Ich habe zu Beginn meiner letzten Lesung in meiner Heimatstadt Marburg ein paar Zeilen vorgetragen, die die Entwicklung meines Schreibens zum Inhalt hatten. Ich hatte an diesem Abend mit diesem Text jedenfalls die meisten Lacher. Ich bin so frei und stelle den Text so ungefiltert ein, wie ich ihn vorgetragen habe.
Hallo,
Da ich kein Redner bin, sondern eher ein Schreiber, habe ich dass, was ich Ihnen zu Beginn meines ersten Textes, den ich vorlesen möchte, sagen will, aufgeschrieben und lese es Ihnen vor, das heißt, wir befinden uns eigentlich schon mittendrin in der Lesung.
Mein Name ist Rainer Güllich und ich bin eher ein unauffälliger Mensch. Meine Texte sind auch so. Aber wie es so schön heißt: „Stille Wasser sind tief.“ Und so fallen meine Texte ebenfalls aus. Sie werden das erst Morgen merken, also spenden Sie mir heute Abend ruhig Beifall, Morgen ist es dafür zu spät.
Was mein Schreiben betrifft, kann ich nur meine Mutter zitieren, die mir, als ich ihr den ersten Band einer Anthologie mit einer Geschichte von mir darin, schenkte, sagte: „Du hast ja schon früher immer gern geschrieben.“
Ich weiß, auf welche Begebenheit sie sich bezog. Ich hatte eine Kurzgeschichte aus einem Winnetou-Comic abgeschrieben, Bilder aus besagtem Comic durchgepaust und habe das Ganze als mein Werk ausgegeben. Ein früher „Zu Guttenberg“ also, lange vor dem Internetzeitalter.“
Ich war damals ungefähr elf Jahre alt. Danach hatte ich meine erste Schreibblockade, die ungefähr 13 Jahre anhielt.
Mit 24 Jahren dann befand ich mich in einer echten Sinn- und Lebenskrise. Als ich meinte, sie sei überstanden, setzte ich mich hin und schrieb ein Gedicht, in dem ich mein neues positives Lebensgefühl zum Ausdruck bringen wollte. Das ging so:
Mein Leben
Ein neues Leben ist in mir geboren.
Es ist wie eine Blüte.
Noch ist es zart und schwach,
doch will ich es behüten,
den aus diesem Leben wachsen neue Blüten
und wenn aus diesen Blüten
ein Strauß geworden ist
werde ich wissen
dies Leben hat Stärke mir gegeben.
Tja, so war das. Ich habe das Gedicht ganz stolz in meiner Familie vorgetragen. Mein Cousin, mit dem ich aufgewachsen bin und der für mich bis zu diesem Zeitpunkt, wie ein Bruder war, fragte: „Äh, bist Du vielleicht schwanger?“
Diese Frage löste dann meine nächste Schreibblockade aus, die dann 23 Jahre dauerte.
2002 fand in Marburg das 1. Krimi-Festival statt. In diesem Rahmen wurde ein Krimi-Kurzgeschichten-Wettbewerb durchgeführt, an dem ich mich spontan beteiligte.
Mein Krimi kam auf den 8. Platz. Nicht so toll werden Sie jetzt sagen, aber … 8 Krimis waren auserwählt in der Oberhessischen Presse abgedruckt zu werden. Man begann mit Platz 8, Platz 1 kam zum Schluss. Bis der an die Reihe kam, waren bestimmt zwei Monate vergangen. Den hat bestimmt kaum jemand gelesen, ich glaube meinen Krimi aber schon … es stimmt also: Die Letzten werden die Ersten sein.
Was ein bisschen blöd war, war das meine damalige Frau zu der ganzen Aktion meinte: „Na ja, die Oberhessische Presse druckt sowieso alles.“
Das löste meine dritte Schreibblockade aus, die jedoch die kürzeste war. Sie betrug nur 8 Jahre.
2010 stieß ich dann im Internet zufällig auf eine Plattform für Leute, die gern schreiben. Bookrix. Tja, da habe ich dann mal meinen Krimi aus dem Wettbewerb eingestellt und mich da so ein bisschen umgeschaut. Den Krimi hat keiner gelesen ...
Was mir aber trotzdem gut gefiel war der monatliche Poesie-Wettbewerb. Man konnte ein Gedicht einstellen und die Gedichte mit den anderen Usern bewerten. Jeweils drei Sieger des monatlichen Wettbewerbes würden am Ende des Jahres in einem Buch veröffentlicht werden. Super!
Also habe ich ein Gedicht geschrieben und habe es eingestellt. Ging alles ganz flott, ich glaube, das Schreiben ging noch schneller, als das Gedicht im Internet einzustellen.
Hier das Gedicht:
Naturgewalt
Flocken schweben zart und sacht
Durch den Winterraum
Im Waldesdunkel stehen Tiere
Äsend wie im Traum
Wind fegt durch die Baumesreihen
Stäubt den Schnee zur Wand
Blitzend fährt das Sonnenlicht
Durch den Waldesrand
Stimmen tönen durch den Wald
Schritte klingen klar
Äxte brechen mit Gewalt
Der Bäume Urgestalt
Es flieht der Hirsch
Es flieht das Reh
Die Krähe flattert drein
Der Häherruf: „Der Mensch dringt ein!“
Blitze zucken durch den Tann
Ein Menschenkind zerstört
Die andern kehren um
Im tiefsten Sinn verstört
Naturgewalt schützt Wunderwelt
Natur wird Sieger sein
Des Menschen Oberhand
Ist nur ein eitler Schein
Ich bin zwar nicht unter die ersten drei gekommen, sondern war auf dem 8. Platz. Ist wohl mein Schicksal … immer Achter! Aber immerhin gab es einige positive Kommentare. Aber nicht nur: Eine Userin schrieb, dass ihr das Gedicht ganz gut gefiel, trotz des missglückten Reimschemas in der vierten Strophe. Ich wusste gar nicht, was sie meinte.
Jedenfalls hat dies nicht meine vierte Schreibblockade ausgelöst, sondern ich habe an der Hamburger Akademie für Fernstudien den Kurs Romanwerkstatt belegt und lerne nun fleißig, wie man schreiben soll. Es geht also weiter und deshalb sitze ich heute Abend auch hier.
Mal sehen, ob ich nach diesem Abend weiterschreibe oder ob mich wieder nasskalt die nächste Schreibblockade erwischt.
Mein persönliches Fazit aus dieser gesamten Entwicklung ist jedoch: Mein Cousin ist einfach nur ein Arschloch!
Tag der Veröffentlichung: 29.05.2013
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