Ninas Glück dieser Erde... … liegt auf dem Rücken der Pferde.
Und schon sehr bald, sollte sie einem ganz besonderen Pferd begegnen.
Aufgeregt sprang Nina von einem Bein auf das andere, so das sich ihr brauner Zopf wild zum Takt im Kreis drehte.
Sie ist gerade erst sieben Jahre alt geworden und heute war ihr großer Tag. Heute wird sie endlich eingeschult. Sie hat ihr liebstes Kleid an – das knielange, in rosa, mit den kleinen Schmetterlingen. Ihre Haare hatte ihre Mama zu einem Zopf geflochten. Fertig angezogen stand sie im Flur und wartete ungeduldig darauf, dass Papa Paul und Mama Sabrina nun endlich auch fertig wurden.
Paul saß noch am Frühstückstisch und trank genüsslich seinen Kaffee, während Sabrina sich im Badezimmer noch ihre Haare zurecht machte.
Nur Nina war schon fertig und konnte es kaum erwarten, endlich zur Schule zu kommen. Sie wollte die ganzen neuen Kinder kennenlernen, mit denen sie auf die neue Schule gehen würde. Ganz viele neue Freunde würde sie finden, da war sie sich sicher. Sie würde mit ihnen zusammen lernen und nach der Schule ihre Freizeit mit ihnen verbringen. Schade fand sie nur, dass ihre beste Freundin Sophie, die sie schon aus dem Kindergarten kannte, auf eine andere Schule gehen würde.
Doch heute dachte sie kaum daran. Sie freute sich schon auf die große Zuckertüte, mit den vielen leckeren Sachen und den kleinen Geschenken.
Aber die bekommt sie erst, wenn sie die Einschulungszeremonie hinter sich gebracht hatte.
»Mama! Papa! Nun kommt doch bitte endlich!«
Ungeduldig rannte sie zu ihrem Papa in die Küche und linste in seine Kaffeetasse.
»Da ist doch schon gar nichts mehr drin.« Nina schaute ihren Papa vorwurfsvoll an.
Dann breitete sich ein Grinsen auf seinem Gesicht aus. Er schaute mit seinen tiefblauen Augen zu seiner Nina, bis er lauthals lachen musste.
»Ist ja schon gut. Ich stelle die Tasse nur noch schnell in den Abwasch und dann zieh ich mir meine Schuhe an. Und wenn Mama auch soweit ist, können wir los.«
»Juchuhhhh!!!« freute sich Nina und sprang lachend und aufgeregt Richtung Badezimmer. Dabei flog ihr Kleidchen mit, als würde es sich ebenso auf diesen Tag freuen. Die kleine Nina war so schnell dabei, dass sie gar nicht bemerkte wie sich die Tür gerade öffnete und sie fast gegen ihre Mama plumpste.
»Na du kleiner Springfloh. Bist du bereit für deinen großen Tag?« Sabrina lächelte liebevoll ihrer schon so großen Tochter entgegen und zog mit ihren Fingerspitzen den kurzen braunen Pony zurecht. Danach griff sie geschwind nach ihrer rosafarbenen Vollnickelbrille, ohne ihr Töchterlein aus den Augen zu verlieren.
Nina setzte ein breites Grinsen auf und rannte zur Eingangstür.
»Hast du nicht noch jemanden vergessen?« Paul schaute sie belustigt an. »Du willst Nico doch nicht etwa allein im Haus lassen, oder? Er möchte doch bestimmt auch mit dabei sein, wenn seine große Schwester in die Schule kommt.«
»Ach Papa, der ist doch schon ganze drei Jahre alt. Er ist doch schon ewig aus den Windeln raus und kann auch ganz alleine laufen. Selbst wie die Fernbedienung funktioniert, weiß er schon. Außerdem ärgert er mich immer und das ist doch heute MEIN Tag.« Ein Schmollmund zeichnete sich auf Ninas Gesicht ab, während sie an der Tür stehend wartete – die Klinke schon in der Hand.
»Na los! Geh du schon mal zum Auto. Papa kommt gleich mit dir mit und ich hole Nico.« Mit diesen Worten ging Sabrina zum Kinderzimmer.
Nina verlor keine Zeit, öffnete die Tür und war nach wenigen Schritten auch schon am Auto. Mama und Papa kamen nun endlich aus der Tür. Mama hielt den kleinen Nico in den Armen, der mit seiner beigen Hose und dem blauen Pullover, den dazu goldfarbenen Haaren und seinen blauen Augen, wie ein Engel aussah.
Nach ein paar Minuten war die ganze Familie abfahrbereit. Mama und Papa unterhielten sich aufgeregt, der kleine Nico war in seinem Kindersitz und spielte mit seinem Stoffhasen Bibbosch und es ging endlich los.
Da stand sie nun. Zwischen all den neuen Kindern, von denen sie hoffte, dass sie alle ihre Freunde werden und ihrer neuen Klassenlehrerin – bereit, für das erste Foto als großes Mädchen. Mit dem stolzesten Lächeln, das ihre Eltern je bei ihr gesehen hatten, ließ sich Nina bereitwillig fotografieren.
Doch sie wurde erneut unruhig. Das lag daran, dass Nina die große Zuckertüte gesehen hatte, die ihr Papa in der Hand hielt und von der sie wusste, dass sie für sie bestimmt war.
Als der Fotograf seine Arbeit beendet hatte, konnte sich Nina nicht mehr zurückhalten. Sie stürmte auf Sabrina und Paul zu und umarmte sie freudig. Der kleine Nico schaute nur irritiert, während er die Hand seiner Mama fest umklammert hielt. Die große Ansammlung von Menschen war ihm wohl doch ein wenig zu viel.
»Bald bist du auch so groß wie ich und dann wirst du wissen, was das heute für ein besonderer Tag ist, kleiner Bruder.« sagte Nina ganz ruhig und leise, dabei strahlte sie Nico an und jetzt strahlte er auch zurück.
»Ich habe hier etwas für dich, Nina«, sagte Paul und hielt ihr die große Zuckertüte vor die Nase, »oder willst du es nicht haben?«
»Och Papa! «
Paul zwinkert und lachte hämisch, als er sah, wie sich das Gesicht seiner kleinen Nina verzog, als würde es gleich ein Unwetter geben. Bevor sie noch etwas sagen konnte, reichte er ihr die große Tüte, die Nina voller Stolz entgegennahm.
Sie konnte es gar nicht erwarten zu entdecken, welche Leckereien und Schätze sich in ihr versteckten und so dauerte es auch nur ein paar Sekunden, bis die Tüte geöffnet am Boden lag – mitten auf dem großen Feierplatz zwischen all den anderen stolzen Kindern und den noch stolzeren Eltern.
Nina entdeckte Malkreide und Stifte in den unterschiedlichsten Farben, Hefte und ein Federmäppchen. Sogar eine kleine Tafel Schokolade war mit dabei, wo sie doch sonst keine Süßigkeiten haben durfte, da sie zu ungesund seien und die Zähne kaputt machten. Aber heute durfte sie zur Feier des Tages auch einmal Schokolade essen. Ninas Augen strahlten und sie stand auf, um sich überschwänglich bei Mama und Papa zu bedanken. Sie drückte die beiden so fest, dass ihnen fast die Luft weg blieb – zumindest hatte Nina dieses Gefühl.
»Danke! Danke! Danke! Danke! Dankeeeeeeee!«
»Wir haben da noch eine Kleinigkeit für dich.« Papa Paul zog einen großen Briefumschlag hinter seinem Rücken hervor.
Nina löste sich von ihren Eltern und starrte mit großen Augen auf den Umschlag.
»Was ist das?« fragte Nina.
»Mach ihn auf und sieh nach!« Sabrina und Paul schauten sich wissend an, während Nina den Umschlag öffnete.
Sie zog eine große Karte heraus, auf der wunderschöne Pferde abgebildet waren, die inmitten einer endlosen, farbenfrohen Weidewiese standen, die aus scheinbar unendlich vielen roten, blauen, gelben und weißen Blüten zu bestehen schien. Blumento- Pferde, dachte sich die kleine Nina und musste bei dem Gedanken breit Grinsen. Doch verstand sie zuerst nicht, was ihre Eltern ihr mit der Karte sagen wollten. Ein Pferd bekommt sie nicht. Das hatten ihr Sabrina und Paul schon erklären müssen, als sie drei Jahre alt war. Und mit vier Jahren nochmal und auch mit fünf Jahren hatte sie es immer noch versucht. Doch die Antwort blieb jedes Mal die gleiche. Mit sechs Jahren hatte sie dann endlich verstanden, dass Pferde sehr teuer sind, ganz viel Pflege brauchen und vor allem viel Platz – da hatte sie auch begriffen, dass sie das Pferd nicht in ihrem Bett schlafen lassen kann und es auch nicht satt davon wird, wenn sie ihre Spaghetti mit ihm teilt – wobei sie diese Gedanken immer sehr schön fand und das Pferd im Bett auch sehr kuschelig gewesen wäre und sie im Winter ganz sicher besonders warm gehalten hätte.
Immerhin hatten ihr Mama und Papa erlaubt, in eine Reitschule zu gehen.
Auf der Karte stand etwas und Nina war froh, dass sie schon angefangen hatte, lesen zu lernen.
»Ein Wo... chen… ende… Wochenende auf dem Pf…Pfe…Pferdehof. Ein Wochenende auf dem Pferdehof.« Nina schaute schief und blickte ihre Eltern an. Aber dann begriff sie, was sie da soeben vorgelesen hatte. Ihre Augen weiteten sich und ihr Mund öffnete sich zu einem ungläubigen Staunen. »Wir fahren auf den Pferdehof…«, zuerst nur ein zaghaftes Flüstern. Dann sprang Nina auf, wie von einer Biene gestochen und freute sich wie ein Honigkuchenpferd. Sie freute sich so sehr, dass ihr Kleidchen um sie herum wirbelte, als würde es sich mitfreuen und ihr brauner Zopf durchschnitt die Luft, wie ein wilder Propeller.
»Jaaaa! Wir fahren auf den Pferdehof.«
Die Überraschung war Sabrina und Paul wirklich gelungen. Die beiden sahen liebevoll ihrer Tochter zu und wussten genau, dass sie heute Nacht unglaublich tief schlafen und wunderbare Träume haben würde.
Die erste Schulwoche hatte Nina hinter sich gebracht. Sie hatte viele neue Freunde gefunden und der Unterricht machte ihr großen Spaß. Am meisten hat ihr der Sportunterricht gefallen. Das lange Sitzen auf den Stühlen im Klassenzimmer konnte nämlich sehr anstrengend werden. Da war sie froh, dass es auch Stunden in der Schule gab, in denen sie herumlaufen und mit Bällen spielen durften. Selbst an den Hausaufgaben hatte sie Spaß, denn Mama und Papa nahmen sich immer Zeit, sich mit ihr hinzusetzen und halfen ihr dabei, die Aufgaben zu lösen. Nina war jedes Mal stolz, wenn sie eine Aufgabe ganz allein lösen konnte. Wenn sie etwas für den nächsten Tag lesen sollte, dann setzte sie sich auch gern zu Nico und las ihm vor. Er freute sich immer, wenn seine große Schwester zu ihm kam und Zeit mit ihm verbrachte, auch wenn es selten lange dauerte, bis die beiden in Streit gerieten. Aber wehe, man trennte sie voneinander.
Doch Heute ist die Schule vergessen, denn in wenigen Minuten würden sie auf dem Pferdehof ankommen, auf den sie sich schon die ganze Woche so sehr gefreut hatte. Nina war zwar unglaublich gern in der Reitschule, doch da konnte sie nur einmal in der Woche hin und das auch nur für eine Stunde. Diesmal hatte sie ein ganzes Wochenende.
Das Auto mit Paul, Sabrina, Nico und Nina bog auf einen breiten Feldweg ein und vor ihnen erhob sich der große Pferdehof. Ihre Unterkunft war ein altes Bauernhaus und es passte so wunderbar in diese Gegend. Die Wiesen rechts und links des Feldweges waren eingezäunt und majestätisch grasten die Pferde auf der Weide und es roch überall im Auto nach frisch gemähtem Gras und Heu. Ninas Augen leuchteten. Die ganze Fahrt über hatte sie geredet oder sich mit Nico gestritten, doch nun war sie still. Sie war so begeistert von diesen erhabenen Wesen, dass sie sich nicht traute, auch nur ein Wort zu sagen aus Angst, sie könne die Pferde damit verjagen.
Gefangen von diesem Anblick bemerkte Nina erst, dass das Auto angehalten hatte, als ihr Papa den Kofferraum öffnete und Nico von ihrer Mama aus seinem Kindersitz gehoben wurde.
»Magst du nicht auch aussteigen, Nina? Wir melden uns nur schnell an, bringen unsere Sachen auf das Zimmer und dann kannst du auch schon gleich zu den Pferden im Stall und auf der Koppel. Aber bleib' bei uns! Du darfst da nicht allein hingehen.«
Nina öffnet ihren Gurt und hüpfte aus dem Auto. Wie gut es hier doch roch und wie ruhig es war. Sie schloss die Augen und atmete ganz tief ein. Sie hörte Pferde wiehern und Vögel zwitschern. Ein paar Grillen zirpten und es war alles so ganz anders als zu Hause.
Paul reichte ihr ihren kleinen Rollkoffer und zusammen gingen sie in das große Bauernhaus, wo schon ein netter, junger Mann auf sie wartete.
Er wandte sich an Sabrina. »Es freut mich, dass wir euch hier begrüßen dürfen. Wir haben ja schon miteinander telefoniert. Ich bin der Georg.« Mit einem warmherzigen Lächeln reichte er Sabrina, Paul, Nina und Nico nacheinander die Hand.
»Ihr bekommt jetzt von mir den Schlüssel und wenn nichts dagegen spricht, dann treffen wir uns in zehn Minuten hier unten, für die Führung über den Hof.« Paul nahm den Schlüssel entgegen und Georg führte die kleine Familie zu ihrem Zimmer.
Nina war erstaunt von ihrer schönen Bleibe. Große Balkontüren führten auf den Balkon, eine weiße Couch stand im Zimmer und ein weißer, fluffiger Teppich stand vor einem gigantisch wirkendem Fernseher. An der einen Wand stand das große Doppelbett für Mama und Papa und auf der gegenüberliegenden Seite war ein kleineres Bett aufgestellt.
Nina suchte verwirrt den Blick ihrer Eltern und wollte schon fragen, wo sie schlafen muss. Doch Georg kam ihr zuvor und wendete sich gleich an die kleine Schulanfängerin. »Du bist also die große Nina, die nun endlich auch zur Schule gehen darf? Na komm, dann zeig ich dir mal, wo du schlafen wirst – zumindest, wenn dir das Zimmer gefällt, dass ich für dich ausgesucht habe.« Nina lächelte und nickte eifrig, doch noch immer bekam sie keinen Ton heraus. Georg reichte ihr die Hand, die Nina zögernd ergriff und gemeinsam gingen sie in ihr eigenes Zimmer. Es war ganz in rosa gehalten und an den Wänden waren Bilder von Pferden aufgemalt. Da waren große und kleine und manchmal auch nur Portraits von deren Köpfen. Sogar das ein oder andere magische Einhorn war zu finden. Auch ihr Bettchen war rosa gestrichen und mit Pferdebettwäsche bezogen.
Georg sah in die strahlenden Augen des Kindes und freute sich, dass er sich für das richtige Zimmer entschieden hatte. » Ich werde jetzt schon mal nach unten gehen und auf euch warten. Wenn ihr dann soweit seit, kann auch die Führung beginnen.«
Nach ein paar Minuten Frischmachen und Kofferauspacken, traf sich die junge Familie am Eingangsbereich.
Georg ging sofort zu der kleinen Schulanfängerin. »Na dann zeig ich dir mal, was du auf dem Hof hier so alles erleben kannst.« Nina taute langsam auf und lächelte den netten, jungen Mann an.
»Oh ja bitte. Ich mag endlich die Pferde sehen.« Georg ergriff erneut Ninas Hand, welche sie ihm auffordernd entgegenstreckte.
Sabrina, die Nico an die Hand nahm und Paul folgten den beiden. Georg führt die Familie erst durch das Bauernhaus, zeigte ihnen, wo es Frühstück, Mittag und Abendessen gab. Dann öffnete er eine Tür, die sich auf der Rückseite der Unterkunft befand und auf das riesige Grundstück führte. Als Nina hinaustrat, sah sie verschiedene Koppeln, die meisten mit saftig-grünem Gras bedeckt und einige, die schon sehr abgelaufen waren und auf denen man kaum noch ein Fleckchen Grün erkennen konnte. Auf einigen dieser Koppeln waren Hindernisse aufgestellt und auf einer anderen stand ein alter, rundlicher Mann mit schneeweißem Haar, langem Bart und einem gelben Strohhut auf dem Kopf und führte ein prächtiges Pferd an einer langen Leine im Kreis herum. Der sieht ja aus, wie der Weihnachtsmann auf Urlaub, dachte sich Nina und musste schmunzeln. Unwillkürlich musste sie sich den alten Mann in einem roten Mantel und schwarzen, schweren Stiefeln vorstellen, der wohl gerade eine Auszeit von der harten Arbeit an Weihnachten nahm.
Doch sogleich wurde ihr Blick auch schon abgelenkt. Sie entdeckte Pferde, die sich frei auf den Koppeln bewegten. Braune, rotbraune, weiße und schwarze. Sogar ein kleines Fohlen war dabei.
»Diesen kleinen Prachtburschen haben wir „Ben“ getauft.« warf Georg ein, als er bemerkte, wie Ninas Blick auf dem Fohlen ruhte.
Sie kam aus dem Staunen gar nicht mehr heraus, nahm jede Sekunde diesen Anblicks in sich auf und verschlang jedes Wort, das Georg sprach.
Er wusste so unglaublich viel über Pferde. Georg erklärte die verschiedenen Koppeln, führte sie zu den Ausrittswegen bis hin zu den Ställen, an denen die Führung endete.
Hier erklärte Georg der kleinen Nina, wie und wie oft ein Pferd sauber gemacht werden musste, was sie zu fressen bekamen und auch, wie teuer es ist, so ein Pferd zu haben. Einiges davon wusste sie schon, aber sie traute sich auch nicht, den netten jungen Mann zu unterbrechen, der außerdem alles so gut erklären konnte. Als sie den Stall schon verlassen wollten, fiel Nina etwas in der letzten Box auf.
Georg rief ihr hinterher. »Warte Nina! Geh da nicht hin! Da ist ein Pferd, dass ganz viel Angst hat und du könntest es erschrecken.«
Nina blieb abrupt stehen. Nein, dem armen Pferd mochte sie keine Angst machen. Sie drehte sich zu Georg.
»Warum hat das Pferd denn Angst.«
»Das wissen wir leider auch nicht. Ella, die Stute in der Box da hinten, wurde vor einem halben Jahr hier ganz in der Nähe im Wald aufgefunden, wie sie verwirrt umherlief. Es war schwierig sie einzufangen und wir brauchten Hilfe von einem Tierarzt. Wir haben nie herausgefunden, von wo sie geflohen ist und es hat sich auch nie einer bei uns oder Polizei gemeldet, dem ein Pferd entlaufen ist. Sie lässt niemanden an sich heran. Sie frisst sehr schlecht und kann nur selten auf die Koppel, weil es für sie zu viel Stress wäre.«
Nina sah den traurigen Blick in Georgs Augen und wünschte sich, sie könne irgendetwas tun, damit es der armen Ella und auch dem netten Georg besser ging.
Dann kniete sich Georg zu ihr herunter. »Aber wir haben hier ganz viele Pferde, die keine Angst haben und ich zeige dir morgen früh ein paar, von denen du dir eines zum Reiten auswählen kannst.« Bei diesen Worten lächelte Georg zufrieden. »Jetzt wird es aber erst einmal Zeit für das Abendessen. Ihr müsst ja ausgehungert sein, nach dem langen Tag.« Georg ging vor. Paul, Sabrina und Nico folgten ihm – nur Nina blieb noch einen kleinen Moment zurück.
Sie spürte einen warmen Luftzug im Nacken, der direkt aus Ellas Box zu kommen schien. Sie vernahm ein leises Wiehern, als würde die Stute sie rufen.
»Nina komm jetzt! Es gibt Abendessen!« rief ihr ihre Mama ungeduldig und leicht genervt. Schließlich hatte sie ihrer Tochter eindeutig zu verstehen gegeben, dass sie nicht allein auf dem Hof herumlaufen sollte.
»Ich komme wieder, Ella.« flüstert Nina so leise, dass weder ihre Eltern nicht Georg es hätten hören können. Sie wusste nicht, warum sie es gesagt hatte, aber es schien wichtig zu sein.
Als hätte Ella sie verstanden, gab sie noch ein leises Wiehern von sich, bevor Nina den Stall verließ und eilig zum Bauernhaus lief.
Als Nina die Augen öffnete, war es dunkel. Sie schaute auf die Uhr und auf der Anzeige konnte sie ablesen, dass es erst 01:00 Uhr war. Ihr Eltern und Nico schliefen wahrscheinlich tief und fest. Normalerweise schlief auch Nina die Nacht durch – vor allem nach einem so anstrengenden und aufwühlenden Tag. Doch irgendetwas hat sie aus ihren Träumen gerissen. Vorsichtig stand sie auf und ging zum Fenster, immer darauf bedacht, auch ja keinen Lärm zu machen. Der Mond strahlte hell auf den Pferdehof hinab und hüllt ihn in einen fast schon magischen Schein. So hell hatte Nina den Mond noch nie leuchten sehen, denn zu Hause gab es in der Nacht soviel künstliches Licht, dass der Mond immer blass erschien.
Ihr Blick fiel auf den Stall, in dem sich auch Ella befand und Nina glaubte, sie leise wiehern hören zu können – als würde sie nach ihr rufen.
Nina schlich zu ihrer Zimmertür und linste vorsichtig durch die Verbindungstür, die ihr Zimmer von dem ihrer Eltern trennte. Sabrina und Paul schliefen tief und fest und beide schnarchten. Auch Nico lag friedlich in seinem Bettchen und atmete ruhig.
Was sollte sie nun tun?
Sie hatte es Ella versprochen.
Mama, Papa und auch Georg würden sie bestimmt nicht zu ihr lassen, wenn sie fragen würde.
Dann eben jetzt, wenn keiner es sah und ihr verbieten konnte.
Leise huschte Nina zu ihrem Bett zurück und zog ihre Schuhe darunter hervor. Ihre Sachen lagen ordentlich zusammengelegt auf dem Stuhl neben ihrem Bett, doch wenn ihre Eltern aufwachen sollten und sehen würden, dass die Sachen nicht mehr da sind, würden sie sich sofort auf die Suche nach ihr begeben. Ganz sicher wären sie richtig sauer, wenn sie dann erfahren würden, dass sie sich einfach so weggeschlichen hatte.
Deswegen blieb sie im Schlafanzug und nahm nur eine leichte Strickjacke aus dem Schrank, bei der nicht auffallen würde, dass sie weg war und stopfte ihr Kissen unter die Bettdecke, damit nicht sofort auffiel, dass sie nicht im Bett lag. Bereit für ihren nächtlichen Ausflug, öffnete Nina vorsichtig die Verbindungstür zum großen Schlafzimmer, schloss sie genauso leise hinter sich schlich Nina an ihren Eltern und dem kleinen Bruder vorbei zur Zimmertür. Nur ganz langsam drückte sie die Klinke nach unten, doch als sie die Tür nach innen aufzog, gab sie ein leises Knarzen von sich. Erschrocken drehte sich Nina um, machte sich in der dunklen Ecke neben der Tür ganz klein und beobachtete von dort aus ihre Eltern.
Ein leichtes Grunzen von Paul. Dann drehte er sich, immer noch schlafend, in die andere Richtung.
»Puuuh!« entfährt es Nina, die ohne es zu merken die Luft angehalten hatte. Noch einen Augenblick verharrte sie so, doch dann kroch sie schnell zur Tür hinaus, zog sie leise hinter sich ins Schloss und zog erst ihre Schuhe an, als sie durch die Hintertür das Bauernhaus verlassen hatte.
Über den vom Mond erhellten Pfad fand Nina schnell zum Stall. Sie gab keinen Ton von sich, um die anderen Pferde nicht aufzuschrecken. Sie wollte nur zu Ella und die schien schon auf sie zu warten. Durch die Stallfenster fiel nur spärlich das Licht, doch Nina konnte sehen, wie Ella ihren Kopf aus der Box hielt und der Blick aus ihren tiefbraunen Augen auf sie gerichtet war. Langsam näherte sich das kleine Mädchen der letzten Box und es spürte, dass hier etwas ganz besonderes passierte. Ehe sie begriff, was ihr Körper tat, sah Nina schon, wie sich ihre Hand zu dem Kopf dieser wunderschönen Stute bewegte. Ihr war, als wäre sie hypnotisiert, doch beunruhigend fand sie es nicht. Es fühlte sich einfach nur richtig an.
Die erste Berührung. So kalt und doch so warm. Als würde sie beide etwas miteinander verbinden
Ganz langsam und leise öffnete Nina die Tür zu der Box und flüsterte ganz leise einige beruhigende Worte vor sich her.
»Es ist alles gut.«
»Du brauchst keine Angst haben.«
»Ich tu dir nichts.«
Die Stute ließ sie eintreten und bewegt sich nur ganz vorsichtig auf Nina zu. Die Kleine spürte, dass ihr das Pferd nichts Böses wollte, oder gar Angst vor ihr hatte. Das wusste sie ganz tief in ihrem Herzen.
Schon nach ein paar Minuten kniete sich Ella nieder und Nina verstand. Sie war zwar noch nie ohne Zaumzeug und Sattel geritten, aber sie wusste, dass sie Ella vertrauen konnte. Sie stieg auf und die beiden verließen den Stall.
Vorsichtig bewegte sich Ella im Schritttempo an den Koppeln vorbei zu den Ausrittswegen.
Nina hielt sich an der Mähne der Stute gerade so fest, dass sie sich halten und Ella dabei aber nicht weh tun würde und in dem Tempo funktionierte das hervorragend – besser als sie gedacht hatte.
Ein lauter Knall durchbrach die Stille.
Ein Feuerwerk im fünf Kilometer entfernten Nachbarort, erhellte die Nacht und brachte immer neue Explosionen hervor.
Laut genug, um Nina und Ella zu erschrecken.
Sofort scheute die Stute. Ein Schritt nach vorn, wieder einer zurück.
Nina krallte sich krampfhaft in der Mähne der Stute fest, konnte sich kaum halten.
Dann ging Ella durch und galoppierte panisch in den vor ihnen liegenden, dunklen Wald – das kleine Mädchen immer noch auf ihrem Rücken.
Nach scheinbar unendlich langen Minuten war Nina mit ihren Kräften schließlich am Ende. Erschöpft lösten sich ihre verkrampften kleinen Finger von der Stute. Sofort verlor sie den Halt und fiel zu Boden, während sie nur dunkel mitbekam, wie Ella immer tiefer in den Wald verschwand, bis sie nicht mehr zu sehen oder zu hören war.
Nina war zum Glück auf weichem Moos gelandet und bis auf einen kleinen Schmerz an ihren Handballen war sie unverletzt. Der Schreck allerdings, saß ihr tief in den Gliedern.
Sie wusste nicht, wo sie sich befand. Ella ist mit ihr in den Wald hineingerannt und das Blätterdach war so dicht, dass das helle Mondlicht kaum den Boden zu berühren vermochte.
Nina sah sich um, ob sie die Stute irgendwo sehen konnte.
Sie war ganz still.
Doch auch, als sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, war von Ella weder etwas zu sehen, noch zu hören. Sie stand auf und drehte sich langsam um sich selbst. Nichts davon kam ihr bekannt vor. Aber selbst wenn, konnte konnte sie die liebenswerte Stute doch nicht einfach zurück lassen. Da kamen ihr auch ihre Eltern in den Kopf und die Sorgen, die sie sich machen würden, wenn Nina und Ella nicht zurück wären, wenn Mama und Papa wach werden würden.
Nach und nach drangen die Geräusche der Nacht in Ninas Ohren. Seltsame Laute, die sie zu Hause nie hörte. Nachts ist sie immer in ihrem Zimmer, in ihrem gemütlichen Bett und keines dieser Geräusche war da zu hören. Sie machten ihr Angst und sie vermisste ihre Eltern und sogar den nervenden Nico.
Nina fiel etwas Wichtiges ein. Mama und Papa haben ihr einmal erzählt, dass man an dem Ort bleiben soll, wo man ist, wenn man sich verlaufen hat. Also setzte sie sich in das weiche Moos und fing an zu rufen. »MAAAMAAAAAA! PAAAPAAAAA!«
Sie lauscht angestrengt, ob sie etwas wahrnehmen konnte, was ihr bekannt vorkam.
Nichts.
Sie versucht es noch ein zweites und ein drittes Mal und langsam mischten sich Tränen in ihre Hilferufe.
Doch es gab niemanden, der ihr antwortete.
Traurig und ängstlich, umgeben von der Dunkelheit der Nacht, blieb sie im Moos sitzen. Während sie leise schluchzte, dachte sie darüber nach, was passiert war.
»Vielleicht hätte ich Ella ja doch nicht aus dem Stall holen sollen. Die Arme hat sich so erschreckt und jetzt weiß sie bestimmt auch nicht mehr, wo sie ist und hat Angst.«
Abermals ein kleiner Schluchzer, der ihrer Kehle entwich. Aber dass sie laut redete, lenkte sie von den Geräuschen um sie herum ab.
»Mama und Papa werden bestimmt böse sein, wenn sie bemerken, dass ich nicht da bin. Und dann werden sie mich suchen müssen. Und Georg mag mich dann bestimmt auch nicht mehr, weil ich seine Ella verloren habe.«
Tränen kullerten über Ninas Wangen, als sie plötzlich etwas wahrnahm.
Was ist das?
Ein immer lauter werdendes Rascheln drang zu ihrem Ohr. Es schien wild zu schnaufen, wie ein blutrünstiges Tier, dass ihre Witterung aufgenommen hatte. Das Knacken der Hölzer, die mit jedem Schritt des Wesens brachen, wurden lauter und kündigten sein baldiges Auftauchen an.
Nina bekam Angst, machte sich klein, kniff ihre Augen zusammen und steckte sich die Finger in die Ohren, damit sie nichts sehen oder hören konnte.
»Lalalalalalalalala...« rief sie laut vor sich hin, um diese unheimlichen Geräusche zu übertönen. Sie mochte hier nicht sein. Schon gar nicht, mit diesem bösen Etwas, das sie ganz sicher fressen würde.
Es kam näher und sie konnte die Aura seiner Anwesenheit spüren. Verstummt zitterte sie am ganzen Körper.
Dann plötzlich wurde Nina von etwas berührt.
Sie schrie laut auf und versuchte so schnell wie möglich auf allen Vieren weg zu kriechen, sich in Sicherheit zu bringen.
Doch dann hörte sie etwas, was sie verharren lies. Etwas, das sie kannte. Ein leises Wiehern, und wieder ein Schnaufen, welches ihr diesmal aber sehr bekannt vorkam, direkt hinter ihr.
Langsam drehte sie sich um und konnte direkt in die Augen von Ella schauen. Es kam ihr vor, als würde die Stute sie traurig ansehen.
Sie kam einen Schritt näher und stupste Nina vorsichtig an, als würde sie sagen wollen »Es tut mir leid, dass du heruntergefallen bist. Ich wollte dich nicht allein lassen.«
Nina stand auf. »Ist schon gut Ella. Ich weiß, dass du das nicht wolltest.« Mit ihrer kleinen Hand streichelte sie der Stute den Hals, während sie erneut versucht, sich einen Überblick über die Umgebung zu machen. Doch auch jetzt fand sie immer noch nicht den kleinsten Hinweis darauf, wo sich der Pferdehof befinden könnte.
»Weißt du, wie wir wieder nach Hause kommen?«
Ella schien sie verstanden zu haben, ging ein paar Schritte an dem kleinen Mädchen vorbei, wieherte und nickte mit dem Kopf, als würde sie die Richtung weisen wollen.
»Na gut. Versuchen wir es!«
Obwohl Nina noch immer ein wenig Angst hatte, fühlte sie sich mit Ella an ihrer Seite schon wesentlich sicherer und ihr Mut kehrte nach und nach zurück.
Seite an Seite liefen sie zwischen den Bäumen hindurch, immer weiter. Und bald schon hatten sie das Ende des Waldes erreicht und betraten den Feldweg, auf dem sie am Freitagmittag mit dem Auto auf dem Pferdehof angekommen waren. In der Dunkelheit konnte Nina das Bauernhaus erkennen. Im Haus brannte kein Licht und es liefen auch keine Menschen wild umher, die auf der Suche nach einem kleinen, vermissten Mädchen und einem Pferd hätten sein können.
Nina fiel ein großer Stein vom Herzen. Ganz offensichtlich hatte noch niemand ihren nächtlichen Ausflug bemerkt.
Am Stall angekommen, brachte Nina die Stute zurück in ihre Box.
Aus einem Futtereimer nahm sie eine Möhre und reichte sie Ella, welche sie auch sofort verspeiste.
»So etwas dürfen wir nie wieder machen. Hörst du?«
Ella antwortet mit einem leisen Wiehern und Kopfnicken, als hätte sie Nina erneut verstanden. Die Stute legte ihren Kopf vorsichtig auf die Schulter des kleinen Mädchens und es erwiderte mit einer Umarmung. Dabei entfuhr Nina ein tiefes Gähnen und noch ehe sie sich versah, sank sie langsam auf das frische Stroh hinab und schlief ein. Ella legte sich ebenfalls nieder und bewachte das zierliche kleine Geschöpf, das ihre neue Freundin geworden war.
»Nina! Wo bist du? Es gibt gleich Frühstück.« rief ihr Papa nervös, nachdem er festgestellt hatte, dass sich unter der Decke im Bett seiner Tochter, nur ihr Kopfkissen befand und damit wohl der Eindruck erweckt werden sollte, sie schliefe noch.
»Junge Dame, ich habe dir gesagt, du sollst hier draußen nicht allein herumlaufen.« kam von Ninas Mama. Es klang, als sei sie sehr verärgert, doch letztendlich sprach nur die Angst und Sorge um ihre Tochter aus ihren Worten.
Nina bekam von dem ganzen Trubel zunächst nichts mit, bis die ersten Worte, durch ihre Träume gedämpft, bis zu ihr durchdrangen. Doch als sie langsam, schlaftrunken die Augen öffnete und feststellte, dass es nach Stroh und Pferd roch, war sie blitzschnell wach. Jetzt ist sie doch tatsächlich im Stall neben Ella eingeschlafen und das, obwohl sie unbemerkt wieder in ihr Bett hüpfen wollte. Ihre Mama wurde ungeduldig, aber sie war nicht panisch, also haben sie wahrscheinlich nicht mitbekommen, dass Nina die ganze Nacht über weg war. Sie setzte sich gerade auf, als sie hörte, wie die Stalltür geöffnet wurde und Georg ein erschrockenes »Oh nein!« entwich.
Der junge Pferdehofbesitzer sah sofort, dass Ellas Box offen stand und eilte, mit dem Schlimmsten rechnend, zu ihr hinüber.
Erleichterung machte sich auf seinem Gesicht breit, als er sah, wie Nina neben Ella saß und diese sich schützend, ganz vorsichtig, wie eine echte Pferdemama, neben das kleine Mädchen gelegt hatte. Zum ersten Mal, seit er die Stute gefunden hatte, sah sie ihm ohne Angst in die Augen. Georgs Blick ging wieder zu Nina.
»Ah. Hier steckst du also, junges Fräulein.« Ein Lächeln blitzte in seinem Gesicht auf, denn in diesem Moment begriff er, wie sicher sich Ella in der Gegenwart von Kindern fühlte und er wusste, dass er Ella von nun an ein schöneres Leben geben könnte.
»Sie wollte nicht allein sein.« Das war das Einzige, was Nina herausbrachte.
»Sie ist hier bei mir, im Stall.« rief Georg hastig Paul und Sabrina zu. Diese kamen auch sofort angelaufen, um zu sehen, was ihre Tochter so früh am Morgen und vor allem allein im Stall zu suchen hatte.
»Was hast du hier denn hier zu such …« Doch noch bevor Sabrina den Satz zu Ende sprechen konnte, lenkte Georg schon ein.
»Schau doch mal, was die kleine Nina geschafft hat. Da ist sie doch wirklich zusammen mit Ella in einer Box und die Stute zeigt keine Angst mehr. Ich weiß zwar nicht, wie du das geschafft hast, aber ich bin mächtig stolz auf dich.«
Er drehte sich zu Paul und Sabrina. »Ich glaube, in eurer Tochter steckt mehr, als wir gedacht haben.« Dann beugte er sich zu Nina hinunter, die immer noch in der Box saß. »Ich schlage vor, du entschuldigst dich erst mal bei deinen Eltern, weil du hierhergekommen bist, ohne dass du die Erlaubnis dafür hattest. Danach frühstücken wir alle zusammen.« Nina nickte eifrig, bemerkte aber auch das Glitzern in seinen Augen und wie er glücklich zu Ella hinüber sah. Als Nina schon an ihm vorbei huschen wollte, versperrte ihr Georg den Weg. Vorsichtig zog er der kleinen Pferdeflüsterin ein Laubblatt aus den Haaren und flüsterte ihr ins Ohr. »Wenn du mir versprichst, mir nachher mit Ella zu helfen, dann erzähl ich deinen Eltern auch nicht, dass du mit ihr heute Nacht in den Wald geritten bist.« Er zwinkerte ihr mit einem wissenden Grinsen zu und gab den Weg wieder frei.
Nina machte große Augen, doch erwiderte sie sein Lächeln, stürmt an ihm vorbei zu ihren Eltern und umarmte sie ganz fest.
»Es tut mir ganz ehrlich richtig, schrecklich leid, dass ich allein in den Stall gegangen bin und euch nicht Bescheid gesagt habe. Ich werde es nie wieder tun. Versprochen!«
Dabei drückte sie ihre Eltern ganz fest, bis diese die Entschuldigung angenommen hatten und ihrer Tochter liebevoll über den Kopf strichen.
~
Das Wochenende ging viel zu schnell vorüber, doch sie hatten alle noch viel Spaß auf dem Pferdehof. Die Strafe, die Nina für ihren Ungehorsam bekam, folgte auf dem Fuße. Einen ganzen Monat lang würden sie jedes Wochenende auf den Pferdehof fahren und Nina müsste helfen, die Pferde zu füttern und die Ställe auszumisten. Nina fand das gar nicht schlimm. Sie liebte Pferde und so konnte sie Ella auch oft besuchen.
Mit Georg zusammen kümmerte sie sich um ihre Lieblingsstute, die zuerst dem Pferdehofbesitzer, dann aber auch Paul, Sabrina und Nico gegenüber immer zutraulicher wurde.
Ella und Nina wurden ein Herz und eine Seele und selbst als der Monat vorbei war, besuchte sie ihre behufte Freundin mindestens einmal im Monat. Nina durfte sogar dabei helfen, Ella an andere Kinder zu gewöhnen und sie stellten schnell fest, dass die Stute die Gabe zu haben schien, besonders auf unsichere, ängstliche und verschlossene Kinder beruhigend zu wirken und als Georg beschloss, Ella zu einem Therapiepferd ausbilden zu lassen, durfte Nina dabei tatkräftig unterstützen.
Auch als Nina älter wurde, besuchte sie Ella regelmäßig, striegelte und fütterte sie. Sie säuberte ihre Box und immer, wenn sich die Möglichkeit ergab, führte sie die Stute – ohne Halfter, Zügel und Sattel – auf den Feldweg und ritt mit ihr durch den großen Wald, den sie beide mittlerweile so gut kannten und in dem sie sich nie wieder verlaufen und Angst haben würden.
Ende
Tag der Veröffentlichung: 27.08.2014
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