Sie tanzte. Sie drehte sich im Kreis und ließ die Füße fliegen. Es war wie ein Rausch. So, wie sie es sich immer gedacht hatte. Freudentränen liefen ihr die Wangen herunter. Sie sah ihre Mutter, die am Rand der Bühne stand und die ein Strahlen auf dem Gesicht hatte.
„Marie! Wie schön du tanzen kannst!“
Dann verschwand das Gesicht ihrer Mutter in der Menge der Zuschauer.
Marie konzentrierte sich ganz auf ihr Tun. Sie fühlte sich, als würde sie schweben, als gäbe es für sie keine Erdenschwere.
Dann war ihr Tanz beendet. Sie hörte den brausenden Applaus der Zuschauer, ihre Jubelrufe und ein wohliger Schauer durchlief ihren Körper.
„Sie sind dran.“ Die Stimme war direkt vor ihr. Sie schaute auf. Einer der Bühnenhelfer stand vor ihr. Es war der Helle, Freundliche.
Sie erhob sich. Schwankte leicht. Schwindelte.
„Geht es Ihnen nicht gut?“ Der Helfer hatte Besorgnis in der Stimme.
Sie fasste sich. „Es geht schon. Danke.“
Er führte sie hinter die Bühne. Ein schwarzer Vorhang verstellte den Blick zu ihr. Sie konnte das Klatschen der Zuschauer hören.
Bernd, der Junge mit der Tierpuppe, der als Bauchredner auftrat, kam von der Bühne auf sie zugelaufen. Er strahlte sie an. „Das war toll! Dir toi, toi, toi.“ Andeutungsweise spuckte er ihr links und rechts über die Schulter. “Du schaffst das!”
Sie hatte ihm von ihrem Lampenfieber erzählt. Und das sie lange gebraucht hatte, um sich für den Talentwettbewerb anzumelden. Nur der Ausdauer ihrer Mutter war es zu verdanken, dass sie nun kurz vor ihrem Auftritt stand.
Magensaft stieg heiß in ihrer Speiseröhre auf. Als er ihren Mund erreicht hatte, war daraus ein Brennen geworden, etwas würgte sie. Sie schwankte wieder, dann übergab sie sich. Ihr Mageninhalt platschte ihr vor die Füße. Ekliger saurer Geruch stieg auf. Sie fing an zu weinen, stürzte auf die Knie, in das Erbrochene hinein. Aus ihrem Weinen wurde ein Schluchzen, ihre Schultern bebten.
Der Bühnenhelfer nahm sie sacht an den Schultern. „Kommen Sie. Ich führe Sie nach hinten. Macht doch nichts. Sie sind nicht die Erste, der das passiert.“
Sie erhob sich langsam, ließ sich bereitwillig in eine der Umkleidekabinen führen.
„Danke“, sagte sie zu ihrem Helfer. „Es geht jetzt wieder. Wirklich.“
Er ließ sie allein. Sie schaute in den Spiegel. Es war Marie, die sie anschaute. Die Marie, die sie kannte. Ängstlich, unsicher. So war sie.
Marie atmete aus. Sie fühlte eine tiefe Erleichterung.
Tag der Veröffentlichung: 18.12.2013
Alle Rechte vorbehalten