“Warum? Warum, Mum? Immer das gleiche und du scheinst es einfach nicht zu begreifen! “
Ich hatte schon lange aufgehört traurig zu sein, wenn das geschah, was jetzt wieder auf mich zukam.
“Caty, ich kann es dir erklären, bitte, bleib doch hier?” Meine Mutter versuchte meine Hand zu greifen
während ich auf die Haustür zu eilte. Getrieben von Wut, aber noch mehr von der unglaublichen
Enttäuschung, schon wieder nicht das Ziel erreichen zu können ein Leben zu führen, wie es so viele andere
können.
Länger in ein und derselben Stadt wohnen, nicht alle paar Wochen oder Monate umziehen.
Sich länger mit unangenehmen Nachbarn rumärgern oder sich mit ihnen anfreunden.
Enge Freundschaften schließen was in dieser Zeit fast aussichtslos schien.
Doch es sollte wohl einfach nicht sein. Zumindest nicht mit meiner Mum.
Eine Möglichkeit blieb! Aber nein, ich will und kann es nicht tun. Ich will meine Mum nicht verlassen, auch
wenn das für mich bedeutet, dass ich niemals zur Ruhe kommen werde.
Ich stoppe und meine Mum rennt direkt in mich rein.
“Caty, Caty hör mich bitte an ja!” Sie trat so um mich herum, sodass sie direkt vor mir stand, jedoch schaffte
sie es nicht mir in die Augen zu sehen. Sie hielt den Blick gesenkt.
“Caty, ich habe Mist gebaut ok! Ich sehe es ja ein, aber er ist halt nicht der Richtige, du musst mich
verstehen. Ich kann nicht dort bleiben wo ich mich nicht wohl fühle. Ich habe schon alles organisiert, du
musst dich um nichts kümmern. Wir reisen direkt ab. Wir gehen weit weg und dort beginnen wir neu, aber
da bleiben wir dann auch, versprochen mein Schatz, ja!?”
Sie sah nun doch hoch und sah mich mit ihren blau grauen Augen flehendlich an.
In ihnen lag ein Versprechen, welches ich bis jetzt noch nie gesehen hatte.
Sie scheint es ernst zu meinen. Sie trat einen Schritt auf mich zu und legte mir die Hände auf die Schultern.
“Caty, du weißt das ich es ohne dich nicht schaffe!”
Mir blieb keine Wahl , ich musste zustimmen. Zum einen bin ich noch siebzehn und muss schließlich bei ihr
bleiben, oder aber zu meinem Vater, mit dem ich jedoch die letzten sechs Jahre keinerlei Kontakt mehr
hatte. Außerdem liebe ich sie ja, nur dieses ständige Umziehen war eine wahre Qual.
Ich seufzte und atmete einmal tief durch.
“Mum, natürlich komm ich mit dir, aber bitte, bitte denk daran was du mir gerade gesagt hast.”
Ich hatte schon an so vielen Orten gelebt. Mal für einige Wochen, mal waren es auch ein paar Monate
jedoch noch nie mehr als ein Jahr. Es war fast so, als würden wir auf der Flucht sein, aber das waren wir
nicht, naja außer man kann die kurzen Beziehungen meiner Mum und deren scheitern die Flucht meiner
Mutter vor der Realität nennen. Sie konnte sich einfach nicht binden und damit hatte ich auch überhaupt
kein Problem. Ich habe allein damit ein Problem, dass sie es nicht begreift und sich Hals über Kopf in die
nächste Beziehung stürzt.
“Catelyn, es tut mir Leid” Der traurige Unterton in ihrer Stimme ließ mich erschaudern, sie meinte es wirklich
ernst. Ich legte meiner Arme um sie und drückte sie fest an mich.
“Es ist doch alles okay Mum, du musst dich nicht entschuldigen! Wir bekommen das schon hin, das haben
wir doch bisher immer.”
Meine Mutter begann zu schluchzen und weinte leise vor sich hin.
“Catelyn du bist alles was ich habe! Du dafst mich nicht verlassen okay!”
“Ja Mum ich werde bei dir bleiben! Versprochen!” Ich löste mich ein wenig von ihr und drückte ihr einen
Kuss auf die Wange.
Ich schenkte ihr ein lächeln und hoffte, dass es ihr half sich wieder zu fangen. Ich kann es einfach nicht
ertragen sie so am Boden zu sehen.Es schien zu wirken.Sie blinzelte ihre Tränen weg und versuchte sich
auch an einem Lächeln, was ihr jedoch nicht gelingen wollte.
Jedoch kann ich ihre Erleichterung deutlich sehen.
Noch eine Weile blieben wir so stehen. Schließlich löste ich mich komplett von ihr.
“Lass uns packen!”
Ich trat eine Schritt zurück und ging zu meinem Zimmer.
Viel zu packen hatte ich nicht, schließlich waren wir erst seit sechs Wochen hier und meiner Erfahrung nach
lohnte sich das auspacken nicht sonderlich.
Ich packte meine Schulsachen ein, welche praktisch die einzigen Sachen die über meinem Tisch verteilt
lagen.
Dadurch, dass ich nicht lange an einem Ort blieb musste ich mir das meiste selber beibringen. Die Lehrer an
den Schulen, welche ich in den letzten Jahren besuchte unterrichteten alle in einem anderen Tempo.
Entweder ich war viel weiter als die anderen oder hing meilenweit im Stoff zurück.
Bis jetzt hatte es erstaunlich gut geklappt immer irgendwie dran zu bleiben, sodass ich zumindest immer
wieder an einer neuen Schule aufgenommen wurde. Nach den Sommerferien beginnt jedoch das
Abschlussjahr und das wollte ich schon gerne an einer Schule machen. Vielleicht hat Mum mich deshalb so
angesehen.
Vielleicht hatte sie bemerkt wie wichtig es doch war, auch mal an einem Ort zu verweilen-
Fuß zu fassen.
Ja Vielleicht.
Eine Stunde später hatten wir alles gepackt. Unsere Sachen passten alle ins Auto, wir waren ohne Möbel
gekommen und hatten das Glück eine möblierte Wohnung mieten zu können. Der nächste Monat würde
hart werden schließlich mussten wir jetzt für beide Wohnungen die Miete zahlen. Das hieß die Jobsuche
musste ich direkt beginnen wenn wir dort angekommen sind. Wo auch immer meine Mum nun hinfuhr.
So lief es immer , alles ins Auto und dann einfach der Nase nach und dort anhalten wo es einem gefällt.
Wir fuhren schon einige Stunden, als ich schließlich in einen unruhigen Schlaf fiel. Als ich erwachte standen
wir auf einem Rastplatz.
Wo war Mum bloß hingegangen?
Ich sah mich unruhig um.
Wo war sie nur?
Dann sah ich sie, sie rannte mit einem entsetzten Gesichtsausdruck auf das Auto zu.
Ich richtete mich direkt auf.
Was war los? Sie riss die Autotür auf.
“Mum, was ist los?” noch immer etwas verschlafen, aber durch diese Aktion überrumpelt streckte ich mich
und dann sah ich ihn.
Dean Baker.
Mein Herz schien auszusetzen.
“Mum fahr los” schrie ich entsetzt. Meine Mutter schob fast genauso panisch den Schlüssel in die Zündung.
Sie verfehlte das Zündschloss und zerkratzte unüberhörbar die billige Verkleidung des Autos.
“Mum LOS” Diesmal klappte es. Sie steckte den Schlüssel in den Anzünder und drehte ihn energisch um. Mit
einem heulen ging der Motor an und meine Mutter gab Gas. Die Reifen quietschten und wir rasten über den
Parkplatz Richtung Autobahnauffahrt. Im Seitenspiegel sah ich wie Dean zu seinem Wagen rannte. Es
herrschte für die nächsten Minuten Stille im Auto. Keiner sagte ein Wort, zu tief lagen die Wunden der
Vergangenheit.
6 Jahre zuvor
“Hier ist unser neues zuhause Caty, gefällt es dir?” Es war ein großes Haus vor dem wir standen, ein
gepflegter Vorgarten umgab es und ließ es recht niedlich wirken. Ja es war ein recht schönes Haus mit
kleinem Vorgarten und weißer Fassade.
Meine Mum hatte hatte einen Mann bei der Arbeit kennengelernt.Nicht selten das so etwas geschah. Um
genau zu sein war er jedoch ihr Chef.Dean. Er war wirklich in sie verliebt, jedenfalls schien es so. Er umwarb
sie Wochen, monatelang, machte ihr den Hof und alles schien perfekt. Wir hatten bis dahin schon 3 Monate
an diesem Ort gelebt und fühlten uns so langsam wirklich wohl.Dean schien perfekt, er hatte ein schönes
Haus, einen festen Job und kümmerte sich wirklich gut um meine Mutter. Sie hatte entschieden bei ihm ein
zu ziehen nach dem er sie schon wochenlang darum bat.
Und schon bald begann unser Albtraum.
Dean war Säufer, mich wundert es bis jetzt das ich es nicht vorher gemerkt hatte schließlich hatte ich über
die Jahre ein Gespür für negative Eigenschaften entwickelt. Eines Abends kam er betrunken nach hause,
nach einem “Geschäftsessen” so wie er meinte. Er war aggressiv und ich entschied mich ihm diesen Abend
aus dem Weg zu gehen, doch dieser Vorfall wiederholt sich und es dauerte nicht lang bis ihm die Hand
ausrutschte. Er schlug nicht nur mich, sondern auch meine Mum. Er war nicht wie die Alkoholiker mit denen
ich schon vorher zu tun hatte. Sie schlugen meist nur auf dich ein, wenn du ihnen in den Weg kamst , doch
Dean wollte uns weh tun. Meine Mom suchte immer wieder Entschuldigungen für ihn und ich ließ mich
jedes mal immer und immer wieder überreden.Bis er meine Mum so sehr an jenem Abend zusammenschlug ,
dass sie nur noch zusammengesunken in einer Ecke kauerte und Dean immer und immer wieder auf sie
einprügelte.
Ich rieche immer noch diesen beißenden Geruch von hochprozentigem Alkohol der im Raum überall auf dem
Boden verteilt war. Ich rannte in die Küche und griff nach dem Telefon. Aber ich wusste nicht wen ich
anrufen sollte. Meine Mutter hatte verboten das ich die Polizei anrufe. Also tippte ich so schnell ich konnte
die Nummer meines Vaters in das Telefon. Es ertönte dreimal das klingel Zeichen, danach nahm jemand ab.
“Hallo. Mit wem spreche ich?” fragte mich eine bekannte Stimme.
“Ich bin es Dad.” Sagte ich nur.
“Catelyn,es passt leider gerade gar nicht, ruf doch später noch mal an” er klang sehr beschäftigt und schon
hatte er wieder aufgelegt. Er muss doch gehört haben das es mir schlecht ging oder war ich ihm egal.
Die letzten Jahre hatte ich mich das immer wieder gefragt.Gerade als er aufgelegt hatte stolperte Dean in
die Küche.
“Da bist du ja du kleines Balg, komm her zu Daddy!” Er kam langsam auf mich zu und ich wich immer weiter
zurück bis ich an die Küchentheke stieß.
“Komm ja nicht näher” warnte ich ihn. Er lachte nur und kam natürlich näher und versuchte mich mit seinen
Pranken zu packen. Ich schaffte es ihm in die Hand zu beißen, mit der er mich am Arm zu fassen bekommen
hatte,worauf hin er laut aufschrie und anfing laut zu fluchen. Ich rannte in diesem günstigen Moment zu
meiner Mum, welche immer noch am Boden kauerte.
“Mum du musst aufwachen wir müssen hier weg!” Ich rüttelte sie doch sie schien es gar nicht zu bemerken.
Und dann plötzlich kam Dean mit einem Messer in der Hand ins Zimmer. Er grinste über das ganze Gesicht.
“So und jetzt sind wir mal ganz lieb und benehmen uns junges Fräulein.” Er kam immer näher und streckte
die Hand nach mir aus. Mir kullerte eine Träne über die Wange. Er legte seine Hand auf meine Schulter und
ließ sie an meinem Arm herunter gleiten um mich kurz darauf zu packen und aufs Sofa zu werfen.
Er beugte sich über mich und ich roch nur noch seinen unangenehmen Atem. Als er begann sich an meiner
Kleidung zu schaffen zu machen begann ich laut an zu jammern und zu weinen. Er hörte nicht auf und auch
meine Mutter half mir nicht. Bevor er jedoch meine Hose herunterzog, trat ich so fest nach ihm wie ich
konnte und überraschenderweise schrie er auf und ich konnte vom Sofa klettern. Ich rannte zur Haustür,
doch bevor ich sie erreichte spürte ich einen Stich im Rücken unter meinem Schulterblatt.
Prompt fiel ich auf den Boden. Geschockt von dem was gerade passiert war blieb ich dort einfach liegen. Die
Verletzung an meinem Rücken blutete ungemein und das schien die Rettung für meine Mum und mich ,
denn Dean haute ab erschreckt vor dem was er getan hatte, so dachte ich.
Nach diesem Vorfall verschwanden wir aus jener Stadt und das Nomaden artige Leben nahm ihren Lauf.
Doch nie wieder geschah uns so etwas schlimmes wie an jenem Abend , an dem ich dachte mein Leben sei
nun vorbei. Aber nicht nur das, nein ich hatte an diesem Abend so einiges für mein Leben gelernt.
1. Trauekeinem Mann auf dieser Welt , egal wie toll seine Fassade erscheint.
2. Hoffe nicht auf die Hilfe deines Vaters.3. Weinen, Jammern und betteln bringen nichts.
Und zu guter Letzt:Vertraue nur auf dich selbst, du bist die Einzige die dich nicht enttäuschen kann.
Meine Mutter neben mir schwieg weiterhin, sie gab keinen Mucks von sich. Wahrscheinlich gequält von den
gleichen Bildern, die auch mich heimsuchten.Nach dem Vorfall vor sechs Jahren hatte sie sich geschämt und
das auch zu Recht. Jedoch hatten wir beide nicht erwartet, das uns unsere Vergangenheit wieder
einholt.Meine Narbe am Rücken schien nun auch zu schmerzen.
Wie konnte das nur geschehen?
Wie konnte er nur hier sein?
Warum genau an diesem Rastplatz?
Warum gerade jetzt?
Plötzlich hupte es hinter uns.
“Er ist hinter uns”. Die Luft knisterte vor Anspannung.
“Was will er Mum?”
“Ich weiß es nicht!” Ihre Stimme klang unsicher, als wüsste sie genau was er wollte.
Er hat anders ausgesehen als früher, ungepflegter, ja auch nicht mehr so schick gekleidet.
“Wir müssen hier einfach weg, Caty” Sie drückte noch ein wenig mehr auf das Gaspedal, wir waren auf der
Autobahn und fuhren eindeutig zu schnell. Hier waren gerade mal 80km/h erlaubt und meine Mutter fuhr
mindestens 150kmh, wenn nicht sogar schneller.
Und dann ging alles ganz schnell, das Schild der starken Linkskurve hatten wir nicht gesehen.Direkt nach der
Kurve gab es einen Stau. Meine Mutter schrie auf und riss das Lenkrad herum. In wenigen Sekunden waren
wir von der linken Spur über die rechte in der Leitplanke gelandet, diese brach und wir stürzten einen
Abhang hinunter. Es schäpperte und alles drehte sich. Immer wieder knallte ich mit dem Kopf gegen die
Decke des Autos .
Und dann.... nichts mehr.
Tag der Veröffentlichung: 18.10.2014
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