Folgende Erzählung ist eine fiktive Geschichte.
Jede Ähnlichkeit mit realen Personen und
Orten ist rein zufällig.
Ich danke Siggi, meiner Testleserin,
die tapfer meine Fehlerteufel aus dieser Geschichte
verjagt und meine Stilblüten gepflückt hat.
10/2020 ©D.HaHerO
Es klappert am Briefkasten. Die Post ist da. Nervös entnehme ich mehrere Briefe, lese die Absender und sortiere. Die Werbung wandert achtlos ins Altpapier. Zum Schluss halte ich noch zwei Briefe in den Händen: Eine Rechnung von meiner Versicherung und das sehnsüchtig erwartete Dokument vom Arzt. Hastig öffne ich mit zittrigen Händen den Umschlag. Beim Entfalten bekommt das Dokument einen Riss. Egal! Ich durchsuche querlesend den Text. Hier steht’s: Negativ. Mir fällt ein Stein vom Herzen. Langsam setze ich mich in den Sessel und atme erstmal tief durch. In Gedanken erlebe ich nochmal die letzten zehn Tage:
Letzten Samstag jährte sich mein Geburtstag zum fünfzigsten Mal. Die Idee für eine kleine Feier im engsten Freundeskreis hatte ich schon im Sommer, aber die endgültige Planung machte ich abhängig von den aktuellen Corona-Pandemieregeln. Vor drei Wochen verschickte ich die Einladungen für ein zwangloses gemütliches Treffen. Die Feier sollte in einem größerem Partyzelt in unserem Garagenhof stattfinden. Für das leibliche Wohl beauftragte ich einen Partyservice.
Besorgt verfolgte ich in den Nachrichten das erneute Aufflammen der Pandemie. Unsere Region war noch nicht betroffen. Landesweit wurden wieder Beschränkungen durchgesetzt. Da ich nur zwanzig Gäste eingeladen hatte, waren wir noch innerhalb der Bestimmungen.
Ich erstellte ein Hygienekonzept: Gästeliste, Desinfektionsmittel, Abstandsregeln, Maskenpflicht …
halt alles, was aktuell für Feiern in größerer Personenzahl beachtet werden musste.
Im Laufe der Woche vor der Feier wurde das Zelt aufgebaut, mit Tischen und Stühlen bestückt. Durch die Größe des Zeltes war es möglich, die Abstandsregeln vernünftig umzusetzen.
Freitags musste ich auf Wunsch meines Arbeitgebers meinen Urlaub unterbrechen und einen halben Tag lang in der Filiale im Nachbarort den Auszubildenden unterstützen. Ein Kollege hatte sich morgens krankgemeldet.
Dadurch wurde es an meinem Geburtstag bei den letzten Dekorationsarbeiten im Zelt sehr hektisch. Meine Arbeiten wurden laufend durch telefonische Glückwünsche oder kleine Besuche von Freunden und Verwandten unterbrochen. Da ich stark in Zeitverzug war, schaltete ich gegen fünfzehn Uhr das Handy und Festnetztelefon auf Anrufbeantworter um. Bis zum Eintreffen des Partyservices gegen achtzehn Uhr wurde auch die restliche Dekoration fertig. Ich hatte gerade noch Zeit zum Duschen.
Dann kamen die Gäste. Es wurde ein lustiger, gemütlicher Abend. Die Corona-Regeln wurden allgemein eingehalten. Das Zelt wurde regelmäßig gelüftet und ein kleiner Gasheizlüfter sorgte anschließend wieder für behagliche Temperaturen.
Sonntags in der Mittagszeit - nach dem Aufräumen - hörte ich die Aufzeichnungen des Anrufbeantworters ab. Neben vielen Glückwünschen war auch ein Gespräch von meinem Chef aufgezeichnet: „Hallo Fritz, ich versuche dich schon den ganzen Tag zu erreichen! Hör mir bitte zu: Du darfst Montag nicht zur Arbeit kommen. Willi, den du am Freitag in der Filiale vertreten hast, hat heute Nachmittag angerufen. Er wurde Corona positiv getestet. Hörst du, du bleibst bis auf weiteres in Quarantäne und lässt dich auch testen. Ruf mich bitte mal an.“
Mir wurde schlecht und setzte mich erstmal aufs Sofa. Mit zittrigen Händen wählte ich die Nummer meines Chefs. Bestürzt nahm er zur Kenntnis, dass ich die Nachricht gerade eben erst erhalten hatte. Er erklärte mir, dass auf Anweisung der Bezirksleitung alle Personen, die in der letzten Woche in der Filiale tätig waren, vorsorglich in Quarantäne geschickt wurden. Florian, unser Azubi, und ich hatten in der vergangenen Woche keinen direkten Kontakt mit dem positiv Erkrankten. Letzte Woche bis einschließlich Donnerstag hatte Florian Urlaub oder Berufsschule und ich Urlaub.
Vor Aufregung rebellierte mein Magen. Mit Mühe beruhigte ich mich langsam. Ich nahm die Kontaktliste vom gestrigen Abend, ergänzte die Namen der spontanen Gäste und der Personen, die ich seit Freitagabend getroffen hatte. Ich kam in meinem Umfeld auf etwa achtunddreißig mögliche Personen, die ich infiziert haben könnte. Vor meinem geistigen Auge sah ich schon in den Medien die Schlagzeilen: „Neuer Corona-Hotspot nach leichtsinniger Geburtstagsfeier! Halbes Dorf unter Quarantäne!“
Mein schlechtes Gewissen riet mir zur sofortigen Information meiner Gäste, aber ich wollte erstmal Ruhe bewahren und mich beraten lassen. Bis zum Montag wollte ich aber mit dem Test nicht mehr warten. Gegen sechszehn Uhr fragte ich bei unserem ärztlichen Notdienst im Krankenhaus nach einem Test-Termin. Nach dem ich meinen Fall geschildert hatte, bekam ich vom Arzt die Auskunft, dass ich nicht als Kontaktperson zählte. Als Kontaktperson gilt, wer mehr als fünfzehn Minuten direkten ununterbrochenen Gesprächskontakt zu einem Infizierten hatte. Aber das war in meinem Fall nicht gegeben, da ich die infizierte Person nicht getroffen hatte. Von einem zwingenden Test wurde mir abgeraten. Wenn mein Arbeitgeber trotzdem einen Test möchte, dann sollte er die Kosten übernehmen.
Sichtlich beruhigt berichtete ich meinem Chef von meinem Telefonat. Er bestand trotzdem auf den Corona-Test.
Montags begann die Odyssee nach einem Termin. Da mein Hausarzt seinen wohlverdienten Urlaub hatte, versuchte ich mein Glück bei den Vertretungsärzten.
Bei Arzt Nummer eins erklärte ich meinen Fall und bekam zur Antwort, dass ich laut der Verordnung nicht als Kontaktperson gelte und darum hätten sie frühstens am Donnerstag einen Termin für einen privaten Corona-Test. Ich lehnte ab.
Bei Arzt Nummer zwei hatte ich mehr Glück und bekam einen Testtermin in der Mittagszeit. Auch dort bekam ich die Information, dass der Test in meinem Fall überflüssig war. Ich bekam noch den Rat, mir im Internet die Verordnung vom Bundesministerium herunter zu laden. Dort ist in Paragraph 2 genau beschrieben, wer als Kontaktperson zählt.
Drei Ärzte und die heruntergeladene Verordnung hatten mir jetzt unabhängig bestätigt, dass ich keine Kontaktperson war.
Heute, am Mittwochvormittag, halte ich das negative Testergebnis in Händen und informiere meinen Chef. Gleich nach dem Mittagessen darf ich wieder in der Filiale im Nachbarort unseren Auszubildenen unterstützen. Die Arbeitswelt hat mich wieder.
Während der Autofahrt grüble ich über die letzten Tage …
über die Verantwortung für meine Gäste, die ich mit dem Ausrichten der Feier übernommen hatte.
Ich komme zu dem Schluss, dass wir einfach nur Glück hatten und keiner infiziert wurde.
Während der Pandemie werde ich keine größeren Feierlichkeiten mehr ausrichten. Die Verantwortung ist mir zu groß. Man muss bedenken, dass trotz sorgfältiger Planung immer ein Restrisiko bleibt.
Mir kommt ein Gedanke:
Wie hätte ich reagiert, wenn ich eine halbe Stunde vor dem Eintreffen der Gäste die Nachricht meines Chefs erhalten hätte … alles absagen oder …
©D.HaHerO
Texte: ®D.HaHerO
Bildmaterialien: ®D.HaHerO
Cover: ®D.HaHerO
Tag der Veröffentlichung: 25.10.2020
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