Es ist verdammt lange her, seit ich noch den Willen hatte in der Früh aufzustehen. Damals bin ich noch freudig aus dem Bett gesprungen, gefrühstückt und dabei Zeitung gelesen. Habe gut gelaunt meine Sachen gepackt. Hab auf dem Weg zur Arbeit noch einen Kaffee geholt und mich in der Mittagspause mit Kollegen unterhalten.
Heute quäle ich mich nur noch aus dem Bett. Frühstück gibt es keines. Nur Kaffee im Pausenraum. Eine Zeitung hatte ich schon lange nicht mehr in der Hand. Ich will gar nicht erst wissen, was gerade passiert. Nicht als wenn es für mich eine Rolle gespielt hätte, eine schlechte Nachricht nach der nächsten zu lesen. Alles in mir fühlt sich taub. Es war mir egal. Alles. Alles und jeder.
Nach Mikas Tod spielte es keine Rolle mehr. Nun spielt es keine Rolle mehr. Ich bin auch nur eine Maschine. Ich funktioniere nur noch. Sonst tue ich nichts mehr. Nur noch funktionieren.
Die meisten Menschen gehen mir aus dem Weg. Ich spreche nicht mehr mit ihnen und nach einiger Zeit haben sie auch aufgegeben mit mir zu sprechen. Ich spreche mit meinem Boss nur noch, wenn es um die Arbeit, die ich leiste geht. Ihm ist es egal wie es mir geht, Hauptsache ich liefere. Mir geht es genauso.
Ich habe ihn gar nicht erst bemerkt, bis er mich angesprochen hatte. Ich weiß nicht, ob ich ihm schon mal begegnet bin. Ich kann mich auf jeden Fall nicht mehr daran erinnern. „Geht es Ihnen gut“, waren seine Worte gewesen. Erst als ich ein Ja herausgebracht hatte, wurde mir bewusst, wie heißer meine Stimme klang. Ich denke nicht, dass er es mir geglaubt hat. Heute weiß ich nur noch, dass er mir vermutlich das Leben gerettet hat. Mit seinem sorgenvollen Blick. Einfach nur ein Fremder. Jemand, der mir gezeigt hat, dass das Leben nicht nur aus kalten Menschen besteht.
Am nächsten Tag hatte ich gekündigt. Es war die beste Entscheidung, die ich nach Mikas Tod getroffen habe. Ich weiß nicht wieso, aber dieser Fremde hat es geschafft mich aus dieser Situation zu befreien. Nach diesem Gespräch habe ich wieder die positiven Dinge im Leben gesehen. Es war nicht wie davor und ich bin mir sicher, dass es auch nie wieder so sein wird, aber Mika hat nun Gerechtigkeit bekommen und ich meinen Frieden damit.
Der Fremde, der mir gezeigt hat, dass ich nicht allen Menschen egal bin. Der mir zugehört hat, als ich aus irgendeinem Grund angefangen habe ihm von allen meinen Sorgen und Problemen zu erzählen. Ich denke, ich weiß selbst nicht wieso. Es schien ihn nicht gestört zu haben und es war nicht so, als hätte er mir einen Rat gegeben, aber er war einfach da. Ihm war es nicht egal und ich denke, das trifft nicht auf viele Menschen zu.
Das Ganze ist nun schon verdammt lange her und trotzdem habe ich diesen Fremden nie vergessen und ich denke, dass ich es auch nie tun werde, denn ihm verdanke ich nun dieses Leben, auch wenn es ihm vielleicht nicht bewusst ist.
Tag der Veröffentlichung: 23.01.2022
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