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Sehnsucht nach Sicherheit

Sie sehnte sich nach Geborgenheit, Sicherheit und Wohlgefühl. Aber sie hatte nichts dergleichen. Nichts. Dennoch hatte sie noch etwas viel wichtigeres – Hoffnung. Niemand half ihr, deshalb musste sie ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Das hatte sie auch getan. Sie hatte gekämpft und nie aufgegeben. Dennoch, nun da sie alles hatte fehlte es ihr immer noch an Geborgenheit. Sie wirkte zwar nicht so, aber dennoch fehlte sie ihr. Es war schon viel zu lange her, dass sie sie je gehabt hatte. Zu lange her, um sich daran erinnern zu können. Alles was sie noch in Erinnerung hatte war das Waisenhaus. Das überfüllte Waisenhaus. Nie hatte sie jemand dort ernstgenommen, dennoch hatten sie immer das beste für sie gewollt. Nur das Beste wollte sie nicht. Egal wo sie hingekommen war, sie war nie lange geblieben. Nicht weil sie es nicht gewollt hatte, sondern weil die anderen es nicht wollten. Sie war immer die, die gehen musste – bis sie dort aus freien Stücken hatte weg gehen können. Sie hatte auch keine Sekunde gezögert es zu tun. Sofort war sie weg.

Nun ging es ihr gut. Allerdings war sie sich nicht sicher, ob sie diese Sicherheit, die es sicher irgendwann in ihrem Leben gegeben hatte jemals wiederbekommen können würde. Etwas in ihr sagte, dass sie darauf keine Chance hatte, etwas anderes widersprach dem. Diese Stimme war viel lauter in ihr. Sie hatte gesiegt und deshalb saß sie nun da wo sie war. Vor einem Haufen Papierkram.

 

Das erste was sie in die Hand nahm war ein Sorgerechtsstreit. Das Kind war sicher nicht älter als 12 und sie brauchte die ersten zwei Zeilen nicht einmal zu lesen, um zu wissen weshalb es diesen Streit gab. Gewalt. Die Bilder der blauen Flecken sprachen für sich. Kurz schloss sie sie wieder und atmete einige male ein und aus. Dann riss sie sich zusammen und öffnete sie erneut. Die Mutter war laut dem Protokoll in einem Frauenhaus untergebracht, gemeinsam mit ihrer 11jährigen Tochter. Martina, las sie und betrachtete die heruntergekommene Frau. Ihre Tochter hieß Melanie. Sie sah nicht so aus, als wenn sie verprügelt worden war, dennoch wirkte sie alles andere als glücklich. Stumm betrachtete sie die Fotos noch eine Weile, dann stand sie auf. Sie war nicht mehr das kleine Mädchen von damals. Nun konnte sie etwas tun. Sie konnte sich wehren und für die eingestehen, die es nicht konnten. Entschlossen ging sie auf die Tür zu. Sie würde zu ihnen fahren und mit ihnen sprechen. Sie würde da sein und dafür sorgen, dass ihnen Recht gewährt worden würde. Mit Hilflosigkeit war es für sie vorbei. Für immer. Sie würde sicher gehen, dass es ihnen gut gehen würde. Sie würde ihnen Sicherheit geben. Geborgenheit, Wohlgefühl und Sicherheit. Sie würde sichergehen, dass es ihnen gut gehen würde, das es ihnen an nichts fehlen würde und sie nach vorne schauen könnten und sich nicht nach den Alten Zuständen sehnten, auch wenn sie noch so vertraut schienen.

Impressum

Cover: Anthea Rainel
Tag der Veröffentlichung: 24.01.2022

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