gedanken, Bilder und Gefühle, was bedeutet, daß der Empfänger hier versucht zu verstehen, was Subjekt 1 eigentlich sagen will, was es meint. Er interpretiert (I) also die wahrgenommenen Zeichen von Subjekt 1 und erhält so ein Bild von dessen Innerungen.
Im dritten Schritt, der Bewertung (B), beurteilt der Empfänger der Nachricht das in ihm entstandene Bild der Innerungen von Subjekt 1, indem er es mit seinen eigenen Innerungen vergleicht. Das Resultat der Bewertung stellt letztlich die durch Kommunikation hervorge-rufene Handlungsbeeinflussung dar. Diese Handlungsbeeinflussung besteht in der Bestäti-gung oder Veränderung der Innerungen des Empfängers bezüglich des jeweiligen Kontex-tes.
Im vierten und letzten Schritt erfolgt die Reaktion (R), das Feedback in Form einer Nach-richt, welche das Ergebnis von Wahrnehmung, Interpretation und Bewertung ist.
(in Anlehnung an E. Schäfer 1999, S. 24 Abbildung 4)
Die Reaktion von Subjekt 2 (als seine in Zeichen übersetzten Innerungen) auf die Nach-richt von Subjekt 1 wird von diesem auf die selbe Art und Weise verarbeitet.
1.2. Die Eigenschaften einer Nachricht nach F. Schulz von Thun
Eine Nachricht ist wie schon beschrieben nicht nur eine an – und nebeneinander gereihte Anzahl von Zeichen, sondern stellt vielmehr den Versuch der Kommunikationspartner dar, unter Zuhilfenahme bekannter Zeichen die eigenen Innerungen dem jeweils anderen zu-gänglich zu machen. Die Nachricht übermittelt damit nicht nur den Bedeutungsgehalt der einzelnen Zeichen wie Laute oder Gesten zum Zweck der gegenseitigen Verständigung, sondern enthält mehrere verschiedene Botschaften gleichzeitig. „Dies ist eine Grundtatsa-che des Lebens, um die wir als Sender und Empfänger nicht herumkommen.“ (F. Schulz von Thun, S. 26)
1. In dem Moment, wo ein Kommunikationspartner auf welche Art auch immer seine Innerungen in Form einer Nachricht in bekannte Zeichen übersetzt, muß er wenigstens einen Teil dieser Innerungen, seiner Gedanken und Gefühle preisgeben. Andernfalls gäbe es keine Kommunikation. Das bedeutet, daß in jeder Nachricht Informationen ü-ber die Person des Senders enthalten sind. Das ist nach F. Schulz von Thun das, was ich von mir selbst kundtue – die Selbstoffenbarungsaussage.
2. Kommunikation bedeutet immer einen Prozess, an dem mindestens zwei Individuen teilnehmen, die damit in irgendeiner Beziehung zueinander stehen. Diese Beziehung aber kommt zustande und wird getragen, indem Nachrichten ausgetauscht werden. Eine Nachricht beinhaltet deshalb neben der Ich – Botschaft von 1. auch eine Du – und Wir – Botschaft. Nach Schulz von Thun sagt sie aus was ich von dir halte und wie wir zu-einander stehen – die Beziehungsaussage.
3. Kommunikatives Handeln erfolgt letztlich zum Zweck der gegenseitigen Handlungsbe-einflussung (vgl. E. Schäfer 1998, S. 14/15). Eine Nachricht muß deshalb neben Selbstoffenbarung und Beziehungsbotschaft auch irgendeine Art Aufforderung bezüg-lich des Handelns des Kommunikationspartners enthalten. F. Schulz von Thun nennt es: Wozu ich dich veranlassen möchte – die Appellaussage.
4. Letztendlich enthält eine Nachricht außerdem eine Information zur Sache selbst, zur jeweiligen Situation, zum Kontext in welchem der Kommunikationsprozess stattfindet. Worüber ich informiere – die Sachaussage. (zu 1. – 4. vgl. F. Schulz von Thun, S. 25-30)
Zeichenvorrat Subjekt2
Nachricht
Zeichenvorrat Subjekt1
Reaktion
2. Das Mißverständnis im Verständigungsprozeß
2.1. Bestimmung und Eingrenzung des Begriffs
Als Mißverständnis im Verständigungsprozeß sollen nach meiner Meinung alle Möglich-keiten der unterschiedlichen Deutung ein und derselben Nachricht durch zwei Individuen gelten.
Das beinhaltet zum ersten die Möglichkeiten der ungenügenden und irreführenden Über-setzung der Innerungen des Senders in die Form einer Nachricht, die zum Zweck der beab-sichtigten Handlungsbeeinflussung des Empfängers übermittelt wird. Hierzu sollen die Hemmnisse und Stolpersteine zählen, aufgrund deren es dem Sender nicht oder nur teil-weise gelingt seine Gedanken, Bilder und Gefühle in Zeichen so auszudrücken, wie es den eigenen Innerungen im entsprechenden Kontext eigentlich entspricht. Die Frage lautet hier: Warum übermittelt er nicht oder nur ungenau das, was er übermitteln müßte, um die beab-sichtigte Handlungsbeeinflussung beim Empfänger der Nachricht zu erreichen?
Zum zweiten beinhaltet das Mißverständnis im Verständigungsprozeß die Möglichkeiten der ungenügenden und falschen Rückübersetzung der Zeichen einer Nachricht seitens des Empfängers. Dazu zählen die Vorgänge in der Wahrnehmung und Interpretation der emp-fangenen Nachricht, welche im Empfänger ein Bild der Innerungen des Senders entstehen lassen, das dieser so nicht vermitteln wollte und letztlich durch die Bewertung zu einer unbeabsichtigten Handlungsbeeinflussung und einem unerwarteten Feedback führen. Die Frage hier: Warum entnimmt der Empfänger aus der Nachricht anderes, als der Sender eigentlich meint?
Durch kommunikatives Handeln versuchen sich die Kommunikationspartner wechselseitig in ihrem Handeln zu beeinflussen. Weil der dazu zu beschreitende Weg immer mit dem Übersetzen des inneren Erlebens der Personen verbunden ist, eröffnet sich für das Miß-verständnis ein weites Feld. Schon da es die von jedem gleich erlebte objektive Realität, an der man sich im Zweifelsfalle als dem Gradmesser und Richtmaß der Kommunikation festhalten könnte, so nicht gibt, sondern diese sich vielmehr in den Innerungen individuell widerspiegelt, treffen in der Kommunikation als Verständigungsprozeß unterschiedliche kleine subjektive Welten aufeinander. „Kommunikation funktioniert deshalb auch stets unzuverlässig; eine Tatsache die nicht behebbar ist.“ (E. Schäfer 1998, S.6)
Da Mißverständnisse also wohl allerorten und in jeder Kommunikation anzutreffen sind möchte ich das Feld versuchen einzuengen, indem alle kommunikativen Vorgänge ausge-spart bleiben sollen, in denen zum Zweck der gegenseitigen Handlungsbeeinflussung ab-sichtlich Mißverständnisse hervorgerufen werden. So z.B. durch bewußtes falsches Deuten wechselseitig empfangener Nachrichten oder anderer Prinzipien der Durchsetzungsrhetorik (vgl. F. Schmithals, S.6).
Das Mißverständnis soll dort beschrieben werden, wo Kommunikationspartner zwar wol-len, aber trotzdem aneinander vorbei kommunizieren, weil sie aus verschiedenen Gründen nicht können.
Des weiteren möchte ich die nonverbalen Anteile in kommunikativen Prozessen außer acht lassen (bis auf jene, die ihre Funktion in der bewußten Ergänzung verbaler Teile haben) und mich nur auf die bewußte verbale Nachrichtenentstehung, - austausch und – verarbei-tung beschränken und zwar aus folgendem Grund:
Nonverbale Kommunikation findet nach G. Rebel auf bewußter und unbewußter Ebene statt (vgl. G. Rebel, S.14).
„Selbstständig unbewußt und/oder begleitend unbewußt sind Reflexe auf Sinnesreize und Affekte. Körpersprache „übersetzt“ Gedanken und Gefühle zeitgleich 1:1. „(ebd.)
„Noch bevor der Mund sagt: „Mir geht es gut.“, drückt dies unser Körper schon aus. Daher kann Körpersprache nicht lügen. Körpersprache ist mit der Persönlichkeit eines Menschen verbunden und reich an unbewußter Tiefe.“ (ebd.) D.h. das wir unsere Innerungen unwill-kürlich immer körpersprachlich übersetzen und auch ausdrücken. Ein Teil jeder Nachricht besteht deshalb immer aus unbewußten Botschaften, die nicht „lügen“, sondern unsere Innerungen korrekt so ausdrücken, wie sie sind. Eine Weiterführung dieses Gedankengan-ges kann zu der Schlußfolgerung führen (welche hier die Aussparung nonverbaler Kom-munikationsanteile begründen soll), daß Mißverständnisse zum größten Teil ihre Ursache in den bewußten Teilen einer Nachricht haben. Also vor allem in den verbalen Botschaften und den nonverbalen Zeichen, die zur Unterstreichung und Bekräftigung dieser Botschaf-ten bewußt versandt werden. Dergestalt nämlich, daß sie in irgendeiner Form im Wider-spruch zu den unbewußt gesendeten Zeichen stehen. Eine Nachricht wäre so verfälscht und führte beim Empfänger für Verwirrung, um so mehr, wenn man von der Hypothese ausge-hen würde, daß unbewußt ausgesendete unverfälschte Nachrichtenanteile vom Empfänger genauso unbewußt und unverfälscht aufgenommen werden können.
2.2. Von den Innerungen zur Nachricht
2.2.1. Der individuelle verbale Zeichenvorrat
Eine Grundvoraussetzung für das Übermitteln der Innerungen ist der Vorrat an verbalen Zeichen, die dem Versender einer Nachricht zur Verfügung stehen. Um so größer sein Wortschatz ist, desto besser wird er seine Gedanken; Bilder und Gefühle ausdrücken kön-nen. Im Gegensatz dazu nehmen die Schwierigkeiten zu, fehlen ihm die Worte.
Im zur Verfügung stehenden Zeichenvorrat liegt m.E. eine der Ursachen für das Entstehen von Mißverständnissen.
Einmal, weil sich beim Beschreiben von inneren Bildern oder gar Gefühlen das Verständi-gungsmittel Sprache oft als unzureichend herausstellt und es nicht gelingen will, die Inne-rungen so zu übersetzen wie man eigentlich will. Einige Bestandteile der Innerungen wer-den aus Mangel an passenden Worten gar nicht übersetzt, andere ungenau oder verfälscht, so daß letztlich als Nachricht nur eine verzerrte Wiedergabe der Innerungen übrigbleibt. Gelingt es schon dem Sender nicht seine Innerungen, die er selbst wahrnimmt sprachlich genau zu vermitteln, so steht der Empfänger vor der ungleich schwereren bis unmöglich scheinenden Aufgabe sich anhand der ungenauen Nachricht ein genaues Abbild dieser In-nerungen zu machen. Verständigungsschwierigkeiten in Form von Mißverständnissen sind vorprogrammiert.
Beispiel 1
Als Beispiel kann ich nur den selbst zu machenden Versuch vorschlagen, da mir zu Beschreibung selbst die Worte fehlen:
Versuchen Sie das sicher in einem Traum schon erlebte Gefühl des Abstürzen und Fallens von ei-nem hohen Gebäude in Worte zu fassen oder vermitteln Sie einem anderen zwecks Überzeugung von der Sinnvolligkeit eines Saunabesuches das anschließende körperliche Gefühl so, daß er es wirklich nachvollziehen kann.
Zum anderen können Mißverständnisse aufgrund des Zeichenvorrates auftreten, wenn der Sender einer Nachricht aus Mangel an allgemeinverständlichen Zeichen seine Innerungen mit Zeichen übersetzt, die außer ihm nur wenig anderen verständlich sind.
Beispiel 2
Eine Pflegesituation: Ein hochbetagter Mann litt unmißverständlich starke Schmerzen im Rücken-bereich. Aufgrund fehlender Beweglichkeit konnte er den Ort der Schmerzen nicht zeigen. Auf die Frage der Pflegekraft was es für Schmerzen seien antwortete er:
„Es rummelt so.“
Pflegekraft: „Sticht es oder zieht es? Ist der Schmerz dumpf oder hell?“
Patient: „Es rummelt! Mal so, mal so.“
Pflegekraft: „Schmerzt es beim Laufen oder Liegen oder Sitzen oder immer?“
Patient: „Manchmal nicht, manchmal immer, aber wenn, dann rummelt es und rummelt.“
Die Pflegekraft war hilflos, auch der hinzugezogene Arzt vermochte keine Diagnose zu stellen und verschrieb Schmerztabletten. Erst Tage später konnte die Pflegekraft beobachten, daß der Schmerz zwar ständig unterschwellig vorhanden war, aber bei verschiedenen Bewegungen des Oberkörpers und Halses unregelmäßig blitzartig aufflammte. Sie vermutete daraufhin eine Blockade in der Brust – oder Halswirbelsäule (steifer Hals), was sich als richtig herausstellte und mit einer Fango-packung behoben werden konnte.
2.2.2. Die Selbstoffenbarungsangst
Ein grundlegendes Bedürfnis des Menschen ist das nach positiver Beachtung seitens seines sozialen Umfeldes (vgl. Grjasnow / Schindewolf / Ludwig, S. 53). Um dieses möglichst zu befriedigen ist er seit seiner frühen Kindheit mehr oder minder gezwungen sein Verhalten den Normen und Werten unter denen er lebt anzupassen. Da das erwünschte Verhalten dem inneren Erleben, den Innerungen oft nicht entspricht, lernt er aufgrund des Urteils (z.B. der Bewertung seines Verhaltens zuerst durch Eltern) unerwünschte Anteile zu ka-schieren und zu verbergen. Resultat dieses Prozesses ist nach F. Schulz von Thun ein mehr oder minder ausgeprägtes Minderwertigkeitsgefühl (vgl. F. Schulz von Thun, S. 101 ff.).
Eine Botschaft über sich selbst ist in jeder Nachricht in Form der Selbstoffenbarungsaussa-ge enthalten. Der Sender einer Nachricht weiß darum und auch, daß der Empfänger diese Botschaft wahrnimmt, interpretiert und vor allem wertet (oder nimmt dies zumindest an). So steht der Sender in jeder kommunikativen Situation mit seiner Person oder besser mit dem Bild das er meint in einer Nachricht von sich zu geben auf dem Prüfstand. Ein Aspekt dieses Prüfstandes ist die Angst, die dieser mit sich bringt als Person zu versagen, vom Empfänger negativ bewertet zu werden.
„Diese Selbstoffenbarungsangst beruht auf der Vorwegnahme einer negativen Beurteilung durch den Mitmenschen, wobei ich als Sender selbst mein nächster Mitmensch und nicht selten mein strengster Richter bin.“ (F. Schulz von Thun, S. 100) und ist direktes Ergebnis des Minderwertigkeitsgefühls.
„Je stärker das Minderwertigkeitsgefühl ausgeprägt ist, um so mehr ist nach Adler der Mensch darum besorgt, dieses quälende Gefühl zu kompensieren und die eigenen Selbst-aufwertung zu betreiben.“ (ebd., S. 105)
Desto größer ist also auch die Selbstoffenbarungsangst. Sie führt im kommunikativen Pro-zeß zu einer Verzerrung bei der Übersetzung der Innerungen in eine Nachricht zugunsten einer vom Sender erwünschten und bevorzugten Selbstoffenbarungsaussage. D.h. der Sen-der bemüht sich bewußt ein Bild von sich zu vermitteln, das den Innerungen im jeweiligen Kontext nicht oder nur teilweise entsprechen muß. Dieses aber hat unmittelbaren Einfluß auf die gegenseitige Verständigung, weil der Sender zum bewußten Verzerren der Selbst-offenbarungsaussage letztlich eine Verzerrung der gesamten Nachricht bewerkstelligen muß und auch in Kauf nimmt. Einmal geschieht das durch die verschiedensten Formen der Hervorhebung der eigenen Person durch Imponiertechniken (vgl. F. Schulz von Thun, S.107 ff.).
Bei der Hervorhebung der eigenen Person ist es dem Sender weniger möglich, sich selbst explizit in glanzvollem Licht darzustellen, ohne damit genau das Gegenteil von dem zu erreichen was er eigentlich will – nämlich gut dastehen Laut bestehender Normen würde dieses als angeberisch oder arrogant gewertet. Er kann solcherlei Informationen also nicht direkt in die Nachricht legen, sondern muß sie indirekt über die Sachaussage des jeweili-gen Kommunikationskontextes vermitteln, damit sich das beabsichtigte Bild der eigenen Person (die beabsichtigte Selbstoffenbarungsaussage) daraus implizit ergibt.
Eine unklare Übersetzung der Innerungen entsteht hier zum einen um so eher, je mehr der Sender in der Sachaussage eigentlich von sich spricht und vom Empfänger auch so ver-standen werden will. Zum anderen leidet u.U. der Gehalt der Sachaussage.
Beispiel 3
Ich rede über einen Sachverhalt möglichst kompliziert und mit möglichst vielen Fremdwörtern, um den Empfänger mit meinem Vielmaß an Bildung und Intelligenz zu beeindrucken und appelliere versteckt, mir dafür Anerkennung zukommen zu lassen. Worüber ich spreche ist für mich dabei eher nebensächlich. Sobald der Empfänger jedoch nicht so viel Gewicht wie ich auf meine Selbstof-fenbarungsaussage legt, wird er die Nachricht völlig anders auffassen, als ich dies beabsichtigt habe. Von der Sache kann er weniger verstehen, in der Beziehungsaussage kann er heraushören, daß er mir unterlegen ist und als Appell interpretieren, daß er dumm und nachholebedürftig ist. Das Feedback wird dementsprechend ausfallen und mich vor Rätsel stellen.
Zum zweiten entstehen Verzerrungen der Innerungen durch das Verbergen, Verschleiern und Verzerren von Teilen der Innerungen, weil der Sender sich nicht sicher ist, wie diese interpretiert und gewertet werden und von einer negativen Bewertung ausgeht, z.B. wenn er meint sich lächerlich zu machen, sagt er denn was er denkt.
Er getraut sich nicht, seine Gedanken und Gefühle so auszudrücken wie sie sind und er sie wahrnimmt aus Furcht vor der negativen Reaktion der oder des Kommunikationspart-ner(s). Es ist dies das Problem des aus der humanistischen Psychologie stammenden Beg-riffes der Kongruenz von innerem Fühlen und äußerem Handeln - hier Kommunizieren – und stellt m.E. nach eine der Hauptursachen für das Entstehen von Mißverständnissen dar. Die Nachricht wird verzerrt damit Hauptsache die Selbstoffenbarungsaussage dem ent-spricht, was der Sender von sich preisgeben will. In einem Fall werden die Innerungen in der Nachricht komplett oder in Teilen genau in ihr Gegenteil verkehrt und somit von Din-gen gesprochen, die weder gedacht, noch gefühlt werden.
Beispiel 4
Ich ärgere mich über eine witzige Bemerkung, die mein Gegenüber über meine Nase macht. Es verletzt mich, da ich mich in meiner Eitelkeit getroffen und als Person beleidigt fühle. Trotzdem lache ich mit, um ihm nicht das Bild eines Sensibelchens von mir zu vermitteln. Mein Gegenüber versteht diese Nachricht als Abbild meiner Innerungen natürlich in allen Aussagen völlig falsch als Zustimmung und witzelt das nächste mal über meine Ohren.
Ein Junge im vorpubertären Alter bekommt öffentlich Interesse von seiten eines Mädchens entge-gengebracht. Das erregt ihn, macht ihn froh. Er reagiert auf dieses Interesse indes mit abwerten-den Bemerkungen, da er nicht als Weiberheld vor den anderen Jungen dastehen will. Das Mädchen kann die Nachricht nur als Ablehnung in allen Aussagen verstehen, die sie nicht ist und geht. Der Junge ist deshalb traurig und lacht zu diesem Zweck mit den anderen, da er sich nicht als Weich-ling vermitteln will.
In komplizierteren Fällen werden Nachrichten oder Nachrichtenteile nicht völlig umge-dreht, sondern nur durch Verschweigen einzelner Bestandteile der Innerungen verfälscht, um eine Selbstoffenbarungsaussage zu vermitteln, die der Selbstoffenbarungsangst des Senders entspricht. Die so vermittelten unvollständigen Innerungen lassen entweder einen großen Interpretationsspielraum mit einem genauso großen Spielraum für eine andere als die gewollte Deutung in der Appell - , Sach – und Beziehungsaussage oder diese werden genommen wie sie sind und erreichen nur eine unvollständiges Verständnis.
Beispiel 5
Eine Pflegesituation: Ein älteres Ehepaar. Er fast taub, fast blind und fast bettlägerig wird zwei-mal am Tag durch häusliche Pflegekräfte versorgt. Die Ehefrau übernimmt alle andere nötige Betreuung. Die Pflegekräfte bemerken das die Ehefrau gestresst und ständig unzufriedener mit ihrer Situation ist und immer öfter resigniert. Im Gespräch stellt sich heraus, daß sie vorallem die mit ihrem Mann zu machenden Toilettengänge belasten. Zum ersten sei es schwere körperliche Arbeit, zum zweiten dauern diese Gänge meist sehr lange, wenn sie von Erfolg gekrönt sein sollen, zum dritten überschneiden sich die Zeiten von Toilettengang und Pflegeeinsatz nur teilweise. Die Pflegekräfte meinen daraufhin verstanden zu haben und machen es individuell irgendwie möglich bei den Toilettengängen anwesend zu sein, was auch gelingt.
Statt Besserung der Gemütslage der Ehefrau tritt daraufhin aber eher noch eine Verschlechterung ein. Die Pflegekräfte sind ratlos.
Erst sehr viel später konnte herausgefunden werden, daß nicht allein die Toilettengänge als solche als belastend empfunden werden, sondern vor allem, daß die Ehefrau dazu Hilfe benötigt, die sie sich jedesmal herorganisieren muß. Entweder von ihren Kindern oder eben von den Pflegekräften. Ihr eigentliches Problem war andere mit ihren Nöten zur Last zu fallen. Das war ihr peinlich, dafür schämte sie sich.
Als letztes auf der Entstehungsseite einer Nachricht, die durch die Selbstoffenbarungsangst die Innerungen verfälscht oder unklar wiedergibt, möchte ich auf die Möglichkeit einge-hen, daß der Sender versucht die Selbstoffenbarungsaussage in einer Nachricht nicht nur zu modellieren, sondern ganz zu vermeiden.
Die am meisten dazu verwendete Methode ist nach F. Schulz von Thun die Du – Botschaft (vgl. F. Schulz von Thun, S. 112). Mit einer direkten Du – Botschaft werden die Innerun-gen unklar übersetzt, weil erstens die Selbstoffenbarungsaussage verschleiert wird, indem der Sender das was er in der Nachricht über sich aussagen muß über die Beziehungsaussa-ge vermittelt und zweitens diese dadurch mehrdeutig Charakter erhält.
Beispiel 6
Nach Beispiel 3 erwidert mein Gesprächspartner: „Du redest dauernd so hochgestochenes Zeug.“ und meint damit, daß er der Sache nicht mehr folgen und nicht mehr mitreden kann sowie daß er sich in dieser Situation unwohl, weil unterlegen fühlt und ich also damit aufhören soll. Ich aber fasse diesen Satz als Bestätigung und als die Bewunderung, die ich auslösen wollte auf, rede also weiter so hochgestochen wie möglich und bekomme nun endlich das Feedback, welches mich vor ein Rätsel stellt.
2.3. Von der Nachricht zum Abbild der Innerungen
Verständigungsschwierigkeiten bei der Rückübersetzung einer Nachricht, bei der sich letztlich der Empfänger ein Bild von den Innerungen des Senders macht treten natürlich schon aufgrund der Tatsache auf, daß diese Nachricht selbst mit Ungenauigkeiten behaftet ist.
Davon abgesehen aber ist nach dem vorgeschlagenen Modell das Abbild der Innerungen des Senders das Ergebnis von Wahrnehmung und Interpretation der übermittelten Nach-richt durch den Empfänger. An dieser Stelle sollen nun mögliche Stolpersteine beschrieben werden, die im Verarbeiten einer Nachricht dazu führen, daß der Empfänger nicht oder falsch versteht, was der Sender meint.
2.3.1. Die Wahrnehmung der Nachricht
Die Voraussetzung für das Verarbeiten einer Nachricht ist, daß sie überhaupt in ihren Be-standteilen wahrgenommen wird. Nachrichten bestehen aus Zeichen, die in ihrer Gesamt-heit die Innerungen des Senders ausdrücken. Einmal in Form Worten, von die eine Bedeu-tung haben, zum anderen in nonverbalen Zeichen, wie Gesten, Mimik und Tonfall, die die Bedeutung der Worte noch einmal variieren. Nimmt der Empfänger nur teilweise wahr was der Sender gesagt hat und wie er es gesagt hat, werden Aussagen der Nachricht später an-ders interpretiert, als der Sender sie gemeint hat.
Beispiel 7
Ich höre aus Beispiel 6 zwar die Worte: „Du redest dauernd so hochgestochenes Zeug.“, überhöre aber den drohenden Unterton und übersehe das gelangweilte Gesicht und interpretiere die Nach-richt darauffolgend auf der Beziehungs - , Selbstoffenbarungs – und Appellaussage ganz anders als der Sender sie verstanden haben wollte.
Verfügt der Empfänger nicht oder nur teilweise über den Zeichenvorrat des Senders, d.h. sind ihm Zeichen der Nachricht schlicht unbekannt, so kann er diese zwar wahrnehmen, aber in der späteren Interpretation nur über deren Bedeutung rätseln.
Beispiel 8
In Beispiel 2 ist der Pflegekraft der Begriff „rummeln“ unbekannt. Sie kann daraufhin nur raten, was der Patient meint, welches bis zu dem Mißverständnis der Schmerztabletten führt.
Selektion in der Wahrnehmung und Ergänzung der Wahrnehmung aufgrund vorgefasster Meinungen ist eine weitere Ursache die zu einem Verlust an wahrgenommenen Zeichen führt. „Wir lassen das Gesagte nicht mehr auf uns wirken und versuchen nicht mehr her-auszuhören, was uns der andere mitzuteilen beabsichtigt, sondern hören nur noch das, was wir hören wollen, was in unser Denkschema paßt.“ (E. Schäfer 1999, S. 21)
Beispiel 9
In der Pflegesituation in Beispiel 5 begegnet den Pflegekräften bei der Ehefrau des Patienten das, was sie aus verschiedensten Pflegesituationen zu kennen glauben – die ewig gleichen Belastungen, denen pflegende Angehörige ausgesetzt sind: körperliche Schwere der Arbeit, wenig Ruhe, psychi-schen Stress, weil man das Dahinsiechen des langjährigen Partners erlebt etc.
Schnell steht also für die Pflegekräfte fest, warum die Ehefrau unzufrieden und gestresst ist: Sie ist besorgt, die nötigen Toilettengänge ihres Mannes allein nicht bewerkstelligen zu können. Dieses deckt sich u.a. mit dem gängigen Bild der bestehenden Belastungen von pflegenden Angehörigen welches üblicherweise vermittelt wird und ist einfach zu verstehen, auch in der speziellen Situation. Sätze wie: „Sie wollen ja auch Feierabend machen.“ „Das wird doch zu spät für Sie.“ oder „Ich habe meine Tochter heute schon zweimal holen müssen.“ wurden demzufolge gar nicht wahrge-nommen, bzw. als unwichtig und nicht in den konstruierten Kontext passend aussortiert. Mit dem Ergebnis des beschriebenen Mißverständnisses.
2.3.2. Die Interpretation der Nachricht
Die Interpretation der Nachricht ist der entscheidende Teil bei ihrer Verarbeitung. Hier versucht der Empfänger aufgrund der wahrgenommen Zeichen zu verstehen, was der Sen-der meint.
Jede Nachricht enthält neben der eigentlichen Sachaussage noch die versteckten Aussagen zur Person des Senders, zur Beziehung des Senders zum Empfänger und zum Appell, den der Sender zwecks Handlungsbeeinflussung an den Empfänger richtet. Da die Nachricht als Ganzes ankommt, bleibt es letztlich dem Empfänger überlassen, welche der Aussagen er als Schwerpunkt der Nachricht interpretiert. Dabei sind „Mißverständnisse ... das Natür-lichste von der Welt, sie ergeben sich fast zwangsläufig schon aus der Quadratur der Nach-richt.“ (F. Schulz von Thun, S.63). Zu einem völlig falschen Bild der Innerungen des Sen-ders kann der Empfänger nämlich dann kommen, wenn er sich in der Interpretation der Nachricht auf eine der Aussagen versteift, auf die der Sender das Gewicht so nicht verla-gert hat.
Beispiel 10
Zwei Musiker üben zusammen an einem Musikstück. An derselben Stelle bleiben sie mehrere Male hängen. Der eine sagt zum anderen: „Der Ton war schon wieder falsch.“ und meint damit zuvor-derst die Tatsache der Disharmonie. Der andere indes interpretiert dies hauptsächlich als eine Beziehungsaussage, als eine Aussage zu seiner Person und zwar in der Richtung, daß es mit seinem Können am Instrument schlecht bestellt ist. Dementsprechend gereizt antwortet er wieder mit dem Schwerpunkt auf der Beziehungsaussage: „Such dir doch einen anderen, vielleicht klappt’s dann ja besser.“
Aus Beispiel 3: Ich rede viel und kompliziert und will so eine Aussage über mich als intelligenten und gebildeten Menschen vermitteln. Der Empfänger interpretiert dies allerdings hauptsächlich als Aussage zur Sache, der er bald nicht mehr folgen kann. Als Feedback bekomme ich in Wort, Ton und Geste Langeweile vermittelt. Ich nun interpretiere die Langeweile als Beziehungsaussage. Ich bin also langweilig und verstumme beleidigt.
Diese Art der letztlich falschen Rückübersetzung der Nachricht ist einerseits immer dann naheliegend, wenn der Empfänger generell dazu neigt die Nachricht besonders über eine der vier Aussagen verstehen zu wollen und dabei die drei anderen vernachlässigt (vgl. F. Schulz von Thun, S.47 ff.).
Andererseits fällt es dem Empfänger mitunter recht schwer zu entscheiden, auf welche der vermittelten Aussagen er nun hauptsächliches Gewicht legen soll. Vorallem gilt das für Kommunikationsbeziehungen die von vornherein schon konfliktreich, d.h. angereichert mit unterschwelligen Mißverständnissen sind. Wo der Empfänger nicht so recht weiß, wie er den Sender nun einschätzen soll.
Eine weitere Hürde im Verständigungsprozeß bei der Rückübersetzung der Nachricht ist neben der Wahrnehmung der verbalen und nonverbalen Anteile und der Interpretation der Schwerpunktaussage (oder – sagen) das eigentliche Interpretieren der Zeichen aus denen Nachricht besteht und aus denen sich die Aussagen ergeben.
Mag der Empfänger alle gesendeten Zeichen wahrgenommen und die Gewichtung der Nachricht im Sinne des Senders auch richtig verstanden haben, so heißt das noch lange nicht, daß er auch den vermittelten Zeichen dieselbe Bedeutung beimißt, die der Sender hineingelegt hat.
Jeder lebt in seiner eigenen individuellen Welt, in der die Dinge ihre Bedeutung individu-ell durch die subjektiven Erfahrungen, Vorlieben, Gewohnheiten etc. zugewiesen bekom-men. Dies gilt dann auch für die verbalen und nonverbalen Zeichen, die diese Dinge im Verständigungsprozeß zu beschreiben versuchen Der Konstruktivismus sagt dazu aus, daß sprachliche Äußerungen gar keine Bedeutung besitzen, sondern diese erst erhalten (vgl. E. Schäfer 1998, S. 22).
Im Idealfall bekommen die vermittelten Zeichen vom Sender und Empfänger dieselbe Be-deutung zugewiesen. Für viele Dinge trifft dies innerhalb eines Sprachkreises auch zu, sonst wäre jegliche Kommunikation von vornherein zum Scheitern verurteilt. Unter den Begriffen Haus oder Schuhe bspw. versteht jeglicher ziemlich dasselbe. Die Differenzen gehen allerdings schon los bei ‚schönem Haus‘ oder ‚bequemen Schuhen‘.
Ein verzerrtes Abbild der Innerungen des Senders ergibt sich beim Empfänger der Nach-richt also, wenn die vermittelten Zeichen durch die Interpretation des Empfängers eine andere Bedeutung zugewiesen bekommen, als der Sender eigentlich zugewiesen hat.
Beispiel 11
Zwei spielen Schach. Aus Versehen nimmt ein Spieler seinen Turm und bewegt diesen wie einen Springer. Beide kennen die Schachregeln, beide wissen um das Versehen. Der Gegenspieler kom-mentiert das mit einem „Hä??“ und verzieht das Gesicht dazu zu einem Ausdruck höchsten Er-staunens. Der Tonfall fällt ebenso aus. Einerseits will er in der Sachaussage auf den Fehler auf-merksam machen, hauptsächlich auf der Beziehungsaussage aber durch die Übertreibung karikie-ren und witzig zu verstehen geben, daß das passieren kann und so schlimm nicht ist. Der andere versteht den Schwerpunkt der Nachricht richtig auf der Beziehungsaussage. Die nonverbalen Zei-chen und das verbale „Hä?“ interpretiert er allerdings nicht als Zeichen gutmütigen Witzes, son-dern als Zeichen übertriebener Zurschaustellung seines Fehlers und bewertet es anschließend fol-gerichtig als Angriff auf seine Person. Die heftige Reaktion, etwa: „Stell‘ mich hier nicht als min-derbemittelt hin!“ läßt den Sender erschreckt verstummen.
2.4. Verdeckte Mißverständnisse
Den meisten hier aufgeführten Beispielen ist gemeinsam, daß die darin beschriebenen Mißverständnisse recht einfach zustande kommen, demzufolge auch relativ einfach erkannt und behoben werden können, so daß sie im weiteren Verständigungsprozeß keine oder nur eine geringe Rolle spielen. Eine ganz andere Dynamik erhält Kommunikation jedoch, wenn Mißverständnisse von den Kommunikationspartnern nicht erkannt und damit auch nicht ausgeräumt werden können.
Vermittelt der Sender seine Innerungen ungenau und/oder unterlaufen dem Empfänger Fehler in der Wahrnehmung / Interpretation der ankommenden Nachricht, erhält dieser folgerichtig ein Abbild der Innerungen des Senders, das der so nicht vermitteln wollte. Schließlich kann der Empfänger nicht das Beurteilen, was er eigentlich beurteilen sollte. Seine Innerungen sind durch die Nachricht und deren Verarbeitung entsprechend beein-flusst. Im Rahmen der Reaktion wird der Empfänger nun selbst zum Sender, der seine In-nerungen vermittelt. Verzerrt er diese z.B. auf Grund der Selbstoffenbarungsangst, indem er Teile der Innerungen verbirgt oder diese in der Nachricht ins Gegenteil verkehrt bleibt das Mißverständnis für beide unerkannt. Es existiert aber trotzdem unterschwellig weiter und wird die Grundlage für weitere, darauf aufbauende Mißverständnisse. Je mehr auch diese verdeckt bleiben und so selbst noch mehr Verständigungsschwierigkeiten hervorru-fen, um so sicherer werden die Kommunikationspartner langsam und schleichend immer mehr aneinander vorbeireden, ohne dies in ihrer Beziehung zueinander eigentlich zu wol-len.
Reagiert der eine Schachspieler aus Beispiel 11 nicht offenkundig heftig auf das, was er wahrgenommen, interpretiert und beurteilt hat, sondern etwa eher beiläufig mit: „Ah ja, sorry.“, hat der andere keine Chance herauszubekommen was sein „Hä??“ eigentlich ange-richtet hat. Keiner von beiden weiß um das stattgefundene Mißverständnis uns so beendet der eine das Spiel gutgelaunt, während der andere eine ziemliche Wut im Bauch mit sich trägt. In der nächsten Situation greifen sich beide ihre Musikinstrumente, um an einem Stück zu üben. Der vormals ‚Hä‘ – Sagende verspielt sich und erntet dafür die in für diesen Kontext im Tonfall übermäßig gehässig vorgebrachte Mitteilung: „Der Ton war falsch!“ Zwar stört ihn die vorgebrachte Feindseligkeit sehr und empört ihn auch, doch vermag er nicht heraus zu bekommen, warum der andere auf eine solche Lappalie so überreagiert obwohl es ihn interessiert. Statt zu fragen reagiert er mit entsprechend harscher Verteidi-gung und zwar nur auf die gegenwärtige Situation bezogen und das seiner Meinung nach zu recht. „Komm tu nicht so, als wärst du der musikalische Überflieger!“
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3. Ausblick
Betrachtet man Kommunikation nun nicht mehr nur auf eine Situation bezogen, sondern übergreifend über einen längeren Zeitraum mit verschiedensten Themen über die es sich zu verständigen gilt, so sind gerade die verdeckten Mißverständnisse zu einem nicht unerheb-lichen Teil am generellen Verständnis des anderen, der Meinungsbildung und damit letzt-lich an der beabsichtigten Handlungsbeeinflussung beteiligt.
Häufen sich derlei Mißverständnisse, die untergründig die Kommunikation (als Verständi-gungsprozeß und letztlich dann als Handlungsbeeinflussung) beeinflussen, finden sich Partner schnell in Situationen wieder, wo keiner mehr sagen kann wie sie denn eigentlich dahin gekommen sind wo sie sind. Was sie allerdings wahrnehmen ist das gegenwärtige Bild vom anderen und z.B., daß sie immer weniger Lust verspüren zusammen Schach oder Musik zu spielen.
Da nach dem ersten Axiom der pragmatischen Kommunikationstheorie der Mensch nicht nicht kommunizieren kann (vgl. E. Schäfer, S. 28) bleibt für das Korrigieren solcher ver-deckten Mißverständnisse entweder das Wegwischen und Ignorieren dessen was war (und noch einmal von vorn zu beginnen – was sicherlich sehr schwer zu bewerkstelligen ist) oder die Metakommunikation als das Reden darüber wie wir miteinander reden, um he-rauszufinden warum und wie wir dahin gekommen sind wo wir sind oder aber letztlich kommunizieren doch unmöglich zu machen, indem man sich aus dem Weg geht.
Problematisch wird es, wenn Metakommunikation erneut an Selbstoffenbarungsangst scheitert und/oder man sich so ohne weiteres nicht aus dem Weg gehen kann oder will.
Beginnend bei kleinen und einfachen Verständigungsfehlern, die ursprünglich mit harscher Kritik an den Personen der Kommunikationspartner nichts oder nicht viel zu tun haben, weil man sich vielleicht unvoreingenommen entgegentritt dreht sich die Spirale des Miß-verständnisses immer weiter in Richtung konfliktreiche Beziehung. Je konfliktreicher die Beziehung desto einseitiger die Verarbeitung der Nachrichten, desto größer die Selbstof-fenbarungsangst desto schwieriger und noch mißverständlicher wird die Kommunikation erfolgen. Einmal dahin gekommen scheint es immer schwieriger einen Ausweg aus diesem Dilemma zu finden. Gelingt Ausstieg aus oder Umkehr der Kommunikation noch immer nicht treiben wuchernde Mißverständlichkeiten mitunter seltsame Blüten.
Beispiel 12
In einer bestehenden Partnerschaft will einer dem anderen beibringen, daß ihm zuwenig Interesse entgegengebracht wird. Er zieht sich deshalb demonstrativ aus der Partnerschaft zurück und wen-det sich absichtsvoll anderen zu, um Eifersucht (als Interessenskundgebung) zu erwecken. Der andere fühlt sich immer mehr verletzt und zieht sich ebenfalls zurück. Solange bis es keine Partner-schaft mehr gibt und beide deshalb traurig sind.
Viele menschliche Beziehungen, wenn nicht gar die meisten scheitern m.E. oder bekom-men ein von allen darin Beteiligten so nicht gewolltes Aussehen. u.a. durch die subtilen Wirkungen von Mißverständnissen, die sich mit der Zeit aufbauschen bis die gesamte Be-ziehung als ein einziges Mißverständnis erscheint. Die mangelhafter Erreichung des Ziels der Kommunikation – die Verständigung – verändert schließlich den Zweck der Kommu-nikation – die Handlungsbeeinflussung - in seinen jeweiligen Inhalten.
Auf einmal wird der Gegenüber zum Gegner, der er vor einiger Zeit doch gar nicht war und der er eigentlich auch nicht werden sollte und gegen den man sich wehren muß. Ein Miteinander geht stückchenweise über in ein Gegeneinander.
Eine Prämisse von der ausgehend solcherlei Ausblick wohl stark eingegrenzt werden könn-te, wäre der schlichte Ansatz, daß der eigentliche Gegner im kommunikativen Handeln (im Gesamtkontext bis in die einzelnen Situationen hinein) nicht der jeweils andere ist, sondern das Mißverständnis, welches zwischen beiden herrscht.
Darauffolgende Dinge wie Kongruenzbemühungen seitens des Senders, aktives Zuhören durch den Empfänger und Metakommunikation durch beide wären wohl so durch mehr Mut und Ernsthaftigkeit gekennzeichnet und somit wahrscheinlich mit mehr Erfolg für das gegenseitige Verstehen behaftet.
Der (mitunter nicht unbeträchtliche) Haken an solch einem Ansatz ist jedoch, daß alle be-teiligten Kommunikationspartner sich gleichermaßen auf ihn einlassen müßten.
Haken, weil sie bei Einseitigkeiten hier wohl noch eher aneinander vorbeireden werden, als eh schon Realität ist.
Mitunter nicht unbeträchtlicher, weil bei weitentwickelten und lange Zeit bestehenden Mißverständnissen das Einlassen auf eine solche Prämisse wohl viel mit ‚dem anderen Glauben schenken‘ zu tun hat. Nämlich das er es auch tut.
Literaturnachweis
Grjasnow, S. / Schindewolf, R. / Ludwig, H.
„Psychologische Grundlagen der Pflege“
Studienbrief Fernstudiengang Pflege 1997
Schäfer, Erich 1998
„Einführung in den Kurs Kommunikation“
Studienbrief Fernstudiengang Pflege
Schäfer, Erich / Herrmann, Sabine 1999
„Aktives Zuhören“
Studienbrief Fernstudiengang Pflege
Schmithals, Friedemann
„Angewandte Rhetorik“
Studienbrief Fernstudiengang Pflege 1999
Schulz von Thun, Friedemann
„Miteinander Reden“
Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg 1981
Rebel, Günther
„Nonverbale Kommunikation“
Studienbrief Fernstudiengang Pflege 1999
Tag der Veröffentlichung: 24.01.2010
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